Buddho.info

Warum träumen sie vom Himmel:

GOTT SELBST können sie besitzen

durch inneren Sieg über sich selber.

 

Der Pfad zur Leidensfreiheit

für Menschen guten Willens

 DIE LEHRE DES BUDDHO

 

DIE RELIGION

DER VERNUNFT

UND DER MEDITATION

 

Die vier Hohen Wahrheiten

  1. Die Hohe Wahrheit vom Leiden
  2. Die Hohe Wahrheit von der Leidensentstehung

III. Die Hohe Wahrheit von der Leidensvernichtung – Nibbanam

  1. Die Hohe Wahrheit von dem zur Leidensvernichtung führender Pfad

 

 

GEORG GRIMM

Komplett (ohne Register)

 

Herausgegeben von

  1. Keller-Grimm und Max Hoppe

HOLLE-VERLAG BADEN-BADEN

 

Seinem Freund Dr. Josef Peer gewidmet

 

 

 

 

 

 

 

 

INHALT

Vorrede, Einführung, Verzeichnis der benutzten Werke

 

Thema und Basis der Lehre des Buddho: Die vier Hohen Wahrheiten

 

  1. Die Hohe Wahrheit vom Leiden
  2. Das Kriterium des Leidens
  3. Die Persönlichkeit
  4. Die Leidenswelt
  5. Das Subjekt des Leidens

 

  1. Die Hohe Wahrheit von der Leidensentstehung
  2. Allgemeines
  3. Alter und Tod. – Geburt als die nächsten Bedingungen des Leidens
  4. Die Bedingungen der Wiedergeburt (Das Werden, das Anhaften, der Durst)
  5. Der Vorgang der Wiedergeburt. Das Karmas Gesetz
  6. Die Bedingungen des Durstes
  7. Die Sankhaka
  8. Das Nichtwissen – Überblick über die Leidensverkettung

 

III. Die Hohe Wahrheit von der Leidensvernichtung – Nibbanam

 

  1. Die Hohe Wahrheit von dem zur Leidensvernichtung führender Pfad
  2. Der hohe achtfache Pfad im Allgemeinen
  3. Die Staffeln des Pfades im Einzelnen
  4. Der Gang in die Heimlosigkeit
  5. Die Zufluchtnahme zu den Drei Juwelen
  6. Die Sittenreinheit
  7. Die Konzentration – Die Meditation –
  8. Die beschaulichen Schauungen, der Steilaufstieg zu Nibbanam, das Höhere Wissen
  9. Die Hilfsmittel der Konzentration
  10. Die vier Brahma-Zustände

 

ANHANG

  1. Die Tragweite des Begriffes atakkavecara (nicht im Bereich des logischen Denkens)

in der Lehre des Buddho

  1. Das Verhältnis der Lehre des Buddho zu den Upanischaden
  2. Das Problem der synthetischen Urteile a priori im Lichte der Lehre des Buddho
  3. Der prinzipielle Unterschied der Lehre des Buddho

von der Philosophie Schopenhauers – Buddhistische Kommentare

  1. Register

 

 

Vorrede.

Das vorliegende Hauptwerk erschien zu Lebzeiten des Autors in 14 Auflagen.

Das immer und immer wieder gefragte Buch verlangt nach einer neuen Auflage.

Eine Interpretation der Lehre,

die beim Wort des Buddho bleibt, wie es uns der Pali-Kanon aufbewahrt hat,

und gerade deshalb den Tiefen der Lehre gerecht wird,

ließ schon zu Lebzeiten Dr. Georg Grimm – eine Gemeinde treuer Anhänger sich um ihn versammeln.

Nach seinem Abscheiden am 26. August 1945 in Utting am Ammersee

– geboren wurde er am 25. Februar 1868 in Rollhofen bei Lauf an der Pegnitz in Mittelfranken –

wuchs diese Gemeinde noch erheblich an.

Weit aber über diese engere Gemeinde hinaus reichen seine Freunde und Verehrer.

(Vgl. biographische Notizen auf S. 516)

 

Neben seiner sonstigen schriftstellerischen Tätigkeit

hatte Georg Grimm schon lange eine weitere Neuauflage seines Hauptwerkes

Die Lehre des Buddha, die Religion der Vernunft“ vorbereitet.

Die ungünstigen Zeiten seit 1933 verhinderten zu seinen Lebzeiten die Ausführung des Planes.

Eine neue ausführliche Einführung in dieses erweiterte und durch vertiefte Erkenntnisse bereicherte Buch

lag in zwei Fassungen vor.

Es wurde die spätere Fassung gewählt, die aus der Abgeklärtheit des Verfassers in seinen letzten Jahren

die treffendsten Worte für den Geist der Lehre findet,

der, stets vom Buddha-Wort geleitet, aus dem Werk spricht.

Fast völlig umgearbeitet wurden die Kapitel: »Die Sankhara«, »Die Konzentration«

und »Die beschaulichen Schauungen, der Steilaufstieg zu Nibbanam«,

neu kamen hinzu die Kapitel »“ Zufluchtnahme“ und „Die Tragweite des Begriffes atakkavacara“.

Nach einem der letzten Wünsche Georg Grimms erfuhr der Titel die Erweiterung:

»Die Lehre des Buddho, die Religion der Vernunft und der Meditation«.

 

Es ist hier angebracht,

auf einige Stellen in den letzten Veröffentlichungen bekannter Autoren hinzuweisen,

aus denen der Grundgedanke der Lehre gleichfalls klar hervorgeht,

weil das Buddha-Wort, so genommen, wie es sich gibt, einfach diese Deutung fordert.

Es sind hier nur einige prägnante stellen wiedergegeben,

erschöpfend sind diese Hinweise natürlich keineswegs

und können es in diesem Rahmen auch gar nicht sein.

Beachtenswert sind vor allen Dingen die Ausführungen des lndologen Erich Frauwallner

in seiner „Geschichte der indischen Philosophie“, 1. Band *.

(* Geschichte der indischen Philosophie, 1. Band. Otto Müller Verlag Salzburg, 1953)

„… Es wurde … schon früh die Behauptung aufgestellt,

daß der Buddhismus das Vorhanden-sein einer Seele leugnet

und daß daher die Erlösung, das Erlöschen (sanskrit: nirwanam, Pali: nibbanam),

ein Aufgehen in das Nichts ist.

Und diese Behauptung hat lebhafte Erörterungen und eine ganze Literatur hervorgerufen. …

Meiner Ansicht nach wären die Dinge nie so schwierig erschienen,

wenn man sie von Anfang an auf Grund der alten kanonischen Texte betrachtet hätte.

Wäre man nicht zuerst

mit den phantastisch ausgeschmückten Legenden der späteren Zeit bekannt geworden,

so hätte man schwerlich daran gedacht, wie es früher geschehen ist,

an der Geschichtlichkeit der Person des Buddha zu zweifeln

und in den Berichten über sein Leben einen Naturmythos zu sehen.

Ebenso wäre die Frage,

wie sich der älteste Buddhismus zum Problem der Seele und des Wesens der Erlösung stellte,

von Anfang an in einem anderen Lichte erschienen,

wenn man nicht zuerst späte Mahayanas Texte kennengelernt hätte,

für deren Verständnis damals alle Voraussetzungen fehlten

und die fast notwendig zu Mißdeutungen führen mußten.

Nachdem es aber einmal zu solchen gekommen war,

war es schwer, die einmal gefaßten Vorurteile zu ändern.“

so bezeichnet es Frauwallner auch als »einen unhaltbaren groben Anachronismus«,

wenn, vor allen Dingen von russischen Gelehrten, Lehren der späteren Dogmatik,

insbesondere die Dharma-Lehre, bereits dem Buddho zugeschrieben wird.

 

Feinsinnig bringt uns Frauwallner den altindischen Geist näher, aus dem heraus die Lehre entstand,

wenn er ausführt: »Und wie steht es mit der Frage der Erlösung?

Man hat zunächst die Beantwortung dieser Frage schon aus dem Wort herauslesen wollen,

mit dem der Buddhismus die Erlösung bezeichnet,

aus dem Wort Erlöschen (nirvanam, P. nibbanam).

Dieses Wort bezeichnet nämlich das Erlöschen einer Flamme

und die Erlösung wird ausdrücklich mit einem solchen Erlöschen verglichen.

Man sagte nun, wie eine Flamme mit dem Erlöschen vergeht und nicht mehr vorhanden ist,

so ist auch der Erlöste mit der Erlösung vernichtet.

Dieser Gedankengang beruht aber auf vollkommen falschen Voraussetzungen

und begeht den schweren Fehler, fremde Anschauungen in die indische Gedankenwelt hineinzutragen.

Wie wir bereits im Abschnitt über die epische Philosophie

bei der Besprechung zwischen Bhrgu und Bharadvaja gesehen haben,

bedeutet das Aufflammen und Erlöschen eines Feuers für den Inder der alten Zeit

kein Entstehen und Vergehen,

sondern das bereits vorhandene Feuer wird dadurch sichtbar und wieder unsichtbar,

und das ist der Grund, warum dieses Bild für das Schicksal der Seele nach dem Tode gebraucht wird.

Die Aussage des Textes ist in dieser Hinsicht vollkommen eindeutig.

Es heißt dort: „Nicht vergeht die in den Leib eingegangene Seele (jivah),

wenn der Leib vergeht, sondern sie ist wie ein Feuer, nachdem das Brennholz verbrannt ist.

so wie das Feuer, wenn man ihm kein Brennholz mehr zuführt, nicht mehr wahrnehmbar ist,

sondern wegen seines Eingehens in den Äther ohne feste Stätte und daher schwer zu erfassen ist,

ebenso befindet sich die Seele, wenn sie den Leib verlassen hat, in einem dem Äther ähnlichen Zustand,

wird aber wegen ihrer Feinheit nicht wahrgenommen, daran ist nicht zu zweifeln.“

Das Feuer vergeht also beim Erlöschen nicht, sondern es wird nur unfaßbar.

Und die gleiche Vorstellung liegt zugrunde,

wenn der Buddha die Erlösung mit dem Erlöschen eines Feuers vergleicht.

Wie des erloschenen Feuers Weg nicht erkennbar ist, sagt er z. B. an einer Stelle,

so ist es nicht möglich, den Weg der gänzlich Erlösten aufzuzeigen,

die über die Fessel und Flut der Lüste hinausgedrungen sind

und die unwandelbare Seligkeit erreicht haben.

Diese eine Stelle mag hier genügen. …

Dazu kommen andere Äußerungen und Ausdrucksweisen,

welche deutlich zeigen, daß das Erlöschen nicht als Vernichtung verstanden wurde.

Man spricht von einer Sphäre des Erlöschens (nirvanadhatuh), in die der Erlöste eingeht,

von einer Stadt des Erlöschens (nirvanapuyam).

Und ebenso eindeutig ist es, wenn der Buddha von dieser Stätte des Erlöschens folgendermaßen spricht:

„Es gibt, ihr Mönche, ein Ungeborenes, Ungewordenes, nicht Gemachtes, nicht Gestaltetes.

Gäbe es nicht, ihr Mönche, dies Ungeborene, Ungewordene, nicht Gemachte, nicht Gestaltete,

würde es für das Geborene, Gewordene, Gemachte, Gestaltete keinen Ausweg geben.“

Der Versuch, den Begriff der Vernichtung aus dem Ausdruck Erlöschen (nirvanam) herauszulesen,

beruht also letzten Endes auf einem Mißverständnis.“ (S. 225 bis 227)

(* Vgl. Georg Grimm, Die Botschaft des Buddha, der Schlüssel zur Unsterblichkeit.

Baum-Verlag, Pfullingen/Württ. S. 66)

 

Einige Ausführungen verdienen noch unsere ganz besondere Aufmerksamkeit. sie lauten:

»Der gewöhnliche Mensch läßt sich leicht verleiten,

seine irdische Persönlichkeit für sein wahres Ich (atma, P. atta) zu halten.

Das führt dazu, daß er diesem Ich und Allem, was damit in Verbindung steht, besonderen Wert beilegt.

Dadurch erwacht die Begierde, der Durst.

Er klammert sich daran, er greift danach (upadanam), wie der Buddhismus sagt,

und schafft so Bindungen, die ihn an dieses Dasein fesseln

und ihn von Wiedergeburt zu Wiedergeburt zu neuem Werden (bhawh) führen.

Erkennt er dagegen, daß dieses Alles nicht sein wahres Ich ist und ihn in Wirklichkeit nicht berührt,

dann erlischt die Begierde, er wendet sich von allem Irdischen ab,

die Fesseln, die ihn an das Dasein binden, zerreißen und er erlangt die Erlösung.

 

Diese Vorstellungen knüpfen letzten Endes an Anschauungen an,

die uns bereits aus der Philosophie der Upanisaden vertraut sind.

Dort gilt als entscheidend für die Gewinnung der Erlösung die Erkenntnis des Atma, des Selbstes,

also des wahren Ich.

Denn wer dieses wahre Ich erkennt,

wird sich von allem anderen abkehren und dadurch vom Irdischen loslösen.

Wie nämlich Yajnavalkya in seinem letzten Gespräch mit seiner Gattin Maitreyi eindrucksvoll ausführt,

ist es nur das Ich, der Atma, der allen Dingen Wert verleiht,

und ihm hat daher allein das rechte streben zu gelten.

Was von ihm verschieden ist, ist leidvoll (tato ‘nyad artam).

Es sind also hier wie dort die gleichen Gedanken, auf die wir stolzen,

nur sind sie im Buddhismus anders gewendet und sozusagen negativ formuliert.

Es heißt hier nicht, daß man das wahre Ich erkennen soll,

sondern daß man das, was nicht das Ich ist, nicht für das Ich (atma, P. atta) halten darf.

Denn sonst klammert sich die Begierde an dieses falsche Ich

und bewirkt dadurch die Verstrickung in den Wesenskreislauf.

Und die Erlösung erfolgt nicht dadurch, daß man sich des wahren Ich bewußt wird.

sondern dadurch, daß man Alles, was fälschlich für das Ich gehalten wird,

als Nicht-Ich (anatma, P. anatta) erkennt und so die Begierde davon löst.“ (S. 192/193)

 

»Ferner berichtet die alte buddhistische Überlieferung,

daß der Buddha anschließend an die Predigt von Benares

eine zweite Rede an seine ersten fünf Jünger richtete,

die ebenfalls erhalten ist und die Rede von den Kennzeichen des Nicht-Ich genannt wird.

In dieser Rede führt er zunächst breit aus,

daß die fünf Gruppen des Ergreifens* nicht als das Ich betrachtet werden dürfen.

* In ihnen geht die Persönlichkeit restlos auf, wie wir bald sehen werden.

Dann richtet er an seine Jünger die Frage:

»Was meint ihr, ihr Mönche, ist die Körperlichkeit beständig oder unbeständig“?

Sie antworten: „Unbeständig, oh Herr.

»Was aber unbeständig ist, ist das Leiden oder Freude?“ »Leiden, oh Herr.“

»Was nun unbeständig, leidvoll, dem Wechsel unterworfen ist,

kann man, wenn man das betrachtet, sagen: das ist mein, das bin ich, das ist mein Selbst?“
„Das kann man nicht. oh Herr.“

Die gleichen Fragen und Antworten

werden dann in Beziehung auf die vier übrigen Gruppen gestellt und gegeben.

Und dann schließt der Buddha: „Deshalb, ihr Mönche,

was für Körperlichkeit, Empfindung, Bewußtsein, Gestaltungen und Erkennen

es auch immer gegeben hat, geben wird und gibt,

gleichviel ob in uns oder in der Außenwelt, gleichviel ob grob, ob fein, ob gering, ob hoch, ob fern, ob nah:

alle diese Körperlichkeit, Empfindung, Bewußtsein, Gestaltungen und Erkennen

sind nicht mein, sind nicht ich, sind nicht mein selbst;

so muß es in Wahrheit, wer die rechte Erkenntnis besitzt, ansehen.

Wer es also ansieht, ihr Mönche, ein kundiger, edler Hörer,

wendet sich ab von der Körperlichkeit, von Empfindung, Bewußtsein, Gestaltungen und Erkennen.

Indem er sich davon abwenden wird er frei von Begierde.

Durch das Aufhören der Begierde gewinnt er die Erlösung.

lm Erlösten entsteht das Wissen von seiner Erlösung:

„Vernichtet ist die Wiedergeburt, vollendet der heilige Wandel, erfüllt die Pflicht;

keine Rückkehr gibt es mehr in diese Welt“, also erkennt er.“

Hier ist also der Gedanke von der falschen Ich-Vorstellung,

von der man sich befreien muß, um die Begierde zu beseitigen

und sich dadurch von der Verstrickung in den Kreislauf der Geburten zu lösen,

klar ausgesprochen und breit ausgeführt.

Und vor allem ist es der Satz Yajnavalkyas,

daß alles vom wahren Ich, dem Atma, Verschiedene leidvoll ist, auf den hier aufgebaut wird.

Nur erscheint er der ganzen Gestaltung der Lehre entsprechend anders gewendet,

und zwar in der Form, daß alles, was leidvoll ist, nicht das Ich sein kann.« (S. 194-195)

 

Frauwallner weist darauf hin, daß die Beweisführung der Lehrrede von den Kennzeichen des Nicht-Ich, die der Buddho vor seinen ersten fünf Jüngern in Benares hielt,

im Kanon an zahlreichen Stellen wiederkehrt.

»Mit dieser Beweisführung hat aber der Buddha erreicht, was er will.

Der falsche Glaube, der in der irdischen Persönlichkeit das Ich sieht, ist damit zurückgewiesen.

Gleichzeitig ist aber jede Aussage über das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein des Ich umgangen.

 

Allerdings hat man versehentlich aus der oben wiedergegebenen Beweisführung

eine Leugnung des Ich durch den Buddha herauslesen wollen.

Aber das geht unbedingt zu weit.

Für den unbefangenen Beurteiler ist damit nur gesagt,

daß die fünf Gruppen nicht das Ich sind,

und das ist auch der einzige Zweck, dem diese Beweisführung dient.

Jeder Versuch, mehr darin zu finden, würde über diesen Zweck hinausgehen und ihn verfehlen.

Ja, man könnte eher aus der Behauptung,

daß alles, was vergänglich und leidvoll ist, nicht das Ich sein kann, die Folgerung ziehen,

daß das Ich also unvergänglich und vorn Leiden frei ist,

und daß jemand, der so argumentiert, das Vorhandensein einer solchen Seele voraussetzt.

Überdies wird im Anschluß an die obige Beweisführung in den Texten des buddhistischen Kanons

nie davon gesprochen, daß ein Ich nicht vorhanden, sondern höchstens, daß es nicht faßbar ist.

Das hat man wieder so zu deuten versucht, da der Buddha diese Ausdrucksweise gewählt hat,

um nicht die Schwächeren unter seinen Jüngern

durch die Leugnung des Ich und die sich daraus ergebende Vernichtung bei der Erlösung abzuschrecken.

Aber solche Gedankengänge liegen der Verkündigung des Buddha vollkommen fern.

Er wirbt nicht um Jünger, am allerwenigsten auf solchen krummen Wegen,

schließlich verwahrt sich der Buddha selbst gegen eine solche Deutung seiner Worte.

In einer der Lehrreden, in der er wieder in der gewohnten Weise gezeigt hat,

daß die fünf Gruppen nicht das Ich sind, bricht er anschließend daran in die Worte aus:

»Und mich, der ich so rede, so lehre, ihr Mönche,

mich beschuldigen einige Asketen und Brahmanen unrichtig, nichtiger Weise, fälschlich und unzutreffend:

„Ein Verneiner ist der Asket Gautama,

er lehrt die Zerstörung, Vernichtung und den Untergang des einmal vorhandenen Wesens

(satah sattvasya).“

Was ich nicht bin, ihr Mönche, und nicht rede, dessen beschuldigen mich diese Asketen und Brahmanen

unrichtig, nichtiger Weise, fälschlich und unzutreffend:

„Ein Verneiner ist der Asket Gautama, er lehrt die Zerstörung,

Vernichtung und den Untergang des einmal vorhandenen Wesens.“

Nur eines, ihr Mönche, lehre ich, jetzt wie früher:

das Leiden und die Aufhebung des Leidens.“

 

Wir können also zusammenfassend sagen,

daß der Buddha die Frage nach dem Vorhandensein eines Ich zurückweist,

weil er sie als eine der Fragen betrachtet,

welche zu unfruchtbaren Erörterungen und Auseinandersetzungen führen

und vom eigentlichen Ziel der Erlösung ablenken.

Eine Leugnung der Seele wird aber nicht ausgesprochen,

sie wird vielmehr, wo eine ausdrückliche Äußerung fällt, nur als unfaßbar bezeichnet.“ (S. 224-225)*

(* Geschichte der indischen Philosophie, 1. Band. Erich Frauwallner. Otto Müller Verlag, 1953)

 

Gustav Mensching

schreibt in seiner das gesamte Gebiet des Buddhismus umfassenden »Buddhistische Geisteswelt“*

über das Problem des Ich (atta):

* „Buddhistische Geisteswelt“. Vom historischen Buddha zum Lamaismus.

Texte ausgewählt und eingeleitet von Gustav Mensching. Holle Verlag, 1955

»Die abendländische Forschung

ist sich über das in der originalen Buddha-lehre Gemeinte nicht völlig einig.

Wird jegliches selbst geleugnet,

oder will der Buddha das eigentliche selbst nur der Welt der Erscheinungen,

also dem konkret Da-seienden und damit jeder Erkenntnis und Benennbarkeit entziehen?

Ich halte meinerseits diese letztere Ansicht für zutreffend

und glaube, daß auch die Texte diese Auffassung stützen.

Unter Persönlichkeitswahn wird eindeutig

der im Individuum zusammengefalzte Komplex der fünf Gruppen des Anhaftens verstanden.

Abgesehen von diesen die Persönlichkeit konstituierenden Faktoren gibt es keine Persönlichkeit.

Der unerlöste Mensch aber identifiziert irrtümlich einzelne dieser Daseinsfaktoren mit dem Ich.

Die berühmte Predigt vom Nicht-Ich läuft darauf hinaus,

da der Buddha klarstellt, daß keines der endlichen und vergänglichen Daseinselemente „mein Ich“ ist.

Damit ist vollkommen eindeutig

die Existenz eines letzten Absoluten hinter den vergänglichen Faktoren ausgesagt.

Die Verweigerung einer Aussage über Existenz bzw. Nichtexistenz eines eigentlichen Ich hat den Sinn,

daß die aus der endlichen Welt stammenden

und nur auf sie bezüglichen Kategorien des „seins“ bzw. „Nicht-seins“

auf das Absolute keine Anwendung haben.

Drei Arten des (endlichen) Selbst werden als mögliche (aber irrige) Anschauungen unterschieden –

das materielle, das geistige und das nur aus Bewußtsein bestehende Selbst.

Von allen drei Formen des sogenannten Selbst muß der Mensch erlöst werden.

Auch das Bewußtsein ist, wie wir sehen, eine Gruppe von Daseinsfaktoren

und bleibt folglich nicht im Kreislauf der Wiedergeburten erhalten,

es entsteht und vergeht nach dem Gesetz des Werdens in Abhängigkeit.

Der Unheils-Charakter der endlichen Individualexistenz wird im einzelnen dadurch charakterisiert,

daß zehn Fesseln angenommen werden,

deren erste fünf zu niederer Wiedergeburt

und deren sechste bis zehnte, sofern die ersten fünf gelöst sind, zu höherer,

aber selbstverständlich ebenfalls erlösungsbedürftiger Existenz führen.« (S. 51/52)

In einer Anmerkung hierzu führt Mensching aus:

»H. v. Glasenapp vertritt den anderen Standpunkt

  1. B. in »Vedanta und Buddhismus“ „Mainzer Akademieschrift 1950“ und vielfach sonst.

Der Verfasser hat bereits in der Theologischen Literaturzeitung (1953, Sp. 331 f.)

ausführlich zu der Interpretation der anatta-Lehre durch H. v. Glasenapp kritisch Stellung genommen

und dabei den Standpunkt vertreten, daß die Leugnung des „Ich“

sich nur auf die empirische Persönlichkeit innerhalb der Erscheinungswelt beziehen könne.

Ich schrieb damals:

»Wenn also von allen dharma und dharma-Komplexen gesagt wird, sie seien anatta,

dann kann das m. E. nur heißen,

sie sind oder haben eigentlich nicht das, was in der empirischen Welt als Ich bezeichnet wird.“

Zu meiner Freude finde ich in dem inzwischen erschienenen Werk von Erich Frauwallner,

Geschichte der indischen Philosophie I, 1953, genau den gleichen standpunkt vertreten.«

Mensching kommt dann auf die oben wiedergegebenen Ausführungen Frauwallners über anatta zurück.

In Erwähnung von Samyutta-Nikayo II, 86,

wo vom Erlöschen einer Öllampe die Rede ist, deren Brennstoff aufgezehrt wurde,

bringt er ausführlich die Darlegungen Frauwallners

über den Begriff des Erlöschens in der religiösen Vorstellungswelt der alten Inder.

Er fährt dann fort: »Genau dasselbe sagt nun auch der Buddha z. B. Udana VIII, 10:

wie des erloschenen Feuers Weg nicht erkennbar sei,

so sei es auch nicht möglich, den Weg der gänzlich Erlösten aufzuzeigen. …

Hier kam es darauf an, zu zeigen, daß der Buddha fraglos ein letztes selbst angenommen hat,

von dem er nicht sprach aus den oben erörterten Gründen.

Aber – wie ich in meiner oben zitierten Rezension

der Schrift H. v. Glasenapps über »Vedanta und Buddhismus“ schon schrieb –

auch die häufig anzutreffende Formel vom »Eingehen( ins Nirvana ist völlig sinnlos,

wenn es nichts gibt, was da eingeht innerhalb des Individuums.

Auch ist schwer einzusehen,

wieso ein Wesen bei der Erinnerung an seine früheren Geburten (pubbenivasanussatinana)

alle diese Dharma-Kombinationen als seine Geburten auffassen kann.

Bekanntlich wird in den Fragen des griechischen Königs Menandros (indisch: Milinda),

der im 1. vorchristlichen Jahrhundert in Nordindien regierte,

im „Milindapanha“ auch die Frage erörtert,

ob der Wiedergeborene, der ja nicht dasselbe Individuum sei wie der Verstorbene,

somit den Früchten seiner Taten entgehe.

Die Frage wird verneint mit der Begründung,

daß die Existenz des neuen Individuums durch die des verstorbenen bedingt sei,

wie das Feuer, das ich achtlos in meinem Hause entzündete,

und das außer meinem Haus auch das meines Nachbarn entzündete,

zwar nicht dasselbe Feuer ist, das ich entzündete,

aber doch von dem von mir entzündeten bedingt ist, so daß ich auch dafür verantwortlich bin.

Dieser Kausal-Zusammenhang bezieht sich aber, wie wir noch sehen werden,

nur auf die phänomenale Wirklichkeit

und es ist, wie gesagt, nicht einzusehen, wieso ich

die phänomenale Kausalität und ihre Resultate in Gestalt aufeinanderfolgender Individual-Existenzen

als meine Daseinsformen betrachten und erinnern kann, ohne Annahme eines dahinter stehenden Ich.“

 

Wir müssen uns also immer im Klaren darüber sein,

daß der Buddho im alten Indien lehrte, das von tiefmetaphysischem Geist erfüllt war.

„Hier reichen sich die äußerlich verschiedensten Religionen die Hand

in der unablässigen Forderung, alles Irdische als das Vergängliche zu verachten

und fest auf das Unvergängliche den Blick gerichtet zu halten,

mag dieses Brahman oder das Nirvana oder anders genannt werden.“ *

* Die Fragen des Königs Menandros.

Aus dem Pali ins Deutsche übersetzt von F. Otto Schrader. Verlag Paul Raatz, 1905.

Und wenn es auch Materialisten gab,

so konnten eben bei so hellem Licht auch die Winkel mit düsterstem scharren nicht fehlen,

aber es waren die Außenseiter, charakterisiert als Leugner, als Verneiner.

Dieser echt indische Geist tritt uns im Mahavaggo I, 14, einer Schrift des Vinaya-Pitakam, entgegen,

wo uns geschildert wird. wie dreißig brahmanische Jünglinge den Buddho fragen,

ob er nicht ein Weib gesehen, das ihnen davongelaufen, nachdem es einen der ihren bestohlen habe.

Der Buddho stellt ihnen feierlich die Gegenfrage:

»Was ist wohl besser, Jünglinge, wenn ihr das Weib sucht oder wenn ihr euer Ich sucht?“

Der altindische Geist macht die Jünglinge gleich aufgeschlossen für die Frage des Meisters,

sie lassen alles und nehmen ihn zum Lehrer.

Wie der Buddho diese Frage aus der Praxis heraus auf seine ganz eigene Art beantwortet,

fanden wir schon angedeutet.

Im vorliegenden Buch wird diese Antwort in ihrer ganzen Fülle und Weite

dem aufmerksamen Leser zu einem sieg-verheißenden Wegweiser.

 

Denn aus dem Gegebenen entstehen dem Buddho die Fragen,

und eine Beantwortung ist immer mit der Verwirklichung gekoppelt.

Sie deutet stets hin in die Richtung, wo einzig und allein nur Freiheit möglich wird,

in die Richtung, die in der Loslösung von der Persönlichkeit und ihrer Welt liegt.

Georg Grimm weist darauf hin,

daß die einfachen Gedanken des Buddha die selbst von einem Kuhhirten verstanden werden konnten

und als tragendes Fundament der Lehre immer wieder und wieder erscheinen,

in einem Syllogismus darzustellen sind, den er den »Großen Syllogismus« nennt,

wie ihn der Leser in der »Einführung« vorfindet.

Dieser Gedankengang-, wie er uns in den Zitaten eben bekannt wurde,

ist der folgende: „Was als vergänglich und eben deshalb als leidvoll für mich erkannt wird,

das hat man in rechter Weisheit also zu betrachten:

»Das gehört mir nicht, das bin ich nicht, das ist nicht mein selbst.“

Nun beobachte ich bei allem, was nur immer gesehen, gedacht, erkannt, im Geiste untersucht wird

– so wird im 35. Suttam des Majjhima-Nikayo gesagt -, ein Entstehen und Vergehen

und erkenne es demgemäß als vergänglich und leidbringend.

Und so gilt denn von allem Erkennbaren der Wirklichkeit gemäß:

»Das gehört mir nicht, das bin ich nicht, das ist nicht mein selbst.« *

* Die Botschaft des Buddha, der Schlüssel zur Unsterblichkeit. Georg Grimm. Baum-Verlag 1953.

Allerdings erscheint gerade die Zusammenfassung in einem Syllogismus manchen bedenklich,

wohl weil sie ihnen »illegitim« eine wissenschaftliche Anerkennung der Richtigkeit der Buddha-Lehre

zu erheischen scheint.

Die so denken, mögen sich beruhigt-n, denn er ist ein Syllogismus,

dessen Obersatz ohnehin nur religiösen Geistern aufleuchten die allein ja das Unbeständige.

Ungenügende und Unsichere unserer Unheils-Situation deutlich fühlen und darüber hinaus ahnen,

daß sie im tiefsten Grunde frei davon sind.

Er geht nur seltene religiöse Geister an, die wissen wollen. wo andere nur glauben.

Ob sie dann alles Erkennbare an sich und um sich als unbeständig und hinfällig

und damit ob seiner leidbringenden Natur als nicht das Ich durchschauen,

wird an ihrer Erkenntniskraft liegen,

soweit sie ihnen bei der vorhandenen Frucht der Taten die Möglichkeit geben kann,

genügend scharf zu erkennen, um die Hohe Wahrheit vom Leiden ganz zu erfassen.

Der Syllogismus macht es besonders deutlich,

daß der Betrachtende von dem Gegebenen ausgeht,

das immer seine Persönlichkeit und die von ihr erkannte Welt ist.

Soweit sie als „nicht das Ich“ durchschaut wird,

wird sie aufgegeben, was immer in der Praxis sichtbar wird.

Dieser Syllogismus hat allerdings eine Voraussetzung

und diese Voraussetzung ist ein nach Erkenntnis strebender religiöser Mensch.

Ihn erschüttert die Vergänglichkeit alles Irdischen so tief,

daß er innerlich zerbrechen und verzweifeln würde,

wenn ihm nicht diese schwere Erschütterung das große Positive seines Lebens brächte:

die erlebnishafte Begegnung mit dem Heiligen.

Und dieses Erlebnis, das sich in den Meditationen immer wieder erneuert und vertieft,

bestimmt stets mehr und mehr sein Denken und damit sein Reden und sein Handeln.

 

Einfach war die Darstellung der alten Lehre, die ein klares Rezept für eine Befreiung und Loslösung gab.

Das mag auch Sarvapalli Radhakrisbnan zum Ausdruck bringen wollen, wenn er schreibt:

»Geschichtlich betrachtet bedeutete der Buddhismus

die Verbreitung der Lehre der Upanisaden unter das Volk.

Auf diese Weise bereitete er ein Erbe, das bis zum heutigen Tage fortwirkt.“ (S. 398)

Freilich konnte nur ein ganz Großer,

ja, der Größte die Erkenntnisse in so allgemein verständlicher Weise zum Ausdruck bringen,

die nur von Weisen im eigenen Inneren erkannt werden

(paeeatam veditabbo vinnahi) (Sam. Nik. LV).

 

Es liegt auf der Hand, dass eine Lehre, die von Weisen im eigenen Inneren erkannt wird,

besonders anfällig ist, wenn sie in die Deutung von Schriftgelehrten gerät,

denen das fehlt. was die Lehre erst lebendig macht: das innere Erlebnis.

Dann wird nämlich aus der großen Idee der Loslösung der kleine Gedanke der Verneinung.

Eine in die Breite gehende Gelehrsamkeit wird den tiefen Gedanken der Lehre immer weniger gerecht.

Das gilt noch vielmehr als für den Abhidhammo für die Kommentarliteratur seit Buddhaghoso.

(5. Jahrh. nach der Zeitwende)

Der Abhidhammo wirkte durch wertvolle Gedanken auf dem Gebiet der Bewußtseins-Analyse

oft sehr anregend,

wenn auch gerade die fruchtbaren Gedanken in den Schulen des Mahayanam zutage traten,

weil der Geist der Meditation sie dort belebte.

Wenn auch die wirklich religiösen Geister

immer wieder vom eigenen echten Befreiungsstreben auf den rechten Weg geführt werden,

so ist doch die Verflachung der Lehre durch die Schriftgelehrten für viele, die hören wollen,

ein grobes Verhängnis.

Die Schriftgelehrten haben die Stimme, und ihre Worte vernebeln das, was ursprünglich klar gesagt war.*

* A. P. Buddhadatta,

der bekannte singhalesische Eli-Gelehrte und Vorsteher des Aggarama in Ambalangoda auf Ceylon

–  auf dem Konzil in Rangoon zum Agga-Mahapandita ernannt – schrieb am 4. März 1947

zur englischen Ausgabe des Hauptwerkes Georg Grimms in einem Brief an seine Tochter:

„I read that book carefully and found. as you have stated in your letter itself

‘that he was the recoverer of the old genuine doctrinepf the Buddha,

which has been submerged.’

When we read our Pali texts and the commentaries

we get the idea that Buddhism is a kind of Nihilism. But it refuses to accept nihilism or eternalism.

Thus I was puzzled for a long time to understand the true meaning of Buddhism though

I was a born-Buddhist.

Many people do not go so far in these matters.

At last I understood that Buddha’s teaching was not so difficult to understand

by the masses as they are now represented in the Canonical books;

but was easily understood by the common people at that time.

Those people who came before the Buddha were all not great thinkers;

many of them had only a general knowledge of the things.

But they were able to realize the truth, as it was preached by the Buddha.

This was through the way that had pointed out by Dr. Grimm.

They could easily understand when the Buddha preached

that «your body, mind etc. are not you or yours;

the eye, ear. tongue etc. are not yours; therefore cling not to them, give them up;

when you have no whatever clinging then you would be free from every suffering’ and so on.

When one goes through this way truely he will be free-d and will realize the Truth.“

 

Ein Beispiel für diese Verflachung in ihrer formellen Äußerung

finden wir von Herbert Günther in »Das Seelen-Problem im älteren Buddhismus«* angegeben.

* Das Seelen-Problem im älteren Buddhismus. Von Herbert Günther. Rascher Verlag Zürich.

»In allen Fällen, wo im Pali anattan als Prädikat gebraucht wird, was die Mehrzahl aller Belegstellen ist, lautet die Übersetzung, wie zu erwarten, „ist nicht das Ich“, „ist nicht das selbst“,

aber auch die Wiedergaben durch ‚ist ohne selbst‘ und ‚wesenlos‘ kommen vor.

Die beiden letztgenannten Übertragungen sind für den Pali-Kanon unbegründet

und lassen sich unter keinen Umständen

aufrechterhalten.« (S. 14/15)

Das zeigt er dann durch eine sorgfältige philologische Interpretation der betreffenden Textstellen.

An einer anderen Stelle führt er aus,

daß die Deutung attavirahata „ohne atman“ nicht für den älteren Buddhismus gelten kann,

sondern aus einer späten Zeit stammt, wo attan (skr. atman) = svabhava „Wesenhaftigkeit“ bedeutet,

also anattan = nihsvabhava = wesenlos.

Der Indologe Karl Seidenstücker weist in seiner Abhandlung „Frühbuddhismus“ *

* Yana. Zeitschrift für Altbuddhismus und religiöse Kultur. i. Heft – X. Jahrgang: Jan.-Febr. 1957.

Herausgeher: Altbuddhistische Gemeinde, Zentrale Utting am Ammersee 13 b).

hin auf die „eigentümliche Auslegung der Anatta-Lehre

in dem Sinne der Leugnung des eigentlichen Wesens außerhalb dessen,

was vergänglich und sterblich am Menschen ist.

Diese Tendenz tritt je jünger die Schriften sind, umso deutlicher hervor,

bis dann im Abhidhamma und weiterhin besonders in der exegetischen und Kommentar-Literatur sie (etwa 1000 Jahre nach Buddha) sich uns sozusagen in Reinkultur präsentiert.«

Diese Geistesrichtung war jeder wirklichen Meditation abträglich,

und es läßt sich von ihr gar keine Brücke zu den Unbegrenzten,

  1. h. den Erweckungen von Güte zu allem, was da lebt und atmet,

von Mitleiden mit allen gequälten Wesen, von Mitfreude und von heiligem Gleichmut herstellen.

Edward Conze sagt *:

*(Der) Buddhismus Wesen und Entwicklung. Urban-Bücher. W. Kohlhammer Verlag Stuttgart. 1953.

»… Die Meditation über die Skandhas

löst das eigene selbst wie das anderer Menschen

in einen Haufen unpersönlicher, momentaner Skandhas auf.

sie reduziert unsere Menschlichkeit auf fünf Haufen oder Stücke und auf einen Namen.

Wenn in der Welt nur Bündel von Skandhas bestünden,

die, kalt und unpersönlich wie Atome ohne Unterbrechung ständig zugrunde gingen,

dann gäbe es nichts. worauf Freundlichkeit und Mitleiden sich beziehen könnten.

Man kann einen Skandha nichts Gutes wünschen,

wenn es, bevor man diesen Wunsch noch ausdrücken könnte, bereits vergangen ist;

man kann auch für ein Skandha,

sei es ein Gedankenobjekt oder ein Gesichtsorgan oder ein Tonbewußtsein, kein Mitleid empfinden.

In den buddhistischen Kreisen,

in denen die Methode der Dharmas in größerem Ausmaß geübt wurde als die der Unbegrenzten,

führte sie zu einer gewissen geistigen Vertrocknung, einer Entferntheit,

einem Mangel an menschlicher Wärme …« (S. 121/122)

Man muß dem hinzufügen,

daß es so kam, weil den Dharmas (Pali: ddamma) gegenüber der Sinn der Worte verloren gegangen war,

der bei der Betrachtung der Gegenstände der Besonnenheit in den alten Sutten fort u. fort daran erinnert:

»Und unangelehnt verharrt er und an nichts in der Welt haftet er

(anissito ca viharati, na ca kinciloke upadiyati)«.

Man vergegenwärtigte sich nicht, daß auch von den Dharmas gilt:

»Das gehört mir nicht, das bin ich nicht« das ist nicht mein selbst«,

wie es der Buddho immer wieder verkündet.

 

Conze kommt auf die Prophezeiungen zu sprechen,

die das Verschwinden der wahren Lehre bei noch äußerem Bestehen des Buddhismus ankündigen,

von denen die ältesten dem Bestehen der wahren Lehre 100 Jahre geben.

Wir lesen dann an einer anderen Stelle: »… In der Frühzeit hören wir von vielen,

die, oft mit großer Leichtigkeit, die Arhatschaft erreichten.

Später werden es immer weniger.

Schließlich verbreitete sich, wie die oben erwähnten Prophezeiungen zeigen, die Überzeugung,

daß die Zeit der Arhats vorüber sei.

Die Gelehrten verdrängten die Heiligen, und Kenntnisse traten an die Stelle der Erleuchtung.

Eine der heiligen Schriften der Sarvastivadins berichtet die furchtbare, tieftraurige Geschichte,

daß der letzte Arhat von der Hand eines der Gelehrten gefallen sei:

eine gute Illustration für die Stimmung der Zeit!« (s. 109)

 

Radhalerishnan stellt Reflexionen über die Lehre an*,

*S. Radhakrishnan. indische Pbilosopbie.

Band I: Von den Veden bis zum Buddhismus. Holle Verlag,

die seine Aufmerksamkeit auf das Suttam von der Last und vom Träger der Last (Sam. Nik. XXII, 22)

hinwenden:

„Das Nirvana ist kein Nichts,

sondern nur eine Verneinung des Auf und Ab der Welt

und die Rückkehr des selbst in sich selbst.

Die logische Folgerung daraus wäre, daß es etwas ist, obwohl es nicht das empirische Selbst ist.

Das entspricht auch der Feststellung des Buddha,

daß das Selbst weder dasselbe wie die Skandha (Pali: khandha (Gruppen)),

noch etwas von ihnen völlig Verschiedenes ist.-

Es ist nicht lediglich eine Verbindung von Geist und Körper,

noch ist es die von den Mängeln der Wandlung freie, ewige Substanz (Majj. Nik., 38. Suttam).

Die Rede von der Last und ihrem Träger zeigt,

daß die Skandha als die Last und Pudgala als der Träger verschiedene Wesenheiten sind.

Waren sie identisch, brauchte man sie nicht zu unterscheiden.

‚Oh ihr Mönche, ich bin dabei, euch die Last und ebenso den Träger der Last zu erklären:

Die fünf Skandha sind die Last, und Pudgala ist der Träger der Last;

Wer da annimmt, es gebe keine Seele, ist ein Mensch mit unrichtigen Anschauungen.‘

Geboren werden heißt, die Last aufnehmen;

sie niederlegen bedeutet, den Segen, das Nirvana zu erlangen.“

 

Schon im Kanon findet sich also die Lehrrede von der Last und dem Träger der Last.

Heinrich Gomperz schreibt von den Vaibhashikas (wörtlich: Opponenten):

»Vielleicht ist es dieselbe Schule, die auch als die der Ich-Lehrer

(Pali: Puggalavadins, »Personalisten“, La Vallee-Poussin, Bouddhisme, p. 163) bezeichnet wurde,

weil sie ein unvergängliches Ich annahm,

ohne sich übrigens über dessen Verhältnis zu den fünf Stücken auszusprechen,

aus denen der Mensch besteht.

So schlecht wir über ihre Lehre unterrichtet sind,

mögen sie doch dem ursprünglichen Standpunkt des Buddha nahe genug geblieben sein*.“

* Heinrich Gomperz. Die indische Theosophie vom geschichtlichen Standpunkt

allgemeinverständlich dargestellt Verlag Eugen Diederichs, Jena, 1925.

 

Was wir über sie wissen faßt De La Vallee-Poussin in seiner Schrift „Nirvana“ im Folgenden zusammen:

»Wenn der Buddha sich weigert,

die Identität oder Verschiedenheit des Prinzips des Lebens und des Körpers zu bestätigen,

so geschieht das – nach Auslegung der Pudgalavadins –

weil der Pudgala, das Lebensprinzip oder das Lebewesen (sattva, tathagata)

in Wahrheit weder identisch mit den Elementen (Skandhas), noch von den Elementen verschieden ist.

Im Vergleich zu den Elementen ist der Pudgala unbeschreibbar (avacya):

Der Pudgala wird nicht unabhängig von den Elementen wahrgenommen:

daher ist er von den Elementen nicht verschieden: er hat nicht die Natur der Elemente,

denn in diesem Fall wäre er der Geburt und dem Tod unterworfen:

also ist er mit den Elementen nicht identisch.

Ebenso kann man auch nicht sagen, daß er vergänglich ist oder unvergänglich.

Der Pudgala ist ein Ding an sich (dravya):

er wird definiert als Täter der Taten und als der, der die Früchte erntet.

Auf ihn bezieht sich die Wiedergeburt und das Nirvana,

der Zustand der Gefangenschaft und der Zustand der Freiheit.«

Man findet auch ihre Lehrauffassung definiert mit den Worten:

»Der Pudgala sei etwas schlechthin Unbegreifliches.

er sei nämlich kein Dharma, weil er nicht nur momentane Existenz habe,

er sei aber andererseits auch wieder nicht

eine durch sich selbst existierende immaterielle geistige Substanz,

wie der individuelle Atman der Brahmanen.«

 

Nach dem Zeugnis des bekannten chinesischen Pilgers Hiouen Thsang,

der von 619 bis 645 Indien durchpilgerte, standen die Viharos der Pudgalavadins damals in hoher Blüte.

sie erfreuten sich der besonderen Gunst des eifrigen Nachahmers des Asoko,

des groben indischen Kaisers Harsha (606-647).

Ihre Hauptzentren, die im Westen Indiens lagen, fielen allerdings am ehesten

wegen dieser Lage dem Ansturm und der Zerstörungswut der Mohammedaner zum Opfer.

 

Wir haben keine objektiv gehaltene Schilderung ihrer Auslegung der Buddhalehre,

sie waren selbständige Denker geblieben,

und die Dogmatiker hatten sie als lästige Opponenten empfunden.

Und doch schaut auch heute noch die Berechtigung ihrer Einstellung

durch die vorhandenen Formulierungen, heißt es doch auch schon im 22. Dialog des Majj. Nik.:

„Schon in dieser sichtbaren Erscheinung nenne ich den Tathagato unerfaßbar.“

Auch Vallee-Poussin erkennt, daß für sie das Nirvana-Problem einfach und logisch sei.

In seiner Schrift „Nirvana“ lesen wir:

„Ihre zahlenmäßige und lehrgemäße Bedeutung wurde von den Indologen,

die sie gern als ‚Ketzer‘ bezeichnen, nicht richtig gewertet.

Ihr Ansehen war bemerkenswert.“

 

Edward Conze sucht ihr naheliegendes Anliegen zu verstehen:

„Sie sprachen von einem undefinierbaren Prinzip mit dem Namen pudgala. d. h. ‚Person‘,

das weder verschieden noch nicht verschieden ist von den fünf Skandhas.

Dieses Prinzip

bleibt während der verschiedenen Wiedergeburten wirksam bis zur Erreichung des Nirwana.

Es liegt etwa in der Mitte zwischen unserem wahren und unserem empirischen Selbst.

Es erklärt auf der einen Seite unser Gefühl einer persönlichen Identität (wie das empirische selbst)

und bleibt andrerseits bis ins Nirwana bestehen (wie das Wahre selbst).

Dies wurde unter all den strittigen Punkten als der bedeutsamste angesehen.

Im Laufe der Jahrhunderte wurden die Orthodoxen niemals müde,

ein Argument auf das andere zu türmen,

um dieses Zugeständnis eines selbst durch die Pudgalavadins aus dem Felde zu schlagen.

Aber je hartnäckiger man versucht,

etwas aus dem eigenen Kopf oder aus einem Denksystem fernzuhalten,

mit umso größerer Sicherheit wird es durch eine Hintertür wieder hereinkommen.

Schließlich sahen sich die Orthodoxen gezwungen, die Vorstellung eines dauernden Ego anzuerkennen;

sie taten das zwar niemals offen, sondern verhüllten dieses Zugeständnis

und versteckten es in besonders dunklen und unverständlichen Formulierungen,

wie z. B. dem unterbewußten Lebenskontinuum (bhavanga) der Theravadins,

dem Dauer-Dasein eines höchst verfeinerten Bewußtseins der Sautrantikas,

dem Wurzel-Bewußtsein der Mahasanghikas usw.

Das Speicher-Bewußtsein der Yogacarins entstammt derselben Geisteshaltung.

Als die Anweisung, das individuelle selbst nicht zu beachten,

sich erst einmal zu der Maxime verhärtet hatte:

‚Es gibt kein selbst‘,

wurden solche Zugeständnisse an den gesunden Menschenverstand unvermeidlich.“ (S. 161/162)

 

Alle diese Erörterungen entspringen einem Anliegen, das zutiefst in uns liegt

und ungestraft nicht vernachlässigt werden darf.

Conze sieht es hinter dem Loslösungsstreben des echten Buddha-Jüngers

und bringt es mit den Worten zum Ausdruck:

»… Dabei wird vorausgesetzt. daß es eine endgültige Wirklichkeit gibt

und daß etwas in uns existiert, mit dem wir diese endgültige Realität berühren können.« (S. 104)

Mrs. Rhys Dassids, die bekannte Pali-Forscherin und Übersetzerin,

hat unter den englischen Buddhisten diesem Problem die Beachtung verschafft, die es verdient.

Darüber hinaus aber nimmt das vorliegende Werk den Pali-Kanon einfach so, wie er sich gibt,

und es wird dem aufmerksamen Leser deutlich werden, wie glückbringend es ist,

durch einen kongenialen Geist in die Lehre des Größten der Götter und Menschen eingeführt zu werden.

 

Der durch seine Übersetzungen zu einem ganz besonderen Wegbereiter des Buddhismus

in den Ländern deutscher Zunge gewordene Karl Eugen Neumann las das Buch der ersten Auflage.

das 1915, im Todesjahr Neumanns, erschien.

Er schrieb an den Verfasser:

»Das Werk ist ohne Zweifel die weitaus bedeutendste Darstellung des Buddhismus,

die seit Oldenberg erschienen ist:

jedoch unvergleichlich tiefer, umfassenden nach allen Richtungen hin durchdacht.

Bei der erstmaligen kursorischen Durchsicht sind es insbesondere zwei Erklärungen.

die mir ganz ausgezeichnet aufgefallen sind:

anatta als Nicht-Ich und asavo als Beeinflussung«

 

Friedrich Zimmermann (1851-1917) wurde zu einem dankbaren Leser der »Lehre des Buddha“,

wie seine Briefe an den Verfasser zeigen.

Er war unter dem Namen Subhadra Bhikshu bekannt geworden

als Verfasser des »Buddhistischen Katechismus zur Einführung in die Lehre des Buddha Gotama«,

der 1888 erstmalig erschien und dann 14 Auflagen erreichte und 17 in andere Sprachen übersetzt wurde.

Interessant sind folgende Ausführungen:

»Ganz besonders befriedigt

war ich über Ihre Behandlung des schwierigen Themas Persönlichkeit und anatta.

Es ist über diese Lehre in den buddhistischen Zeitschriften

so viel verworrenes und verkehrtes Zeug zu Tage gefördert worden, daß ich daran zu zweifeln begann,

ob irgend einer unserer deutschen ‚Buddhisten‘ wohl die Sache verstünde.

Es schien, als ob jeder seinen Tiefsinn glänzen lassen wollte,

um den Leser in Mißverstand und Verwirrung zu stürzen

und die Hauptlehre des Meisters zu diskreditieren.

Denn im Grunde liefen alle diese tiefsinnigen Ausführungen darauf hinaus,

der Buddha habe die Absurdität gelehrt, daß in und hinter der Persönlichkeit nichts, gar nichts stecke.

Vielmehr das Subjekt des Erkennens gar nicht existiere und der Buddha schlechterdings,

in modernes Deutsch übersetzt, gesagt habe:

‚Ihr Brüder, ich verkünde euch, ich bin nicht; bin nichts als eine Einbildung.‘

Wobei nicht einmal erklärt wurde, wer denn nun eigentlich diese Einbildung habe, so daß auch diese Einbildung wieder haltlos in der Luft hing.

 

Oft habe ich mir Vorwürfe gemacht,

daß meine Abneigung gegen jede schriftliche Polemik, meine direkte nervöse Furcht vor einer solchen,

mich abhielt,

dagegen aufzutreten und diesem Unfug durch eine genaue Darlegung der Wahrheit ein Ende zu machen.

Jetzt bin ich hocherfreut. daß sie das getan haben.

und zwar in so gründlicher und umfassender Weise,

daß die gedankenlosen Anhänger des Nihilismus nicht dagegen werden auftreten können.«

 

Der Indologe Dr. Karl Seidenstücker (1876-1936)

– am bekanntesten durch den „Pali-Buddhismus in Übersetzungen“ – äußerte:

»…Von Fragen von ganz untergeordneter Bedeutung abgesehen muß ich sagen,

daß ich eine so tiefe und treffende Darstellung der Buddha-Lehre noch nirgends gefunden habe.

Vor allen Dingen freut mich die Bejahung und Betonung des transzendentalen Subjekts;

dies war vor allen Dingen das Eine, was notwendig war …«

Später wurde Seidenstücker ein enger Mitarbeiter Georg Grimms.

 

Der Leser wird sich überzeugen lassen,

daß der Buddho altindischen Geist zur höchsten Vollendung gebracht hat.

»Auch er hat den Atman gesucht,

wie diesen ja noch alle großen Geister gesucht haben: ‚Erkenne dich selbst!‘ –

so lautete schon die Aufschrift auf dem Tempel der Pythia;

Heraklit aber war auf seiner Suche nach seinem Ich so weit gekommen,

das er versichern konnte, man werde die Grenzen der Seele nicht finden,

auch wenn man alle Wege durchlaufe.

Wie ganz Indien hatte dann auch der Buddha den Atta auf dem indirekten Wege gesucht,

indem er vom Atta alles, was nicht der Atta ist, absonderte.

Aber er ist diesen Weg so radikal und mit solchem Erfolg gegangen,

daß sich ihm alles Erkennbare überhaupt, insbesondere auch das Geistige,

insbesondere auch das Denken als anatta und damit als ein von uns zu Überwindendes erwies.

Und darum sagt er: Ihr lehrt den Atta;

ich aber lehre, was nicht der Atta ist.

Ihr sprecht deshalb auch fortwährend vom Atta;

ich aber spreche mir vom Matt-L kurz, ihr habt die Atta-Methode, den Atta-vada;

ich aber habe die Anatta-Methode, den Anatta-vada;

und habe sie gerade deshalb, weil mir so der Atta, also eben ich, leidlos, selig werden kann.

Oder ‚könnte man wohl, Mönche, einer solchen Ich-Lehre (attavada) anhängen,

durch die dem daran Haftenden

keine Sorgen, Klagen, Schmerz, Trübsal und Verzweiflung aufsteigen möchten?

Kennt ihr wohl eine solche?‘ – ‚Nein, Herr.‘ –

‚Gut, Mönche, auch ich kenne keine solche‘. *

* Diese Sätze und die dazu gehörenden Anmerkungen sind entnommen:

Georg Grimm, Die Wissenschaft des Buddhismus, Leipzig 1923 bei W. Drugulin. –

»Aus diesen Ausführungen ergibt sich wohl ohne weiteres,

daß unsere moderne Ausdrucksweise ‚das Ich ist ‚transzendent‘

nicht etwa die Ausdrucksweise des Atta-vada ist,

für den das Ich ja nicht schlechthin transzendent ist –

findet er es ja letzten Endes im reinen Erkennen -,

sondern so recht die Sprache des Anatta-vada,

indem der Satz ‚Das Ich ist transzendent‘ ja eben besagt:

»Das Ich liegt über alle Erkenntnis hinaus, ist schlechterdings nicht ausfindig zu machen.‘

Wie töricht, wie unglaublich töricht die Beschuldigung ist,

daß, wer die Transzendenz des Ich lehre, damit dem Attasvada huldige,

wird wohl auch dem Einfältigsten klar, wenn er sich sagen löst,

das der Buddha eben das, was im Begriff der Transzendenz gedacht wird,

sogar dem Worte nach vom Ich lehrt:

‚Nicht bin ich irgendwo, bei irgend wem. in irgend etwas‘ – (Majj. Nik., 106. Sut.) –

‚Da nun das Ich, ihr Mönche, nicht zu finden ist‘ (anupalabhamane) –

Schon bei Lebzeiten, sage ich, ist ein Vollendeter »ich- ausfindig zu machen (ananuvejjo)

(Majj. Nik., za. Sut.)! –

Weil keine Erkenntnis bis zum Ich vordringt,

deshalb kann man vom Ich auch schlechterdings nichts, absolut gar nichts aussagen,

der Rest ist vielmehr- Schweigen;

und bloß dieses Schweigen über das Ich – nicht mehr! – lehrt Buddha.

»Das ist die wahre Atman-Lehre, der wahre Atta-vada“ (Cfr. Sam. Nile XLV, 4).

 

Und so ist denn der Buddha dem indischen Denken nicht untreu geworden,

seine Lehre ist vielmehr die Blüte des indischen Denkens.

Er ist ‚der wahre Brahmane‘, der das Ideal der Upanishads völlig verwirklicht hat.

Und gerade deshalb wird ihn Indien auch wieder als seinen größten Sohn bewillkommnen,

sobald es dies wieder erkannt haben wird.«

 

Inzwischen ist auf groben Kundgebungen der Buddho

von maßgebenden indischen Persönlichkeiten tatsächlich als der größte Sohn Indiens gefeiert worden. Freilich wird man nicht viel auf öffentliche Demonstrationen geben dürfen.

auf denen der Geist der Lehre leicht verfälscht wird,

weil sich keine Lehre gleich der ursprünglichen Lehre des Buddho so intim an den einzelnen wendet

und nur von dir und mir aus lebendig werden kann.

Das gilt natürlich weit weniger für die späteren Formen des volkstümlich gewordenen Buddhismus,

für deren religiösen Gehalt es ein grobes Glück war,

daß scholastische Spitzfindigkeiten nie in weiteren Kreisen Bedeutung gewannen.

Die umgestaltende Kraft der Lehre blieb aber noch lange groß

und ist es ganz gewiß noch dort, wo sie immer wieder und wieder

an das Gewissen des einzelnen Menschen zu appellieren vermag.

 

Was die Gedankenströme, die vom Buddho ihren Impuls empfangen hatten, zu leisten imstande waren,

hatte sich gerade im Land ihres Ursprungs, in Indien, erwiesen,

obwohl sie dort den Namen ihres Begründers verloren.

Der Buddhismus hatte bereits eine große Mission vollbracht,

als die letzten Reste der Gebilde, die sich noch mit diesem Namen bezeichneten,

am Anfang des 13. Jahrhunderts aus Indien fast restlos verschwanden,

nicht zum wenigsten deshalb, weil sie, innerlich ausgetrocknet und kraftlos geworden,

unter Indern mit ihrer stark metaphysischen Veranlagung sich nicht mehr halten konnten.

Die Lehre war weitgehend in den Hinduismus eingedrungen und war dort lebendig geblieben.

Ihr Geist, auch in seiner späteren Entfaltung, hatte höchst anregend gewirkt,

ihre so unübertroffen gut fundamentierte wohlwollende Haltung

hatte in die Tiefe und Weite hinein Einfluss gewonnen und ganz besonders dazu beigetragen,

daß sich eine Milde verbreitete, die sich auch auf die Tierwelt erstreckt.

Die trennenden Schranken der Kasten waren von ihr von Anfang an innerlich überwunden worden,

weil einzig und allein der einzelne in seinem moralischen Wert oder Unwert ausschlaggebend war.

Wenn auch die brahmanische Reaktion seit Kumarila (erste Hälfte des 8. Jahrh. nach der Zeitwende), vielleicht ganz besonders auch in ihrer Opposition zum Buddhismus,

zu einem weiteren Ausbau des Kastenwesens und zu seiner schließlichen Erstarrung führte,

so blieb doch der starke Geist der Milde, der Toleranz und der Versöhnlichkeit erhalten,

insoweit im Hinduismus das religiöse Streben des Einzelnen mit seiner Entfaltung der Güte

durchaus seine Bedeutung behielt.

Und diesem Geist wird wieder die Anerkennung,

wenn Indiens philosophischer Vizekanzler Radhakrishnan sagt:

»Der Buddhismus hatte solchen Erfolg, weil er eine Religion der Güte war,

die allen jenen geheimen Kräften Ausdruck verlieh,

die der starr festgelegten sozialen Ordnung sowie der rituellen Religion widerstrebten,

indem sie sich unmittelbar richten an die Armen, Niedrigen und Enterbten.«

Und ein anderer angesehener Inder ruft aus:

»Es ist in der Tat bemerkenswert, daß wir uns

– in diesem Land der verschiedensten Sekten und Glaubensbekenntnisse -·,

als wir unsere Unabhängigkeit gewannen, entschlossen,

unsere Zuflucht zu nehmen zu dem Rad der Lehre, das Gotama, der Buddha,

zum ersten Mal in Bewegung setzte auf dem heiligen Boden von Sarnath bei Kashi (Benares).«

 

Das ist der Geist, lieber Leser, den dir das Buch übermitteln will.

Es fordert dich aber auf, mit Aufmerksamkeit, ja mit Andacht zu lesen.

Dann erst wirst du dieses Geistes innewerden, der darüber hinaus noch Höheres erreichen läßt,

womit die ganze Welt und damit alles Leiden überwunden wird.

Jedem wird es das geben,

was er seinen Fähigkeiten und Veranlagungen nach daraus zu entnehmen imstande ist.

Es bietet sich an als der Gefährte stiller stunden.

Das Gelesene fordert zum Nachdenken auf.

Man muß gründlich kauen, damit die aufgenommene Nahrung gut verdaut werde.

Das gibt uns ein Gleichnis für das rechte Lesen.

Beim rechten Lesen aber werden uns aus dem Buch die Anregungen für unsere Meditationen zuwachsen,

ohne die wir keine lebendigen Erkenntnisse gewinnen können.

Bei solcher Benutzung wird es zum Freund, zum Berater werden,

und es mag kommen, daß es zu dem Einen Buch wird, das alle Bibliotheken ersetzt. –

Bald aber – gleichsam schon unterwegs – wird der Leser die Wahrheit der Worte erfahren: –

„Jede Lehre, von der du dir sagen kannst,

daß sie zu Leidenschaftslosigkeit führt und nicht zu Leidenschaft;

zu Unabhängigkeit und nicht zu Bindung;

zu Verminderung weltlichen Gewinns und nicht zu seiner Vermehrung;

zu Einfachheit und nicht zu Habgier;

zu Zufriedenheit und nicht zu Unzufriedenheit;

zu Einsamkeit und nicht zu Geselligkeit;

zu Leistung und nicht zu Schlaffheit;

zu Freude am Guten und nicht zu Freude am Bösen –

von solcher Lehre kannst du mit Bestimmtheit sagen:

Das ist die Regel. Das ist die Lehre. Das ist des Meisters Botschaft.“ *

Utting am Ammersee. den 13.April 1957 Max Hoppe

 

* Zitiert aus: Der Buddhismus Wesen und Entwicklung. Von Edward Conze.

Urban-Bücher. W. Kohlhammer Verlag Stuttgart, 1953.

 

 

 

 

Einführung

I.

Wer war der Buddha? *

* Buddho ist die Nominativform,

während bei uns meistens die Stammform »Buddha« gebraucht wird. –

In diesem Werk findet sich bei allen Nomina die Nominativform,

so daß es stets kayo (masc.) heißt statt der Stammform kaya, rupam (neutr.) statt rupa.

Es muß dann natürlich auch

  1. B. in der Anredeform, wenn auch mit einigen Bedenken, bei Sariputto bleiben,

wiewohl der Vocativ des Pali „Sariputta“ lautet.

Bei Wortzusammensetzungen wird aber des besseren Klanges wegen die Stammform gebracht,

  1. B. in „Buddhalehre“.

Der Buddho wurde um die Mitte des sechsten Jahrhunderts v. Chr.

in der indischen Stadt Kapilavatthu

als Prinz Siddhattho, Sohn des Königs Suddhodano aus der Familie der Gotamiden, geboren.

Der Buddho war also ein Inder.

Was das bedeutet, soll Folgendes klar machen*:

* Die historischen Unterlagen der folgenden Ausführungen

gründen sich größtenteils auf Paul Deussens „Allgemeine Geschichte der Philosophie“, Band 1.

Indien bildete von jeher eine eigene Welt.

Es wird nach außen abgeschlossen im Nordwesten durch das indisch-persische Grenzgebirge,

im Nordosten durch den Himalaja, der die höchsten Gipfel der Erde trägt,

im Südwesten durch das persische und im Südosten durch das indische Meer.

Wenn seine Abgeschlossenheit auch nicht so grob war,

um die Handelsbeziehungen mit den benachbarten Völkern, wie sie seit jeher bestanden,

erheblich zu erschweren,

so genügte sie doch, Indien, wenigstens für die Zeit seiner Entwicklung,

vor der Invasion durch fremde Heere, vor der Überflutung und Austrocknung seiner Kultur

durch ausländische Einflüsse zu schützen.

Als dann später die Stürme der griechischen, skythischen und mohammedanischen Invasionen

über Indien hereinbrachen,

war die indische Gedankenwelt bereits konsolidiert und schulmäßig geschlossen

und damit unbeeinflußbar geworden.

Vielmehr gerieten die fremden Eroberer gegenüber dem geknechteten Indien

vielfach in eine ebenso grobe geistige Abhängigkeit

wie das Römerreich gegenüber dem eroberten Griechenland.

Die Kultur Indiens ist also eine durchaus ursprüngliche.

Ihre Entwicklung wurde durch das Klima des Landes begünstigt,

das gemeiner Sorge entband

und so die Muße ließ, sich auch den groben Problemen, die das Dasein aufgibt, hinzugeben:

Indien ist in seinem nördlichen Teil ein subtropisches, in seinem gröberen Teil ein tropisches Land,

wie denn auch die Poesie der Inder in allen Gattungen.

Epos, Lyrik und Drama den Zauber der Tropenwelt widerspiegelt.

 

Das herrschende Volk in Indien gehört zur indisch-europäischen Völkergruppe,

welche in sieben Hauptstämmen als Inder und Iranier im mittleren und südlichen Asien,

als Griechen und Italiener im Süden,

als Slawen, Germann und Kelten in den nördlichen Ländern Europas seßhaft wurde.

Daß die sprachen der Griechen und Römer in einem näheren, die sämtlichen europäischen

Kultursprachen in einem entfernteren Verwandtschaftsverhältnisse zueinander stehen, war mit Händen zu greifen und von alters her bekannt, ohne daß man sich doch über dieses Verhältnis eine befriedigende Rechenschaft zu geben wußte

Aber nachdem gegen Ende des vorigen Jahrhunderts

das Sanskrit, die Sprache der alten Inder, bekannt geworden war,

war es eine nicht zu verfehlende Entdeckung,

daß Inder und Perser in Asien, Griechen und Römer, Kelten, Germanen und Slaven in Europa

die Abkömmlinge eines einheitlichen Urvolkes seien.

Dagegen ist der ursprüngliche Wohnsitz dieses Muttervolkes nicht mehr ausfindig zu machen.

Die Trennung des Urvolkes in die sieben Hauptstämme

und die Wanderung der letzteren in ihre nunmehrigen Wohnsitze ist bereits in vorhistorischer Zeit erfolgt.

 

Die in Indien seßhaft gewordenen Indoeuropäer nannten sich von jeher Arya’s

und nannten sich so auch noch zu des Buddha Zeiten.

Der Buddha sagt selber in Digha Nikayo XVI. I,28:

»so weit Arier wohnen und so weit der durch Kaufleute gepflegte Verkehr sich erstreckt,

wird diese befestigte Stadt Pataliputtam als die erste glänzen«

 

Die ursprüngliche Bedeutung des Wortes „arya« ist „fromm“,

und sind deshalb »die Arier« »die zu den Frommen Gehörigen«,

in welchem Sinne das Wort Arya auch als Volksname ursprünglich verstanden wurde.

Das allein schon weist darauf hin,

welcher Art die von den arischen Indern hervorgebrachte

Kultur von Anfang an war.

 

»Fromm« ist ein religiöser Begriff, bedeutet eine religiöse Weltanschauung haben.

Religiös ist aber eine Weltanschauung, wenn man sich in seinem Gewissen verpflichtet fühlt,

auch auf die Sicherung seiner groben Zukunft nach dem Tode bedacht zu sein,

sich an diese Verpflichtung pogebundena erachtet (religatur),

gleichviel ob man dabei an einen persönlichen Gott glaubt oder nicht.

Das ist der eigentliche Sinn des Begriffes Religion, so befremdend diese Definition dem modernen,

in diesem Sinne durchaus areligiösen Menschen auch erscheinen mag.

Wegen dieser seiner Gewissensverpflichtung sieht sich ein

religiöser Mensch insbesondere genötigt,

sein Handeln nicht mehr ausschließlich auf die hemmungslose Befriedigung der Gier

nach sinnlichem Genuß einzustellen,

sondern auch die Folgen zu erwägen,

die sich aus einem solchen brutalen Egoismus für das kommende Leben ergeben könnten.

So führt eine religiöse Weltanschauung unweigerlich zur Veredelung der Lebensführung des Menschen

und, wenn sie ein ganzes Volk erfüllt, des Volkes.

Fehlt diese das Gewissen verpflichtende Hemmung so kann es höchstens zur Zivilisation kommen,

zur Verfeinerung der Genußsucht,

zu deren Befriedigung man auch nicht vor den brutalsten Mitteln zurüdtschrecht.

 

Religiös gesinnt in diesem Sinne waren die arischen Inder von Urbeginn an

und sind es bis zum heutigen Tage geblieben,

ja, man kann sagen, daß sie das religiöseste Volk der Erde überhaupt waren und sind.

Deshalb brachten sie es denn auch zu einer hohen Kultur-, die sie insbesondere auch vor einer »Zivilisation der Fabrikschlote“, selbst nach Nietzsche »die erbärmlichste aller Zivilisationen«, * bewahrte.

* Welche Versündigung an den kommenden Geschlechtern

liegt nicht schon in dem schrankenlosen Raubbau an den Bodenschätzen der Erde,

den zum Zweck der immer größeren Befriedigung der Genußsucht getrieben wird!

 

Der religiöse Charakter der arisch-indischen Kultur

wird speziell auch aus den folgenden Worten Deussens deutlich:

»Eine eigentliche Geschichtsschreibung wie in Griechenland und Rom gibt es in Indien nicht,

und die Historiker gewöhnlichen Schlages

(wie sie denn auch einem Platon nicht verzeihen können, daß er kein Demosthenes wurde)

zucken mitleidig die Achsel,

das ein so hoch begabtes Volk es nicht bis zu einem dauerhaften Staatsorganismus,

nicht zu reden von einer öffentlichen Beredsamkeit,

ja, nicht einmal bis zu einer Aufzeichnung seiner Geschichte gebracht habe.

Sie sollten lieber zu begreifen suchen, daß die Inder zu hoch standen,

nach der Weise der Ägypter sich an Königslisten zu ergötzen,

das heißt in der Sprache des Platon scharren zu zählen,

daß der arische Genius es verschmähte, die zeitlichen Dinge und ihre Ordnung sehr ernst zu nehmen,

weil er mit der ganzen Energie seiner Kräfte das Ewige suchte

und dies in einer überreichen poetischen und religiös-philosophischen Literatur zum Ausdruck brachte.«

 

Wie die religiöse Einstellung das Leben des arischen Inders

schon von den ältesten Zeiten an beherrschte, zeigen im Überschwang die Hymnen des Rigveda, *

* Der Veda, »das (heilige) Wissen“

ist das älteste erhaltene Denkmal der indischen und indoeuropäischen Literatur.

Er ist mehr als sechsmal so umfangreich wie die Bibel.

Seine Texte waren ursprünglich, indischem uraltem Gebrauche gemäß,

mündlich weiter gegeben worden und wurden erst später schriftlich niedergelegt.

die wohl in der Zeit von 3000 bis 2000 vor unserer Zeitrechnung entstanden sind

und auf weise sehen Rischis, zurückgeführt werden, die „mit Einsicht in ihrem Denken forschten“. (123)

Sie waren also Philosophen, nicht Theologen,

und war demgemäß ihre Weltanschauung eine philosophische.

Jede philosophische Weltanschauung aber gründet sich auf zwei Elemente, auf Ausschau in die Außenwelt und auf lnschau in sich selbst, in die Tiefen der eigenen Persönlichkeit.

Dabei ist die Inschau das Maßgebende:

wer sich noch völlig mit seiner Persönlichkeit identifiziert,

kommt zu einer ganz anderen Weltanschauung als derjenige,

der seine Persönlichkeit mehr und mehr als eine bloße, ihm unwesentliche »Beilegung« erkennt.

Die Rischis waren nun bereits zu letzterer Erkenntnis gelangt.

Damit wußten sie sich in ihrem Kern von dem Zerfall ihres Körpers unberührt, mithin unsterblich,

so daß sich für sie das Problem der Art und der Sicherung ihrer Zukunft nach dem Tode ergab.

Die nach außen, auf die sich den fünf Außensinnen darbietende Erscheinungswelt gerichtete Erkenntnis

zeigte natürlich auch ihnen das Walten der diese ganze Welt gestaltenden Naturkräfte.

Diese Naturkräfte

sollen sie dann nach allgemeiner Meinung – auch Deussen steht auf diesem Standpunkt –

in ihrer Naivität zu »Göttern“ personifiziert haben.

So sei, wie jeder Polytheismus, auch das vedische Pantheon entstanden.

Aber diese Erklärung ist überaus seicht:

der arische Inder des Rigveda personifizierte nicht die Naturkräfte, sondern er personifizierte,

ausgehend von der Erkenntnis, daß seine eigene Substanz hinter seinem Körper liege.

das geheimnisvolle Prinzip, aus dem jede ursprüngliche Naturkraft hervorquillt,

ihre der Erkenntnis nicht unmittelbar zugängliche Substanz und charakterisierte diese,

weil er auch sie, wie seine eigene Substanz,

ohne weiteres als vom Wechsel ihrer Erscheinungsformen unberührt

und damit als ewig erkannte, als Götter.

Weil er sich nun vielen Naturkräften und damit vielen Substanzen gegenübersah,

so gab es für ihn eben auch viele Götter.

Diese stellen somit in ihrer Gesamtheit den später das Brahman genannten Weltuntergrund dar.

In diesem Sinn erklärte auch zweitausend Jahre später der Buddho Sonne und Mond als Götter

und spricht er auch von »Baumgottheiten«, »die in den Bäumen leben« (Majj. Nik., 45).

Alles, was Leben hervorbringt ist eben für den Inder göttlich, ein Gott.

 

Wie richtig dieser schon vom Urarier vollzogene Schluß vom eigenen Inneren auf den Kern aller Naturkräfte ist, ergibt die Tatsache,

daß wir nur in uns selber in den Weltgrund, in dem ja auch wir wurzeln, hinunter steigen können,

indem alles, was sich unseren Außensinnen darbieten immer nur seine äußere Schale zeigt.

Das bestätigen übrigens auch folgende Worte Kants:

»Der bloße Begriff vom Ich, der unveränderlich ist, den man gar nicht mehr beschreiben kann,

drückt die Substanzialität aus.

Substanz ist das erste Subjekt aller inhärierender Akzidenzen.

Es ist dieses Ich aber ein absolutes Subjekt, dem alle Akzidenzen und Prädikate zukommen können

und was gar kein Prädikat von einem anderen Ding sein kann.

Ja, was noch mehr ist, den Begriff, den wir überhaupt von allen Substanzen haben,

haben wir von diesem ich entlehnt

Dieses ist der ursprüngliche Begriff der Substanz« (570).

 

Daß der Polytheismus des Rigveda von der eben geschilderten Art ist,

springt bei seiner Lektüre in die Augen.

Wer möchte aber nicht einen solchen Polytheismus bewundern?

 

Doch nicht bloß das.

Der altarische Inder war in der zweiten Hälfte der Rigveda-Periode

auch schon zum Einheitsgedanken vorgedrungen,

wie das der Rischi Dirghatamas in den lapidaren Worten ausspricht:

»Vielfach benennen, was nur eins. die Dichter« (106).

Näher ausgeführt ist diese »epochemachende“ Erkenntnis in dem berühmten Schöpfungshymnus:

»Damals war nicht das Nichtsein, noch das Sein. –

Kein Luftraum war, kein Himmel drüber her. –

Wer hielt in Hut die Welt, wer schloß sie ein? –

Wo war der tiefe Abgrund, wo das Meer? –

Nicht Tod war damals noch Unsterblichkeit. –

Nicht war die Nacht. der Tag nicht offenbar. –

Es hauchte windlos in Ursprünglichkeit –

Das Eine, außer dem kein Andres war. –

Doch wem ist auszuforschen es gelungen? –

Wer hat. woher die Schöpfung stammt, vernommen? –

Die Götter sind diesseits von ihr entsprungen –

Wer sagt es also, wo sie hergekommen?“ –

 

Die Antwort auf dieser Stufe war, daß man einen einzigen obersten Gott auf den Thron setzte,

den man Prajapati, d. i. »Herr der Geschöpfe«, nannte.

Auch er war indes noch eine Person,

unterschied sich aber von dem abendländischen persönlichen Gott dadurch,

daß er nicht sowohl eine Welt außer sich setzte,

sondern vielmehr sich selbst ganz oder teilweise

(d. h. unbeschadet seines persönlichen Fortbestehens) in die Natur und ihre Erscheinungen umwandelt,

»er, über dem nichts Höheres vorhanden,

der eingegangen in die Wesen alle, Prajapati, mit Kindern sich beschenkend.« (191)

 

Mit dieser Weltanschauung war auch das dem Menschen vorgesetzte Ziel

und die seiner Verwirklichung dienende Moral bestimmt.

Was hätte dieses Ziel anders sein können,

als zur „Gemeinschaft, Weltgemeinschaft, Wesensgemeinschaft mit den Göttern«

und damit »in die wahre Heimat« zu gelangen,

zur »Weideflur, die niemand mehr rauben kann,

wo nicht mehr der schwache dem starken tributpflichtig ist?« (288)

Demgemäß lehrt die Moral des Rigveda den »Götterweg«, den Weg zu den Göttern.

Dieser Weg aber war zunächst das Gebet zu den Göttern um Aufnahme in ihre Gemeinschaft:

 

Wo wandeln ist nach Lust. wo sich

Der dritte. höchste Himmel wölbt,

Wo lichterfüllte Räume sind,

Dort lasse mich unsterblich sein.

 

Wo Wonne ist und Seligkeit,

Wo Freude über Freude wohnt,

Wo sich der Sehnsucht sehnen stillt,

Dort lasse mich unsterblich sein.«

 

Aber die Götter nehmen nur die Guten, die das Unvollkommene bei ihrem Tode zurücklassen,

in ihre Gemeinschaft auf.

Man muß sich also hienieden als guter Mensch betätigen, das heißt, man muß gütig sein:

 

»Armen zu spenden, schmälert ja den Reichtum nicht;

Wer nicht gibt. hat auch keinen, der sich erbarmt.

 

Wer, wohlverseh’n mit Nahrung, wenn der Dürftige,

Um eine Gabe bittend, naht in seiner Not,

sein Herz verhärtet dem, der Ehre stets erwies.

Der findet selbst auch keinen. der sich sein erbarmt.

 

Der erst genießt, der auch den Armen mitteilt.“ (93)

 

Das zeigt, daß bereits damals, vor Jahrtausenden,

den arischen Indern das große moralische Grundgesetz, die Güte, zum Bewußtsein gekommen war.

 

*

An die Stelle der Rischis des Rigveda traten in der jungvedischen Zeit,

die etwa von 1000 bis 500 vor Chr. währte und mit den Upanischaden abschließt,

mit der Ausbildung des Kastenwesens, die Großen der Brahmanen-Kaste,

die sich selber als die Fortsetzer der Rischis betrachteten (12).

Auch sie waren, wie alle Wesen – was sich in deren Todesangst zeigt –

durchbebt von dem Schauder der Vergänglichkeit ihrer eigenen Körperlichkeit,

auch sie pflegten, weil der Schauder aus ihnen selber quoll, die Inschau,

und waren so zur Einsicht gekommen,

daß ihre Substanz, ihr wahres Ich, der Atman, hinter ihrer Körperlichkeit liege

und damit vom Tode des Körpers nicht berührt werde, somit unsterblich sei.

Deshalb suchten auch sie die sie erwartende Zukunft nach dem Tode festzustellen,

ebenfalls wieder durch lnschau, indem sie durch diese

die möglichen Zustände ihres substanziellen Ichs jenseits des vergänglichen Körpers

zu ermitteln suchten.

Zu diesem Zweck zogen sie sich aus dem Welttreiben an eine einsame Stätte zurück

und suchten von sich alles abzustreifen, was nur abzustreifen war:

die Außenwelt, ihren grobmateriellen Körper und damit das Sinnenleben, ihr gesamtes Vorstellen,

bis nur mehr reines Denken ohne jede Objektwahrnehmung übriggeblieben war.

Trotz alledem aber – und hierin lag das ungeheure Neue –

sahen sie sich auch nach dieser äußersten Loslösung von allem,

was man gemeinhin als die Substanz des Menschen betrachtet, in ihrem Bestand völlig unberührt.

lm Gegenteil, das Bewußtsein der Tatsächlichkeit ihres Ichs trat umso strahlender hervor,

je weiter der Ablösungsprozeß fortschritt.

Ja, dieses Bewußtsein ging ihnen am Gipfel, wo sie alles Erkennbare hinter sich gelassen hatten,

erst in seiner ganzen Herrlichkeit auf.

obwohl auf diesem Gipfel, ihr Ich, abgesehen von diesem Bewußtsein seiner Tatsächlichkeit,

ungreifbar und unbestimmbar geworden war:

»Nicht nach innen erkennend, nicht nach außen erkennend,

noch nach beiden Seiten erkennend,

weder wahrnehmend noch nicht-wahrnehmend,

auch nicht durch und durch aus Erkenntnis bestehend, unsichtbar, ungreifbar,

nur in der Gewißheit des eigenen lchs begründet,

jenseits der ganzen Weltausbreitung, selig, zweitlos:

das ist das vierte Viertel *,

das ist das Ich, das soll man erkennen.“ (Mandukya-Up., 7)

* Der Zustand des Wachens, „nach außen erkennend«, ist das erste Viertel,

der Zustand des Schlafes, „nach innen erkennend«, das zweite Viertel.

Der Zustand des Tiefschlafes, »weder nach innen noch außen erkennend“ ist das dritte Viertel.

Damit war der Gipfel der brahmanischen Weisheit erklommen.

Der höchstmögliche Zustand des Menschen schien verwirklicht, das Endziel erreicht:

unser Ich, aller vergänglichen, leidvollen Beilegungen ledig, ewig, in sich restlos selig:

der höchste Gott, erhaben über alle Götter, erhaben auch über den bisherigen höchsten Gott Prajapati war im eigenen Inneren jenseits unseres empirischen Ichs als unser eigentliches, wahrhaftiges Ich gefunden.

Da aber dieses Ich auch „sonder (ohne) Persönlichkeit“ ist, wie unser deutscher Meister Eckhart sagt,

so trafen für dieses göttliche Ich

die Bezeichnungen Gott, Gottheit, die das persönliche Element in sich schließen, überhaupt nicht mehr zu

und so mußte für das Überpersönliche, wahrhaft göttliche, wahrhaft heilige vierte Viertel

eine eigene Bezeichnung gefunden werden.

Sie war eben das Brahman, „das Heilige“. *

* Die ursprüngliche Bedeutung von Brahman ist Gebet.

(S. des Verfassers »Wissenschaft des Buddhismus“. s. 300 flg.).

In der Regel bestand das Gebet auch bei den alten Indern in der Anrufung der Götter.

Dieses Gebet kam natürlich für die großen Brahmanen-Brahman heißt Beter – nicht in Frage.

Ihr Gebet war andächtige, d.h. in feierlicher, heiliger Seelenstimmung vorgenommene Versenkung

in die eigenen Tiefen.

So ist es eigentlich selbstverständlich,

das diese tiefreligiösen Männer das durch ihr Gebet gefundene Heiligste

»das Heilige«, »das Brahman« nannten. –

Welchen weiten Inhalt der Begriff „Brahman“ in sich schloß,

geht ja auch daraus hervor,

das Brahman auch heilige Rede, heiligen Wandel, heiligen Stand (der Brahmanen) bedeutet.

 

Daß das Brahman mit dem vierten Viertel unseres Ichs identisch ist,

kommt insbesondere in der folgenden Stelle der Paramahamsas Upanischad zum klaren Ausdruck:

»Jener Weg der Paramahamsas – (der höchsten Wanderschwäne) – ist schwer in der Welt zu finden,

nicht viele betreten ihn.

Was ist der höchste Paramaharnsa?

Der ist es: »Wer als Paramaharnsa

nicht mehr nach Kälte und Hitze fragt, nach Lust und Leid, nach Ehre und Unehre.

Er läßt Stolz und Selbstsucht dahinter,

und weil sein eigener Leib von ihm als ein Aas angesehen wird,

wendet er sich von diesem verkommenen Leib für immer ab

und richtet sein Erkennen beständig auf jenes,

nimmt in ihm seinen Stand und weiß von ihm, dem Ruhigen, Unwandelbaren: –

Jenes Zweitlose, ganz aus Wohlbefinden Bestehende, bin ich selber.

Das ist der wahre Yogin, ist der Wissende,

sein Bewußtsein ist erfüllt von dem, dessen einziger Geschmack vollkommenes Wohlbefinden ist.

Dieses Brahman hin ich, so weiß er und hat das Ziel erreicht, hat das Ziel erreicht.«

 

Die Loslösung von der grobmateriellen Körperlichkeit

und damit der Aufstieg zur höchsten Geistigkeit vollzog sich natürlich ganz allmählich, von Stufe zu Stufe.

Auf diese Weise durchschritt der »Betende« bei seiner Rückkehr in das Brahman, in seine »Heimat«, auch alle die »übermenschlichen“ Daseinsformen,

wie solche von vornherein in der schrankenlosen Wirklichkeit zu vermuten sind,

erlebte mithin leibhaftig auch alle Götter- oder Himmelreiche in sich selber.

So und nur so kann man sich nämlich schon hienieden

von der Tatsächlichkeit dieser höheren Daseinsbezirke überzeugen:

 

»Frag’ nicht, was göttlich sei; denn so du es nicht bist, –

so weist du es doch nicht, ob du’s auch hörst. mein Christ« (Angelus. Silesius). –

 

»An das Göttliche glauben die allein, die es selber sind“ (Hölderlin). –

 

»Freund, wird das Paradies in dir nicht zuerst sein,

so glaube mir gewiß, du kommest nimmer drein« (Angelus Silesius). –

 

„Edel sei der Mensch, hilfreich und gut. –

Denn das allein unterscheidet ihn von allen Wesen, die wir kennen. –

Heil den unbekannten höheren Wesen, die wir ebnen! –

Ihnen gleiche der Mensch, sein Beispiel lehr’ uns jene glauben«. (Goethe)

 

Damit fällt auch erst das richtige Licht

auf die Lehre von der Seelenwanderung im Kreislauf der Wiedergeburten,

der der arische Inder seit jeher – sie wird schon im Rigveda gelehrt –

mit selbstsicherer Überzeugtheit anhängt.

Wenn die Substanz des Menschen vom Tode nicht berührt wird,

so bleibt für den, der sich nicht schon in seinem gegenwärtigen Dasein

in das Heilige, das Brahman, zurückfindet,

ja, auch gar keine andere Möglichkeit

als die Wiedergeburt zu einem neuen, ihm angemesseneren Dasein,

in welchem er seiner Heimat weiter entgegenstreben kann.

 

Besonders klar

wird der Kern der seelenwanderungslehre in der Brihadaran-yaka-Upanischad 4,4,2-6 dargelegt,

wo es nach Schilderung des Auszuges der Seele aus ihrem bisherigen Körper heißt:

»Dann nehmen ihn sein Wissen und seine Werke bei der Hand und seine vormalige Erfahrung.

Wie eine Raupe, nachdem sie zur Spitze des Blattes gelangt ist,

einen anderen Anfang ergreift und sich selbst dazu hinüberzieht,

so auch die Seele, nachdem sie den Leib abgeschüttelt hat.

ergreift sie einen anderen Anfang und zieht sich dazu hinüber. –

Wie ein Goldschmied von einem Bildwerk den Stoff nimmt,

und daraus eine andere, neue, schönere Gestalt hämmert,

so auch die Seele, nachdem sie den Leib abgeschüttelt hat,

schafft sich eine andere, neue schönere Gestalt,

sei es der Götter oder des Prajapati oder eines anderen Wesens . . .

Je nachdem einer nun besteht. aus diesem oder jenem, je nachdem er handelt, je nachdem er wandelt,

danach wird er geboren:

wer Gutes tut, wird als Guter geboren, wer Böses tut, wird als Böser geboren,

heilig wird er durch heiliges Werk, böse durch böses;

darum, fürwahr, heißt es: Je nachdem seine Begierde ist, danach ist seine Einsicht;

je nachdem seine Einsicht ist. danach tut er das Werk (karman),

je nachdem er das Werk tut, danach ergeht es ihm.«

 

Aus dieser Weltanschauung

leitete der spätere arische Inder folgende, jeden Volksgenossen verpflichtende Moralgrundsätze ab:

  1. Mildtätigkeit,
  2. Rechtschaffenheit
  3. kein lebendes Wesen verletzen,
  4. Wahrhaftigkeit,
  5. Selbstbeherrschung.

Um sich diese Grundsätze tief einzuprägen, deutete er sogar das Rollen des Donners in diesem Sinn:

»Da! da! Da!“, das heißt: Damyatal Datta! Dayathvaml –

»Bezähmt euch!

Gebt Almosen!

Habt Mitleid!«

 

Diese Moral wurde so allgemein befolgt, daß mancher indische Fürst sich

etwas von dem Zeugnisse aneignen konnte, welches der König Ashvapati Kaikeya

seinen Untertanen ausstellte:

»In meinem Reich ist kein Dieb, kein Geiziger, kein Trunkenbold, keiner, der nicht Opfer brächte,

keiner, der nicht veda-kundig, kein Buhler, keine Buhlerin.« (Deussen, l. c. s. 328 Ag.)

Solche Moral zeitigt der Glaube an die Wiedergeburt,

wenn er, wie in Indien, mit dem Bewußtsein verbunden ist,

daß die Art des künftigen Daseins durch das Tun im Gegenwärtigen bestimmt wird.

 

Noch erheblich strenger waren die Anforderungen an diejenigen,

die aus dem ganzen Kreislauf der Wiedergeburten und damit aus der Welt heraustreten

und in das Heilige, das Brahman, hineinsinken wollten.

Ihnen oblag, außer der Erwerbung des Vedawissens als der Hauptsache,

als dessen Voraussetzung und Folge, die Selbstkasteiung (Asleese) und die Entsagung (nyasa).

Die Selbstkasteiung bestand in der Erwerbung aller Tugenden

und damit in der allmählichen Abtötung des Trieblebens,

weiterhin in der freiwilligen Übernahme von Entbehrungen, wie Büßen und Fasten,

um die Gier nach irdischen Freuden noch weiter zu schwächen.

Das Radikalmittel war die Entsagung.

Sie vollzog sich in der Loslösung von Weib und Kind und allem äußeren Besitz.

Dieses Asketenleben

entwickelte sich schon in den Zeiten der ältesten Upanischaden zu einem besonderen,

dem Stand des Hausvaters gleichgearteten Berufszweige (dharmaskandha).

Die Asketen durchzogen als herumschweifende Bettler das Land oder lebten als Waldeinsiedler.

Die höchste Entsagung übte der Sannyasin.

Auch er durchschweifte als »höchster Wanderschwan“ (Paramahamsa) das Land,

sein Kleid bestand aus Lumpen oder einem bloßen Lendentuch oder »der Weltraum“ war sein Gewand,

seine Nahrung war Bettel,

sein Tongefäß zur Aufnahme der Nahrung auf der höchsten Stufe »sein Bauch oder seine Hand“,

seine Beschäftigung schweigen und Meditation, die ihn seinen Leib als Aas betrachten ließ,

sein Ziel das Brahman.

 

Derart waren Land und Leute in Indien,

als in ihm der Königssohn Siddhattho Gotamo, der spätere Buddho, geboren wurde.

Derart müssen nach indischer Anschauung Land und Leute überhaupt sein,

wenn Platz für einen Buddho sein soll,

wie das auch aus den eigenen Worten des Buddho herausgelesen werden kann:

»Der Vollendete ist ein Arier.

Deshalb heißen seine vier Wahrheiten arische Wahrheiten“ (sam. Nik. LVI, 28).

 

Il.

Was ist ein Buddha.

Der große Spanier Calderon charakterisiert, abgrundtief, die Welt des Lebens so:

»Ein Traum nur ist das ganze Leben –

Und jeder Mensch, ich seh’ es ein, –

Er träumt sein ganzes Tun und sein: –

Der König träumt, er sei ein König, –

Und tief in diesen Traum versenkt. –

Gebietet er und herrscht und lenkt,-

Und alles ist ihm untertänig. –

Doch es zerstäubt sein Glück der Tod, –

Der, auch ein Traum, ihm immer droht. –

Der Reiche träumt von seinen Schätzen –

Und ist dabei doch ohne Frieden. –

Es träumt der Arme auch hienieden, –

Er sei ganz elend und leibeigen. –

Es träumet, wer beginnt zu steigen, –

Es träumet, wer da sorgt und rennt, –

Wer liebt und wer von Hals entbrennt. –

Kurz, auf dem weiten Erdenballe, –

Was alle sind, das träumen alle, –

Obgleich nicht einer es erkennt. –

Ja, nur ein Traum ist alles Leben, –

Und selbst die Träume sind ein Traum.“

 

Auch im Veda. auch in den Upanischaden wird noch viel geträumt.

Alles ist, wie bei den christlichen Mystikern, im Halbdunkel gesehen und dargestellt,

dazu auch noch in einen überaus komplizierten, symbolisierenden Opferkultus eingewebt.

so muß man sich den Weg zu ihrem Verständnis erst mühsam bahnen.

Doch nicht bloß das.

Auch die Weisheit des Veda ist trotz ihrer ungeheuren, die tiefste Ehrfurcht auslösenden Größe

noch nicht die vollkommene Weisheit.

Denn auch das Brahman der Upanischaden ist noch nicht das Endziel des Menschen (purusha-artha),

das fast alle indischen Systeme von jeher gesucht haben. sondern nur die vorletzte Stufe zu ihm.

Dann ist die uneingeschränkte Identifizierung unseres eigenen Urgrundes, unseres eigenen lchs (Atman),

mit dem Welt-Atman eine bloße Spekulation,

ganz in der Art der christlichen Mystiker, von denen Seuse sagt:

„Schau, das göttliche Wesen ist eine geistige Substanz, die das sterbliche Auge nicht sehen kann.

Man sieht Gott aber wohl in seinen Taten, wie man einen guten Meister spürt in seinen Werken.

Denn wie Paulus sagt: ‚Die Kreaturen sind ein Spiegel (speculum), in dem Gott widerleuchtet.‘«

Diese aus bloßen Spaziergängen in das transzendente Gebiet gewonnene Spekulation

hat der Buddho als solche in seinen Worten enthüllt,

daß die Welt an sich zu den vier unerfaßbaren Dingen gehört, mit denen sich zu befassen,

Verstörung mit sich bringt.

(vgl. »Die Wissenschaft des Buddhismus«, Seite 322 flg.)

Eine weitere große Verirrung im Veda ist sein Opferkultus,

der in seinen Tieropfern geradezu in hohem Malze unmoralisch ist.

 

Aus dem Lebenstraum vollkommen „erwachte“ ist nach dem Buddho nur ein Buddha.

Das ist nicht nur der Sinn, sondern die wörtliche Bedeutung des Wortes Buddho.

Das geht aus dem 54. Dialog des Majjhima Nikayo hervor,

in welchem ein aus dem Traum »Erwachter« als patibuddho bezeichnet wird.

und insbesondere aus Samyutta Nikayo Vl, 4, 9,

wo statt des Wortes Buddho »suttappabuddho«, »der aus dem Schlaftraum Erwachte« gesagt ist.

 

Wozu ist nun aber ein Buddho erwacht?

Zur höchsten Wirklichkeit, zur Wirklichkeit, wie sie in Wahrheit ist,

zu jener Wirklichkeit, die schon Schopenhauer in seinen Worten geahnt hat:

»Wenn wir aus einem uns lebhaft affizierenden Traum erwachen,

so ist, was uns von seiner Nichtigkeit überzeugt, nicht so sehr sein Verschwinden,

als das Aufdecken einer zweiten Wirklichkeit,

die unter der uns so sehr bewegenden – (des Traumes) – verborgen lag und nun hervortritt.

Wir haben eigentlich alle eine bleibende Ahndung oder ein Vorgefühl,

daß auch unter dieser Wirklichkeit, in der wir leben und sind, eine zweite andere verborgen liegt.

Sie ist das Ding an sich, das unao – (das eigentlich Reale) –

zu diesem onao – (dem gegenwärtigen Lebenstraum).«

 

Ein Buddho ist aber nicht bloß zur höchsten Wirklichkeit erwacht,

er legt seine höchste Erkenntnis, erhaben über die »aller Götter und Menschen“.

Auch in höchster Klarheit dar. frei von jeder mythologischen Verhüllung und mythischen Einkleidung,

dabei aber in so zwingender Form,

daß sie sich dem, der ihm zu folgen vermag, als geradezu in sich evident präsentiert.

Deshalb verlangt ein Buddho auch keinen Glauben, sondern verheißt Wissen:

»Werdet ihr nun, Mönche, also erkennend, also sehend, vielleicht sagen:

»Dein Meister zollen wir Verehrung, aus Verehrung für den Meister reden wir so“?« –

»Wahrlich nicht, oh Herr.« –

»Me nun, so sagt ihr einzig das, was ihr selbst durchdacht, selbst erkannt, selbst verstanden habt?« –

»so ist es, oh Herr.« –

»Wohl, Mönche, belehnt seid ihr, Mönche, mit diesem Wunderding – (das ist die Lehre des Buddho) –

dem klar sichtbaren, jederzeit zugänglichen, es heißt: ‚Komm und sieh!‘

Verständige können es im eigenen Inneren feststellen.« (M. S., 38. Sut.)

Wo ist ein zweiter Religionsstifter, der ähnliches gesagt hätte?

 

Wann ist nun eine Wahrheit in sich evident, klar sichtbar?

Anders ausgedrückt: Welche Erkenntnis ergibt offensichtliche Wahrheit?

Das wissen sehr Wenige.

Wenn man recht klug ist, meint man, Wahrheit sei gleichbedeutend mit unmittelbarer Anschauung.

Aber die Anschauung ist lediglich die Quelle der Wahrheit. *

* Die Anschauung oder unmittelbare Wahrnehmung

ist eine Wahrnehmung der fünf äußeren Sinne, eine sinnliche Wahrnehmung,

oder eine anschaulich unmittelbare Wahrnehmung

vermittels des sechsten, des anschauenden Denksinnes.

Diese letztere Wahrnehmung

beschränkt sich auf die Anschauung des Raumes,

des Erkennens selbst als solchen

und endlich des völlig objektlosen Zustandes.

 

Diese unmittelbare – sinnliche oder geistig anschaulich unmittelbare – Wahrnehmung

ist noch völlig wort- und begrifflos.

Eben deshalb ist sie als solche auch nicht durch Worte, sondern nur durch Überführung in anderweite Anschauung etwa auf dem Wege des Kunstwerks mitteilbar.

 

Wahrheit ist Wissen und jedes Wissen ist ein Urteil und jedes Urteil ist das Werk der Urteilskraft,

also eine Vernunfttätigkeit.

Jede Vernunfttätigkeit aber besteht im Schlußfolgern mit Obersatz, Untersatz und Schlußsatz.

Wenn ich z. B. die Wahrheit ausspreche: »Ich bin sterblich«,

so beruht diese Wahrheit auf der Schlußfolgerung, dem Syllogismus:

»Alle Menschen sind sterblich (Obersatz) –

Ich bin ein Mensch (Untersatz) –

Also bin ich sterblich« (Schlußsatz).

Das gilt selbst für so selbstverständliche Wahrheiten wie: »Die Erde existiert«.

Der zugrundeliegende Syllogismus heißt hier:

»Was ich wahrnehme, existiert – die Erde nehme ich wahr – mithin existiert sie.“

Wenn sich der Mensch bei solchen Sätzen seiner Schlußfolgerung nicht bewußt wird,

so offenbart das nur,

mit welcher Selbstverständlichkeit jedes Lebewesen, auch das Tier, seine Schlußfolgerungen zieht.

 

Ist aber jedes Wissen ein Urteil und beruht jedes Urteil auf einer Schlußfolgerung,

dann muß sich auch alles Wissen beweisen lassen.

Denn unter einem Beweis

versteht man ja nur die Aufzeigung der Schlußfolgerung, auf der eine behauptete Wahrheit beruht,

so daß also wahr auch nur ist, was und so weit es sich beweisen läßt.*

* Groß ist die Gefahr des Irrtums, wenn der Begriff oder das Urteil nicht unmittelbar,

sondern erst durch Vermittlung mehrerer oder gar einer ganzen Reihe von Schlußketten

auf die zugrundeliegende anschauliche Erkenntnis

und damit auf die Wirklichkeit zurückgeführt werden kann

im Gegensatz zu jenen Begriffen und Urteilen,

welche in ihren Prämissen unmittelbar in der Anschauung gründen.

Und eben diese Gefahr meint man,

wenn man von der Minderwertigkeit bloß bewiesener Wahrheiten spricht.

Eben deshalb sagt ja auch Kant,

daß man, wenn man sich über die Richtigkeit eines Satzes nicht klar werden könne,

ihn nur in die Form einer logischen Schlußfolgerung bringen dürfe. – (Logos heißt Vernunft) *

* Intuition, Anschauung, hat auch das Tier, aber noch sehr wenig Reflexion.

Handeln auf Grund bloßer Intuition ist gleichbedeutend mit impulsivem Handeln,

das von dem von der Reflexion, von dem prüfenden und vergleichenden Nachdenken,

geleiteten bei weitem überragt wird.

Wenn unsere Zeit auch hier wieder ihre »Umwertung aller Werte« vornimmt,

indem sie die Intuition über die Reflexion stellt,

so ist auch das nur ein weiteres Zeichen der Dekadenz.

Die Entwicklung hat auch hier

von dem einen Extrem des ausschließlichen Gelten-lassens der Vernunfttätigkeit

unter fast völliger Ausschaltung der Intuition, wie sie der Rationalismus gezeitigt hatte,

zum anderen Extrem der Verhimmelung der „reinen Intuition«

als ausschließliche Erkenntnisquelle geführt,

wie sich unser ganzes Zeitalter ja durchaus in Extremen,

und zwar eben in denen nach der Richtung der Dekadenz. bewegt.

Reflexion »ist die zweite Potenz des Erkennens und ihre Ausübung erfordert Anstrengung«,

(Schopenhauer. W. a. W. u. V. II,. s. Kap.),

allein schon ein hinreichender Grund, sie als unmodern zum alten Eisen zu werfen.

 

Wie überall, so liegt auch hier die Wahrheit in der Mitte: Intuition und Reflexion gehören untrennbar zusammen, indem nur eine Reflexion,

die sich durchaus auf die Anschauung gründet und nie über sie hinausgeht,

Wissen und damit Wahrheit bringt.

 

Man darf also die Anschauung dem Syllogismus nicht entgegenstellen,

sondern beide müssen sich zur Einheit verbinden.

Der Syllogismus selbst muß in seinen beiden Prämissen, seinem Ober- und Untersatz erlebt werden.

  1. h. die Anschauung muß das granitene Fundament bilden, aus dem die Prämissen geschöpft sind.

Ein solcher Syllogismus ist das Produkt vollkommen richtigen Denkens

und gewährt eben deshalb unfehlbare Sicherheit, vollkommene Erkenntnis.

Das meint man im Grunde ja auch nur,

wenn man, wie das in der Folge auch in diesem Werk geschehen wird,

von der untrüglichen Sicherheit der anschaulichen Erkenntnis spricht.

 

Eben durch diese Methode logischer Schlußfolgerung

hat nun der Buddho seine Wahrheiten gewonnen und lehrt sie auch in dieser Form.

Diesen logischen Charakter seiner Lehre betont er selber scharf im n. Dialog des Majjhima-Nikayo:

Ein ehemaliger Mönch von ihm, ein gewisser sunakkhatto, hatte in Vesali herumerzählt:

»Eine durch logisches Denken gewonnene Lehre trägt der Asket Gotamo vor,

auf kritischer Untersuchung aufgebaut, von ihm selber ergründet,

und der Zweck, warum er seine Lehre verkündet, ist einfach der,

daß, wer logisch denkt, völlige Leidensvernichtung erlange.«

Darauf erwiderte der Buddho, als er von seinem Mönche Sariputto davon verständigt worden war:

»Zornig, Sariputto, ist Sunakkhatto, im Zorn hat er diese Worte gesprochen,

tadeln will ich, meint der törichte Mann, und lobt gerade damit den Vollendeten.

Ein Lob des Vollendeten ist es ja, Sariputto. wenn einer spricht:

»Und der Zweck, warum er seine Lehre darlegt, ist einfach der,

daß, »wer logisch denkt, völlige Leidensvernichtung erlange!‘„

Die Lehre des Buddho ist also eine Religion der Vernunft,

als welche sie übrigens im Kanon direkt durch das Epitheton vibhajjavado charakterisiert wird,

ein Wort, das der bekannte Pali-Lexikograph Childers eben mit »Religion of Logic or Reason“ übersetzt.

 

Dieser wissenschaftliche Charakter der Lehre des Buddho

wurde auch noch Jahrhunderte nach seinem Tode innerhalb seiner Gemeinde

allgemein erkannt und anerkannt.

Einen überaus bezeichnenden Ausdruck

hat das in der Erzählung der ceylonesischen Kirchen-Chroniken

von der ersten Unterredung Mahindos, des Bekehrers von Ceylon,

mit dem König Devanampiyo Tisso um 250 v. Chr. gefunden:

Der Thera (Älteste) stellt mit dem König ein förmliches Examen in der Logik an,

um zu erforschen: »Besitzt der König einen hellen Verstand?“

In der Nähe steht ein Mangobaum.

Der Thera fragt: „Wie heißt dieser Baum, großer König.« –

»Er heißt Mango. Herr.« –

»Gibt es, großer König,

außer diesem Mangobaum noch einen anderen Mangobaum oder gibt es ihn nicht?“ –

»Es gibt viele andere Mangobäume, Herr.« –

»Gibt es außer diesem Mangobaum und jenen Mangobäumen noch andere Bäume, großer König?« –

»Die gibt es, Herr; das sind aber keine Mangobäume.“ –

»Gibt es außer den anderen Mangobäumen und Nichtmangobäumen noch einen anderen Baum?« –

»Ja, Herr, diesen Mangobaum hier.« –

»Schön, großer König. du bist klug.“ –

Der Thera stellt noch eine ähnliche Prüfung an, die der König ebenso glänzend besteht:

»Außer deinen Verwandten und den Nichtverwandten

gibt es noch irgend einen Menschen, großer König.« –

»Mich selbst. Herr!« –

»Schön, großer König, sich selbst ist man weder ein Verwandter noch ein Nicht-verwandter.« –

»Da sah«, heißt es dann, »der Thera, daß der König klug ist und daß er die Lehre wird verstehen können,

und er predigte ihm das Gleichnis vom Elefantenfuß.«

 

So ist denn, wie in jeder Wissenschaft, auch in der Wissenschaft des Buddho

die Logik das große Instrument für die Erkenntnis der Wahrheit:

seine Lehrsätze bewegen sich in Syllogismen,

und zwar in Syllogismen mit lauter handgreiflich richtigen, selbstverständlichen Prämissen,

wie das jeder feststellen kann, der sich die Mühe dazu nimmt.

Eben deshalb offenbart sich ihre innere Evidenz jedem, der sie so gründlich studiert, wie etwa ein vor dem Examen stehender Student der Medizin seine medizinischen Lehrbücher.

Freilich »verständig« muß man sein, so verständig wie der König Devanampiyo Tisso,

und auch den Willen und die Energie zu solchem Studium muß man haben.

Wem diese letzteren fehlen, dem fehlt der religiöse sinn,

das will sagen, der hat kein Bedürfnis zur Sicherung seiner großen Zukunft nach dem Tode.

Er ist also kein »Arya“, wie einen solchen der Buddho bei seiner Lehre voraussetzt.

 

Das Staunenswerteste, ganz einzige aber, das der Buddho mit keinem Zweiten der Welt teilt,

ist das Folgende:

Er hat nicht nur wie kein anderer das große praktische Problem herausgeschält,

wie wir uns vollkommen leidfrei und unbedingt selig machen können,

sondern er hat dieses Kernproblem

unmittelbar auf das Urproblem unseres tiefsten Wesens zurückgeführt,

und zwar – das ist das ganz Einzige – auf einen einzigen Syllogismus von solcher Einfachkeit,

daß ihn bei gutem Willen

schließlich auch ein kluger Schäfer in seiner ganzen überwältigenden Gewißheit einsehen

und erleben kann.

Dieser Syllosgismus ist folgender:

»Was ich an mir entstehen und vergehen

und deshalb mit dem Eintritt dieser Vergänglichkeit mir Leiden bringen sehe,

das kann nicht ich selber sein.

 

Nun sehe ich alles nur immer Erkennbare an mir entstehen und vergehen

und – mit dem Eintritt dieser Vergänglichkeit – mir Leiden bringen.

 

Also ist nichts Erkennbares mein Ich.“

 

Das besagt: Weder mein Körper noch auch mein Geist ist mein substanzielles Ich,

vielmehr sind Körper und Geist nur unwesentliche „Beilegungen“ von mir,

deren ich mich wieder entledigen kann,

um dann als ein »Vollendeter, tief, unermeßlich, unergründlich wie der große Ozean«

in die absolute Wirklichkeit, das Nibbanam, in dem alles Erkennbare erloschen ist,

»in unvergänglicher Seligkeit« »unterzutauchen«;

„Friedvoll ist dieser Zustand, hocherhaben ist dieser Zustand.«

 

Dieser Syllogismus ist der Ausgangspunkt für das Verständnis der Lehre des Buddha

in den durch die Meditation herbeigeführten Möglichkeiten findet er seine Krönung.

In der Richtung des Strebens, die er angibt, zeichnet sich zugleich das höchste Ziel ab,

das im erkennenden schauen zu immer gröberer Gewißheit wird.

 

So wird hier nur auf eine Logik Wert gelegt,

deren Prämissen ganz und gar in der anschaulichen Wirklichkeit fußen.

Darauf geht die ganze Betrachtungsart des Buddho zurück.

bedingt von Anfang an ein sehr bedächtiger-, ja überaus langsames Denken, ein betrachtendes Denken,

das zur Meditation wirll.*

* Meditation (meditari – nachdenken, nachsinnen, überdenken)

das Nachdenken, das Nachsinnen, die Betrachtung.

In der Lehre des Buddho wird die Meditation zum Mittel tiefsten Erkennens,

sie führt die Kontemplation, das erkennende Schauen herbei.

Am Anfang steht ein leises Dämmern, eine leise, bloß gefühlsmäßige Ahnung der Wahrheit.

In ihrem allmählichen Fortschreiten wird diese Ahnung ein von Zweifeln durchsetztes Fürwahr-halten, schließlich zur völligen logischen Erfassung,

bis sie am Gipfel in die greifbar anschauliche Durchdringung ihres Objektes ausmündet,

die, wie die in voller Glut aufsteigende Sonne alles Zwielicht, so alle Zweifel für immer verscheucht.

Dann wird die Wahrheit

– eben, indem man ihr Objekt mit dem geistigen Auge bis auf den Grund durchdringt – unmittelbar erlebt,

so, wie ich im unmittelbaren Anblick des Montblanc-Massivs

dieses in seiner ganzen gewaltigen Gliederung erlebe.

Und so, in dieser Weise,

mit solcher Deutlichkeit muß man alle Elemente seiner Persönlichkeit als nicht das Ich (anatta),

als sich durchaus wesensfremd erleben,

um ein wirklicher „Seher des Nibbabam und damit zugleich ein solcher zu werden,

der auch die ganze Seligkeit der infolge dieser »Schau«

sich einstellenden vollendeten Wunschlosigkeit unmittelbar und leibhaftig an sich erfährt.

Dann wird man auch ein wirklicher Künder des Nibbanam sein.

 

Einen klassischen formellen Beweis dafür,

daß die Prämissen der Urteile und Schlußfolgerungen des Buddho

sich jeden Augenblick und ohne Mühe in der anschaulichen Wirklichkeit wiederfinden,

eine Eigentümlichkeit,

die nicht mehr und nicht weniger als das Formelle aller genialen Erkenntnistätigkeit darstellt,

bildet der Umstand, daß die Darlegungen des Buddho samt und sonders

mit aus der Wirklichkeit entnommenen Gleichnissen durchsetzt sind,

und zwar in einem so gehäuften Maß und jeweils in so packender Weise,

wie man es anderweit überhaupt nicht mehr findet.

Sind doch Gleichnisse ganz hervorragend geeignet,

abstrakte Gedanken als das Spiegelbild der anschaulichen Wirklichkeit zu verifizieren,

eben weshalb ja auch jeder wirklich geniale Kopf – in je höherem Maß er es ist, umso mehr –

das Bedürfnis empfindet, seine abstrakten Gedanken durch Gleichnisse deutlich zu machen.

»Auch durch Gleichnisse wird da manchem verständigen Manne der Sinn einer Rede klar«,

sagt deshalb auch der Größte der Jünger des Buddho, Sariputto (Majj. Nik., 43. Suttam).

Der Buddho selbst aber war so sehr von der Erkenntnis durchdrungen,

das eben nur abstrakte Erkenntnisse,

die jederzeit mühelos als in der anschaulichen Wirklichkeit gründend aufgezeigt werden können,

einen Wert haben,

daß er sogar schon den kaum erst in seinen Orden Eingetretenen es zur Pflicht gemacht hat,

sich und anderen die Erkenntnisse, die ihnen seine Lehre zu vermitteln hatte,

durch Gleichnisse und damit eben durch das Zurückgehen auf die anschauliche Wirklichkeit

deutlich zu machen:

„Seine Rede ist inhaltreich, gelegentlich mit Gleichnissen geschmückt, klar und bestimmt,

ihrem Gegenstande angemessen«,

ist ein stehender Satz bei der Aufzählung der grundlegenden Ordenspflichten.

Ein Urteil, das man nicht durch ein Gleichnis aus der Wirklichkeit veranschaulichen kann,

hat denn auch in der Tat keinen wirklichen Wert.

 

Die Lehre des Buddho beruht also auf dem anschaulichen Denken, das allein er deshalb auch verlangt.

Diesen Charakter seiner Lehre stellt er auch ausdrücklich fest in dem stehenden Satz:

»Diese Lehre ist tief, schwer zu sehen, schwer zu gewahren, ruhevoll, erhaben,

schwer im Bereich des bloß abstrakten Begriffes (atakkavacara), subtil, nur von Weisen zu erfassen.“

hatte allen Grund dazu, insbesondere auch die Eigenschaft seiner Lehre

als dem bloß abstrakten Begriff nicht erreichbar zu betonen.

Denn gerade zu seiner Zeit blühte in Indien unter den „Samanen und Brahmanen«

die Dialektik, die Disputierkunst, im höchsten Maß,

wie sie höher auch in Griechenland in der Glanzzeit der Sophistik

nicht in schwange gewesen sein konnte.

Da wurde auf Grund bloß abstrakter Begriff im Gewand der Logik *

unfehlbar »Alles ist«, wie das Gegenteil davon »Nichts ist« bewiesen,

wurde ebenso gut »Alles ist Einheit«, wie »Alles ist Vielheit« bewiesen

(Cfr. Franke, Digha Nik., s. 19, Anm. 3).

Dabei bestand aber das Falsche natürlich nicht darin, das man mir den Gesetzen der Logik* arbeitete,

* Logik kommt von Loyiceouau überdenken, überrechnen,

und dieses von Logos, Wort und Vernunft, die unzertrennlich sind.

Darnach bedeutet aber logisches Denken das den Gesetzen der Vernunft gemäße Denken,

bezeichnet jenes Verfahren der Vernunft, des Logos,

welches diese Vernunft, sich selber überlassen und ungestört,

also beim einsamen Denken eines vernünftigen Riesens, welches durch nichts irregeführt wird,

befolgt,

sei es mit dem Material bloß abstrakter, oder sei es mit dem Material anschaulicher Vorstellungen

(Cfr. Schopenhauers handschriftlichen Nachlas, s. z ff.)

sondern darin, das man fertige Begriffe (takka)

nach Art algebraischer Gleichungen gemäß den Gesetzen der Logik hin- und herwarf,

ohne sich jeweils über die Realität dieser Begriffe

und ihren wahren Gehalt durch Hinuntersteigen zur anschaulichen ’Wirklichkeit zu vergewissern,

ohne also meditativ zu denken.

»In die Begriffe geht alles Denkbare hinein, mithin auch das Falsche, das Absurde«.

(Schopenhauer, W. a. W. u. V. II, 73 fk.).

Eben deshalb

müssen sie im einzelnen Fall erst aus der anschaulichen Wirklichkeit ihre Legitimation erheben,

  1. h. das Denken muß stets ein anschauliches bleiben,

darf nie auch nur einen Augenblick den Zusammenhang mit der sinnlichen Erfahrung verlieren,

wenn nicht alle mit ihm gewonnenen Urteile »in der Luft schweben« sollen

(Digha Nik. I, r, 29; Franke, s. 22, Anm. 1).

Eben das und nur das will der Buddho mit seinen Worten sagen, seine Lehre sei »amkavacara«,

die also bedeuten: Meine Lehre liegt nicht im Gebiet des bloß abstrakten Begriffs (takka),

»wurzelt« vielmehr »in der Anschauung« (Majj. Nik., 48. Suttam),

beruht also auf jenem Denken, das nicht bloß mit abstrakten Begriffen (takka)

als leeren Hülsen, in die jeder hineinlegt, was er will,

sondern mit anschauliehen Vorstellungen operiert;

zur Erfassung meiner Lehre reicht also auch die bloße dialektische Methode nicht aus,

sondern es ist darüber hinaus Unmittelbare Beobachtung, ist eben ansehnliches Denken nötig.

 

An der Hand dieser Methode des Meisters, geführt von seinem eigenen Wort,

wird im vorliegenden Werk das Verständnis erschlossen

für den Kreislauf der Wiedergeburten in den Tiefen und in den Höhen.

Dabei bringt dieses Verstehen auch zugleich das Begehen des Pfades mit sich.

Ein einzigartiger Höhenweg tut sich auf!

Allmählich wird der Wachgewordene da hinaufdringen,

nachdem er sein geistiges Auge an das blendende Licht des religiösen Ideals,

wie es ihm aus der Buddha-Lehre als das Mysterium tremendum entgegenfunkelt, gewöhnt hat.

Aber wie man schon Erleichterung, Freude und Behagen empfindet,

wenn man aus den Niederungen eines Gebirgstales

auch nur die ersten Abhänge des mächtigen Gebirgsstockes erklimmt,

so wird die Buddha-lehre jedem Verständigen, wenn er zugleich guten Willens ist,

wenigstens so weit verständlich,

als sie ihn den Kreislauf seiner Wiedergeburten mit der Möglichkeit seiner Beherrschung einsehen lehrt.

Damit erlebt er in seinen Meditationen das unerschütterliche Fundament aller echten Religiosität

und in dieser den inneren Frieden und damit das wahre Glück,

von dem unser von geistigem Hochmut strotzendes Zeitalter mit all seinen Wissenschaften

und all seinen technischen Errungenschaften nicht einmal mehr die Spur besitzt.

 

III.

Die Art der Überlieferung des »Wunderdinges“

Die Lehre des Buddho ist die Lehre vom allwaltenden Vergänglichkeitsgesetz.

Sie wäre nicht wahr, wenn sich dieses Gesetz nicht auch an ihr selber erfüllt hätte.

Ihr äußeres Schicksal war nämlich folgendes:

 

Nachdem sie der Buddho ein halbes Jahrhundert hindurch in Mittelindien

jeweils in Begleitung einer Schar von Mönchen, von Ort zu Ort wandernd, allem Volk verkündet

und die Mönche seine einzelnen Reden und Aussprüche

nach vedischer Art ihrem Gedächtnis wohl eingeprägt hatten,

wurden diese nach dem Tode des Meisters. der um 483 v. chr. erfolgte,

nebst den Darlegungen seiner großen Jünger mit peinlicher Genauigkeit,

weil im Bewußtsein ihrer ungeheuren Wichtigkeit, von Mund zu Mund weitergegeben.

Dabei wurden die heiligen Texte – Sutten – auf mehreren Konzilien in Gruppen –

Nikayos – geordnet und in Pitakas, Körbe, zusammengefaßt,

und zwar als das Suttapitakam, der Korb der Reden, und das Vinayapitakam, der Korb der Ordensregeln.

Diesen beiden „Körben“ wurde später

als eine selbständige Weiterbildung das Abhidhammapitakam, der Korb der Scholastik, angefügt.

Damit war das Tipitakam, der Dreikorb,

als die Gesamtheit der buddhistischen Heiligen Schriften für alle Zeiten festgelegt.

Schriftlich aufgezeichnet wurde das Tipitakam

erst wenige Jahrzehnte vor unserer Zeitrechnung unter dem König Vattagamini in Ceylon,

wohin es durch Mahindo, den Sohn des großen buddhistischen Königs Asoko (264—-v. Chr.)

gebracht worden war.

 

Hiernach kann also für die Feststellung der ursprünglichen Lehre des Buddho

nur dieses Tipitakam in Frage kommen.

Das ausdrücklich festzustellen erscheint nötig,

weil schon gar bald nach dem Tod des Buddho

eine neue Quelle für die Erklärung seiner Lehre zu ßbegann,

nämlich eine Kommentarliteratur von beträchtlichem Umfang.

Der größte Teil derselben wurde später in ein Sammelwerk unter dem Namen Axthakatha,

»Erklärung des Sinnes«, zusammengefast.

Die Kommentare waren natürlich von München, Theras (Älteste), verfaßt.

Sie sollen zugleich den Standpunkt der ersten drei Konzilien vertreten haben.

(ungefähr 483, 383, 245 v. Chr.).

Die Atthakatha soll zusammen mit dem Tipitakam um 245 v. Chr.

von dem Mönch Mahindo, dem sehne des Königs Asoko, nach Ceylon gebracht

und dort in die singhalesische Sprache übersetzt worden sein.

Weder von der ursprünglichen, in der Pali-Sprache abgefaßten Atthakatha

noch von der durch Mahindo in das Altsinghalesische übersetzten Maha-Atthakatha

ist noch etwas vorhanden.

Dagegen wurde die letztere noch im fünften Jahrhundert nach Christus

von dem aus Indien nach Ceylon übersiedelten Mönche Buddhaghoso vorgefunden.

Er hat sie nach seinen Angaben in ihren wesentlichen Teilen

unter Hinzufügung seiner eigenen Erklärungen in die Pali-Sprache zurückübersetzt.

Diese Atthakatha Buddha-ghosos ist noch erhalten

und wird von den heutigen Mönchen in Ceylon, Burma und Siam die Theraväda-Interpretation genannt.

 

Diese so von Buddhaghoso perpetuierte Kommentarliteratur

umrankte wie ein mächtiges Schlinggewächs den Dreikorb,

ja, es wird oftmals in den Klöstern von Ceylon, Burma und Siam als Ketzerei betrachtet,

sich eine eigene Meinung über den Inhalt des Dreikorbes bilden zu wollen,

mag diese auch noch so zwingend begründet sein.

Das ist dann also genau das Verfahren der katholischen Kirche,

die ebenfalls seit zweitausend Jahren jede individuelle Auslegung der Bibel verbietet,

weshalb Deussen in seinen »Erinnerungen an Indien« mit Recht sagt,

der Buddhismus von heute sei ein Vergrößerungsspiegel der Fehler des Katholizismus.

 

Dabei ist das Tragische, das diese Theravada-Interpretation des Buddhaghoso und späterer

dem Kern der Lehre des Buddho nicht mehr gerecht wird.

Die Tatsache der Wiedergeburt erklärt sich diese schule so:

Die menschliche Wesenheit bestehe in den körperlichen und geistigen Kräften,

die in ihrem Zusammenwirken sich selber als »Ich« bezeichnen.

Wie alles, so gingen natürlich auch diese sich selbst »Ich« nennenden Kräfte im Tode unter.

Aber in Fortsetzung von ihnen

sprängen dann an einem anderweitigem von Eltern im Begattungsakt bereiteten Keimmaterial

den untergegangenen gleichwertige neue Kräfte auf,

die wieder einen Menschen bilden und in diesem, so sich selber bezeichnend, wiederum »Ich« sagen.

Es sei gerade so,

wie wenn sich an einer herabgebrannten Kerze vor ihrem Erlöschen eine neue entzünde.

Das sei die Wiedergeburt, wie sie vom Buddho gelehrt werde.

In Wahrheit ist diese Theorie, die in den Worten des Buddho selbst keine Grundlage hat,

natürlich nichts weiter als eine besondere Form des Vernichtungsglaubens,

den der Buddho in feierlicher Weise ablehnt.

Denn gerade weil die an einem anderweitigen Keimmaterial aufspringenden Kräfte neue sind,

sind sie eben nicht mehr die alten:

die Kräfte. die den früheren Menschen gebildet hatten, sind definitiv und für ewig untergegangen.

Was gehen denn mich. wenn ich mit dem Untergang der mein Wesen bildenden Kräfte selber untergehe, die neuen Kräfte an, die nach meinem Tode an einem neuen Keimmaterial aufspringen sollen,

auch wenn diese neuen Kräfte den untergegangenen noch so gleichwertig sind?

Welcher klar denkende Kopf spricht hier noch von Wiedergeburt –

und gar noch in dem Sinn, wie sie der Buddho in dem Gleichnis von dem einen Wanderer schildert?

»Gleichwie wenn ein Mann von seinem Ort an einen anderen Ort ginge

und von diesem Ort wieder an einen anderen Ort u. von diesem Ort an seinen eigenen Ort zurückkehrte;

da käme ihm der Gedanke:

»Ich bin von meinem Ort nach jenem Ort gegangen,

dort bin ich also gestanden, also gesessen, habe also gesprochen, also geschwiegen;

von jenem Ort bin ich aber nach diesem Ort gegangen,

da nun bin ich also gestanden, also gesessen, habe also gesprochen. also geschwiegen;

dann bin ich von diesem Ort wieder nach meinem eigenen Ort zurückgekehrt:

ebenso auch erinnern sich meine Jünger an manche verschiedene frühere Daseinsformen«

(Majj. Nik., 77. Suttam). –

Die nicht aus den Worten des Buddho selbst herauszulesende Deutung

wird nur erreicht durch die Erklärung,

daß die Reden des Buddho nicht wörtlich, so wie sie sich geben, genommen werden dürften.

Das allerdings ergab den direkten Gegensatz zu dem,

was wir oben als den durch die Jahrhunderte sich offenbarenden arisch-indischen Genius

mit seiner gewaltigen Atman-Lehre kennen gelernt haben.

So kann es auch nicht wundernehmen, daß dieser Buddhismus

nicht nur die Verachtung des 788 n. Chr. geborenen großen vedischen Kommentators Shankara

in einem Maß auslöste,

daß er den Buddho, den er offenbar nur in der Form des Kommentar-Buddhismus kannte,

einen alten Schwätzer nannte,

sondern auch die Lehre des Buddho um 800-1000 n. Chr. völlig aus Indien verschwand

(Deussen, l. c. I, 3, s. 180).

In der Tat, dieser Buddhismus ist keine Religion für indische Arya. *

* Der Gegensatz, in welchem manche Kommentare nicht nur zur Lehre des Buddho selber,

sondern auch zum arisch-indischen Genius überhaupt stehen, drängt förmlich zur Annahme,

daß diese Kommentatoren gar keine reinen Arier,

sondern Dravidas (Ureinwohner Indiens) waren,

die schon zu des Buddho Zeiten zahlreich im Süden Indiens wohnten und heute noch dort wohnen.

Auch die Singhalesen bestehen aus arischen und dravidischen Elementen.

 

Freilich hat sich die buddhistische Laienwelt in den Ländern, wo der Buddhismus fort-existierte,

durchaus nicht um die theoretische Umkehrung des Buddha-Gedankens

durch die buddhistischen Gelehrten gekümmert,

– das Unglück war ja eben, daß die Mönche zum großen Teil bloße Gelehrte geworden waren –

so daß diese Verkehrung des Buddha-Gedankens

durch seine berufenen Hüter ohne praktische Folgen geblieben ist.

Und das war das große Glück für den historischen Buddhismus.

Das meint ja auch E. Arnold, der Verfasser des berühmten Lehrgedichts »Die Leuchte Asiens“.

wenn er in der Vorrede sagt, es sei seine feste Überzeugung,

daß ein Drittel der Menschheit nie und nimmer dazu hätte gebracht werden können,

an das Nichts als den Ausgang alles Wesens und das Ziel alles Strebens zu glauben.

 

Die Mahas Atthakatha trägt zweifellos auch die Hauptschuld,

daß der Orden des Buddho frühzeitig in Sekten auseinanderfiel.

Ganz speziell trifft das wohl zu auf die bereits auf dem zweiten Konzil von Vesali

um das Jahr 383 v. chr. erfolgte Spaltung in Theravadins, die Vertreter des Kommentarbuddhismus,

und in Mahasanghikas, die Opponenten.

In das erste Jahrhundert nach Christus

fällt der Ursprung des Mahayanam, des »großen Fahrzeuges«, wie es seine Anhänger selbst nannten.

Im Gegensatz hierzu

bezeichneten sie die letzten Endes auf dem Pali-Kanon fußenden älteren Richtungen

geringschätzig als Hinayanam, »das kleine (mangelhafte) Fahrzeug«.

Der Buddho lehrt,

daß der Mensch, welcher sowohl zum eigenen Heil als euch zum Heil der anderen wirkt,

»der größte, der beste, der würdigste, der erhabenste ist« (Ang. Nik. IV, 95).

betont er, daß nur einer, »der selber nicht sumpfversunken ist,

einen anderen sumpfversunkenen herausziehen kann“ (Majj. Nik., 8. Suttam).

Das Mahayanam aber errichtete darüber hinaus ein Bodhisattva-ldeal,

daß erst nach Erlösung aller anderen Wesen das eigene höchste Heil erreichen will.

Dazu kommt noch eine aus dem Brahmanismus herübergenommene Mythologie

und ein ausgeprägter Kultus göttlicher und dämonischer Wesen.

 

Um den Beginn unserer Zeitrechnung

stand »die Gemeinde der Buddhisten durch alle Weiten Indiens in Blüte«

und brachten ihre Sendboten fern über Indien hinaus »zu Nationen den Glauben Buddhas“,

»deren Namen selbst man noch in Indien nicht kannte«. (Oldenberg, 445)

Allerdings war die Lehre zur Volksreligion geworden

und für »das Auszeichnende der Lehre, wie sie den Erwachten eigentümlich ist«,

galt ganz gewiß die Prophezeiung des Meisters gegenüber seinem Jünger Anando:

»Nicht lange, Anando, wird heiliges Leben bewahrt bleiben.

Fünfhundert Jahre wird die Lehre der Wahrheit bestehen (Cullavaggo X, I, 6).

Indessen hat »das Wunderdinge“ auch als bloße Volksreligion dem ganzen nichtislamisierten Asien,

also mehr als der Hälfte der Menschheit, seinen Stempel aufgedrückt selbst da,

wo sie nicht mehr als eine bestimmte Körperschaft existiert, wie in Indien:

alle asiatischen Religionen verdanken ihr edelstes, noch heute wirksames moralisches Element,

gipfelnd in der Güte gegen alles, was da lebt und atmet, der Lehre des Vollkommen-Erwachten.

(Vgl. William Hunter, »A brief history of the Indian People«)

 

Zunächst in seinen späteren Formen kam der Buddhismus im vorigen Jahrhundert nach Europa.

lm gegenwärtigen Jahrhundert erschienen aber auch Ausgaben des Tipitakam im Urtext.

Ihnen folgte eine Reihe von Übersetzungen und Darstellungen.

Sie wühlten zunächst ein erhebliches Interesse auf.

Da aber auch ein Teil der europäischen Indologen

sich in das Netz des erwähnten Kommentarbuddhismus verstrickte

und ihre Übersetzungen sowie ihre Darstellungen der Lehre in diesem negativen sinne gestaltete,

so wendeten sich die religiös interessierten Kreise gar bald wieder enttäuscht ab.

Auch für den europäischen Arier kommt eine solche Religion nicht in Betracht.

 

Demgegenüber hat der Verfasser des vorliegenden Werkes die Kommentarliteratur kaum herangezogen. Er hat sein Werk fast ausschließlich

auf das Suttapitakam, den Korb der Lehrreden des Buddho und seiner großen Jünger, aufgebaut.

Er folgte, soweit als möglich, dem Beispiel des Mönches Purano,

der, als er aufgefordert wurde,

an dem alsbald nach dem Tode des Buddho stattfindenden Konzil teilzunehmen,

das in höflicher Form ablehnte,

da er vorziehe an dem festzuhalten, was er selber aus des Meisters Mund gehört habe.

Die Richtigkeit des Standpunktes, sich an die Worte des Buddho selber zu halten,

geht übrigens auch daraus hervor, daß dieser von seiner Lehre sagt,

sie trage ihre Bestätigung in sich selber, bedürfe keiner anderen Autorität.

 

Freilich können bei der Art seiner Überlieferung

auch in den Korb der Lehrreden mancherlei Zutaten späterer Mönche hineingeraten sein,

die nicht im Sinne des Buddho waren.

Um solche auszuscheiden,

wendet der Verfasser ein Kriterium für die Echtheit der beigebrachten Belegstellen an,

das durch folgendes Gleichnis verdeutlicht sei.

Man habe das Trümmerfeld einer antiken Stadt ausgegraben.

Nach der Überlieferung befand sich in ihrer Mitte ein gewaltiger Tempel,

dessen Grundriß übrigens noch erkennbar ist.

Die Forscher sind noch daran,

die herumliegenden mächtigen Quadern auf ihre Zugehörigkeit zum Tempel festzustellen.

Fast um jeden Stein entspinnt sich ein gelehrter Streit,

ob er zum Tempel gehöre oder nicht, so daß kein Ende abzusehen ist.

« Ein Architekt hört lange schweigend zu.

Da fast er einen kühnen Entschluß: er will den Tempel mit den ursprünglichen steinen wieder aufbauen.

So läßt er denn Arbeiter kommen, bezeichnet Stein um Stein, heißt jeden an seinem Platze einfügen,

bis schließlich der ganze Tempel lückenlos

und so, daß jeder Quader sich genau an den anderen schließt,

in seiner ganzen Pracht und in sinnfälliger Harmonie aller seiner Teile rekonstruiert ist.

Ist damit nicht der ganze Streit um die Echtheit jedes einzelnen Steines

auf die sicherste und einfachste Weise entschieden?

Vielleicht erkennt der Leser ebenso in den Belegstellen, die die vorliegende „Lehre des Buddho“ tragen,

die ursprünglichen Quadern der Meisterworte und in dem ganzen System den Dhammo anitiho

(die Lehre, die ihre Bestätigung in sich selbst trägt) wieder.

Sicher hat er ihn wiedererkannt,

wenn er beim Studium des Buches auch die Wahrheit der anderen Worte an sich erfährt,

die Lehre des Buddho sei wie die Tatze des Löwen:

»Was sie da trifft, ob hoch oder niedrig, das trifft sie gründlich.«

 

Dabei mag es ihm dann gleichgültig sein,

ob und wieviele andere außer ihm die gleiche Erfahrung machen,

ob insbesondere je die Worte Schopenhauers sich erfüllen werden:

»Wir dürfen daher hoffen, das einst auch Europa von aller jüdischen Mythologie gereinigt sein wird.

Das Jahrhundert ist vielleicht herangerückt,

in welchem die aus Asien stammenden Völker Japhetischen Sprachstammes – (Indoeuropäer) –

auch die heiligen Religionen der Heimat wieder erhalten werden:

denn sie sind, nach langer Verirrung, für diese wieder reif geworden.« (Parerga II, p. 242)

 

 

 

 

 

 

VERZEICHNIS DER BENUTZTEN PALl-WERKE

Abkürzungen

Vinuyu Pimleurns

  1. Mahavaggo
  2. Cullavaggo

Suta Pitakam

  1. Digha Nikayo Digha Nik. D. N.
  2. Majjhima-Nikayo Majj. Nik. M. N. M. s.

(Mittl. Sammlung)

  1. samyutta Nikayo Sam. Nik.
  2. Anguttara Nikayo Angutt. Nilc A. N.
  3. Dhammapadam
  4. Udanam
  5. Itivuttakam
  6. Suttanipito Su.
  7. Thera- und Theri-Gatha ( Psalmen der Mönche und Nonnen)
  8. Maha Niddeso
  9. Cariya Pitakam

Abhhidhamma Pitukam

  1. Dhamma sangani
  2. Puggala Pannatti

Nach-Kanonisch:

  1. Milinda Panho

 

In den meisten Fällen

ist der Band und die Seite der Palis-Ausgabe des Kanons der „Pali Text Society“ angegeben,

  1. B.: sam. Nik. lII, p. z 3 F.

In diesem Fall steht dann dahinter stets die allgemein gültige Stellenangabe in Klammern,

hier z. B.: (XXVllI, 1).

 

Hinweise auf Übersetzungswerke, die hinzugezogen wurden

  1. „Die 152 Sutten des Majjhima Nikayo, der Mittleren Sammlung,

enthalten in ihrer unvergleichlichen Tiefe.

Anschaulichkeit und Schönheit die Lehre des Buddho

nach allen Richtungen und in verschiedenster Beleuchtung,

weshalb speziell diese Sammlung für jeden,

der zu einer lebendigen Erfassung der Lehre des Buddho gelangen will, unentbehrlich ist“.

Diese Wertschätzung

ließ Georg Grimm den Majjhima Nikayo ganz besonders für das vorliegende Werk heranziehen.

Gerade hier

ist aber auch dem Übersetzer Karl Eugen Neumann mit seinen Übertragungen „Die Mittlere Sammlung“

bei allen Ungenauigkeiten und Übersetzungsfehlern eine bedeutende Leistung gelungen.

Sein Übersetzungswerk

ist 1956 im Artemis Verlag, Zürich / Stuttgart und im Paul Zsolnay Verlag, Wien. neu erschienen.

Dazu gehören die auch hier hinzugezogenen Übersetzungen des Digha Nikayo.

der „Längeren Sammlung“, des Suttanipato,

der „Sammlung der Bruchstücke«, der Thera- und Theri-Gatha,

der „Lieder der Mönche und Nonnen“ und des Dhammapadam, des „Wahrheitpfades«.

 

  1. Dighanikaya. das Buch der langen Texte des buddhistischen Kanons.

In Auswahl übersetzt von Dr. R. Otto Franke. Göttingen, Vandenhoek + Ruprecht.

 

  1. Die Übersetzungen aus dem Anguttara Nikayo,

der »Angereihten Sammlung«, des Puggala Pannatti,

des „Buches der Charaktere« und des Milinda Panho,

der „Fragen des Milindou von Nyanatiloka.

Verlag Oskar Schloß. München-Neubiberg.

 

  1. Pali-Buddhismus in Übersetzungen. Texte aus dem Pali-Kanon und dem Kammavaca.

Aus dem Pali übersetzt nebst Erläuterungen und einer Tabelle von Karl Seidenstücken.

Zweite vermehrte und verbesserte Auflage, 4. – 8. Tausend. Verlag Oskar Schloß, München-Neubiberg. –

Zit. als „Pali-Buddh.“ – Udana, das Buch der feierlichen Worte des Erhabenen.

In erstmaliger deutscher Übersetzung aus dem Urtext von Dr. Karl Seidenstücken.

Verlag Oskar Schloß, München-Neubiberg. –

Süd-buddhistische Studien. Von Dr. K. Seidenstücker. Hamburg 1916.

 

  1. Die Fragen des Königs Menandros. Übersetzt von Dr. F. Otto Schrader. Berlin SW., Paul Raatz.

(Abgekürzte Übersetzung des ersten [älteren] Teiles des Milinda Panho).

 

  1. Der Buddhismus. Von Professor Dr. M. Mnternitz. Tübingem Verlag von J.c.B. Mohr (Paul Siebeck). – Zit. mit „Winternitz“.

 

  1. Das Leben des Buddha.

Eine Zusammenstellung alter Berichte aus den kanonischen Schriften der südlichen Buddhisten.

Aus dem Pali übersetzt und erläutert von Dr. Julius Dutoit. Leipzig, Lotus-Verlag.

 

  1. Buddha. sein Leben, seine Lehre, seine Gemeinde. Von Hermann Oldenberg.
  2. Aufl. Stuttgart und Berlin. J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachf. – Zit. mit „Oldenberg“.

 

  1. Mara und Buddha. Von Ernst Windisch. Leipzig, bei s. Hirzel. – Zit. mit »Windisch“.

 

Die Seitenangaben der Werke Arthur Schopenhauers

beziehen sich auf die Ausgabe von Prof. Dr. Paul Deussen, R. Piper + Co. Verlag, München,

die eingeklammerten Zahlen geben die Seiten der Reclam-Ausgabe an.

(W. a. W. u. V. – Welt als Wille und Vorstellung)

 

 

 

 

Thema und Basis

der

LEHRE DES BUDDHO

Schopenhauer hat uns die große Wahrheit aufgezeigt,

daß die Natur alles Seienden im Wollen besteht.

Jedes Wesen will vom ersten Augenblick seiner Existenz bis zu seinem letzten Atemzuge,

und alle seine Kräfte, geistige wie physische, sind ausschließlich zum Dienste dieses Wollens da,

ja, sind weiter nichts als der sichtbar gewordene Wille selbst.

Will der Mensch nicht mehr, will er überhaupt nichts mehr,

so fühlt jeder ohne weiteres, daß er als Mensch unmöglich geworden ist.

daß er früher oder später, eben wegen Aufhebung seines Willens und damit seiner eigentlichen Natur,

aus der Welt verschwinden muß,

und wollte die Menschheit nicht mehr, wollte überhaupt kein Wesen mehr, nichts mehr,

so würde die ganze Welt binnen kurzem verschwunden sein,

eben weil alles sein nur im Wollen gründet.

 

Weil alles sein Wollen ist, ist auch alles, was diesem Wollen gemäß geht, Glück,

und was es hemmt, Leid – Leid ist gehemmtes Wollen –

so daß also Glück und Leid letzten Endes nur die Offenbarung davon sind.

wie weit sich der Wille des einzelnen Wesens in der Welt zu behaupten und durchzusetzen vermag.

 

So offensichtlich das alles für jeden ist, der es einmal gefast hat,

ebenso zweifellos ist aber auch,

daß alles Wollen jeden Augenblick nach allen Richtungen hin gehemmt wird,

ja, daß es sogar da, wo es sich zu erfüllen scheint,

schließlich in den Folgen sich immer wieder gegen sich selbst kehrt,

und daß es zuletzt im unvermeidlichen Tode vollständig Schiffbruch leidet.

 

So ist es heute, so war es in aller Vergangenheit und so wird es bleiben,

so lange es Menschen, ja, überhaupt lebende Wesen gibt.

Denn jeder fühlt und der Verständige erkennt es,

daß die Umstände, welche einer wirklichen u. dauernden Befriedigung unseres Wollens entgegenstehen,

naturgesetzliche sind, eine eiserne Notwendigkeit darstellen,

die mit jedem Wollen so unweigerlich verknüpft sind, wie die Hitze mit dem Feuer.

Denn wo Leben ist – und wo Wille ist, ist Leben, der Wille ist ja überhaupt näher nur ein Wille zum Leben –

da wird auch, selbst bei Annahme aller nur denkbaren Entwicklungsmöglichkeiten,

zum mindesten der Tod sein

und damit der stete, immer wieder von neuem eintretende, schließliche Zusammenbruch dieses Lebens

und damit auch alles Wollens.

 

So klar das alles ist, so wird es doch keinen Menschen geben,

der sich nicht ein Mal während seines Lebens die bange Frage vorlegte,

ob es denn nun wirklich

keinen Ausweg aus dieser schrecklichen Selbstentzweiung unseres Wesens gebe,

das immer sucht, was doch schon nach der Natur dieses Wollens ausgeschlossen bleiben muß,

ob es nicht wenigstens eine Möglichkeit gebe, dem Tode zu entrinnen.

Ist das nicht sonderbar?

Ist die bloße Aufwerfung dieser Frage nicht noch rätselhafter als das Problem des Todes selber?

Denn wenn das Leiden, wenn insbesondere der Tod naturgesetzlich bedingt ist,

wie sollte es dann möglich sein. ihnen zu entrinnen?

Wie kann der Mensch angesichts der unzweideutigen Sprache der Natur,

die ihm an jeder Leiche augenscheinlich demonstriert, daß dem Tode alles untertan ist,

auch nur auf den Gedanken kommen, es könnte möglich sein, ihn zu überwinden?

 

Und doch ist diese Frage nicht nur eine Frage jedes Einzelnen,

sondern die große Frage der Menschheit selbst von Urbeginn an gewesen und wird sie bleiben,

so lange es Menschen geben wird. sie bildet das Haupt –

und im Grunde das einzige Thema sowie die stärke aller Religionen und ist die Quelle aller Philosophie.

Man befreie die Menschheit vom Leiden, insbesondere vom Tode,

und alle Religion und Philosophie wird nicht bloß als überflüssig gelten,

sondern in der Tat überflüssig sein.

Nicht einmal einen Gott bräuchte der leidlose, unsterbliche Mensch mehr,

woran zugleich deutlich wird, daß auch der Gottesbegriff letzten Endes

nur ein Hilfsmittel zur Lösung des Leidens- und Todesproblems ist.

Umgekehrt nehmen die Menschen ruhig die absurdesten Dogmen mit in den Kauf,

wenn sie ihnen nur die Überwindung des Leidens und des Todes in Aussicht stellen.

»Wenn unser Leben endlos und schmerzlos wäre«, sagt Schopenhauer*, *W. a. W. u. V. U, 177 (185)

„würde es vielleicht doch keinem einfallen,

zu fragen, warum die Welt da sei und gerade diese Beschaffenheit habe.

Dementsprechend finden wir,

daß das Interesse, welches philosophische oder religiöse Systeme einflößen,

seinen allerstärksten Anhaltspunkt durchaus an dem Dogma irgend einer Fortdauer nach dem Tod hat;

und wenngleich die letzteren das Dasein ihrer Götter zur Hauptsache machen

und dieses am eifrigsten zu verteidigen scheinen;

so ist dies im Grunde doch nur,

weil sie an dasselbe ihr Unsterblichkeitsdogma geknüpft und es für unzertrennlich von ihm halten;

nur um dieses ist es ihnen eigentlich zu tun.

Denn wenn man ihnen dasselbe anderweitig sicherstellen könnte,

so würde der lebhafte Eifer für ihre Götter alsbald erkalten,

und er würde fast gänzlicher Gleichgültigkeit Platz machen,

wenn umgekehrt die völlige Unmöglichkeit einer Unsterblichkeit ihnen bewiesen wäre.«

Dem entspricht es andererseits,

daß gerade jene Lehre, die, sich an die augenscheinliche Aussage der Natur selbst haltend,

die Vernichtung des Menschen im Tode lehrt, der Materialismus, wie Schopenhauer weiter sagt,

nie einen dauernden Einfluß auf die Menschheit hat gewinnen können.

Das beweist,

daß die vom Materialismus gegebene Lösung des Problems

dem innersten Wesen des Menschen widerspricht

und deshalb selbst nicht richtig sein kann.

Denn gerade vom Standpunkt des Materialismus aus ist der Mensch ein bloßer Teil der Natur,

ein bloßes Produkt derselben und sonst nichts.

Soll dem aber so sein, dann muß sein Wesen sich auch im Einklang mit ihr befinden,

der Mensch könnte also in seinem Empfinden unmöglich mit ihren Aussagen in Widerstreit geraten.

 

Die Sachlage ist mithin die. das im tiefsten Grunde des Menschen die Überzeugung verankert ist,

daß es trotz aller scheinbaren Unmöglichkeit

„einen Weg und einen Steg“ geben müsse, der jenseits des Leidens, jenseits des Todes führt.

 

Ist es nun aber der Menschheit gelungen, einen solchen Weg ausfindig zu machen?

Hier ist ohne weiteres so viel klar, daß eine Antwort nur von den Religionen zu erwarten ist.

Denn die Philosophie. die allein noch in Betracht kommen könnte,

hat zwar in ihren größten Vertretern staunenswerte Tiefblicke in das Mysterium des Todes getan,

aber keiner von den Philosophen erhebt auch nur den Anspruch,

einen praktisch gangbaren Weg zu kennen. der über den Tod hinausführt.

Die Religionen aber sind alle auf dem Glauben aufgebaut,

so sehr, daß dieser Umstand

nach den bei uns herrschenden Begriffen direkt die formale Wesensseite jeder Religion ist,

so daß also ein System, das den Glauben perhorresziert,

eo ipso in keinem Fall als Religion angesprochen werden darf.

Nun kann aber nicht jeder Mensch glauben.

»Es gibt«, wie Schopenhauer sagt*, * Satz vom Grunde, S. 230 (139).

»einen Siedepunkt auf der Skala der Kultur,

wo aller Glaube sich versüchtigt und der Mensch nach besserer Einsicht verlangt.“

sobald er einmal so weit gekommen ist, ist er für den Glauben

und damit für die Religion unwiederbringlich verloren;

denn der Glaube ist – wiederum nach Schopenhauer* – * Parerga ll, s. 427 (412).

wie die Liebe, er läßt sich nicht erzwingen; er gedeiht nur auf dem Boden der Unwissenheit.

Auch ganz abgesehen davon ist es um das bloße Glauben immer ein mißliches Ding,

besonders dann, wenn, wie in unserem Fall, die einzelnen Religionen und Konfessionen

über den Weg, auf dem man den Tod überwinden könne, Verschiedenes lehren,

dabei aber jede beansprucht, daß der von ihr gewiesene der allein richtige sei,

das man also nur ihr, nicht den anderen glauben darf.

Wem soll man da trauen?

Es gibt gar keinen anderen Ausweg,

als die verschiedenen einzelnen Religionen auf ihre Vernunftgemäßheit zu prüfen.

An diese appellieren sie ja in ihrem heißen Bemühen,

sich gegenseitig ihre Anhänger abzujagen, samt und sonders selbst.

Eben dadurch haben dann aber auch alle sich selbst ihr Todesurteil gesprochen.

Denn sie geben damit zu.

Daß schließlich immer wieder das menschliche Erkenntnisvermögen

das Richteramt darüber zu übernehmen habe, was wahr ist und was nicht.

Eben mit den Anforderungen dieses Erkenntnisvermögens aber

geraten sie andererseits in ihren Lehren selbst wieder in den eklatantesten Widerspruch,

was seinen klassischen Ausdruck in dem Satz gefunden hat: Credo, quia absurdum est.

 

Das wird gerade in der heutigen Zeit fühlbar,

wo die Überzeugung von der Unzulänglichkeit der Religionen

allmählich zum Massenphänomen zu werden beginnt

und sich »dem Glauben-sollen“ immer mehr das „Wissen-wollen“

gerade auch in der hier fraglichen Richtung entgegenstellt

Doch wer kann dieses Verlangen befriedigen,

nachdem, wie schon angedeutet, hier auch alle unsere Philosophie vollständig versagt?

Wir scheinen tatsächlich beim Standpunkt jener Vielen angelangt zu sein,

daß hier jedes Wissen unmöglich und, nachdem auch der bloße Glaube unhaltbar geworden sei,

nur mehr völlige Resignation übrig bleibe.

Doch da kommt eben zur rechten Zeit infolge jener geheimen Zusammenhänge im Weltgeschehen,

zufolge deren für jeden unhaltbar gewordenen Zustand

sich die Abhilfe, beziehungsweise der Ersatz, einstellt, aus dem fernen Osten, wie schon so oft, das Heil:

ex oriente lux.

 

Vergegenwärtigen wir uns noch einmal die Situation:

»Das Zeitalter der Naturwissenschaften will nicht mehr glauben, sondern wissen*.«

*Du Prei, Das Rätsel des Menschen, S. 100.

Ja noch mehr, es begnügt sich nicht einmal mehr mit der schwächeren Art von Wissen,

nämlich der rein abstrakten, durch bloße Begriffe vermittelten

oder sogar in bloßen Begriffen bestehenden Erkenntnis,

was speziell in der Zurückweisung aller reinen Begriffsphilosophie, wie sie früher üblich war,

zum Ausdruck kommt,

sondern es will unmittelbare Einsicht, will auch die metaphysischen Vorstellungen

auf die eigene, jedem zugängliche unmittelbare Erfahrung gründen.

Denn nur diese allein gibt wirkliche Gewissheit.

Um das ganz zu verstehen, muß man sich der unvergleichlichen Aufhellung des Verhältnisses

zwischen der anschaulichen und der abstrakten Erkenntnis

durch Schopenhauer, dieses Diamanten seiner Philosophie, erinnern,

welches Verhältnis sich kurz also präzisieren läßt:

 

Die abstrakte Erkenntnis hat ihren ganzen Inhalt nur aus der anschaulichen,

entlehnt ihren ganzen Stoff aus ihr, sie vermag also auch nicht eigentlich neue Erkenntnis zu schaffen,

sondern dient bloß dazu, die gewonnene anschauliche Erkenntnis in feste Begriffe abzusetzen,

sie so zu fixieren und anderen zu vermitteln.

Wahrheit, das heißt die adäquate Auffassung eines seienden im menschlichen Erkenntnisvermögen,

kann also letzten Endes immer nur durch eigene unmittelbare Anschauung gewonnen werden.

»Die Anschauung ist nicht nur die Quelle aller Erkenntnis. sondern sie selbst ist die Erkenntnis zafaonfjiv.

Wie aus dem unmittelbaren Licht der Sonne in den geborgten Widerschein des Mondes,

gehen wir

aus der anschaulichen, unmittelbaren, sich selbst vertretenden und verbürgenden Vorstellung über

zur Reflexion, zu den abstrakten, diskursiven Begriffen der Vernunft,

die allen Gehalt nur aus jener anschaulichen Erkenntnis und in Beziehung auf diese haben,

solange wir uns rein anschauend verhalten, ist alles klar, fest und gewiß.

Da gibt es weder Fragen, noch Zweifeln, noch irren:

man will und kann nicht weiter, hat Ruhe im Anschauen, Befriedigung in der Gegenwart.

Aber mit der abstrakten Erkenntnis, mit der Vernunft, ist im Theoretischen der Zweifel und der Irrtum,

im Praktischen die Sorge und die Reue eingetreten*.«* W. a. W.u. V.1, §§ 8,9; II,Kap. 7.

 

Vollständige Beruhigung verleiht also nur die anschauliche Erkenntnis.

Wenn man sie besitzt, braucht man keinen Glauben mehr;

jeder solche schmilzt angesichts ihrer wie flüssiges Wachs hinweg;

wenn man sie besitzt. ist auch alle bloß abstrakte Erkenntnis mit allen ihren Fehlerquellen überflüssig:

wer sich von der Existenz einer Sache durch eigene Anschauung vergewissert hat.

braucht diese Existenz so wenig zu glauben, wie sie sich erst beweisen zu lassen.

Nur dieser höchste Grad von Wahrheit könnte dem Menschen auch bezüglich des Urproblems,

ob es möglich sei, das Leiden und vor allem den Tod zu überwinden, auf die Dauer genügen.

Diesen höchsten Grad von Wahrheit verlangt unser Zeitalter auch in dieser Beziehung.

 

Nun höre man!

Vor Tausenden von Jahren hat in Indien ein Mann gelebt,

der einerseits dieses große Urproblem der Menschheit wie kein Zweiter in seiner ganzen Reinheit,

frei von allem anderen Beiwerk irgendwelcher Art,

insbesondere auch geläutert

von den anderweiten trüben Abfallprodukten des metaphysischen Erkenntnistriebes,

herauskristallisiert hat

und der von sich behauptet, das Problem derart gelöst zu haben,

daß jeder aus eigener Anschauung, aus eigener unmittelbarer Einsicht

von der Richtigkeit dieser Lösung sich überzeugen,

ja, sie selbst jederzeit, wenn er nur will, unmittelbar an sich selbst erproben kann,

der also nicht, wie unsere Religionen,

bloß einen Wechsel auf eine ungewisse Zukunft nach dem Tode ausstellt.

Und es trifft sich, daß die Lehre dieses Mannes,

den viele den Größten der Arier und damit den Größten aller Menschen nennen,

gerade jetzt zu uns Europäern herüberdringt,

wo wir sehnsüchtig nach einer Lehre Ausschau halten,

die uns einerseits den Kernpunkt aller Religionen und aller Metaphysik rein und ungemischt darbietet

und andererseits seine Lösung nach der Methode der exakten Naturwissenschaften,

nämlich auf dem Wege des eigenen Experiments, verbürgt.

Es ist die Lehre Gotamos, des Buddho *, des Erwachten, der Gipfelpunkt indischer Weisheit.

* Gotamo war der Familienname.

Ist es da zu verwundern,

wenn alle, die an der großen Frage des im Tode kulminierenden Leidens nicht gleichgültig vorübergehen

und die dabei als Kinder einer wissens-hungrigen Zeit

auch nicht mehr glauben können, sondern wissen wollen,

sich mehr und mehr auch bei uns um diese Lehre zu scharen anfangen

und diese für sie den Thron der nicht mehr befriedigenden Religionen einzunehmen beginnt?

 

Fürwahr, man nenne einen zweiten Sterblichen,

der das große Problem der Menschheit, wie dem Leiden und vor allem dem Tode zu entrinnen sei,

auch nur so in seiner ganzen Reinheit aufgestellt

und zum ausschließlichen Gegenstande seiner Lehre und seines Lebens gemacht hatte,

wie eben der Buddho!

 

Die Lösung dieses Problems des Leidens

war von allem Anfang an die große Aufgabe, die er sich gestellt hatte.

Um ihretwillen verzichtete er,

der die Anwartschaft auf die Krone seines Vaters, eines indischen Kleinkönigs, hatte,

auf diese Krone, auf Reichtum, Weib und Kind und »zog noch in frischer Blüte,

glänzend, dunkelhaarig im Genuß glücklicher Jugend, im ersten Mannesalter,

gegen den Wunsch seiner weinenden und klagenden Eltern, mit geschorenem Haar und Bart,

mit gelbem Gewand bekleidet, vom Hause fort in die Heimlosigkeit hinaus*“,

* Majj. Nik. l, p. 163 (36. Suttam).

um zu erfahren, ob es nicht etwa möglich wäre, dieser ganzen Leidensverkettung ein Ende zu machen *.

* Majj. Nik. l, p. 196 (29. Suttam).

Wenn der Bericht, der uns die Motive seiner Weltflucht in ihren Einzelheiten übermittelt,

auch nur Legende ist,

so ist diese Legende doch so schön und so sehr im Geiste seiner Lehre, kennzeichnet

und umgrenzt ihren Inhalt bereits von allem Anfang an so scharf und richtig,

daß sie hier wiedergegeben sei:

 

»Schon bei der Geburt des Prinzen Siddhattho – der ursprüngliche Name des Buddho –

sagten die Brahmanen,

welche als Priester und Astrologen am Hofe seines Vaters, des Königs Suddhodano lebten,

die künftige Bestimmung des Kindes voraus.

Sie prophezeiten: Wenn Prinz Siddhattho den Thron besteigt,

so wird er ein König der Könige, ein Weltbeherrscher werden;

wenn er aber dem Thron entsagt und das Leben eines Asketen erwählt,

so wird er ein Weltüberwinder, ein vollendeter Buddho werden‘;

und der Büßer Kaladewalo eilte aus der Wildnis des Himalaya herbei, warf sich vor dem Kind zur Erde

und sprach: ‚Wahrlich, dieses Kind wird einst ein höchst vollendeter Buddho werden

und den Menschen den Weg zur Befreiung weisen.‘

Und er weinte, da er wußte, daß er bei seinem hohen Alter diesen Zeitpunkt nicht mehr erleben könne.

Der König aber

suchte durch alle ihm zu Gebote stehenden Mittel die Erfüllung dieser Weissagung zu verhindern;

denn er wünschte, daß Prinz Siddhattho ein weltbeherrschender Monarch werde.

Da die Brahmanen ihm gesagt hatten,

daß der Anblick des menschlichen Leidens und der irdischen Vergänglichkeit

den Prinzen zur Weltflucht veranlassen werde,

hielt er aus der Nähe seines Sohnes alles fern,

was diesem Kenntnis vom menschlichen Elend und vom Tode hätte geben können.

Er umgab ihn mit allen Genüssen und allem königlichen Glanz,

um ihn recht fest ans Weltleben zu fesseln.

Als er zum Jüngling heranwuchs, lies ihm sein Vater drei Paläste erbauen,

für jede der drei indischen Jahreszeiten – die heiße, die kalte und die Regenzeit – je einen.

Alle waren ausgestattet mit der größten Pracht.

Ringsumher breiteren sich weite Gärten und Haine aus,

mit klaren, von Lotosblumen umgrenzten Teichen, kühlen Grotten, plätschernden Quellen

und Beeten voll der schönsten Blumen.

In diesen Gärten und Hainen verlebte der Prinz seine Jugend,

aber er durfte sie nicht verlassen,

und allen Armen, Kranken und Greisen war der Zutritt aufs strengste verwehrt.

Söhne aus den edelsten Familien des Landes bildeten seine Umgebung.

In seinem sechzehnten Jahre vermählte ihn sein Vater mit der Prinzessin Yasodhara,

und außerdem umgab er ihn mit einem ganzen Harem

von schönen, in Tanz, Gesang und Saitenspiel geschulten Mädchen,

wie es damals bei den indischen Fürsten der Brauch war.

Als er nun eines Tages im Parke spazieren fuhr,

bemerkte er plötzlich einen gebrechlichen alten Mann, mit von der Last der Jahre gekrümmtem Rücken,

der, auf einen Stab gestützt, mühsam dahinschlich.

Siddhattho fragte verwundert seinen Wagenlenker Tschanno, was für ein seltsames Wesen das sei, und Tschanno antwortete. es sei ein Greis. –

‚Wurde er in diesem Zustand geboren?‘ fragte der Prinz weiter. –

‚Nein, Herr, er war einst jung und blühend, wie du.‘ –

»Gibt es mehr solcher Greise?‘ forschte der Prinz immer erstaunten –

‚Sehr viele, Herr! ( – )

Und wie geriet er in diesen beklagenswerten Zustand?‘ ( – )

Es ist der Lauf der Natur.

daß alle Menschen alt und gebrechlich werden müssen, sofern sie nicht in jungen Jahren sterben. ( – )

Auch ich, Tschanno? ( – ) Auch du, Herr!‘

Dieser Vorfall stimmte den jungen Prinzen so nachdenklich,

daß er befahl, nach Hause zurückzufahren, da er alle Freude an der schönen Umgebung verloren hatte.

Einige Zeit hernach erblickte er bei einer abermaligen Ausfahrt einen Aussätzigen.

und als ihn auf seine Frage Tschanno auch über diese Erscheinung aufklärte,

wurde er so tief ergriffen,

daß er fortan alle Lustbarkeiten mied und über das menschliche Elend nachzugrübeln begann.

Nach Verlauf einer längeren Zeit wurde ihm die dritte Erscheinung zuteil.

Er sah einen bereits in Verwesung befindlichen Leichnam am Wege liegen.

Auf das heftigste erschüttert, kehrte er sofort nach Hause zurück, indem er ausrief:

‚Weh mir, was nützt mir aller königlicher Glanz, alle Pracht und aller Genuß,

wenn sie mich nicht vor dem Greisenalter, der Krankheit und dem Tode bewahren können!

Wie unglücklich sind die Menschen!

Gibt es denn kein Mittel, dem Leiden und dem Tod, die sich mit jeder Geburt erneuern,

auf immer ein Ende zu machen?‘

Diese Frage beschäftigte ihn fortan unausgesetzt.

Die Antwort wurde ihm bei einer späteren Ausfahrt.

Es erschien ihm ein Asket im gelben Gewand, wie es die buddhistischen Mönche tragen,

dessen ehrwürdige Züge den tiefen Frieden seines Inneren deutlich widerspiegelten.“

 

Diese Erscheinung wies ihm den Weg, auf dem er die Lösung seines großen Problems zu suchen hatte.

Es reifte in ihm der Entschluß heran,

gleich jenem ehrwürdigen Asketen die Welt zu verlassen und in die Wildnis zu gehen,

ein Entschluß. den er dann auch alsbald in die Tat umsetzte in der unerschütterlichen Überzeugung,

daß es ihm beschieden sein werde, das Ende des Leidens in jeder Form zu erschauen.

 

Diesem seinem großen Problem galten die folgenden sechs Jahre furchtbarster Selbstkasteiung,

auf die ihn die damalige indische Sitte als dem Weg zur Wahrheitserschauung zunächst verwies

und von der er selber sagt:

»Was für Asketen und Brahmanen auch je in der Vergangenheit – in der Zukunft – in der Gegenwart –

herantretende schmerzliche, brennende, bittere Gefühle erfahren haben – erfahren werden – erfahren:

das ist das Höchste, weiter geht es nicht. *“

* Majj. Nik. I, p. 246 (25. Suttam).

Diesem einzigen Ziel galt dann auch jene Zeit stiller Selbstvertiefung,

in die er sich, als er sich von der Nutzlosigkeit aller schmerzens-Askese überzeugt hatte, versenkte

und die ihm dann schließlich auch die Lösung seines großen Problems brachte.

Triumphierend teilte er sie als den Ersten den fünf Mönchen mit,

die in den Zeiten der Selbstpeinigung um ihn gewesen waren,

ihn aber verlassen hatten, als er diesen Weg als einen Irrweg erkannt hatte:

»Heilig, Mönche, ist der Vollendete, der vollkommen Erwachte.

Leiht Gehör, Mönche, die Todlosigkeit ist gefunden.

Ich führe ein, ich lege die Lehre dar.

Der Führung folgend, werdet ihr in gar kurzer Zeit

dieses Ziel noch in dieser Erscheinung euch offenbar machen, verwirklichen und erringen*.‘

* Majj. Nik. I, p. 172 (26. Suttam).

In der Tat fanden auch sie alsbald gleich dem Meister

„die geburtlose, alterlose, krankheitlose, todlose, schmerzlose, schmutzlose, unvergleichliche Sicherheit*“,

fanden das Ende des Leidens.

* Majj. Nik. l, p. 173 (26. Suttam).

 

Diese Botschaft vom Ende des Leidens

bildete auch weiterhin das einzige Thema des Buddho, des Erwachten,

wie er sich von da an selber nannte.

Ihrer Verkündung waren die noch folgenden fünfundvierzig Jahre seines Lebens geweiht.

Täglich, ja stündlich, konnte er von sich sagen:

»Nur eines verkünde ich heute, wie früher, das Leiden und seine Vernichtung*.»

* Majj. Nik. I, p. 140 (22. Suttam).

»Wie das große Meer, Mönche,

nur von einem Geschmack durchdrungen ist, vom Geschmack des Salzes,

so ist auch, Mönche, diese Lehre und Ordnung nur von einem Geschmack durchdrungen,

vom Geschmack der Erlösung*.» (* Cullavaggo IX, I, 4.)

Diesen einzigen Inhalt seiner Lehre hat er auch schon äußerlich dadurch kenntlich gemacht,

daß er sie in die vier Hohen Wahrheiten vom Leiden zusammenfaßte,

in denen alles Gute mitinbegriffen sei:

„Gleichwie etwa, Brüder, alles Lebendige, Bewegliche, Fußbegabte in der Elefantenspur mit fortkommt, die Elefantenspur ist ja der Größe wegen als die vornehmste ihrer Art bekannt;

ebenso nun auch, Brüder, stellt sich alles Gute in den vier Hohen Wahrheiten ein, in welchen vier?

In der Hohen Wahrheit vom Leiden,

in der Hohen Wahrheit von der Leidensentstehung,

in der Hohen Wahrheit von der Leidensvernichtung,

in der Hohen Wahrheit von dem zur Leidensvernichtung führenden Pfad*.“

* Majj. Nik. I, p. 184 (28. Suttam).

 

Zwar war sein Wissen nicht auf diese vier Hohen Wahrheiten beschränkt,

sein Geist hatte die Abgründe des Seins

auch noch nach anderen Richtungen hin tiefer als irgendein anderer sterblicher durchdrungen;

aber mit ausgesprochener Absichtlichkeit hat er davon der Menschheit nichts mitgeteilt,

sondern sich ausschließlich auf die vier Hohen Wahrheiten beschränkt:

»Zu einer Zeit weilte« der Erhabene zu Kosambi im Sinsapawald.

Und der Erhabene nahm wenige Sinsapablätter in seine Hand und sprach zu den Mönchen:

»Was meint ihr, Mönche, was ist mehr, diese wenigen Sinsapablätter,

die ich in die Hände genommen habe oder die-anderen Blätter droben im Sinsapawald?“ –

»Die wenigen Blätter, Herr, die der Erhabene in die Hand genommen hat, sind gering,

und viel mehr sind jene Blätter droben im Sinsapawald.« –

»so auch, Mönche, ist das viel mehr, was ich erkannt und euch nicht verkündet,

als das, was ich euch verkündet habe.

Und warum, Mönche, habe ich euch jenes nicht verkündet?

Weil es euch, Mönche, keinen Gewinn bringt, „weil es nicht den Wandel in Heiligkeit fördert,

weil es nicht zur Abkehr vom Irdischen, zum Untergang aller Lust;

zum Aufhören des Vergänglichen, zum Frieden, zur Erkenntnis, zur Erwachung, zum Nibbanam führt.

Deshalb habe ich euch jenes nicht verkündet.

Und was, Mönche, habe ich euch verkündet?

Was das Leiden ist, Mönche, habe ich euch verkündet;

was die Entstehung des Leidens ist, Mönche, habe ich euch verkündet;

was die Aufhebung des Leidens ist, Mönche, habe ich euch verkündet;

was der Weg zur Aufhebung des Leidens ist, Mönche, habe ich euch verkündet*.«

* Samyutta Nik. vol. V, pag. 437 f. (LVI, 31).

 

Ja, der Buddho geht so weit,

daß er jede über diesen ausschließlich praktischen Zweck hinausgehende Problemstellung,

alle irgendwie theoretischen Fragen und spekulativen Untersuchungen,

insbesondere auch über das Wesen der Welt oder von uns selbst,

verwirft als Ausfluß des Hanges zur Vielwisserei,

der nur in »eine Gasse der Ansichten, ein Gestrüpp, eine Schlucht der Ansichten« einmünde

und so den unerfahrenen Erdensohn nur noch tiefer ins Leiden verstriche*.

* Majj. Nik. 1.p. 8 (2. Suttam).

Hiernach lehrt der Buddho also insbesondere auch keinerlei System der Philosophie, nicht nur keine Metaphysik, sondern auch keine Ontologie oder Dianoiologie.

Zur Welt als solcher, ihrer Entstehung, Dauer, ihren Gesetzen,

verhält er sich als letzten Endes

für den Menschenzwecklosen »Weltansagen, Weltauskünften unberührsam*«. * Digha Nik. IX.

Für ihn hat all das nur Interesse,

soweit es für die Frage der praktischen Leidensvernichtung von Bedeutung ist.

Deshalb werden bei seiner Lehre auch jene Philosophen,

die, vom Durste nach Erkenntnis als Selbstzweck bestochen,

alle Rätsel des Daseins gelöst haben wollen, nicht auf ihre Rechnung kommen,

können nicht auf ihre Rechnung kommen,

da für den Buddho, wenn für irgend einen, das Wort gilt: non meum est docere doctores.

Abgesehen davon, das das Welträtsel als solches zu denjenigen gehört, mit denen zu befassen, Verstörung mit sich bringt*, (* Angutt. Nik. lV, 77)

und das diejenigen. welche sich mit ihm abgeben, den Blindgebornen gleichen, die man einen Elefanten hat betasten lassen:

der eine hat den Kopf, der andere den Rüssel, der dritte den Fuß, der vierte den Schwanz betastet,

und nun ruft ein jeder: »der Elefant sieht so aus – nein, er sieht so aus«,

bis sich aus dem Kampf der Ansichten ein Kampf der Fäuste entspinnt*, (* Udanam Vl. 4)

verkennen solche Forscher die ganze Situation,

in der sie sich befinden und die der Lage von Gelehrten vergleichbar ist,

welche, in eine öde Wüste geraten und von allen Seiten von wilden Tieren bedrängt,

statt auf Abwehr derselben und weiterhin auf eigene Rettung zu sinnen,

zoologische Studien über die sie angreifenden Tiere mit dem Erfolg anstellen,

daß sie schließlich von diesen samt den Resultaten ihrer Studien aufgefressen werden.

Der Buddho selbst würdigt ihren Standpunkt, wie folgt:

 

»Gleichwie etwa, Malunkyaputto, wenn ein Mann von einem Pfeil getroffen wäre,

dessen Spitze mit Gift bestrichen wurde,

und seine Freunde und Genossen, Verwandte und Vettern bestellten ihm einen heilkundigen Arzt;

der aber spräche: »Nicht eher will ich diesen Pfeil herausziehen, bevor ich nicht weiß,

wer jener Mann ist, der mich getroffen hat,

ob es ein Fürst oder ein Brahmane, ein Bürger oder ein Diener ist(;

er aber spräche: »Nicht eher will ich diesen Pfeil herausziehen,

bevor ich nicht weiß, wer jener Mann ist, der mich getroffen hat,

wie er heißt, woher er stammt oder hingehört‘;

er aber spräche: »Nicht eher will ich diesen Pfeil herausziehen,

bevor ich nicht weiß, wer jener Mann ist, der mich getroffen hat,

ob es ein großer oder ein kleiner oder ein mittlerer Mensch ist! …

er aber spräche: »Nicht eher will ich diesen Pfeil herausziehen,

bevor ich den Bogen nicht kenne, der mich getroffen hat, ob er kurz oder lang gewesen‘;

er aber spräche: »Nicht eher will ich diesen Pfeil herausziehen,

bevor ich die sehne nicht kenne, die mich getroffen hat,

ob es eine Saite, ein Draht oder eine Flechse, ob es Schnur oder Bast war‘;

er aber spräche: »Nicht eher will ich diesen Pfeil herausziehen,

bevor ich den Schaft nicht kenne, der mich getroffen hat, ob er aus Rohr oder Binsen ist«; …

er aber spräche: »Nicht eher will ich diesen Pfeil herausziehen,

bevor ich die Spitze nicht kenne, die mich getroffen hat,

ob sie gerade oder krumm oder hakenförmig ist,

oder ob sie wie ein Kalbzahn oder wie ein Oleanderblatt aussieht‘:

nicht genug könnte, Mdlunkydputta, dieser Mann erfahren; denn er stürbe hinweg.

 

»Ebenso nun auch, Malunkyaputto, ist es, wenn einer da spricht:

‚Nicht eher will ich beim Erhabenen das heilige Leben führen,

bis mir der Erhabene mitgeteilt haben wird, ob die Welt ewig ist oder zeitlich ist,

ob die Welt endlich ist oder unendlich ist,

ob Leben und Leib ein und dasselbe oder anders das Leben und anders der Leib ist,

ob der Vollendete nach dem Tode besteht oder nicht besteht

oder besteht und nicht besteht oder weder besteht noch nicht bestehen-,

nicht genug könnte-, Mdiunhydputta, der Vollendete einem solchen mitteilen: denn er stürbe hinweg.

 

»Wenn die Ansicht ‚Ewig ist die Welt‘, Malunkyaputto, besteht, kann heiliges Leben bestehen:

Das gilt nicht. Wenn die Ansicht ‚Zeitlich ist die Welt‘,

Mälunkyaputto. besteht. kann heiliges Leben bestehen: auch Das gilt nicht.

Ob die Ansicht ‚Ewig ist die Welt‘, Malunkyaputto, besteht oder die Ansicht ‚Zeitlich ist die Welt‘:

sicher besteht Geburt, besteht Altern, besteht Sterben,

besteht Wehe, Jammer, Leiden, Gram und Verzweiflung,

deren Zerstörung schon bei Lebzeiten ich kennen lehre*,“

* Majj. Nik. l, p. 429 (39. Suttam).

 

Es ist also wirklich nur wiederum ein Zeichen der überragenden Weisheit des Buddho,

daß er aus dem Meere der Wahrheit, in das er sich versenkt hatte.

gerade nur so viel mitgeteilt hat, als zur Rettung aus unserer verzweifelten Lage nötig ist;

jedes Mehr würde den Geist nur vom großen Ziel, alle Kräfte auf diese Rettung zu verwenden, ablenken.

 

Natürlich aber erschöpfen deswegen die vier Hohen Wahrheiten nun nicht alle Wahrheiten,

die der Buddho anerkennt.

Er läßt selbstverständlich alle Wahrheiten gelten,

die der menschliche Geist je gefunden hat und noch finden wird;

ja, er übernimmt manche von ihnen direkt in seine Lehre, wie die Wiederverkörperung,

eben weil sie wahr sind:

»Wovon die Weisen erklären: ‚Es ist nicht in der Welt‘,

davon sage auch ich: »Es ist nicht‘,

und wovon die Weisen erklären: ‚Es ist in der Welt‘,

davon sage auch ich: »Es ist‘*.“ (* Samyutta Nik. XXlI. 94)

Allein gerade weil diese Wahrheiten der Menschheit auch ohne ihn schon bekannt waren

und auch ohne einen »vollkommen Erwachten« gefunden werden können,

erkennt er sie nicht als das Auszeichnende seiner Lehre an.

Was er der Menschheit gegeben hat, das ist etwas ganz Einziges,

etwas, das sie von keinem anderen je wieder erhalten könnte,

einen zweiten vollkommen Erwachten ausgenommen:

es ist »die Lehre, die nur Vollkommen-Erwachte zu enthüllen vermögen*«.

(* Majj. Nik. Il, p. 145 (63. Suttam))

Freilich hat auch die Menschheit selbst in ihren größten Repräsentanten

tiefe Einblicke in das Leiden, seine Entstehung, Vernichtung

und den Weg, der zu dieser Vernichtung führt, getan.

Bei der das ganze All wie das Leben jedes Einzelnen beherrschenden Tatsache des Leidens

wäre es ja auch geradezu unbegreiflich, wenn dem nicht so wäre.

Allein das waren immer nur einzelne Lichts und Tiefblicke,

waren nur Teilerkenntnisse, die zu keinem durchgreifenden Resultate führen konnten.

Das gilt von der modernen Philosophie Schopenhauers,

der wie kein zweiter im Abendland die Leidensnatur alles Lebenden aufgezeigt hat.

 

Aber dabei doch den »Weg und den Steg“ nicht finden konnte, der aus diesem Leiden herausführt,

nicht weniger als von den alten Upanischaden,

die in ihrer Größe einzig von der Lehre des Buddho überragt werden.

 

Auch sie stehen gerade so weit hinter ihr zurück,

als sie die Tatsache des Leidens nicht zu ihrem ausschließlichen Inhalt haben,

nicht überall und nicht immer Leiden sehen

und deshalb auch nicht den deutlichen Weg zu seiner restlosen Vernichtung kennen*.

* Schon danach kann man beurteilen,

ob es wirklich ein Vorzug der Upanischaden vor der Lehre des Buddho ist,

daß sie nur gelegentlich von der Leidensnatur der Welt sprechen,

wie das Deussen in seiner Einleitung zur Maitrayanas-Upanischad –

»sechzig Upanischaden des Veda“ S. 313 – in den Worten durchblicken läßt:

»Der Pessimismus ist auch den alten Upanischaden nicht fremd;

aber Deklamationen über das Elend des Daseins wie diese hier

wurden wohl erst nach Ausbildung des Sankhyam

und nach dem Aufkommen des Buddhismus Brauch.“ –

Es ist klar, daß, was hier als Vorzug der Upanischaden

und als Nachteil der Lehre des Buddho dargestellt wird,

in dem Augenblick sich in sein Gegenteil verkehrt,

in dem die Einsicht aufgeht, daß die vier Hohen Wahrheiten des Buddho

wirklich in ihrem vollen Umfang und ohne jede Einschränkung zutreffen,

indem dann ja jede Erkenntnis, die nicht letzten Endes auf Leiden stößt, Leiden aufdeckt,

eben deshalb nicht bis zum tiefsten Grunde geschürft hat, mithin unvollkommen ist. –

lm übrigen wird auf den Unterschied der Lehre der Upanischaden von der des Buddha

später noch zurückzukommen sein.

 

Der Buddho bringt uns also zunächst das Ur- und Grundproblem unseres Lebens,

wie wir dem Leiden und vor allem dem Leid des Todes entgehen können,

wie kein anderer zum Bewußtsein.

Er verheißt uns aber weiterhin seine Lösung in der höchstmöglichen Form von Gewißheit,

nämlich durch Erweckung unserer eigenen anschaulichen Erkenntnis,

seine Lehre ist zunächst frei von jeder mythologischen oder allegorischen Einkleidung,

wie sie den Religionen eigentümlich ist:

»Gleichwie etwa, wenn sich da in der Nähe eines Dorfes oder einer Stadt ein großer Salbaum befände,

und vergänglich wechselnd fielen Blätter und Zweiglein von ihm ab,

fiele Geäst und Rinde und Grünholz ab,

so daß er späterhin frei von Blättern und Zweiglein, frei von Geäst und Rinde, frei von Grünholz,

rein aus Kernholz bestände;

ebenso nun auch ist hier des Herrn Gotamo Darstellung frei von Blättern und Zweiglein,

frei von Geäst und Rinde, frei von Grünholz, rein aus Kernholz bestanden*.“

* Mij Nik. I, p. 488 (72. Suttam).

Der Buddho verschmäht aber auch jedes Theoretisieren:

»Der Vollendete ist frei von jeder Theorie; denn er hat es gesehen«, sagt er von sich selbst*.

* Majj. Nik. I, p. 486 (72· Suttam).

Nicht einmal mit logischen Schlußfolgerungen, die irgendwie die unmittelbare Anschauung verlassen,

gibt er sich ab.

Das einzige Kriterium der Wahrheit ist

und bleibt für ihn immer die höchsteigene, unmittelbare, anschauliche Erfassung der Wahrheit.

Es ist nur die selbstverständliche Konsequenz davon,

wenn er auch keinerlei Glauben für seine eigene rein beschreibende Darstellung

des von ihm angeblich anschaulich Erkannten verlangt,

ja, seine Mönche sogar auffordert, auch von ihm selbst nichts auf Treu und Glauben anzunehmen

und nur das gelten zu lassen, was sie selbst geschaut hätten:

»Werdet ihr nun, Mönche, so erkennend, so verstehend, vielleicht sagen:

‚Dem Meister zollen wir Verehrung, aus Verehrung vor dem Meister reden wir so?‘ –

‚Wahrlich nicht, oh Herr.‘ –

‚Wie nun, Mönche,

so sagt ihr einzig das, was ihr selbst durchdacht, selbst erkannt, selbst verstanden habt?‘ –

‚So ist es, oh Herr.‘ –

’Recht so, Mönche, enthüllt habe ich euch diese Lehre, klar sichtbar, jederzeit zugänglich,

sie heißt: ‚Komm und sieh!‘*«“ * Majj. Nik. I, p. 265 (38. Suttam).

Und weiterhin: »Glaube nicht, oh Bhaddiyo, nach Hörensagen,

nicht nach Traditionen, nicht nach Gerüchten,

nicht nach dem überlieferten Wort, nicht nach bloßen Vernunftgründen,

nicht allein nach logischen Schlußfolgerungen, nicht nach dem äußeren Schein,

nicht danach, ob etwas übereinstimmt mit deinen Ansichten, die du hegst und billigst,

nicht danach, ob dir etwas wahr dünkt,

denke auch nicht: der Asket“ – eben der Buddho selbst – „ist mein Meister,

sondern wenn du, Bhaddiyo, selber erkennst:

Diese Dinge sind böse, diese Dinge führen zum Unheil und Leiden, so mögest du sie verwerfen*.“

(* Angutt. Nik. IV, 193)

Insbesondere warnt er noch oftmals, auf irgend welche überlieferte Glaubenssätze etwas zu geben;

denn: man „erinnert sich gut und erinnert sich schlecht*«,

(* Majj. Nik. l, p. 520 (76. Suttam))

er vergleicht die Gläubigen auch mit einer „Reihe aneinander geschlossener Blinder,

von denen kein erster sieht und kein mittlerer sieht und kein letzter sieht*«,

(* Majj. Nik. II, p. 170 (95. Suttam))

warnt speziell auch, sich auf die Gedankengänge irgend eines spekulierenden Philosophen zu verlassen;

denn ein solcher »philosophiert gut und philosophiert schlecht*«.

(* Majj. Nik. I. p. 520 (76. Suttam))

Nur die eigene unmittelbare Einsicht hat Wert,

und auch die Lehre des Buddho selbst hat nur insofern Wert, als sie diese eigene Einsicht ermöglicht: »Und der Meister legt ihm die Lehre dar,

weit und weiter, erhaben und erhabenen mit ihren Teilen von Gut und Böse.

Wie nun der Meister die Lehre darlegt,

weit und weiter, erhabener und erhabenen mit ihren Teilen von Gut und Böse,

wird sie dem Jünger klarer und klarer und Satz um Satz erschließt sich ihm.

Bei wem da, Mönche, das Vertrauen zum Vollendeten

mit solchem Anhalt,

auf solche Weise, unter solchen Umständen Boden gefunden, Wurzeln geschlagen, Triebe angesetzt hat,

das wird, Mönche, wohlbegründetes Vertrauen genannt,

in der eigenen Anschauung wurzelnd, stark,

und kein Asket oder Brahmane, kein Gott und kein Teufel, kein Brahma noch irgendeiner in der Welt

kann es ausroden.

Das ist die Art, Mönche, wie man heim Vollendeten die Lehre prüft,

und das ist die Art, wie der Vollendete der Lehre gemäß wohl geprüft wird*.« –

(* Majj. Nik. l, p. 319 (47. Suttam))

»Nicht kann man, Mönche, gleich am Anfang Gewißheit erlangen, sondern allmählich sich mühend, allmählich kämpfend, schritt um schritt weiterschreitend. erlangt man Gewißheit.

Wie aber erlangt man, allmählich sich mühend, allmählich kämpfend, Schritt um Schritt weiterschreitend,

Gewißheit?

Da kommt einer heran, Mönche. von Zutrauen bewogen.

Herangekommen gesellt er sich zu.

Zugesellt gibt er Gehör.

Offenen Ohres hört er die Lehre.

Hat er die Lehre gehört, behält er sie.

Hat er die Sätze behalten, betrachtet er den Inhalt.

Hat er den Inhalt betrachtet, gewähren ihm die Sätze Einsicht.

Indem ihm die Sätze Einsicht gewähren, billigt er sie.

Indem er sie billigt, wägt er ab.

Hat er abgewogen, arbeitet er,

und weil er unermüdlich arbeitet,

verwirklicht er eben leibhaftig die höchste Wahrheit und weise durchbohrend erschaut er sie*.«

(* Majj. Nik. I. p. 479 (70. Suttam))

 

Hiernach verlangt der Buddho von seinen Jüngern nur Eines,

nämlich die Beschreitung des von ihm gewiesenen Weges,

auf welchem man selber die anschauliche Erkenntnis der Wahrheit gewinnen kann.

Dieses Minimum von Vertrauen,

wenigstens einmal den von ihm gewiesenen Weg zur Entdeckung der Wahrheit zu versuchen,

kann freilich auch er nicht entbehren,

kann es wohl aber auch als anima candida,

als ein Mann, der offensichtlich keinerlei selbstsüchtige Zwecke mehr verfolgt, verlangen.

Ist ihm aber nur erst einmal

dieses Mindestmaß von Vertrauen, das in der Welt ganz unentbehrlich ist, entgegengebracht

und der von ihm gewiesene Weg, den er mit der Genauigkeit einer Generalstabskarte beschreibt,

erst einmal beschritten,

dann ergibt sich alles Weitere von selbst,

indem schon gar bald die vorausgesagten Lichtblicke und ungeahnten Ergebnisse der Reihe nach,

den nach und nach erreichten Stationen eines Wanderers auf der Landstraße vergleichbar,

sich einstellen

und so das anfängliche Vertrauen von selbst immer mehr

in die unerschütterliche Gewißheit

von der Richtigkeit auch der noch nicht zurückgelegten Wegstrecke übergeht:

»Wer da, Mönche, ein Meister ist, der der Welt nachgeht, mit weltlichen Dingen sich abgibt,

selbst der wird nicht wie ein Krämer und Trödler behandelt,

(indem man von ihm verlangt): ‚so möchten wir es haben, dann wollen wir uns einlassen;

können wir es nicht so haben, wollen wir uns nicht einlassen.‘

Warum denn, Mönche, der Vollendete, der gänzlich von weltlichen Dingen losgelöst ist?

Dem vertrauenden Jünger, Mönche, der im Orden des Meisters mit ernstem Eifer sich übt,

geht die Zuversicht auf:

Meister ist der Erhabene, Jünger bin ich, der Erhabene weiß, ich weiß nicht.

Dem vertrauenden Jünger, Mönche, der im Orden des Meisters mit ernstem Eifer sich übt,

teilt sich der Orden des Meisters erquickend mit und köstlich,

ihm geht die Zuversicht auf: Gerne sollen Haut und Sehnen und Knochen einschrumpfen an meinem Leib, auftrocknen Fleisch und Blut:

was da durch Mannesgewalt, Manneskraft, Mannestapferkeit

erreicht werden kann, nicht bevor es erreicht ist, wird die Kraft nachlassen*.“

(* Majj. Nik. l, p. 480 (70. Suttam))

Der Buddho verlangt also nicht mehr Vertrauen, als man einem Wegweiser entgegenbringen muß,

aber auch nicht weniger als ein solcher;

»Das kann ich, Brahmane, hierbei tun: Wegweiser ist der Vollendete*.«

(* Maji. Nik. lll. p. 6 (107. Suttam))

 

Entsprechend diesem seinem Standpunkt

fehlen in seinen Reden auch alle und jede rein abstrakten Begriffe

und kommen nur solche vor, die unmittelbar aus der Anschauung abgezogen sind,

die jederzeit ohne weiteres in sich evident sind,

gerade so wie ja auch in einem Reisehandbuch

schwierige Fachausdrücke der Physik, Geologie usw. nichts zu tun haben.

 

Will so der Buddho die eigene anschauliche Erkenntnis der Wahrheit vermitteln,

so entsteht nunmehr die Frage, welcher Art denn diese Anschauung sei,

die zu so außerordentlichen Resultaten, wie er sie in Aussicht stellt, führen könnte.

Im Objekt kann ihre Besonderheit nicht liegen,

da auch der Buddho es mit der uns umgebenden Welt zu tun hat.

Es kann also nur eine eigene Art, die Dinge anzuschauen, sein. die er uns lehren will.

Und in der Tat

besteht ihr Geheimnis in einer außerordentlichen Vertiefung der normalen Betrachtungsart der Dinge.

Der Buddho trifft hier vollständig mit Schopenhauer zusammen.

Wie dieser geht auch er zunächst davon aus, daß es verschiedene Grade dieser anschaulichen Erkenntnis gebe, angefangen vom stumpfsinnigen Blick, mit welchem das Tier in die Welt hineinschaut,

bis hinauf zu dem in die Tiefen dringenden Blick des Genies;

und eben die Vermittlung dieser von Schopenhauer

sogenannten genialen Betrachtungsart der Dinge in Form der reinen Kontemplation

ist das Ziel des Buddha das er jedem vorsteckt.

Er gibt nicht nur im Detail die einzelnen Stufen an, die zu ihr hinaufführen,

sondern er lehrt auch die immer größere Vervollkommnung dieser reinen Kontemplation

selbst bis hinauf zum Gipfel, wo „sie der Welt den Schleier hinwegnimmt*“.

(* Majj. Nik. Il, p. 134 (91. Suttam))

 

Auch in den Voraussetzungen, unter denen diese reine Kontemplation zustande kommt,

trifft der Buddho mit Schopenhauer* zusammen.

Ganz ebenso nämlich,

wie sie bei Schopenhauer durch ein so tiefes Schweigen des Willens einerseits

und eine solche Energie der anschauenden Tätigkeit andererseits bedingt ist,

daß sogar die Individualität aus dem Bewusstsein verschwindet

und der Mensch als reines Subjekt des Erkennens übrig bleibt,

muß auch nach dem Buddha durch Beseitigung aller und jeder Willensregung

eine derart vollständige Gemütsruhe – samatho – herbeigeführt werden,

daß »die Gedanken des Ich und des Mein sich nicht mehr erheben«,

und andererseits die äußerste Energie in der Anschauung erzeugt werden,

wenn »das Auge des Erkennens« aufgehen soll,

indem insbesondere die „Hemmungen“ der geistigen Schlaffheit und des Schwankens

aufgehoben werden müssen;

und wie man nach Schopenhauer, um geniale Gedanken zu haben,

sich der Welt so gänzlich entfremden muß,

daß einem die allergewöhnlichsten Vorgänge als völlig neu und unbekannt erscheinen,

so hat auch nach dem Buddho der »durchdringende Blick“ die »Loslösung« zur Voraussetzung,

wird durch die »Entfremdung“ bedingt, „fern von Sinnenlüsten, fern von unheilsamen Geisteszuständen“.

Sogar finden wir den adäquaten Ausdruck für das »reine Subjekt des Erkennens«

in den Worten wieder, mit denen die Jünger in den Sutten häufig den Meister charakterisieren,

indem sie ihn »den Aug-gewordenen, den Erkenntnisgewordenen“ heißen.

 

Aber der Buddho weicht hier in zwei Punkten von Schopenhauer ab oder geht vielmehr über ihn hinaus,

zunächst, was das Objekt der Kontemplation anlangt.

Er lehrt nämlich, indem er im Übrigen

die Betrachtung der uns allein zugänglichen Welt als die normale und ausreichende ausdrücklich betont,

daß auf den höchsten Graden der »Entfremdung«, der »Loslösung«,

wenn man in vollständigem Gleichmut alles hat fahren lassen

und damit den Blick ausschließlich nach Innen zu richten vermag,

in der inneren Erleuchtung eine höhere Anschauung gleich dem Küchlein aus dem Ei hervorbreche,

die weit über die Grenzen von Geburt und Tod hinausreiche

und so erst die volle Klarheit über unsere Lage ermögliche.

Schopenhauer hat auf dieses Gebiet, das er mit Illuminismus bezeichnet,

als auf etwas Vorhandenes zwar hingedeutetv und ihm seinen Raum freigelassen, aber es nicht betreten,

wohl fühlend, daß er es, weil er ja die Vorbedingungen hierzu nicht kannte, gar nicht betreten könne.

Nach dem Buddha ist entgegen der Ansicht Schopenhauers,

der übrigens insoweit mangels jeglicher Erfahrung ja gar kein maßgebendes Urteil haben konnte,

auch diese Anschauung höherer Art gar wohl mitteilbar,

wie er sie uns denn auch in der denkbar klarsten Weise kennen lehrt.

Freilich ist sie auch nach ihm nur Wenigen erreichbar,

aber auch zur Leidensvernichtung keineswegs notwendig

Im Übrigen aber

– und damit kommen wir zu einem wesentlichen Unterschied zwischen dem Buddha und Schopenhauer,

der, wie wir nach sehen werden, mit der Verschiedenheit der Beantwortung,

die die Grundfrage des Schopenhauerschen Systems vom Buddha erfährt, zusammenhängt –

kann der Mensch die Fähigkeit zur genialen Auffassung der Welt gar wohl in sich entwickeln,

ja, es so weit bringen, daß er sie jeweils »ohne Mühe und Anstrengung« herbeizuführen vermag,

entgegen der Ansicht Schopenhauers,

nach welchem die geniale Erkenntnis nicht etwa schwer ist,

sondern überhaupt nicht in unserer Macht steht

und sie nur ein ausnahmsweise eintretender Zustand, eine »Feierstunde“,

ein »lucidum intervallum« des Genies bildet,

das selbst wieder bereits als solches geboren sein muß.

Die Vermittlung dieser genialen Betrachtungsweise der Dinge ist sogar, wie bereits angegeben,

direkt das Ziel der Lehre des Buddha.

 

Um diese Kunst zu lehren, braucht er nur einen „verständigen Mann« vor sich zu haben,

»keinen Heuchler und Gleisner, einen geraden Menschen*“.

(* Maij. Nik. II, p. 44 (80. Suttam))

Ihn macht er sich erbötig

nach einem ganz bestimmten Training auf den Berg der reinen Erkenntnis hinaufzuführen,

von dem aus er nicht nur, was Schopenhauer in Aussicht stellt,

im Einzelnen das Allgemeine, nämlich die Ideen,

sondern etwas ganz anderes, etwas Unerhörtes, nämlich den Ozean des Leidens,

tief unten zu seinen Füßen wogen sieht,

während er selbst in unzugänglicher Höhe thront,

wohin auch nicht mehr der kleinste Tropfen dieses Ozeans hinaufzuspritzen vermag

und wo somit lauterste Seligkeit herrscht.

Es ist, »wie wenn da in der Nähe eines Dorfes oder einer Burg ein hoher Felsen stünde.

Zu diesem gingen zwei Freunde, aus dem Dorf oder der Burg hinschreitend, heran,

dem Felsen entgegen.

Dort angelangt, bliebe der eine der Freunde unten am Fuß des Felsens stehen,

während der andere auf den Scheitel des Felsens emporstieg.

Und es rief der Freund unten, am Fuß des Felsens,

dem Freund zu, der auf den Scheitel des Felsens gestiegen:

»Was denn, Bester, siehst du oben vom Felsen aus?‘

Der aber sagte: „Ich sehe da, Bester, oben vom Felsen aus einen heiteren Garten,

einen herrlichen Wald, eine blühende Landschaft, einen lichten Wasserspiegel‘

Und jener spräche: ‚Unmöglich ist es, Bester,

es kann nicht sein, daß du oben vom Felsen aus einen heiteren Garten, einen herrlichen Wald.

Eine blühende Landschaft, einen lichten Wasserspiegel siehst.‘

Da stiege der Freund oben vom Scheitel herab bis zum Fuß,

ergriff den Freund unter dem Arm, führte ihn auf den Felsen empor

und nachdem er ihn eine Weile hätte ausruhen lassen, fragte er ihn:

‚Was denn, Bester, siehst du oben vom Felsen aus?‘

Und jener spräche: ‚Ich sehe da, Bester, oben vom Felsen aus einen heiteren Garten,

einen herrlichen Wald, eine blühende Landschaft, einen lichten Wasserspiegel.‘

Der aber sagte: ‚Eben erst haben wir, Bester, deine Rede also vernommen:

Unmöglich ist es, es kann nicht sein, daß du oben vom Felsen aus einen heiteren Garten,

einen herrlichen Wald, eine blühende Landschaft, einen lichten Wasserspiegel siehst.

Und jetzt wiederum, Bester, haben wir deine Rede also vernommen:

Ich sehe da oben vom Felsen aus einen heiteren Garten, einen herrlichen Wald,

eine blühende Landschaft, einen lichten Wasserspiegel.‘

Und jener spräche: ‚solange ja mich eben, Bester, dieser hohe Fels gehindert hat,

habe ich das Sichtbare nicht gesehen*‘“.

(* Majj. Nik. III, p. 130 (125. Suttam))

 

Freilich erreichen wir auch nach Schopenhauer, wenn wir reines Subjekt des Erkennens geworden sind,

einen schmerzlosen Zustand, das größte und reinste Glück des Lebens.

Aber dieses Glück ist vergänglich.

Denn es besteht nur in einer zeitweiligen Beruhigung der unaufhörlichen Qual des Wollens,

in einem vorübergehenden schweigen des Willens.

in dessen Fesseln wir nach wie vor geschlagen bleiben. ja, der wir im Grunde selbst sind,

während wir nach dem Buddha auf dem Weg der reinen Kontemplation

auch zur dauernden, restlosen Vernichtung des Willens gelangen können

und damit die Fesseln, in die er uns geschlagen hatte,

für immer zerbrochen vor unseren Füßen liegen sehen.

 

Daß sie beide, Schopenhauer und der Buddha,

vom Berg der Erkenntnis aus nicht dasselbe geschaut haben*,

* Worin sie sich unterscheiden, wird in der Folge völlig klar werden.

liegt einmal daran, daß Schopenhauer sozusagen nur die Abhänge dieses Berges erklommen hatte,

während der Buddha von der obersten Spitze aus »in diese Schmerzenswelt hineinblickte*«.

* Majj. Nik. l. p. 268 (26. Suttam).

Der Willensmensch Schopenhauer

konnte ja auch schon infolge seiner Überzeugung von der Unmöglichkeit, seinen Willen zu beeinflussen, gar keinen Versuch machen, die geniale Betrachtungsart weiter in sich zu entwickeln,

sondern mußte, eben geduldig abwarten,

bis die gute Stunde ein mehr oder minder willensfreies Erkennen von selbst brachte,

dessen Tiefe und Dauer er gleichfalls in keiner Weise zu bestimmen vermochte,

während der Buddha durch die höchste Reinheit seines ganzen Lebenswandels

seine Erkenntnis von vornherein von allen Trübungen des Wollens gereinigt

und sich so befähigt hatte, sich nach Wunsch und beliebig lang

in die tiefste Kontemplation zu versetzen, sich rein erkennend zu verhalten.

in welchem Zustand ihm dann die ganze Wahrheit über die Welt aufging.

 

Ein weiterer Grund,

daß sich den beiden Großen vom Berg der Erkenntnis aus nicht der gleiche Anblick darbot, ist der,

daß sie beide ihren Blick auf ein ganz verschiedenes Gesichtsfeld eingestellt hatten.

Schopenhauer wollte »die Urphänomene im Einzelnen und im Ganzen als Welt“ erklären

und sah deshalb auch nur die „Ideen«, die Form dieser Urphanamene

und als ihren Gehalt den unendlichen Ozean des Willens» so gewaltig,

daß er ihn selbst verschlang und er sich selbst als in ihm bestanden wähnte,

damit auch ohne alle Möglichkeit der Entrinnung,

bis nicht etwa einmal dieser Ozean von selbst auftrockne.

Der Buddha wollte unter Verzicht auf irgendwelche Erklärung aller anderen Phänomene

einfach das Ende des Leidens finden

und fand deshalb auch schließlich hinter dem Ozean des Willens noch ein anderes Reich,

das Reich der Leidlosigkeit,

indem sich ihm zugleich der schmale Zugang zu ihm erschloß.

 

Gerade diese ausschließliche Beschränkung seines ganzen Strebens auf diesen einen Punkt,

wie dem Leiden zu entfliehen sei, hat ihn schließlich zum Ziel geführt.

Und so hat er denn auch diesen Umstand zur Grundlage seines einzigartigen Erlösungsweges gemacht,

den man kurz charakterisieren kann

als ein sich immer mehr vertiefendes erkennendes Schauen,

eine immer reinere Kontemplation des Leidens

nach seinem Umfang, seinen Ursachen und seinem Verhältnis zu uns selbst,

sie bildet das Ziel aller Erkenntnis und die Quelle aller Weisheit.

Alle Tugend dient letzten Endes nur ihr allein,

indem sie in einem reinen Gemüt, in welchem die stürme des Wollens beschwichtigt sind,

die unumgänglich notwendige Voraussetzung für sie schafft.

Nur wer durch Pflege unaufhörlicher Besonnenheit derart,

daß er alles, was er denkt, spricht und handelt, mit klarem Bewußtsein vollzieht,

seinen Geist nach und nach dahin trainiert hat,

daß er anhaltend und ausschließlich sich auch in die Betrachtung des Leidens vertiefen kann,

nur der wird »weise durchbohrend« sich zu jenem Anblick durchringen,

bei welchem anfangs in gralsgleicher Ferne, mit der Zeit aber immer deutlicher

»jene Insel, die einzige« aufsteigt,

auf der es keinerlei Leiden, insbesondere keinen Tod mehr gibt.

Nur ein solcher ist überhaupt erst kompetent,

über Wahrheit oder Unwahrheit der Lehre des Buddha ein maßgebendes Urteil zu fällen,

sonst gleicht er dem Freunde, der sich weigert, auf den Felsen zu steigen,

von dem aus sich die entzückende Aussicht bietet,

aber gleichwohl bestreitet, daß man von oben diese Aussicht hat,

er gleicht dem Blindgeborenen, für den das sichtbare nur deshalb nicht existiert. weil er es nicht sieht:

»Gleichwie etwa, Brahmane, wenn da ein Blindgeborner wäre:

der sähe keine schwarzen und keine weißen Gegenstände,

keine blauen und keine gelben, keine roten und keine grünen,

er sähe nicht, was gleich und ungleich ist, sähe keine Sterne und nicht Mond und nicht Sonne.

Und er spräche so:

»Es gibt nichts schwarzes und Weißes, es gibt Keinen, der schwarzes und Weißes sähe;

es gibt nichts Blaues und Gelbes, es gibt Keinem der Blaues und Gelbes sähe;

es gibt nichts Rates und Grünes, es gibt Keinem der Rotes und Grünes sähe;

es gibt nichts Gleiches und Ungleiches, es gibt Keinem der Gleiches und Ungleiches sähe;

es gibt keine Sterne, es gibt Keinem der Sterne sähe;

es gibt weder Mond noch Sonne, es gibt Keinen, der Mond und Sonne sähe.

Ich selber weiß nichts davon; ich selber seh’ nichts davon; darum ist es nicht‘:

Ebenso nun auch, Brahmane, ist der Brahmane Pokkharasati, der Opamaüüer aus subhagavanam,

blind und augenlos.

Daß der etwa die übermenschliche Erhabenheit hehres Wissen dringender unmittelbarer Anschauung erfassen, erleben, verwirklichen könnte, ist unmöglich*.«

(* Majj. Nik. Il, p. 201 (99. Suttam))

 

Daraus ergibt sich nun allerdings auch eine gewisse Exklusivität der Lehre des Buddha;

setzt sie doch Menschen voraus,

denen nicht nur das Leiden als das Urproblem ihres Daseins klar zum Bewußtsein gekommen ist,

sondern die auch soweit fortgeschritten sind,

daß sie das Heil, wenn ein solches zu erhoffen ist,

nicht mehr von außen, sondern nur mehr durch eigene Kraft erwarten,

für die also, wie es im Samyutta Nikaya heißt,

das Streben, seinen Frieden durch andere, wie Priester, Opferer usw., erwirken zu wollen,

dasselbe ist, als wenn etwa ein Stein in tiefes Wasser geworfen würde,

und es kämen nun Leute herbei

und bäten und flehten und falteten die Hände und knieten ringsumher nieder:

»steig’ auf, oh lieber Stein, tauch’ empor, oh lieber Stein, zum Ufer spring’ empor, oh lieber Stein.«

Aber der Stein bleibt unten*.

(* Samyutta Nik. vol. IV, p. 312-314 (XLlI, 6))

Solche Menschen aber hat es zu allen Zeiten nicht allzu viele gegeben.

Die Meisten finden es für angezeigt,

vom Leiden in irgendwelcher Form überhaupt keine Notiz zu nehmen,

geschweige sich eingehend mit ihm zu befassen.

Ihnen ist natürlich eben deshalb auch nicht zu helfen,

weshalb sie für den Buddha nicht weiter in Betracht kommen.

Er nennt sie »die gewöhnlichen Menschen,

der Lehre der Edlen unkundig, der Lehre der Edlen unzugänglich*“;

(* Majj. Nik. III. p. 17 (109. S))

es sind dieselben, die nach Schopenhauer die Fabrikware der Natur bilden

und unter die man auch gehören kann, wenn man ein Gelehrter ist,

es ist der große Haufe, zu dem nach Thilo gewöhnlich einer mehr gehört, als man glaubt.

„Mit diesen hat Herr Gotamo keine Gemeinschaft*.“

(* Majj. Nik. Ill. p. 6 (107. Suttam))

Aber auch mit jenen hat er keine Gemeinschaft,

die zwar an der Tatsache des Leidens nicht blind vorübergehen,

aber sich nicht darüber aufklären lassen wollen,

daß die Befreiung von ihm durch keinerlei Art von Gnade,

insbesondere auch nicht Seitens eines persönlichen Gottes,

sondern ausschließlich durch eigene Kraft und eigenes Handeln verwirklicht werden kann*.

*Von heute, Vaccha, zurück bis zum einundneunzigsten Weltalten, dessen ich gedenke,

weiß ich van keinem Nackten Büßer, der in himmlische Welt gelangt wäre,

einen ausgenommen: Der aber glaubte, an eigene Tat und eigenes Handelns.“

(Majj. Nik. l, p. 483 [71. Suttam]).

»Der Asket Gotamo, ihr Herren, lehrt ja eigene Tat und eigenes Handeln.

(Majj. Nik. ll, p. 167 [95. Suttam]).

Die Lehre des Buddha erfordert also, sowie sie die exakteste Methode.

nämlich die naturwissenschaftliche der experimentellen Verwirklichung der Wahrheit, zum Organon hat,

auch ganze Menschen, »keine Heuchler, keine Gleisner, keine aufgeblasenen Windbeutel,

mutige, starke Herzen, einsichtige, klare Köpfe, beständige, einige Geister, Weise und Scharfsinnige*«,

(* Majj. Nik. l, p. 32 (5. Suttam))

die ja auch allein der experimentellen Methode gewachsen sind.

Mit ihnen, »den Edlen, der Lehre der Edlen kundig, der Lehre der Edlen wohl zugänglich*“,

(* Maij. Nik. III, p. 18 (109. Suttam))

hat er als den wahren Aristokraten der Menschheit, denen diese Welt »zu minder ist*«,

(* Digha Nik. XIX.)

die deshalb über sie hinauswachsen wollen, Gemeinschaft.

Ihnen stellt er aber auch als Preis eine Lösung des groben Problems des Weltleidens in Aussicht,

die infolge ihrer Basierung auf der unmittelbarsten eigenen Anschauung

unerschütterliche Gewißheit verleiht: »Wer die vier Hohen Wahrheiten nicht gebührend verstanden hat«, heißt es im Samyutta Nikayo,

»der geht von einem Meister zum anderen und blickt ihm prüfend ins Antlitz:

‚Ob der wohl etwa wirklich weiß, wirklich sieht?‘

Es ist, als ob ein Flaum oder eine Flocke Baumwolle, leicht. am Wind haftend, in die Ebene herabgeweht,

bald von diesem, bald von jenem Wind, bald dahin, bald dorthin getragen würde:

und zwar um ihrer Leichtigkeit willen.

Wer aber die vier Hohen Wahrheiten gebührend verstanden hat,

der geht nicht mehr von einem Meister zum anderen und blickt ihm prüfend ins Antlitz:

‚Ob der wohl etwa wirklich weiß, wirklich sieht?‘

Es ist, als ob eine eherne Säule oder eine Torsäule, tief gegründet. wohl eingegraben,

ohne zu schwanken, ohne zu beben, dastünde,

und wenn nun von dieser oder von jener Seite Wind und Wetter mächtig heranstürmt,

kann sie eben nicht erzittern, nicht erbeben, nicht mehr schwanken:

und warum nicht?

Um der Tiefe des Grundes willen, weil die Säule wohl eingegraben ist*.«

(* Samyutta Nik. V. p. 443-445 (LVI, 39))

 

Und von diesem System, das den Edelsten der Menschen

ein solches Ziel durch Anwendung der sichersten und eben deshalb modernsten Methode verbürgt,

hat man behauptet, es passe nicht mehr in unsere Zeit!

Man muß schon nach Gründen für eine solche Behauptung – und solche müssen doch wohl existieren –

auf die Suche gehen.

Da findet man denn schließlich, soweit das Urteil nicht überhaupt auf Unverstand zurückzuführen ist,

sei es ausgesprochen oder in irgend welchen Variationen, als eigentlichen Grund immer den,

daß es den modernen Kritisierern der Heilsordnung des Buddho

– er selbst nennt sie Leute,

»die die Lehre bloß lernen, um Reden und Meinungen über sie äußern zu können«,

statt ihre Wahrheit praktisch zu erproben* – nicht paßt,

(* Majj. Nik. I, p. 133 (22. Suttam))

daß nach ihm die Erlösung vom Leiden mit der Erlösung von der Welt zusammenfällt

und daß er von seinen Jüngern verlangt, daß sie mit dieser Erlösung auch Ernst machen.

Das soll nicht mehr modern sein.

Nun mag zugegeben werden, daß allerdings gerade in unserem Zeitalter

trotz oder vielleicht wegen seiner hohen Zivilisation*

* Zivilisation allein, ohne Kultus-, das heißt ohne Herzensveredelung,

ist nichts weiter als eine Verfeinerung der Genußsucht in allen ihren Formen

und deswegen im Grunde eine Steigerung des Egoismus

und damit des Kampfes aller gegen alle.

die Menschheit in ganz erschreckendem Maß der materialistischen Weltauffassung huldigt,

selbst da, wo sie theoretisch verabscheut wird.

und ihr eben deshalb jedes Bewußtsein für das Unangemessene ihres Aufenthaltes in dieser Welt

und damit für die Notwendigkeit der Erlösung abhanden gekommen ist.

Es will natürlich auch nicht bestritten werden,

daß das Höchste, zu dem es unsere Modernen in dieser Richtung gemeinhin bringen, darin besteht,

daß sie mit Gelehrsamkeit gespickte Bücher über die Erlösung und über alle jene schreiben,

die die praktische Erlösung gelebt und gelehrt haben,

oder auch, daß sie bei wohlbesetzter Tafel sich über die Größe der Weltentsagung ergehen.

Allein das schließt doch nicht aus, daß es auch in unserer Zeit einige Wenige gibt,

die sich von dieser Welt durchaus nicht befriedigt fühlen,

die daher über sie hinauszukommen trachten

und für welche eben deshalb die bisher für unmöglich gehaltene Botschaft

einer Erlösung nach bei Lebzeiten aus eigener Kraft

und so, daß man ihren Eintritt anschaulich an sich erfährt,

das gewaltigste Ereignis ist, das sich in dieser Welt überhaupt zutragen kann.

Für diese ist die Lehre des Buddho modern, so modern,

wie nur irgend eine naturwissenschaftliche Disziplin, mit der sie ja die Methode teilt, es sein kann.

Für diese Wenigen wird übrigens die Lehre des Buddho,

der selbst sie eben deshalb die »zeitlose« genannt hat, zu allen Zeiten modern sein,

wie denn die definitive Lösung eines Problems für alle Zeiten gültig bleibt.

Man kann das Interesse an dem Problem verlieren

– ob das in unserem Falle ein Vorzug ist, möge jeder sich selbst beantworten –

ja, man mag auch eine noch einfachere Lösung des Problems

als die gegebene ausfindig zu machen suchen.

Aber solange das nicht gelungen ist

– und man nenne einen Zweiten, der das Erlösungsproblem, jedem Verständigen erreichbar,

mit der unmittelbare. anschauliche Gewißheit verleihenden Sicherheit wie der Buddho gelöst hat –

so lange ist es einfach Torheit, die erfolgte Lösung deshalb in Mißkredit bringen zu wollen,

weil sie schon vor ein paar Jahrtausenden erfolgt sei*;

* Es ist doch auch schon von vornherein zu vermuten,

daß die Lösung des Erlösungsproblems,

wenn sie dem menschlichen Geiste überhaupt erreichbar ist, im alten Indien erfolgt sein muß,

in welchem, wie in keinem anderen Lande und zu keiner anderen Zeit,

dieses Problem sowohl nach der spekulativen wie nach der praktischen Seite hin

die Menschen in beispielloser Weise in seinen Bann gezogen hatte.

so lange ist es insbesondere auch Torheit

– man erwäge selbst, ob das Wort zu stark ist! –

die Lösung des Problems durch den Buddho, wie es gleichfalls oft geschieht,

deshalb unmodern zu schelten,

weil sie ganz, wie wir noch sehen werden,

nur auf dem Weg des Ganges in die Heimlosigkeit – Pabbajja – das heißt also als Mönch,

verwirklicht werden kann.

Wer das Ziel will, muß auch das allein bekannte Mittel dazu wollen.

Es wird später noch ausführlich von diesem Gang in die Hauslosigkeit,

insbesondere der dabei möglicherweise eintretenden Pflichtenkollision, zu reden sein.

Hier, wo die Sache nur nach der Seite der Angemessenheit auch für unser Zeitalter zu berühren war,

möge nur noch darauf hingewiesen werden, daß es doch im Grunde selbstverständlich ist,

daß, wer sich noch in diesem Leben ganz von der Welt erlösen will,

eben auch noch in diesem Leben sie ganz verlassen, völlig aus ihr heraustreten muss.

Man kann den Pelz nicht waschen, ohne ihn naß zu machen, gilt auch hier.

Der Buddho müßte übrigens nicht der grobe Geist gewesen sein, der er war,

wenn er nicht auch erkannt hätte,

daß zu dieser völligen Erlösung noch bei Lebzeiten nur die Allerwenigsten fähig und reif sind.

Es ist deshalb wiederum nichts weiter als eine Torheit, zu befürchten,

unser aufgeklärtes Europa könnte von leibhaftigen buddhistischen München überschwemmt werden.

Aus diesem Grund mutet der Buddha ja auch niemand zu, diesen Weg zu gehen,

wenn er sich aus irgend welchen Gründen hierzu nicht in der Lage fühlt.

Er zeigt vielmehr auch allen denen,

in welchen zwar das Bewußtsein ihrer jenseits der Welt liegenden ewigen Bestimmung

ebenfalls bereits lebendig geworden ist,

die aber derselben innerhalb der Welt entgegenwandern wollen, den für sie nächsten Weg,

so zwar,

daß sie gleichfalls noch während dieses Lebens bis zur unerschütterlichen Gewißheit vordringen können,

daß sie nach dem Tode nicht mehr in diese unsere Welt zurückkehren,

sondern in einer der höchsten Lichtwelten das große Endziel völlig verwirklichen werden.

Ja, weil er den Steg kennt, der aus der Welt herausführt,

kennt er auch die Pfade, die innerhalb unserer Welt zu einer günstigen Wiedergeburt führen,

und zeigt auch sie mit anschaulicher Gewissheit,

seine Lehre ist deshalb auch in dem Sinne modern,

als sie jedem, der sich nicht selbst zum großen Haufen in dem oben erörterten Umfang schlägt,

also auch dem für seine ferne Zukunft besorgten Weltmenschen

das ihm erreichbare Maß von Leidlosigkeit und Wohlsein sichern will:

»Wenn freilich diese Lehre nur von Herrn Gotamo und den Mönchen und den Nonnen,

aber nicht von den Anhängern und Anhängerinnen, im Hause lebend, weiß gekleidet. enthaltsam lebend,

und nicht von den Anhängern und Anhängerinnen,

im Hause lebend, weiß gekleidet, Sinnenfreuden genießend,

erlangt werden könnte,

dann wäre dieses heilige Leben unvollkommen, eben insofern;

weil aber diese Lehre sowohl von Herrn Gotamo,

den Mönchen und den Nonnen, wie auch von den Anhängern und Anhängerinnen,

im Hause lebend, weiß gekleidet, enthaltsam lebend,

und den Anhängern und Anhängerinnen, im Hause lebend, weiß gekleidet, Sinnenfreuden genießend,

erlangt werden kann,

ist dieses heilige Leben vollkommen, eben insofern, wird im dreiundsiebzigsten Suttam der Mittleren Sammlung ausgeführt.

 

Nach alledem gilt für den Kenner auch heute noch,

was der Brahmane Mogallano, ein Zeitgenosse des Buddha, von dessen Lehre rühmt:

»Gleichwie etwa unter den Wurzeldüften der schwarze Rosenlauch in seiner Art als vorzüglichster gilt,

unter den Kernholzdüften der rote Sandel in seiner Art als vorzüglichster gilt,

unter den Blumendüften der weise Jasmin in seiner Art als vorzüglichster gilt,

ebenso nun auch ist des Herrn Gotamo Belehrung die beste in heutiger Zeit * **

* Majj. Nik. Ill. p. 6 (107. Suttam).

** Die so oft aufgeworfene Frage, ob eine Verbreitung buddhistischer Ideen

bei uns in Hinsicht auf die Eigenart unserer Zivilisation wünschenswert sei,

welch’ letztere, entgegen der buddhistischen Anschauung,

den Schwerpunkt in die Auswirkung unserer Persönlichkeit verlege, wie man euphemistisch sagt –

in Wahrheit ist es ein Auswirken der uns erfüllenden Triebe –

ist einmal falsch gestellt und dann auch müßig.

Richtig müßte sie doch lauten,

ob der Buddha mit der Lösung des Menschenräitsels recht hat oder nicht.

Hat er recht, dann haben eben deswegen alle anderen, soweit sie mit ihm nicht übereinstimmen,

sowohl in Theorie als auch in der Praxis ohne weiteres unrecht.

Die Bekämpfer des Buddhismus werden deshalb, soweit sie es überhaupt ehrlich meinen,

seine Lehren sachlich zu widerlegen haben,

was ja, da sie sich auf keinerlei Offenbarung, sondern nur auf die Erkenntnis stützen,

für den Fall ihrer Unrichtigkeit nicht schwer sein kann. –

Dann ist die Frage aber auch müßig:

Jeder. der überhaupt Anlaß nimmt, die Lehre des Buddha kennen zu lernen.

muß sich persönlich mit ihr abfinden.

Wie die anderen sich zu ihr stellen. kann ihn weiter nicht berühren.

Er allein muß ja auch die Früchte seines Wirkens ernten.

Aus diesem Grund

räumt der Buddhist natürlich auch jedem anderen System gegenüber das gleiche Recht ein:

der Buddhismus lehrt unbeschränkte Toleranz.

 

 

  1. DlE HOHE WAHRHEIT VOM LEIDEN

 

Das Kriterium des Leidens

Leiden ist gehemmtes Wollen.

Dieser von Schopenhauer geprägte Satz ist so klar und so wahr,

daß er keines weiteren Beweises bedarf.

Alles, was meinem Wollen, meinem Wünschen zuwiderläuft, ist Leiden,

und alles, was sich zwar meinem Begehren gemäß, aber unter Widerständen vollzieht,

ist insoweit ebenfalls Leiden.

Von dieser selbstverständlichen Definition des Leidens geht deshalb auch der Buddho aus,

wenn er in der ersten der vier Hohen Wahrheiten das Leiden definiert, wie folgt:

»Geburt ist Leiden,

Alter ist Leiden,

Krankheit ist Leiden,

Sterben ist Leiden,

mit Unliebem vereint sein, ist Leiden,

von Liebem getrennt sein, ist Leiden,

nicht erlangen, was man begehrt: Das ist Leiden*.« (* Mahavaggo I, 9)

insoweit wird also auch jeder Mensch ihm ohne weiteres beipflichten.

Das Besondere seiner Lehre liegt nun aber darin, daß es nach ihm mir Leiden in der Welt gibt.

Der Buddho fährt nämlich im unmittelbaren Anschluß an seine obigen Worte fort:

„Kurz, die fünf Gruppen des Anhaftens sind Leiden.«

Es wird später noch näher auf diese fünf Gruppen zurückzukommen sein.

Einstweilen genügt es, sie kurz dahin zu präzisieren,

daß sie die sämtlichen überhaupt nur möglichen Willensbetätigungen darstellen,

so daß also die Worte besagen:

Alle Willensbetätigungen sind Leiden,

oder auch, da, wie wir bereits wissen, die Natur jegliches seienden im Wollen besteht:

Alles ist schon seiner Natur nach leidvoll:

»Leiden nur entsteht, wo etwas entsteht, Leiden nur vergeht, wo etwas vergeht*.«

(*Samyutta Nik. vol. Il, pag. 17 (XII, 15))

Gegen diesen Teil der ersten der vier Hohen Wahrheiten lehnt sich der Durchschnittsmensch auf,

ihn glaubt er

als eine Verirrung, entsprungen aus weltfernem und weltfremdem Grübeln, zurückweisen zu müssen,

eine Verirrung, die als solche schon durch einen flüchtigen Blick auf das Leben kenntlich werde.

Denn wie unendlich viel Lust, wie unendlich viel Wollust,

wie unendlich viel reinere Freuden im Familienleben, in Natur und Kunst biete doch das Leben!

Wie kann man es wagen, all das einfach zu übersehen, ja, die Augen davor zu verschließen?

Nein, im Leben ist nicht alles Leiden,

es ist nicht einmal wahr, daß das Leiden in ihm auch nur überwiegt,

sondern trotz des fraglos vorhandenen Leidens ist die Welt schön und wert, genossen zu werden.

So denkt er;

ja, er läßt sich vielleicht sogar zu lyrischen Ergüssen hinreisen, wie:

»Wunderschön ist Gottes Erde und wert, darauf vergnügt zu sein,

drum will ich, bis ich Asche werde, mich dieser schönen Erde freu’n.«

 

Soll demgegenüber der Buddho gleichwohl recht haben,

dann ist ohne weiteres klar, daß sich der gewöhnliche Mensch

in einem grauenhaften Irrtum in der Beurteilung des Lebensinhaltes

nach seinem wirklichen Werte befinden muß.

Unmöglich wäre das ja nicht.

Denn die Frage über den Wert des Lebens läßt sich nicht ohne weiteres

der klaren und reinen Anschauung, bei der nach Schopenhauer alles fest und gewiss ist, beantworten;

diese Beantwortung stellt vielmehr ein Urteil,

also eine Zusammenfassung des von der Anschauung gebotenen Materiales

in ein Verhältnis von Begriffen vermittels der Tätigkeit der Vernunft dar.

Nun spielt bei der Tätigkeit der Vernunft nach Schopenhauer der Irrtum gar oft eine gewaltige Rolle,

das insbesondere dann,

wenn es sich um die Subsumierung von zahllosem sich über die Vergangenheit und Zukunft

erstreckenden Einzelvorfällen der verschiedensten Art

unter einen oder wenige feste Begriffe handelt.

Irrtumslos kann etwas Derartiges nur bei äußerster Besonnenheit,

enthaltend den Überblick über Vergangenheit und Zukunft, gelingen,

eine Besonnenheit, die selbst wiederum nur den Wenigsten eigen ist.

Die große Masse der Menschheit

gerät bei einer solchen Betätigung ihrer Vernunft in die gewaltigsten Irrtümer,

so zwar, daß ein solcher Irrtum »Jahrtausende herrschen, auf ganze Völker sein eisernes Joch werfen,

die edelsten Regungen der Menschheit ersticken

und selbst den, welchen zu täuschen er nicht vermag,

durch seine Sklaven, seine Getäuschten, in Fesseln legen lassen kann*.«

* Schopenhauer, W a. W. u. V. I, § 8.

Ein solcher Irrtum ist dann »der Feind,

gegen welchen die weisesten Geister aller Zeiten den ungleichen Kampf unterhielten,

und nur, was sie ihm abgewannen, ist Eigentum der Menschheit geworden*“.

* Schopenhauer l. c.

 

Sollte vielleicht auch hier, bei der Frage der Beantwortung des Wertes des Lebens,

ein solcher Grund-Irrtum der groben Masse, ja, der Menschheit im Ganzen genommen, vorliegen,

den nur erleuchtete Geister, wie eben ein Buddha, zu beheben vermögen?

Nur äußerste Besonnenheit, diese Grundvoraussetzung eines richtigen Urteils,

auch unsererseits kann zu einer richtigen Antwort führen.

 

In ihrer Anwendung ist zunächst ein Grundirrtum aufzudecken,

den man gewöhnlich begeht, wenn man über den Wert oder Unwert des Lebens urteilt

und der ein Verständnis der Lehre des Buddho von vornherein unmöglich macht.

Es ist der, daß, was der Mensch mit so beispielloser Heftigkeit begehrt, wie das Leben,

doch auf jeden Fall auch begehrenswert sein müsse.

Und doch ist das ein gewaltiger Trugschluß.

Man stelle sich einen Menschen vor,

der zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt ist mit der Aussicht auf eine unaufhörliche Kette von Leiden.

Wird er nicht im Angesicht eines plötzlichen Todes gleichwohl rufen: Ich will leben, leben?

Oder man begebe sich an das sterbelager eines seit Jahren siechen Menschen,

der zum Schluß noch von den qualvollsten schmerzen gepeinigt wird.

Wird nicht auch er trotz alledem nur zu oft den Schmerzensschrei ausstolzen: Ich will leben, leben?

Werden sie beide nicht auch leben wollen, wenn man ihnen vorhält,

daß für sie der Tod ja nur die Erlösung von schwerem, unheilbarem Leiden darstelle,

daß ferneres Leben für sie nur weiteres Leiden bedeute?

Werden sie nicht wiederum antworten:

Ich will leben, leben um jeden Preis, selbst um den Preis, daß das ganze Leben nur Leiden ist?

Daraus wird doch zur Evidenz deutlich, daß der Mensch gemeinhin auch ein leidvolles Leben,

ja, sogar ein Leben, das nur leidvoll ist,

mit in den Kauf nimmt, wenn er nur überhaupt leben kann und darf.

Daraus erhellt dann aber doch weiterhin mit derselben Evidenz,

daß diese grenzenlose Anhänglichkeit an das Leben ihren Grund nicht in der Erkenntnis haben kann,

daß Leben nicht gleich Leiden, sondern etwas wirklich Erstrebenswertes sei

– der Grund für diese Anhänglichkeit an das Leben ist ein ganz anderer, wie wir später sehen werden –

daß es also auch nicht angeht, für die Entscheidung der Frage,

ob im Leben das Leiden überwiege

oder ob vielleicht gar Leben und Leiden letzten Endes gleichwertige Begriffe seien,

diesen Trieb des Menschen zum Leben mit heranzuziehen.

lm Gegenteil ist ja eben die Frage,

ob er vor der geläuterten Erkenntnis sich nicht als ein völlig verkehrter erweist.

Damit scheidet dann aber auch von vornherein die Hauptwaffe aus,

mit der der normale Mensch an diesen Teil der Lehre des Buddho herantritt.

Denn eben diese Anhänglichkeit an das Leben als solches ist ja das wichtigste Argument,

von dem er sich bei der Prüfung der Frage, ob das Leben denn auch wert sei, gelebt zu werden,

leiten läßt.

Die Erwägung: »Es ist doch selbstverständlich, daß das Leben lebenswert ist;

denn sonst könnte ich es ja nicht so unwiderstehlich begehren«

wird ihn entweder die Lehre des Buddho von der Leidensnatur alles Lebens

ohne weiteres verneinen lassen

oder wenn er gleichwohl auf die vom Buddho beigebrachten Gründe eingeht,

so bildet sie doch den ihm selbst gewöhnlich verborgen bleibenden Untergrund,

auf dem er diese Prüfung anstellt,

der diese deshalb auch von vornherein entscheidend beeinflußt

und ihr Resultat bereits im Voraus bestimmt.

Er zeigt also einen Mangel an Besonnenheit,

durch den er sich selbst den Weg zum Verständnis der ersten der vier Hohen Wahrheiten verbaut.

Wer diese verstehen will, der muß vor allem fähig sein,

seine beispiellose Anhänglichkeit an das Leben bei der Prüfung der Frage,

wie weit im Leben das Leiden dominiert, zunächst einmal vollständig auszuschalten,

sich, selbst wenn er diese Anhänglichkeit für etwas Unantastbares hält,

von ihr bei der Bildung seines Urteils in keiner Weise beeinflussen lassen.

er muß mit anderen Worten der Frage vollständig objektiv gegenübertreten können als einer,

der von hoher Warte aus auf das Leben herunterschaut, gleichsam ihm entrückt,

und deshalb weder von Verlangen noch durch Abneigung irgendwie bestimmt wird.

Dann erst kann er ruhig das Für und Wider abwägen

und so auch erst das nötige Maß für die Beurteilung der Berechtigung dieses seines Lebenstriebes

selbst gewinnen:

ein geiler Mensch ist nicht die maßgebende Persönlichkeit,

über Schönheit oder Häßlichkeit eines Weibes zu urteilen

und ein von Lebensgier Besessener nicht der Mann,

über den Wert oder Unwert des Lebens zu entscheiden.

 

Wie Wenige aber von denen, die selbstgefällig den »Pessimismus« des Buddho kritisieren,

diese Grundvoraussetzung eines objektiven Urteils!

 

Nicht weniger wichtig bei der Bewertung des Lebens

ist ein zweiter Umstand, mit dem gleichfalls die Wenigsten rechnen:

Glück ist Willensbefriedigung Leid ist Willenshemmung

Nun ist jedes Ereignis in der Welt nicht etwas für sich Bestehendes,

sondern, wie es selbst die Wirkung einer Ursache war,

auch seinerseits wieder Ursache von neuen Wirkungen.

Dementsprechend knüpft sich an jedes Ereignis eine Unzahl von Willensregungen,

teils freudige, teils leidige.

Die Frage ist deshalb: Wonach bestimmt sich die Beurteilung eines Ereignisses,

ob es als ein glückliches oder als ein leidiges anzusprechen ist?

Zur Beantwortung dieser Frage steigen wir am besten zur unmittelbaren Erfahrung herab-

Einer habe das große Los gewonnen.

Das ist ohne Frage

eine Befriedigung des Willens im höchsten Grade und damit auch ein gewaltiges Glück.

Nun geriete dieser Mann, der bis dahin ein sorgenfreies Leben geführt hätte,

infolge dieses Ereignisses auf Abwege,

würde ein Müßiggänger und Verschwender, vergeudete den ganzen Gewinst

und fände sich schließlich, von allen verachtet,

im tiefsten Elend, verkommen und ohne die Kraft, sich wieder emporzuarbeiten.

Wie fällt nunmehr sein und der anderen Urteil über den seinerzeitigen Haupttreffer aus?

Fraglos dahin, daß dieses scheinbare Glück in Wahrheit das größte

Unglück seines Lebens war.

Ein anderer Fall: Einer legte den Schwerpunkt seines Daseins in gutes Essen und Trinken.

Darin fühlt er sich wohl und behaglich und stünde auch nicht an,

anderen gegenüber die Schönheit dieses seines Lebens zu gegebener Zeit ins richtige Licht zu setzen.

Nun aber stellte sich im Laufe der Zeit infolge dieses Lebens eine schwere Erkrankung ein.

Wird er nun, sich in Qualen windend, auch jetzt noch jene Zeit des Schmausens in Erkenntnis,

daß sie die Ursache seines gegenwärtigen Leidens ist,

als eine glückliche preisen und sich ihrer mit Vergnügen erinnern in dem Gedanken:

„Schön war’s doch«,

oder wird er sie nicht vielmehr als die Quelle seines gegenwärtigen Leidens verwünschen?

Oder: Ein von Durst Gequälter gewahrte ein kühles Naß.

Voll Gier tränke er davon und fühlte momentanes Wohlbehagen seinen Körper durchrieseln.

Später würde er an den sich einstellenden schmerzen gewahr, daß das, was er getrunken, Gift war.

Wird er noch den Mut haben, jenen kühlen Trunk als Wohl zu bezeichnen

oder wird er nicht, dieses Wohl als die Ursache tiefen Schmerzes erkennend,

es nun rückblickend als ein Unglück und damit unter die Rubrik Leid registrieren?

Danach erhellt aber auch hier zur Evidenz,

daß eine momentane, dem Wollen gemäße Empfindung noch nicht berechtigt,

sie nun auch als Wohl im Buche des Lebens zu buchen,

ja, daß selbst zahllose, durch ein Ereignis ausgelöste wohlige Willensregungen nachträglich

allen ihren Wert verlieren, ja sogar verwünscht werden,

wenn ein einziger Augenblick in dieser langen Kette leidvoll ist,

und dieser einzige einschlaggebende Augenblick

ist der jeweils letzte in der Kette der durch das sogenannte glückliche Ereignis ausgelösten Wirkungen.

Dieser einzige letzte Augenblick

gibt der ganzen Kette vielleicht jahrelanger Willensreize erst sein definitives Gepräge.

Er saugt, wenn er selbst leidvoll ist,

jahrelanges Glück, wie ein Schwamm das ihn umgebende Wasser, auf

und vermag es bis auf den letzten Rest, als ob es nie gewesen wäre,

aus dem Konto des Lebens zu streichen;

er vermag aber auch ebenso jahrelanges Leid wie eine ätzende säure daraus zu entfernen:

Einer mag sein ganzes Leben der unglücklichste Mensch gewesen sein;

wird er jetzt, in diesem Augenblick, plötzlich glücklich, fühlt er sich wirklich vollkommen wohl,

ist also dieses sein Wohlbefinden auch in keiner Weise mehr getrübt durch den Ausblick auf die Zukunft,

so wird die ganze leidvolle Vergangenheit radikal vergessen sein;

es ist, als ob er von einem schweren,

drückenden Alp befreit wäre, der nunmehr in den Abgrund der Vergangenheit hinuntergekollert ist

und eben deshalb nicht weiter zählt.

 

Es kann ja auch gar nicht anders sein, wenigstens für den in der Philosophie Schopenhauers Geschulten:

Real ist immer nur die Gegenwart,

also auch immer nur die Willensbefriedigung und damit des Glück,

beziehungsweise die Willenshemmung und damit das Unglück,

das ich gerade jetzt, im gegenwärtigen Augenblick, empfinde.

Das bereits der Vergangenheit angehörende Glück oder Unglück ist, wie alles Vergangene,

nichts weiter als ein wesenloses Schemen;

insbesondere ist vergangenes Wohl, in Beziehung zu meinem gegenwärtigen Wehe gebracht,

höchstens geeignet, das Letztere zu vergrößern,

entsprechend dem Gesetz, das ein Fall desto schmerzlicher wirkt, aus umso größerer Höhe er erfolgt.

 

Hiernach kommt es also für die Bewertung des Lebens als glücklich oder leidvoll

auf den jeweiligen letzten Augenblick

und letzten Endes auf den letzten Bewußtseinszustand vor dem Tode an.

Denn nur diese Gegenwart wird dann real sein:

Fühle ich mich in diesem Moment wohl und damit glücklich,

so zählt dem gegenüber ein ganzes Leben voll des schwersten Leidens nichts,

und fühle ich mich in diesem Augenblick unglücklich,

so wird dieses Gefühl selbst durch die glücklichste Vergangenheit nicht gemildert,

vielmehr durch den schrecklichen Kontrast zu dieser nur noch ins Unerträgliche gesteigert.

 

Hierüber muß man sich durch tiefe Reflexion vor allem klargeworden sein,

bevor man ein Urteil darüber abzugeben kompetent ist,

wie weit das Leben als Wohl oder als Leiden zu registrieren ist.

Von dieser Grundtatsache geht eben deshalb auch der Buddho

bei der ersten seiner vier Hohen Wahrheiten, der Hohen Wahrheit vom Leiden, aus,

sie bildet den Schlüssel zu deren Verständnis.

 

Entsprechend dem Bisherigen liegt nämlich allen Darstellungen des Buddho

über das Leiden folgender Gedankengang zugrunde:

Ich mag durch eine Willensbefriedigung noch so sehr beglückt sein:

in dem Moment, wo sie durch Entreißung des Objektes, das diese Befriedigung des Willens herbeiführt,

in Leid übergeht,

ein Leid, das umso größer ist, je großer das Glück war, das der Besitz des Objektes gewährte,

wird nur mehr diese Tatsache des Leidens real sein

und damit den ausschließlichen Gradmesser für die Einschätzung des Objektes

als eines für mich glücklichen oder leidvollen abgeben:

das Objekt war ein solches. das mir zuletzt, am Ende, nur Eines geblieben ist: Leid.

Ich kann es also ehrlicherweise auch nur mit diesem Schlußergebnis,

das heißt eben als einen negativen Posten, ins Buch meines Lebens eintragen. –

Da so unendlich viel. ja eigentlich alles von dieser Erkenntnis abhängt,

so wollen wir noch einmal zur unmittelbaren Erfahrung herabsteigen:

Einer fände seine ganze, ausschließliche Willensbefriedigung

in dem Besitz oder der Pflege irgendeines Objektes, in seiner Frau oder seinen Kindern

oder in der Verwirklichung irgend einer lieb gewordenen Idee.

Nun werde ihm dieses sein ganzes Interesse auf sich konzentrierende Objekt entrissen,

die weitere Beschäftigung mit ihm unmöglich gemacht:

das Leben selbst wird für ihn wertlos geworden sein,

er wird in die Klage ausbrechen: das Leben hat für mich keinen Wert mehr.

 

Hiernach hängt aber nach dem Buddho die Entscheidung der Frage,

inwieweit das Leben als leidvoll anzusprechen sei, von der anderen ab,

ob es Objekte des Willens gibt, die dem Menschen. nicht entrissen werden können,

und damit Willensbefriedigungen, die nicht in Leid übergehen.

Nur solche könnten mit innerer Berechtigung als Wohl, als Glück gebucht werden;

alle anderen kann eine geläuterte Erkenntnis ehrlicherweise gar nicht anders

als unter die Rubrik Leid einstellen.

Ein unentreißbares Willensobjekt würde aber notwendigerweise voraussetzen,

daß es nicht selbst vergänglich ist.

Denn in dem Augenblick, wo es vergeht, sich auflöst,

ist es für den Willen unwiederbringlich verloren, auch wenn er sich noch so sehr daran klammert.

Die Frage spitzt sich also dahin zu, ob es Objekte des Willens gibt, die unvergänglich sind,

oder mit anderen Worten, das eigentliche und letzte Kriterium des Leidens ist die Vergänglichkeit:

„Was vergänglich ist, ist leidvoll*.“

(* Samyutta Nik. vol. IV, pag. 1 (XXXV, 1))

 

In der Tat bildet dieser Satz das granitene Fundament,

auf dem sich die ganze Lehre des Buddho vom Leiden aufbaut:

»Das es drei Empfindungen gibt, habe ich gelehrt:

Freude, Leid und was weder Freude noch Leid ist …

Und wiederum habe ich gelehrt:

Was immer empfunden wird, gehört dem Leiden an,

so habe ich allein im Hinblick auf die Unbeständigkeit der Erscheinungen gesagt,

daß, was immer empfunden wird, dem Leiden angehört,

im Hinblick darauf, daß die Erscheinungen der Vernichtung, dem Untergang unterworfen sind.

daß die Freude an ihnen erlischt, daß sie dem Aufhören, der Wandelbarkeit unterworfen sind*.“

(* Samyutta Nik. vol. IV, pag. 216 (XXXVI, 11))

 

Wie wir sehen,

geben diese Worte nicht bloß in der Vergänglichkeit das untrügliche Kriterium dafür,

was als leidvoll anzusprechen sei,

sondern sie enthalten auch die Konstatierung, das diesem Gesetz der Vergänglichkeit alles untersteht:

alle Erscheinungen sind unbeständig, sind der Vernichtung, dem Untergang unterworfen.

 

Das nun aber wirklich und im vollen Umfange klar zu erkennen, ist das, worauf alles ankommt.

Zwar von den mittelbaren Objekten unseres Wollens, den Objekten der Außenwelt,

wird ein jeder ohne weiteres einräumen, das sie ausnahmslos vergänglich sind,

weil ja insoweit der stete Wechsel, die unaufhörliche Auflösung, offensichtlich ist.

Aber anders wird die Sachlage,

wenn die unmittelbare Auswirkung unseres Wollens in dem, was wir unsere Persönlichkeit nennen,

in Frage kommt.

Diese Persönlichkeit soll als das Einzige in der Welt außerhalb des Bereiches der Vergänglichkeit liegen,

sei es entweder ganz und im vollen Umfang,

so daß der Mensch sozusagen mit Haut und Haar unsterblich wäre,

sei es teilweise, indem wenigstens ihr Kern beharrend, mithin unvergänglich sei,

welchen Kern die einen in der Seele, die anderen – Schopenhauer und seine Schule –

eben in dem sich in der Persönlichkeit auswirkenden Willen finden.

 

Das so sogar das gewaltige Genie Schopenhauers in der Persönlichkeit.

Wenn auch erst in deren letztem Substrat und unter mannigfachen Reservationen,

die einzige unübersteigbare Schranke

für das im Übrigen alles umfassende Gesetz der Vergänglichkeit anerkennen zu müssen glaubte,

mag deutlich machen, wie tief der Wahn im Menschen eingesenkt ist,

das die Persönlichkeit das Unvergängliche, das Ewige in sich berge.

Eben deshalb fand man auch von jeher

in dem vermeintlich dem Bereich der Vergänglichkeit entrückten Teil der Persönlichkeit

das Eiland im Ozean des Weltleidens,

auf daß man sich nur zurückzuziehen brauche, etwa als reiner Geist, um dem Leiden zu entrinnen;

eben deshalb

konnte sich aber auch die Menschheit nie zu der ersten der vier Hohen Wahrheiten durchringen,

daß alles, ausnahmslos alles in der Welt, leidvoll sei.

 

Hier in der Persönlichkeit

liegt also das große Hindernis für die Anerkennung der ersten der vier Hohen Wahrheiten –

alles andere ist, wie gesagt, offensichtlich vergänglich und deshalb nach dem Dargelegten leidvoll.

Dieses Hemmnis zu beseitigen,

mußte deshalb auch die Hauptaufgabe des Buddho in der hier fraglichen Richtung sein;

und sie war es auch in der Tat.

Denn regelmäßig beschränkt er sich darauf,

verwendet aber auch alle erdenkliche Mühe darauf, deutlich zu machen,

daß auch alles an der Persönlichkeit

und somit diese selbst restlos dem ehernen Gesetz der Vergänglichkeit

und mithin der Auflösung, dem Verfall unterworfen,

eben deshalb aber auch gleichfalls vollumfänglich leidvoll ist.

Er tut das in der Weise, daß er die Persönlichkeit in ihre Bestandteile:

körperliche Form, Empfindung, Wahrnehmung, Gemütstätigkeiten und Erkennen auflöst

und von jedem dieser Bestandteile das Merkmal der Vergänglichkeit aufzeigt.

 

Es ist aber klar, daß wir hier dem Buddho nur dann weiter folgen können,

wenn wir uns vorher überzeugt haben,

daß diese von ihm gegebene Auflösung der Persönlichkeit in die genannten fünf Komponenten

auch wirklich richtig und erschöpfend ist,

wenn wir uns also über das Wesen der Persönlichkeit überhaupt vollständig klar geworden sind.

Hiermit werden wir uns deshalb zunächst zu beschäftigen haben.

 

Die Persönlichkeit

»Die Persönlichkeit, die Persönlichkeit, heißt es, Ehrwürdige;

was hat denn wohl der Erhabene gesagt, Ehrwürdige. was die Persönlichkeit sei?«

so fragt der Anhänger Visakho die weise Nonne Dhammadinna, seine frühere Ehefrau.

»Die fünf Gruppen des Anhaftens sind die Persönlichkeit, hat der Erhabene gesagt.

Bruder Visakho,

nämlich die Haftensgruppe der körperlichen Form,

die Haftensgruppe der Empfindung,

die Haftensgruppe der Wahrnehmung,

die Haftensgruppe der Gemütsregungen,

die Haftensgruppe des Erkennens.

Diese fünf Gruppen des Anhaftens, Bruder Visakho, sind die Persönlichkeit, hat der Erhabene gesagt*.«

(* Majj. Nik. l, p. 299 (44. Suttam))

 

Hiernach besteht also nach dem Buddho die Persönlichkeit aus fünf Gruppen:

dem Körper, den Empfindungen, den Wahrnehmungen, den Gemütsregungen und dem Erkennen.

Aber diese Gruppen sind keine Gruppen schlechthin,

sondern näher bestimmt als Gruppen des Anhaftens.

Um die vom Buddho gegebene Definition zu verstehen, ist also ein Doppeltes einzusehen nötig,

einmal, daß die Persönlichkeit sich wirklich in diesen fünf Gruppen erschöpft, in ihnen aufgeht,

und dann, warum der Buddho sie gerade solche des Anhaftens nennt.

 

Dabei ist die Beantwortung der letzteren Frage

Grundvoraussetzung für das Verständnis des Wesens der Persönlichkeit

und sollte demnach eigentlich zunächst erfolgen.

Denn um etwas als die Summe einer Anzahl bestimmter Gruppen begreifen zu können,

muß vor allem der allgemeine Charakter dieser Gruppen selbst erkannt sein,

der im konkreten Falle eben darin beruht,

daß es Gruppen des Anhaftens sind. die die Persönlichkeit konstituieren.

Nun ist aber da, wo wir zur Zeit stehen,

eine eingehende Behandlung dieser Frage aus Gründen der Systematik noch nicht möglich,

sie kann vielmehr erst an späterer Stelle erfolgen.

Es bleibt deshalb nichts anderes übrig,

als einstweilen das Resultat dieser späteren Ausführungen vorwegzunehmen,

indem wir dasselbe bis dahin als feststehend annehmen.

Dasselbe ist aber kurz folgendes:

Nach dem Buddho geht unser Wesen nicht in unserer Persönlichkeit auf,

wir haften vielmehr bloß an ihr, hängen uns bloß an sie an,

allerdings so innig, das wir wähnen, wir seien in ihr bestanden,

„gleichwie wenn ein Mann mit harzbeschmierten Händen einen Zweig ergriffe*.“ (* Angutt. Nik. IV, 178)

Nichts anderes als der Ausdruck davon ist es deshalb,

wenn er die fünf Gruppen,

die unsere Persönlichkeit ergeben, Gruppen des Anhaftens – upadanakkhandha – nennt*.

* Das Wort, das wir mit Persönlichkeit übersetzen, heißt sakkayo.

Dasselbe setzt sich zusammen aus sat-kayo.

Dabei bedeutet kayo, wie uns die am Eingang dieses Kapitels angeführte Definition besagt,

den Inbegriff der fünf Gruppen:

körperliche Form, Empfindung, Wahrnehmung, Gemütsregungen, Erkennen,

während sat = seiend ist.

Mit sakkayo will also der Inbegriff der fünf Gruppen

als das wirklich Feiende – so von uns – bezeichnet, das heißt zum Ausdruck gebracht werden,

daß wir in diesen fünf Gruppen bestanden seien.

 

Genau den gleichen Inhalt hat aber unser Begriff der Persönlichkeit.

Mit ihm wird nämlich ein für sich bestehendes Wesen gedacht,

das in den Merkmalen – eben den fünf Gruppen – in denen es erscheint, sich erschöpft.

Sakkayo und Persönlichkeit sind also in der Tat gleichwertige Begriffe.

 

Dieses Charakters der fünf Gruppen müssen wir uns stets bewußt bleiben,

wenn wir es nunmehr unternehmen, sie unter Führung des Buddho

als die alleinigen und vollständigen Komponenten unserer Persönlichkeit zu begreifen

und zwar dem Prinzip des Buddho gemäß anschaulich derart,

daß wir ihr Getriebe in Form der Persönlichkeit so durchschauen,

wie etwa die Anlage und das Zusammenwirken der Teile

einer von uns vollständig begriffenen sinnreichen Maschine.

 

Die Grundlage der Persönlichkeit bildet der materielle Körper.

Er entsteht im Moment der Zeugung durch Vater und Mutter aus den einzelnen chemischen Stoffen,

die der Buddho, der uralten Sitte folgend,

in die vier Hauptelemente, das Erdige, Wässerige, Feurige, Luftige zusammenfaßt,

welche Stoffe sowohl das weibliche Ei wie die männliche Samenzelle konstituieren,

als auch weiterhin das Material zum Aufbau des Körpers liefern,

indem sie – durch eine uns zunächst noch unbekannte Kraft –

aus dem Blut der Mutter herangezogen und in die Form des neuen Körpers verarbeitet werden.

Nach Vollendung dieses Aufbaues wird dieser Körper geboren

und nun auch weiterhin in gleicher Weise erhalten,

indem im Wege der Nahrungsaufnahme für die unaufhörlich abfließenden Bestandteile

neuer Ersatz aus den vier Hauptelementen herbeigeführt wird:

»Dieser mein gestalthafter Körper ist aus den vier Elementen zusammengesetzt,

von Vater und Mutter gezeugt, aufgebaut aus Reisbrei und saurem Reisschleim*.“ (* Digha Nik. Il.)

 

Dieser so beschaffene Körper zeigt sich behaftet

mit den ebenfalls aus den vier Hauptelementen bestehenden Sinnesorganen.

Damit, das heißt also in dem »Körper behaftet mit den sechs Sinnesorganen«,

hätten wir das, was man gemeinhin und was auch der Buddho selbst

als den Körper oder genauer die körperliche Form – rupam – bezeichnet:

 

»Gleichwie etwa, Brüder, vermittels der Balken und Binsen, des Strohes und Lehms

ein beschränkter Raum, eben „das Haus« zustande kommt: geradeso, Brüder,

kommt vermittels der Knochen und Sehnen, des Fleisches und der Haut ein begrenzter Raum,

eben ‚die körperliche Form‘ zustande*.«

(* Majj. Nik. l, p. 190 (28. Suttam))

 

Dieselbe besteht also ausschließlich aus den vier Hauptelementen.

Die sie aufbauenden Stoffe sind durchaus identisch mit den anorganischen Stoffen der äußeren Welt,

sind ja direkt aus denselben genommen und kehren später auch wieder in ihre Gemeinschaft zurück,

sie werden nur, wenn sie dem Körper einverleibt werden, in die diesem eigentümliche Form gebracht,

wie ja auch die Materialien, aus denen ein Haus errichtet wird,

in die einem solchen entsprechende Form verarbeitet werden müssen.

so offensichtlich diese Tatsache ist

und so unbedingt sie auch rein begriffsmäßig zugegeben zu werden pflegt*,

*»Gedenke, oh Mensch, daß du Staub bist und wieder zum Staub zurückkehren wirst“,

ruft ja auch die katholische Kirche ihren Anhängern angesichts jeder Leiche zu.

so kommt sie doch den wenigsten Menschen wirklich je vollkommen deutlich zum Bewußtsein –

nebenbei bemerkt, ein klarer Beweis, wie überaus seicht die »normale« Anschauung ist.

Man mail aber diese Tatsache durch längere Betrachtung in ihrer ganzen Evidenz durchschauen,

wenn man das Wesen der Persönlichkeit völlig begreifen will:

die Grundlage dieser Persönlichkeit, eben der Körper einschließlich der Sinnesorgane,

ist weiter nichts als eine bloße Ansammlung und Umformung von toten Stoffen der äußeren Natur,

ja, besteht der Hauptsache nach aus verarbeitetem Kot.

 

Man sollte meinen, daß bei wirklicher Durchschauung dieser Sachlage

schon hier sich einige Verwunderung darüber regen müßte,

wie die Menschen an einem Gebilde mit solcher Grundlage,

nämlich eben an der Persönlichkeit als dem Höchsten hängen können, das sie kennen.

Eben deshalb wird aber auch wohl schon hier deutlich,

warum der Buddho ein so großes Gewicht

auf die Durchschauung dieser Grundlage unserer Persönlichkeit

als einer bloßen Verbindung der in den vier Hauptelementen zusammengefasten Stoffe legt:

»Was ist nun, Brüder, das Erdenelement?

Das Erdenelement mag innerlich sein oder äußerlich.

Was ist aber, Brüder, das innerliche Erdenelement?

Was sich innerlich einzeln fest und hart dargestellt hat, als wie Kopfhaare, Körperhaare, Nägel,

Zähne, Haut, Fleisch, sehnen. Knochen, Mark, Nieren, Herz, Leber, Zwerchfell, Milz,

Lungen, Magen, Eingeweide, Weichteile, Kot

oder was sich irgendwie sonst noch innerlich einzeln fest und hart dargestellt hat:

das nennt man, Brüder, innerliches Erdenelement.

Was es nun da an innerlichem Erdenelement und was es an äußerlichem Erdenelement gibt,

ist Erdenelement. …

Was ist nun, Brüder, das Wasserelement?

Das Wasserelement mag innerlich sein oder äußerlich.

Was ist aber, Brüder, das innerliche Wasserelement?

Was sich innerlich einzeln flüssig und wässerig dargestellt hat,

als wie Galle, Schleim, Eiter, Blut, Schweiß, Lymphe, Tränen, Serum, Speichel, Rotz-, Gelenköl, Urin

oder was sich irgend sonst noch innerlich einzeln flüssig und

wässerig dargestellt hat: das nennt man, Brüder, innerliches Wasserelement.

Was es nun da an innerlichem Wasserelement

und was es an äußerlichem Wasserelement gibt, ist Wasserelement. …

Was ist nun, Brüder, das Feuerelement?

Das Feuerelement mag innerlich sein oder äußerlich.

Was ist aber, Brüder, das innerliche Feuerelement?

Was sich innerlich einzeln flammig und feurig dargestellt hat, als wie wodurch Wärme erzeugt wird. wodurch man verdaut, wodurch man sich erhitzt,

wodurch gekaute Speise und geschlürfter Trank einer vollkommenen Umwandlung unterliegen,

oder was sich irgendwie sonst noch innerlich einzeln flammig und feurig dargestellt hat:

das nennt man, Brüder, innerliches Feuerelement.

Was es nun da an innerlichem Feuerelement und was es an äußerlichem Feuerelement gibt,

ist Feuerelement. …

Was ist nun, Brüder, das Luftelement?

Das Luftelement mag innerlich sein oder äußerlich.

Was ist aber, Brüder, das innerliche Luftelement?

Was sich innerlich einzeln flüchtig und luftig dargestellt hat,

als wie die aufsteigenden und absteigenden Winde, die Winde des Bauches und Darmes,

die Winde, die jedes Glied durchströmen, die Einatmung und die Ausatmung:

dies oder was sich irgend sonst noch innerlich einzeln flüchtig und luftig dargestellt hat,

das nennt man, Brüder, innerliches Luftelement.

Was es nun da an innerlichem Luftelement und was es an äußerlichem Luftelement gibt, ist Luftelement*.

(* Majj. Nik. I, p. 185 (28. Suttam))

Der Buddho stellt also die Stoffe, die unseren Körper aufbauen,

denen der Außenwelt völlig gleich, ja, identifiziert sie mit diesen.

 

*  *  *

 

Der solcherart zusammengesetzte Körper mit den sechs Sinnenwerkzeugen

ist aber, wie schon gesagt, nur die Grundlage der Persönlichkeit, nicht aber bereits diese selbst.

Damit es zu dieser kommt, müssen die vier anderen Gruppen,

Empfindung, Wahrnehmung Gemütstätigkeiten und Erkennen

entwickelt werden.

Dies geschieht dadurch, daß die sechs Sinnesorgane in die ihnen eigentümliche Tätigkeit treten,

welche darin besteht, je eine bestimmte Sorte der Außenwelt aufzufangen:

Das Auge die Formen*,

das Ohr die Töne,

die Nase die Düfte,

die Zunge die Säfte,

der Leib das Tastbare * **,

* Das Objekt des Auges sind nur die Farben: »Man nimmt wahr, man nimmt wahr, Bruder.

Und was nimmt man wahr?

Blaues nimmt man wahr und Gelbes nimmt man wahr und Weißes nimmt man wahr.«

(43. Dialog M. N.) –

Daß das Objekt des Sehsinnes nur die Farben des Lichtes sind,

zeigt sich schon darin, daß farblose Gegenstände, wie die Luft, unsichtbar sind.

Uber die Masen deutlich aber wird es,

wenn man einen Stab, etwa einen Thermometer, in ein schaff Wasser hält:

der Stab erscheint gebrochen oder verkürzt,

eben weil wir nicht ihn selber, sondern nur das von ihm zurückgeworfene Licht sehen,

das im Wasser gebrochen wird.

** in Form von Widerständen (Druck) und Temperaturunterschieden.

Die »Formen« (rupa), wie der Buddho regelmäßig die Objekte des Sehsinnes bezeichnet,

sind also zunächst nur Lichtformen.

während der Denksinn als das Sammelbassin die Objekte der übrigen fünf Sinne zum Gegenstand hat:

»Fünf Sinnen, oh Bruder, eignet verschiedenes Gebiet, verschiedener Wirkungskreis

und keiner hat am Gebiet und Wirkungskreis des anderen teil.

Es ist das Gesicht, das Gehör, der Geruch. der Geschmack, das Getast.

Diese Sinne, Bruder, haben die nicht eine Zentrale (pat·isarar·iam), nimmt nicht etwas an ihrem Gebiet und Wirkungskreis teils-la –

»Diese fünf sinne haben das Denken als Zentrale (mano),

das Denken hat an ihrem Gebiet und Wirkungskreis teil*.

* Majj. Nik. I, p. 295 (43. Suttam).

 

Der Denksinn ist aber nicht bloß die Zentrale für die fünf Außensinne.

Er ist überdies das spezielle und ausschließliche Wahrnehmungsorgan für den grenzenlosen Raum.

Näher ist dieser vom Buddho aufgestellte Tatbestand

unter Anführung der einschlägigen Belegstelle im Appendix Ill, 2 dieses Werkes dargelegt.

 

*

Derart ist der Sinnenapparat. Damit nun aber dieser Apparat arbeite, damit

also die äußeren Körper die sinnenwerkzeuge in die ihnen eigentümliche Tätigkeit versetzen,

müssen die Sinnesorgane zunächst funktionsfähig sein,

oder, wie der Buddho sich ausdrückt,

das Sehorgan, das Hörorgan, das Riech-, Schmeck-, Tast- und Denkorgan

muß »ungebrochen« sein;

dann müssen die den einzelnen Sinnesorganen entsprechenden Objekte in deren Bereich treten;

und endlich muß die Sehtätigkeit, die Hörtätigkeit usw.

durch Einwirkung des äußeren Objekts angeregt, gereizt werden,

oder, wie der Buddho sagt, es muß »ein entsprechendes Ineinandergreifen“ der Sinnesorgane

und der in ihren Bereich

tretenden Gestalten, Töne, Düfte, Säfte, Tastobjekte und Vorstellungen statthaben.

Trifft das alles zu,

so flammt durch das Ineinandergreifen von Sinnesorgan und Sinnesobjekt

das Element des Bewußtseins auf:

 

»Ist das Sehorgan, Brüder, ungebrochen, und treten keine äußeren Gestalten in den Gesichtskreis,

so findet auch kein entsprechendes Ineinandergreifen statt,

und kommt es zu keiner Bildung des entsprechenden Stückes Bewußtseins. –

Ist das Sehorgan, Brüder, ungebrochen, und treten die äußeren Gestalten in den Gesichtskreis,

aber es findet kein entsprechendes Ineinandergreifen statt,

so kommt es auch zu keiner Bildung des entsprechenden Stückes Bewußtseins*. –

*Wenn ich beispielsweise geistesabwesend von meinem Fenster auf die Straße hinausschaue,

so können die verschiedensten Gestalten in meinen Gesichtskreis treten

und doch findet kein „entsprechendes Ineinandergreifen« zwischen Auge und Gestalt statt,

eben weshalb dann auch kein Bewußtsein von diesen Gegenständen in mir aufflammt.

 

Wenn aber, Brüder, das Sehorgan ungebrochen ist, und äußere Gestalten in den Gesichtskreis treten,

und es findet ein entsprechendes Ineinandergreifen statt,

so kommt es also zur Bildung des entsprechenden Stückes Bewußtseins-Ist das Hörorgan, Brüder, ungebrochen, ist das Riechorgan, Brüder, ungebrochen,

ist das Schmeckorgan, Brüder, ungebrochen,

ist das Tastorgan, Brüder, ungebrochen,

ist das Denkorgan, Brüder, ungebrochen

und treten keine äußeren Dinge* in den Denkkreis,

* Auch dem Denkorgan muß ein Objekt gegenübertreten.

Wie schon oben angegeben,

bilden diese Objekte des Denkorgans die Objekte der sämtlichen übrigen fünf Sinne,

das heißt also die sämtlichen möglichen Dinge der Welt überhaupt,

sei es unmittelbar als konkrete anschauliche Vorstellungen,

sei es mittelbar als vermittels der Ideenassoziation

aus dem Gedächtnis emporgehobene Phantasiegebilde

oder bereits früher gebildete abstrakte Begriffe,

an denen sich dann das Denkorgan neuerdings betätigt. –

Wir sprechen, wie angegeben, von anschaulichen und abstrakten Vorstellungen.

Demgemäß werden wir auch fernerhin

die Dhamma als die Objekte des Denksinns mit ‚Vorstellungen‘

– wobei dieses Wort in dem Sinne zu nehmen ist, das dem Denkorgan etwas vor-gestellt wird –

abwechselnd indes auch, zur größeren Klarheit, als „die Denkobjekte“ wiedergeben.

so findet auch kein entsprechendes Ineinandergreifen statt,

und es kommt zu keiner Bildung des entsprechenden Stückes Bewußtseins. –

Ist das Denkorgan, Brüder, ungebrochen, und treten äußere Dinge in den Denkkreis,

aber es findet kein entsprechendes Ineinandergreifen statt,

so kommt es auch zu keiner Bildung des entsprechenden Stückes Bewußtseins.

Wenn aber, Brüder, das Denkorgan ungebrochen ist,

und äußere Dinge in den Denkkreis treten, und es findet ein entsprechendes Ineinandergreifen statt,

so kommt es also zur Bildung des entsprechenden Stückes Bewußtseins*.«

(* Majj. Nik. I, p. 190 (28. Suttam))

 

Anderweit* schildert der Buddho den Prozeß, wie folgt:

(* Majj. Nik. l. p. 259 (38. Suttam))

»Durch das Auge und die Gestalten entsteht Bewußtsein: gerade ‚Sehbewußtsein‘ kommt da zustande.

Durch das Ohr und die Töne entsteht Bewußtsein: gerade ‚Hörbewußtsein, kommt da zustande.

Durch die Nase und die Düfte entsteht Bewußtsein: gerade ‚Riechbewußtsein‘ kommt da zustande.

Durch die Zunge und die Säfte entsteht Bewußtsein: gerade ‚Schmeckbewußtsein‘ kommt da zustande.

Durch den Leib und die Tastobjekte entsteht Bewußtsein: gerade ‚Tastbewußtsein‘ kommt da zustande.

Durch das Denkorgan und die Dinge entsteht Bewußtsein: gerade ‚Denkbewußtsein‘ kommt da zustande.

Gleichwie etwa Feuer, Mönche, aus was für einem Grund es brennt,

gerade durch diesen und nur durch diesen zustande kommt:

durch Holz wird es genährt und gerade ‚Holzfeuer‘ kommt da zustande,

durch Reisig wird es genährt und gerade ‚Reisigfeuer‘ kommt da zustande,

durch Heu wird es genährt und gerade ‚Heufeuer‘ kommt da zustande,

durch Dünger wird es genährt und gerade ‚Dungfeuer‘ kommt da zustande,

durch Spreu wird es genährt und gerade ‚Spreufeuer‘ kommt da zustande,

durch Kehricht wird es genährt und gerade ‚Kehrichtfeuer‘ kommt da zustande:

ebenso nun auch, Mönche, kommt Bewußtsein, aus was für einem Grund es entsteht,

gerade durch diesen und nur durch diesen zustande.

Durch das Auge und die Gestalten entsteht Bewußtsein: gerade ‚Sehbewußtsein‘ kommt da zustande. Durch das Ohr und die Töne entsteht Bewußtsein: gerade ‚Hörbewußtsein‘ kommt da zustande.

Durch die Nase und die Düfte entsteht Bewußtsein: gerade ‚Riechbewußtsein‘ kommt da zustande.

Durch die Zunge und die Säfte entsteht Bewußtsein: gerade ‚Schmeckbewußtsein‘ kommt da zustande.

Durch den Leib und die Tastobjekte entsteht Bewußtsein: gerade ‚Tastbewußtsein‘ kommt da zustande. Durch das Denkorgan u. die Dinge entsteht Bewußtsein: gerade ‚Denkbewußtsein‘ kommt da zustande.«

 

Überdenkt man diese Darstellung-genau, so liefert sie ein überraschendes Resultat:

das Bewußtsein ist weiter nichts als die jeweilige Wirkung einer ganz bestimmten Ursache,

nämlich eben des Ineinandergreifens einer der sechs Sinnentätigkeiten und ihrer Objekte, ist nur da,

wenn und solange diese Ursache besteht

und zerfließt wiederum in nichts, wenn diese Ursache schwindet;

es flammt auf in dem Moment,

wo ein Sinnesorgan durch eines der ihm entsprechenden äußeren Objekte gereizt wird,

wie Feuer aufflammt, wenn ein Zündhölzchen an seiner Reibfläche gerieben wird,

und es schwindet wieder, wenn die Sinnesorgane außer Funktion gesetzt werden,

genau so, wie das Feuer wieder ausgeht,

wenn das Holz, an dem und durch das es emporlodert, ihm entzogen wird:

Wenn ich nicht sehe, das heißt also,

wenn ich nicht das Auge, es auf ein Objekt einstellend, in Aktion setze,

brennt in mir auch kein Sehbewußtsein – man kann direkt „brennen“ sagen –

wenn ich nicht höre, kein Hörbewußtsein,

und wenn alle Sinnentätigkeiten, einschließlich des Denkens, eingestellt werden,

brennt überhaupt kein Bewußtsein mehr: es ist »erloschen«:

»Aus was für einem Grund, Mönche, Bewußtsein entsteht,

gerade durch diesen und nur durch diesen kommt es zustande.“

»Ohne zureichenden Grund entsteht kein Bewußtsein*.“ – (* Majj. Nik. I, p. 256 (38. Suttam))

Kurz: das Bewußtsein ist etwas ursächlich Bedingtes

 

*

 

Flammt nun aber durch das Anheben der Sinnestätigkeit

das entsprechende Bewußtsein – Sehbewußtsein, Hörbewußtsein usw. – auf,

so werde ich nunmehr durch das äußere Objekt überhaupt erst berührt:

»Durch das Auge, Brüder, und die Gestalten entsteht das Sehbewußtsein,

der Einschlag der drei gibt Berührung;

durch das Ohr, Brüder, und die Töne entsteht das Hörbewußtsein,

der Einschlag der drei gibt Ernährung durch die Nase, Brüder-,

und die Düfte entsteht das Riechbewußtsein,

der Einschlag der drei gibt Berührung;

durch die Zunge, Brüder, und die Säfte entsteht das Schmeckbewußtsein,

der Einschlag der drei gibt Berührung;

durch den Leib, Brüder, und die Tastobjekte entsteht das Tastbewußtsein,

der Einschlag der drei gibt Berührung durch das Denkorgan, Brüder,

und die Denkobjekte entsteht das Denkbewußtsein, der Einschlag der drei gibt Berührung.“ *  **

* Der Grund, warum der Buddho in der unpersönlichen Form:

„es gibt eine Berührung“ und nicht in der persönlichen:

„ich werde berührt“ spricht, wird später deutlich werden.

(** Majj. Nik. I, p. III (18. Suttam))

 

Vor dieser Berührung, also ehe das Bewußtsein aufflammt,

in welchem ich von dem in ihm erscheinenden Objekte erst befährt werde,

ist dieses äußere, die Sinnestätigkeit anregende Objekt, und zwar auch mein eigener Körper,

für mich schlechterdings nicht vorhanden.

Erst infolge des aufflammenden Bewußtseins

werde ich von dem äußeren Objekt mit der Maßgabe berührt,

daß ich zunächst von einer Empfindung getroffen werde.

»Und was empfindet man?

Wohliges empfindet man, Leidiges empfindet man, weder Wohliges noch Leidiges empfindet man*.«

(*Majj. Nik. 43. Suttam)

Weiteres erfährt man durch die Empfindung allein nicht.

Man erkennt also in diesem Stadium auch das die Empfindung auslösende Objekt noch nicht.

Letzteres erfolgt erst durch die sich an die Empfindung unmittelbar anschließende Wahrnehmung.

Deutlich kann man das zeitliche Verhältnis der Empfindung zur Wahrnehmung

beim niedrigsten Sinn, dem Tastsinn, beobachten:

Wenn ich im leichten Schlaf in der Dunkelheit mit dem Arme an einen Gegenstand stoße,

so flammt infolge des Ineinandergreifens des Tastorganes und seines Objektes Bewußtsein auf,

in dem allererst die Berührung zwischen mir und dem Gegenstand eintritt;

ist der Schlaf so tief, das kein Ineinandergreifen des Tastorgans und des äußeren Objektes statthat

und somit kein Bewußtsein ausgelöst wird, dann werde ich davon auch nicht hberührt.

Bin ich aber berührt, so entsteht in mir zunächst eine bloße Empfindung;

die Wahrnehmung des Objektes, welches die Empfindung veranlaßte,

tritt erst nach und nach durch fortwährendes Betasten ein.

 

Das Resultat dieser Wahrnehmungstätigkeit vermittels unserer Wahrnehmungsorgane

ist aber zunächst noch ein recht dürftiges.

 

Jeder unserer Außensinne vermittelt uns nämlich nur ganz bestimmte Eigenschaften der Dinge,

so sehen wir mit dem Auge, wie schon angeführt, nur Farben.

 

Das Ohr führt nur Töne, die Nase nur Düfte, unser Schmeckorgan nur Geschmäcke

in unser Bewußtsein ein,

während uns der Tastsinn den Grad der Festigkeit der Objekte vermittelt

und uns damit untrügliche Anhaltspunkte

zur Erkenntnis der Größe, Gestalt, Härte, Temperatur des Gegenstandes gibt.

Das sind also nur immer einzelne Bausteine, aus denen unser Verstand erst die Dinge,

aus denen diese Bausteine stammen, zusammenkonstruieren muß,

bevor es zur Gesamtwahrnehmung des Dinges kommen kann.

Wenn ich beispielsweise auf freiem Felde in der Ferne

plötzlich einen sich über die Bodenfläche erhebenden Farbfleck sehe,

so ist es eben zunächst nichts weiter als ein solcher Farbfleck, der sich mir repräsentiert.

Um zu wissen, was er eigentlich vorstellt, muß die syllogistische Verstandestätigkeit einsetzen:

Da sich die Umrisse des Farbfleckens mit einer menschlichen Figur decken,

so liegt der Schluß nahe, daß es eine solche sei.

Nun kann es aber sein, daß die Gestalt bloß ein Flächenbild, etwa eine aufgestellte Schützenscheibe ist.

Habe ich aus den verschiedenen Farbennuancierungen,

insbesondere den Abstufungen von Hell und Dunkel an den Grenzlinien der farbigen Figur, festgestellt,

daß es eine dreidimensionale Figur ist,

so ziehe ich den weiteren Schluß, daß ich einen leibhaftigen Menschen vor mir habe.

Da sich die Gestalt aber nicht bewegt, werde ich mir meines Schlusses alsbald wieder unsicher,

indem mir der Gedanke aufsteigt, daß es vielleicht

auch eine einen Menschen bloß vortäuschende dreidimensionale Vogelscheuche sein könnte.

Nun wird mein zweiter Sinn, das Gehör affiziert,

indem ich aus der Richtung der Gestalt eine menschliche Stimme höre,

sofort bringe ich in meiner Verstandestätigkeit diese stimme mit der Gestalt in Verbindung

und bin mir nun gewiß, daß es ein Mensch ist.

Und doch habe ich mich getäuscht.

Denn nun sehe ich, das sich neben der Figur eine andere vom Boden erhebt und schreiend davon läuft.

Jetzt weiß ich, das die Stimme nicht von der ursprünglichen Figur ausging,

und so schwindet meine vermeintliche Gewißheit über ihre Natur wieder hinweg,

mit der Folge, daß ich überhaupt zu keiner bestimmten Wahrnehmung kommen kann.

Da fängt die Figur ebenfalls zu laufen an

und nun erst bin ich mir sicher, daß es tatsächlich ein Mensch ist.

Und doch wäre noch immer eine Täuschung möglich.

Wie nämlich, wenn es ein sich künstlich bewegender Automat wäre?

Wirkliche Gewißheit erhalte ich erst,

wenn ich der Gestalt so nahe komme, das ich ihr Gesicht erkennen und mit ihr sprechen kann.

Nun erst kann ich feststellen, daß die Figur alle Merkmale an sich trage,

die sich aus meiner allgemeinen Vorstellung »Mensch«, die in mir ist, ergeben

und so die unfehlbare Schlußfolgerung ziehen, daß ich einen Menschen vor mir habe.

Erst jetzt schaue ich sie auch wirklich als einen Menschen an,

indem ich das von mir

in Übereinstimmung mit der objektiven Wirklichkeit zusammenkonstruierte Gesamtbild

– wieder in dieser Übereinstimmung mit der objektiven Wirklichkeit –

an den Ort versetze, bzw. dorthin »ausbreite«,

von dem aus mir meine Außensinne die einzelnen Merkmale zugeführt haben,

so ist es aber mit der Wahrnehmung aller Objekte, auch jener, die mir unmittelbar gegenüber sind,

nur daß hier die einzelnen Eindrücke meiner Außensinne von meinem Zentralerkenntnisvermögen

mit solcher Sicherheit und so blitzschnell aufgefaßt

und im synthetischen Denken zur Einheit zusammengefast werden,

daß von dieser ganzen Verstandesoperation nichts als bloß das Resultat in das Bewußtsein kommt.

 

In dieser Weise hat schon der Buddho den ganzen Wahrnehmungprozeß aufgelöst

und damit, wie alle tieferen Wahrheiten,

auch die von den Modernen sogenannte Intellektualität der empirischen Anschauung vorweggenommen.

Er sagt nämlich:

»Durch Berührung ist die Empfindung bedingt;

was man empfindet, nimmt man wahr (als Lichtformen, Töne, usw.);

was man wahrnimmt, denkt man (zusammen);

was man zusammendenkt, breitet man – (in den Raum) – aus;

was man so ausbreitet,

tritt eben dadurch bedingt als das, was man die Wahrnehmung der Weltausbreitung (papaiico) nennt,

in den durch das Auge in das Bewußtsein tretenden Formen –

den durch das Ohr in das Bewußtsein tretenden Tönen –

den durch die Nase in das Bewußtsein tretenden Düften –

den durch die Zunge in das Bewußtsein tretenden Säften –

den durch den Leib in das Bewußtsein tretenden Tastobjekten –

den durch das Denkorgan in das Bewußtsein tretenden Dingen

vergangener, gegenwärtiger und zukünftiger Zeiten an den Menschen heran.*“

(* Majj. Nik. I, p. III flg. (18. Suttam))

 

Diese so schon vom Buddho gelehrte Intellektualität der Anschauung

wird noch offensichtlicher durch Folgendes:

schon bei dem Zustandekommen der unmittelbaren Wahrnehmung eines Objektes

liegen die Fehlerquellen nicht in unseren Außensinnen, sofern diese nur normal sind,

sondern in der synthetischen Verstandestätigkeit.

Die Fehler, die unser Verstand in diesem Bereich macht, ergeben das, was man falschen Schein nennt.

Ein solcher liegt zum Beispiel vor,

wenn man in einem von zwei nebeneinanderstehenden Eisenbahnzügen sitzt

und man nun plötzlich den eigenen Zug sich in Bewegung setzen sieht,

während dieser in Wirklichkeit stehen bleibt und der andere Zug abfährt.

Hier ist es nicht unser Auge, sondern unser Verstand, der uns täuscht.

Das Auge verständigt uns nur von der Tatsache,

daß eine Veränderung in der Lage der beiden Züge zu einander sich zu vollziehen

beginnt, nicht aber davon, von welchem der beiden Züge die Veränderung ausgeht.

Letzteres ist vielmehr eine Schlußfolgerung unseres Verstandes.

Da wir nämlich in der Erwartung der Abfahrt unseres Zuges sind. so vollziehen wir, uns völlig unbewußt,“ den Schluß: »Unser Zug kann jeden Augenblick abgehen

– nun sehen wir eine Veränderung in der Lage unseres Zuges zum andern eintreten –

also ist es unser Zug, der diese Lageveränderung herbeiführt.«

Diese Vorstellung, die so in uns aufsteigt,

halten wir dann für so der Wirklichkeit entsprechend – es könnte ja auch so sein, wie wir denken –

das wir tatsächlich unseren Zug sich bewegen zu sehen vermeinen.

Daß der falsche Schein in der Tat nur durch eine solche falsche Schlußfolgerung von uns ausgelöst ist,

wird deutlich, wenn es ein einzelner Wagen ohne Motorkraft ist, in dem wir sitzen,

sind wir uns dessen im gegebenen Augenblick klar bewußt,

so werden wir ganz sicher bei einer Veränderung der Lage dieses unseres Wagens

zu einem auf dem Nebengleis stehenden Zug

auch diesen letzteren der Wirklichkeit gemäß abfahren sehen,

so ist es auch mit dem falschen Schein,

zufolge dessen wir die Sonne am Himmel sich fortbewegen sehen.

In Wahrheit sehen wir auch hier nur,

wie unser eigener Standpunkt auf der Erde sich gegenüber dem der Sonne unaufhörlich verschiebt.

Da nun in unserem Bewußtsein die Vorstellung tief verankert ist, daß die Erde unbeweglich feststehe –

der gegenteilige rein abstrakte Gedanke, das in Wahrheit die Erde sich bewegt,

kann jene Grundvorstellung umso weniger beseitigen oder auch nur schwächen,

als er ja bloß abstrakt und nicht einmal in dieser Form uns beständig gegenwärtig ist –

so vollziehen wir wiederum automatisch den Schluß:

»In dem Verhältnis von meinem Standpunkt auf der Erde zur Sonne

tritt fortwährend eine Lageveränderung ein – an der Erde kann die Ursache hiervon nicht liegen –

also ist es die Sonne, die sich bewegt«,

wieder mit der Wirkung, daß wir nun auch tatsächlich die Sonne sich bewegen sehen.

Wäre man aber ein Astronom, der den wirklichen Vorgang genau kennt,

und könnte man sich die wirkliche Sachlage in ihren Details in höchster Anschaulichkeit vorhalten,

also die falsche Grundvorstellung, nach welcher die Erde stillsteht, vorübergehend völlig ausschalten,

dann würde man, solange man das könnte,

auch mit dem Auge der Wirklichkeit gemäß die Sonne, stillstehen sehen.

 

Ganz deutlich wird der Anteil, ja, der überwiegende Anteil unserer syllogistischen Verstandestätigkeit

an dem Zustandekommen der Wahrnehmung der Dinge in folgendem Fall:

Man lege eine kleine Kugel von einigen Zentimetern Durchmesser, etwa aus Brotmasse geformt,

auf den Tisch, lege den rechten Mittelfinger über den rechten Zeigefinger

und berühre nun mit den Spitzen der in diese abnorme Lage gebrachten Finger die Kugel.

Man wird ganz deutlich zwei Kugeln fühlen.

 

Der Grund hierfür ist wiederum der folgende:

Wenn sowohl die linke Seite des Zeigefingers als die rechte Seite des Mittelfingers in ihrer normalen Lage

den Eindruck einer Kugel empfangen,

so müssen diese Eindrücke von zwei Kugeln herrühren.

Diese Erfahrung tragen wir in Form einer allgemeinen, lebendigen Vorstellung mit uns herum

und legen sie deshalb als Selbstverständlich auch in unserem Fall der abnormen Fingerlage zugrunde.

Wir folgern also auch hier:

Wenn sowohl die linke Seite des Zeigefingers wie die rechte Seite des Mittelfingers

den Eindruck einer Kugel haben, so müssen diese Eindrücke von zwei Kugeln herrühren

– nun habe ich auch im vorliegendem Fall solche Eindrücke – also liegen auch zwei Kugeln vor.«

Diese Schlußfolgerung

bestimmt dann auch hier wieder unsere unmittelbare Wahrnehmung so maßgebend,

daß wir wirklich zwei Kugeln fühlen.

Jedoch kann auch dieser falsche Schein wieder weggebracht werden,

wenn man, während man die Kugeln betastet, sie aus größter Nähe und möglichst scharf anblickt

und so seine aus dem normalen Fall abgezogene Grundvorstellung,

unter die wir den konkreten Fall zu subsumieren geneigt sind, nicht aufkommen läßt.

 

Ein falscher Schein wird sich bei dem Anteil,

den der Intellekt als Zentralorgan am Zustandekommen der empirischen Anschauungen hat,

selbst in normalen Fällen dann ergeben, wenn dieser Intellekt nicht genügend entwickelt ist,

er also das ihm von den Außensinnen zugeführte Material noch nicht richtig verarbeiten,

  1. h. »zusammendenken« und ihm deshalb auch nicht seinen Platz im Raum anweisen kann.

Das ist z. B. beim Kind der Fall, das mit seinen Händchen die Stelle nicht finden kann,

von der aus ihm ein Gegenstand entgegengehalten wird und das deshalb danebengreift.

 

* * *

 

So repräsentiert sich unter Führung des Buddho

in völliger Übereinstimmung mit der täglichen Erfahrung

und den Feststellungen unserer exakten Wissenschaften

die Entstehung und das Getriebe der Persönlichkeit bzw. der fünf Haftensgruppen;

denn: » alle körperliche Form*“,

* nämlich unser Körper, der

»vermittels der Knochen und Sehnen, des Fleisches und der Haut zustande kommt«. Cfr. S. 37.

die dem so Gebildeten*, eignet,

* nämlich der Persönlichkeit.

wird unter der Gruppe der körperlichen Form zusammengefaßt,

alle Empfindung, die dem so Gebildeten eignet,

wird unter der Gruppe der Empfindung zusammengefaßt,

alle Wahrnehmung, die dem so Gebildeten eignet.

Wird unter der Gruppe der Wahrnehmung zusammengefaßt,

alle Gemütsregungen, die dem so Gebildeten eignen,

werden unter der Gruppe der Gemütsregungen zusammengefaßt*,

(* Majj. Nik. l. p. 190 (28. Suttam))

alles Erkennen, daß dem so Gebildeten eignet, wird unter der Gruppe des Erkennens zusammengefaßt.

Man versteht jetzt:

Das also ist die Einstellung, die Vereinigung, die Verbindung dieser fünf Gruppen des Anhaftens*.“

(* 2. Teil, 3. Kap.)

Man versteht jetzt, wie wir hinzufügen können, die Entstehung der Persönlichkeit,

die Entstehung von jenem, worin der Mensch gemeinhin sein Wesen erblickt.

 

Überblickt man diese ganze Entstehungsgeschichte der Persönlichkeit,

so leuchtet zunächst ohne weiteres ein,

daß die fünf Gruppen, in die sie der Buddho aufgelöst hat, sie wirklich vollständig erschöpfen:

man wird an ihr nichts entdecken, was sich nicht in eine dieser fünf Gruppen einreihte.

Weiterhin aber wird klar, daß die vier Gruppen:

Empfindung, Wahrnehmung, Gemütsregungen und Erkennen sich immer verbanden einstellen,

daß also, sobald durch das Zusammentreffen eines Sinnesorganes

mit dem ihm entsprechenden Objekte Bewußtsein aufflammt,

dann auch sofort und zugleich die Empfindung und die Wahrnehmung des Objektes

sowie die daran sich anschließenden Gemütsregungen

und das Erkennen als unausbleibliche Folge im Bewußtsein erscheinen:

»Was auch da, durch Sehberührung, durch Hörberührung,

durch Riechberührung, durch Schmeckberührung,

durch Tastberührung, durch Denkberührung bedingt,

an Empfindung hervorgeht, an Wahrnehmung hervorgeht,

an Gemütsregungen hervorgeht, an Erkennen hervorgeht«,

heißt es im 147. Suttam des Majj. Nik., eine Stelle,

die in den „Fragen des Milindo“* näher ausgeführt ist, wie folgt:

* Die vierte der fünf die Persönlichkeit aufbauenden Gruppen (khandha)

die Gruppe der Sankhara, der Sankharaskhandho.

Das Verständnis des Wortes Sankharo

ist grundlegend für das Verständnis der Lehre des Buddho überhaupt.

Es wird deshalb weiter unten noch näher auf seine Bedeutung zurückzukommen sein.

Hier genüge es, folgendes festzustellen:

Der sankhara-khandho begreift die sämtlichen inneren Regungen in sich,

die auf Grund der Empfindung und Wahrnehmung eines Sinnesobjektes in uns aufsteigen,

also zunächst eben das Erwägen oder Denken,

weiterhin alles im unmittelbaren Anschluß an dieses Denken sich einstellende Wollen

in allen seinen möglichen Äußerungen,

wie Verlangen, Freude, Begeisterung, Abneigung, Zorn, Ärger, Traurigkeit, Furcht usw.

kurz, den ganzen Komplex des aus Anlaß der Empfindung und Wahrnehmung

eines bestimmten Sinnesobjektes einsetzenden Vorstellungs- und Wollenslaufes.

Diesen fassen wir im Deutschen als die Gesamtheit

der durch eine konkrete Empfindung und Wahrnehmung

hervorgerufenen Gemütsregungen zusammen,

wobei zu bemerken ist, daß das Wort „Gemüt“

selbst nichts weiter als einen bloßen Sammelnamen für die Summe

aller überhaupt möglichen inneren Regungen

nach der Willens- und Vorstellungsseite hin darstellt. –

Eben deshalb ist auch der Ausdruck »Gruppe der Gemütsregungen“

dem sankhara-khandho völlig adäquat. –

Streng genommen

sind natürlich auch die Gemütsregungen nach der Vorstellens-Seite hin Willensäußerungen,

nämlich eben die unmittelbare Verwirklichung des aufsteigenden Wollens im Denken.

Dies kommt auch treffend in unserem Vierte »Gemüt« zum Ausdruck,

in welchem die Beziehung auf den Willen bei weitem überwiegt.

 

»Der König sprach: Ist es wohl möglich,

ehrwürdiger Nagaseno, diese zur Einheit verbundenen Erscheinungen voneinander zu trennen

und ihre Verschiedenheit zu zeigen, so daß man sagen könnte:

‚Dies ist die Berührung, dies die Empfindung,

dies die Wahrnehmung, dies der Wille, dies das Erkennen,

dies der begriffliche Gedanke, dies das diskurvise Denken‘?« –

»Nein, oh König, das ist nicht möglich.« –

»Gib mir eine Erläuterung hierfür!« –

»sagen wir, oh König, der Koch eines Fürsten bereite eine Suppe oder eine Sauce

und füge etwas saure Milch, Salz, Ingwer, Kümmel, Pfeffer und andere Gewürze hinzu.

Wenn nun der Fürst zu ihm sprechen sollte:

‚Ziehe mir einzeln den Saft der sauren Milch heraus,

sowie des Salzes, des Ingwers, des Kümmels, des Pfeffers und der anderen Gewürze,

die du hinzugefügt hast‘ –

könnte da wohl, oh König,

der Koch die Säfte jener so innig gemischten Gewürze voneinander trennen und herausholen

und sagen: ‚Dies ist das saure, dies das Salzige, dies das Bittere,

dies das Beißende, dies das Herbe und dies das süße‘?« –

»Gewiß nicht. oh Herr! Das ist unmöglich.

Dennoch aber

sind die sämtlichen Gewürze mit ihren jedesmaligen charakteristischen Merkmalen darin enthalten« –

»Ebenso auch, oh König, ist es unmöglich,

diese zur Einheit verbundenen Erscheinungen wirklich voneinander zu trennen

und ihre Verschiedenheit zu zeigen und zu sagen:

‚Dies ist die Berührung, dies die Empfindung,

dies die Wahrnehmung, dies der Wille, dies das Erkennen,

dies der begriffliche Gedanke, dies das diskursive Denken‘.«

 

Bewußtsein, Empfindung, Wahrnehmung, Gemütsregungen und Erkennen

sind also das jeweilige, stets verbunden auftretende Produkt der Sinnentätigkeiten,

das diese immer wieder neu mit der Exaktheit eines maschinenmäßigen Betriebes erzeugen.

In der Tat ist, wenn man der Sache ganz auf den Grund geht,

die körperliche Form mit den Sinnesorganen,

also das, was wir die Unterlage der Persönlichkeit genannt haben,

nichts weiter als das maschinelle Getriebe der sechs Sinne,

die Sechssinnenmaschine,

die den Zweck hat, uns in Kontakt mit der Außenwelt in Form der Erzeugung von Bewußtsein

und damit von Empfindung und Wahrnehmung derselben zu bringen.

Diese Maschine hat in den fünf einzelnen Sinnesorganen

ebenso vielfach verschiedene Werkzeuge für das „lneinandergreifen“

mit den fünf spezifisch verschiedenen Gruppen von Bestandteilen der Außenwelt –

das sechste Sinnesorgan, der Denksinn, ist, wie bereits erwähnt, lediglich die Zentrale der Außensinne.

Die Welt mag nämlich sein, was sie will:

auf jeden Fall setzt sie sich aus jenen »Merkmalen, Kennzeichen“* zusammen, (* Digha Nik. XV.)

die uns weiterhin als die Gestalten, die Töne, die Düfte, die Säfte, die Tastobjekte

in Form der Wahrnehmung zum Bewußtsein kommen

und die dann selbst wieder das Material für die Produkte des Denksinnes abgeben.

Ja, sie erschöpft sich in diesen Elementen: »Alles will ich euch zeigen, Mönche: was ist alles?

Das Auge und die Gestalten, das Ohr und die Töne,

die Nase und die Düfte, die Zunge und die Säfte,

der Leib und die Tastobjekte, das Denken und die Vorstellungen.

Das heißt man, Mönche, Alles*.«

(* Samyutta Nik. vol. IV, p. 15 (XXXV, 24))

Dieser Satz wird uns in seiner inneren Evidenz später noch klarer werden.

Hier beweise er nur so viel, daß nach dem Buddho die Welt auf jeden Fall nichts weiter ist

als eine Welt der Gestalten, der Töne, der Düfte, der Säfte, der Tastobjekte

und der (aus diesen zusammenkonstruierten) Dinge,

zu deren Auffassung, beziehungsweise Verarbeitung

vermittels des sechsten Sinnes in Form aller nur möglichen Gemütstätigkeiten,

eben die Sechssinnenmaschine bestimmt und eingerichtet ist.

 

*

Freilich ist diese aus dem Bisherigen noch nicht voll verständlich.

Wie soll ein ausschließlich aus den vier Hauptstoffen, also aus toter Materie bestehendes Gebilde

– und etwas anderes ist unser Körper so, wie wir ihn bisher kennen gelernt haben, doch nicht –

befähigt sein, wenn er in Tätigkeit versetzt wird.

Bewußtsein und damit Empfindung, Wahrnehmung, Denken,

kurz, den Inbegriff aller jener Phänomene zu erzeugen, die wir die geistigen nennen?

Wenn ein aus toten Stoffen zusammengesetzter Körper in Bewegung gesetzt wird,

entstehen doch immer bloß rein mechanische Bewegungen,

nie aber die sogenannten geistigen Phänomene,

auch wenn dieser Körper im Übrigen die Gestalt eines menschlichen Körpers hat,

wie etwa ein menschlicher Leichnam,

was doch wohl der deutlichste Beweis dafür ist,

daß in dem stofflichen Körper als solchem und für sich allein

nicht der zureichende Grund für diese geistigen Phänomene liegen kann!

Andererseits aber haben wir im bisherigen gesehen,

daß diese geistigen Phänomene an den stofflichen Körper, beziehungsweise dessen Organe,

gebunden, durch sie bedingt sind.

Daraus folgt, daß der stoffliche Körper,

beziehungsweise dessen gleichfalls aus den Stoffen der äußeren Natur aufgebaute Sinneswerkzeuge,

damit die letzteren Bewußtsein auslösen

und damit die ihnen eigenen spezifischen Wirkungen

des Sehens, Hörens, Riechens, Schmeckens, Tastens, Denkens hervorbringen können,

besonders geeigenschaftet sein müssen.

Ein Analogon mag das erläutern:

 

Wenn ich einem ein Stück gewöhnliches Eisen gebe und ihn auffordere,

mit demselben andere Eisenteilchen ohne unmittelbare Berührung anzuziehen und festzuhalten,

so wird er mir mit Recht erklären, daß das ein Ding der Unmöglichkeit sei,

da dem Eisen als solchem die hierzu erforderliche Eigenschaft schlechthin abgehe.

Wenn er aber etwas von Physik versteht, so wird er hinzufügen,

daß er die zugemutete Aufgabe leicht ausführen könne, wenn ihm ein Magneteisen eingehändigt werde.

Manche Stücke des natürlich vorkommenden Eisenoxyduloxyds oder Magneteisensteines

besitzen nämlich die Eigenschaft, Eisenteilchen anzuziehen und festzuhalten;

man nennt diese Eigenschaft Magnetismus,

und ein Stück jenes Eisenerzes, welches sie besitzt, heißt ein natürlicher Magnet.

Dieses Eisen hat also eine Eigenschaft, welche das gewöhnliche Eisen nicht hat,

es entwickelt etwas dem Leben Analoges, indem es von innen heraus Bewegung verursacht,

und zwar entwickelt es diese Eigenschaft deshalb, weil es magnetisiert ist.

Was ist aber nun dieser Magnetismus?

Auf jeden Fall etwas zum Eisen Hinzukommendes.

Das beweist ja auch schon der Umstand,

daß man durch Berühren oder Bestreichen mit einem natürlichen Magneten

den Magnetismus vorübergehend auf Eisen und dauernd auf Stahl übertragen kann,

die selbst dadurch zu künstlichen Magneten werden.

Im Übrigen aber ist uns dieses Etwas gänzlich unbekannt.

Vielleicht ist es ein überaus Feines, Ätherisches,

das als solches nicht wahrnehmbar, insbesondere auch nicht wägbar ist;

vielleicht besteht es auch bloß in einer Veränderung bestimmter Art der Eisenmoleküle selbst.

Doch mag dem sein, wie ihm wolle, auf jeden Fall verleiht die Magnetisierung,

also der Vorgang, durch welchen unmagnetisches Eisen zu magnetischem wird,

dem Eisen eine seinem eigenen Wesen durchaus fremde, geheimnisvolle Fähigkeit,

die ihrerseits selbst wieder nur in Abhängigkeit vom Eisen bestehen kann derart,

das sie spätestens – sie kann auch schon vorher wieder von ihm weichen –

mit der Vernichtung des Eisens ebenfalls verschwindet. –

Genau dasselbe Verhältnis, wie zwischen dem unmagnetischen und dem magnetischen Eisen

besteht nun aber auch zwischen der unorganischen und der organischen Materie.

Unorganische Stoffe können nie und unter keinen Umständen

Träger der in Empfindung, Wahrnehmung und Denken bestehenden Bewußtseinsprozesse sein.

Damit sie hierzu fähig werden, müssen sie besonders geeigenschaftet,

müssen, wie das Eisen magnetisch, so organisch gemacht,

müssen, wie jenes magnetisiert, so organisiert werden.

Eben das geschieht nun aber,

wenn sie sich in einem Mutterleib zu einer körperlichen Form bestimmter Gattung aufbauen.

Wie manches Eisenoxyduloxyd bereits von der Natur magnetisiert wird,

so wird hier im Mutterleib von allem Anfang der stoffliche Körper,

beziehungsweise werden seine ebenfalls rein stofflichen Sinnenwerkzeuge organisiert,

das ist, fähig gemacht, als Sinnesorgane zu dienen.

Freilich können wir auch hier nicht sagen, wie diese Organisierung erreicht wird und worin sie besteht,

ob der stoffliche Körper mit einer Art ätherischen Fluidums,

das als solches weder wahrnehmbar noch wägbar ist, förmlich geladen wird

oder ob nur eine Veränderung des Zustandes der Stoffmoleküle selbst vor sich geht.

Allein auch hier wissen wir jedenfalls so viel,

daß die Organisierung etwas zu den anorganischen Stoffen Hinzukommendes ist,

was den aus ihnen gebildeten Sinnenwerkzeugen

eine ihrem Wesen durchaus fremde, geheimnisvolle Fähigkeit verleiht,

nämlich die, sobald sie in Tätigkeit gesetzt werden, Bewußtsein aufflammen zu lassen

und dadurch Empfindung und Wahrnehmung zu erzeugen.

Diese Überführung von anorganischer Materie in organische

ist gleichbedeutend mit der von toter in lebende;

denn unter letzterer versteht man eben die Fähigkeit, Empfindung auszulösen,

so daß also Vitalität und Organisiert-sein einer körperlichen Form dasselbe besagen. *

* Lebendig-sein und Organisch-sein sind Wechselbegriffe,

führt Schopenhauer in W. a. W. u. V. ll, S. 336 (347) aus.

Diese Vitalität ist ganz ebenso, wie der Magnetismus nur in Abhängigkeit vom Eisen bestehen kann,

so zwar, das er spätestens mit dessen Zersetzung gleichfalls verschwindet

durchaus an den stofflichen Körper gebunden,

kann also auch nur in Abhängigkeit von ihm bestehen

und muß ebenfalls spätestens mit seiner Auflösung gänzlich verschwinden.

 

So wird nunmehr die Sechssinnenmaschine vollständig begreiflich.

Sie besteht aus dem mit Vitalität ausgestatteten

oder, wenn man so will, mit Vitalität geladenen oder, kurz, dem lebensfähigen Körper.

Erst Sinnesorgane, die bereits lebensfähig sind,

und bloß solche, die noch Lebensfähigkeit besitzen, sind funktionsfähig.

Das ist auch die Bedeutung der Worte im achtundzwanzigsten Suttam der Mittleren Sammlung,

das Sehorgan, das Hör-, Riech-. Schmeck-, Tast- und Denkorgan müsse ungebrochen sein,

wenn der Sinnes-Prozeß anheben solle. * (* Cfr. oben, s. 40/41)

Indes besteht Anlaß, noch näher darzulegen,

daß das Vorgetragene nun auch wirklich dem Standpunkt des Buddho entspricht,

der allein hier ja wiederzugeben ist.

 

Schon der Mönch Mahakottito wollte wissen,

wie die Sinnenwerkzeuge unseres Körpers zu der ihnen eigentümlichen Fähigkeit kämen,

Bewußtsein und damit Empfindung und Wahrnehmung auszulösen,

wie er das in seiner Frage an Sariputto zum Ausdruck bringt:

»Fünf Sinne haben wir da, Bruder: Gesicht, Gehör, Geruch, Geschmack, Getast.

Wodurch bestehen nun, Bruder, diese fünf Sinne?«

Er erhält von Sariputto die Antwort:

»Diese fünf Sinne*, oh Bruder, bestehen durch die Lehensfähigkeit**.“

* Der sechste Sinn, der Denksinn, ist hier nicht genannt,

offenbar deshalb nicht, weil unmittelbar vorher von Sariputto ausgeführt worden ist,

daß er nichts weiter als die Zentrale der übrigen Sinne sei,

also auch die gleiche Grundvoraussetzung wie diese haben muß.

(** Majj. Nik. l. p. 295 (43. Suttam))

Damit erklärt Sariputto also ausdrücklich,

daß die Sinnentätigkeiten nichts weiter als die Äußerungen der Lebensfähigkeit darstellen,

in dieser ihren zureichenden Grund haben.

Auch der Buddho selbst bringt den gleichen Gedanken dadurch zum Ausdruck,

daß er für die Sechssinnenmaschine oder den körperlichen Organismus

die Bezeichnung nama-rupam gebraucht.

Er versteht nämlich dabei unter rupam den aus den anorganischen Stoffen bestehenden Körper

und unter namam

die Fähigkeit der Empfindung, Wahrnehmung, des Denkens, der Berührung und des Achtgebens:

»Und was, Mönche, ist nama-rupam?

Empfindung, Wahrnehmung, Denken, Berührung, Achtgeben: das nennt man namam.

Die vier Grundelemente und die von den vier Grundelementen abhängige körperliche Form:

das nennt man rupam.

So ist jenes namam und dieses rupam.

Das nennt man, Mönche, nama-rupam“. * (* Samyutta Nik. Xll, 2)

Da die unter namam zusammengefasten Fähigkeiten*

den Kern dessen bilden, was man Lehen nennt**,

so ist mithin die inhaltliche Bedeutung von nama-rupam wiederum der lehensfähige Körper***.

* Das der Buddho unter namam nur die Fähigkeit der Empfindung,

Wahrnehmung, des Denkens, der Berührung und des Achtgebens versteht,

ergibt sich in der durchsichtigsten Weise

aus der später noch zu behandelnden Kausalitätskette – dem Paticcasamuppado –

indem daselbst namasrupam als Voraussetzung der konkreten Berührung,

Empfindung, Wahrnehmung usw. aufgeführt wird. –

Man kann in den Sutten oft finden,

daß ein Wort sowohl eine bestimmte Eigenschaft als auch die Fähigkeit zu ihr in sich begreift.

 

** Gewöhnlich wird als das charakteristische des Lebens

nur die Empfindung-fähigkeit angegeben, und mit Recht;

denn Wahrnehmung, Denken, das Achtgeben

sind nur die notwendigen Folgeerscheinungen der Empfindung

auf den höheren Stufen des Lebens.

 

*** Dabei äußert sich das, was wir bisher als die Lehensfähigkeit kennen gelernt haben,

nach zwei Richtungen,

nämlich einmal als die Fähigkeit zu den vegetativen Funktionen des Körpers

und dann als die zu den sinnlichen – eben Empfindung und Wahrnehmung –

der sechs Sinnesorgane, das Denkorgan als Zentrale eingeschlossen,

oder, wie wir sagen. des Zentralnervensystems.

Unter namam wird nun speziell diese zweite Seite der Lebensfähigkeit,

also das Vermögen der Sinnlichkeit, begriffen.

Da aber dieses Vermögen als der höhere Grad der Lebensfähigkeit den niederen,

nämlich die Fähigkeit zum vegetativen Leben, voraussetzt

und deshalb als selbstverständlich in sich einschließt,

so konnte der Buddho füglich bei der obigen Definition von namam

diese letztere niedere Seite der Lebensfähigkeit unerwähnt lassen.

Ganz ebenso machen es ja auch wir selbst,

wenn wir Leben einfach als Empfindungsfähigkeit definieren.

Übrigens kann nama-rupam auch mit Geist-Leib übersetzt werden,

da wir die unter namam begriffenen Fähigkeiten

auch die geistigen und in ihrer Zusammenfassung Geist* nennen**.

* Über den Begriff Geist als eines bloßen Sammelnamens siehe weiter unten.

** Der Ausdruck nama-rupam ist aus dem Veda übernommen

und bedeutet dort das, was Name und Gestalt hat, das ist das einzelne lndividuum:

»Die Welt hier war damals nicht entfaltet;

eben dieselbe entfaltete sich in Namen und Gestalten, so daß es hieß:

‚der so und so mit Namen – [namam] – Heißende hat die und die Gestalt [rupam].‘

Eben dieselbe wird auch heute noch entfaltet zu Namen und Gestalten, so daß es heißt:

‚der so und so mit Namen Heißende hat die und die Gestalt‘.“

(Deussen, sechzig Upanischad’s, s. 394.)

„Name und Gestalt sind die Realität.« (Deussen, l. c. s. 407.)

Eben diese Realität des Individuums versteht natürlich auch der Buddho unter namas rupam.

Das Auszeichnende bei ihm besteht bloß darin, daß er sich nicht genügen läßt,

diese Realität dunkel als das, was Name und Gestalt hat. zu umschreiben,

sondern daß er diese beiden Elemente der Individualität auf ihren wirklichen Gehalt zurückführt,

indem er die Gestalt als ein Produkt der Materie

und das, was diese Materie belebt

und sie eben dadurch zu einem Individuum mit eigenem Namen macht,

als den Inbegriff der sogenannten geistigen Fähigkeiten aufzeigt.

 

Das dabei speziell das Verhältnis von namam zu rupam das des Magnetismus zum Eisen ist,

geht aus Folgendem hervor:

Nama-rupam ist die Sechssinnenmaschine,

die den Kontakt zwischen uns und den Objekten der Außenwelt

und damit Wahrnehmung und Gemütstätigkeiten und Erkennen überhaupt erst möglich macht.

Der Buddho spricht das auch noch anderweit in den Worten aus:

»Wenn, Anando, die Frage gestellt würde: ‚Ist die Berührung von irgend etwas abhängig?‘ –

so wäre zu erwidern: ‚Ja, sie ist abhängig.‘

Und wenn gefragt würde: ‚Von was ist die Berührung abhängig?‘ –

so wäre zu erwidern: ‚In Abhängigkeit von nama-rupam entsteht die Berührung‘*.“ (* Digha Nik. XV.)

 

Dabei erklärt er nun nama-rupam, wie folgt *: (* Cfr. Digha Nik. XV.)

Er unterscheidet den namakayo und den rupakayo,

das heißt also, da kayo Körper bedeutet, den Geistkörper und den Stoffkörper,

und führt im Anschluß daran aus, daß, wenn der Geistkörper nicht vorhanden wäre,

dann auch der Stoffkörper für uns nicht erreichbar wäre *, mithin nicht existieren könnte,

* Speziell hier muß man sich gegenwärtig halten,

daß wir in unserem eigentlichen Wesen etwas hinter unserer Persönlichkeit Liegendes sind.

und, umgekehrt, das, wenn der stoffliche Körper nicht vorhanden wäre,

dann auch »jene Merkmale, jene Kennzeichen, jene Äußerungen«,

in welchen sich der Geistkörper offenbart,

das ist also Empfindung, Wahrnehmung und Gemütstätigkeiten, für uns nicht möglich wären,

so das also tatsächlich erst in der Verbindung dieser beiden „Körper“

die Möglichkeit der Berührung und damit der Empfindung gegeben ist:

»Da ist hier also, Anando, die Ursache, der Ursprung, die Entstehung, die Abhängigkeit der Berührung,

nämlich nama-rupam.«

 

Hiernach besteht also die Sechssinnenmaschine – nama-rupam –

nach dem Buddho tatsächlich aus zwei gleichwertigen Komponenten,

die erst in ihrer Vereinigung die Fähigkeit zur Erzeugung von Bewußtsein und damit Empfindung.

Wahrnehmung und Erkennen ergeben, nämlich eben dem Stoffkörper und dem Geistkörper.

beiden Komponenten sehen wir von ihm einander ebenso gegenübergestellt,

wie wir dem Stahl den Magnetismus gegenüberstellen, die beide ja auch erst in ihrer Vereinigung

die Fähigkeit der Anziehung und Abstoßung anderer Eisenteile haben.

Um diese Übereinstimmung auch äußerlich erkennbar zu machen,

darf man nur entsprechend dem Ausdruck nama-rupam statt Magnet »Magnet-Eisen« sagen

und dann diesen Begriff im Anschluß an den namakayo und rupakayo, den Geistkörper und Stoffkörper,

als die Kombination des »Magnetleörpers« und des »Eisenkörpers« definieren.

 

Freilich wie nun das Verhältnis zwischen diesem Geistkörper und Stoffkörper näher beschaffen ist,“

das wissen wir nicht, so wenig als es bisher gelungen ist,

das Verhältnis des Magnetismus zum Stahl als seinem Träger aufzuklären.

Auch der Buddho sagt es uns nicht, sondern ganz ebenso,

wie auch wir den Magnetismus nur nach seinen Wirkungen beschreiben können,

in welchen er in die Erscheinung tritt,

begnügt sich auch er damit, den Geistkörper

aus »jenen Erscheinungen, jenen Merkmalen, jenen Kennzeichen, jenen Äußerungen« zu bestimmen,

»in welchen er offenbar wird*.« (*Cfr. Digha Nik. l. c.)

Auf jeden Fall muß man sich davor hüten,

die hier gewählte Wiedergabe des Wortes namakayo mit »Geistkörper« als ein Geistiges

in dem bei uns gebräuchlichen sinne einer unzerstörbaren, immateriellen Substanz zu nehmen,

welche etwa in dem Stoffkörper wohnen würde.

Mit »Geistkörper« will vielmehr, wie schon angegeben,

nichts weiter als jener unbekannte Faktor bezeichnet werden,

der den grobstofflichen Körper in jenen Zustand überführt,

in welchem er Empfindungen, Wahrnehmungen und Erkennen für uns zu erzeugen fähig wird.

In der Lehre des Buddho gibt es den Gegensatz von Geist und Stoff

in dem bei unseren Theologen gebräuchlichen Sinn überhaupt nicht.

Geist und Stoff sind bei ihm «nicht etwas durchaus Verschiedenes,

sondern figurieren in ein und derselben Skala,

indem das stoffliche zugleich ein Grobgeistiges, das Geistige und Seelische

zugleich ein Feinstoffliches ist *«;

(* Schrader, Die Fragen des Königs Menandros. S. 169.)

oder, anders ausgedrückt:

Der Geistkörper ist genau in demselben Sinne ein Geistiges,

wie der Magnetismus im Verhältnis zum grobstofflichen Eisen ein Geistiges genannt werden kann.

In dieser Auffassung ist der Buddho ja auch durchaus im Einklang mit unserer modernen Physiologie,

für die es ebenfalls ausgemacht ist,

daß auch die sogenannten geistigen Prozesse im Grunde materielle Vorgänge,

wenn auch feinster Art, so wie wir uns etwa Ätherschwingungen vorstellen, sein müssen.

Positiv kommt man der Wahrheit jedenfalls am nächsten,

wenn man das Verhältnis des Geistkörpers zum Stoffkörper dahin definiert,

das der Geistkörper eine nähere Bestimmung, das heißt also eine Eigenschaft des Stoffkörpers, darstellt, wiederum in dem Sinn, wie der Magnetismus eine Eigenschaft des Eisens bildet.

Das geht schon daraus hervor, daß nach dem Buddho die Lebensfähigkeit, die ja, wie bereits dargelegt.

im Grunde mit den im Begriff Geistkörper zusammengefasten Fähigkeiten identisch ist,

und die animalische Wärme des Stoffkörpers sich wechselseitig bedingen.

Nachdem nämlich Sariputto erklärt hat, daß die Sinne durch die Lebensfähigkeit bedingt seien,

setzt sich der Dialog zwischen ihm und dem Mönch Mahakottito so fort:

»Wodurch besteht aber die Lebensfähigkeit, oh Bruder?« –

»Die Lebensfähigkeit besteht durch die Wärme.« –

»Und wodurch, oh Bruder, besteht die Wärme?« –

»Die Wärme besteht durch die Lebensfähigkeit‘ –

»so verstehen wir nun jetzt die Rede des ehrwürdigen Sariputto so:

‚Die Lebensfähigkeit besteht durch die Wärme‘

und: ‚Die Wärme besteht durch die Lebensfähigkeit‘;

wie soll man, oh Bruder, den Sinn solcher Rede deuten?« –

»so will ich dir denn, oh Bruder, ein Gleichnis geben.

Auch durch Gleichnisse wird da einem verständigen Mann der Sinn einer Rede klar *.

* Aus dem gleichen Grund ist hier auch die Vergleichung mit dem Magnetismus durchgeführt.

Gleichwie, oh Bruder, bei einer brennenden Öllampe

durch die Flamme das Licht erscheint und durch das Licht die Flamme,

ebenso nun auch, oh Bruder,

besteht die Lebensfähigkeit durch die Wärme und die Wärme durch die Lebensfähigkeit.«

Die Lebensfähigkeit verhält sich also zur tierischen Warme, die den Stoffkörper erfüllt und durchdringt,

wie das Licht zur Flamme,

und ist damit, wie die animalische Wärme, selbst eine Eigenschaft des Stoffkörpers.

Das übrigens auch hier die Analogie mit dem Magnetismus gegeben ist,

geht daraus hervor, daß der Magnetismus,

wie Schopenhauer sagt*, (*Satz vom Grunde, s. 154 (59); Sehen u. Farben. s. 77 (91))

keine ursprüngliche Naturkraft,

sondern auf Elektrizität zurückzuführen ist,

diese selbst aber wieder mit der Wärme in Wechselwirkung steht (Thermoelektrizität).

 

Endlich mag man, wie im Verhältnis von Stoff- und Geistkörper

die Analogie von Eisen und Magnetismus auf der ganzen Linie zutrifft,

noch aus dem weiteren Umstande ersehen,

daß, wie der Magnetismus vom Magneten auf anderes Eisen übertragen werden kann,

so der Geistkörper vom Heiligen im Zustand hochgradiger Konzentration

in einem gewissen Sinn exteriorisiert zu werden vermag:

 

»Wenn so der Geist des Mönches konzentriert, völlig rein, ganz lauter,

frei vom Dunst (irgendwelcher Gemütsregung),

ohne jeden trübenden Fleck, geschmeidig, gefügig, unablenkbar» unverstörbar geworden ist,

dann wendet er ihn hin und richtet ihn auf die Hervorbringung eines aus Geist bestehenden Körpers.

Und so ruft er aus diesem (leiblichen) Körper einen anderen gestalthaften,

aber aus Geist bestehenden Körper hervor, mit allen Haupt- und Nebenorganen und Vermögen.

 

»Es ist, großer König, wie wenn jemand einen Munja-Grashalm aus seiner Blattscheide herauszieht

und dabei denkt:

‚Dies ist die Blattscheide des Munja-Grases, dieses der Halm, Blattscheide und Halm ist zweierlei,

aber der Halm ist aus der Blattscheide herausgezogen‘:

Geradeso, großer König, richtet und fixiert der Mönch, wenn sein Geist so konzentriert ist,

denselben auf die Hervorbringung eines aus Geist bestehenden Körpers

und ruft so aus diesem leiblichen Körper

einen anderen gestalthaften, aber aus Geist bestehenden,

mit allen Haupt- und Nebenorganen und Vermögen versehenen, hervor.*« (* Digha Nik. ll.)

* Wer dächte hier nicht an die modernen Versuche, die Empfindung zu exteriorissieren!

(cfr. Rochas, l‘Exteriorisation de la sensibilite).

 

Hiernach ist also die Ähnlichkeit zwischen dem mineralischen Magnetismus

und dem, was wir bisher nach dem Buddho als Lebensfähigkeit oder Geistkörper bestimmt haben,

in der Tat so groß, daß man es vollkommen versteht,

wenn die neuere Zeit für letztere Qualität direkt den Ausdruck »animalischer Magnetismus« geprägt hat.

 

Fast man das bisher Ausgeführte zusammen,

so besteht also die Sechssinnenmaschine -nama-rupam – aus zwei Komponenten,

von denen die eine – rupam, der aus den toten Stoffen der Außenwelt aufgebaute Körper –

der Träger der anderen, nämlich der Vitalität – auch namam oder namakayo, Geistkörper, genannt – ist,

derart, daß die letztere eine nähere Bestimmung, das heißt also eine Eigenschaft der ersteren bildet, genau so, wie der Magnetismus eine Eigenschaft des Eisens darstellt;

wie der Magnetismus das Eisen magnetisch, so macht die Vitalität den Stoffkörper organisch,

das heißt gestaltet tote Materie zu lebender,

die allein in der Form des körperlichen Organismus * Bewußtsein auszulösen

* Man wird merken,

daß bei diesem Terminus »körperliche« dem rupam und »Organismus« dem namam entspricht.

und damit die Berührung mit der Außenwelt herbeizuführen fähig ist *.

* Mit diesen Ausführungen stimmt es vollständig überein,

wenn im Milindapanho Nama-rupam so bestimmt wird:

Der König sprach: »Meister Nagaseno, du sprachst von nama-rupam.

Was bedeutet dabei ‚namam‘ und was ‚rupam‘?«

»Was es an einem Wesen Grobstoffliches gibt, das ist ‚rupam‘,

und was es Feines, seelisches, Geistiges an ihm gibt, das ist ‚namam‘.«

»Woher kommt es, Meister Nagasen,

daß nicht ‚namam‘ für sich wiedergeboren wird oder ‚rupam‘ für sich?«

»Diese beiden, Großkönig,

sind untrennbar miteinander verknüpft: nur als Einheit können sie ins Dasein treten.«

»Gib ein Gleichnis.«

»Gleichwie, Großkönig, eine Henne Dotter und Eischale nicht getrennt legen kann,

weil Dotter und Eischale so voneinander abhängig sind, daß sie nur als Einheit entstehen können: ebenso, Großkönig, würde es kein rupam geben, wenn es kein namam gäbe.

Denn namam und rupam sind derart voneinander abhängig,

daß sie nur zusammen entstehen können.

und so geschieht es seit undenkbarer Zeit.«

 

Aus dem Ausgeführten wird sich wohl auch die Einsicht ergeben,

daß das Seh-, Hörbewußtsein usw. nicht im Gehirn entsteht,

wie man heutzutage daraus folgern zu müssen glaubt,

daß, wenn der vom einzelnen Sinnesorgan zum Gehirn führende Nervenstrang abgeschnitten wird,

dann auch nichts mehr gesehen, gehört wird, sondern unmittelbar im Auge, im Ohre usw. selbst.

Indem die Abschneidung der einschlägigen Nerven nur die Leitung zur Stromquelle unterbricht,

so daß der Nerv sozusagen stromlos wird, nicht mehr mit Lebensfähigkeit geladen ist.

 

*

Damit ist der körperliche Organismus – nama-rupam – als Sechssinnenmaschine völlig begriffen

und damit auch das eine Substrat der Persönlichkeit.

Die letztere hat aber noch ein weiteres, das Bewußtsein.

Die Möglichkeit, mit der Welt in Berührung zu kommen,

hängt nämlich, wie im bisherigen genügend dargetan ist,

außer von dem Vorhandensein des körperlichen Organismus noch davon ab,

daß dieser in seiner sechsfachen Sinnentätigkeit Bewußtsein auslöst.

Würde infolge der Tätigkeit des Organismus kein Bewußtsein aufflammen.

dann würden wir trotz dieser Sinnentätigkeit von der Welt nicht berührt werden,

würden mit anderen Worten nichts empfinden und wahrnehmen,

somit ist die Persönlichkeit

erst das einheitliche Resultat des körperlichen Organismus und des Elements des Bewußtseins.

Auch dieses ihr zweites Substrat ist noch etwas näher zu beleuchten.

 

Zunächst ist der mögliche Einwand zurückzuweisen,

daß das Bewußtsein als eine eigene Grundlage der Persönlichkeit gar nicht angesprochen werden könne,

und zwar deshalb nicht,

weil es selbst durch den körperlichen Organismus jeweils immer erst hervorgebracht wird.

Um diesen Einwand als hinfällig zu erkennen, genügt der einfache Hinweis darauf,

daß ja auch ein brennendes Zündholz

aus zwei vollständig heterogenen Elementen besteht, dem Holz und dem Feuer,

obwohl das letztere erst durch Berührung des ersteren

mit der Reibfläche der Zündholzschachtel ausgelöst wird,

ganz ebenso, wie ja auch das Bewußtsein durch das Ineinandergreifen des einzelnen Sinnesorganes

mit dem ihm entsprechenden äußeren Objekt aufflammt.

 

Mit dem Element des Feuers teilt das Bewußtsein dann auch noch die weitere Eigenschaft,

daß es jeweils immer wieder neu entfacht werden muß.

 

lm Übrigen aber ist das Verhältnis des körperlichen Organismus zum Bewußtsein viel inniger

als das zwischen Zündholz und Feuer.

Während nämlich das Verhältnis der beiden letzteren zu einander ein einfach bedingtes,

das heißt also einfach das von Ursache und Wirkung schlechthin ist,

bedingen sich der körperliche Organismus und das Bewußtsein gegenseitig.

 

Zunächst wissen wir nämlich bereits,

daß das Bewußtsein durch den körperlichen Organismus bedingt, weil ja dessen Produkt, ist.

Andererseits ist aber auch der Bestand des körperlichen Organismus selbst

wiederum durch das Bewußtsein bedingt.

Denn würde ersterer letzteres nicht erzeugen, dann gäbe es eben deshalb auch keine Empfindung.

Der empfindungslose, wenn auch lebensfähige, Körper aber

wäre, wie ohne weiteres erhellt. schon mangels der Fähigkeit, Nahrung aufzunehmen,

dem Untergang geweiht.

Ja, sogar schon der Embryo im Mutterleib könnte sich nicht zur Reife entwickeln,

wenn er nicht in seinen späteren Stadien eine Sinnentätigkeit entfaltete

und sich infolge davon Bewußtsein auf ihn herabsenkte.

Denn wie bekannt, zeigt er bereits vom sechsten Monat der Schwangerschaft ab eigenes Leben,

das sich in selbständigen Bewegungen äußert.

Nun ist aber, wie wir wissen,

Lebensfähigkeit identisch mit Empfindungsfähigkeit und wirkliches Leben mit wirklicher Empfindung.

Also hat eben auch der Embryo von diesem Stadium an bereits Empfindung

und damit, weil, wie wir ebenfalls bereits wissen,

eine solche ohne Bewußtsein nicht möglich ist, auch Bewußtsein.

Freilich ist dies nur die niederste Art der Empfindung, das heißt bloße Tastempfindung,

welche durch das über den ganzen Körper verbreitete Tastorgan,

das ist den entsprechenden Teil des Nervenapparates, ausgelöst wird,

wie sie beispielsweise ein Wurm haben mag,

und ist demzufolge auch das sich einstellende Bewußtsein nur ein solches,

welches diesem niedersten Grad von Empfindung, ohne hinzukommende Wahrnehmung, entspricht * –

* Dieses Bewußtsein erschöpft sich also in der konkreten Empfindung.

die sämtlichen anderen Sinne verhalten sich noch untätig, erzeugen also ihrerseits noch kein Bewußtsein,

insbesondere das Gehirn noch kein Denk- und damit natürlich auch keinerlei Selbstbewußtsein.

Aber immerhin muß auch schon im Embryo

mit der Zeit wenigstens dieses Tastbewußtsein entwickelt werden, wenn er zur Reife kommen soll,

so daß also auch schon bei ihm das Bewußtsein

die Bedingung für die Weiterentfaltung und Weiterentwicklung von nama-rupam

oder des körperlichen Organismus ist.

Ja, das Bewußtsein

muß sich schon im Augenblick der Empfängnis auf den befruchteten Keim herniedersenken,

wenn dieser seinerseits sich soll zum Embryo entwickeln können.

Allerdings ist es in dieser Periode, entsprechend dem Umstand.

daß es da noch undifferenzierte,

  1. h. noch nicht zu Sinnesorganen differenzierte organische Materie ist, die es auslöst,

noch so schwach, daß es bloße vegetative Reize vermittelt,

ist also zunächst nur ein Bewußtsein und löst nur Empfindungen, bzw. Analoga von solchen, aus,

wie sie ein sich entwickelnder Pflanzenkeim hat.

Erst allmählich im Verlauf der embryonalen Entwicklung

steigert sich dieses pflanzenhafte Bewußtsein zum tierischen Tastbewußtsein.

Damit steht aber die gegenseitige Bedingtheit der beiden,

des körperlichen Organismus und des Bewußtseins, fest:

 

»Wie, Freund, zwei Bündel von Ried gegen einander gelehnt stehen,

so auch, Freund, entsteht Bewußtsein durch den körperlichen Organismus – nama-rupam –

der körperliche Organismus durch Bewußtsein*.« (* Samyutta Nik. vol. ll. pag. 114 (Xll. 67))

 

»Wenn, Anando, die Frage gestellt würde:

‚Ist der körperliche Organismus – nama-rupam – von irgend etwas abhängig?‘ –

so wäre zu erwidern: ‚Ja, er ist abhängig.‘

Und wenn gefragt würde: ‚Von was ist der körperliche Organismus abhängig?‘ –

so wäre zu erwidern: ‚In Abhängigkeit von dem Bewußtsein entsteht der körperliche Organismus‘.

 

»Wenn, Anando, die Frage gestellt würde: ‚Ist das Bewußtsein von irgend etwas abhängig?‘ –

so wäre zu erwidern: »Ja, es ist abhängig.‘

Und wenn gefragt würde: ‚Von was ist das Bewußtsein abhängig?‘ –

so wäre zu erwidern:

‚In Abhängigkeit von dem körperlichen Organismus entsteht das Bewußtsein*.‘ (* Samyutta Nik. XII, 2)

 

»Und dies, Anando, das in Abhängigkeit vom Bewußtsein der körperliche Organismus entsteht,

ist in folgendem Sinn zu verstehen:

Angenommen, Anando, das das Bewußtsein nicht in den Mutterschoß hinabstiege, –

würde sich da in dem Mutterschoß der körperliche Organismus herausbilden?«

»Gewiß nicht, Herr.«

 

»Angenommen, Anando,

daß das Bewußtsein, nachdem es in den Mutterschoß hinabgestiegen ist, wieder verschwände,

würde da der körperliche Organismus zu dem bevorstehenden Dasein geboren werden.-«

»Gewiß nicht. Herr.«

 

»Angenommen, Anando,

daß das Bewußtsein von einem Kind, sei es nun Knabe oder Mädchen, getrennt würde, –

würde da der körperliche Organismus zum Wachstum, zur Entfaltung und Entwicklung gelangen?«

»Gewiß nicht. Herr.«

 

»Da ist hier also, Anando, die Ursache, der Ursprung, die Entstehung,

die Abhängigkeit des körperlichen Organismus, nämlich das Bewußtsein.

 

»Ich habe gesagt: In Abhängigkeit vom körperlichen Organismus entsteht das Bewußtsein.

Und dies, Anando, das in Abhängigkeit vom körperlichen Organismus das Bewußtsein entsteht,

ist in folgendem Sinn zu verstehen:

Angenommen, Anando, das das Bewußtsein im körperlichen Organismus keine Wurzel hätte, –

würde da Entstehung und Ursprung eines künftigen Geborenwerdens, Alterns, Sterbens und Leidens

wahrzunehmen sein?«

»Gewiß nicht, Herr.«

 

»Da ist hier also, Anando, die Ursache, der Ursprung, die Entstehung, die Abhängigkeit des Bewußtseins,

nämlich der körperliche Organismus *.« (* Digh- Nik. XV)

* Majj. Nik., 109. Suttam: »Der körperliche Organismus – nama-rupam – ist der Grund,

der körperliche Organismus ist die Ursache, daß die Gruppe des Bewußtseins erscheinen kann.«

 

Was ist aber dieses Bewußtsein – vinnanam – näher?

Der Buddho definiert es selbst

als ein »unsichtbares, unendliches, von allen Seiten leuchtendes« »Element« (dhatu) *.

(* Digha Nik. XXXlll, 16; Xl, 85.)

In dasselbe treten, nachdem es jeweils durch das ineinandergreifen der Sinnentätigkeiten

mit den ihnen entsprechenden Objekten ausgelöst ist,

diese Objekte im gleichen Moment ein.

Mit diesem ihrem Eintritt in das Element des Bewußtseins können uns die Sinnesobjekte erst berühren und wird erst dadurch ihre Empfindung und Wahrnehmung für uns möglich.

Die ganze Welt ist also für uns nur insoweit vorhanden. als sie von diesem Element bestrahlt wird,

und geht für uns wieder restlos unter, sobald dieses Element vorübergehend

oder für immer zur Aufhebung gebracht wird:

»Im Bewußtsein steht das All« und: »Durch die Aufhebung des Bewußtseins wird dies hier aufgehoben«,

lehrt deshalb der Buddho weiterhin *. (* Suttanipato. V. 1114, 1037, 734, 735)

* Bekanntlich weist die moderne auf dem Sensualismus des Locke

sich aufbauende empiristische Theorie der Sinneswahrnehmungen eine klaffende Lücke auf.

Nach ihr kommen nämlich die Empfindungen und Wahrnehmungen schon dadurch zustande.

Daß das äußere Objekt einen Reiz auf das Sinnesorgan ausübt.

Dabei bleibt aber völlig unverständlich, wieso es kommt,

daß die reizenden Objekte als außerhalb der Sinnesorgane empfunden u. wahrgenommen werden,

da der ganze Prozeß sich doch nur im oder am Sinnesorgan abspielt,

also doch unmöglich über dieses hinausführen kann.

(Problem der Exzentrizität der Empfindung und Wahrnehmung)

Nun vergleiche man damit die oben dargestellte Lehre des Buddho:

Gerade an dem Punkt, wo uns in der modernen empiristischen Theorie die Lücke entgegengähnt,

schiebt sich der vom Buddho entdeckte Faktor ein und füllt jene Lücke völlig aus.

Durch die Berührung von Sinnesorgan und unmittelbarem Sinnesobjekt,

beispielsweise dem auf die Oberfläche des Auges aufschlagenden Molekularstrom des Äthers,

wird nämlich eben das »unsichtbare«,

Bewußtsein genannte, »Element« ausgelöst,

das augenblicklich – mit Gedankenschnelle – dem Molekularstrom entlang

bis zu dem diesen auslösenden Objekt sich ausbreitet –

vergleichbar dem elektrischen Strom, der gleichfalls mit Blitzesschnelle den ganzen Leitungsdraht,

und sei dieser beliebig lang, zurücklegt,

und so erst die Empfindung und Wahrnehmung des Objekts für uns,

die wir, ebenfalls als ein Unergründliches, hinter dem ganzen Prozeß stehen, möglich macht.

Dieses Element, feiner als die feinste strahlende Materie,

auch wie der Raum, ist unendlich wie dieser,

wie diese Unendlichkeit speziell an dem letzteren offenbar wird,

indem es, sobald das Denkorgan auf ihn gerichtet wird,

ihn in seiner ganzen Unendlichkeit erleuchtet. (Vgl. Anhang lll.)

 

Und weil so dieses Element die unumgängliche Voraussetzung oder auch das Medium bildet,

daß wir – cfr. Anm. 45, S. 53 – uns der Objekte der Welt bewußt werden –

dieses Bewußt-werden besteht ja eben in der Berührung, der Empfindung und der Wahrnehmung – deshalb heißt es das Element des Bewußtseins oder – richtiger – des Bewußts-werdens*.

* Wie wir später noch sehen werden,

gibt es in der Welt überhaupt kein sein, sondern nur ein unaufhörliches Werden,

also auch kein Bewußtsein, sondern nur ein Bewußt-werden. –

Statt Bewußtsein, bzw. Bewußt-werden, kann man auch Erkennen sagen.

»Denn das Bewußtsein besteht im Erkennen« (Schopenhauer, W. a. W. u. V. ll, 225 [233]).

Eben deshalb kann man das Element des Bewußtseins auch das Element des Erkennens nennen.

Freilich spricht man vom Erkennen, im Gegensatz zum rein passiven Bewußtwerden,

speziell dann, wenn das Element des Bewußtseins direkt im Dienste des aktiven Willens,

etwas mit seinem Licht zu bestrahlen, steht.

In solchen Fällen werden auch wir vinnanam stets mit »Erkennen« wiedergeben.

 

Auch hiernach ist mithin sein Verhältnis zum körperlichen Organismus das gleiche,

wie das des Feuers zum Zündholz,

in welch ersteres die Gegenstände ebenfalls erst eintreten müssen,

um – in der Dunkelheit – wahrgenommen werden zu können:

»Wenn der Geist des Mönches so konzentriert,

ganz rein, vom Dunstkreis des Weltlichen frei,

fügsam, unverstörbar geworden ist,

dann stellt er ihn ein auf das erkennende schauen und erkennt:

‚Dieser mein geformter Körper besteht aus den vier Elementen, von Vater und Mutter gezeugt,

ist ein Haufen von – (umgewandeltem) – Reisbrei und saurem Reisschleim,

vergänglich, der Vernichtung, dem Verbrauch, Zerfall, Untergang unterworfen

und gleichwohl ist dieses mein Bewußtsein an ihn gebunden, an ihn geknüpft!‘

Es ist geradeso, großer König, wie wenn um einen Velurya-Edelstein ein Faden geschlungen wäre*.«

(* Digha Nik. II, 83-84)

Das Verhältnis unseres Bewußtseins zu unserem Körper ist

also in der Tat genau so, wie man sagen kann:

»Das ist das Zündholz, aus Holz und chemischen Stoffen bestanden, vom Chemiker erzeugt,

das aber ist das Feuer, daran gebunden, daran geknüpft.«

 

Nunmehr verstehen wir nicht bloß die fünf Gruppen

als die alleinigen und vollständigen Komponenten der Persönlichkeit,

sondern durchschauen auch, wie in Aussicht gestellt,

ihr Getriebe in Form der Persönlichkeit ganz ebenso,

wie wir die Anlage und das Zusammenwirken der Teile

einer von uns vollständig begriffenen Maschine durchschauen,

die Persönlichkeit ist selbst eine solche in Betrieb befindliche Maschine,

jedoch einschließlich der Erzeugnisse derselben:

 

Die Maschine stellt der körperliche Organismus dar, den wir eben deshalb die Sechssinnenmaschine genannt haben. sie hat das Eigentümliche, das sie nur bei Hinzukommen eines weiteren,

der Art nach von ihr völlig verschiedenen Elements bestehen und arbeiten kann.

Dieses heterogene Element ist das Bewußtsein, welches seinerseits die Besonderheit besitzt,

daß es, sobald die Sechssinnenmaschine zu arbeiten beginnt,

eben dadurch immer wieder neu erzeugt wird, sobald es in dieser Weise aufflammt, ergibt es,

je nachdem es von dem Sehorgan, dem Hör-, Riech-, Schmeck-, Tast- oder Denkorgan ausgelöst wird,

die seh-, beziehungsweise Hör-, Riech-, Schmeck-, Tast- und Denkempfindung

und die daraus resultierende Wahrnehmung des empfundenen Objektes,

aus der dann weiterhin die Gemütsregungen aufsteigen *.

* Die Bedingtheit der Empfindung

und damit auch der selbst wieder durch diese bedingte Wahrnehmung und Gemütstätigkeiten

speziell durch den körperlichen Organismus

wird besonders scharf auch in den folgenden stellen ausgesprochen:

»In diesem Mönche, der so auf sich achtet und seine Erkenntnistätigkeit beherrscht,

der unverwandt in heilsamem streben und in der Arbeit an sich selbst verharrt,

entsteht eine Lustempfindung – eine Schmerzempfindung –

eine Empfindung, die weder Lust noch Schmerz ist.

Dann erkennt er folgendes: In mir ist diese Empfindung entstanden.

Sie ist aus einer Ursache entstanden. nicht ohne Ursache.

Wo liegt diese Ursache?

Sie liegt in diesen- Körper«. (Sam. Nik. IV, 211)

„Ein Mönch, dessen Geist erlöst ist, weiß:

‚Bei der Auflösung des Körpers werden alle … Empfindungen erloschen sein.‘

Es ist gerade, Mönche, wie da durch einen Baum bedingt, ein Schatten entstehen möchte.

Da sollte ein Mann, mit einer Axt und einem Korb versehen, hingeben,

und jenen Baum an der Wurzel fällen.

Nachdem er ihn an der Wurzel gefällt hat,

sollte er die Wurzel ausgraben und mitsamt den feinen Wurzelfasern herausziehen.

Darauf sollte er jenen Baumstamm in Stücke sägen,

diese aber zerspalten und zu spänen machen.

Die Späne sollte er vom Wind und der Sonne austrocknen lassen,

dann verbrennen und in Asche verwandeln,

die Asche aber in die Winde streuen oder im Fluß von der reißenden Flut fortspülen lassen.

So wäre da jener durch den Baum bedingte Schatten von Grund aus zerstört,

gleich einer Palme dem Boden entrissen, vernichtet, könnte künftig nicht mehr entstehen.

Ebenso – (radikal) – nun auch … werden bei der Auflösung des Körpers

alle Empfindungen erloschen sein.« (Majj. Nik., 140. Suttam)

 

Hiernach sind also der körperliche Organismus und das Bewußtsein die beiden Grundgruppen,

die selbst wieder zur Hervorbringung

der drei weiteren Gruppen Empfindung, Wahrnehmung und Gemütsregungen

als ihrem gemeinschaftlichen Resultat sich vereinigen*.

* Unter der ersten der fünf Gruppen,

der Gruppe der körperlichen Form oder der Körperlichkeit, rapakkhandho,

wird also das verstanden, was wir im obigen als nimm-rupam kennen gelernt haben.

Das ist außer Frage.

Denn einerseits begreift der rupa-kkhando eben den lebensfähigen Körper in sich:

»Wäre die Körperlichkeit« – eben rupam, das Objekt der ersten Gruppe, – »Mönche, das selbst,

so könnte sie nicht der Krankheit ausgesetzt sein“« (Mahavaggo l, 6)

– und andererseits ist, wie wir gesehen haben, nama-rupam eben dieser lebensfähige Körper. –

Daß die erste Gruppe gleichwohl nur als nipakkhando bezeichnet wird,

mit Hinweglassung von namam, beruht einfach darauf,

daß für gewöhnlich unter rupam die Lebensfähigkeit als selbstverständlich mitgedacht wird,

gleichwie auch wir, wenn wir den lebenden Körper meinen,

trotzdem nur vom »Körper« schlechthin sprechen.

Ausdrücklich näher durch namam bestimmt wird rupam

und somit als nama-rupam bezeichnet nur da,

wo es speziell darauf ankommt, die Lebensfähigkeit von rupam eigens hervorzuheben,

wie eben in den oben angeführten stellen aus dem Paticcasamuppado,

in denen darzutun war, daß nur ein lebensfähiger Körper

die hinreichende Ursache für die konkrete Empfindung und Wahrnehmung abgeben könne.

Der rupakkhandho ist also eigentlich der nama-rupakkhandho.

ßnamam im rupalelthandho enthalten sein muß, ergibt sich übrigens schon daraus,

das namam von rupam überhaupt gar nicht getrennt werden kann,

beide vielmehr absolut untrennbar von einander sind,

so daß, wo das eine ist. auch das andere vorliegt (cfr. S. 56, Anm. 53). –

Wenn demgegenüber anderweit auch die drei weiteren khandha vedana, sanna und sankhara

unter namam zusammengefast werden,

so ist der Sinn einfach der:

Der rupakkhandho oder eigentlich der nama-rupakkhandho

begreift den mit Lebensfähigkeit, speziell mit der Fähigkeit

der Hervorbringung der sogenannten geistigen Prozesse ausgestatteten Körper in sich,

der vedanakkhandho, sannakkhandho und sankharakkhandho

aber sind die Gruppen dieser geistigen Prozesse selbst,

in den Begriff namakkhandha deshalb zusammengefast,

weil sie auf namam als der entsprechenden Fähigkeit oder Eigenschaft des materiellen Körpers

als eines lebenden beruhen.

 

Die Gruppe des Bewußtseins, der vinnanakkhandho,

gehört auch nicht in diesem Sinn zu den namakkhandha,

da nach den obigen Ausführungen im Text

das Bewußtsein ein zu namam hinzukommendes selbständiges Element ist.

Eben deshalb heißt es oben im Text in der Folge ja auch:

»nama-rupam mitsamt dem Bewußtseins«.

 

Sie sind in ihrer gegenseitigen Bedingtheit die reale Unterlage der Persönlichkeit,

ergeben den »mit Bewußtsein behafteten Körper«, wie es in den Reden regelmäßig heißt:

 

»Somit, Anando: Was da geboren wird oder altert oder stirbt oder vergeht oder entsteht,

was im Bereich der Begriffe liegt,

was im Bereich der Erklärungen, im Bereich des Offenbarwerdens, im Bereich des Erkennens liegt.

Was geboren wird, um in seiner gegenwärtigen Gestalt in die Erscheinung zu treten

– das ist der körperliche Organismus – nama-rupam – mitsamt dem Bewußtsein *. (* Digha Nik. XV)

* Hier möge auch noch auf die folgende Stelle des Digha Nik. XXIll aufmerksam gemacht werden:

»… Wenn da, oh Kassapo, die Eisenkugel mit Hitze verbunden, mit Luft verbunden.

sprühend, flammend und flachernd ist, dann ist sie leichter, geschmeidiger, biegsamer;

wenn aber die Eisenkugel nicht mehr mit Hitze und Luft verbunden, erkaltet, erloschen ist,

dann ist sie schwerer geworden, starrer und steifer.

Ebenso nun auch, Kriegerfürst, ist dieser Körper,

wenn er mit Lebensfähigkeit verbunden, Wärme verbunden, Bewußtsein verbunden ist,

dabei leichter, geschmeidiger, biegsamer;

wenn aber dieser Körper nicht mehr mit Lebensfähigkeit und Wärme u. Bewußtsein verbunden ist,

dann ist er schwerer geworden, starrer und steifer.“

Hier ist also statt »nama-rupam mitsamt dem Bewußtsein« gesagt

»dieser Körper mit Lehensfähigkeit verbunden, Wärme verbunden, Bewußtsein verbunden«,

woraus wiederum zur Evidenz hervorgeht,

daß namam eben gleich »mit Lebensfähigkeit verbunden, Wärme verbunden« ist.

Zugleich ist auch an dieser Stelle das Verhältnis dieser Lebensfähigkeit zum Stoffkörper

in ganz derselben Weise wie jenes des Magnetismus zum Eisen bestimmt,

indem der mit Lebensfähigkeit ausgestattete Körper einer erhitzten Kugel verglichen wird.

 

Nunmehr können wir auch ohne Weiteres eine allen fünf Gruppen,

in denen die Persönlichkeit besteht, anhängende wesentliche Eigenschaft,

auf die der Buddho das entscheidende Gewicht legt,

ja, derentwegen allein er überhaupt die Persönlichkeit in diese ihre Gruppen aufgelöst hat, feststellen. Überblicken wir nämlich das Ganze nochmal, so ergibt sich folgender Gesamtanblick:

 

Die materielle Unterlage der Persönlichkeit ist der körperliche Organismus

oder die von uns sogenannte Sechssinnenmaschine.

Diese Maschine, die außer den Sinnesorganen selbst

nur noch mit den nötigen Vorrichtungen zu ihrer längeren Unterhaltung und fortwährenden Speisung

gleichwie jede andere Maschine ausgestattet ist,

wird im Mutterleib – von wem werden wir noch sehen – aus den Bestandteilen der Außenwelt,

indem diese zugleich vom mütterlichen Organismus assimiliert,

das heißt aus toter in lebensfähige Materie umgewandelt, also organisiert werden, erbaut

und weiterhin durch stete Nahrungszufuhr betriebsfähig erhalten.

Solange sie in Ordnung ist und richtig funktioniert,

erfüllt sie auch ihren Zweck, das Element des Bewußtseins

und damit Empfindung und Wahrnehmung der Außenwelt,

auf Grund deren aber Gemütsregungen zu ermöglichen.

Wird sie betriebsunfähig oder zerfällt sie ganz,

dann ist es natürlich auch mit dem Bewußtsein und damit mit Empfindung und Wahrnehmung,

eben weil sie bloße Produkte dieser Sechssinnenmaschine und des Bewußtseins waren,

und eben damit natürlich auch mit neuen Gemütsregungen vorbei,

soweit nicht wieder eine neue solche Maschine erbaut wird.

Auch Empfindung, Wahrnehmung und Gemütsregungen

sind also so wenig wie das Element des Bewußtseins irgend etwas Substanzielles,

sondern die bloßen jeweiligen Resultate der Sechssinnenmaschine

in Verbindung mit dem Bewußtsein und letzten Endes durch die erstere bedingt.

Da nun, wie wir bereits gesehen haben, auch diese Sechssinnenmaschine selbst,

das heißt also der körperliche Organismus,

wiederum ein Produkt aus den vier Hauptmaterien ist,

so sind also die sämtlichen fünf Gruppen, aus denen sich die Persönlichkeit zusammensetzt,

ursächlich bedingt:

»Und das Wort des Erhabenen lautet:

Wer die Entstehung aus Ursachen merkt, der merkt die Wahrheit.

Wer die Wahrheit merkt, der merkt die Entstehung aus Ursachen.

Aus Ursachen sind sie aber entstanden, diese fünf Gruppen des Anhaftens*.“

(* Majj. Nik. l, p. 190 (28. Suttam))

 

Nunmehr verstehen wir aber noch ein anderes:

Weil unser mit den Sinnesorganen ausgestatteter Körper der Apparat ist,

mittels dessen wir mit der Welt in Verbindung treten,

indem er, in Aktion geratend,

das Element des Bewußtseins und damit Empfindung und Wahrnehmung derselben erst erzeugt.

Liegt in ihm wie der Anfang so auch das Ende der Welt für uns beschlossen:

Mit der Auflösung des Körpers im Tod entschwindet für uns auch die ganze Welt;

Und wenn es, wie der Buddho verheißt, eine definitive Überwindung der Welt geben soll,

so kann schon jetzt gesagt werden, daß sie nur dadurch möglich ist,

daß es einen Weg zur definitiven Vernichtung jedes körperlichen Organismus –

hier muß man sich erinnern, daß der Buddho die stete Wiedergeburt lehrt –

und damit der Sinnentätigkeiten und damit des Bewußtseins

und damit der Persönlichkeit und damit eben der Welt selbst gibt:

 

»Einst weilte der Erhabene im Jetahain bei Savatthi, im Kloster des Anatha-pindiko.

Und Rohitasso, ein himmlischer Geist, von Schönheit strahlend,

erleuchtete bei hereinbrechender Nachtzeit den ganzen Jetahain und begab sich zum Erhabenen.

Dort angelangt, begrüßte er den Erhabenen ehrerbietig und stellte sich zur Seite hin.

Zur Seite stehend sprach Rohitasso, der himmlische Geist, zum Erhabenen:

‚Ist man wohl imstande, oh Herr, durch Gehen das Ende der Welt zu kennen, zu sehen oder zu erreichen,

da wo es weder Geburt gibt, noch Altern und Sterben, weder Entstehen noch Vergehen?‘

 

‚Nicht ist man imstande, Bruder – das sage ich –

durch Gehen das Ende der Welt zu kennen, zu sehen oder zu erreichen,

da, wo es weder Geburt gibt, noch Altern und Sterben, weder Entstehen noch Vergehen?‘

 

‚Wunderbar ist es, oh Herr, erstaunlich ist es, oh Herr, wie da der Erhabene so richtig sagt:

»Nicht ist man imstande, Bruder – das sage ich –

durch Gehen das Ende der Welt zu kennen, zu sehen oder zu erreichen,

da wo es weder Geburt gibt, noch Altern und sterben, weder Entstehen noch Vergehe.‘

Einst, in einer früheren Geburt, oh Herr, da war ich ein Einsiedler, Rohitasso geheißen,

der Sohn des Bhojo, und magiegewaltig konnte ich durch die Lüfte schreiten.

Derart, oh Herr, war meine Geschwindigkeit,

daß ich etwa in der Zeit, die ein kräftiger, geübten gewandter und erprobter Bogenschütze braucht,

um mühelos mit leichtem Pfeil über den Schatten einer Palme hinwegzuschießen,

einen Schritt zurücklegte, der so groß war, wie das östliche Meer von dem westlichen Meer entfernt liegt, solche Geschwindigkeit, solchen Schritt besitzend, oh Herr,

kam mir der Wunsch, durch Gehen das Ende der Welt zu erreichen.

Und ohne Speise und Trank, oh Herr, ohne Kauen, ohne schmecken, ohne Kot und Urin zu entleeren,

ungehindert durch schlaf und Müdigkeit, verbrachte und lebte ich volle hundert Jahre;

und nachdem ich volle hundert Jahre hindurch gegangen war,

da starb ich auf dem Weg, ohne jedoch das Ende der Welt erreicht zu haben.

Wunderbar ist es, oh Herr; erstaunlich ist es, oh Herr, wie da der Erhabene so richtig sagt:

»Nicht ist man imstande, oh Bruder – das sage ich –

durch Gehen das Ende der Welt zu kennen, zu sehen oder zu erreichen,

da wo es weder Geburt gibt, noch Altern und sterben, weder Entstehen noch Vergehen.‘

 

‚Wahrlich, nicht ist man imstande, Bruder – das sage ich –

durch Gehen das Ende der Welt zu kennen, zu sehen oder zu erreichen,

da wo es weder Geburt gibt, noch Altern und sterben, weder Entstehen noch Vergehen.

Doch nicht kann man, Bruder – das sage ich –

ohne der Welt Ende erreicht zu haben, dem Leiden ein Ende machen.

Das aber verkünde ich, Bruder:

In eben diesem sechs Fall hohen, mit Wahrnehmung und Denken behafteten Körper,

da ist die Welt enthalten, der Welt Entstehung,

der Welt Ende und der zu der Welt Ende führende Pfad*‘« (* Angutt. Nik. IV, 45)

oder, wie wir bereits oben gehört haben und jetzt erst ganz verstehen,

in »nama-rupam« – unserem körperlichen Organismus – »mitsamt dem Bewußtsein«

liegt alles beschlossen, »was im Bereiche der Begriffe liegt,

was im Bereich der Erklärungen, im Bereich des Offenbarwerdens, im Bereich des Erkennens liegt.«

 

Bietet uns so der körperliche Organismus mitsamt dem Bewußtsein die Möglichkeit,

mit der Welt in Kontakt zu kommen,

so wird diese Welt für uns wirklich in dem Maß,

als der erstere als die Sechssinnenmaschine in Aktion gesetzt wird

und damit die sämtlichen fünf Gruppen erscheinen,

somit in dem Maß, als wir uns zur Persönlichkeit entfalten:

In und mit dieser erleben wir mithin das, was wir die Welt oder das All heißen;

und weil uns dieses Leben und Weben im All das Höchste scheint, was es gibt,

deshalb kennen wir auch kein höheres Glück als unsere Persönlichkeit,

in der jeder von uns für sich diesen ganzen Weltprozeß verwirklicht sieht:

»Volk und Knecht und Überwinder – sie gestehen zu jeder Zeit – höchstes Glück der Erdenkinder –

sei nur die Persönlichkeit.«

 

Weiterhin aber ergibt sich aus diesem Gesichtspunkt, wie weise es vom Buddho war,

daß er den Nachweis des ausnahmslosen Geltungsbereiches des großen Vergänglichkeitsgesetzes

und damit der Universalität des Leidens speziell an den fünf Gruppen, die die Persönlichkeit konstituieren,

führt.

Denn mit ihrer Vergänglichkeit ist alles als vergänglich und leidvoll erkannt,

eben weil für uns alles nur in unserer und durch unsere Persönlichkeit besteht.

 

Zu diesem Nachweis können wir deshalb nunmehr zurückkehren.

 

Die Leidenswelt.

Die ganze Welt, Anfang, Dauer und Ende derselben, ist für uns an unsere Persönlichkeit geknüpft.

Die fünf Gruppen, welche diese Persönlichkeit konstituieren, sind ursächlich bedingt derart,

daß die Gruppe des Körpers die Grundlage für die übrigen vier Gruppen,

Empfindung, Wahrnehmung, Gemütsregungen und Erkennen, bildet,

ja, sie durch die Tätigkeit der Sinnesorgane allererst erzeugt.

Der Körper selbst aber ist ein Produkt aus den in den vier Hauptelementen zusammengefasten Stoffen,

ist »aus den vier Hauptelementen entstanden«,

also selbst wieder durch diese bedingt.

Unsere Persönlichkeit und damit unsere ganze Welt

teilen also letzten Endes das Schicksal dieser vier Hauptelemente, d. h. sie sind, wie diese, vergänglich.

 

Das sind Sätze, die ein jeder, der sie einmal begriffen hat, auch ohne weiteres einsieht,

sie sind dann für ihn selbstverständlich.

Eben diese Selbstverständlichkeit will der Buddho uns einsehen lehren,

wie er denn im Grunde überhaupt nur mit Selbstverständlichkeiten arbeitet –

was anschaulich erkannt wird, ist ja immer selbstverständlich.

 

Zunächst handelt es sich also für den Buddho darum,

uns die Vergänglichkeit der vier Hauptelemente mit möglichster Anschaulichkeit aufzuzeigen:

»Es gibt, Brüder, eine Zeit, wo die äußeren Wasser rasen, und verschwunden ist dann die äußere Erde.

Dieses äußerlichen Erdenelementes, des so ungeheuren, Vergänglichkeit

wird sich so, Brüder, zeigen, zeigen wird es sich,

daß es den Gesetzen der Zerstörung, der Auflösung. der Veränderung unterworfen ist.

 

»Es gibt, Brüder, eine Zeit. wo die äußeren Wasser rasen, wo sie ein Dorf fortreißen,

eine Stadt fortreißen, eine Residenz fortreißen, ein Land wegspülen, Länder und Reiche wegspülen.

Es gibt, Brüder, eine Zeit, wo die Gewässer des großen Meeres Hunderte von Meilen tief sind,

wo sie sechshundert Meilen, neunhundert Meilen,

zwölfhundert Meilen, fünfzehnhundert Meilen, achtzehnhundert Meilen tief sind.

Es gibt, Brüder, eine Zeit. wo das Wasser des großen Meeres sieben Palmen hoch steht,

wo es sechs Palmen, wo es fünf Palmen, wo es vier Palmen,

wo es drei Palmen, wo es zwei Palmen, wo es eine Palme hoch steht.

Es gibt, Brüder, eine Zeit, wo das Wasser des groben Meeres sieben Mannestiefen hat,

wo es sechs Mannestiefen, wo es fünf Mannestiefen, wo es vier Mannestiefen,

wo es drei Mannestiefen, wo es zwei Mannestiefen, wo es eine Mannestiefe hat.

Es gibt, Brüder, eine Zeit, wo das Wasser des großen Meeres halbe Manneshöhe erreicht,

wo es bis zur Hüfte, wo es bis zum Knie, wo es bis zum Knöchel reicht.

Es gibt, Brüder, eine Zeit,

wo das Wasser des großen Meeres kein Naß von der Höhe eines Fingergliedes besitzt.

Dieses äußerlichen Wasserelementes des so ungeheueren, Vergänglichkeit

wird sich also, Brüder, Zeigen, zeigen wird es sich,

daß es den Gesetzen der Zerstörung-. der Auflösung, der Veränderung unterworfen ist.

 

»Es gibt, Brüder, eine Zeit, wo die äußeren Feuer rasen, wo sie ein Dorf verzehren,

eine Stadt verzehren, eine Residenz verzehren, ein Land verzehren, Länder und Reiche verzehren,

wo sie Wiesen und Anger, Wälder und Auen und blühende Gefilde ergreifen

und erst erlöschen, wenn alles ausgebrannt ist.

Es gibt, Brüder, eine Zeit, wo man mit einem Hahnenflügel, mit einem Wedel Feuer anfachen muß. Dieses äußerlichen Feuerelementes, des so ungeheuren, Vergänglichkeit

wird sich so, Brüder, zeigen, zeigen wird es sich,

daß es den Gesetzen der Zerstörung, der Auflösung, der Veränderung unterworfen ist.

 

»Es gibt, Brüder, eine Zeit, wo die äußeren Lüfte rasen, wo sie ein Dorf fortreißen,

eine Stadt fortreißen, eine Residenz fortreißen. ein Land verwehen, Länder und Reiche verwehen.

Es gibt, Brüder, eine Zeit, im letzten Monat des Sommers, wo man mit einem Palmenwedel,

mit einem Fächer Wind anwehen muß, wo selbst im fließenden Wasser kein Halm sich regt.

Dieses äußerlichen Luftelementes, des so ungeheuren, Vergänglichkeit

wird sich so, Brüder, zeigen, zeigen wird es sich,

das es den Gesetzen der Zerstörung, der Auflösung, der Veränderung unterworfen ist *.«

(* Majj. Nik. I, p. 185 (28. Suttam))

Zeigen sich so aber alle in den vier Hauptelementen zusammengefaßten Stoffe

dem großen Vergänglichkeitsgesetz unterworfen,

so gilt dies natürlich auch von allen Gebilden derselben, gilt insbesondere auch von unserem Körper,

weshalb der Buddho denn auch im unmittelbaren Anschluß

an die Schilderung der unaufhörlichen Veränderlichkeit aller Elemente weiterfährt:

»Und da sollte man von diesem acht Spannen groben Körper sagen können:

‚Ich‘ oder ‚Mein‘ oder ‚Ich bin (das)‘?

Vielmehr, ‚Welch toller Gedanke!‘ wäre darauf die richtige Antwort.«

Das heißt, auch unser Körper

ist »den Gesetzen der Zerstörung, der Auflösung, der Veränderung unterworfen.«

Mit seiner Vergänglichkeit erhellt dann aber auch wiederum ohne weiteres

die aller anderen Komponenten unserer Persönlichkeit,

die ja den Körper beziehungsweise dessen Organe zur Voraussetzung haben: –

 

»Der Körper, Mönche, ist vergänglich;

und das, was der Erscheinung des Körpers zugrunde liegt, sie bedingt, auch das ist vergänglich;

der aus Vergänglichem entstandene Körper, Mönche, wie könnte der unvergänglich werden!

 

»Die Empfindung ist vergänglich;

und das, was der Erscheinung der Empfindung zugrunde liegt, sie bedingt, auch das ist vergänglich;

die aus Vergänglichem entstandene Empfindung, Mönche, wie könnte die unvergänglich werden!

 

»Die Wahrnehmung ist vergänglich;

und das, was der Erscheinung der Wahrnehmung zugrunde liegt, sie bedingt, auch das ist vergänglich;

die aus Vergänglichem entstandene Wahrnehmung, Mönche, wie könnten die unvergänglich werden!

 

»Die Gemütsregungen sind vergänglich;

und das, was der Erscheinung der Gemütsregungen zugrunde liegt, sie bedingt, auch das ist vergänglich:

die aus Vergänglichem entstandenen Gemütsregungen, Mönche, wie könnten die unvergänglich werden!

 

»Das Erkennen ist vergänglich;

und das, was der Erscheinung des Erkennens zugrunde liegt, es bedingt, auch das ist vergänglich;

das aus Vergänglichem entstandene Erkennen, Mönche, wie könnte das unvergänglich werden*!«

(* Samyutta Nik. XXII, 18)

somit gilt also von allen fünf Gruppen der Persönlichkeit. auf die sich unser gesamtes Wollen konzentriert, weshalb sie der Buddho ja auch die fünf Gruppen des Anhaftens nennt,

ebenso wie von allen äußeren, in den fünf Gruppen mit inbegriffenen Willensobjekten der Satz:

»Entstehung zeigt sich, Vergehen zeigt sich, während des Bestehens zeigt sich Veränderung *.«

(* Angutt. Nik. lll. 47)

 

Damit steht dann aber auch zugleich fest, daß die ganze Persönlichkeit in allen ihren Bestandteilen

und damit auch die ganze durch sie uns vermittelte Welt leidvoll ist;

denn »was vergänglich ist, ist leidvoll:«

 

»Was haltet ihr davon, Mönche: ist der Körper unvergänglich oder vergänglich?«

»Vergänglich, oh Herr.«

 

»Was aber vergänglich ist, ist das wehe oder wohl?«

»Wehe, oh Herr. « …

 

»Was haltet ihr davon, Mönche: ist die Empfindung – ist die Wahrnehmung – sind die Gemütstätigkeiten –

ist das Erkennen unvergänglich oder vergänglich?«

»Vergänglich, oh Herr.«

 

»Was aber vergänglich ist, ist das wehe oder wohl?«

»Wehe, oh Herr …*.« (* Majj. Nik. l, p. 138 (22 Suttam))

 

Dieses Wehe infolge der Vergänglichkeit zeigt sich beim Körper als »Alter, Krankheit und Tod«;

bei den anderen vier Gruppen als »Schmerz, Gram, Kummer und Verzweiflung«.

 

Am Schluß bleibt also von jeder Willensbefriedigung, welcher Art sie auch sein mag,

nur das Wehe über ihren Verlust.

Nur mit diesem Schlußeffekt

kann sie dann aber auch nach dem bisherigen im Buch des Lebens eingetragen werden.

Das Letztere muß also am Ende naturnotwendig lauter negative Einträge aufweisen,

mit anderen Worten, der Buddho hat recht:

Alles ist letzten Endes als Leid zu bewerten.

 

Klar wird dies dem gewöhnlichen Menschen freilich erst

mit dem definitiven Abschluß dieses Lebensbuches, mit dem herannahenden Tod.

Dann, mit dem vollständigen Zusammenbruch alles Wollens,

wenn er merkt, daß ihm alles entrissen wird, Vermögen, teure Angehörige, ja der eigene Körper,

in dessen Schmerzen er sich windet, und mit ihm auch seine ganze übrige Welt,

dann bleibt auch für ihn nur mehr ein Meer des Leidens übrig

und dieses Meer von Leiden allein wird dann real sein.

Man besinne sich doch einmal:

Was ist für uns heute das Gestern mit allen seinen Freuden?

Nichts mehr als ein bloßes Schemen.

Genau so wird aber morgen das Heute, übermorgen das Morgen

und schließlich angesichts des Todes – das ganze Leben sein:

alle seine Annehmlichkeiten sind dann vorüber, definitiv vorüber,

und nichts ist geblieben als Leid, namenloses Leid.

Wer das ganz erfahren will,

wer also über die erste der vier Hohen Wahrheiten des Buddho ein maßgebendes Urteil abgeben will,

der begebe sich an ein Sterbelager und stelle dort seine Betrachtungen an,

am besten am Sterbelager eines Genußmenschen.

Gleicht er nicht einem Kaufmann,

der, nachdem er mit einer Million ein Geschäft gegründet hatte, in Saus und Braus dahinlebte,

bis er alles vergeudet hat und sich nun vis-a-vis du rien sieht?

Sind nicht so gut wie in den Geschäftsbüchern des Letzteren so auch im Lebensbuch des Ersteren

alle Aktivposten verschwunden und nur Passiva übrig geblieben?

 

Freilich hat der um seine Existenzberechtigung kämpfende Wille zum Leben,

wie er sich täglich in zahllosen Gehirnen selbst verteidigt, noch eine letzte Ausflucht übrig,

um sein Urteil über den Wert des Lebens nicht modifizieren zu müssen,

nämlich jene, daß letzten Endes auch für den Sterbenden,

und zwar je mehr er in seinem Leben gewirkt habe,

desto mehr, das beglückende Bewußtsein übrig bleibe,

daß wenigstens die Früchte seiner Arbeiten, Mühen und Sorgen

seinen Angehörigen, ja, schließlich der ganzen Menschheit zugute kämen,

indem sie zu deren Weiterentwicklung beitrügen.

Hierauf würde der Buddho, wenn er noch lebte, erwidern:

Du Thor, du sprichst von einer Entwicklung der Menschheit.

Betrachte dir doch einmal diese Entwicklung etwas genauer.

Gewiß ist sie da, die Menschheit steigt immer höher und höher,

bis – nun ja, bis das ganze schwindelnde Gebäude,

bis auch deine ganze erträumte Überkultur dem Gesetz der Auflösung und des Verfalles,

wie schon so oft in der unendlichen Vergangenheit, zum Opfer fallen wird,

worauf das Spiel wieder von neuern beginnen kann und so weiter in saecula saeculorum,

nur unterbrochen von den jeweiligen Weltkatastrophen,

in denen mit allem Lebendigen auch sein ganzer Schauplatz

durch den Sturz der Planeten in die Sonne bis zu ihrer Neubildung verschwinden wird,

inzwischen aber bricht jeder einzelne Mensch immer wieder –

im unvermeidlichen Tod schmerzhaft in sich zusammen mit der Aussicht,

daß auch seine Kinder und Kindeskinder wie alle die zahllosen Generationen nach ihnen

doch nur leben, um, wie er selbst – zu sterben,

und daß mit ihnen auch die Früchte seiner eigenen Arbeiten, die er ihnen hinterließ

und in denen er schließlich allein noch den Wert seines Lebens zu erblicken vermochte,

in den endlosen Abgrund der Vergangenheit hinunterstürzen,

kurz: es gibt keine Entwicklung, wie du sie träumst.

Wie dem Leben der Tod so wesentlich ist wie die Geburt, das Alter so wesentlich wie die Jugend *,

so gibt es auch keine Weltentwicklung, auf die nicht naturnotwendig der Verfall folgen müßte.

* Vgl. damit die Worte des Meisters gegenüber der Verwunderung Anandos,

daß der Erhabene nun nicht mehr so stattlich erscheine wie früher:

»So ist es, Anando,

daß der Jugend Altern, der Gesundheit Siechtum, dem Leben Sterben eignet«.

(Samyutta Nik. V. pag. 216 (XLVlll, 41)

Entwicklung und Verfall

sind nur die beiden Seiten eines Vorganges, des Geschehen-, des Weltgeschehens,

überhaupt: was wird, stellt sich in der ersten Hälfte als Entwicklung, in der zweiten als Verfall dar.

 

Diese die ganze Welt beherrschende Unmöglichkeit jeder dauernden Willensbefriedigung

und damit das schließliche jedesmalige Dominieren des Leidens

ist so offensichtlich, so in die Augen fallend,

daß man sie keinesfalls widerlegen, sondern höchstens ignorieren kann.

Und in der Tat, so unglaublich es ist:

der Wille im Menschen, dieses sein Fundament, ist so stark, daß er es fertig bringt,

sogar diese das ganze Wesen der Welt beleuchtende Grundwahrheit nicht zu sehen,

wenn er sie nicht sehen will, und mit leeren Sophistereien über sie hinwegzugehen

oder gar in tönenden Phrasen von der Erreichung eines glücklichen Endzustandes der Menschheit

zu faseln,

wobei ihn auch die Erwägung nicht irre macht,

daß dieser glückliche Endzustand in Hinsicht auf die unendliche Zeit,

die bereits in das anfangslose Meer der Vergangenheit hinabgeflossen ist,

ja, doch schon längst erreicht sein müßte, wenn er überhaupt zu erreichen wäre*.

* Man vergleiche zu dem eben Gesagten „Du Prel“, „Rätsel des Menschen“, S. 77:

»Im Großen und Ganzen läßt sich also sagen,

daß die Lösung des Menschenrätsels durch den Materialismus sehr trostlos ist. …

Um uns für diese Trostlosigkeit zu entschädigen,

akzentuiert der Materialismus das Leben der Gattung.

Nicht um das Individuum sei es der Natur zu tun, sondern um die Gattung.

lm beständigen Fortschritt soll die Menschheit einem Zustand entgegengehen,

der schließlich bis zum goldenen Zeitalter gesteigert gedacht werden kann.

In dieser Entwicklungsgeschichte des Menschengeschlechts als dienendes Glied mitzuwirken,

sei die Aufgabe des einzelnen. –

Dieser Trost hält aber leider nicht lange vor-,

denn abgesehen davon, daß auch Gattungen aussterben, ist es überhaupt eine Willkür,

auf dem biologischen Standpunkt der Betrachtung stehen zu bleiben.

Als Naturforscher muß der Materialist den höheren, astronomischen Standpunkt einnehmen:

Es wird ein Zeitpunkt eintreten, da die Erde durch die Abwärtsbewegung der lsothermen von den Polen zum Äquator schließlich unbewohnbar sein wird, später aber wird die Erde in einen Meteoritenstrom zerfallen und in die Sonne stützen.

Mag also die Menschheit selbst ein goldenes Zeitalter erreichen. so fehlt ihr doch ein Erbe.

Was aber überhaupt einmal ein definitives Ende nehmen kann, ist jedenfalls zwecklos.

Materialistisch betrachtet macht der Individual-Tod das vorangegangene Leben ebenso zwecklos,

wie durch das Aussterben der Menschheit die vorangegangene Kulturgeschichte zwecklos wird.

Man kann in keinen Punkt der Entwicklungsgeschichte einen Zweck legen,

wenn man in den Endpunkt keinen Endzweck legen kann. –

Zwar hebt, astronomisch betrachtet, das Spiel immer wieder von neuem an,

indem Sonnensysteme in kosmische Nebel sich auflösen

und aus diesen wieder Sonnensysteme werden.

Aber das Resultat der biologischen und geschichtlichen Prozesse geht ja doch immer verloren.

Eine Zwecklosigkeit wird nicht dadurch vernünftig, daß sie ewig erneuert wird.

Es fehlt also jeder Anlass. sich für die Geschichte der Gattungen zu enthusiasmieren,

deren Realität zudem über die der Individuen nicht hinausgeht.

Ein Künstler, der sein Werk immer wieder zerstört.

braucht nicht angestaunt zu werden, sondern gehört ins Narrenhaus,

und zwar umso mehr, je genialer seine Werke sind.

Es ist also eine bloße Phrase,

wenn der Materialismus uns für die Großartigkeit der Natur zu begeistern sucht;

seinen eigenen Prämissen

nach muß er sie vielmehr als eine materialisierte Absurdität bezeichnen.«

Mit solchen Menschen ist nicht zu rechten.

Es sind jene, die, wie schon oben ausgeführt,

bei der Bewertung des Lebens unter dem Bann ihrer blinden Anhänglichkeit an dasselbe stehen,

die sich eben deshalb dem Problem gegenüber nicht objektiv, nicht rein erkennend verhalten können

und so »unfähig zur Klarsicht« sind, wie der Buddho sagt.

Der objektive Beurteiler aber wird nach dem Bisherigen

wohl unmöglich zu einem anderen Urteil über das Leben kommen können, als es der Buddho abgibt,

und wird nur zu sehr die Wahrheit der Worte verstehen:

»Siehe hin, oh Weiser, auf dieses sein.

Entstehen Vergehen ist seine Pein*.« (* Majj. Nik. l, p. 168 (26. Suttam))

Indessen wäre auch eine solche Erkenntnis,

daß das Leben letzten Endes nach allen seinen Richtungen naturnotwendig in Leiden übergehen muß

und deshalb schließlich selbst Leiden und nichts als Leiden wird, noch erträglich.

 

Man könnte sich auch ihr gegenüber immer noch auf den Standpunkt zurückziehen,

daß es dann, eben weil nur die jeweilige Gegenwart real ist, die größte Weisheit sei,

diese jeweilige Gegenwart zu genießen und dies zum Zweck seines Lebens zu machen*,

* Schopenhauer, Parerga ll, S. 309 (295).

gleichviel, wie später das Urteil über das Ganze ausfallen mag,

und sich weiterhin auch mit dem traurigen Ende abfinden in dem Gedanken,

daß ja auch dieses Ende ein Ende haben und somit werde überstanden werden.

Aber auch das wäre nach dem Buddho eine Selbsttäuschung, ja, die schrecklichste von allen.

Denn dieses unser gegenwärtiges Dasein ist nicht das Leben,

es ist nur ein minimaler Ausschnitt aus dem Leben, aus unserem Leben.

Dieses selbst ist ohne Anfang und ohne Ende, wenn wir ihm nicht ein Ende machen:

»Unausdenkbar, Mönche, ist ein Anfang dieses Samsaro – Kreislauf der Wiedergeburten *« –

* Sanskrit: samsarah = »der zum Ausgangspunkt zurückkehrende (sam) Lauf (sar)«.

(Deussen. Sechzig Upanischad‘s des Veda, S. 916).

»nicht zu erkennen ein erster Beginn der Wesen,

die durch Nichtwissen gehemmt, durch den Durst verkoppelt,

(in den Welten) umherwandern, herumirren *«. (*Samyutta Nik. ll, p. 178 flg. (XV. 1-20)

Erst von dieser Warte aus zeigt sich die Leidensfülle,

ja, die Schrecklichkeit und Entsetzlichkeit des Lebens in seinem ganzen Umfang.

 

Der Buddho lehrt nämlich,

daß der Samsaro, innerhalb dessen die Wesen unaufhörlich hin- und herwandern,

aus fünf Führten besteht: »Fünf Fährten gibt es, Sariputto: und was für welche?

Den Abweg, den tierischen Schoß, das Gespensterreich, die Menschen und die Götter.

Den Abweg kenn ich, Sariputto, und den abwärts führenden Pfad und den abwärts führenden Wandel,

durch dessen Pflege man bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tod,

zu Verderben und Unheil gelangt, an Orte der Qual und des Jammers: diesen Weg kenne ich.

Den tierischen Schoß kenne ich, Sariputto, und den zum tierischen Schoß führenden Pfad

und den zum tierischen Schoß führenden Wandel,

durch dessen Pflege man bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tod, zum tierischen Schoß gelangt:

auch diesen Weg kenne ich.

Das Gespensterreich kenne ich, Sariputto, und den zum Gespensterreich führenden Pfad

und den zum Gespensterreich führenden Wandel,

durch dessen Pflege man bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tod, zum Gespensterreich gelangt:

auch diesen Weg kenne ich.

Die Menschen kenne ich, Sariputto, und den zur Menschenwelt führenden Pfad

und den zur Menschenwelt führenden Wandel,

durch dessen Pflege man bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tod, zur Menschheit gelangt:

auch diesen Weg kenne ich.

Die Götter kenne ich, Sariputto, und den zur Götterwelt führenden Pfad

und den zur Götterwelt führenden Wandel,

durch dessen Pflege man bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tod.

An Orte göttlicher Freude gelangt: auch diesen Weg kenne ich….

Und ich durchschaue und erkenne Geist und Gemüt eines Menschen also, Sariputto:

‚Derart handelt dieser Mensch, darauf arbeitet er hin, einen solchen Weg hat er genommen,

daß er bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tod, abwärts,

auf schlechte Fährte, in Verderben und Unheil geraten wird;‘

und ich sehe ihn dann später mit dem göttlichen Auge, dem geklärten, überirdischen,

bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tod, abwärts geraten, auf schlechte Fährte.

In Verderben und Unheil, einzig von schmerzlichen, stechenden, brennenden Gefühlen erfüllt:

gleichwie etwa, Sariputto, wenn da eine Kohlengrube wäre, tiefer als Manneshöhe,

voller glühender Kohlen, ohne Flammen, ohne Rauch;

und es käme einer heran,

vom Sonnenbrand gebraten, vom Sonnenbrand verzehrt, erschöpft, zitternd, dürstend,

und schritte geraden Weges auf eben diese Grube zu;

den habe ein scharfsehender Mann erblickt und spräche nun:

‚Derart handelt jener liebe Mann, darauf arbeitet er hin, einen solchen Weg hat er genommen,

daß er mitten in die glühenden Kohlen hineinfallen wird;‘

und er sähe ihn dann später in der Kohlengrube drinnen,

einzig von schmerzlichen, stechenden, brennenden Empfindungen erfüllt *. … –

*In dem 129. Suttam der M. S. heißt es: »Mag nun einer, Mönche, mit rechter Rede sagen:

‚Einzig unerwünscht, einzig unbegehrt, einzig unangenehm‘,

mag er es eben von höllischer Welt mit rechter Rede sagen:

‚Einzig unerwünscht, einzig unbegehrt, einzig unangenehm‘;

da man es ja, Mönche, auch im Gleichnis nicht wohl dartun kann,

wie tief die Leiden höllischer Welten reichen.« –

Als einer der Mönche gleichwohl ein Gleichnis verlangt, fragt der Erhabene,

ob wohl ein Verbrechen der täglich morgens, mittags und abends je hundert Klingenhiebe erhalte,

infolge davon nicht Trauer und Trübsinn erfahre.

Die Antwort ist: »Auch nur, oh Herr, mit einem Klingenhiebe gezüchtigt,

würde dieser Mann infolge davon Trauer und Trübsinn erfahren.

Geschweige denn mit dreihundert Klingenhieben.« –

»Da hob nun der Erhabene einen mäßigem handgroßen Stein auf

und wandte sich an die Mönche: ‚Was meint ihr wohl, Mönche:

was ist größer, dieser mäßige, handgroße Stein, den ich da habe,

oder der Himalayo, der König der Berge.‘ –

‚Geringfügig ist, oh Herr, dieser mäßige, handgroße Stein.

Den der Erhabene da hat: gegen den Himalayo, den König der Berge, kann er nicht gezählt.

nicht gerechnet. nicht verglichen werden« –

‚Ebenso nun auch, Mönche, kann, was ein Mensch, mit dreihundert Klingenhieben gezüchtigt,

infolge davon an Trauer und Trübsinn erfährt,

gegen das Leiden höllischer Welt nicht gezählt, nicht gerechnet, nicht verglichen werden.‘«

 

Und ferner, Sariputto, durchschaue und erkenne ich Geist und Gemüt eines Menschen so:

‚Derart handelt dieser Mensch.

darauf arbeitet er hin, einen solchen Weg hat er genommen,

daß er bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode, in tierischen Schoß geraten wird;‘

und ich sehe ihn dann später mit dem göttlichen Auge, dem geklärten, überirdischen,

bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tod, in tierischen Schoß geraten.

von schmerzlichen, stechenden, brennenden Empfindungen erfüllt:

gleichwie etwa, Sariputto, wenn da eine Senkgrube wäre, tiefer als Manneshöhe, voller Unrat;

und es käme einer heran,

vom Sonnenbrand gebraten, vom Sonnenbrand verzehrt, erschöpft, zitternd, dürstend,

und schritte geraden Weges auf

eben diese Senkgrube zu; den habe ein scharfsehender Mann erblickt und spräche nun:

‚Derart handelt jener liebe Mann. darauf arbeitet er hin, einen solchen Weg hat er genommen,

daß er mitten in den Kot hineinfallen wird;‘

und er sähe ihn dann später in der Jauche drinnen,

von schmerzlichen, stechendem brennenden Gefühlen erfüllt * … –

* Cfr. dazu das Zit. 129. Suttam der M. S.:

Wollte ich gleich, Mönche, auf mancherlei Weise Dinge der Tierheit euch deuten,

so könnte man es doch, Mönche, nicht wohl durch Worte erfassen,

wie tief die Leiden der Tierheit reichen.

»Gleichwie etwa, Mönche, wenn ein Mann eine einkehlige Reuse in den Ozean würfe;

die würde da vom östlichen Wind nach Westen getrieben,

vom westlichen Wind nach Osten getrieben,

vom nördlichen Mode nach Süden getrieben, vom südlichen Wind nach Norden getrieben;

und es wäre da eine einäugige Schildkröte, die alle hundert Jahre einmal emportauchte;

was meint ihr nun, Mönche:

sollte da etwa die einäugige Schildkröte mit ihrem Hals in jene einkehlige Reuse hineingeraten?« –

»Wohl kaum, oh Herr; oder doch nur, oh Herr, irgend einmal vielleicht, im Verlauf langer Zeiten« –

»Eher noch mag, Mönche,

die einäugige Schildkröte mit ihrem Hals in jene einkehlige Reuse hineingeritten;

aber schwieriger-, sage ich, Mönche, ist Menschentum erreichbar.

sobald der Tor einmal in die Tiefe hinabgesunken.

Und warum das? Weil es dort, Mönche,

keinen gerechten Wandel, geraden Wandel, kein heilsames Wirken, hilfreiches Wirken gibt:

einer den anderen auffressen ist dort, Mönche, der Brauch. den schwachen ermorden.«

 

Und ich durchschaue und erkenne Geist und Gemüt eines Menschen so, Sariputto:

‚Derart handelt dieser Mensch, darauf arbeitet er hin, einen solchen Weg hat er genommen,

daß er bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tod, ins Gespensterreich geraten wird;‘

und ich sehe ihn dann später mit dem göttlichen Auge, dem geklärten, überirdischen,

bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tod,

ins Gespensterreich geraten, von manchem Schmerzgefühl erfüllt:

gleichwie etwa, Sariputto, wenn da auf schlechtem Erdreich ein Baum gewachsen ist,

mit verkümmertem Laube, spärlichem Grün, das kaum Schatten wirft;

und es käme einer heran,

vom Sonnenbrand gebraten, vom Sonnenbrand verzehrt, erschöpft, zitternd, dürstend,

und schritte geraden Weges auf eben diesen Baum zu;

den habe ein scharfsehender Mann erblickt und spräche nun:

‚Derart handelt jener liebe Mann, darauf arbeitet er hin, einen solchen Weg hat er genommen,

daß er gerade zu diesem Baum gelangen wird;‘

und er sähe ihn dann später im Schatten dieses Baumes sitzen oder liegen,

von manchem Schmerzgefühl erfüllt. … –

Und ferner, Sariputto, durchschaue und erkenne ich Geist und Gemüt eines Menschen so:

‚Derart handelt dieser Mensch, darauf arbeitet er hin, einen solchen Weg hat er genommen,

daß er bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tod, als Mensch wiedererscheinen wird;‘

und ich sehe ihn dann später mit dem göttlichen Auge, dem geklärten, überirdischen,

bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tod,

als Mensch wiedererscheinen, von manchem Wohlgefühl erfüllt:

gleichwie etwa, Sariputto, wenn da auf gutem Erdreich ein Baum gewachsen ist,

mit breitem Laubdach, dichtem Grün, tiefem Schatten;

und es käme einer heran, vom Sonnenbrand gebraten, vorn Sonnenbrand verzehrt.

erschöpft, zitternd, dürstend, und schritte geraden Weges auf eben diesen Baum zu;

den habe ein scharfsehender Mann erblickt und spräche nun:

‚Derart handelt jener liebe Mann, darauf arbeitet er hin, einen solchen Weg hat er genommen,

das er gerade zu diesem Baum gelangen wird;‘

und er sähe ihn dann später im Schatten dieses Baumes sitzen oder liegen,

von manchem Wohlgefühl erfüllt. … –

Und ich durchschau’ und erkenne Geist und Gemüt eines Menschen so, Sariputto:

‚Derart handelt dieser Mensch, darauf arbeitet er hin, einen solchen Weg hat er genommen, daß er bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tod, an Orte göttlicher Freude gelangen wird;‘

und ich sehe ihn dann später mit dem göttlichen Auge, dem geklärten, überirdischen,

bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tod, an Orten göttlicher Freude, nur von Wohlgefühlen erfüllt:

gleichwie etwa, Sariputto, wenn da ein Landhaus stände,

mit luftiger Terrasse, zierlich gebohnert und geglättet, mit gefälligem Geländer versehen,

vor den Fensterbogen duftige Matten,

und ein Lager befände sich dort, aus flockigen, wollenen Decken gepolstert,

mit zartesten Antilopenfellen behangen, zu beiden Seiten purpurne Kissen;

und es käme einer heran,

vom Sonnenbrand gebraten, vom Sonnenbrand verzehrt, erschöpft, zitternd, dürstend,

und schritte geraden Weges auf eben dieses Landhaus zu;

den habe ein scharfsehender Mann erblickt und spräche nun:

‚Derart handelt jener liebe Mann, darauf arbeitet er hin, einen solchen Weg hat er genommen,

daß er gerade zu diesem Landbaus herankommen wird;‘

und er sähe ihn dann später in diesem Landhaus, auf der Terrasse, auf dem Lager sitzen oder liegen,

nur von Wohlgefühlen erfüllt *.« (* Majj.Nik.1. p. 73 (12. Suttam))

 

Erstrebenswert unter diesen fünf Fährten könnte im Grunde nur die letzte, die göttliche Fährte, sein.

Doch untersteht nach dem Buddho auch sie, wie übrigens alle fünf Fährten

– insbesondere nimmt auch die Objektivierung in der Tierwelt und in den Höllen stets wieder ein Ende,

wenn auch möglicherweise erst nach jeweils ungemessenen Zeiträumen –

dem großen Gesetz der Vergänglichkeit: »Bis in die höchste Götterwelt reibt alle Wesenheit sich auf.«

»Die dreiunddreißig Götter und die Yamagötter, die Freudenreichen Gottheiten,

die Götter, die eigenen Schaffens sich freuen,

und die Gebietenden Götter, mit der Fessel des Begehrens gebunden,

kehren sie in Maros * Gewalt zurück**.«

* Maro = der Tod; davon noch später.

(* Samyutta Nik. vol. l. pag. 133 (V, 7))

 

Unfehlbar muß also immer wieder der Abstieg auf die niederen Fährten erfolgen.

 

Dazu kommt aber noch,

daß auch dieser Lichtblick des Aufenthalts in einer Götterwelt oder auch nur im Menschenreiche

sich bloß den wenigsten Wesen eröffnet, ganz im Einklang mit der Lehre Christi,

wonach ja auch »Viele berufen, aber nur Wenige auserwählt sind«:

 

»Gleichwie, Mönche,

es hier auf der indischen Erde nur wenige schöne Gärten und Wälder, Felder und Teiche gibt,

aber bei weitem mehr Abhänge und Schluchten, schwer passierbare Flüsse,

wilde Urwälder und unerklimmbare Höhen:

 

»Ebenso werden, Mönche,

nur wenige Wesen, die als Menschen gestorben sind, unter den Menschen wiedergeboren,

aber bei weitem mehr Wesen, die als Menschen gestorben sind,

gelangen in einer Hölle, unter den Tieren oder im Gespensterreiche wieder zum Dasein –

und es werden, Mönche,

nur wenige Wesen, die als Menschen gestorben sind, unter den Göttern wiedergeboren;

aber bei weitem mehr Wesen, die als Menschen gestorben sind,

gelangen in einer Hölle, unter den Tieren oder im Gespensterreich wieder zum Dasein *.«

* Angutt. Nik. I, 19 wo derselbe Gedanke

auch bezüglich der Wesen in den anderen vier Reichen entsprechend ausgeführt wird.

 

So irrt denn jedes Wesen seit Ewigkeit im Samsaro durch die fünf Reiche hin und her,

sieht sich im unaufhörlichen Wechsel der fünf Gruppen, die seine Persönlichkeit aufbauen,

und damit im ewigen Wechsel dieser selbst bald als Mensch,

bald als Gespenst, bald als Tier, bald als Teufel, hin und wieder als Gott:

»Man keimt in Schoßen, keimt in anderen Welten und kehrt im Wandelkreis hin und wieder *.«

* Psalmen der Mönche, V. 785.

 

Man muß sich anschaulich vorzustellen suchen, was das bedeutet;

und zwar muß man sich zunächst über die Endlosigkeit dieser Weltenwanderung an sich klar werden:

 

»Gleichwie, Mönche, wenn ein Mann die Gräser und Kräuter, Zweige und Blätter

dieses ganzen indischen Kontinents abschnitte, einsammelte

und eine Handvoll nach der anderen aufhäufte, sagend:

‚Dies ist meine Mutter, dies ist die Mutter meiner Mutter‘ usw. –

da wäre kein Ende der Mütter der Mutter dieses Mannes, Mönche, abzusehen,

wohl aber erreichte er den letzten Rest, das Ende

aller Gräser und Kräuter, Zweige und Blätter dieses indischen Kontinents;

was ist die Ursache hiervon? –

Unausdenkbar, Mönche, ist ein Anfang dieses Samsaro, nicht zu erkennen ein erster Beginn der Wesen,

die durch Nichtwissen gehemmt, durch den Durst verkoppelt,

(in den Welten) umherwandern, herumirren. …«

 

»Gleichwie,

Mönche, wenn ein Mann diese große Erde handvollweise zu einem Erdenball aufhäufen würde, sagend:

‚Dies ist mein Vater, dies ist der Vater meines Vaters‘ usw. –

da wäre kein Ende der Väter des Vaters dieses Mannes abzusehen,

aber diese große Erde würde aufgebraucht, würde zu Ende gehen;

was ist die Ursache hiervon? –

Unausdenkbar, Mönche, ist ein Anfang dieses Samsaro, nicht zu erkennen ein erster Beginn der Wesen,

die durch Nichtwissen gehemmt, durch den Durst verkoppelt, (in den Welten) umherwandern, herumirren:

 

»und so habt ihr, Mönche, durch lange Zeit Leid erfahren, Qual erfahren,

Unglück erfahren und das Leichenfeld vergrößert –

lange genug, wahrlich, Mönche, um aller Hervorbringungen überdrüssig zu werden,

lange genug, um vor ihnen zurückzuschrecken, lange genug, um sich von ihnen loszulösen * **.«

(* Samyutta Nik. ll, p. 178 (XV, 1))

** Im Samyutta Nik. V, pag. 458 (LVl, 50) wird ausgeführt,

wie infolge der zahllosen abgelegten Körper

auch nur seitens eines Menschen im Verlauf seines Samsaro

der aus ihnen sich aufschichtende Haufen von Totengebein unermeßlich ist:

bergeshoch schichtete sich der Knochenfels im Verlauf auch nur eines Weltäons

während des rastlosen Wandels von Geburt und Tod,

wenn man im Geiste die Knochen zusammenfaßte,

bei jedem einzelnen an, bis zu einem Gebirge aus Menschenkalk.

Damit vergleiche man auch die Stelle des Jatakam No. 166,

daß es keinen Fleck Erde gebe, der nicht staub Verstorbener sei,

und den Ausspruch Voltaire’s: »Le globe ne contient que des cadavres.«

 

Doch der Buddho gibt sich mit dieser allgemeinen Schilderung

der Unendlichkeit des Kreislaufes unserer Wiedergeburten nicht zufrieden.

Er zeigt uns auch im Einzelnen, welcher Art unsere jeweiligen Existenzen waren,

und zwar zunächst innerhalb des Menschenreiches selbst:

 

»Was denkt ihr, Mönche: Was ist wohl mehr, die Tränenflut,

die ihr auf diesem langen Weg, immer wieder zu neuer Geburt und neuem Tode eilend,

mit Unerwünschtem vereint, von Erwünschtem getrennt,

klagend und weinend vergossen habt – oder das Wasser der vier großen Meere? …

 

»Lange Zeit hindurch habt ihr, Mönche, den Tod der Mutter erfahren,

lange Zeit hindurch den Tod des Vaters, lange Zeit hindurch den Tod des Sohnes.

lange Zeit hindurch den Tod der Tochter, lange Zeit hindurch den Tod der Geschwister,

lange Zeit hindurch habt ihr den Verlust eurer Habe erlitten,

lange Zeit hindurch wart ihr von Krankheit bedrückt:

und während euch der Tod der Mutter, der Tod des Vaters, der Tod des Sohnes, der Tod der Tochter,

der Tod der Geschwister, der Verlust des Vermögens die Qual der Krankheit zuteil wurde,

während ihr mit Unerwünschtem vereint, von Erwünschtem getrennt wart,

da vergoßt ihr, von Geburt zu Tod, von Tod zu Geburt eilend,

auf diesem langen Weg wahrlich mehr Tränen, als Wasser in den vier großen Meeren enthalten ist.

 

»Was denkt ihr, Mönche: Was ist wohl mehr, das Blut, das auf diesem langen Wege,

während ihr immer wieder zu neuer Geburt und neuem Tod eiltet.

Bei eurer Enthauptung dahinfloß – oder das Wasser der vier großen Meer? …

 

»Lange Zeit hindurch habt ihr, Mönche, als Mörder verurteilt,

bei eurer Hinrichtung wahrlich mehr Blut vergossen, als Wasser in den vier großen Meeren enthalten ist;

lange Zeit hindurch habt ihr, Mönche, als Räuber ergriffen,

bei eurer Hinrichtung wahrlich mehr Blut vergessen, als Wasser in den vier großen Meeren enthalten ist;

lange Zeit hindurch habt ihr, Mönche, als Ehebrecher ertappt,

bei eurer Hinrichtung wahrlich mehr Blut vergossen,

als Wasser in den vier großen Meeren enthalten ist*.« (* Samyutta Nik. l. c.)

 

Indessen ist damit das Maß des Leidens, das wir bereits hinter uns haben, noch lange nicht erschöpft.

Viel schrecklicher waren noch jene Leiden, die uns erwuchsen,

während wir in den Abgründen des Seins umherirrten:

 

»Was denkt ihr, Mönche: was ist wohl mehr, das Blut, das auf diesem langen Weg,

während ihr immer wieder zu neuer Geburt und neuem Tod eiltet, bei eurer Enthauptung dahinfloß –

oder das Wasser der vier großen Meere? …

 

Lange Zeit hindurch habt ihr, Mönche,

als Rinder und Kälber bei eurer Enthauptung wahrlich mehr Blut vergossen,

als Wasser in den vier großen Meeren enthalten ist;

 

lange Zeit hindurch habt ihr, Mönche,

als Büffel und Büffeljunge bei eurer Enthauptung wahrlich mehr Blut vergossen,

als Wasser in den vier großen Meeren enthalten ist;

 

lange Zeit hindurch habt ihr, Mönche,

als Schafe und Lämmer bei eurer Enthauptung wahrlich mehr Blut vergossen,

als Wasser in den vier großen Meeren enthalten ist;

 

lange Zeit hindurch habt ihr, Mönche,

als Böcke und Zicklein bei eurer Enthauptung wahrlich mehr Blut vergossen,

als Wasser in den vier großen Meeren enthalten ist;

 

lange Zeit hindurch habt ihr, Mönche,

als Rehe und Hirsche bei eurer Erlegung wahrlich mehr Blut vergessen,

als Wasser in den vier großen Meeren enthalten ist;

 

lange Zeit hindurch habt ihr, Mönche,

als Schweine und Ferkel bei eurer Abschlachtung wahrlich mehr Blut vergossen,

als Wasser in den vier großen Meeren enthalten ist;

 

lange Zeit hindurch habt ihr, Mönche,

als Hühner, Tauben, Gänse usw. bei eurer Abschlachtung wahrlich mehr Blut vergessen,

als Wasser in den vier großen Meeren enthalten ist.

 

Wie aber ist das möglich? –

Unbestimmbar, Mönche, ist der Anfang dieses Samsaro, nicht zu erkennen ein erster Beginn der Wesen,

die durch Nichtwissen gehemmt, durch den Durst verkoppelt,

– (in den Welten) – umherwandern, umherirren:

 

und so habt ihr, Mönche, durch lange Zeit Leid erfahren, Qual erfahren, Unglück erfahren

und das Leichenfeld vergrößert –

lange genug, wahrlich, Mönche, um aller Hervorbringungen überdrüssig zu werden,

lange genug, um vor ihnen zurückzuschrecken,

lange genug, um sich von ihnen loszulösen *.« (* Samyutta Nik. ll, p. 187 (XV. 13))

 

Es ist klar, daß, wenn das alles so ist

– der Aufenthalt in den Höllen ist dabei noch gar nicht in Betracht gezogen –

wenn das wirklich unser vergangenes Schicksal war und unser künftiges sein wird,

dann der Satz: »Alles Leben ist Leiden« in seinem gräßlichsten Sinn wahr ist.

 

Aber nicht Wenige werden erklären, hier dem Buddho nicht weiter folgen zu können,

selbst wenn sie

seinem Urteil über die Einschätzung des Wertes unseres gegenwärtigen Lebens zustimmen.

Denn hier fehle jede Möglichkeit der eigenen unmittelbaren Einsicht,

die doch auch nach dem Buddho das einzige wirkliche Kriterium aller Wahrheit sei.

Denen ist zu erwidern, daß der Buddho auch gar nicht verlangt,

daß sie diesen seinen Aussagen kritiklos und auf bloßen Glauben hin beipflichten.

Der Satz, daß man nur gelten lassen soll, was man selber unmittelbar erkannt hat, gilt auch hier;

und gerade den unmittelbaren Einblick in den Kreislauf unserer Wiedergeburten zu verschaffen,

ist das spezielle Thema der zweiten der vier Hohen Wahrheiten, wie wir noch sehen werden.

Ja, es mag sein, daß man auf dem von dem Buddho gewiesenen Wege.

wie gleichfalls noch gezeigt werden wird,

sogar den anschaulichen Überblick über die eigene vorgeburtliche Vergangenheit

und das Dahinschwinden und Wiedererscheinen der anderen Wesen

durch Entwicklung »des göttlichen Auges, des geklärten, überirdischen« gewinnt.

 

Inzwischen ist aber gerade diese Wahrheit über die Art unserer vor- und nachgeburtlichen Existenz

eine solche, daß sie auch ohne den unmittelbaren Einblick, also auf dem indirekten Weg,

gefunden werden kann,

indem sie sich schon der bloßen nüchternen Beurteilung als die einzig mögliche erweist.

Eben deshalb ist sie ja auch keine dem Buddho allein eigentümliche,

bildet vielmehr den Urglauben der Menschheit

und liegt als solcher auch allen großen Religionen der Erde zugrunde

mit Ausnahme des Judentums und der aus diesem entsprossenen zwei Religionen,

des Christentums und des Mohammedanismus *.

* Cfr. Schopenhauer. W. a. XV. u. V. Il. s. 576 (595).

Der von Schopenhauer zitierte Obry sagt in seinem vortrefflichen Buch »Du Nirvana Indien«:

»Dieser alte Glaube hat die Reise um die Welt gemacht

und war im hohen Altertum so weit verbreitet,

daß ein gelehrter Anhänger der anglikanischen Kirche von ihm urteilt,

er sei ohne Vater, ohne Mutter und ohne Genealogie.«

 

Diesen indirekten Weg zu ihrer Feststellung

wollen auch wir zunächst einmal, gleichsam einführungsweise, gehen.

Er ist der Weg der Hypothese:

Die menschliche Vernunft sucht, solange der unmittelbare Einblick in ein Geschehen nicht möglich ist, nicht bloß im Bereich des gemeinen Lebens,

sondern auch innerhalb der Wissenschaften die Wahrheit in dieser Form festzustellen,

indem unter Umständen auch eine bloße Hypothese bis an unmittelbare Gewißheit heranreichen kann.

Letzteres ist beispielsweise der Fall

bei der Kant-Laplace’schen Weltentstehungstheorie, der Äthertheorie.

Dabei besteht das Kriterium der Hypothese auf ihre innere Begründetheit darin,

daß sie das einschlägige Geschehen möglichst vollständig erklärt

und sich widerspruchslos auch in den ganzen übrigen Naturverlauf einfügt,

so steht der Anerkennung der Kant- Laplace’schen Hypothese

als voller Gewißheit vor allem der Umstand entgegen,

daß das Verhältnis der Dichtigkeiten der Planeten und der Sonne sich nicht gut mit ihr vereinigen läßt.

 

Diese Grundsätze, auf die Lehre des Buddho

über die Art unserer vor- und nachgeburtlichen Existenz angewendet, ergeben folgendes.

Seine Lehre begreift drei Behauptungen in sich:

 

  1. Es gibt ein Fortleben nach dem Tod,
  2. dasselbe vollzieht sich in Form der Wiedergeburt, und zwar näher der Palingenesie,
  3. diese selbst findet innerhalb der angegebenen fünf Fährten statt.

 

Über die Wahrheit der ersten Tatsache war sich die ungeheure Überzahl der

Menschen zu allen Zeiten und an allen Orten klar,

so sehr, das sich diese Übereinstimmung eigentlich nur durch den Satz Spinozas begreifen läßt:

sentimus experimurque nos aeternos esse:

unser unmittelbares Bewußtsein sagt uns, daß wir unvergänglich sind*.

* Wenn man sich darüber klar werden will, wie tief im Menschen dieses Bewußtsein verankert ist,

dann muß man sich jene nicht zu bannende sorge vor Augen halten,

die jeden Menschen im unmittelbaren Angesicht des Todes um seine Zukunft nach diesem ergreift

und zwar auch jene ergreift, die in gesunden Tagen

für jeden Glauben an ein Fortleben nur ein überlegenes Lächeln haben.

In Widerstreit geraten die Menschen hier erst

bei der Herübernahme dieser unmittelbaren, in den Tiefen ihres Wesens begründeten

und deshalb nur gefühlten Wahrheit in die abstrakte Erkenntnis,

also bei dem Versuch, sie nach dem Satz vom Grunde zu begreifen;

gegen sie kämpfen nur jene. die sich wissenschaftlich als Materialisten bezeichnen

und die auch dem Buddho schon gar wohl bekannt waren:

»Da behauptet, Sandako, ein Meister diese Ansicht:

‚Almosengeben, spenden, Opfer bringen ist ein leerer Wahn,

es gibt keine Frucht und kein Reifwerden der guten und bösen Taten,

es gibt nicht diese Welt und nicht eine andere Welt;

es gibt nicht Vater und nicht Mutter und nicht ohne Zeugung ins Dasein tretende Wesen,

es gibt in der Welt keine Religiosen und Brahmanen, die vollkommen und vollendet sind,

die diese Welt und jene Welt durchschauen, erleben und offenbaren.

Aus den vier Hauptelementen hier ist der Mensch entstanden;

wenn er stirbt, geht Erde wieder zur Erde, Wasser zum Wasser, Feuer zum Feuer, Luft zur Luft,

in den Raum hinaus wandern die Sinne.

Mit der Bahre zu fünft schreiten die Leute mit dem Toten hinweg.

Bis zur Verbrennung werden Sprüche gesungen.

Dann sind nur noch bleiche Knochen übrig und in der Asche enden seine Opferdarbringungen.

Nur von Toren wird Freigebigkeit gepredigt.

Unsinn, Lüge, Gefasel bringen sie vor, die da behaupten, es gebe Etwas,

seien es Thoren, seien es Weise:

Bei der Auflösung des Körpers zerfallen sie, gehen zugrunde, sind nicht mehr nach dem Tod‘*.«

(* Majj. Nik. l, p. Its (76. Suttam))

 

Aber sonderbarerweise, trotzdem er den Augenschein für sich hat

– mit dem Tod zerfällt ja offensichtlich, was wir Mensch zu heißen gewohnt sind –

hat der Materialismus, wie Schopenhauer sagt, und wie früher schon einmal erwähnt,

nie einen dauernden Einfluß auf die Menschheit erlangen können.

Die Gründe sind klar: Auch der Materialismus ist, wie jedes andere wissenschaftliche System,

daß das Phänomen des Lebens erklären will, eine Hypothese.

Eine Hypothese kann aber nach dem Obigen nicht richtig sein,

wenn sie mit einer Grundtatsache des Naturverlaufes im Widerspruch steht.

Zum Naturverlauf in diesem Sinn gehört aber doch wohl

mit dem Menschen und allen seinen Handlungen

auch das erwähnte, ein Gemeingut der Menschheit als Ganzes genommen

bildende unmittelbare Bewußtsein der Fortdauer nach dem Tod.

Auch dieses muß deshalb doch wohl von einer Erklärung des Lebens mitumfaßt werden.

Wollte man diese Erklärung aber etwa dahin zu geben versuchen,

daß sich aus diesem Bewußtsein

höchstens ein dem Menschen eigentümlicher Trieb zur Fortdauer nach dem Tod ergebe,

keineswegs aber, daß dieser Trieb nun auch eine Erfüllung zu erhoffen habe,

so wäre darauf zu erwidern,

daß schon die bloße Tatsache eines solchen in jedem Menschen gleichmäßig vorhandenen,

also wesenhaften Triebes für sich ganz allein auch dessen Verwirklichung in irgend einer Form verbürgt,

nach dem Satz: natura nihil frustra facit.

Wir hätten diesen Trieb gar nicht, wenn er keine Befriedigung zu erwarten hätte:

Wenn ein Naturforscher bei irgend einem Wesen einen ihm eigentümlichen Trieb festgestellt hat,

so wird er ohne weiteres so sehr von der Möglichkeit seiner Befriedigung überzeugt sein,

daß er die Zumutung, das Suchen nach dem Objekt dieses Triebes aufzugeben,

weil ihm doch kein solches entspreche,

kurzer Hand als töricht zurückweisen

und in seinem Forschen nicht eher nachlassen wird, bis er dieses Objekt gefunden hat,

aus dem sicheren Gefühl heraus, das die Natur in der Linie des geringsten Widerstandes arbeitet

und deshalb auch keine Bedürfnisse schafft, für die es keine Mittel zur Abhilfe gibt.

Dann aber zerschellt der Materialismus

schon an jeder moralischen, also selbstlosen Handlung in der Welt,

wie es solche doch zweifellos gibt,

die dann aber auch ebenfalls, so gut wie Geburt und Tod, zum Phänomen des Lebens gehören

und mit denen deshalb eine Hypothese der Erklärung dieses Phänomens

unmöglich in Widerstreit geraten darf.

Auch der Materialist hegt wohl Hochachtung und Bewunderung vor einem Menschen,

der seine eigene Person ohne Zaudern für einen anderen preisgibt.

Wie ist diese Hochachtung, diese Bewunderung aber mit seinem System vereinbar,

wonach es doch sinnlos sein muß, mich selbst total zu vernichten,

nur damit ein anderer, der mich im Grunde doch gar nichts angeht

– denn welches Band sollte mich nach dem Materialismus mit einem fremden Menschen verbinden? – lebe?

Bin ich nicht vielmehr ein Thor,

wenn ich mein eigenes Leben, das doch nach dieser Anschauung für mich das Höchste sein muß,

eben weil seine Vernichtung die restlose Vernichtung von allem anderen für mich miteinschließt,

für einen anderen aufopfere?

Und wo bliebe der Ausgleich für eine wohl auch von einem Materialisten

als edel empfundene Lebensaufopferung für einen anderen.

Wenn es mit dem Tod aus ist?

Denn auch das ist doch wohl eine zum Phänomen des Lebens gehörige

und deshalb von einer Erklärung desselben mitzuumfaßende Tatsache,

daß in uns das unausrottbare Bewußtsein lebt, das jeder Tat irgendwie ihr Lohn werden muß,

sollte der Materialist die Antwort geben:

Nun ja, der Ausgleich für die Tat liegt eben darin, daß sie einem anderen Menschen zugute kommt,

so wäre die weitere Frage zu beantworten:

Wie ist es aber dann, wenn der sein Leben Preisgebende es für eine verlorene Sache preisgibt?

Zum Beispiel jene fünfhundert Schweizer, die sich für ihren König Ludwig XVI.

bei der Erstürmung der Tuilerien durch den Pöbel opferten.

War die Tat, rein natürlich betrachtet. nicht vollständig wertlos?

Und doch, wer hat den Mut zu sagen, es wäre für jene Edlen ganz das Gleiche gewesen,

wenn sie. statt ihr Leben für ihren Herrn hinzugeben,

ihn feige verraten und sich auf die Seite des Pöbels gestellt hätten?

Wenn es aber nicht gleich war,

wann und wo soll der Ausgleich, nach dem das menschliche Empfinden förmlich schreit, erfolgen,

wenn mit dem Tod die restlose Vernichtung eintritt?

so aber ist es mit jeder guten, insbesondere mit jeder heroischen Tat,

die nicht die erwarteten Früchte bringt *.

* Du Prel nennt jene Anlage im Menschen,

kraft deren er sich für seine Handlungen über den Tod hinaus verantwortlich fühlt,

den moralischen Instinkt:

»Der Mensch ist die höchste Naturtatsache und die Moral ist seine höchste Funktion.

Instinktiv stellen wir dieselbe höher als die Bildung.

Am moralischen Menschen vermissen wir kaum die Bildung.

Genie ohne Moral aber stößt uns ab.

Dummheit erregt Bedauern oder Heiterkeit.

Schlechtigkeit erregt Entrüstung.

»Der eigentliche Prüfstein philosophischer Systeme liegt also darin,

ob sie fähig sind, die Moral zu begründen. –

Der moralische Instinkt ist nun aber unlogisch,

wenn die menschliche Individualität nur zwischen Weg und Grab liegt.

Hätte nur unser sichtbares Bahnstück Geltung

und gingen wir mit Bewußtsein unserem Erlöschen entgegen,

dann gleichen wir dem zum Tod Verurteilten,

nur daß unser Weg zur Richtstätte etwas länger und der Zeitpunkt ungewiß ist,

wann wir sie erreichen.

Das Gesetz gesteht dem Verurteilten für seine letzten Tage

die Erfüllung seiner leiblichen Wünsche zu, so war es schon bei den alten Griechen.

Diesen Anspruch mit Vernachlässigung der Vorbereitung für das Jenseits

werden wir aber für unsere ganze Lebensdauer erheben,

wenn wir als Materialisten den Tod als Vernichtung ansehen.« (Rätsel des Menschen. S. 96)

 

Mit dieser Erwägung

fertigt denn auch der Buddho selbst die materialistische Lehre, das es mit dem Tod aus sei, ab:

»Da überlegt nun, Sandako, ein verständiger Mann:

‚Dieser liebe Meister behauptet eine solche Meinung, eine solche Ansicht‘ –

eben die materialistische, wie sie in den obigen Worten wiedergegeben ist.

‚Wenn es wahr ist, was er sagt, so ist alles irdische Tun ohne Zweck.

Beide sind wir also hier ohne Unterschied eins geworden. …

Eine Thorheit ist es daher von diesem lieben Meister,

nackt zu gehen, den Scheitel zu scheren, auf den Fersen zu sitzen, Haar und Bart auszuraufen,

wenn ich, der in einem Haus voller Kinder lebt, der Seide und Sandel gebraucht,

Schmuck und duftende salben verwendet, der an Gold und Silber Gefallen hat,

künftighin ganz dasselbe Los wie dieser liebe Meister haben werde.‘

Und er erkennt:

‚Es ist unechte Asketenschaft und wendet sich unbefriedigt von solchem Asketentum ab*.‘

(* Majj. Nik. l. p. 516 (76. Suttam))

 

In der Tat ist die Erkenntnis, das der Materialismus von vornherein jede wirkliche Moral unmöglich macht, das durchschlagende Moment für jeden moralischen Menschen,

der ja allein die ganze Bedeutung des moralischen Handelns unmittelbar an sich und in sich fühlt,

ihn schon aus diesem seinem unmittelbaren Gefühle heraus –

die gefühlte Wahrheit ist nach Schopenhauer ja die unmittelbar erkannte,

die nur noch nicht als abstrakte Erkenntnis in Begriffe abgezogen ist – von sich zu weisen.

Und nur an Menschen, die bereits auf dieser Höhe des moralischen Handelns stehen,

wendet sich der Buddho überhaupt.

 

Steht nun aber für einen Menschen die Tatsache, daß der Tod nicht unser Ende ist, fest,

so handelt es sich für ihn um die weitere Frage der Art dieser Fortdauer.

Zwei Hauptlehren stehen sich hier gegenüber, einmal die Lehre der persönlichen Fortdauer,

deren Hauptrepräsentant die christliche Lehre von der Unsterblichkeit des Individuums

in einem ewigen Himmel oder in einer ewigen Hölle ist, und dann die Palingenesie.

 

Wo liegt die Wahrheit?

Auch hier bleibt für jeden, der sie selbst noch nicht unmittelbar erkannt hat,

nur der Standpunkt des vernünftigen Hausvaters übrig, wie ihn der Buddho präzisiert,

ein Standpunkt, der sich in Anlehnung an seine Worte, wie folgt, fixieren läßt:

»Da überlegt nun: Hausvater, ein verständiger Mann:

‚Wenn da die einen lieben Asketen und Brahmanen sagen und lehren:

‚Es gibt eine persönliche Fortdauer‘, so habe ich das nicht gesehen;

Und wenn da die anderen lieben Asketen und Brahmanen sagen und lehren:

»Es gibt keine persönliche Fortdauer‘, so habe ich das nicht erfahren.

Doch wenn ich mich nun, ohne es erfahren, ohne es gesehen zu haben, einzig für eines entschiede:

‚Dies nur ist Wahrheit, Unsinn anderes‘, so stünde mir das übel an.

Denn man kann einer Sache gar wohl vertrauen und sie ist hohl und leer und falsch;

und man kann ihr auch wohl nicht vertrauen, und sie ist echt und wahr und wirklich.‘

Und so wird, wer der Wahrheit nachgeht, ein verständiger Mann,

da nicht gleich einseitig den Schluß ziehen:

»Dies nur ist Wahrheit, Unsinn anderes«;

vielmehr ist es, auf das die Sätze Einsicht gewähren, wichtig, den Inhalt zu betrachten« *. –

(* Majj. Nik. I, p. 410 (60. Suttam))

In unserer Sprache ausgedrückt heißt dies:

Auch hier stehen für jeden, der nicht einfach blind glauben kann, sondern wissen will,

einstweilen nur Hypothesen in Frage,

die auf ihre Begründetheit nach den für sie geltenden Regeln zu prüfen sind, also insbesondere dahin,

ob sie nicht mit anderweiten zweifellosen Tatsachen in unvereinbaren Widerspruch geraten.

Denn in diesem Falle wäre schon ihre bloße Möglichkeit zu verneinen

und wären sie deshalb von vornherein abzulehnen.

 

Nun haben wir bereits gesehen, daß der Körper mit dem Tod augenscheinlich zugrunde geht,

indem seine Bestandteile

wieder in die Gemeinschaft der anorganischen Stoffe der äußeren Natur zurückkehren,

und daß mit dem Fortfall dieser ihrer Basis, als von ihr bedingt,

auch die übrigen Komponenten

der Persönlichkeit, Empfindung, Wahrnehmung, Gemütstätigkeit und Erkennen

in nichts zerstieben und unmöglich werden.

Man kann sich durch Dogmen bestimmen lassen,

diese augenscheinliche Aussage der Natur zu ignorieren

oder gar trotz ihrer an dem Glauben der persönlichen Fortdauer festzuhalten,

aber wenn man an die Stelle der Erkenntnis nicht seinen Willen als die Quelle der Wahrheit setzt

– jeder Glaube ist ja letzten Endes eine Willensfunktion und der Wille bekanntermaßen nicht zu belehren –

sondern wenn man auf dem Standpunkt steht,

daß alle Wahrheit nur auf der Anschauung beruhen kann und in ihr wurzeln muß,

dann steht über allem Zweifel fest, daß mit dem Tod des Menschen nicht bloß das, was an ihm körperlich,

sondern auch, was an ihm geistig ist

– nämlich eben Empfindung, Wahrnehmung, Gemütstätigkeiten und Erkennen –

  1. h. also die ganze Persönlichkeit, zugrunde geht.

Das ist für jeden unbefangenen Beobachter so klar,

daß der Materialismus ja gerade hieraus

seine Hauptwaffe gegen den Glauben an eine Fortdauer nach dem Tod überhaupt nimmt,

wobei er freilich selbst wieder den unverzeihlichen Fehler begehe,

von der Unmöglichkeit einer Alternative auf die Unmöglichkeit auch der anderen

– der alsbald zu behandelnden Palingenesie – zu schließen.

 

Speziell die christliche Lehre

von der persönlichen Fortdauer in einem ewigen Himmel oder in einer ewigen Hölle

hat den Glauben an einen persönlichen Gott zur Voraussetzung

und führt im Verein mit diesem Dogma zu geradezu ungeheuerlichen Widersprüchen:

Wie kann ein menschliches Erkenntnisvermögen den Gedanken fassen,

daß ein Gott, der doch der Inbegriff vereinter Allgüte, Allweisheit und Allmacht sein soll, Wesen schafft,

von denen er voraussieht, das sie in ihrer Überzahl – »Viele sind berufen, aber Wenige sind auserwählt« –

der ewigen Verdammnis in einer Hölle anheimfallen werden!

Freilich wählen sich diese Wesen dieses ihr grauenhaftes Schicksal infolge ihrer Willensfreiheit selbst.

Aber wie kann der allgütige Gott ihnen ein solches entsetzliches »Geschenk« verleihen,

nachdem er doch zufolge seiner Allwissenheit voraussieht,

daß es in so fürchterlicher Weise mißbraucht werden wird!

Was würde man von einem natürlichen Vater sagen,

der sein Kind in die Welt hinausschickt oder auch es schon zeugt in der bestimmten Voraussicht,

daß es später »freiwillig« ein mit lebenslänglichem Zuchthaus zu bestrafendes Verbrechen begehen

und zeitlebens in tiefster Verzweiflung dahinbrüten wird!

Was wäre aber ein solches Unterfangen im Vergleich mit jenem anderen,

ein Wesen ins Dasein zu setzen, ja, die allermeisten Wesen ins Dasein zu setzen,

damit die einen, nämlich die Tiere, die keinen freien Willen haben,

also zugestandenermaßen schuldlos und ohne jede Aussicht auf Entschädigung

– denn sie sind ja nach dieser Lehre nicht unsterblich – ein Leben des Schreckens und der Angst führen*,

* Wir machen uns gemeinhin keine Vorstellung von dem angsterfüllten Leben,

das die meisten Tiere führen.

Man beachte irgend ein zierliches Vögelchen, während es Nahrung aufpickt.

Es wird zehnmal den Kopf nach allen Seiten wenden,

um einen vermuteten Feind rechtzeitig zu entdecken,

bevor es einmal ein Körnchen zu sich zu nehmen wagt.

Der gewöhnliche Mensch findet das allerliebst und drollig,

dem tiefer Blickenden aber wird gerade daraus offenbar,

in welch steter Furcht und Unruhe auch diese harmlosen Wesen dahinleben.

und die anderen, die Menschen,

infolge ihres freien Willens der namenlosen Qual einer ewigen Hölle verfallen,

die ihr Schöpfer

gerade als Folge des von ihm ihnen mit auf den Weg gegebenen freien Willens voraussah!

Muß nicht das Erkenntnisvermögen erst noch geschaffen werden,

das einen solchen Gedanken auszuhalten vermag, ganz abgesehen davon,

daß es doch an sich schon schlechterdings gegen alle Denkgesetze verstößt,

für die Schuld eines armseligen, endlichen Wesens

und damit für eine selbst beschränkte und endliche Schuld eine unendliche strafe eintreten zu lassen?

Und dann, wie Schopenhauer so richtig bemerkt *: (* Parerga Il. S. 396 (383))

Ist es faßbar, daß der Gott, welcher Nachsicht und Vergebung jeder Schuld vorschreibt, selbst keine übt,

sondern noch nach dem Tod ewige Bestrafung eintreten läßt?

Das Widersinnigste aber ist,

„daß dieser Gott von mir den Glauben an dieses Dogma der ewigen Bestrafung in einer Hölle

unter Androhung der Verwirklichung dieses Dogmas an mir selbst verlangt,

mir aber andererseits ein Erkenntnisvermögen mitgegeben hat.

welches dieses Dogma eben wegen seiner Vernunftwidrigkeit gar nicht annehmen kann.

 

Es ist wohl nicht zu viel behauptet, wenn man sagt,

daß eine Hypothese mit derartigen Konsequenzen und Widersprüchen

– etwas anderes als eine Hypothese

ist die Lehre von der persönlichen Fortdauer nach dem Tod auch dann nicht,

wenn sie als diese Offenbarung eines persönlichen Gottes vorgetragen wird;

denn auch diese Begründung ist ja selbst wieder bloße Hypothese,

die noch dazu auch ihrerseits wieder zu unausrottbaren Widersprüchen führt –

vor dem Forum der Erkenntnis unmöglich bestehen kann und deshalb a limine abzuweisen ist.

 

Damit bleibt dann aber nur mehr die Palingenesie

als die überhaupt noch allein mögliche Art der Fortdauer nach dem Tod übrig.

Denn für den Menschen,

für welchen einerseits die Tatsache seines Fortlebens nach dem Tod feststeht

und der andererseits alle Lehren einer persönlichen Fortdauer

– nicht nur die christliche, sondern auch alle anderen,

welche diese persönliche Fortdauer in Form der Seelenwanderung oder Metempsychose lehren —

als vernunftwidrig zurückweisen muß,

bietet sich nur mehr die Möglichkeit einer Fortdauer unter Untergang seiner Persönlichkeit,

welchen Untergang eben die Palingenesie in sich begreift.

Unter dieser versteht man nämlich die Zersetzung und Neubildung des ganzen Individuums,

so zwar, daß das Sterbende mitsamt dem Bewußtsein vollständig untergeht, aber ein Keim übrig bleibt,

aus welchem ein neues Individuum mit neuem Bewußtsein hervorgeht *,

* Schopenhauer, Parerga ll, S. 301 f. (285).

Der übrig bleibende Keim ist unser dürstender Wille. Davon später.

»der Mensch also wie Getreide reift und immer wieder reift*.« (* Kathaka-Upanischad I, 6)

Diese Lehre der Fortdauer nach dem Tode ist die einzige, die mit keiner, aber auch mit gar keiner anderweitigen Tatsache des Naturverlaufes in Widerspruch gerät.

Und schon deswegen, weil sie so die einzige ist,

bei der sich eine Fortdauer nach dem Tod logisch überhaupt nur widerspruchslos denken läßt,

muß sie auch von jedem, für den die Tatsache seiner Fortdauer an sich feststeht,

als die wahre akzeptiert werden.

 

Aber diese Hypothese – nur als solche kommt auch sie für uns einstweilen in Betracht –

ist nicht nur in allen ihren Teilen und Konsequenzen widerspruchslos,

indem sie sich harmonisch in das gesamte Naturgeschehen einfügt,

so sehr, daß sogar der »so übermäßig empirische« Hume, wie Schopenhauer ihn nennt,

in seiner skeptischen Abhandlung über die Unsterblichkeit sagt,

sie sei das einzige System dieser Art, auf welches die Philosophie hören könne *,

(* W. a. W. u. V. ll, S. 578 (595))

sondern sie erweist sich nach Schopenhauer auch als ein direktes Postulat der praktischen Vernunft,

wie das schon daraus hervorgeht, daß jeder auf sie selbst gerät,

sie zum mindesten jedem, der zum ersten Male davon hört, sogleich einleuchtet,

»wenn nicht der Kopf, in früher Jugend, durch Einprägung falscher Grundansichten verschroben,

ihr, mit abergläubischer Furcht, schon von weitem aus dem Wege eilt. *«

(* W. a. W. u. V. ll. S. 543 (559))

 

Freilich wie nun diese Palingenesie, diese Neuwerdung, im Augenblick des Todes vor sich geht,

das ist das große Geheimnis:

»Jedes neugeborene Wesen zwar tritt frisch und freudig in das neue Dasein

und genießt es als ein geschenktes:

aber es gibt und kann nichts Geschenktes geben,

sein frisches Dasein ist bezahlt durch das Alter und den Tod eines abgelebten,

welches untergegangen ist, aber den unzerstörbaren Keim enthielt,

aus dem dieses neue Dasein entstanden ist: sie sind ein Wesen.

Die Brücke zwischen beiden nachzuweisen, wäre freilich die Lösung eines großen Rätsels«,

sagt Schopenhauer *, (* W. a. W. u. V· ll. S. 575 (592))

eines Rätsels, das, wie hinzugefügt sei, von jeher ein unergründliches war;

niemand hat es zu lösen vermocht, mit Ausnahme eines Einzigem und dieser Einzige ist wiederum –

der Buddha seinem genialen Tiefblick war es gegönnt,

einen Blick auch in diese geheimste Werkstätte der Natur zu werfen

und so die Lösung jenes Rätsels zu bringen, eine Lösung,

die selbst wieder so verblüffend einfach ist, wie es eben nur die Wahrheit sein kann,

die ja immer einfach ist, so einfach, daß es, wie Goethe einmal sagt,

die Menschen ärgert, daß sie so einfach ist.

Doch das wird später auszuführen sein.

Hier war nur festzustellen, daß die allein mögliche Form einer Fortdauer nach dem Tode die Palingenesie ist, und daß eben diese allein mögliche Form vom Buddho gelehrt wird *.

* Sobald man zur Erkenntnis vorgedrungen ist, daß die Art unserer Fortdauer die Palingenesie ist,

geht auch ohne weiteres die Einsicht in die Anfangslosigkeit des Kreislaufs unserer Wiedergeburten auf

und damit auch in die unermeßlichen Zeiträume, die wir bereits durchwandert haben.

Denn war die mein gegenwärtiges Leben einleitende Geburt nicht meine erste,

dann war es auch nicht die dieser vorhergegangene

und so ohne Aufhören zurück in die anfangslose Unendlichkeit der Vergangenheit.

Somit bekunden wir,

wenn wir auf die ungeheuren Zeiträume, mit denen der Inder zu rechnen gewohnt ist,

mit überlegenem Lächeln herabschauen,

unser flüchtiges gegenwärtiges Leben für unser Leben schlechthin haltend,

nur die Enge unseres Horizonts, über die man selbst wieder lächelt,

wenn man den richtigen Standpunkt gewonnen hat.

daß wir, wie sich im nächsten Kapitel ergeben wird, in unserem tiefsten Wesen Zeitlos sind,

uns mithin die Zeit nichts anhaben kann;

wonach es aber selbstverständlich ist,

daß wir sie, wenn wir uns in sie hineinbegeben, in ihrer ganzen Endlosigkeit,

wenn auch selbst immer wieder andere werdend, an uns vorüberziehen sehen können. –

So illustriert also speziell die buddhistische wie die indische Zeitrechnung überhaupt

die ungeheure Weite der indischen „Weltanschauung« gegenüber unserer abendländischen.

Der Inder rechnet nach Weltaltern (kalpas), der Abendländer nach Jahren von 365 Tagen!

Die Länge eines der zahllosen von uns schon durchlebten Weltalter sucht der Buddho,

da hier jede Zahl versagt, in Samyutta Nikayo ll. p. 181 (XV. 5)

durch Gleichnisse zu veranschaulichen.

Eines von diesen ist das folgende:

„Gleichwie, Mönche, wenn da ein mächtiger Felsenberg wäre,

eine Meile lang, eine Meile breit, eine Meile hoch, ohne Spalt, ohne Riß, lauter feste Masse,

und es streifte jeweils nach Ablauf von hundert Jahren

ein Mann einmal mit einem Gewand aus Benares-Seide daran,

so würde, Mönche, durch dieses Vorgehen der gewaltige Felsenberg eher verschwinden,

zu Ende gehen, als ein Weltalten so lange, Mönche, ist ein Weltalter.« –

Ein modernes räumliches Analogon ist unsere astronomische Einheit des Lichtjahres

mit seiner »neun Billionen Kilometerweite«.

 

Was an seiner Lehre bezüglich der von ihm gelehrten Art der Fortdauer nach dem Tod Anstoß

erregen könnte, kann also nur mehr deren drittes Element sein,

nämlich daß sich diese Palingenesie nicht nur innerhalb des Menschenreiches vollziehe*,

* Wobei zu merken ist,

daß diese Neugeburt als Mensch nicht gerade auf unserer Erde stattfinden muß.

Ganz im Einklang mit unserer modernen Astronomie

war man bereits im alten Indien allgemein zur Erkenntnis durchgedrungen,

daß das Universum aus zahllosen Weltsystemen

und demgemäß auch aus zahllosen Erden besteht.

sondern das sie ebenso gut auch in der Tier- oder Gespensterwelt

oder in einer Hölle oder in einer Götterwelt statthaben könne,

indem man einwenden könnte einerseits, das Gespenster-, Götter- und Höllenreiche

jenseits aller möglichen Erfahrung lägen,

andererseits doch auch die Annahme widersinnig und gegen jeden Entwicklungsgedanken sei,

der Mensch könne je wieder in solche Tiefen, wie Tier- oder Höllenreiche, zurückgleiten.

 

Was den ersten Einwand betrifft, so ist vor allem klar, daß er eine petitio principii in sich schließt,

indem er die gewöhnliche Erfahrung für die allein mögliche erklärt.

Auf ihn wäre deshalb in Anlehnung an ein Wort Goethes zu erwidern:

Man muß sich allerdings an den Grenzen der Erfahrung resignieren,

aber nicht an den Grenzen der Erfahrung des eigenen bornierten Individuums,

sondern an den Grenzen der Erfahrung der Menschheit,

das heißt: das ewig unbekannte Land beginnt erst da,

wohin auch die Größten der Menschheit nicht mehr vorzudringen vermögen.

Unter diesen Größten sind aber letzten Endes nicht die bloß intellektuell,

sondern die auch moralisch Großen zu verstehen,

welche den schwersten Kampf gekämpft

und den gewaltigsten Sieg, nämlich den über sich selbst, errungen haben,

an welchem Maßstab gemessen

alle unsere sogenannten Großen zu bloßen Zwergen zusammenschrumpfen.

Diese moralisch Großen aber behaupten,

jene drei der normalen Anschauung unzugänglichen Reiche aus eigener Anschauung zu kennen,

wenn sie sie auch mit ganz verschiedenen Namen,

entnommen dem Ideenkreis, in welchem sie im Übrigen lebten, bezeichnen.

Was berechtigt, gerade ihren Berichten keinen Glauben beizumessen?

Etwa der Umstand. das sie als moralisch Große direkt unfähig zu einer bewußten Unwahrheit waren?

Oder der, daß sie, gegenseitig unabhängig,

durch Tausende von Jahren und Meilen von einander getrennt,

doch alle das Gleiche gesehen haben?

Oder vielleicht gar, daß speziell der Buddho und seine Jünger

die höchste Nüchternheit und Besonnenheit auch gegenüber allen inneren Erlebnissen,

speziell gegenüber jenen, die sich auf den höchsten stufen der Heiligkeit einstellen

und die eben den Überblick über den ganzen Samsaro bringen,

als die Grundvoraussetzung der rechten Erkenntnis betonen*?

* Man hat sich sogar nicht gescheut,

eine derartige innere Erleuchtung heiliger Menschen als krankhaften Zustand hinzustellen

und sie demgemäß für geisteskrank zu erklären! soweit kommt man,

wenn man seinen eigenen »Pelagianischen Hausmannsverstand« – Sch., W. a. W. u. V. l, 480! –

zum Maß für die Dinge macht.

Fürwahr, eine sonderbare geistige Gesundheit,

welche Männer, die ihren Geist so weit entwickelt hatten,

daß er sie befähigte, den uns gewöhnlichen Sterblichen

fast unmöglich erscheinenden Sieg

über alle ihre Leidenschaften, ja, jede Willensregung überhaupt,

zu erringen und so sinnes- und geistesgewaltig im höchsten Grad zu werden,

für geisteskrank erklärt!

Sollte hier nicht eine Begriffsverwirrung vorliegen,

hinsichtlich dessen, was Gesundheit und Krankheit ist? (Cfr. das 7F. Suttam des M. N.)

Gewiß mag es sein, daß auch bei Geisteskranken einzelne Phänomene vorkommen,

die an Erlebnisse anklingen, wie sie Heilige haben,

so mag, wenn ein solcher Kranker »das affektlose Universalgefühl des Nichts«

in den Worten beschreibt:

»Es ist nichts und gibt nichts und wird nichts sein« – angeführt bei Oldenberg, S. 374, Anm. 2 –

daß allerdings an das später noch zu behandelnde »Reich der Nichtirgendetwasheit«,

in das sich der Heilige zu erheben vermag. erinnern.

Allein einmal ist diese Ähnlichkeit nur eine scheinbare: der Heilige ist sich,

wenn er im Reich der Nichtirgendetwasheit verweilt,

gar wohl bewußt, daß die Welt an sich nach wie vor besteht,

das nur er sich vorübergehend ans ihr herausgezogen, sie überwunden hat,

so, daß er beliebig wieder in sie zurückkehren kann,

während ein von diesem Gefühl befallener Kranker dauernd in dem Wahn lebt,

daß die Welt überhaupt nicht da sei.

Und dann:

Könnten denn nicht auch einmal ausnahmsweise auf pathologischem Wege Hemmungen fallen

und somit einen realen Lichtblick eröffnen,

den nur wir, die wir dessen normale Bedingungen nicht kennen,

eben wegen seiner pathologischen Auslösung

im gegebenen Fall als selbst wahnhaft charakterisieren zu müssen glauben?

(Verwandtschaft zwischen Genie und Wahnsinn.)

 

Es ist gewiß nicht zu viel gesagt,

daß, wenn irgend ein Ereignis der anderen Geschichte von gleich einwandfreien Charakteren,

wie solche heilige Menschen es sind, bestätigt würde,

kein vernünftiger Mensch an seiner Realität zweifeln würde.

Wenn hier gleichwohl, besonders von unseren modernen »Aufgeklärten«,

solche Zweifel erhoben werden –

Menschen, die einen Blick für die tatsächlichen Grenzen des Möglichen

und die Kriterien des Wirklichen haben, fällt das übrigens gar nicht ein –

so kann das also nur in der Unwahrscheinlichkeit der Existenz solcher Reiche liegen.

Denn höchstens für unwahrscheinlich könnte ihre Existenz gehalten werden,

in keinem Fall für unmöglich oder irgend welcher anderweiten Tatsache widersprechend.

Aber sind sie wirklich auch nur unwahrscheinlich?

Es ist doch wohl im Gegenteil unwahrscheinlich,

daß die Form des Lebens auf unserer Erde die einzige sein sollte,

die die im Übrigen unerschöpfliche Natur hervorgebracht hat.

Wenn aber die gegenteilige Wahrscheinlichkeit

schon auf dem Wege bloßer Schlußfolgerung sich aufdrängt,

dann ist es wohl weiterhin ebenso wahrscheinlich,

daß diese zu vermutenden anderweiten Formen des Lebens

in Hinsicht auf die Unerschöpflichkeit der Natur

auch alle mit den Grundgesetzen des Universums,

also insbesondere mit dem allwaltenden Gesetz der Vergänglichkeit,

vereinbaren Möglichkeiten eines glücklichen wie eines unglücklichen Daseins erschöpfen,

wie wir dies im kleinen Maßstab ja auch auf unserer Erde sehen,

wo ebenfalls den Zuständen höchster Glücksempfindung solche kaum faßbaren Schmerzes,

ja, ganzen von außerordentlichem Glück bestrahlten Lebenslaufen andere gegenüberstehen,

die nur eine Kette von unaufhörlichen Qualen bilden, wie in der Tierwelt.

Warum sollte in der Natur nicht auch im Großen statthaben,

was wir so bei uns sich alltäglich im Kleinen abspielen sehen?

Warum sollte es, kurz gesagt,

nicht auch Extreme des Daseins sowohl nach der Richtung des Glücks wie des Unglücks geben können?

Freilich das Extrem nach der Richtung ungetrübten Glücks, wie man es sich in den Himmeln vorstellt,

läßt man sich schon gefallen;

aber so viel ist auf jeden Fall klar, daß, wenn es Himmel gibt,

dann es nach dem Gesetz der Polarisation ebensogut auch Zustände des anderen Extrems,

die man eben als Hüllen bezeichnet, geben muß, gleichviel, wie man diese Zustände deuten mag.

Wer also einen Himmel nicht missen will, muß auch mit der Hölle rechnen.

 

Damit kommen wir auf den zweiten Einwand,

daß die Annahme, der Mensch könne je wieder in solche Tiefen zurückgleiten, widersinnig sei.

Aber widersinnig ist hier gar nichts, sondern höchstens kann es einem widerwillig sein,

d.h. auch gegen diese Möglichkeit spricht vom Standpunkt der Vernunft und der Erfahrung aus gar nichts;

was sich dagegen sträubt, ist nur unser nach Wohlsein dürstender Wille,

der also auch hier wieder, wie sonst, von vornherein die Erkenntnis verfälscht:

Weil der Wille im Menschen vor einem Dasein, »einzig leidvoll«,

wie ein solches die Aussicht auf das Wiedererscheinen in einer Hölle oder im Tierreich eröffnet,

zurückschaudert,

schließt der Mensch einfach vor allen derartigen Eventualitäten die Augen,

indem er sich einredet, das könne nicht sein.

Aber was sein kann und was nicht, das entscheidet nicht unser Wille,

sondern das entscheiden die die Welt beherrschenden Gesetze;

und es war immer verhängnisvoll für die Wahrheit,

wenn man ihr gegenüber sich auf den Standpunkt stellte:

sic volo, sic jubeo – stat pro ratione voluntas.

 

Dieser Einfluß des Willens bei der Ergründung der Wahrheit

verbirgt sich oft sogar hinter den »wissenschaftlichsten« Gedanken.

Er steckt insbesondere auch in dem »Entwicklungsgedanken«,

mit dem man die Möglichkeit des Rückfalls des Menschen in niedere Reiche abtun zu können glaubt.

Weil der Mensch in der Natur einen allmählichen Aufstieg in den Formen der Lebewesen wahrnimmt

und weil es seinem Willen so zusagt,

zieht er voreilig den Schluß auf eine unbegrenzte Entwicklung seines eigenen Geschlechts,

obwohl ihn die Natur augenscheinlich lehrt, daß es eine solche Entwicklung nicht gibt,

sondern daß, wie schon angedeutet,

jede Entwicklung nur die erste Hälfte eines Vorganges, nämlich des Werdens, ist,

dessen zweite Hälfte stets den Verfall und am Schluß den vollständigen Zusammenbruch dessen,

was sich anfangs als ein sich Entwickelndes dargestellt hatte, bringen muß,

ein Gesetz, das im Größten wie im Kleinsten gilt,

sieht der Mensch aber das Illusionäre der unbegrenzten Entwicklung der Gattung mit der Zeit ein,

so kommt er schließlich,

um ja nicht an die Zwecklosigkeit alles seines Strebens und Wollens glauben zu müssen, dahin,

die Verwirklichung des Entwicklungsgedankens ins einzelne Individuum zu verlegen,

so zwar, das diesem als solchem

ein metaphysisches Endziel jenseits des Reiches der Vergänglichkeit vorgesetzt sei,

dem es mehr und mehr entgegenreife,

bis es dasselbe entweder schon mit dem Tod

oder doch nach einer Reihe aufeinanderfolgender einzelner Existenzen auch tatsächlich erreiche,

etwa wie ein Wanderer seinem Ziel mit jedem Schritt, wenn auch vielleicht unmerkbar, näherkommt*.

* Auch diese Auffassung ist keineswegs ein Produkt unserer Zeit,

indem schon der Buddho sie zurückwies. Majj. Nik. I, p. 518 (76. Suttam).

In dieser Formulierung des Entwicklungsgedankens

liegt freilich eine Annäherung an die Wahrheit insofern,

als der Mensch den Schwerpunkt der Entwicklung in sich selbst

und nicht mehr in die Gattung verlegt in Übereinstimmung mit seinem eigenen innersten Wesen,

das gar nicht anders kann,

wie sich selbst als das Zentrum der ganzen Welt und damit auch als Selbstzweck zu betrachten.

Aber das auch insoweit nicht eine stetig fortschreitende Entwicklung statthabe,

sollte doch schon ein Blick auf die tägliche Erfahrung lehren,

wobei natürlich davon auszugehen ist, daß unter Entwicklung nur eine Läuterung des Charakters,

also eine moralische Entwicklung, zu verstehen ist,

da es sich ja nicht um die Erreichung eines physischen, sondern eines metaphysischen Zieles handelt.

Wie wenig von solcher Entwicklung wird man aber da gewahr!

Sehen wir nicht vielmehr regelmäßig das Gegenteil von ihr?

Dient das Leben gemeinhin nicht dazu, die Selbstsucht, das Gegenteil von moralischer Läuterung,

nach den verschiedensten Richtungen zu »entwickeln«?

Wie wenig Menschen gibt es, die am Schluß ihres Lebens keine Gewissensbisse,

diesen einzigen Gradmesser alles moralischen Fortschrittes,

und damit die unmittelbare Gewißheit in sich empfinden,

daß sie wirklich moralisch vorwärts gekommen sind

und deshalb ruhig und vertrauensvoll sterben können,

ohne daß sie es nötig hätten, angesichts des herannahenden Todes

das Gemüt künstlich durch eine eingebildete äußerliche Sündenvergebung

seitens eines Priesters durch den Glauben an einen sündenvergebenden Gott selbst zu beruhigen!

Also auch hier keine Entwicklung; im Gegenteil,

sehr viele Menschen sinken im Verlauf ihres Lebens in ihren Trieben und Neigungen bis zum Tier herab;

ja, erreichen oft einen Grad von Bestialität, wie ihn nicht einmal Tiere aufweisen,

mit der Folge, das schon bei ihren Lebzeiten der anständige Teil der Volksgenossen alles unternimmt,

sie möglichst von sich fernzuhalten,

ja, der Staat ihren tatsächlichen Ausschluß aus der menschlichen Gesellschaft erzwingt.

Ist es widersinnig,

wenn hier die ewige, unerbittlich waltende Gerechtigkeit im Augenblick des Todes als dem Moment,

wo allein eine neue Einordnung in die entsprechende Umgebung möglich ist,

diese der Sachlage gemäße Einordnung nun auch wirklich vornimmt und das Wesen dahin schickt,

wohin es seiner ganzen Charakterbeschaffenheit nach gehört

und wo die ihm eigentümlichen Bestrebungen nicht mehr als unnatürlich,

sondern als natürlich und angemessen gelten, also ins Tierreich oder gar in eine Hölle,

zugleich zum Ausgleiche all des Unheils, das es angestellt hat?

Freilich nicht auf ewig;

denn alles in der Welt, im Samsaro, hat ein Ende, auch der Aufenthalt in der Tier- und Höllenwelt.

 

Man sollte meinen, diese Hypothese, die übrigens auch der Einheit alles Lebens gerecht wird,

indem nach ihr andererseits auch das Tier wie der Teufel Aussicht hat,

irgendwo und irgendwann wieder emporzutauchen und Menschentum zu erreichen,

entspreche vielmehr der Wirklichkeit als jener »Entwicklungsgedanke«,

nach welchem sich alles so schön im Einklang mit unserem Willen vollzieht,

das schon deshalb die Annahme naheliegt,

hier sei wieder einmal der Wunsch der Vater des Gedankens gewesen.

 

Freilich eröffnet sich unter diesem Gesichtspunkt

geradezu fürchterliche Perspektive für unsere Zukunft;

wir werden nicht durch ein »Entwicklungsgesetz« unaufhaltsam

und ohne unseren Willen in immer reinere Gefilde emporgetragen,

sondern wir irren, wie schon seit unvordenklichen Zeiten, so auch jetzt, so auch in aller Zukunft.

innerhalb der grauenhaften Abgründe des seins umher mit der Möglichkeit,

ja, in Hinsicht auf die Zahllosigkeit der uns noch bevorstehenden Wiedergeburten

mit der bestimmten Aussicht,

auch selbst wieder in die tiefsten dieser Abgründe, das Tierreich und die Höllenreiche,

und damit« in Zustände grenzenlosen Leidens hinunterzusinken

und die Worte Jakob Böhmes an uns selbst zu erfahren:

»Wenn alle Berge Bücher wären und alle Seen Tinte und alle Bäume Schreibfedern,

noch wäre es nicht genug, um all den Schmerz zu beschreiben.«

Aber was kann der Buddho, was können alle die heiligen Männer,

denen ein Einblick in diese Abgründe gegönnt war,

dafür, daß es so ist, daß wir durch eine unbegreifliche Fatalität in eine derartige Welt hineingeraten sind?

Müssen sie unrecht haben, bloß weil wir an diese schreckliche Situation nicht glauben können,

gleich einem Kind, das nicht glauben kann, daß die schönen Blumen, die es pflückt,

an einem gerade durch sie verdeckten Abgrund wachsen,

und das deshalb schließlich auch in diesen hinabstürzen muß *?

* Auch schon für den, der seinen Blick nicht über den ganzen Samsaro zu weiten,

sondern sich nur seine stete Wiedergeburt als Mensch vorzustellen vermag,

wird die Sache schrecklich genug, wenn anders er die ganze Trostlosigkeit zu fassen fähig ist,

die in den folgenden, in buddhistische Fassung gebrachten Versen Martin Greifs liegt:

»Jeder Wehruf ist verschollen, – Jede Klage ist verweht. –

Wo mit seinem wechselvollen – Los ein neuer Leib ersteht. –

Neuer Jugend goldene Tage, – Neuen Alters steile Bahn, –

Neue Hoffnung, neue Klage, – Alles hebt von neuem an.«

Nur muß man sich dabei der endlosen Wiederholung dieses »Alles hebt von neuem an«

klar bewußt werden.

 

Wenn aber unser Aufenthalt in der Welt solcher Art ist,

wenn uns also, wohin wir auch in der Unendlichkeit des Raumes und der Zeit blicken,

Letzten Endes immer wieder Leiden, ja oft auf ungezählte Zeiträume hinaus nur Leiden entgegen gähnt,

dann wird wohl auch der eingefleischteste »Optimist« nicht mehr den Mut haben,

die erste der vier Hohen Wahrheiten anzuzweifeln,

daß alles Leben im Grunde Leiden ist.

Er wird vielmehr nicht umhin können, auch die Wahrheit der anderen Worte des Meisters einzuräumen:

»Die ganze Welt wird von Flammen verzehrt, die ganze Welt wird von Rauch umwölkt.

Die ganze Welt steht in Brand, die ganze Welt erbebt *«, (* Samyutta Nik. l, pag. tzz (V. 7))

und wird voll Erwartung der weiteren Botschaft lauschen,

wie er dieser Leidenswelt auf ewig entkommen kann,

ein Problem, dessen Lösung vor allem die Aufhellung des Verhältnisses.

in dem wir zu unseren während des Samsaro fortwährend wechselnden Persönlichkeiten *

und damit zur Welt selbst stehen, voraussetzt.

* Persönlichkeit in dem früher festgestellten sinne genommen,

also als der jeweilige Inbegriff der fünf Gruppen des Anhaftens,

sei es nun in Form eines menschlichen oder tierischen oder eines sonstigen Organismus.

Der Betrachtung dieses Verhältnisses wollen wir uns deshalb zunächst zuwenden,

um so mehr, als sie auch den Übergang dazu bildet,

uns den unmittelbaren Einblick in den endlosen Kreislauf unserer Wiedergeburten,

wie wir ihn im bisherigen behandelt haben, zu verschaffen.

 

Das Subjekt des Leidens

Ich bin: das ist der sicherste Satz, den es gibt.

Er gehört zu jenen, die vor aller Beweisführung in sich selbst evident sind.

Er liegt ja auch tatsächlich schon vor aller Beweisführung;

denn was immer ich nur beweisen will, das will ja eben ich und will es für mich beweisen.

Er ist auch sicherer als alle Anschauung, dieses im Übrigen sicherste Kriterium aller Wahrheit;

denn auch jede Anschauung erfolgt schon durch mich, setzt mich also als Anschauendes bereits voraus.

Ich kann zweifeln, was ich bin;

ich kann sogar zweifeln, ob ich denn wirklich hin,

das heißt, ob die Bestimmung meines Wesens durch den Begriff sein,

der ja selbst erst aus der Anschauung gewonnen ist, überhaupt vorgenommen werden kann und darf.

Ja, man kann unwiderleglich nachweisen, daß das Ich in der Tat – nur ein bloßer Gedanke ist,

für den keine substanzielle Entsprechung gefunden werden kann.

Das alles kann man.

Man kann überhaupt nachweisen, was man will:

die Tatsächlichkeit meines Ich wird dadurch nicht im Geringsten berührt,

und lächelnd werde ich über alle diese Beweise,

auch wenn ich sie als unwiderleglich anerkenne, hinweggehen.

Denn mich selbst kann man durch die tiefgründigsten Auseinandersetzungen nicht hinwegbeweisen,

und dem Menschen, der sich erbötig machen wollte, mir nachzuweisen, daß ich tatsächlich nicht sei,

würde ich, wenn ich ihn überhaupt eines Bescheides würdige, höchstens zur Antwort geben:

Ja, lieber Freund, wenn ich nicht bin,

warum plagst du dich denn dann überhaupt erst, mir den Beweis zu liefern, das ich nicht bin?

Bei allen deinen Beweisen setzest du mich als den Adressaten derselben ja doch schon immer voraus,

ganz ebenso, wie du dich selbst dabei schon voraussetzt.

Denn wie könntest du den Beweis unternehmen, daß wir nicht sind,

wenn du nicht selbst schon vorher hättest sein müssen, um diesen Beweis anzutreten? –

In der Tat ist es auch im Grunde lächerlich, die Frage, ob ich bin, überhaupt nur aufzuwerfen.

Jeder fühlt auch ohne weiteres, das alle derartigen Fragen: »Bin ich?« »Bin ich nicht?«

nicht eigentlich die Tatsächlichkeit meines Ich anzweifeln,

sondern nur zum Ausdruck bringen wollen.

Daß ich vielleicht nicht das bin, für was ich mich halte,

ja, das vielleicht schon die Bestimmung »bin«, auf mein Wesen nicht anwendbar ist.

Darauf aber hat der unbefangene Mensch doch bloß die Antwort:

Gut, dann bin ich eben nicht das, für das ich mich selbst bisher gehalten habe,

bin schließlich etwas, was weder du noch irgend ein anderer ergründen kann,

aber trotz alledem bin ich eben doch, bin dann eben etwas Unergründliches.

 

Das alles ist so klar, daß man es, wie gesagt, nicht beweisen,

sondern immer nur durch Worte deutlich machen kann,

daß man das Gegenteil, also das ich überhaupt und in jedem Sinn nicht bin,

zwar »zungen«, aber nicht »hirnen« kann.

Eben deshalb ist ja auch die Tatsache seiner Wesenheit

ohne weiteres für jeden Menschen selbstverständlich,

selbstverständlich für den unbefangenen Normalmenschen,

selbstverständlich für die größten Geister, insbesondere unsere großen Philosophen,

selbstverständlich für alle Religionsstifter,

selbstverständlich natürlich auch für den Buddho.

 

Ja, es ist für sie die Urtatsache, über die sie gar nicht erst debattieren,

und demgemäß für die Größten von ihnen das Ich der Urgrund:

 

»Was ist Urgrund, was Brahman – (hier allgemeiner Name für ‚Prinzip‘) -?

Woher sind wir?

 

Wodurch bestehen, und worin sind gegründet wir? –

Von wem regiert, bewegen wir, ihr Weisem

Uns in der Lust und Unlust Wechselständen?

 

Sind Zeit, Natur, Notwendigkeit, der Zufall,

Grundstock Geist, ist die Verbindung dieser

Als Urgrund denkbar? Doch nicht! – Denn das Ich ist,«

 

heißt es in der Cvetacvatara-Upanischad,

indem sie damit zum Ausdruck bringt, daß alle aufgezählten Prinzipien nicht für sich allein,

sondern nur als Bestimmungen an dem Ich (atman) gedacht werden können,

welches daher unter allen Umständen der Urgrund ist *.

* Nach Deussen, Sechzig Upanischad’s des Veda, S. 292, Anm. 1.

 

Wollte man übrigens diese Urtatsache, daß ich bin, in die Form eines Beweises bringen,

gibt der Buddho auch einen solchen,

und zwar entsprechend der Selbstverständlichkeit der zu beweisenden Tatsache den schlagendsten,

der überhaupt gegeben werden kann:

Du bist; denn da leidest –

ein Satz, der jeden Augenblick als wahr unmittelbar erfahren wird. –

Warum wird dann aber hier diese Selbstverständlichkeit, daß ich bin, so urgiert?

Nun ja, weil man gerade selbstverständliches nur zu leicht übersieht

und eben deshalb kurioser Weise – sogar auch – sich selbst.

Wir werden später noch Gelegenheit haben, das augenscheinlich bestätigt zu finden.

 

Weil so unser Ich die Urtatsache ist, vor die sich jeder gestellt sieht,

deshalb lautet auch die Grundfrage aller Philosophie nicht, wie man gemeinhin annimmt *:

* beispielsweise Deussen in seinen »Elementen der Metaphysik«, S. 80.

»Was ist die Welt?« sondern: »Was bin ich *?«

* Auf dieser falschen Formulierung des Grundproblems

beruht vor allem die Unfruchtbarkeit unserer abendländischen Philosophie,

indem, wenn man das Problem dahin abstellt, was die Welt sei,

als selbstverständlich mitunterstellt wird, daß ich selbst zur Welt gehöre.

Eben dadurch hat man sich dann aber gleich von allem Anfang an die Möglichkeit verbaut,

sich selbst als außerweltlich zu begreifen.

Auf diese Grundfrage wurde auch der Buddho geführt.

Denn gerade weil der Mensch ein solcher ist, der leidet, entstand auch für ihn,

der sich ja zum Ziel gesetzt hatte, diesem Leiden zu entkommen, von selbst die Frage:

Was bin ich?

Wollte er die Lösung seiner großen Aufgabe finden,

so mußte er auch über diese Frage wenigstens insoweit zur Klarheit kommen,

daß er einwandfrei feststellen konnte,

ob die Notwendigkeit dieses Leidens in unserer eigenen Wesenheit begründet ist,

daß Leiden also einen Ausfluß derselben darstellt,

oder ob es etwas ist, das nur als ein Fremdes über uns kommt.

Nur in letzterem Falle besteht überhaupt die Möglichkeit, sich von ihm loszumachen,

sich wieder von ihm zu befreien,

während im ersteren Falle alles streben, ihm zu entrinnen, von vornherein ausgeschlossen erscheint.

Denn meinem eigenen Wesen,

  1. h. also mir selbst, kann ich nicht entfliehen, so wenig als die Hand sich selbst wegwerfen kann:

»Was meinst du nun, Aggivessano:

wer da Wehem anhängt, Wehem nachfolgt, Wehem verbunden ist, Wehes also betrachtet:

‚Das gehört mir, das hin ich, das ist mein Selbst‘, kann etwa der das Wehe ringsum von sich abhalten?«

»Wie wäre es möglich, oh Gotamo, das nicht, oh Gotamo *.« (* Majj. Nik.1. p. 233 (35. Suttam))

 

Auch der Buddho wurde also gerade durch sein Problem der Leidensvernichtung

vor die große Frage gestellt:

Was ist der Mensch denn eigentlich im tiefsten Grund?

oder – was dasselbe ist – was ist sein wahres Ich?

Ja, ihre Bedeutung ist auch nach ihm so groß,

daß er ihre Beantwortung geradezu in den Mittelpunkt seiner Lehre gerückt hat,

wie das schon aus der Antwort erhellt, die er dreißig brahmanischen Jünglingen

auf ihre Frage nach dem Verbleib eines entflohenen Weibes erteilte:

»Was ist wohl besser, ihr Jünglinge, wenn ihr das Weib sucht oder wenn ihr euer Ich sucht *?«

(* Mahavaggo I, 14)

 

Der Frage nach unserem wahren Wesen kann man aber von zwei Seiten beizukommen suchen:

man kann sie direkt zu beantworten unternehmen oder

indirekt, nämlich dadurch, daß man feststellt, was ich auf jeden Fall nicht bin.

Welcher Weg der bessere ist, last sich von vornherein nicht entscheiden.

Indessen ist doch ohne weiteres so viel klar, daß der indirekte Weg unbedingt der sicherere ist.

Was ich nicht bin, kann ich auf jeden Fall einwandfrei feststellen,

während die positive Antwort auf die Frage, was ich bin, leicht Zweifel auslösen kann,

ob ich denn nun in der Tat das bin, worin die Antwort mein Wesen verlegt,

wie das unsere verschiedenen philosophischen Systeme sattsam beweisen.

Es muß deshalb von vornherein mit Vertrauen gegenüber dem Buddho erfüllen,

daß er den sicheren indirekten Weg geht.

Der Grundzug seiner Lehre besteht nämlich darin, uns Schritt um Schritt,

so das wir bequem und sicher folgen können, aufzuzeigen, was wir auf jeden Fall nicht sind,

indem er das Resultat jedesmal in das große Wort zusammenfast:

»Das gehört mir nicht, dies bin ich nicht, dies ist nicht mein selbst.«

Auf diesen Weg wurde er ja auch schon durch die Art seiner Problemstellung dahin,

ob die Elemente des Leidens einen Bestandteil der menschlichen Wesenheit bilden,

als den nächtsliegenden verwiesen.

 

Übrigens ist dieser Weg der indirekten Beantwortung auch der natürliche.

Denn der Gegensatz von Ich und Nicht-Ich beherrscht wie die ganze Welt,

so auch jedes einzelne Wesen.

Es kommt nur darauf an, die Grenze zwischen Ich und Nicht-Ich richtig zu ziehen,

den Trennungsschnitt an der richtigen Stelle zu machen.

Der Buddho hat diesen Trennungsstrich zwischen atta und anatta – Ich und Nicht-Ich –

ganz genau gezogen *.

* schon hier wird deutlich, wie verkehrt es ist, anatta mit »wesenlos« zu übersetzen.

»Anatta« heißt ja auch schon dem Wortsinn nach »nicht-ich«.

Und dann stellt es doch nur die Zusammenfassung der ständig wiederkehrenden Formel dar:

»Das bin ich nicht, das gehört mir nicht, das ist nicht mein selbst«,

wie das übrigens die Legaldefinition im Samyutta Nik. IV p. r (XXXV, I)

zu allem Überfluß noch ausdrücklich bestätigt:

»Was unbeständig ist, ist Leiden, was Leiden ist, ist anatta;

was anatta ist, das ist nicht mein, das bin nicht ich, das ist nicht mein selbst« –

Vgl. übrigens damit auch die lehrreichen Ausführungen

in Deussens Geschichte der Philosophie, Bd. l, Abt. l, S. 286 ff.

Er lädt jeden ein, nachzuprüfen, ob diese Grenzbestimmung richtig von ihm vorgenommen ist.

Wollen wir dieser Einladung Folge leisten.

 

Hierbei müssen wir uns natürlich zuvörderst über das Kriterium auseinandersetzen,

nach welchem der Buddho die Scheidung zwischen atta und anatta vornimmt.

Es ist klar, daß dieses Kriterium entsprechend der ungeheuren Wichtigkeit

der mit seiner Hilfe zu beantwortenden Frage über jeden Zweifel erhaben sein muß,

so erhaben, daß wir bedingungslos unser ganzes Schicksal

auf die sich aus ihm ergebenden Konsequenzen zu gründen entschlossen sind.

Der Buddho läßt uns über dieses Kriterium natürlich auch nicht im Unklaren.

Es kann aus fast allen seinen Sutten entnommen werden,

ist übrigens im einhundertachtundvierzigsten Suttam der Mittleren Sammlung

ausdrücklich formuliert in dem folgenden Satz:

»‘Das Auge ist das Ich‘, eine solche Behauptung, die kann nicht angehen;

beim Auge wird ein Entstehen und Vergehen wahrgenommen;

wobei nun aber ein Entstehen und Vergehen wahrgenommen wird,

muß einer ‚Mein Ich entsteht und vergeht‘ als Ergebnis gelten lassen;

darum geht es nicht an ‚Das Auge ist das Ich‘ zu behaupten, somit ist das Auge nicht das Ich.«

Der Buddho

stellt also als Kriterium für die Auffindung der Grenze zwischen Ich und Nicht-Ich den Satz auf:

Wobei ein Entstehen und Vergehen wahrgenommen wird,

geht es nicht an zu behaupten: »Das ist mein selbst, das bin ich‘.

Man muß sich über diesen Satz ganz klar werden,

um ihn trotz seiner genialen Einfachheit in seiner ganzen Tiefe und inneren Evidenz zu durchschauen.

Wohl gemerkt, der Buddho sagt nicht:

Was entsteht und vergeht, ist nicht mein selbst, nicht mein Ich –

über diesen Satz ließe sich streiten, indem nicht ohne weiteres einzusehen wäre,

warum denn nicht auch ein Vergängliches mein Wesen sollte konstituieren können –

sondern er sagt:

»Wobei ich ein Entstehen und Vergehen wahrnehme, das kann nicht mein selbst, mein Ich sein« –

und diesen Satz wird wohl kein denkendes Wesen in Zweifel ziehen.

Denn was ich entstehen und vergehen sehe,

muß eben deshalb logisch zwingend ein von mir Verschiedenes sein.

Wenn vor meinem physischen Auge ein Gegenstand vorüberzieht,

so steht eben deshalb unweigerlich fest, daß er nicht selbst mein Auge sein kann,

und wenn ich mit dem Ohre einen Ton erklingen und verklingen höre,

so würde nicht einmal ein Narr behaupten, das sei sein Ohr gewesen, das da vorübergerauscht sei.

Eben weil ich bin, zweifellos bin,

kann ich nicht das sein, was ich vor meinem physischen oder geistigen Auge –

in letzterem Fall, in der Sprache Schopenhauers, vor mir als erkennendem Subjekt – hinschwinden sehe;

denn sonst hätte ich ja mit dessen Hinschwinden selbst aufgehört zu sein.

Nun bin ich aber immer noch, auch nachdem es entschwunden ist;

also war es eben nicht mein Ich und nichts von mir, was da entschwand;

im Gegenteil, eben sein Hinschwinden setzt mich ja in Erstaunen and Verwunderung und – Schmerz.

 

Gerade dadurch nämlich, daß ich selbst vom Hinschwinden nicht mitbetroffen werde,

wird ja auch der Schmerz, das Leid infolge Vergänglichkeit, überhaupt erst möglich.

Denn dieses Leid – und ein anderes kennt der Buddho, wie genugsam ausgeführt, nicht –

besteht ja eben darin, daß der gewollte Zustand einem ungewollten Platz macht.

Das setzt aber doch voraus, daß etwas da ist,

was diesen Übergang aus dem gewollten in den ungewollten Zustand an sich erfährt,

was also selbst diesen unaufhörlichen Wechsel nicht mitmacht,

sondern ihn im Gegenteil schmerzlich empfindet,

und dieses Etwas bin eben – ich selbst

mit der ganzen Realität dieses Schmerzes, den ich an mir empfinde.

Ich kann also unmöglich mit dem identisch sein, was mir Schmerz verursacht *.

* Diesen Gedanken kann man auch so ausdrücken:

Bei jeder Veränderung geht ein Bestimmtes zugrunde und bildet sich ein Neues.

Nun kann das Zugrundegegangene

über die vollzogene Veränderung nicht unglücklich sein, weil es ja gar nicht mehr existiert,

das Neue aber nicht, weil es die Veränderung nicht an sich erfahren hat.

Im Gegenteil erst aus ihr hervorgegangen ist, ganz abgesehen davon,

daß es eben deswegen,

weil es der Veränderung seine Existenz verdankt, sich über sie freuen müßte.

Also muß ein Drittes da sein, das die Veränderung als solche schmerzlich empfindet.

Dieses Dritte bin ich selbst. –

Im Gegenteil könnte ich, wenn ich mit dem, was ich dahinschwinden sehe, identisch wäre,

über dieses Dahinschwinden schon deshalb gar keinen Schmerz empfinden,

weil, was seinem Wesen nach vergänglich ist

– und alles, was ich vergelten sehe, ist zufolge seiner inneren Beschaffenheit vergänglich –

diese Vergänglichkeit überhaupt nicht schmerzhaft empfinden kann, da es ihm ja nichts Naturwidriges, sondern nur die Auswirkung seiner innersten Wesenheit ist,

wie freies Gas nicht etwa sein Zerstieben in den Raum hinaus scheut,

sondern weil seiner Natur gemäß, im Gegenteil mit aller Vehemenz erstrebt,

somit ist also auch das zweite Kriterium für die Grenzbestimmung zwischen Ich und Nicht-Ich,

mit dem der Buddho operiert, in sich selbst evident,

nämlich, daß ich nicht in dem bestanden sein kann,

was mir infolge seiner Vergänglichkeit Schmerz verursacht *.

* Man vergleiche mit dem Gesagten

die Fassung des Kant’schen Paralogismus der Persönlichkeit durch Schopenhauer.

Bei der grundlegenden Wichtigkeit der Sache seien folgende Sätze im Wortlaut hierher gesetzt:

»Man kann, hinsichtlich aller Bewegung überhaupt, welcher Art sie auch sein möge,

a priori feststellen, daß sie allererst wahrnehmbar wird

durch den Vergleich mit irgend einem Ruhenden;

woraus folgt, daß auch der Lauf der Zeit, mit Allem in ihr, nicht wahrgenommen werden könnte,

wenn nicht etwas wäre, das an demselben keinen Teil hat,

und mit dessen Ruhe wir die Bewegung jenes vergleichen.

Wir urteilen hierin freilich nach Analogie der Bewegung im Raum:

aber Raum und Zeit müssen immer dienen, einander wechselseitig zu erläutern,

daher wir eben auch die Zeit unter dem Bilde einer geraden Linie uns vorstellen müssen,

um sie anschaulich auffassend, a priori zu konstruieren.

Demzufolge also können wir uns nicht vorstellen,

daß, wenn Alles in unserem Bewußtsein, zugleich und zusammen, im Fluß der Zeit fortrückte,

dieses Fortrücken dennoch wahrnehmbar sein sollte;

sondern hierzu müssen wir ein Feststehendes voraussetzen,

an welchem die Zeit mit ihrem Inhalt vorüberflösse.

Für die Anschauung des äußeren Sinnes leistet dies die Materie, als die bleibende Substanz,

unter dem Wechsel der Accidenzien;

wie dies auch Kant darstellt, im Beweis zur »ersten Analogie der Erfahrung«. …

Bei unserem Argument der Persönlichkeit

ist die Rede bloß von der Wahrnehmung des inneren Sinnes,

in welche auch die des äußeren erst wieder aufgenommen wird.

Daher also sagte ich, daß, wenn unser Bewußtsein mit seinem gesamten Inhalt

gleichmäßig im Strom der Zeit sich fortbewegte, wir dieser Bewegung nicht inne werden könnten.

Also muß hierzu im Bewußtsein selbst etwas Unbewegliches sein.

Dieses aber kann nichts Anderes sein, als das erkennende Subjekt selbst,

als welches dem Lauf der Zeit und dem Wechsel ihres Inhalts

unerschüttert und unverändert zuschaut.

Vor seinem Blick läuft das Leben wie ein Schauspiel zu Ende.

Wie wenig es selbst an diesem Laufe Teil hat. wird uns sogar fühlbar,

wenn wir, im Alter, die Scenen der Jugend und Kindheit uns lebhaft vergegenwärtigen …

Im Ganzen genommen, scheint hier das Wahre, welches, wie in der Regel jedem Irrtum,

so auch dem der rationalen Psychologie zum Grunde liegt, seine Wurzel zu haben.

Dies Wahre ist,

daß selbst in unserem empirischen Bewußtsein

allerdings ein ewiger Punkt nachgewiesen werden kann,

aber auch nur ein Punkt,

und auch gerade nur nachgewiesen,

ohne daß man Stoff zu fernerer Beweisführung daraus erhielte.

Ich weise hier auf meine eigene Lehre zurück,

nach welcher das erkennende Subjekt Das ist, was Alles erkennt, aber nicht erkannt wird:

dennoch erfassen wir es als den festen Punkt,

welchem die-Zeit mit allen Vorstellungen vorüberläuft,

indem ihr Lauf selbst allerdings nur im Gegensatz zu einem Bleibenden erkannt werden kann.«

(Parerga I, s. 114 ff. (120 ff.))

 

Beide-Kriterien für die Feststellung des Bereiches des Nicht-Ich,

nämlich daß der wahrgenommenen Vergänglichkeit und des Leidens infolge dieser Vergänglichkeit,

werden in den Sutten regelmäßig in den Satz zusammengefast:

»Ist das unvergänglich oder vergänglich?« – »Vergänglich, oh Herr«. –

»Was aber vergänglich ist. ist das wehe oder wohl?« – »Wehe, oh Herr!« –

»Was aber vergänglich, wehe, ein veränderliches Ding ist, kann man von dem mit Recht sagen:

Das bin ich, das gehört mir, das ist mein Selbst?« – »Sicherlich nicht. Oh Herr.«

 

Nun haben wir schon im bisherigen nichts in der Welt,

als unvergänglich, sondern im Gegenteil alles als vergänglich,

als unaufhörlichem Wechsel unterworfen erkannt,

insbesondere auch all das. was unsere Persönlichkeit aufbaut,

eben weshalb ja auch letzten Endes alles, einschließlich der Bestandteile unserer Persönlichkeit,

in Leiden übergeht.

Es ist also auch die Frage, was alles Nichts Ich ist, worin ich also auf keinen Fall bestanden sein kann,

eigentlich schon entschieden: Alles ist Nicht-Ich, anatta;

auf der einen Seite stehe ich, auf der anderen das ganze gewaltige All, dessen Fortdauer.

Entstehen und Vergehen ich an meiner und durch meine Persönlichkeit beobachte.

 

In der Tat wird man, wenn man nicht von vornherein durch gegenteilige erstarrte Ansichten behindert ist,

wenn man also in ruhiger Besonnenheit, in gleichmütiger Beschaulichkeit

auf die Elemente des Alls in ihrer Verbindung als Persönlichkeit herabblickt,

die Wahrheit förmlich mit Händen greifen können, wenn der Buddho ausführt *:

(* Majj. Nik. lll, p. 282 (148. Suttam))

 

»‘Das Auge (d. h. das Sehen) ist das Ich‘, eine solche Behauptung, die kann nicht angehen;

beim Auge wird ein Entstehen und Vergehen wahrgenommen;

wobei nun aber ein Entstehen und Vergehen wahrgenommen wird,

muß einer ‚Mein Ich entsteht und vergeht‘ als Ergebnis gelten lassen«*.

* was aber, um es noch einmal zu wiederholen unmöglich ist,

da, wenn ich mit dem unaufhörlich wechselnden sehen selbst immer wechselte,

verschwände und entstände,

der Wechsel als solcher ja gar nicht wahrgenommen

und weiterhin auch nicht als Freude und Leid empfunden werden könnte.

Darum geht es nicht an, ‚Das Auge ist das Ich‘ zu behaupten, somit ist das Auge nicht das Ich. –

‚Die Gestalten sind das Ich‘, eine solche Behauptung, die kann nicht angehen;

bei den Gestalten wird ein Entstehen und Vergehen wahrgenommen;

wobei nun aber ein Entstehen und Vergehen wahrgenommen wird,

muß einer ‚Mein Ich entsteht und vergehen als Ergebnis gelten lassen;

darum geht es nicht an, ‚Die Gestalten sind das ‚Ich‘ zu behaupten…

‚Das Sehbewußtsein ist das Ich‘ –

‚Die Sehberührung ist das Ich‘ –

‚Die Empfindung ist das Ich‘ –

‚Der Durst * ist das Ich‘:

* d. h. der aus der Empfindung und der mit ihr untrennbar verbundenen Wahrnehmung

immer wieder neu hervorquellende dürstende Wille.

Von diesem Durst wird später noch ausführlich gehandelt werden.

eine solche Behauptung, die kann nicht angehen;

beim Durst wird ein Entstehen und Vergehen wahrgenommen;

wobei nun aber ein Entstehen und Vergehen wahrgenommen wird,

muß einer ‚Mein Ich entsteht und vergeht‘ als Ergebnis gelten lassen;

darum geht es nicht an, ‚Der Durst ist das Ich‘ zu behaupten:

somit ist das Auge nicht das Ich, sind die Gestalten nicht das Ich,

ist das Sehbewußtsein nicht das Ich, ist die Sehberührung nicht das Ich,

ist die Empfindung nicht das Ich, ist der Durst nicht das Ich.

 

»‚Das Ohr ist das Ich‘ – ‚Die Nase ist das Ich‘ – ‚Die Zunge ist das Ich‘ –

‚Der Leib ist das Ich‘ – ‚Das Denken * ist das Ich‘:

* Denken – Betätigung des Denkorgans.

eine solche Behauptung, Die kann nicht angehen;

beim Denken wird ein Entstehen und Vergehen wahrgenommen;

wobei nun aber ein Entstehen und Vergehen wahrgenommen wird,

muß einer ‚Mein Ich entsteht und vergeht‘ als Ergebnis gelten lassen;

darum geht es nicht an, ‚Das Denken ist das Ich‘ zu behaupten. … –

‚Die Denkobjekte sind das Ich‘: eine solche Behauptung, die kann nicht angehen;

bei den Denkobjekten wird ein Entstehen und Vergehen wahrgenommen;

wobei nun aber ein Entstehen und Vergehen wahrgenommen wird,

muß einer ‚Mein Ich entsteht und vergeht‘ als Ergebnis gelten lassen;

darum geht es nicht an, ‚Die Denkobjekte sind das Ich‘ zu behaupten. … –

‚Das Denkbewußtsein ist das Ich‘ – ‚Die Denkberührung ist das Ich‘ –

‚Die Empfindung ist das Ich‘ – ‚Der Durst ist das Ich‘:

eine solche Behauptung, die kann nicht angehen;

beim Durst wird ein Entstehen und Vergehen wahrgenommen;

wobei nun aber ein Entstehen und Vergehen wahrgenommen wird,

muß einer ‚Mein Ich entsteht und vergeht‘ als Ergebnis gelten lassen;

darum geht es nicht an, ‚Der Durst ist das Ich‘ zu behaupten:

somit ist das Denken nicht das Ich.

Sind die Denkobjekte nicht das Ich, ist das Denkbewußtsein nicht das Ich,

ist die Denkberührung nicht das Ich, ist die Empfindung nicht das Ich, ist der Durst nicht das Ich.«

 

Kurz: sowie ich den Prozeß, wie meine Persönlichkeit und damit für mich die ganze Welt zustandekommt,

analysiere und dabei jede einzelne Komponente dieses Prozesses

wie diesen in seinen einzelnen Stadien selbst

auf das Kriterium für die Grenzbestimmung zwischen dem Bereich des Ich und Nicht-Ich untersuche,

wird deutlich, daß nichts davon zu meinem Ich gehört, vielmehr alles jenseits desselben liegt.

Denn ich stehe ja hinter dem ganzen Prozesse und seinen Bestandteilen,

sehe in den Stunden dieser beschaulichen Analyse

als der kalte, anteillose Zuschauer, als das reine Subjekt des Erkennens,

auf sie herab, beobachte ihr unablässiges Entstehen und Vergehen,

von dem ich, der Beobachter, selbst unberührt bleibe:

 

»Da begibt sich, Mönche, der Mönch ins Innere des Waldes

oder unter einen großen Baum oder an eine leere Stätte,

setzt sich mit verschränkten Beinen nieder, den Körper gerade aufgerichtet

und pflegt die Besonnenheit. …

Er betrachtet sich diesen Körper da von der Sohle bis zum Scheitel,

den hautüberzogenen, den unterschiedliches Unreine ausfüllt:

‚Dieser Körper trägt einen Schopf, ist behaart, hat Nägel und Zähne, Haut und Fleisch,

Sehnen und Knochen und Knochenmark, Nieren, Herz und Leber,

Zwerchfell, Milz, Lingen, Magen, Eingeweide, Weichteile und Kot,

hat Galle, schleim, Eiter, Blut, Schweiß, Lymphe, Tränen, Serum, Speichel, Rotz, Gelenköl, Urin‘

 

Gleichwie etwa, Mönche,

wenn da ein Sack, an beiden Enden zugebunden, mit verschiedenem Korn gefüllt wäre,

als wie etwa mit Reis, mit Bohnen, mit Sesam,

und ein scharfsehender Mann bände ihn auf und untersuchte den Inhalt:

‚Das ist Reis, das sind Bohnen, das ist Sesam;‘

ebenso nun auch, Mönche, betrachtet sich der Mönch diesen Körper da von der Sohle bis zum Scheitel,

den hautüberzogenen, den unterschiedliches Unreine ausfällt.

 

Weiter sodann, Mönche:

der Mönch schaut sich diesen Körper da, wie er geht und steht, in seinen Elementen an:

‚Dieser Körper besteht aus dem Erdenelement, dem Wasserelement,

dem Feuerelement, dem Luftelement. …‘

 

Weiter sodann, Mönche: als hätte der Mönch einen Leib auf der Leichenstätte liegen sehen,

einen Tag nach dem Tode oder zwei oder drei Tage nach dem Tod,

aufgedunsen, blauschwarz gefärbt, in Fäulnis übergegangen,

zieht er den Schluß auf sich selbst:

‚Und auch dieser Körper ist so beschaffen, wird das werden, kann dem nicht entgehen.‘

Weiter sodann, Mönche: als hätte der Mönch einen Leib auf der Leichenstätte liegen sehen,

von Krähen oder Raben oder Geiern zerfressen, von Hunden oder Schakalen zerfleischt,

oder von vielerlei Würmern zernagt,

zieht er den Schluß auf sich selbst:

‚Und auch dieser Körper ist so beschaffen, wird das werden, kann dem nicht entgehen.‘

Weiter sodann, Mönche: als hätte der Mönch einen Leib auf der Leichenstätte liegen sehen,

ein Knochengerippe, fleischbehangen, blutbesudelt, von den sehnen zusammengehalten;

ein Knochengerippe, fleischentblößt, blutbefleckt, von den Sehnen zusammengehalten,

ein Knochengerippe, ohne Fleisch, ohne Blut, von den Sehnen zusammengehalten;

die Gebeine, ohne die Sehnen, hierher und dorthin verstreut,

da ein Handknochen, dort ein Fußknochen, da ein Schienbein, dort« ein Schenkel, da das Becken,

dort der Wirbel, da der Schädel,

als hätte er das gesehen, zieht er den Schluß sich selbst:

‚Und auch dieser Körper ist so beschaffen, wird das werden, kann dem nicht entgehen.‘

Weiter sodann, Mönche:

als hätte der Mönch einen Leib auf der Leichenstätte liegen sehen,

Gebeine, blank, muschelfarbig;

Gebeine zuhauf geschichtet, nach Verlauf eines Jahres;

Gebeine verwest, in Staub zerfallen;

als hätte er das gesehen, zieht er den Schluß auf sich selbst:

‚Und auch dieser Körper ist so beschaffen, wird das werden. kann dem nicht entgehen.‘

 

So beobachtet er unentwegt am eigenen Körper den Körper,

so beobachtet er unentwegt am anderen Körper den Körper,

unentwegt beobachtet er am eigenen und am anderen Körper den Körper *.«

(* Majj. Nik. l. p. 55 flg. (10 Suttam).

 

Und was findet er bei diesem Wachen über den Körper?

Die alte Tatsache:

er beobachtet: ‚Der Körper entsteht, der Körper vergeht, der Körper entsteht und vergeht,

ich aber bin davon unberührt.

Das, was ich da vor mir sehe, ist weiter nichts als ein Gebilde,

das, aus den vier Hauptelementen entstanden,

Ich fortwährend aus denselben sich erneuern

und unter meinen Augen unaufhaltsam seinem definitiven Verfalle zueilen

und schließlich sich vollständig wieder auflösen

und in die Gemeinschaft mit den Stoffen der äußeren Natur zurückkehren sehe‘;

kurz, er merkt: ‚Es ist ein Körper* –

* Das Paliwort kayo entspricht unserem Wort »Körper«.

Seine Grundbedeutung ist »Anhäufung«, »Aggregat« – Anhäufung verschiedener Teile.

und weiter nichts, ist insbesondere nicht mein Ich, nicht mein selbst.

Denn wie könnte das mein Ich sein, was Ich so vor mir hinschwinden sehe?‘

»Diese Beobachtung läßt ihn nicht mehr los, eben weil sie zur Erkenntnis, zur Besinnung dient.«

Nunmehr erst nämlich beginnt man sich auf sich selbst zu besinnen, man wird stutzig über sich selbst;

denn man merkt, daß man in Wahrheit nicht in dem bestanden sein könne,

wofür man sich bisher gehalten hat *.

* Wenn einer sich recht deutlich machen will, daß der Körper nicht sein Ich sein kann,

so erwäge er folgendes:

Bekanntlich hat der unaufhörliche Stoffwechsel in unserem Körper zur Folge,

daß bereits nach Ablauf eines Jahres kein Atom in demselben mehr das gleiche ist;

es ist in der Zwischenzeit aus der aufgenommenen Nahrung

ein vollständig neuer Körper aufgebaut worden.

Nun stelle man einem zu einem Jahr Gefängnis verurteilten Gefangenen,

der selbstverständlich

seinen Körper für sein Ich oder doch für einen wesentlichen Bestandteil desselben hält,

am Beginn seiner Straffzeit die sämtliche in diesem Jahr

von ihm zu konsumierende Nahrung in Form von Konserven auf den Tisch und sage ihm:

»Hier in diesen Konserven ist dein selbst verpackt wie es nach einem Jahr sein wird.« –

Weiter: Man sammle seine sämtlichen Ausscheidungsprodukte

während seiner einjährigen Gefangenschaft in einer Tonne.

Nach Umfluß seiner Haft führe man ihn vor diese Tonne und eröffne ihm:

»Hier in dieser Tonne liegt dein vergangenes selbst, betrachte es!«

Man sollte meinen, das Ungeheuerliche der Ansicht,

daß der Körper und dessen Stoffe irgend etwas mit unserem wirklichen Wesen zu

tun haben könnten, müsste dabei zutage treten.

Man wende nicht ein: »Mein Wesen besteht nicht in den körperlichen stellen,

sondern in der Form, in welche diese eingegangen sind.«

Denn diese Form ist nichts für sich Bestehendes, ist nur die geformte Materie selbst,

nur der jeweilige Zustand der Materie,

welche Form allerdings die Verschiedenheit der Wesen begründen

aber eben deshalb mit der Wirkung, daß auch diese Verschiedenheit selbst nur eine formelle ist,

materiell sind sie alle dasselbe, nämlich – Dr …

Darüber hilft die bewunderungswürdigste Form nicht hinweg.

Wer daran Anstoß nimmt, der stelle sich einerseits einen Menschen vor,

bei dem sich die Form wieder aufgelöst hat, also einen in Zersetzung begriffenen Leichnam,

und betrachte andererseits eine zertretene Schnecke genau,

und beantworte sieh dann die Frage, ob sie beide materiell nicht ganz genau das Gleiche sind. –

Es ist bezeichnend für den wirklichen Wert alles Bestehenden, daß sein Reiz nur in der Form liegt, »welche ebenso flüchtig, wie jene – die Materie – beharrlich,

eigentlich jeden Augenblick wechselt und sich nur erhalten kann,

solange sie sich der Materie parasitisch anklammert (bald diesem, bald jenem Teil derselben),

aber, wenn sie diesen Anhalt einmal ganz verliert, untergeht.«

(Schopenhauer, W. a. W. u. V. ll, 327 [337])

 

Wie beim Körper, so ist es auch beim ganzen Empfindungs- und Wahrnehmungsprozeß:

»»Weiter sodann, Mönche, beobachtet der Mönch unentwegt die sechs Innen- und Außengebiete.

Wie aber, Mönche, beobachtet der Mönch die sechs Innen- und Außengebiete?

Da erkennt, Mönche, ein Mönch das Auge und erkennt die Gestalten und die Verbindung,

die sich aus beiden ergibt, auch diese erkennt er.

Er erkennt es, wenn die Verbindung eben erst erfolgt,

erkennt es, wenn die erfolgte Verbindung aufgehoben wird,

und erkennt es, wenn die aufgehobene Verbindung künftig nicht mehr erscheint.

Er erkennt das Ohr und erkennt die Töne –

er erkennt die Nase und erkennt die Düfte –

er erkennt die Zunge und erkennt die Säfte –

er erkennt den Leib und erkennt die Tastobjekte –

er erkennt das Denkorgan und erkennt die Denkobjekte:

und die Verbindung-, die sich aus je beiden ergibt, auch diese erkennt er;

er erkennt es, wenn die Verbindung eben erst erfolgt,

erkennt es, wenn die erfolgte Verbindung aufgehoben wird,

und erkennt es, wenn die aufgehobene Verbindung künftig nicht mehr erscheint.

 

»Wie aber, Mönche, beobachtet ein Mönch bei den Empfindungen die Empfindungen?

Da erkennt, Mönche. der Mönch, wenn er eine wohlige Empfindung empfindet:

‚Ich empfinde eine wohlige Empfindung‘,

erkennt, wenn er eine wehe Empfindung empfindet:

‚Ich empfinde eine wehe Empfindung‘.

Erkennt, wenn er eine Empfindung ohne Wohl und Wehe empfindet:

‚Ich empfinde eine Empfindung ohne Wohl und Wehe.‘

 

»Wie aber, Mönche, beobachtet der Mönch beim Denken das Denken?

Da erkennt, Mönche,

ein Mönch ein mit Gier versetztes Denken also: ‚Mit Gier versetzt ist das Denken‘,

und ein gierloses Denken also: ‚Gierlos ist das Denken‘,

erkennt ein gehässiges Denken also: ‚Gehässig ist das Denken‘,

und ein haßloses Denken also: ‚Haßlos ist das Denken‘,

erkennt ein irrendes Denken also: Irrig ist das Denken‘,

und ein irrloses Denken also: ‚Irrlos ist das Denken.‘

 

»So beobachtet er unentwegt bei den Dingen in sich die Dinge,

so beobachtet er unentwegt bei den äußeren Dingen die Dinge,

beobachtet wie die Dinge entstehen,

beobachtet, wie die Dinge vergehen (mit dem Resultat):

‚Es sind Dinge‘« – und weiter nichts,

sind insbesondere nicht mein Ich, nicht mein Selbst.

Denn wie könnte das mein Ich, mein eigentliches Wesen sein,

was ich so vor mir auf- und abwogen, immer wieder vor mir entstehen und hinwegschwinden sehe?

»Diese Beobachtung verläßt ihn nimmer, weil sie ja zur Erkenntnis, zur Besinnung dient,

und ohne sich mehr – (an diese Dinge) – anzulehnen,

lebt er und an nichts mehr in der Welt haftet er.«

Ist er sich doch nunmehr klargeworden, daß er selbst in seiner eigentlichen Essenz

mit keiner der die Persönlichkeit ergebenden fünf Haftensgruppen etwas zu tun haben könne,

diese seine Essenz also jenseits dieses Persönlichkeitsgetriebes liegen müsse,

daß mithin die Nonne Vajira recht hat, wenn sie sagt:

»Nur ein Haufen hervorgebrachten in rastlosem Wechsel sich vollziehender Prozesse (Sankhara) ist das,

nicht läßt sich hier ein Lebewesen erfassen *.«

* Siehe das spätere Kapitel über die Sankhara.

 

Nun wird wohl auch die folgende Schlußfolgerung des Meisters völlig durchsichtig-

»Was meinst du wohl, Aggivessano, ist der Körper unvergänglich oder vergänglich?«

»Vergänglich, oh Gotamo!«

 

»Was aber vergänglich ist, ist das wehe oder wohl?«

»Wehe, oh Gotamo!« ·

 

»Was aber vergänglich, wehe, wandelbar ist, kann man davon mit Recht sagen:

‚Das gehört mir, das bin ich, das ist mein selbst‘?«

»Freilich nicht, oh Gotamo!«

 

»Was meinst du wohl, Aggivessano:

sind Empfindung, Wahrnehmung, Gemütsregungen, Erkennen unvergänglich oder vergänglich?«

»Vergänglich, oh Gotamo!«

 

»Was aber vergänglich ist, ist das wehe oder wohl?«

»Wehe, oh Gotamo!«

 

»Was aber vergänglich, wehe, wandelbar ist, kann man davon mit Recht sagen:

‚Das gehört mir, das bin ich, das ist mein Selbst‘?«

»Gewiß nicht, oh Gotamo *!« (* Majj. Nik. l, p. 232 (35. Suttam))

 

Die Sache liegt also wirklich so, wie sie der Buddho in den folgenden Worten zusammenfaßt:

»Darum also, Mönche: was es auch an Körperlichem – was es auch an Empfindung –

was es auch an Wahrnehmung – was es auch an Gemütsregungen – was es auch an Erkennen gibt,

ob vergangen, Zukünftig oder gegenwärtig, eigen oder fremd,

grob oder fein, gemein oder edel, fern oder nahe:

Alles Körperliche – alle Empfindung – alle Wahrnehmung – alle Gemütsregungen – alles Erkennen

ist der Wirklichkeit gemäß mit vollkommener Weisheit solcherart zu betrachten:

»Das gehört mir nicht. das bin ich nicht, das ist nicht mein Selbst‘ *« (* Majj. Nik. I, p.139 (22. Suttam))

 

Nun versteht man auch,

warum wir den fünf Gruppen, die unsere Persönlichkeit aufbauen, gegenüber so ohnmächtig sind:

sie alle folgen ihren eigenen Gesetzen;

jene unseres Körpers kennen wir heute noch nicht vollständig.

Die Empfindungen kommen und gehen wider unseren Willen, Gedanken und Stimmungen quälen uns,

ohne daß wir sie zu verscheuchen vermöchten.

Wie könnte das alles sein, wenn sie zu uns, zu unserem Wesen gehörten, wenn wir in ihnen bestünden?

Was wirklich und wesenhaft zu uns gehört,

darüber müssen wir doch eben deswegen unbeschränkt verfügen können,

und könnte insoweit unser Wollen unmöglich in einen Konflikt mit unserem Können geraten.

Weil ja das Wollen und die Organe zur Verwirklichung dieses Wollens uns gleich wesenhaft wären.

Eine Fähigkeit, die uns wirklich, also wesenloses-, zugehörte, müßten wir souverän beherrschen,

eben weil unser Wesen ja gerade in ihrer Betätigung bestünde.

Nur ein Fremdes müssen wir erst in unsere Gewalt bringen.

Das ist aber gerade der Fall mit den fünf Gruppen, die unsere Persönlichkeit ausmachen:

die meisten Menschen können sie überhaupt nicht beherrschen,

niemand ganz und nur die Wenigsten annähernd.

Und auch diese Wenigen haben es nur durch unaufhörliche Übung und Anstrengung erreicht.

Es ist also auch unter diesem Gesichtspunkt ein Widerspruch zu behaupten,

unser Wesen bestände in den Elementen unserer Persönlichkeit und damit in dieser selbst.

Diesen Widerspruch behandelt der Buddho im fünfunddreißigsten Suttam der Mittleren Sammlung:

 

»Was meinst du wohl, Aggivessanoz erfüllte sich einem gesalbten Khattiyo-König,

wie zum Beispiel dem König Pasenadi von Kosalo oder dem König Ajatasattu Vedehiputto von Magadha,

der Wunsch, in seinem Reich einen zum Tode Verurteilten hinrichten

oder einen in die Acht zu Erklärenden achten oder einen Bannwürdigen bannen zu lassen?«

 

»Gewiß, oh Gotamo. Ja, sogar diesen zahlreich versammelten Fürsten hier,

oh Gotamo, wie zum Beispiel den Vajji, den Malla, erfüllt sich der Wunsch,

im eigenen Gebiet hinrichten, ächten und bannen zu lassen –

wie also erst einem gesalbten Khattiyo-König.

Er mag sich erfüllen, oh Gotamo, und es ist recht so!«

 

»Was meinst du nun, Aggivessano, der du so sprichst:

‚Der Körper ist mein selbst‘, erfüllt sich dir bei diesem Körper der Wunsch:

‚so soll mein Körper sein, so soll mein Körper nicht sein?‘«

»Das nicht, oh Gotamo!«

 

»Merke es dir, Aggivessano, und wenn du es dir gemerkt hast, antworte;

denn du verbindest nicht das Letzte mit dem Ersten oder das Erste mit dem Letzten.

 

»Was meinst du wohl, Aggivessano, der du also sprichst:

‚Die Empfindung ist mein selbst – die Wahrnehmung ist mein Selbst –

die Gemütsregungen sind mein selbst – das Erkennen ist mein selbst‘,

erfüllt sich dir bei ihnen der Wunsch:

‚So soll meine Empfindung – so soll meine Wahrnehmung –

so sollen meine Gemütsregungen – so soll mein Erkennen sein‘?«

»Das nicht, oh Gotamo!«

 

»Merke es dir, Aggivessano, und wenn du es dir gemerkt hast, Aggivessano, antworte;

denn du verbindest nicht das Letzte mit dem Ersten oder das Erste mit dem Letzten *.«

(* Majj. Nik. l. n. 230 (35. Suttam))

 

Wären wir in den fünf Gruppen bestanden, erschöpfte sich also unser Wesen in ihnen,

dann müßten sie uns doch auch die natürlichste und vertrauteste Sache von der Welt sein,

sie wären eben unser Ich, unser selbst und damit erschöpfend erkannt und bestimmt.

Nun halte man sich dem gegenüber, mit welch sonderbarer Neugierde nicht nur das Kind,

sondern auch der Erwachsene zeit seines Lebens seinen eigenen Körper betrachtet,

ihn studiert, ihn als ein Rätsel, ein Geheimnis anstaunt,

genau so, wie man sich benimmt, wenn man plötzlich in der Welt auf etwas ganz Fremdes,

mit dem man bisher nie etwas zu schaffen hatte, stößt.

Nicht minder wundert sich aber der besonnene Mensch,

also jener, der sich seinen Blick nicht hat durch Gewohnheit abstumpfen lassen,

über seine Sinnenfähigkeiten, über die in ihm aufsteigenden Empfindungen, Stimmungen und Gedanken,

und fragt sich:

Wie komme ich zu alledem?

Muß ich sie denn haben? –

eine Frage, die ganz unmöglich wäre, wenn er nichts weiter als eben diese Prozesse selbst wäre.

Er würde sich dann eben in ihnen, insbesondere in dem von ihnen hervorgebrachten Bewußtsein,

erschöpfen.

Dieses Bewußtsein würde mit der nämlichen maschinenmäßigen Selbstverständlichkeit produziert,

wie der Dampf von der Dampfmaschine.

Es und damit auch er selbst wäre das adäquate Produkt seiner Bedingungen,

fände in diesen seinen erschöpfenden, zureichenden Grund, ginge also in ihnen restlos auf.

Woher sollte da eine Verwunderung des Bewußtseins und des in ihm erzeugten »Ich« kommen über ihr Vorhandensein und über den ganzen Prozeß, der sie hervorbringt *?

* Verwunderung steigt immer nur dann auf,

wenn keine hinreichende Erklärung nach dem Satz vom Grunde möglich ist.

Nun ist aber diese Verwunderung da,

und zwar nicht bloß die Verwunderung des Bewußtseins über sich selbst,

sondern die Verwunderung Eines,

der sich, wie über die vier anderen Gruppen, in die er sich hineingestellt sieht,

insbesondere auch über dieses Bewußtsein selbst wundert,

also doch wohl auch hinter ihm wird stehen müssen.

Es ist die große Verwunderung darüber,

wie ich denn zu diesem mit »Sinnlichkeit und Bewusstsein behafteten Körper« gekommen,

oder, populär ausgedrückt, wie ich in diese Welt hineingeraten bin;

es ist jene große Verwunderung, die die Urquelle aller Religion und Philosophie ist

und die vielleicht jeden einmal in seinem Leben in einer beschaulichen Stunde überkommt.

 

Man beachte, wie sich diese Grundempfindung der Menschheit auch in der Sprache,

diesem unmittelbarsten Abdruck der anschaulichen Erkenntnis, ausprägt:

»ich komme auf die Welt«, »ich verlasse die Welt«,

»das Leben gefällt mir«, »ich hänge am Leben«, »ich nehme mir das Leben«,

wobei zu merken ist, daß das Leben nichts weiter als die fünf Gruppen in Aktion ist.

Wie könnte ich am Leben hängen, wie könnte ich mir insbesondere das Leben nehmen,

wenn ich selbst Leben wäre,

das heißt also, in den fünf Gruppen bestünde?

Speziell mir das Leben zu nehmen, wäre in diesem Fall doch gerade so unmöglich,

als, um dieses Gleichnis noch einmal zu wiederholen, die Hand sich selbst wegwerfen

oder eine Maschine sich selbst vernichten kann.

Wie sollte es auch möglich sein, mein wirkliches Selbst, also das, worin ich letzten Endes bestehe,

sei das nun, was immer, zu vernichten,

da es doch mein Wesen ausmacht, das zu sein, was ich bin,

mir also schon der bloße Wille

auch nur zum Anderssein, geschweige zur Selbstvernichtung wesenswidrig wäre

und demnach nicht einmal er aufsteigen könnte *!

* Omnis natura vult esse conservatrix sui (Cicero).

Wegwerfen, vernichten kann ich vielmehr bloß etwas,

in dem ich  n i c h t  bestehe, das mir also ein Fremdes ist.

Dieser Gedanke, weise durchdacht, muß allein schon deutlich machen,

daß ich etwas hinter dem Leben, hinter den fünf Gruppen stehendes bin,

daß sich an das Leben, an die fünf die Persönlichkeit ausmachenden Gruppen als an etwas Fremdes,

das es für begehrenswert hält, bloß hängt, bloß anhaftet.

 

Man mache einmal die Gegenprobe:

Wenn die Persönlichkeit mein Wesen bilden soll,

dann muß natürlich auch jeder Teil derselben einen Teil dieses meines Wesens darstellen,

und müßte ich also mit dem sukzessiven Wegfall der Teile immer weniger werden.

Nun stelle man sich vor, man verliere die Haare, die Zähne:

bin ich dadurch weniger geworden?

Lächerliche Frage.

Weiter: Man verliere ein Bein, beide Beine, einen Arm, beide Arme –

auch dann weis ich mich noch immer ganz und vollständig:

ich bin zwar ärmer -, aber nicht weniger geworden.

Wie könnte das sein, wenn meine Wesenheit eben in meinem Körper bestünde?

Freilich die sogenannten edlen Organe unseres Organismus kann man nicht entfernen,

ohne daß wir aufhörten zu leben.

Aber sind sie deswegen unser Wiesen?

Man unterstelle, die medizinische Wissenschaft sei in der Lage,

auch diese edlen Teile stückweise zu amputieren,

und man würde nun auch sie nach und nach vollständig in der Weise durch neue ersetzen,

daß man immer einen weiteren Teil entfernt,

wenn der jeweils weggenommene sich wieder vollständig ersetzt hat,

bis schließlich alle Organe, einschließlich des Gehirns, in dieser Weise sozusagen ausgewechselt wären:

wäre ich dann ein anderer geworden?

Wiederum: Lächerliche Frage.

Diese ganze Prozedur, die mir anschaulich einen neuen Körper gegeben hätte

– in Wirklichkeit nimmt ja diese Auswechselung die Natur selbst vor –

würde mich nicht im Geringsten berührt haben – diese Überzeugung

wird sich wohl der Mensch auch durch die scharfsinnigsten Deduktionen nicht nehmen lassen -:

woraus aber dann doch wiederum zur Evidenz hervorgeht,

daß ich nicht in meinem Körper bestanden sein kann.

 

Genau so ist es mit den Sinnenfunktionen:

Wenn ich taub werde, also den Gehörsinn einbüße, werde ich wiederum ärmer, aber nicht weniger,

und ebenso, wenn ich die Sehkraft, den Geruch, den Geschmack, ja, auch den Tastsinn verlöre:

ich würde immer ärmer und ärmer, aber weniger würde ich dadurch in keiner Weise,

ich fühlte mich immer noch ganz und vollständig als derselbe, der ich von jeher war;

ja, es kann sein, daß ich mich über diese Armut an Sinnenfähigkeiten,

die so über mich käme, sogar freue:

Wenn ein gegen Geräusch äußerst empfindlicher Mensch,

der eben deswegen am liebsten überhaupt nichts mehr hören will,

aber auch aus irgend welchen Gründen die von ihm ersehnte stille nicht aufsuchen kann,

das Gehör verliert,

so wird er sicherlich diesen Verlust sehr leicht verschmerzen, sich schließlich über ihn sogar freuen,

da damit eine unversiegliche Quelle von Schmerzen für ihn auf immer verstopft ist.

Ja, es kann gar wohl sein, daß ein Mensch aller fünf Sinne überdrüssig wird,

sie als Last empfindet, von der er gerne befreit sein möchte in dem unmittelbaren Bewußtsein,

daß er selbst in seiner wirklichen Wesenheit dadurch im Grunde gar nicht berührt wird.

Freilich bleibt noch der sechste Sinn.

Das Denken, übrig, von dem dies nicht zu gelten scheint.

Ins Bewußtsein setzt ja jeder sein Ich, wie Schopenhauer sagt *, (* W. a. W. u. V. ll, 559 (576))

wiederum im Einklang mit den Worten des Buddho:

»Des aus den vier Grundelementen aufgebauten Körpers

mag wohl auch ein unerfahrener, gewöhnlicher Mensch überdrüssig werden;

was aber da bezeichnet wird als ‚Denken‘ oder als ‚Geist‘ oder als Bewußtsein-,

davon kann der unerfahrene, gewöhnliche Mensch nicht genug haben, nicht loskommen;

und warum nicht?

Lange hindurch hat ja der unerfahrene, gewöhnliche Mensch sich daran geschlossen,

es gehegt und gepflegt (in dem Gedanken):

»Das gehört mir, das bin ich, das ist mein selbst *.‘« (* Samyutta Nik. ll, pag. 94«(Xll. 61))

Das heißt also:

Wie man ohne die erforderliche Besonnenheit zunächst geneigt ist,

wenigstens die edlen Teile seines Körpers als zu seinem Wesen gehörig zu betrachten,

so klammert man sich hier letzten Endes an das Denken,

beziehungsweise das aus ihm resultierende Bewußtsein, als seine eigentliche Wesenheit an.

Aber so gut wie beispielsweise

der Verlust des Sehvermögens und des auf ihm basierenden Sehbewußtseins

mich selbst im Grunde nicht tangiert,

ebenso wenig werde ich in meinem wirklichen Bestand berührt,

wenn ich neben den übrigen fünf Sinnentätigkeiten auch das Denken einstelle

und damit jeglichem Bewußtsein den Boden entziehe.

Das beweist sich mir alle Nacht aufs Neue im Schlaf, wo ich zwar ohne Bewußtsein, aber eben doch bin:

Niemand wird sagen, daß er mit dem Eintritt des Schlafes zugrunde gehe

und nach dem Erwachen immer wieder neu entstehe,

im Gegenteil wird er seinen Zustand in einem tiefen, gesunden schlafe für gar keinen so üblen erachten*.

* Man kann auch so sagen:

Im Schlafenden hat jedes Bewußtsein, auch das Denk-Bewußtsein, aufgehört zu existieren;

und doch ist er.

Also gehört eben auch das Denk-Bewußtsein nicht zu seinem Riesen,

ist arm-M Was an ihm aber außerdem noch existiert – der körperliche Organismus –

das haben wir bereits im bisherigen als „anattsu“ als nicht-selbst, kennen gelernt.

Mithin ist er, obwohl er nichts von dem ist, was er für uns ist.

Übrigens ist die Tatsache, daß ich auch im traumlosen Tiefschlafe bin, scharf zu scheiden von der Frage, ob ein solches sein ein begehrenswertes ist.

Nur an letzterem zweifelt im Grunde der Mensch, nicht an der ersteren Tatsache. –

Über die Frage des Wertes eines Seins ohne jede Sinnen- und Geistestätigkeit

wird später noch zu handeln sein.

Kurz: Bei kritischer Betrachtung aller Komponenten meiner Persönlichkeit erkenne ich klar,

daß keine derselben mir wesenhaft zugehört,

so zwar, daß ich selbst mit ihrem Verlust nicht bloß ärmer, sondern Weniges würde.

Ich erkenne aber weiterhin ebenso klar,

daß ich auch nicht etwa in dem Zusammenwirken dieser Komponenten

als ihr Produkt bestanden sein kann.

Denn ich schaue ja auf dieses Zusammenwirken mit seinen fortwährenden Veränderungen herab,

beobachte es in allen seinen Details,

wie man nur immer auf etwas Fremdes herabschauen, ein Fremdes beobachten kann.

Der Buddho hat also zweifellos recht, wenn er lehrt,

daß unser wahres Wesen nicht in den Komponenten unserer Persönlichkeit

und damit auch nicht in dieser selbst bestanden sei.

 

Gerade deshalb bin ich aber auch, losgelöst von dieser Persönlichkeit und unbeschadet ihres Verfalls.

Daher wird denn auch ein Mensch,

selbst wenn ihm hundert und tausend Mal überzeugend dargetan wird,

daß sein Wesen in keinem Fall in dem bestehen kann, was er seine Persönlichkeit nennt,

über einen etwa daraus gezogenen Schloß,

daß er nun überhaupt nicht sei, mit überlegener Sicherheit, ruhig lächelnd, hinweggehen;

ja, er wird den Einwand so, wie er wirklich gemeint ist,

daß er nämlich überhaupt nicht und in keinem sinne sei, wie schon einmal gesagt, gar nicht verstehen,

sondern erwidern:

»Nun gut, wenn ich nicht in meiner Persönlichkeit bestehe, dann bin ich eben etwas anderes.«

Er wird also auch in dem Stadium, in das wir jetzt gelangt sind,

als debattierfähig von vornherein wiederum nur den Satz zulassen, was er ist, nicht aber, ob er ist.

 

* * *

»Dann bin ich eben etwas anderes:«

Was bleibt aber noch übrig,

wenn nichts von dem, was die Persönlichkeit des Menschen konstituiert, sein wirkliches Wesen bildet?

 

Mit dieser Frage nimmt das Problem nach der Beschaffenheit unseres Selbstes,

nach unserer Wesenheit, eine neue Richtung an.

Bisher sind wir auf der Suche nach der richtigen Antwort sozusagen geradeaus gegangen,

indem wir die vor uns liegenden Bestandteile unserer Persönlichkeit,

die man gemeinhin als das Wesen des Menschen auffaßt, darauf untersucht haben,

wie weit sie die letztere Annahme rechtfertigen möchten.

Wir hatten da stets etwas Greifbares vor uns

und standen eben deshalb bei unserer Untersuchung auf dem festen Boden der Wirklichkeit.

Nun aber, nachdem wir uns soweit auf« uns selbst besonnen haben, daß wir uns klar geworden sind,

daß unser Wesen keinesfalls mit unserer Persönlichkeit zusammenfällt,

drohen wir den festen Halt der anschaulichen Wirklichkeit zu verlieren,

wir laufen Gefahr, auf den sumpfigen, schwankenden Boden der leeren Begriffsbestimmungen

oder gar ins unfruchtbare Gebiet metaphysischer Spekulationen zu geraten.

Es ist also doppelte Besonnenheit vonnöten.

 

Fragt man nämlich weiter,

was denn nun dieses »etwas andere« sein könnte, in dem ich letzten Endes bestehen soll,

so wird man voraussichtlich die Antwort erhalten:

»Nun ja, mein Wesen besteht eben in meiner Seele.«

Diese Antwort wird indessen schon mit einigem Zaudern abgegeben werden;

denn unausweichlich, wie der Antwortende wohl fühlen mag, wird sofort die Gegenfrage erfolgen:

»Was ist denn nun aber diese Seele?«

Wie berechtigt diese Gegenfrage ist, wird klar,

wenn man sich darauf besinnt,

daß das Wort Seele ja nur einen speziellen Ausdruck für das eigentliche Wesen des Menschen darstellt,

so das also der Satz »Mein Wesen besteht in meiner Seele«

an sich nichts weiter als eine leere Tautologie ist.

Man wird also nicht darum herumkommen, diese Seele etwas genauer zu definieren.

Die Antwort wird auch nicht lange ausbleiben;

die Theologen und Durchschnittsphilosophen haben sie schon so lange in die Welt hinausposaunt,

daß sie jedes Kind auswendig weiß:

»Die Seele ist eine immaterielle, also geistige, also einfache-, also unzerstörbare Substanz.«

Für wie viele Tausende gläubiger Menschen

bildet diese Definition ihres Wesens die Zauberformel, die alle Zweifel bannt,

das granitene Fundament,

auf daß sie ihre ganze Weltanschauung und damit auch ihr ganzes Handeln basiert haben,

ohne daß sie – und hierin liegt das Tragische – auch nur einmal den Versuch unternahmen,

nun auch die Solidität dieses Fundaments zu untersuchen!

Im Grunde genommen ist das ja auch gar nicht weiter verwunderlich.

Die Tatsache, daß der Mensch ist, in irgend einem Sinn, ist,

steht als die Grund- und Ur-Tatsache alles Seins außer Frage.

Es scheint also nur selbstverständlich.

das er dann doch auch etwas sein müsse, etwas ist,

welches Etwas,

wenn es nicht in den der Wahrnehmung zugänglichen Bestandteilen seiner Persönlichkeit liegen soll,

dann eben als reiner Geist – nur ein anderes Wort für die sogenannte geistige Substanz –

hinter ihnen liegen muß.

 

Und doch ist auch der Glaube

an diese immaterielle, einfache Substanz, an diesen »Geist« in uns, ebenso haltlos,

wie der Glaube, daß unser Wesen in unserer Persönlichkeit bestehe, ja noch viel haltloser,

ist ein bloßes Hirngespinst, die Ausgeburt unklaren, unbesonnenen Denkens.

Das einzusehen ist nicht schwer;

ja, bei einiger Besonnenheit

könnte die Unbegründetheit dieser Annahme schon unmittelbar aus dem Bisherigen ersehen werden.

Weil indessen gerade mit diesem Begriff des rein Geistigen

oder auch der geistigen Substanz oder auch des reinen Geistes

so sehr viel Mißbrauch getrieben wird und er bei uns direkt zum großen Sack geworden ist,

in den die Theologen und Durchschnittsphilosophen alles hineinstecken,

was sie nicht nachweisen und erklären können,

so wird es gut sein, noch eigens diese Begriffe in bedächtiger,

vom Buddho als Allheilmittel gegen alle Irrtümer anempfohlener Besonnenheit zu analysieren

und sie so auf ihren wahren Gehalt zurückzuführen.

Wollen wir also diesem »Geist« in uns einmal furchtlos zu Leibe rücken!

 

Geistige Substanz oder reiner Geist sind bloße abstrakte Begriffe.

Um sie richtig bewerten zu können,

muß man sich der gar nicht hoch genug einzuschätzenden Darlegungen Schopenhauers

über das Wesen der Begriff erinnern.

Dieselben sind hiernach das Produkt der Reflexion über die anschaulich gegebene Welt,

sie kommen dadurch zustande,

daß aus einer Reihe anschaulich gegebener Einzeldinge ein einziger Begriff gebildet wird,

in welchem alles Individuelle und Spezielle der einzelnen Dinge fallen gelassen

und nur das der ganzen Klasse von Dingen, die durch den einheitlichen Begriff gedacht werden,

Gemeinsame aufbewahrt wird,

so hat der Mensch den Begriff Eiche

zur Kennzeichnung all der unzähligen, aber gleichartigen, einzelnen,

ihm in der Anschauung gegebenen Bäume gebildet,

welche eben unter diesem Begriffe zusammengefaßt werden.

Die Begriffe sind also kein ursprüngliches Reales,

sondern das künstliche, aus der anschaulichen Welt herausdestillierte Produkt der Vernunft,

sie entlehnen ihren Stoff und Inhalt ausschließlich aus der anschaulichen Welt

und haben deshalb auch nur, soweit sie auf ein anschaulich Gegebenes zurückführen,

und nur insoweit, Realität.

Daraus folgt als selbstverständlich zunächst,

das ein Begriff soweit er überhaupt keine anschauliche Unterlage hat,

ein leeres Hirngespinst, ein »bloßes Wort im Kopf« darstellt, wie Schopenhauer sagt,

und dann, daß auch ein richtig gewonnener Begriff,

also ein solcher, der wirklich aus der Anschauung abgezogen ist,

immer nur »von immanentem und nie von transzendentem Gebrauch« sein kann und darf,

das heißt, daß er nie über den Bereich der Erfahrung,

aus der allein er ja gewonnen ist und innerhalb deren allein er also auch nur gilt,

hinaus angewendet werden darf.

 

Wollen wir diese Einsicht auf die Begriffe geistige Substanz oder reiner Geist anwenden.

Wie kamen sie zustande

oder, was dasselbe ist, aus welchen Elementen der Anschauung sind sie hervorgegangen?

 

Wir haben gesehen, das die Persönlichkeit nichts weiter als »ein Haufen von hervorgebrachten,

in rastlosem Wechsel sich vollziehenden Prozessen« – Sankhara – ist.

Diese Prozesse sind dreierlei Art:

die rein körperlichen,

also die Tätigkeiten der einzelnen körperlichen Organe, Blutzirkulation, Ein- und Ausatmung –

der Buddho führt immer nur die Ein- und Ausatmung

als die alle anderen körperlichen Prozesse bedingende Grundtätigkeit an -,

dann die Sinnentätigkeiten,

auf denen Empfindung und „Wahrnehmung beruht,

und endlich die Tätigkeit der Vernunft,

bestehend in Erwägung und Überlegung *.

* Majj. Nik. l. p. 301 (44. Suttam) und weiter unten das Kapitel über die Sankhara.

Die beiden letzteren Arten von Tätigkeiten,

also die rein sinnlichen – das Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten,

sowie die anschauliche Verstandestätigkeit – einerseits und die Vernunfttätigkeit -das abstrakte Denken –

andererseits, mit ihrem jeweiligen Produkt, dem Bewußtsein,

nennen Wir im Gegensatz zu den körperlichen die geistigen Prozesse.

Da nun diese geistigen Prozesse natürlich ein Substrat voraussetzen,

an dem sie sich vollziehen, wie die körperlichen Prozesse den Körper,

man aber den Körper mit seinen Sinnesorganen, einschließlich des Gehirns,

nicht auch als das ausreichende Substrat

dieser sogenannten geistigen Prozesse annehmen zu dürfen glaubte,

so wurde einfach ein eigenes Substrat für diese »geistigen« Funktionen postuliert

und der »Geist«, die geistige Substanz, die als ein eigenes Etwas

und als ihr Substrat hinter diesen geistigen Funktionen stecken soll, war fertig.

lm Grunde genommen, mithin für den,

der auf Grund der ebenso genialen, wie verblüffend einfachen Aufhellung

durch den Buddho die sämtlichen sogenannten geistigen Funktionen,

also sowohl die Sinnentätigkeit im engeren Sinn wie die Verstandes- und Vernunfttätigkeit,

als bloße Tätigkeiten der Sinnesorgane, einschließlich des Gehirns,

mit der Wirkung, daß sie jeweils Bewußtsein erzeugen, erkennt,

liegt demnach in der Annahme einer geistigen Substanz oder eines leibhaftigen »Geistes«

weiter nichts als eine Hypostase dieser sogenannten geistigen Funktionen.

Es ist dieselbe Neigung des menschlichen »Geistes« – richtiger des menschlichen Denkens –

zur Personifizierung,

die einen Südsee-Insulaner, der zum ersten Mal eine Dampfmaschine in Tätigkeit sieht,

ebenfalls einen in der Maschine eingesperrten »Geist« vermuten läßt,

vor dem er dann denn auch entsetzt davon läuft,

dieselbe Neigung, die den Menschen überhaupt immer,

wenn er einen Prozeß nicht in seinem ursächlichen Zusammenhang versteht,

die ihm nicht erreichbare, rein natürliche Verknüpfung

durch eine eigens zu diesem Zweck von ihm angenommene selbständige Kraft ersetzen läßt.

 

Dabei besteht zwischen dem einfachen Naturmenschen und dem Gelehrten nur der Unterschied,

daß der letztere wenigstens nur eine selbst wieder rein physische Kraft postuliert,

wie den hypothetischen Äther zur Erklärung der Fortpflanzung des Lichtes

oder die Atome zur Erklärung der chemischen Verbindungen,

und deshalb der Wirklichkeit auch häufig in der Tat nahekommen

wird, während der naive Mensch die Sache radikaler anpackt,

indem er gleich, je nach Bedarf, Hexen, Teufel, Götter oder auch, wie in unserem Fall,

eine eigene, hinter dem Körper stehende Individual-Seele, das heißt also eine geistige Substanz

oder, um ohne Umschweife zu reden, einen leibhaftigen Geist erstehen läßt.

Hierbei hat er dann denn auch im vollen Maß den von ihm gewünschten Erfolg,

alle quälenden Probleme ein für allemal gründlich

und zugleich in höchst einfacher und erschöpfender Weise abgetan zu haben.

Für uns indessen ergibt sich aus dieser Betrachtung die Erkenntnis,

daß der Mensch in Wahrheit so wenig einen »Geist« oder eine geistige Substanz in sich birgt,

als es einen solchen »Geist« an spukorten gibt,

sondern das, wie in dem letzteren Fall ein physischer,

so in unserem ein psychischer Vorgang hypostasiert wird:

Real und den Begriffen Geist und geistige Substanz allein zugrunde liegend

sind nur die sogenannten psychischen oder, besser, sinnlichen Prozesse.

Damit entpuppt sich also der geheimnisvolle »Geist« im Menschen in seinem wirklichen Bestand

als ein harmloser Sammelname für die sogenannten geistigen Funktionen

im Gegensatz zu den körperlichen.

Dies allein ist der wahre Gehalt der Begriffe Geist und geistige Substanz.

Was darüber hinaus in ihnen mitgedacht zu werden pflegt, hat keinerlei realen Untergrund,

ist also in der Tat ein leeres Hirngespinst *.

* Wie schon früher bemerkt,

stellt auch das Wort Gemüt nur einen solchen bloßen Sammelnamen dar,

und zwar bezeichnet es die sämtlichen psychischen Prozesse nach der Willens- und Vorstellungsseite,

während das Wort Geist speziell die Prozesse nach der letzteren Richtung hin,

also die Wahrnehmungs- und Denkprozesse in sich begreift,

häufig auch bloß die letzteren, die Denkprozesse, allein. –

Nur in einer dieser beiden Bedeutungen

wird das Wort Geist im Folgenden auch gebraucht werden.

 

Um die ganze Überflüssigkeit, ja, Haltlosigkeit der Postulierung einer eigenen geistigen Substanz,

also einer Seele, als Träger der geistigen Funktionen einzusehen,

erwäge man noch folgendes:

Wenn es eine eigene geistige Substanz ist, die die sechsfache Erkenntnistätigkeit

des Sehens, Hörens, Riechens, Schmeckens, Tastens und Denkens ausübt,

dann kann sie in diesen ihren Funktionen nicht vom Körper abhängig sein,

eben weil es ihre Funktionen und nicht die des Körpers sind.

Die Seele müßte also

auch jede ihrer genannten Erkenntnistätigkeiten mit jedem Sinnesorgan beliebig vollziehen,

also beispielsweise auch, wenn sie wollte, mit dem Auge hören, mit dem Ohr sehen können;

ja, sie bräuchte die Sinnesorgane überhaupt nicht,

weil ja sie selbst kraft ihrer eigenen Wesenheit sähe, hörte usw.

Die Sinnesorgane würden im Gegenteil nur Behinderungen, Erschwerungen

der allein in der Seele selbst vor sich gehenden Erkenntnistätigkeit darstellen,

wie etwa einen scharfsehenden Mann eine Brille beim Sehen nur stören würde.

Nun ist es aber tatsächlich umgekehrt: die einzelnen psychischen Prozesse

sind ausschließlich an das einschlägige körperliche Sinnesorgan, einschließlich des Gehirns, geknüpft

und derart durch diese Organe bedingt, daß schon jede Verletzung derselben sie beeinträchtigt,

der Zerfall dieser Organe im Tode aber ihr definitives Erlöschen herbeiführt;

woraus doch wohl wiederum als das Nächstliegende sich ergibt,

daß die Erkenntnistätigkeit dann eben auch das ausschließliche Produkt dieser Organe,

nicht aber einer vollständig überflüssigen, dahinter stehenden Seele ist.

 

Diese Erwägung liegt denn auch der Antwort zugrunde,

welche der weise Nagaseno dem König Milindo auf dessen Frage,

ob es wohl ein erkennendes Seelenwesen gebe, erteilt:

 

»Was verstehst du unter diesem erkennenden Seelenwesen, oh König?‘

»Dieses Seelenwesen im Inneren, oh Herr,

das mit dem Auge die Gestalten erblickt, mit dem Ohr die Töne vernimmt, mit der Nase die Düfte riecht,

mit der Zunge die Säfte schmeckt, mit dem Körper die Tastobjekte tastet

und mit dem Geiste die Vorstellungen wahrnimmt.

Gerade nämlich wie wir, die wir hier in diesem Palast sitzen,

je nach Belieben durch irgend eines der Fenster blicken können

– sei es durchs östliche, westliche, nördliche oder südliche –

ebenso, oh Herr, schaut dieses im Innern befindliche seelenwesen je nach Belieben durch dieses oder jenes der Sinnentore.‘

 

Der Ordensältere aber sprach:

‚Die fünf Sinnentore will ich dir erklären, oh König, so höre denn und sei recht aufmerksam!

Wenn es im Inneren ein Seelenwesen gäbe, das durch das Auge die Gestalten erblickt

– gerade wie wir hier durch irgend eines der Fenster die Gegenstände erblicken –

so müßte dieses Seelenwesen

ebenfalls durch Ohr, Nase, Zunge, Körper und Geist (Denkorgan) die Gestalten erblicken können.

Und es müßte imstande sein, durch jedes einzelne der Sinnentore

ebenfalls Töne zu vernehmen, Düfte zu riechen, Säfte zu schmecken, Tastobjekte zu tasten

und Vorstellungen wahrzunehmen.

‚Das kann es freilich nicht, oh Herr.‘

 

‚Ja, oh König, du verbindest eben nicht das Erste mit dem Letzten und das Letzte mit dem Ersten! –

Gerade wie wir, oh König, die wir hier in diesem Palaste sitzen

– wenn wir die Fenster öffnen und unseren Kopf hinausstrecken –

bei vollem Tageslicht die Gegenstände deutlicher erkennen:

ebenso auch müßte dieses im Inneren befindliche Seelenwesen,

wenn die fünf Sinnentore herausgerissen waren,

bei vollem Tageslicht besser die Gegenstände wahrnehmen können.‘

‚Das kann es freilich nicht, oh Herr.‘

 

»Ja, oh König, du verbindest eben nicht das Erste mit dem Letzten und das Letzte mit dem Ersten! –

Wenn da z. B. dieser Dinno hinausgehen und sich (vor die offene Tür) in die Vorhalle stellen möchte,

wüßtest du da wohl, oh König, daß dem so ist?‘

‚Freilich wüste ich das, oh Herr.‘

 

‚Und wenn nun dieser selbe Dinno, oh König, wieder hereinkommen und sich vor dich stellen möchte,

wüßtest du da wohl ebenfalls, daß dem so ist?‘

‚Freilich, oh Herr.‘

 

‚Wenn man nun, oh König, einen geschmackbesitzenden Gegenstand auf die Zunge legen sollte,

wüßte da wohl jenes im Innern befindliche Seelenwesen,

ob derselbe sauer, salzig, bitter, scharf, herb oder süß ist?‘

‚Ja, oh Herr, das wüste es.‘

 

‚Wenn nun aber jener Gegenstand sich im Magen befinden möchte,

könnte da wohl jenes Seelenwesen seinen Geschmack erkennen?‘

‚Das freilich nicht, oh Herr.‘

 

‚Ja, oh König, du verbindest eben nicht das Erste mit dem Letzten und das Letzte mit dem Ersten *.**‘«

* Das heißt also: Wenn eine Seele es wäre, die – hierin ihr Wesen betätigend – schmeckte,

so müßte sie natürlich auch einen Gegenstand schmecken,

der, statt im Munde, im Magen sich befindet, so gut, wie der König den Diener Dinno erkennt,

gleichviel, ob derselbe in der offenen Vorhalle oder unmittelbar vor ihm steht.

** Die Fragen des Milindo, II, 3.

 

Zwar glauben die Verteidiger der Seele,

diesen Ausführungen mit folgendem Einwand begegnen zu können:

Freilich seien die Erkenntnisfunktionen an die Sinnesorgane, einschließlich des Gehirns, gebunden,

aber diese letzteren hätten hierbei nur die Bedeutung von Werkzeugen,

deren sich die Seele bloß bediene.

Allein die solches vorbringen, verstoßen zunächst gegen den bereits angedeuteten Grundsatz,

daß die Erklärungsprinzipien nicht ohne Not vermehrt werden dürfen *,

* Zum Verständnis dieses Grundsatzes

diene folgende Stelle aus du Prel, Entwicklungsgeschichte des Weltalls. S. 180:

»Das Bestreben des subjektiven Geistes geht dahin, die objektive Natur logisch zu durchdringen.

Da nun die Natur den Zweck ihrer Produkte mit den geringsten Mitteln erreicht,

so müssen auch diejenigen wissenschaftlichen Hypothesen die besten sein,

welche die Erscheinungen nach dem Prinzip des kleinsten Kraftmaßes begrifflich zergliedern.

Der objektiv geringste Kraftaufwand der Natur muß sich widerspiegeln

in dem minimalen und doch zureichenden Aufwand der Logik in wissenschaftlichen Hypothesen.

Von zwei Hypothesen, die gleichviel erklären, ist die einfachere die bessere.

Darum findet sich als erster Grundsatz der Wissenschaft schon bei Plato gepriesen,

daß die Erklärungsprinzipien ohne Not nicht vermehrt werden dürfen …

Es beruht auf der instinktiven, aber festen Überzeugung,

daß die Einfachheit das Siegel der Wahrheit ist.«

indem, wenn nun doch einmal die Sinnesorgane

die notwendige Voraussetzung aller Erkenntnistätigkeit bilden, nicht einzusehen ist,

warum sie nicht auch die alleinige Bedingung derselben sein sollten.

Dann aber sehen sie sich vor die folgende Alternative gestellt:

Entweder die angenommene geistige Substanz oder Seele muß selbst mit dem Tod zugrunde gehen,

da sie sich ja dann, also nach dem Wegfall der bisher von ihr benützten materiellen Organe,

in keiner Weise mehr ihrem Wesen entsprechend betätigen kann,

damit aber gerade das wegfällt, zu dessen Erklärung sie postuliert wurde

und was eben ihren wesentlichen Gehalt ausmachen soll –

eine Seele, die mit aller sinnen- auch alle Verstandes- und Vernunfttätigkeit verloren hat,

ist eben keine Seele, ist überhaupt nichts mehr –

oder: die Seele vermag ihre Erkenntnisfunktionen nach dem Tod

auch ohne die entsprechenden körperlichen Organe zu vollziehen.

In diesem Fall bleibt rätselhaft,

warum sie, was sie nach dem gänzlichen Wegfall dieser Organe ohne weiteres kann,

nicht auch schon zu Lebzeiten bei bloßer Beschädigung derselben vermag:

Wenn sie nach dem Tod ohne jedes materielle Organ erkennen kann,

dann müßte sie das während des Lebens

bei bloßer Beschädigung dieser Organe doch noch viel leichter vermögen,

da ihr dann das gewohnte Werkzeug wenigstens noch teilweise zur Verfügung steht *.

* Damit beim Ernste der Scherz nicht fehle, sei noch erwähnt,

daß manche, die sich der augenscheinlichen Tatsache,

daß jede Erkenntnistätigkeit an das entsprechende Organ des Körpers

und damit an diesen selbst gebunden ist, nicht verschließen können,

auf den Ausweg verfallen sind,

die Seele versinke im Tode mit der Entreißung

der ihr zur Ausübung ihrer Erkenntnistätigkeit unentbehrlichen körperlichen Organe

in einen schlafähnlichen Zustand,

in dem sie verharre,

bis ihr am Ende der Zeiten ihr früherer Leib wieder zur Verfügung gestellt werde.

Damit wären wir also glücklich bei der Fehl-senden Seele-,

das heißt, wohlgemerkt, bei der schlafenden irr-materiellen Substanz, angelangt!

so geht es, wenn man die Naturvorgänge, hier das Zustandekommen der psychischen Prozesse

– cfr. oben das Kapitel über die Persönlichkeit –

nicht unbefangen und rein objektiv erklären darf,

weil man sich bereits im Voraus auf ein ganz bestimmtes Erklärungsprinzip festgelegt hat,

das man unter keinen Umständen preiszugeben entschlossen ist:

man nimmt, um sein Scheinbild vor der hereinstürmenden Wirklichkeit zu retten,

zu immer kühneren Konstruktionen seine Zuflucht,

gleich den Anhängern der alten ptolemäischen Weltanschauung,

welche, um die Widersprüche ihrer geozentrischen Theorie mit der Wirklichkeit auszugleichen,

ebenfalls immer neue Zyklen und Epizyklen einfach erfanden.

Es geht also auch hier, wie mit allen Phantasieprodukten:

sie zerschellen schließlich an der Wirklichkeit.

Eben deshalb

nennt denn auch der Buddho das Dogma von dem in Form einer individuellen Seele beharrenden

und unwandelbaren Ich »eine völlig ausgereifte Narrenlehre *«. (* Majj. Nik. l, p. 138 (22. Suttam))

 

Ergibt sich aber so die Haltlosigkeit der Annahme einer Seele nach allen Richtungen hin,

dann bleibt nur verwunderlich,

wie sich die Menschen auf eine solche Hypothese trotzdem und in einer Weise versteifen können,

daß sie sich für jede gegenteilige Belehrung unzugänglich zeigen.

Aber auch der Grund hierfür ist nicht allzu schwer aufzufinden:

Der normale Mensch identifiziert sein Wesen mit den fünf Komponenten seiner Persönlichkeit,

indem er es für selbstverständlich hält,

das diese in irgend einer wesenhaften Beziehung zu seinem eigentlichen selbst stehen mästen,

und eben deshalb in dem Wahn lebt,

es sei eben sein Wesen, das sich in seiner Persönlichkeit auswirke, sich als solche darstelle.

»Wie kann, Herr, der Glaube an Persönlichkeit als unser Wesen aufkommen?« –

»Da ist einer, Mönche, ein gewöhnlicher Mensch, der sich nicht informiert,

der nicht vermag die Hohen zu erkennen, die Hohe Lehre zu begreifen, der nicht in ihr bewandert ist.

Der betrachtet den Körper als sich selbst oder sich selbst als körperähnlich

oder in sich selbst den Körper oder in dem Körper sich selbst;

er betrachtet die Empfindung, die Wahrnehmung, die Gemütsregungen, das Erkennen als sich selbst

oder sich selbst als diesen ähnlich oder in sich selbst diese oder in diesen sich selbst *.«

(* Majj. Nik. Ill, p. 17 (109. Suttam))

Nun demonstriert ihm aber die Wirklichkeit augenscheinlich, das diese sämtlichen fünf Gruppen und damit auch ihr Produkt, die Persönlichkeit, im Tode der Zerstörung anheimfallen.

Daraus ergibt sich für ihn ein Doppeltes:

 

Zunächst stellt sich als praktische Folge eine beispiellose Furcht vor dem Tod

als der vermeintlichen Vernichtung seines Wesens ein.

Nur die Kehrseite dieser Furcht ist seine grenzenlose Anhänglichkeit an das Leben,

das heißt an die fünf Gruppen in Aktion, eine Anhänglichkeit,

die gemeinhin sogar dem Leiden gegenüber sich behauptet,

so sehr, daß der Mensch auch ein Leben, das nur Leiden ist, mit in den Kauf nimmt,

wenn er nur überhaupt leben darf.

Also vor seiner vermeintlichen Vernichtung möglichst lange bewahrt bleibt.

Damit stoßen wir aber hier

zugleich auf den tiefsten und letzten Grund für diese grenzenlose Anhänglichkeit an das Leben.

Derselbe kann nicht etwa, wie wir bereits gesehen haben, darin liegen,

als ob das Leben an sich etwas Begehrenswertes wäre,

sondern er besteht eben in dem Wahn,

daß unser Wesen in den fünf Gruppen der Persönlichkeit bestanden,

also mit diesen dem Untergang geweiht sei.

Gebt dem Menschen die klare Überzeugung,

daß Krankheit und Tod ihn in seinem eigentlichen Bestand nicht zu berühren vermögen,

und er wird mit einem schlage völlig gleichmütig gegen dieselben werden!

 

Neben der praktischen Folge der Todesfurcht

zeitigt der »Glaube an Persönlichkeit« aber noch eine weitere theoretische:

In Wahrheit besteht der Mensch, wie wir schon gesehen haben, nicht in seiner Persönlichkeit,

so daß ihm also auch der Tod als der bloße Zerfall der Elemente dieser Persönlichkeit

nichts anhaben kann.

Das erkennt er aber nicht, ist vielmehr in dem Wahn befangen *, er bestehe in seiner Persönlichkeit.

* Wie dieser Wahn möglich wird, wird später deutlich werden.

Er befindet sich also in einem grauenhaften Irrtum über sich selbst.

Gerade deshalb kann er aber andererseits

diesen in schreienden Gegensatz zu seinem Wesen tretenden Irrtum nicht konsequent durchführen,

gerät vielmehr mit ihm auf Schritt und Tritt in Konflikt, der seinen Höhepunkt dann erreicht,

wenn sich ihm der Tod als der augenscheinliche Untergang der fünf Komponenten

seiner Persönlichkeit und damit dieser selbst enthüllt,

womit, in Konsequenz seines Irrtums, auch sein eigener Untergang besiegelt wäre,

gegen welche letztere Annahme

sich nun aber gerade sein Inneres, weil diesem widersprechend, aufbäumt.

So sucht er denn verzweifelt nach einem Ausweg aus diesem Widerstreit seines innersten Wesens

mit seiner falschen Erkenntnis des Verhältnisses,

in welchem er zu seiner Persönlichkeit steht,

statt nun aber wenigstens an diesem Punkt dieses Verhältnis richtig zu durchschauen,

bringt er seine falsche Erkenntnis notdürftig mit sich selbst durch einen neuen Irrtum in Einklang,

der ihm, der offensichtlichen Wahrheit des Unterganges seiner Persönlichkeit im Tode zum Trotz,

ihre Fortdauer nach dem letzteren vortäuscht.

Dieser Irrtum besteht nun in der Annahme einer Seele,

indem eine solche als der angenommene Träger seiner geistigen Funktion

nicht bloß zum äußerst bequemen Erklärungsprinzip für die letzteren wird,

weil ja direkt ad hoc postuliert,

sondern zugleich, weil als angeblich einfache Substanz dem Tode nicht unterworfen,

ihm trotz der entgegenstehenden Aussage der Natur den Glauben ermöglicht,

daß er selbst in seinen geistigen Funktionen durch den Tod in keiner Weise berührt werde.

Freilich über die Tatsache, daß wenigstens sein Körper zugrunde geht,

vermag ihm auch diese Annahme einer Seele nicht hinwegzuhelfen.

Weil er nun aber doch auch den Körper nicht für immer missen mag,

so läßt er sich diesen, noch einfacher,

durch einen Akt seines allmächtigen Gottes eben später wieder zur Verfügung stellen.

Auf solche Weise ist es freilich nicht schwer, aller Schwierigkeiten Herr zu werden.

 

Wir aber, die wir schon aus dem bisherigen Gange unserer Untersuchung klar erkannt haben,

daß unser Wesen nicht in unserer Persönlichkeit bestanden sein kann,

stehen dem Zerfall derselben ganz anders gegenüber:

Er vermag uns, unser wirkliches Wesen, so wenig zu berühren,

als wir durch die Verbrennung von Holz in Mitleidenschaft gezogen werden,

das, im Wald gefällt, vor unseren Augen verbrannt wird.

Wir verstehen deshalb auch die Aufforderung des Meisters, die fünf Gruppen,

aus denen sich unsere Persönlichkeit zusammensetzt, in Gemütsruhe fahren zu lassen:

 

»Gleichwie, Mönche,

wenn ein Mann das, was an Gräsern und Reisig, Zweiglein und Blättern in diesem Jeta-Waldhain daliegt,

wegtrüge oder verbrennte,

oder sonst nach Belieben damit schaltete: würdet ihr da wohl denken:

‚Uns trägt der Mann weg, oder verbrennt er, oder schaltet sonst nach Belieben‘?«

»Wahrlich nicht, oh Herr!«

 

»Aus welchem Grund?«

»Nicht sind ja, wahrlich, oh Herr, wir das, noch gehört es uns an.«

 

»Ebenso auch, Mönche, gehört euch der Körper nicht an: ihn gebt auf;

der von euch aufgegebene wird euch zum Heil, zum Glück gereichen.«

 

»Die Empfindung – die Wahrnehmung – die Gemütstätigkeiten – das Erkennen gehören euch nicht an;

sie gebt auf;

die von euch aufgegebenen werden euch zum Heil, zum Glück gereichen *.«

(* Samyutta Nik. XXII. 29-33)

 

Eben weil wir so erkannt haben,

daß die Gruppen, die unsere Persönlichkeit aufbauen, nichts mit unserem wahren Wesen zu tun haben,

brauchen wir insbesondere auch nicht, um die Furcht vor unserer Vernichtung im Tode zu bannen,

zu derlei phantastischen Konstruktionen, wie der Annahme einer geistigen Substanz, einer Seele,

unsere Zuflucht zu nehmen,

durch die man sich, der Wirklichkeit zuwider,

die Fortdauer dieser augenscheinlich im vollen Umfang dem Untergang geweihten Elemente

der Persönlichkeit vortäuscht.

Wir können uns vielmehr vertrauensvoll der weiteren Führung des Meisters auf dem Wege,

der uns wirklich zu uns selbst zurückführen soll, überlassen.

Denn noch sind wir, trotzdem nichts von dem, was unsere Persönlichkeit aufbaut,

und auch keine hinter derselben stehende Seele unser wahres Wesen sein kann,

eine Grundtatsache, die auch diesem Resultat gegenüber bestehen bleibt.

Und das ist doch wohl die Hauptsache.

 

* * *

Noch sind wir: Ist denn das aber auch wirklich wahr?

Man stelle sich vor:

Die ganze Persönlichkeit, also einschließlich aller geistigen Funktionen,

insbesondere auch des Denkens und des daraus resultierenden Bewußtseins,

werde im Tod aufgehoben

und es bliebe auch hinter dieser aufgelösten Persönlichkeit

keine irgendwie geartete Substanz oder Seele mehr übrig.

Was soll ich denn dann noch sein?

 

Wir dürfen in der Tat einigermaßen neugierig sein,

welche Antwort uns der Buddho auf diese Frage erteilt;

wir dürfen dies umso mehr, als wir doch nun auch allmählich zu dem Punkt kommen müssen,

wo der indirekte Weg, den er uns bisher geführt hat, nämlich uns aufzuzeigen, worin wir nicht bestehen,

nicht weiter gangbar ist,

indem nichts mehr übrig zu bleiben scheint,

worein der Mensch sein Wesen irrtümlicherweise noch weiter verlegen könnte,

wir also doch wohl auch bald auf den positiven Kern dieses unseres Wesens stoßen müssen.

Denn mit Recht nehmen wir wohl an, das der Buddho nicht definitiv in lauter Negationen von dem,

was wir nicht sind, sich verlieren,

sondern uns über diese hinweg zu einem positiven Ergebnis führen werde,

davon ausgehend, daß der von ihm eingeschlagene Weg doch wohl nur den Zweck haben kann,

die dichte fremde Schicht, die über unser eigentliches Wesen gebreitet liegt,

allmählich immer weiter wegzuziehen,

bis das Letztere selbst offen vor uns liegt,

gleich dem Kern einer Frucht,

wenn er allmählich von seiner aus einer Reihe von Blatthülsen bestehenden Umhüllung freigelegt wird.

Hören wir also und prüfen wir, was der Buddho uns noch weiter zu sagen hat.

 

Stünde er leibhaftig vor uns. so würde er wahrscheinlich, über unsere Erwartung lächelnd, erwidern:

»Freund, siehe zu, daß du die Besonnenheit, mit der du mir bisher gefolgt bist, nicht verlierst;

denn du bist auf dem Punkte, sie zu verlieren, oder hast sie vielmehr schon verloren.

Du wähnst, weil du bist, müßtest du auch etwas sein und dieses Etwas willst du nun kennen lernen.

Nun bemühe dich aber gerade jetzt, klar zu denken. alle Begriffe wohl auf ihren Gehalt zu analysieren; denn alles Unheil kommt vom unklaren Denken:

 

Du willst ein Etwas sein, das heißt doch wohl, du willst nicht nichts sein.

Was steht aber dem Nichts als sein erschöpfendes Gegenteil gegenüber?

Doch wohl: Alles.

Denn die äußerste und umfassendste Alternative, die du aufstellen kannst, ist:

Alles oder Nichts.

Das Etwas, was du sein willst, müßte also unter das Alles fallen, müßte ein Teil von ihm sein.

Wer etwas hat, hat eben nicht alles,

sondern einen Teil von ihm, und wer etwas ist, ist eben deshalb ein Teil des Alls.

Was ist aber Alles?

‚Alles, will ich euch zeigen, Mönche.

Was ist Alles?

Das Auge und die Gestalten, das Ohr und die Töne, die Nase und die Düfte, die Zunge und die Säfte,

der Leib und die Tastobjekte, das Denken und die Vorstellungen,

das heißt man, Mönche-, Alles *.‘ (* Samyutta Nik. IV, pag. 15 (XXXV, 23))

Nun habe ich dir aber doch deutlich genug gezeigt, daß du in nichts von alledem bestanden sein kannst.

Hinter diesem Allen-, also eben hinter dem All, steht aber nur mehr das Nichts.

Also bist du eben kein Etwas, sondern bist tatsächlich – nichts.«

 

Also doch! So erschöpfe ich mich also doch in den fünf Gruppen, die meine Persönlichkeit aufbauen,

hinter denen nur mehr das Nichts gähnt:

Ich bin nichts als diese Persönlichkeit.

Diese selbst aber ist nichts weiter als ein Haufen vergänglicher Prozesse ohne jeden bleibenden Kern.

Mit dem Zerfall dieser Persönlichkeit im Tod

ist es also auch mit mir ebenso vollständig und radikal aus, als es mit dem Wagen aus ist,

wenn er auseinandergelegt wird und seine einzelnen Bestandteile verbrannt werden!

Warum da so lange Auseinandersetzungen darüber, was ich alles nicht bin,

wenn ich am Schluß doch – nichts bin?

Wenn das die ganze vielgerühmte Weisheit des Buddho ist,

so hätte er dieselbe wahrhaftig sin viel einfacherer und würdigerer Form geben können.

So banal das Wort ist, hier ist es Wahrheit geworden: Viel Geschrei um wenig Wolle.

Da war jener späte Jünger des Buddho, Nagaseno,

der den König Milindo über die Art unserer Wesenheit aufklärte, doch ein ganz anderer.

Er hat offen Farbe bekannt, hat klipp und klar ausgesprochen und deutlich gemacht,

daß wir im Grunde nur ein bloßer Name sind, dessen Unterlagen mit dem Tod in alle Winde zerstieben.

Man überzeuge sich selbst!

Hier ist der berühmte Dialog:

 

»‘Wie heißt du, Ehrwürdiger? Welchen Namen trägst du?‘

»Ich bin als Nagaseno bekannt, oh König, und Nagaseno reden mich meine Ordensbrüder an.

Ob nun aber die Eltern einem den Namen Nagaseno geben oder Suraseno oder Viraseno oder Sihaseno,

immerhin ist dies nur ein Name, eine Bezeichnung, ein Begriff, eine landläufige Ausdrucksweise,

ja, weiter nichts als ein bloßes Wort,

denn ein Individuum * ist da genau genommen nicht vorzufinden.‘

* Puggalo – Individuum (das »Unteilbare«),

das Einzelwesen als Träger der Eigenart oder Individualität.

Der Puggalo bezeichnet also das durch sein Anhaften mit der Persönlichkeit verkoppelte Wesen,

das deswegen als Person in Erscheinung tritt

im Gegensatz zum Tathagato, dem völlig Losgelösten.

 

Der König aber sprach: ‚Hört mich an, ihr fünfhundert Griechen und zahlreichen Mönche!

Dieser Nagaseno behauptet, ein Individuum gebe es nicht.

Wie kann man dem beipflichten?‘

 

Und der König sprach zum ehrwürdigen Nagaseno:

‚Wenn es, ehrwürdiger Nagaseno, kein Individuum gibt,

wer ist es denn, der euch da die Bedarfsgegenstände,

wie Gewand, Almosenspeise, Lagerstatt, Heilmittel und Arzneien, spendet?

Wer ist es, der davon Gebrauch macht?

Wer ist es, der die Sittenregeln erfüllt, die Geistespflege übt, Pfad, Ziel und Erlösung verwirklicht?

Wer ist es, der tötet, stiehlt, ehebricht, lügt, trinkt

und die unmittelbar nach dem Tod zur Hölle führenden Verbrechen begehr?

So gäbe es also weder etwas Moralisches noch etwas Immoralisches,

noch einen Täter oder Verursacher guter und schlechter Taten,

noch eine Frucht oder ein Ergebnis guter und schlechter Taten,

und selbst derjenige, der dich töten würde, beginge keinen Mord.

Und auch du, Nagaseno, hättest weder einen Lehrer noch Ratgeber noch überhaupt die Mönchsweihe.

Nun behauptest du aber andererseits, das deine Ordensbrüder dich mit Nagaseno anreden.

Wer ist denn da dieser Nagaseno?

Sind da etwa die Kopfhaare der Nagaseno, oder sind es die Körperhaare, Zähne, Fleisch,

Sehnen, Knochen, Knochenmark, Niere, Herz, Leber, Zwerchfell, Milz, Lunge,

Eingeweide, Gekröse, Magen, Kot, Galle, schleim, Eiter, Blut, Schweiß, Fett,

Tränen, Lymphe, Speichel, Rotz, Gelenköl, Urin oder das im Schädel befindliche Gehirns?‘

‚Nicht doch, oh König!‘

 

‚Oder sind etwa die Empfindung oder die Wahrnehmung oder die Gemütsregungen oder das Erkennen

dieser Nagaseno?‘

‚Nicht doch, oh König!‘

 

‚Dann sollen wohl vielleicht

Körper, Empfindung, Wahrnehmung, Gemütsregungen und Erkennen zusammen genommen

dieser Nagaseno sein.?‘

‚Nicht doch, oh König!‘

 

‚Oder soll dieser Nagaseno gar außerhalb von Körper,

Empfindung, Wahrnehmung, Gemütsregungen und Erkennen existieren?‘

‚Nicht doch, oh König!‘

 

‚Ich mag dich fragen, wie ich will, Verehrter:

den Nagaseno aber kann ich nicht entdecken.

Soll etwa das bloße Wort ‚Nagaseno‘ schon der Nagaseno selber sein.?‘

‚Nicht doch, oh König!‘

 

‚Nun, wer ist denn dieser Nagaseno?

Eine Unwahrheit sprichst du, oh Herr, eine Lüge, denn der Nagaseno existiert ja gar nicht!‘

 

Und der ehrwürdige Nagaseno wandte sich zum König und sprach:

‚Du bist, oh König, fürstlichen Luxus und äußerste Bequemlichkeit gewöhnt.

Wenn du daher zur Mittagstunde im heißen Sand zu Puls gehst

und mit den Füßen auf den harten, steinigen Kiessand trittst,

bekommst du wehe Füße, dein Körper ermattet, dein Geist wird verstimmt,

und körperliche Schmerzgefühle machen sich geltend.

Bist du denn zu Fuß gekommen oder mit dem Wagen?‘

‚Nein, oh Herr, ich bin nicht zu Puls gekommen, sondern mit dem Wagen.‘

 

‚Nun, wenn du mit dem Wagen gekommen bist, oh König, so erkläre mir denn, was ein Wagen ist!

Ist wohl vielleicht die Deichsel der Wagen?‘

‚Nicht doch. oh Herr!‘

 

‚Oder die Achse?‘

‚Nicht doch, oh Herr!‘

 

‚Oder sind die Räder, oder der Wagenkasten, oder der Fahnenstock,

oder das Joch, oder die Speichen, oder der Treibstock der Wagen?‘

‚Nicht doch, oh Herr!‘

 

‚Dann sollen wohl diese Dinge alle zusammen genommen der Wagen sein?‘

‚Nicht doch, oh Herr!‘

 

‚Oder soll etwa gar der Wagen außerhalb dieser Dinge existieren?‘

‚Nicht doch, oh Herr!‘

 

‚Ich mag dich fragen, wie ich will, oh König: den Wagen aber kann ich nicht entdecken.

soll etwa das bloße Wort ,Wagen‘ schon der Wagen selber sein?‘

‚Nicht doch, oh Herr!‘

 

‚Nun, was ist denn dieser Wagen?

Eine Unwahrheit sprichst du, oh König, eine Lüge, denn der Wagen existiert ja gar nicht.

Du bist doch, oh König, der oberste Herr über ganz Indien.

Aus Furcht vor wem lügst du denn da?

Hört mich an, ihr fünfhundert Griechen und zahlreichen Mönche!

Dieser König Milindo behauptet, mit einem Wagen gekommen zu sein,

doch auf meine Bitte hin, mir zu erklären, was ein Wagen ist, kann er mir einen solchen nicht nachweisen.

Kann man so etwas wohl billigen?‘

 

Auf diese Worte spendeten die fünfhundert Griechen dem ehrwürdigen Nagaseno ihren Beifall

und sprachen zum König Milindo:

‚Nun antworte, oh König, wenn es dir möglich ist!‘

 

Und der König sprach zum ehrwürdigen Nagaseno:

‚Ich spreche durchaus keine Lüge, ehrwürdiger Nagaseno:

Denn in Abhängigkeit von Deichsel, Achse, Rädern usw.

entsteht der Name, die Bezeichnung, der Begriff, die landläufige Ausdrucksweise, das Wort ‚Wagen‘.‘

 

‚Ganz richtig, oh König, hast du erkannt, was ein Wagen ist.

Gerade so aber auch, oh König, entsteht in Abhängigkeit von Kopfhaaren, Körperhaaren, Nägeln usw. der Name, die Bezeichnung, der Begriff, die landläufige Ausdrucksweise und das Wort ‚Nagaseno‘.

Im höchsten Sinn aber ist da ein Lebewesen nicht vorzufinden.

Auch die Nonne Vajira, oh König, hat in Gegenwart des Erhabenen gesagt:

‚Gerade wie man infolge des Zusammentreffens einzelner Bestandteile das Wort ‚Wagen‘ gebracht,

ebenso auch gebraucht man, wenn die fünf Gruppen da sind,

die konventionelle Bezeichnung ‚Lebewesen *‘.«

* Die Fragen des Milindo, II. 1. – Satto = Lebewesen.

»Wo es die Sinnesorgane, ihre Objekte und das entsprechende Bewußtsein gibt,

dort gibt es das Lebewesen oder die Offenbarung des Lebewesens.« (Sam. Nik. XXXV, 66)

 

In der Tat beziehen sich nicht Wenige,

wenn sie als das Ziel der Lehre des Buddho die absolute Vernichtung des Menschen bezeichnen,

gerade auf diesen Dialog.

Haben sie recht?

Zitieren wir wieder die Manen des Meisters.

In welchem Sinn würde er wohl sprechen?

 

»Also doch! Also nämlich hast du doch die Besonnenheit verloren, an die ich dich noch eigens mahnte,

hast sie so weit verloren, betörter Frager,

daß du nun zu guter Letzt dich selbst in jene Klasse von Menschen einreihst,

die beim Philosophieren sich selbst vergessen

und auf die du früher selbst als eine Kuriosität hingewiesen hast,

hast jegliche Besonnenheit so weit verloren, daß du selbst mir zutraust,

ich könnte vor lauter Suchen nach dem, was ich bin, vergessen haben,

daß ich bin, daß ich in irgend einem Sinn sein muß,

und daß diese Grund- und Urtatsache bestehen bleibt,

auch wenn ich von allem in der Welt einsehe, daß es nicht mein Wesen sein kann,

daß ich in nichts von der Welt bestanden sein kann, daß ich also eben nichts bin.

Freilich mit diesem Wörtchen ‚nichts‘ kannst du nicht fertig werden, es versetzt dich in Aufregung.

Aber lasse dir auch von ihm nicht imponieren,

bewahre deine Besonnenheit und geistige Klarheit auch ihm gegenüber,

und du wirst alsbald einsehen, wie unbegründet deine Aufregung war

und wie voreilig die Schlüsse waren, die du aus diesem Wörtchen gezogen hast.«

 

Wollen wir dieser Aufforderung des Meisters Folge leisten.

 

Was ist nichts?

Wie schon gesagt, der Gegensatz von Allem;

und was ist Alles?

Wie ebenfalls bereits angegeben, das Auge und die Gestalten, das Ohr und die Töne,

die Nase und die Düfte, die Zunge und die Säfte, der Leib und das Tastbare,

der Geist (das Denkorgan) und die Vorstellungen.

Wem möchte das auch nicht ohne weiteres einleuchten?

Wer möchte nicht vielmehr

diese verblüffend einfache und doch so überaus scharfe Umgrenzung des Seienden bewundern?

Gewiß lehren auch unsere großen Philosophen,

daß alles, was ist, immer nur ein sein möglicher Erfahrung ist,

ein Satz, der inhaltlich mit der Definition des Buddho zusammenfällt,

nachdem ja die alleinigen Träger aller möglichen Erfahrung

eben die sechs Sinne, einschließlich des Denkens, sind.

Aber wie matt wirkt unsere Formulierung in ihrer abstrakten Fassung

gegen die unmittelbare Evidenz der Definition des Buddho

in ihrer nicht mehr zu überbietenden Anschaulichkeit!

 

Haben wir aber so eine in sich selbst evidente Umschreibung des Begriffes »Alles«,

so wird dadurch auch der Begriff des Nichts ohne weiteres völlig durchsichtig:

Weil »Nichts« nur der Gegensatz von »»Allem« ist,

darum bezeichnen wir mit »Nichts« auch nichts weiter als die Abwesenheit sämtlicher Elemente,

aus denen sich der Begriff »Alles« zusammensetzt,

so daß die Antwort auf die Frage: Was ist das Nichts:

einfach lautet:

Nichts mehr sehen,

nichts mehr hören,

nichts mehr riechen,

nichts mehr schmecken,

nichts mehr tasten,

nichts mehr denken:

das ist Nichts.

Die beiden Fragen: Was ist Alles? und was ist Nichts?

umfassen also genau denselben Bereich, die eine in positiven die andere in negativer Form.

Denselben Gedanken finden wir wieder in dem anderen Satze des Buddho:

»Hier im Bewußtsein steht das All *«, (* Suttanipato, V. 1114.)

das heißt nämlich in Hinsicht darauf,

daß das Bewußtsein, das Produkt der jeweiligen Sinnentätigkeiten ist:

im Sehbewußtsein, im Hörbewußtsein, im Riechbewußtsein,

im Schmeckbewußtsein, im Tastbewußtsein, im Denkbewußtsein

steht das All, ist es begründet,

und wenn du das Sehen, Hören, Riechen usw. einstellst,

wenn du also nichts mehr siehst, nichts mehr hörst, nichts mehr riechst,

nichts mehr schmeckst, nichts mehr tastest, nichts mehr denkst,

ist eben deshalb für dich Alles vernichtet, und es bleibt wiederum nur das reine Nichts übrig.

Wer möchte aber behaupten, daß dieses Nichts nun ein wirkliches Nichts, das absolute Nichts wäre,

das Nichts schlechthin und in jedem Sinn,

also kein bloßes relatives Nichts, kein nihil privativum, sondern das leibhaftige nihil negativum *?

* Vgl. Schopenhauer, W. a. W. u. V. I, § 71.

Besagt doch auch dieses umfassendste Nichts, das wir überhaupt noch denken können,

nur die Aufhebung sämtlicher Sinnenfunktionen, einschließlich des Denkens.

Wer fühlte auch nicht ohne weiteres, das, wie es Farben gibt, für die unser Auge nicht empfänglich ist

und die wir nur noch auf chemischem Wege feststellen können, wie ultraviolett,

und wie es Schwingungen gibt, die wir nicht mehr als Töne hören *,

* Vgl. Du Prei, Die Planetenbewohner und die Nebularhypothese, S. 116.

es ebenso auch ein hinter der gesamten sinnen- und Denktätigkeit Liegendes,

also ein hinter oder in dem sogenannten Nichts Liegendes geben kann?

Ja, wenn wir unsere Besonnenheit neuerlich betätigen,

wenn wir uns also besinnen,

so haben wir die Tatsache eines solchen ja bereits im bisherigen als die evidenteste Sache von der Welt,

nämlich als uns selbst, kennen gelernt,

indem wir uns selbst, unser tiefstes Wesen,

als nicht in den sechs Sinnentätigkeiten und deren Korrelaten bestanden zweifellos erkannt haben,

so daß wir eben hinter diesen stehen müssen,

mithin da, von woher unserem Erkennen das Nichts entgegengähnt.

 

Dieses so gefürchtete »Du bist nichts« besagt also im Grunde nur, was du schon lange weißt:

Du bestehst so wenig, wie in den Gestalten, den Tönen, den Düften, den Säften, dem Tastbaren

und den Vorstellungen, im Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten und Denken.

Du bist nichts von alledem

und damit, nachdem eben das auch die sämtlichen Komponenten der Welt, des Alls sind,

nichts von der Welt,

du bist in Wahrheit jenseits der Welt, jenseits des Alls,

oder im Geiste des Buddho ausgedrückt:

Alles ist nicht dein Selbst, »die ganze Welt ist anatta *«.

* Dhammapadam,V. 279. »Sabbe dhamma anatta«: »Alle Dinge sind nicht das Ich.«

 

Etwas anderes wollte natürlich auch Nagaseno nicht zum König Milindo sagen.

Beide sehen sich zum ersten Male und stellen sich demgemäß einander vor.

Nagaseno benützt in feinsinniger Weise die Gelegenheit, den König aufzuklären,

daß auch diese ganze Vorstellung, wie alles in der Welt, nur Täuschung

und daß er in Wahrheit für ihn gar nicht zu erfassen sei.

Der König betrachtet ihn nämlich selbstverständlich

der, wie heute, so auch damals herrschenden »gemeinen Meinung« gemäß als eine Person,

das heißt als eine substanzielle Wesenheit,

die sich in der bestimmten, ihm gegenüberstehenden Persönlichkeit auspräge,

als diese oder auch in ihr erscheine.

Das Grundfalsche dieser Ansicht will ihm Nagaseno dartun.

Zu diesem Zweck zeigt er ihm, daß die tatsächliche Unterlage des Begriffes Person

lediglich der als einheitlicher Organismus erscheinende »Haufen von Hervorbringungen«, von Sankhara,

also dieser sechs Fuß hohe, mit Wahrnehmung und Denken behaftete Körper ist *,

* Oben S. 64 und das spätere Kapitel »Die Sankhara«,

genau so, wie die tatsächlichen Unterlagen für den Begriff Wagen

die einzelnen Bestandteile des Wagens in ihrer ganz bestimmten Zusammensetzung bilden,

daß also damit in Wahrheit

der ganze Inhalt des Begriffes Person einerseits und Wagen andererseits erschöpft ist.

Fällt »der Haufen von Hervorbringungen«,

»dieser sechs Fuß hohe, mit Wahrnehmung und Denken behaftetet Körper« im Tode auseinander,

dann ist auch das, was man unter Nagaseno verstand, vollständig und definitiv untergegangen,

wie der Wagen untergegangen ist, wenn seine Bestandteile verbrannt werden.

Insbesondere bleibt nicht etwa die uns bereits wohlbekannte immaterielle oder geistige Substanz,

also eine Seele, übrig,

sondern eben nur mehr – das Nichts.

Aber – und nun kommt die Hauptsache,

die Nagaseno damals freilich noch als selbstverständlich vom König miterfaßt voraussetzen durfte

und die er eben deshalb nur stillschweigend mitgedacht hat:

»Das alles hin ich ja nicht, das gehört mir nicht, das ist nicht mein selbst.«

Von seinem wirklichen Selbst hat also Nagaseno in dem Dialog überhaupt mit keiner Silbe gesprochen.

Er hat genau, wie der Buddho – und wir werden bald sehen, warum – dem Milindo immer nur dargelegt,

daß dasjenige, was dieser als sein selbst erachte,

nur das bestandlose Gespenst des Nichtselbst, anatta sei.

 

So bin ich also immer noch, bin noch trotz der Darlegungen Nagasenos

und trotzdem ich nach dem Buddho selbst nichts bin, nämlich nichts von der Welt

– ein anderes Nichts kennen wir, wie ausgeführt, überhaupt nicht,

ja, können ein solches nicht einmal denken -,

wenn auch jetzt schon durchschimmert, daß dieses mein wirkliches Sein

ein Sein von ganz anderer Art als jenes den fünf Gruppen eigentümliche ist.

Es zeigt sich also, wie unbegründet die Verwirrung war,

in die wir uns durch das hereingeworfene Wort «nichts« haben stürzen lassen,

und das diese Verwirrung tatsächlich nur infolge Mangels an Besonnenheit möglich war.

Es zeigt sich andererseits weiterhin, wie begründet der fortwährende Hinweis darauf war,

daß durch keinerlei Nachweis dahin, was ich alles nicht bin,

je die Tatsache selbst aufgehoben werden kann, daß ich bin, in irgend einem Sinne sein muß.

In der Tat, um es zum letzten Mal festzustellen, welche Unklarheit des Denkens gehört dazu,

anzunehmen, ein verständiger Mann

– und als solchen werden den Buddho doch wohl auch seine Gegner gelten lassen –

könnte durch eine Beweisführung,

die sich ausgesprochenermaßen darauf beschränkt, dem Menschen nachzuweisen, was er nicht ist,

worin er nicht bestanden sein kann, die sich also darin erschöpft, der Reihe nach aufzuzeigen:

»Das bist du nicht und dieses bist du nicht und jenes bist du nicht«, die Absicht verfolgen,

letzten Endes zum Schluß zu gelangen:

»Also bist du überhaupt nicht, bist in keinem Sinne!«

Der ganze Beweis geht doch schon von der selbstverständlichen Voraussetzung aus,

daß derjenige, dem er geliefert werden soll, in Wirklichkeit in irgend einem Sinne sein muß.

 

Doch wollen wir zur Behauptung gleich wieder den Beleg liefern,

indem wir den Buddho selbst abermals sprechen lassen:

 

»Da ist einer, Mönche, ein Hoher Jünger,

der – (meine Botschaft) – gehört hat,

der die Hohen zu erkennen, die Hohe Lehre zu fassen vermag, in ihr wohl bewandert ist.

Der betrachtet den Körper nicht als sich selbst, noch sich selbst als körperhaft,

noch in sich selbst den Körper, noch im Körper sich selbst;

er betrachtet die Empfindung, die Wahrnehmung, die Gemütsregungen, das Erkennen

nicht als sich selbst, noch sich selbst als diesen ähnlich,

noch in sich selbst diese, noch in diesen sich selbst *.« (* Majj. Nik. III, p. 18 (109. Suttam))

Ist es auch nur denkbar,

aus diesen Worten herauszulesen, daß der Mensch sich in den fünf Gruppen erschöpfe?

Wird in ihnen nicht vielmehr sonnenklar die Tatsache, daß der Hohe Jünger ist,

als selbstverständlich vorausgesetzt und der Schwerpunkt nur darauf gelegt,

daß er etwas toto genere von den seine Persönlichkeit aufbauenden fünf Gruppen Verschiedenes ist?

 

Womöglich noch klarer kommt dies in der folgenden Stelle zum Ausdruck:

»Das Element der Erde  das Element des Wassers – das Element des Feuers –

das Element der Luft – das Element des Raumes – das Element des Bewußtseins *

* Die ersten fünf Elemente sind die Bestandteile des körperlichen Organismus, nama-rupam,

indem die sechs Elemente zusammen

eben wieder den »körperlichen Organismus mitsamt dem Bewußtsein« ergeben.

habe ich als uneigen begriffen

und mich nicht als im Element der Erde – des Wassers – des Feuers –

der Luft – des Raumes – des Bewußtseins bestanden *.« (* Majj. Nik. III, p. 31 (112. Suttam))

Hier wird doch expressis verbis ausgesprochen,

daß der Heilige sich als jenseits der fünf Gruppen und damit als jenseits der Welt erkennt.

 

Will man aber noch mehr Beweise haben,

daß der Buddho nicht den Blödsinn des absoluten Nihilismus lehrt,

Beweise, welche freilich derjenige nicht mehr braucht,

der bereits an sich selbst mehr oder minder anschaulich durch tiefe Betrachtung erkannt hat,

daß er in seinem eigentlichen Bestand

durch das allmähliche Hinschwinden der fünf Gruppen in keiner Weise berührt wird,

etwas von ihnen Verschiedenes ist,

so halte man sich zunächst folgende Stelle vor:

 

»Der Wanderasket Vacchagotto sprach zum Erhabenen so:

‚Wie ist das, lieber Gotamo: Ist das selbst?‘

Auf diese Worte hin verhielt sich der Erhabene schweigend.

 

‚Wie also, lieber Gotamo: Das selbst ist nicht?‘

Auf diese Worte hin verhielt sich der Erhabene abermals schweigend.

 

Da erhob sich der Wanderasket Vacchagotto von seinem Sitz und entfernte sich.

 

– Nicht lange, nachdem sich der Wanderasket Vacchagotto entfernt hatte,

sprach der ehrwürdige Anando zu dem Erhabenen so:

‚Herr, warum hat sich der Erhabene auf die Fragen des Wanderasketen Vacchagotto hin nicht erklärt?‘

 

‚Hätte ich, Anando, auf die Frage des Wanderasketen Vacchagotto: ‚Ist das selbst?‘

erklärt: ‚Das selbst ist‘,

so wäre, Anando, dadurch jenen Asketen und Brahmanen, welche die Ewigkeit lehren,

beigepflichtet worden *.

* Das heißt das Beharren des Selbstes in der Zeit als individuelle Seele.

 

‚Hätte ich, Anando, andererseits auf die Frage des Wanderasketen Vaechagotto: ‚Das selbst ist nicht.‘ erklärt: ‚Das selbst ist nicht‘,

so wäre, Anando, dadurch jenen Asketen und Brahmanen, welche die Vernichtung lehren,

beigepflichtet worden.

 

‚Und hätte ich, Anando, auf die Frage des Wanderasketen Vacchagotto: ‚Ist das selbst.‘

erklärt: ‚Das selbst ist‘,

wäre das wohl ein Mittel gewesen, in ihm die Erkenntnis entstehen zu lassen:

Alle Dinge sind nicht das Selbst *?‘

* Worauf es doch allein ankommt,

indem alle Erlösung ja eben in der Befreiung von den Bestandteilen des Nicht-selbst besteht.

‚Das freilich nicht, Herr.‘

 

»Hätte ich aber, Anando. auf die Frage des Wanderasketen Vacchagotto: ‚Das selbst ist nicht?‘

erklärt: »Das selbst ist nicht‘,

so würde das, Anando,

dem verworrenen Wanderasketen Vacchagotto nur noch mehr Verwirrung eingetragen haben:

‚Früher war doch mein selbst; jetzt aber ist es nicht *.‘« (* Samyutta Nik. XLIV, 10.)

 

In dieser Stelle rückt der Buddho also ausdrücklich von jenen Asketen und Brahmanen,

welche die Vernichtung lehren, ab.

Er wußte gar wohl, warum.

Denn auch schon zu seiner Zeit war kein Mangel an jenen seichten Köpfen,

die noch so sehr mit ihrer Persönlichkeit verwachsen sind,

daß in ihrem Gehirn für den Gedanken der Außerweltlichkeit ihres Wesens schlechterdings kein Platz ist

und die eben deshalb, wenn sie als das letzte Ziel der Lehre des Buddho

die definitive Vernichtung der Persönlichkeit im Tode des Heiligen vernehmen,

dies nur im Sinne der absoluten Vernichtung des Menschen zu deuten vermögen.

Sie kennen nur

die Alternative eines persönlichen – d. h. in den fünf Gruppen bestehenden – oder gar keines Ich,

die sie dann dahin lösen:

Von den fünf Gruppen sagt der Buddha, sie seien nicht-ich, also gibt es überhaupt kein Ich;

wonach also ein Heiliger ein Mensch wäre, der sich selbst absolut vernichtet –

fürwahr, ein sonderbarer Heiliger!

Eben deshalb muß jedem von ihnen bei der Heilsbotschaft des Buddho, »so zu Mute werden:

‚Vernichtet werde ich sein, oh, zu Grunde gegangen, ach, nicht mehr werde ich sein;‘

Er ist traurig, gebrochen, er jammert, schlägt sich stöhnend die Brust und gerät in Verzweiflung *.«

(* Majj. Nik. l, p. 137 (22. Suttam))

Um diese verschrobenen Köpfe unschädlich zu machen,

stellte der Buddho ihnen noch eigens den wirklichen Versteher seiner Lehre gegenüber,

dem angesichts der Lehre von der Vernichtung der Persönlichkeit »»kein unverständiges Zittern ankommt, nicht also zu Mute wird:

»Vernichtet werde ich sein, oh, zu Grunde gegangen, ach, nicht mehr werde ich sein *.«

(* Majj. Nik. l, p. 137 (22. Suttam))

Ja, er protestiert geradezu in furchtbar ernsten Worten gegen die lnsinuation,

als ob er die Vernichtung lehre:

»Einen Mönch, dessen Geist von ihm losgetrennt ist, noch aufzuspüren, daß sie sagen könnten:

»Dies ist das Substrat für das Bewußtsein eines Vollendeten,

gelingt selbst den Göttern, eingeschlossen lndra, Brahma und Pajapati, nicht.

Denn ich behaupte: ‚In der sichtbaren Wirklichkeit ist ein Vollendeter nicht ausfindig zu machen!‘

Und weil ich das behaupte, beschuldigen mich manche Asketen und Brahmanen falsch und zu Unrecht:

Ein Nihilist ist der Asket Gotamo,

er lehrt die Vernichtung, das Verschwinden, das Vergehen des vorhandenen Lebewesens.

Was ich nicht rede, dessen bezichtigen mich jene lieben Asketen und Brahmanen

grundloser, nichtiger Weise, falsch, mit Unrecht.

Nur eines, Mönche, verkündige ich heute wie früher:

das Leiden und seine Vernichtung *,« (* Majj. Nik. l. p. 140 (22. Suttam))

Worte, denen er anderweit * noch die folgenden anreiht:

(* Mahavaggo Vl, 31.)

»In einer Beziehung kann, Siho, wer wahr über mich redet, sagen:

»Die Vernichtung lehrt der Asket Gotamo,

zum Zweck der Vernichtung verkündet er seine Lehre und damit leitet er seine Schüler.‘

In welcher Beziehung könnte nun einer, der wahr über mich redet, so sagen?

Ich lehre die Vernichtung der Gier, die Vernichtung des Hasses, die Vernichtung der Verblendung;

ich lehre die Vernichtung der mannigfachen bösen, nicht zum Heil gereichenden Dinge.

In dieser Beziehung, Siho, kann, wer wahr über mich redet, sagen:

»Die Vernichtung lehrt der Asket Gotamo,

zum Zweck der Vernichtung verkündet er seine Lehre und damit leitet er seine Schüler‘.«

 

Freilich wäre dabei noch zu bemerken gewesen,

daß wir nicht in Gier, Haß und Verblendung u. den anderen mannigfachen bösen Dingen bestanden seien,

aber diese Konstatierung glaubte sich der Buddho, da er doch zu vernünftigen Leuten redete,

füglich schenken zu dürfen.

 

Besonders klar und über jedes Mißverständnis erhaben ist auch der folgende Dialog,

in welchem wir zugleich unsere bisherigen Ausführungen zusammengefaßt finden.

In einem Mönch mit Namen Yamako war die schlechte Ansicht entstanden:

»Ich verstehe die von dem Erhabenen verkündete Lehre dahin,

daß ein von der Beeinflußung * befreiter Mönch bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tod,

dem völligen Untergang, der Vernichtung anheimfallt und nicht mehr ist.«

* Sc. durch die fünf Komponenten der Persönlichkeit. –

Bezüglich des mit »Beeinflußung« übersetzten Wortes asavo siehe weiter unten.

 

Die Mönche unternahmen es, ihn zu belehren: »Sprich nicht so, Freund Yamako!

Unterschiebe dem Erhabenen nichts; dem Erhabenen etwas zu unterschieben ist nicht gut;

der Erhabene würde nämlich nicht so sprechen:

»Ein von der Beeinflussung befreiter Mönch fällt bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tod,

dem völligen Untergang, der Vernichtung anheim und ist nicht mehr‘.«

 

Da indessen Yamako auf seiner Ansicht beharrte, berichteten es die Mönche dem ehrwürdigen Sariputto, dem größten der Jünger des Buddho, »dem Jünger, der dem Meister gleicht, wie man sagt *.«

(* Majj. Nik. I, p. 150 (24. Suttam))

Sariputto unternimmt es, den Yamako folgendermaßen zu belehren:

 

»Freund Yamako, ist es wahr, wie man sagt. das in dir folgende schlechte Ansicht entstanden ist:

‚Ich verstehe die von dem Erhabenen verkündete Lehre dahin,

daß ein von der Beeinflußung befreiter Mönch bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tod,

dem völligen Untergang, der Vernichtung anheimfällt und nicht mehr ist‘?«

»Gewiß, Freund.«

 

»Was meinst du, Freund Yamako: Ist der Körper unvergänglich oder vergänglich?«

»Vergänglich, Freund.«

 

»Und was vergänglich ist, ist das leidvoll oder glückbringend?«

»Leidvoll, Freund.«

 

»Und was vergänglich, leidvoll, wandelbar ist. kann man das in diesem Sinne betrachten:

‚Das ist mein, das bin ich, das ist mein Selbst‘?«

»Gewiß nicht. Freund.«

 

»Ist die Empfindung, ist die Wahrnehmung, sind die Gemütstätigkeiten,

ist das Erkennen unvergänglich oder vergänglich?«

»Vergänglich. Freund.«

 

»Und was vergänglich ist, ist das leidvoll oder glückbringend?«

»»Leidvoll, Freund.«

 

»Und was vergänglich, leidvoll, wandelbar ist, kann man das in diesem Sinne betrachten:

»Das ist mein, das bin ich, das ist mein selbst‘?«

»Gewiß nicht. Freund.«

 

»Deshalb, Freund: Was es auch an Körper, was es auch an Empfindung,

was es auch an Wahrnehmung, was es auch an Gemütstätigkeiten, was es auch an Erkennen gibt,

vergangen, zukünftig oder gegenwärtig, eigen oder fremd,

grob oder fein, häßlich oder schön, fern oder nahe, –

alle diese Körper, Empfindungen, Wahrnehmungen, Gemütstätigkeiten und alles Erkennen

sollte man der Wirklichkeit gemäß in rechter Weisheit so erkennen:

‚Das ist nicht mein, das bin ich nicht, das ist nicht mein Selbst.‘

 

»Wenn, Freund, ein Hoher Jünger, der die Botschaft des Meisters gehört hat, solches durchschaut,

graust ihm vor dem Körper, vor der Empfindung,

vor der Wahrnehmung, vor den Gemütstätigkeiten, vor dem Erkennen.

Voll Grausen schreckt er vor ihnen zurück.

Weil er vor ihnen zurückschreckt, löst er sich von ihnen los.

In dem Los-gelösten erhebt sich das Wissen: ‚Ich bin losgelöst.‘

 

»Was meinst du nun, Freund Yamako:

Betrachtest du – (auch jetzt noch) – den Körper als den Vollendeten?«

»Das freilich nicht, Freund.«

 

»Betrachtest du die Empfindung als den Vollendeten?

Betrachtest du die Wahrnehmung oder die Gemütstätigkeiten oder das Erkennen als den Vollendeten?«

»Das freilich nicht, Freund.«

 

»Was meinst du, Freund Yamako:

Hältst du noch dafür, daß der Vollendete in dem Körper inbegriffen sei?«

»Das freilich nicht, Freund.«

 

»Hältst du dafür, daß der Vollendete außerhalb des Körpers sei?«

»Das freilich nicht, Freund.«

 

»Hältst du dafür, daß der Vollendete in der Empfindung oder in der Wahrnehmung

oder in den Gemütstätigkeiten oder im Erkennen inbegriffen sei?«

»Das freilich nicht, Freund.«

 

»Hältst du dafür, daß der Vollendete außerhalb der Empfindung oder außerhalb der Wahrnehmung oder außerhalb der Gemütstätigkeiten oder außerhalb des Erkennens sei?«

»Das freilich nicht, Freund.«

 

»Was meinst du, Freund Yamako:

Hältst du dafür, daß Körper, Empfindung, Wahrnehmung, Gemütstätigkeiten und Erkennen

(zusammen) den Vollendeten ausmachen?«

»Das freilich nicht, Freund.«

 

»Was meinst du, Freund Yamako: Hältst du dafür, daß der Vollendete

ohne Körper, ohne Empfindung, ohne Wahrnehmung, ohne Gemütstätigkeiten, ohne Erkennen sei?«

»Das freilich nicht, Freund *.«

* Natürlich sind die fünf Gruppen, solange wir an ihnen hängen, Qualitäten von uns,

aber es sind keine wesentlichen Qualitäten,

sie haben nichts mit unserem eigentlichen Wesen zu tun.

Daraus folgt: solange ich an ihnen hafte, bin ich selbstverständlich nicht ohne sie;

lasse ich sie aber fahren, so bin ich dadurch nicht in meinem Bestand berührt. –

Davon später ausführlich.“

 

»Da du nun, Freund Yamako, außerstande bist,

den Vollendeten selbst bei Lebzeiten wahrheitsgemäß und sicher ausfindig zu machen –

war es da richtig von dir zu erklären:

»Ich verstehe die von dem Erhabenen verkündete Lehre dahin,

daß ein von der Beeinflussung befreiter Mönch bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tod,

dem völligen Untergang-, der Vermehrung anheimfällt und nicht mehr ist‘?«

 

»Weil ich vorher unwissend war, Freund Sariputto, hatte ich diese schlechte Ansicht;

nachdem ich nun aber diese Darlegung der Hohen Lehre vorn ehrwürdigen Sariputto gehört habe. ist jene schlechte Ansicht von mir aufgegeben und ich habe die Hohe Lehre voll begriffen.«

 

»Wenn nun, Freund Yamako, dich jemand fragen würde:

‚Freund Yamako, was wird bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tod, aus einem Mönch,

der ein Meister und von der Beeinflußung befreit ist?‘ –

was würdest du, Freund Yamako, auf diese Frage hin erklären-«

 

»Wenn mich, Freund, jemand also fragen würde, dann würde ich auf diese Frage hin folgendes erklären:

‚Der Körper, Freund, ist vergänglich, was vergänglich ist, das ist leidvoll;

wleidvoll ist, das ist zur Aufhebung gelangt, das ist verschwunden.

Die Empfindung, die Wahrnehmung, die Gemütstätigkeiten, das Erkennen ist vergänglich;

was vergänglich ist, das ist leidvoll;

was leidvoll ist, das ist zur Aufhebung gelangt, das ist verschwunden.‘

Dies, Freund, würde ich auf jene Frage hin erklären.«

 

»Gut, gut, Freund Yamako! Ich will dir aber noch ein Gleichnis geben, Freund Yamako,

damit du diesen Gegenstand in noch höherem Grad erkennst.

»Angenommen, Freund Yamako,

es wäre da ein sehr reicher, begüterter, mit viel Schutz umgebener Haushalter oder Haushalterssohn,

und diesem wäre ein Mann feindlich, unfreundlich, übelwollend gesinnt

und trachtete ihm nach dem Leben.

Diesem Mann käme nun folgender Gedanke:

‚Dieser Haushalter oder Haushalterssohn ist sehr reich, sehr begütert, mit viel Schutz umgeben;

ich werde ihn nicht gut mit Gewalt töten können;

wie wäre es, wenn ich mich bei ihm einschmeichelte und ihn dann tötete?‘

Und angenommen, er begäbe sich zu dem Haushalter oder Haushalterssohn und spräche so:

‚Herr, ich möchte in deine Dienste treten‘,

und der Haushalter oder Haushalterssohn nähme ihn in seine Dienste.

Und angenommen, er diente ihm, indem er vor ihm aufstünde

und nach ihm sich niederlegte, und wäre willig, zuvorkommend und in seinen Worten freundlich.

Und jener Haushalter oder Haushalterssohn behandelte ihn wie einen Freund,

behandelte ihn wie einen Genossen und würdigte ihn seines Vertrauens,

und wenn nun, Freund, dieser Mann inne würde:

‚Der Haushalter oder Haushalterssohn würdigt mich seines Vertrauens‘,

und er träfe ihn an einem einsamen Orte und tötete ihn mit einem scharfen Schwert:

 

»Was meinst du wohl, Freund Yamak:

War dieser Mann damals, als er sich zu jenem Haushalter oder Haushalterssohn begab und so sprach:

‚Herr, ich möchte in deine Dienste treten‘ – ein Mörder,

obwohl jener von ihm, der ein Mörder war, nicht wüste: ‚Er ist mein Mörder‘? –

 

»Und war er auch damals ein Mörder. als er jenem diente, indem er vor ihm aufstand

und nach ihm sich niederlegte, und willig, zuvorkommend und in seinen Worten freundlich war –

obwohl jener von ihm, der ein Mörder war, nicht wüßte: ‚Er ist mein Mörder‘? –

 

»Und war er auch damals ein Mörder, als er jenen an einem einsamen Ort traf

und ihn mit einem scharfen Schwert tötete –

obwohl jener von ihm, der ein Mörder war, nicht wußte: ‚Er ist mein Mörder‘?«

»Freilich war er es, Freund.«

 

»Genau ebenso, Freund, verhält es sich mit einem Weltmenschen,

– (die Botschaft des Meisters) – nicht gehört hat, die Hohe Lehre nicht kennt.

Ein solcher betrachtet den Körper als sich selbst

oder sich selbst als körperhaft oder in sich selbst den Körper oder in dem Körper sich selbst.

 

»Er betrachtet die Empfindung, die Wahrnehmung, die Gemütstätigkeiten,

das Erkennen als sich selbst oder sich selbst als mit ihnen begabt

oder sie als in sich inbegriffen oder sich als in ihnen inbegriffen.

 

»Er erkennt nicht der Wirklichkeit gemäß, daß der Körper, daß die Empfindung,

daß die Wahrnehmung, daß die Gemütstätigkeiten, daß das Erkennen, vergänglich sind.

 

»Er erkennt nicht der Wirklichkeit gemäß, daß der Körper, daß die Empfindung,

daß die Wahrnehmung, daß die Gemütstätigkeiten, daß das Erkennen leidvoll sind.

 

»Er erkennt nicht der Wirklichkeit gemäß, daß der Körper, daß die Empfindung,

daß die Wahrnehmung, daß die Gemütstätigkeiten, daß das Erkennen nicht er selbst sind.

 

»Er erkennt nicht der Wirklichkeit gemäß, daß der Körper, daß die Empfindung,

daß die Wahrnehmung, daß die Gemütstätigkeiten, daß das Erkennen hervorgebracht sind.

 

»Er erkennt nicht der Wirklichkeit gemäß, daß der Körper, daß die Empfindung,

daß die Wahrnehmung, daß die Gemütstätigkeiten, daß das Erkennen Mörder sind *.

* d. h. also, in Beziehung zu dem vorhergehenden Gleichnis gebracht,

er betrachtet die fünf Haftensgruppen als seinen Freund,

während sie in Wahrheit sein Feind sind, indem sie ihm den Tod bringen.

 

»Er unterliegt dem Körper und haftet an ihm und versteift sich darauf: ‚Es ist mein selbst.‘

Er unterliegt der Empfindung, der Wahrnehmung den Gemütstätigkeiten, dem Erkennen

und haftet daran und versteift sich darauf: ‚Es ist mein selbst.‘

Und die fünf Gruppen des Haftens gereichen ihm, der ihnen unterliegt, der an ihnen haftet,

für lange Zeit zum Unheil und Leiden.

 

»Aber ein Hoher Jünger, Freund, der – (die Botschaft des Meisters) – gehört hat, die Hohe Lehre kennt,

betrachtet den Körper nicht als sich selbst,

noch sich selbst als körperhaft, noch den Körper als in sich selbst, noch sich selbst als im Körper.

 

»Er betrachtet nicht die Empfindung, die Wahrnehmung,

die Gemütstätigkeiten, das Erkennen als sich selbst,

noch sich selbst als mit ihnen hegabt, noch sie als in sich selbst, noch sich selbst als in ihnen inbegriffen

 

»Er erkennt der Wirklichkeit gemäß, daß der Körper, daß die Empfindung,

daß die Wahrnehmung, daß die Gemütstätigkeiten, daß das Erkennen vergänglich sind.

 

»Er erkennt der Wirklichkeit gemäß, daß der Körper, daß die Empfindung,

daß die Wahrnehmung, daß die Gemütstätigkeiten, daß das Erkennen leidvoll sind.

 

»Er erkennt der Wirklichkeit gemäß, daß der Körper, daß die Empfindung,

daß die Wahrnehmung, daß die Gemütstätigkeiten, daß das Erkennen nicht er selbst sind.

 

»Er erkennt der Wirklichkeit gemäß, daß der Körper, daß die Empfindung,

daß die Wahrnehmung, daß die Gemütstätigkeiten, daß das Erkennen hervorgebracht sind.

 

»Er erkennt der Wirklichkeit gemäß, daß der Körper, daß die Empfindung,

daß die Wahrnehmung, daß die Gemütstätigkeiten, daß das Erkennen Mörder sind.

 

»Er unterliegt nicht dem Körper und haftet nicht an ihm, noch versteift er sich darauf: ‚Es ist mein selbst.‘ Er unterliegt nicht der Empfindung, nicht der Wahrnehmung,

nicht den Gemütstätigkeiten, nicht dem Erkennen

und heftet nicht daran, noch versteift er sich darauf: ‚Es ist mein selbst.‘

Und diese fünf Gruppen des Haftens gereichen ihm, der ihnen nicht unterliegt, der an ihnen nicht haftet, für lange Zeit zum Heil und Glück *. (* Samyutta Nikäyo Ill, p. 109 flg. (XXII, 85))

 

In diesem Dialog wird also, ganz im Einklang mir den bisherigen Darlegungen,

als selbstverständlich vorausgesetzt,

daß der erlöste Heilige auf jeden Fall ist, mag er im Übrigen sein, was er will,

andererseits aber wiederum dargetan, worin er unmöglich bestanden sein kann,

nämlich in den fünf die Persönlichkeit konstituierenden Gruppen.

Der definitive Wegfall dieser fünf Gruppen findet im Tode statt.

Der Vorgang, den wir Tod nennen,

ist mithin für den Heiligen weiter nichts als die Vernichtung desjenigen an ihm,

was, weil von dieser Welt, vergänglich, leidvoll, hervorgebracht ist

und eben damit nicht sein wahres Wesen, nicht sein wirkliches selbst bildet.

Nur dieses ihm im Grunde Fremde ist »zur Aufhebung gelangt«.

Dieses Verhältnis verkennt »der die Buddhabotschaft nicht kennende Weltmensch«,

der die Bestandteile seiner Persönlichkeit in Beziehung zu seinem eigentlichen Wesen bringt,

indem er sich darauf versteift: »Es ist mein selbst.«

Eben dadurch aber verliert er sich vollständig in seine Persönlichkeit,

geht so vollkommen in ihr auf, daß er sich nun auch wirklich in sie verloren hat.

Damit sieht er sich dann selbst dem Tode verfallen:

die fünf Komponenten der Persönlichkeit werden zu Mördern, die ihm den Tod bringen werden,

insbesondere zu Mördern des uns allein angemessenen Zustandes der Freiheit von diesen fünf Gruppen,

welcher Zustand, wie wir später sehen werden, ein solcher unaussprechlichen Friedens ist,

einen Gedanken, den wir übrigens auch in den anderen Worten wiederfinden:

»Wer, Brüder, nicht den Einblick in den Körper kostet, der kostet wahrlich nicht das Unvergängliche.

Nur wer den Einblick in den Körper kostet, kostet, fürwahr, das Unvergängliche *.«

* Angutt. Nik. I, 21. – Damit vgl. auch Dhammapadam. V. 375:

„Wenn er Entstehen und Vergehen der Gruppen deutlich hat gesehen,

erlangt er Glück und Seligkeit als Seher des Unsterblichken.“

 

Endlich mögen noch die folgenden zwei Aussprüche des Buddho angeführt werden,

in welchen er in geradezu feierlicher Weise die Existenz des Reiches der Leidlosigkeit verkündet,

das allein uns im Grunde entspricht und deshalb als unsere eigentliche Heimat zu betrachten ist:

 

»Es gibt, Mönche, ein nicht Geborenes, nicht Gewordenes, nicht Gemachtes,

nicht durch schaffende Tätigkeit Hervorgebrachtes.

Wenn es, Mönche, dieses nicht Geborene, nicht Gewordene, nicht Gemachte,

nicht durch schaffende Tätigkeit Hervorgebrachte nicht gäbe,

dann wäre hier ein Entrinnen aus dem Geborenen, Gewordenen, Gemachten,

durch schaffende Tätigkeit Hervorgebrachten nicht zu erkennen.

Weil es nun aber, Mönche, ein nicht Geborenes, nicht Gewordenes, nicht Gemachtes,

nicht durch schaffende Tätigkeit Hervorgebrachtes gibt,

darum läßt sich ein Entrinnen aus dem Geborenem Gewordenen, Gemachten, durch schaffende Tätigkeit Hervorgebrachten erkennen *.« (* Udanam VIII, 3.)

 

»Es gibt, Mönche, jenes Gebiet, wo nicht Erde noch Wasser ist, nicht Feuer noch Luft,

nicht unendliches Raumgebiet, noch unendliches Bewußtseinsgebiet,

noch das Gebiet der Nicht-irgendetwasheit,

noch das Gebiet der Weder-Wahrnehmung-noch auch-Nichtwahrnehmung,

nicht diese Welt noch eine andere Welt, nicht beides, Mond und Sonne.

Das nenne ich, Mönche, weder Kommen noch Gehen, noch Bestehen noch Vergehen noch Entstehen,

was nicht selber wieder auf einer Grundlage ruht, nicht in Fluß ist, keinen Untergrund hat:

eben das, eben dieses ist das Ende des Leidens.

 

»Schwer zu sehen, wahrlich, ist das Nicht-selbst, nicht leicht zu sehen ist ja die Wahrheit *.«

(* Udanam VIlI. I. 2)

 

Also der Mensch ist, ist unabhängig von seiner Persönlichkeit und auch nach Vernichtung derselben:

Das ist das gewaltige, auf Grund eigener anschaulicher Erkenntnis gewinnbare Resultat

der Lehre des Buddho *.

* Gewinnbar durch Durchschauung des Bereiches des Nicht-Ich:

»Schwer zu erkennen ist freilich das Nicht-selbst«, nämlich als solches.

 

In so scharfen Umrissen sich diese Grundwahrheit aus der Lehre heraushebt,

so sehen wir doch schon aus den bisher angeführten Stellen der Sutten zugleich,

daß der Buddho und seine Jünger

es andererseits mit einer in die Augen springenden Absichtlichkeit vermeiden,

den Zustand des Vollendeten nach dem Tod,

das heißt also eben nach vollständiger Abstreifung der Persönlichkeit,

mithin auch unser eigenes Wesen unabhängig von der Persönlichkeit, irgendwie positiv zu bestimmen.

stets und ausnahmslos wird hiervon nur in negativen Ausdrücken gesprochen;

ja, der Buddho lehrt sogar,

daß einem richtigen Mönch nicht einmal mehr der Gedanke an das Ich aufsteigen dürfe.

Dieser Umstand ist dann für verständnislose Leute das Hauptargument dafür geworden,

dem Buddho trotz alles Bisherigen

und trotzdem er insbesondere in gar nicht mehr zu überbietender Weise betont,

daß, was im Tode zugrunde geht, nur die Bestandteile des Nicht-selbst seien,

die Ungeheuerlichkeit zu imputieren,

daß er die absolute Vernichtung des Menschen im Tode des Heiligen lehre.

Für den aber, der seinem Gedankengang zu folgen vermag,

ist auch diese Ablehnung aller und jeder irgendwie positiven Bestimmung des wahren Menschen

– was wir als solchen bezeichnen, ist nur der Scheinmensch – ohne weiteres klar.

Wir haben den Grund hierfür ja auch schon kennen gelernt.

Er liegt darin, daß der wahre Mensch,

wie er im Tode des Heiligen völlig rein und von allen Schlacken der Persönlichkeit befreit, hervorgeht,

jenseits der Welt und damit der Erkenntnis auf ewig unzugängliches Gebiet entrückt,

für diese das Nichts ist, ein Nichts,

dessen Bedeutung aber, um es noch einmal zu betonen, eben weil es nur ein Nichts für die Erkenntnis,

das heißt das Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten und Denken ist,

sich darin erschöpft, daß es nichts Erkennbares ist.

Wo aber für die Erkenntnis der Schleier des Nichts sich herabsenkt,

da hört eben deswegen auch alle und jede positive Begriffsbestimmung,

sogar jene des Seins auf,

ja, es ist nicht einmal mehr Raum für das bloße Wort Ich in seiner positiven Form.

Etwas Besonnenheit wird auch dies aufweisen.

 

Dabei müssen wir uns wiederum der grundlegenden Aufhellung Schopenhauers

über das Zustandekommen der Begriffe erinnern, wonach diese kein ursprünglich Reales,

sondern das künstliche, aus der Anschauung herausdestillierte Produkt der Vernunft sind,

mithin ihren ganzen Gehalt nur im anschaulich Gegebenen,

das heißt in der Welt der Sinne, haben, eben weshalb sie immer nur von immanentem,

nie aber von transzendentem Gebrauche sein können und dürfen.

Das wird gewöhnlich selbst von denen,

welche diese Erkenntnis als eine abstrakte sich angeeignet haben,

gerade hinsichtlich der Grundbegriffe Ich und sein übersehen, speziell bezüglich des Begriffes sein gilt,

was Schopenhauer den Deutschen vorwirft:

»Bei gewissen Worten,

wie da sind Recht, Freiheit, das Gute, das Sein (dieser nichtssagende Infinitiv der Kopula)

  1. a. m. wird dem Deutschen ganz schwindelig.

Er gerät alsbald in eine Art Delirium

und fängt an, sich in nichtssagenden, hochtrabenden Phrasen zu ergehen,

indem er die weitesten, folglich hohlsten Begriff künstlich aneinanderreiht;

statt das er die Realität ins Auge fassen und die Dinge und Verhältnisse leibhaftig anschauen sollte,

aus denen jene Begriffe abstrahiert sind und die folglich ihren alleinigen wahren Inhalt ausmachen *.«

* Parerga ll, 263 (247).

Wollen wir deshalb den Inhalt des Begriffes sein einmal nüchtern feststellen-

 

Das Urteilen besteht darin, einem Subjekt ein Prädikat beizulegen oder abzusprechen.

Dieses Verhältnis des Prädikats zum Subjekt wird durch die Kopula »ist – ist nicht« ausgedrückt. Insbesondere ist in dieser Weise auch jedes Verbum mittels seines Partizips ausdrückbar.

Demnach ist die Bedeutung der Kopula, das im Subjekt das Prädikat mitzudenken sei – nichts weiter *.

* Schopenhauer. W. a. W. u. V. Il, s. 114, 115 (122).

Nun sind aber alle Prädikate, die dem Subjekt nur je beigelegt werden können,

durch die Erfahrung bedingt, das heißt, jedes nur mögliche Prädikat

wird durch einen der sechs Sinne vermittelt, gehört in den Bereich eines solchen.

Die sechs sinne und ihre Objekte sind ja, wie wir bereits gesehen haben, alles.

Die allgemeinsten und letzten Prädikate,

die einem Subjekte beigelegt oder abgesprochen werden können

und in denen alle anderen Prädikate potentiell enthalten sind,

sind also das Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten und Denken.

Nur auf diese Grundprädikate kann deshalb auch die Kopula sein letzten Endes sich beziehen:

ich bin ein schanden Hörender, Riechender, Schmeckender, Tastender, Denkender –

gleichviel, ob dies positiv zum Ausdruck kommt oder die Kopula scheinbar selbständig gebraucht wird:

»ich bin, du bist, er ist«,

indem dabei wenigstens immer zu ergänzen ist: »Ein Sehender, Hörender, … Denkender«.

Zum mindesten muß die Kopula letzteres Prädikat, also das Denken, dem Subjekt beilegen:

cogito, ergo sum, sc. cogitans.

Hebe ich alle diese Prädikate auf, insbesondere auch das Denken,

dann verliert auch die Kopula sein jeden Inhalt,

sie wird zum »bloßen Wort im Gehirn«, dem nichts mehr entspricht, das heißt, sie wird selbst zu nichts.

Nun wirft der Heilige im Tode in der Tat mit den sechs Sinnesorganen

alles Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten und Denken ab.

Es hat also auch keinen Sinn mehr, von ihm zu sagen,

er sei, eben weil alles Sein nur im Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten und Denken besteht.

 

Ebenso verkehrt wäre es nun aber auch zu sagen, der erlöste Heilige sei nicht.

Gewiß, er ist nicht mehr im eigentlichen Sinn des Wortes,

er ist also kein Sehender, Hörender, Riechender, Schmeckender, Tastender, Denkender mehr

und damit für unser Erkennen, das sich ja ebenfalls nur in dieser sechsfachen Richtung bewegt, verschwunden, zu nichts geworden.

Aber wir haben schon gesehen, daß dieses von uns allein begreifbare sein nicht das sein schlechthin,

sondern nur eine bestimmte Art von sein ist,

wie eben deshalb auch unser Begriff Nichts nicht das absolute,

sondern nur ein relatives Nichts ist, ein Nichts nur für unser Erkennen.

Nun hat sich aber der Mensch, weil er sich infolge seines Mangels an Besonnenheit

ganz und gar mit dem in den sechs Sinnentätigkeiten bestehenden sein identifiziert,

daran gewöhnt, den Begriff Nichtsein nicht in seinem eigentlichen und richtigen Sinne

als den eines bloßen relativen, in der Abwesenheit aller Sinnentätigkeiten bestehenden, Nichtseins,

sondern als ein Nichtsein im absoluten Sinn zu nehmen,

wie er ja auch dementsprechend den Begriff Nichts, in seinem weitesten Umfang genommen,

gemeinhin im absoluten Sinn, als das Nichts schlechthin, auffaßt.

Er dehnt also die Begriffe Nichtsein und Nichts über den Bereich,

aus dem sie abgezogen sind und für den allein sie deshalb auch nur Geltung halten, hinaus aus,

sie werden ihm statt von immanentem von transzendentem Gebrauche,

und so gerät er in den folgenschweren Trugschluß,

daß mit dem Aufhören des in den sechs Sinnentätigkeiten bestehenden seins das Nichtsein schlechthin, das absolute Nichts-, statthabe.

Eben um diesen Trugschluß hintanzuhalten, darf man auch nicht sagen,

daß der erlöste Heilige nicht sei, obwohl er für unser Erkennen nichts geworden ist.

 

Die Sachlage ist kurz die: Die Kopula sein ist der weiteste aus der Erfahrung abgezogene Begriff,

von der Vernunft zu dem Zweck gebildet, dem Subjekt irgend ein Prädikat beizulegen oder abzusprechen.

Ihre Anwendung verbietet sich also in dem Augenblick, wo ein von allen Prädikaten,

also von allem Sehen, Hören, Riechen. schmecken, Tasten und Denken freies Subjekt in Frage kommt.

Weil es hier gar kein Prädikat mehr gibt, das diesem bloß Subjektiven noch zugesprochen werden könnte,

hat eben auch die Kopula sein,

die bloß ausdrücken soll, das im Subjekt irgend ein Prädikat mitzudenken sei, keinen Sinn mehr.

Dadurch, daß es seiner Prädikate entkleidet wird,

wird nun aber natürlich nicht etwa auch dieses subjektive selbst zu nichts,

wenn es auch als Subjekt, das heißt als Träger der Prädikate, aufgehört hat,

wenigstens dann nicht, wenn, wie hier, alle diese Prädikate, wie wir bereits gesehen haben,

ihm gar nicht wesenhaft zugehören, ihm im Grunde etwas Fremdes sind.

Aber wir können es nicht mehr fassen, weil, was wir zu fassen imstande sind,

überhaupt nur diese Prädikate waren, von denen es aber nunmehr frei ist *.

* Unser Erkenntnisapparat ist nur für diese Prädikate eingerichtet

und deshalb auch ausschließlich auf sie, also nach außen, auf die Bestandteile des Nicht-selbst gerichtet,

kann also auch nicht unser eigenes dahinterstehendes Wesen beleuchten:

»Nach auswärts bohrte die Höhlungen der An-sich-seiende:

darum sieht man nach außen, nicht aber im inneren selbst« (Kathaka-Up. 4. I) –

Den gleichen Gedanken drückt Schopenhauer, wie folgt, aus:

»Das Ich ist der finstere Punkt im Bewußtsein,

wie auf der Netzhaut gerade der Eintrittspunkt des Sehnerven blind ist,

wie das Gehirn selbst völlig unempfindlich, der Sonnenkörper finster ist

und das Auge Alles sieht, nur sich selbst nicht.

Unser Erkenntnisvermögen ist ganz nach Außen gerichtet . . .

Daher weiß jeder von sich nur als von diesem Individuo. …

Könnte er hingegen Zum Bewußtsein bringen was er noch überdies and außerdem ist;

so würde er seine Individualität willig fahren lassen,

die Tenacität seiner Anhänglichkeit an dieselbe belächeln«.

(Schopenhauer, W. a. W. u. V. ll, 560 [F77]).

Wir stoßen hier also auf ein Sein, das in unserem Sinn kein Sein mehr ist,

wir sind an den Toren des Unerkennbaren, des Transzendenten angelangt:

Kein Auge kann es sehen, kein Ohr hören, keine Nase riechen,

keine Zunge schmecken, kein Tastorgan tasten, kein Denkorgan mehr denken;

und weil so das Subjektive in uns jenseits aller Wahrnehmung liegt –

»es gibt eine Entrinnung in das Jenseits des Wahrnehmungsbereiches *« (* Majj. Nik. l, p. 38 (7. Suttam))

– deshalb paßt auch kein Begriff und demzufolge auch kein Wort mehr für dasselbe.

Der Buddho selbst führt diesen Gedankengang in Digha Nikayo XV, wie folgt, aus:

Zunächst legt er dar, das man von unserem wahren Ich auf keinen Fall sagen könne,

es bestehe in den Empfindungen, es sei – zufolge seiner inneren Wesenheit – empfindend,

da ja die Empfindungen selbst wieder

durch die Sinnentätigkeiten des uns offensichtlich wesensfremden körperlichen Organismus bedingt sind,

erst durch sie erzeugt werden, also bloß als ein Fremdes in uns aufsteigen.

Sodann kommt er auf die hiernach noch allein verbleibende Annahme zu sprechen,

daß dann unser Ich eben empfindungsfrei sein müsse, und führt nun nach dieser Richtung aus:

»Da wäre denn, Anando, einem, der gesagt hat:

»Nicht doch ist bei mir die Empfindung das Ich, empfindungsfrei ist mein Ich‘, also zu antworten:

‚Wo es eher, Freund, gar keine Empfindbarkeit mehr gibt, kann da ein ‚lch hin‘ sein‘?« –

welche Frage Anando so beantwortet:

»Freilich nicht, oh Herr.« –

Auch der Buddho spricht also hier direkt aus,

daß die Kopula Sein nur innerhalb des Bereiches der Empfindungen

als des Bereiches möglicher Wahrnehmung Sinn hat,

indem das äußerste und weiteste Prädikat,

das durch sie noch mit dem Subjekt in Verbindung gebracht werden kann,

eben das Empfinden ist – ‚Ich bin‘, nämlich ein Empfindender *

* Das ist im Grunde dasselbe, wie ‚ich bin‘. sc. ein Sehender, Hörender, Riechender … Denkender,

da ja jede Sinnentätigkeit in der durch sie hervorgerufenen Empfindung aufgeht

(cfr. das Kap. über die Persönlichkeit).

und daß darüber hinaus, also wenn wir uns empfindungsfrei gemacht haben,

auch nicht mehr gesagt werden kann, unser Ich sei *.

* lm einzelnen gilt folgendes:

‚Das Empfinden kommt mir nicht zu, weshalb ich es aufzugeben haben das ist richtig. –

‚Also bin ich empfindungsfrei‘: das ist schon falsch,

weil in diesem Satz ein Schimmer von etwas Positivem enthalten ist,

nämlich: ich bin, wenn auch empfindungsfrei. –

Man kann vielmehr nur sagen: ich muß empfindungsfrei werden;

oder: der Heilige hat sich empfindungsfrei gemacht.

 

Erweist sich aber so auch der weiteste Begriff, den der Mensch überhaupt bilden kann,

nämlich der des seins, auf unser wahres Wesen als unanwendbar,

dann ist damit natürlich auch jegliche Ansicht über dasselbe als unzutreffend, ja, als unmöglich erkannt:

 

»Wollte man, Anando, von einem – (schon zu seinen Lebzeiten innerlich auch) –

von seinem Geist losgelösten Mönche etwa sagen,

er habe die Ansicht: ‚Ein Vollendeter ist nach dem Tode‘

oder, er habe die Ansicht: ‚Ein Vollendeter ist nicht nach dem Tode‘,

oder, er habe die Ansicht: ‚Ein Vollendeter ist und ist nicht nach dem Tode‘,

oder er habe die Ansicht: ‚Weder ist, noch ist nicht ein Vollendeter nach dem Tode‘,

so träfe das alles nicht zu.

Und warum nicht?

Soweit, Anando, eine Benennung reicht, soweit die Bahn der Benennung reicht,

soweit eine Erklärung reicht, soweit die Bahn der Erklärung reicht, soweit eine Darstellung reicht,

soweit die Bahn der Darstellung reicht, soweit die Weisheit reicht, soweit die Bahn der Weisheit reicht,

soweit ein Kreis reicht, soweit ein Kreis einkreist:

soweit kreist der Kreis ein« * **.

* d. h. also: So weit der Bereich der Ansichten reicht, soweit können Ansichten bestehen.

Hier aber ist dieser Bereich überschritten. Digha Nik. XV.

 

* Ungehörig wäre mithin insbesondere auch die Ansicht,

der Erlöste bleibe wenigstens ein mit sich selbst Identisches, also der Begriff des Beharrens:

Weil man vom Erlösten nicht einmal sagen kann: ‚Er ist‘,

deshalb kann man um so weniger sagen:

‚Er ist ein mit sich selbst Identisches.‘ –

Es gibt überhaupt kein mit sich selbst Identisches,

weder innerhalb der Welt – insbesondere ist die Persönlichkeit kein solches –

noch kann mein wahres Wesen so definiert werden,

weil auch der Begriff der Identität, als aus der Erfahrung abgezogen,

eine Aufeinanderfolge von Veränderungen, also mindestens zwei Zeitmomente, voraussetzt,

während der etwas mit sich selbst identisch sein soll,

im gestorbenen Erlösten aber jede Veränderung und damit auch die Zeit aufgehoben ist. –

Solange er lebt, entsteht freilich der Schein eines mit sich selbst Identischen,

indem er in seinem tiefsten Grunde von dem Wechsel der Veränderungen unberührt bleibt –

cfr. oben. S. 96/97, Anm. 118.

Daß das in der Tat bloßer Schein ist und, streng genommen,

auch schon zu Lebzeiten des Erlösten

nicht von einem Beharren seiner selbst gesprochen werden kann,

wird eben mit seinem Tode deutlich,

von dem ab wegen Aufhörens aller Zeit auch der Ausdruck ‚Beharren‘ keinen Sinn mehr hat.

womit feststeht, daß er auch schon zu seinen Lebzeiten

kein Beharrender im eigentlichen Sinn des Wortes gewesen sein konnte,

indem der Tod ja nicht ihn selbst, sondern nur die Bestandteile des Nicht-Ich berührte.

Es trifft also auch der Begriff des Beharrens oder der ldentität die Sache nicht,

vielmehr kann sie immer nur durch negative Ausdrücke, wie ‚unveränderlich‘, ‚todlos‘,

einwandfrei charakterisiert werden. –

sehr scharfsinnig und im Geiste des Buddho bemerkt sehelling in dieser Richtung:

»Insofern das Ich ewig ist, hat es gar keine Dauer.

Denn Dauer ist nur in Bezug auf Objekte denkbar.

Man spricht von einer Ewigkeit der Dauer (aeviternitas), das ist von einem Dasein in aller Zeit, aber Ewigkeit im reinen sinn (aeternitas) ist sein in keiner Zeit.

Die reine Urform der Ewigkeit liegt im Ich.« –

 

Damit trifft auch nicht zu, daß ein in solchem Wissen erlöster Mönch die Ansicht habe:

»Ein in solchem Wissen erlöster Mönch erkennt nicht mehr, sieht nicht mehr.‘«

 

Der Rest ist vielmehr  Schweigen:

»Om, Amitaya! Miß mit Worten nicht

Das Unermeßliche, nicht mit Denken steig’

Ins Unergründliche: es irrt, wer fragt

Und wer erwidert. Schweig *!« (* Arnold, Die Leuchte Asiens. S.177)

 

 

Oder, wie es im Kanon selbst heißt:

»Wie ausgeweht vom Winde das Licht entschwindet, entrückt so jeder Art Benennung:

so entschwindet, befreit von seinem geisterzeugenden Körper, auch der Weise,

entrückt so jeder Art von Benennung.« –

»Kein Maß gibt es für den, der heimgegangen.

Beschreibe ihn – (!) -, wie du willst, es trifft ihn – (!) – nimmer.

Wo alle Dinge sind vernichtet, sind vernichtet auch alle Möglichkeiten der Benennung * **.«

* Suttanipato, V. 1074, 1076.

 

* Erwägt man. daß das, was wir Gott nennen, wenigstens soweit dieser Gott innerlich erlebt wird,

eben unser ureigenstes innerstes Wesen ist,

wie das bei der Lektüre der christlichen Mystiker,

besonders des Frankfurter (Theologia deutsch),

des Meisters Eckhart

und des Angelus Silesius,

in die Augen springt,

so wird man auch die völlige Konsonanz der folgenden Worte Schopenhauers

mit den bisherigen Ausführungen ohne weiteres einsehen:

»Wir dürfen von solchem Gott keine andere Theologie haben.

Als gerade die, welche Dionysius Areopagita gibt in seiner Theologia mystica,

die bloß in der Auseinandersetzung besteht,

daß von Gott sich alle Prädikate verneinen, aber keines bejahen läßt,

weil er über alles sein und alle Erkenntnis hinausliegt, welches Dionysius ‚Jenseits‘ nennt –

(der Buddho spricht vom »anderen Ufer«) –

und als ein unserer Erkenntnis durchaus Unzugängliches bezeichnet.

Diese Theologie ist die einzig wahre, nur hat sie gar keinen Inhalt,

sie sagt und lehrt eingeständlich nichts

und besteht bloß in der Erklärung, daß sie dies wohl wisse und dem nicht anders sein könne«

(Frauenstaedt, Schopenhauers handschrifl. Nachl., S. 436.)

 

Im Übrigen vgl. man besonders die folgenden Worte des Angelus Silesius:

»lch bin ein seligs Ding, mag ich ein Unding sein,

Das allem, was da ist, nicht kund wird noch gemein,«

sowie die Stelle aus Merswins Buch von den neun Felsen:

»Sage mir, Herzelieb meins, wie spricht man von diesen Menschen

oder wie heißen diese Menschen, die in ihren Ursprung gesehen? –

Das will ich dir sagen, du sollst wissen, daß diese Menschen ihren Namen verloren haben

und sind namenlos worden, dem Meer dieser Welt – [Samsaro] – auf ewig entfahren.«

 

»Bleibt, Bruder,

nach der restlosen, spurlosen Aufhebung der sechs Berührungsgebiete etwas anderes übrig?«

»Laß es nur gut sein, Bruder!«

 

»Bleibt, Bruder,

nach der restlosen, spurlosen Aufhebung der sechs Berührungsgebiete nichts mehr übrig?«

»Laß es nur gut sein, Bruder!«

 

»Bleibt, Bruder, nach der restlosen, spurlosen Aufhebung der sechs Berührungsgebiete etwas übrig und etwas nicht übrig?«

»Laß es nur gut sein, Bruder!«

 

»Oder bleibt, Bruder, nach der restlosen, spurlosen Aufhebung der sechs Berührungsgebiete

weder etwas anderes übrig noch nicht übrig?«

»Laß es nur gut sein, Bruder!«

 

»Auf die Frage: ‚Bleibt, Bruder,

nach der restlosen, spurlosen Aufhebung der sechs Berührungsgebiete etwas anderes übrig?‘

erwiderst du: ‚Laß es nur gut sein, Bruder!‘

Auf die Frage: ‚Bleibt, Bruder,

nach der restlosen, spurlosen Aufhebung der sechs Berührungsgebiete nichts anderes mehr übrig?‘ –

‚etwas anderes übrig und etwas nicht übrig?‘ – ‚weder etwas anderes übrig noch nicht übrig-‚

erwiderst du: ‚Laß es nur gut sein, Bruder!‘

Wie aber, Bruder, soll man den Sinn dieser Worte verstehen?«

 

»Zu sagen: ‚Nach der restlosen, spurlosen Aufhebung der sechs Berührungsgebiete, Bruder,

gibt es etwas, das übrig bleibt‘, hieße ein Unerklärbares erklären.

Zu sagen:

‚Nach der restlosen spurlosen Aufhebung der sechs Berührungsgebiete bleibt nichts mehr übrig‘ –

‚bleibt weder etwas anderes übrig noch nicht übrig‘, hieße ein Unerklärbares erklären.

Wie weit, Bruder, die sechs Berührungsgebiete reichen,

so weit eben reicht die Weltausbreitung – (der Papanco) -;

und wie weit die Weltausbreitung reicht, so weit eben reichen die sechs Berührungsgebiete.

Mit der restlosen, spurlosen Aufhebung der sechs Berührungsgebiete, Bruder,

erlischt die Weltausbreitung, gelangt die Weltausbreitung zur Ruhe *.« * Angutt. Nik IV. 174.

 

»Ist, oh Ehrwürdige, ein Vollendeter jenseits des Todes?«

 

»Der Erhabene, oh großer König, hat nicht offenbart, daß ein Vollendeter jenseits des Todes ist.«

 

»So ist ein Vollendeter jenseits des Todes nicht, oh Ehrwürdige?«

 

»Auch dies, großer König, hat der Erhabene nicht offenbart,

daß ein Vollendeter jenseits des Todes nicht ist.«

 

»So ist, Ehrwürdige, ein Vollendeter jenseits des Todes und ist zugleich nicht? –

so ist weder, Ehrwürdige, ein Vollendeter jenseits des Todes noch ist er nicht? «

 

Die Antwort ist immer dieselbe: »der Erhabene hat es nicht offenbart *«

* Er hat vielmehr nur offenbart, das er vom Tode nicht berührt wird.

 

»Welches ist die Ursache, oh Ehrwürdige,

welches ist der Grund, um dessen Willen der Erhabene dies nicht offenbart hat?«

 

»Las mich«, erwidert die Nonne, »dich hier selbst fragen, großer König,

und wie die Sache sich dir zu verhalten scheint, so antworte mir:

Was meinst du, großer König,

hast du wohl einen Rechner oder einen Münzmeister oder einen Zählbeamten,

der den Sand am Ganges zu zählen vermöchte, der sagen könnte:

so viele Sandkörner

oder so viel Hunderte oder Tausende oder Hunderttausende von Sandkörnern sind dort?«

»Den habe ich nicht, oh Ehrwürdige.«

 

»Oder hast du einen Rechner, einen Münzmeister oder einen Zählbeamten,

der das Wasser des großen Ozeans zu messen vermöchte, der sagen könnte:

so viele Maß Wasser,

oder so viele Hunderte oder Tausende oder Hunderttausende von Maß Wasser sind darinnen?«

»Den habe ich nicht« oh Ehrwürdige.«

 

»Und warum nicht?« –

»Der große Ozean ist tief, unermeßlich, unergründlich.« –

»So auch, großer König, wenn man das Wesen eines Vollendeten

nach den Prädikaten der Körperlichkeit – der Empfindung –

der Wahrnehmung – der Gemütstätigkeiten – des Erkennens begreifen wollte;

in einem Vollendeten wären diese Körperlichkeit – diese Empfindung –

diese Wahrnehmung – diese Gemütstätigkeiten – dieses Erkennen

aufgehoben, ihre Wurzel wäre vernichtet,

wie ein Palmbaum wäre sie abgehauen und beseitigt,

so das sie sich in Zukunft nicht wieder entwickeln kann.

Ein Vollendeter, großer König, ist frei davon,

daß sein Wesen mit den Zahlen der Körperwelt zahlbar wäre:

er ist tief, unermeßlich, unergründlich, wie der große Ozean.

Daß ein Vollendeter jenseits des Todes ist, trifft nicht zu;

daß ein Vollendeter jenseits des Todes nicht ist, trifft auch nicht zu;

daß ein Vollendeter jenseits des Todes weder ist noch nicht ist, trifft auch nicht zu *.«

(* Samyutta Nik. vol. lV. pag. 374 ff. (XLIV, I))

 

Kurz: Nichts in der Welt trifft mehr zu.

Ein Vollendeter in seiner Reinheit,

losgelöst von den Schlacken seiner Persönlichkeit, also jenseits des Todes,

ist etwas Unerkennbares, ist unergründlich;

aber er ist, ist immer noch,

nämlich eben ein Unter-gründliches Freilich wankt bei diesem Resultat

»gleichsam der feste Boden, der unser sämtliches Erkennen trägt: das Anschauliche«,

eben weil es über diesem hinausliegt.

Aber immerhin zeigt es uns gleichsam den Ort an.

wo das zu Erkennende liegt, welches selbst verhüllt bleibt *,

* Schopenhauer, W. a. W. u. V. Il, 93 (99).

indem es überhaupt nicht in die Erkenntnis eingeht und deshalb für diese als das Nichts erscheint.

 

Und weil es dieser als das Nichts erscheint,

ist nicht einmal mehr Raum für den bloßen Gedanken an das Ich in seiner positiven Form.

Denn Gedanken

können doch wohl immer nur von den Objekten der Erkenntnis ausgelöst werden,

die ja aber alle nicht-ich sind.

Nun hegen wir aber tatsächlich gar keinen Gedanken häufiger als den des Ich,

ja, er begleitet alle unsere Vorstellungen als das logische Ich: ich sehe, ich höre usw.

Es ist deshalb ebenso wichtig,

sich über den Ursprung und den Inhalt dieses Ich-Gedankens klar zu werden,

als es von Bedeutung war, über den des Seins mit sich ins reine zu kommen.

 

Das ist nur möglich, wenn wir uns wenigstens vorübergehend

auf die Erkenntnishöhe eines Vollendeten zu erheben vermögen,

der den Anatta-Anblick in seiner ganzen Reinheit genießt.

Stellen wir ihn uns vor, wie er. in tiefster Abgeschiedenheit an einsamer Stätte sitzend,

die ganze äußere Welt aus seinem Geiste entlassen hat

und diesen in höchster Konzentration

ausschließlich auf das Getriebe seiner Persönlichkeit gerichtet hält,

also in der Betrachtung der Entstehung und des Unterganges der fünf Haftensgruppen verweilt:

»Derart ist der Körper, derart die Entstehung des Körpers, derart der Untergang des Körpers;

derart ist die Empfindung, derart die Entstehung der Empfindung,

derart der Untergang der Empfindung;

derart ist die Wahrnehmung,

derart die Entstehung der Wahrnehmung,

derart der Untergang der Wahrnehmung;

derart sind die Gemütstätigkeiten,

derart ist die Entstehung der Gemütstätigkeiten,

derart der Untergang der Gemütstätigkeiten,

derart ist das Erkennen,

derart die Entstehung des Erkennens,

derart der Untergang des Erkennens *.« (* Angutt. Nik. IV, 41)

Wo ist bei solcher Betrachtung noch Raum für das Ich?

Erweist sich doch von dieser Warte aus das ganze Getriebe der Persönlichkeit als ein bloßes Gewoge von Prozessen, die dem Beschauer als etwas so Wesensfremdes gegenüberstehen, das ihm hierbei »die Anwandlungen, in der Form von ‚Ich‘ und ‚Mein‘ zu denken *« (* ahankara-mamankara-man’anusayo.)

nicht mehr kommen, sondern das in ihm hinfort, sogar bezüglich seiner Erkenntnistätigkeit selber,

nur noch Gedanken ausgelöst werden, die in die große Formel einmünden:

»Das gehört mir nicht, das bin ich nicht, das ist nicht mein selbst *.«

* Vgl. Sam. Nik. lll, p. 235 (XXVlll, I).

Ganz anders steht dem Getriebe seiner Persönlichkeit

»der die Buddha-Botschaft nicht kennende Weltmensch« gegenüber.

Er fühlt sich so sehr mit ihm verwoben,

oder, wie der Buddho sagt, »der Hang, Persönlichkeit zu glauben, haftet ihm« derart »an *«,

(* Majj. Nik. l, p. 433 (64. Suttam))

daß er sich völlig in ihr bestanden wähnt,

weshalb er denn dann auch

bei der Wahrnehmung des unaufhörlichen Entstehens und Vergehens der fünf Gruppen

sich selbst unaufhörlich entstehen und vergehen zu sehen wähnt und demgemäß sagt:

»ich entstehe, ich vergehe, ich empfinde, ich nehme wahr« usw.

 

So kommen wir zum Gedanken an unser Ich überhaupt erst,

einmal wenn wir uns mit den fünf Haftensgruppen, das heißt also unserer Persönlichkeit,

verbunden sehen,

und dann, wenn wir uns zugleich, unfähig, uns ihnen mit entfremdetem Blick gegenüberzustellen,

in sie verlieren:

»Wenn was, Mönche, da ist, wenn man wem anhängt, wem ergeben ist, entsteht diese Lehre:

‚Dies ist mein Ich, das ist die Welt

und dieses mein Ich wird nach meinem Tod unvergänglich werden, beharrend, ewig, unveränderlich?‘ –

Wenn der Körper, Mönche, da ist, wenn man dem Körper anhängt, dem Körper ergeben ist,

entsteht diese Lehre:

‚Dies – (also der Körper-) – ist mein Ich, das ist die Welt, und dieses mein Ich – (also der Körper) –

wird nach meinem Tod unvergänglich werden, beharrend, ewig, unveränderlich.‘

 

»Wenn die Empfindung – die Wahrnehmung – die Gemütstätigkeiten – das Erkennen da ist,

wenn man der Empfindung – der Wahrnehmung – den Gemütstätigkeiten – dem Erkennen anhängt,

ergeben ist, entsteht diese Lehre:

 

‚Dies – (also die Empfindung – die Wahrnehmung – die Gemütstätigkeiten – das Erkennen) –

ist mein Ich, das ist die Welt,

und dieses mein Ich wird nach meinem Tod unvergänglich werden, beharrend, ewig, unveränderlich.‘

 

»Was meint ihr wohl, Mönche: Ist der Körper – die Empfindung –

die Wahrnehmung – sind die Gemütstätigkeiten – ist das Erkennen – unvergänglich oder vergänglich?« –

»Vergänglich, oh Herr.« –

 

»Was aber vergänglich ist, ist das leidvoll oder freudvoll?« –

»Leidvoll, oh Herr.« –

 

»Wenn man nun dem, was sich als vergänglich, leidvoll, dem Wechsel untertan erweist,

nicht anhängt, kann da wohl diese Lehre entstehen:

‚Dies – (nämlich die Persönlichkeit als der Inbegriff der fünf Gruppen) – ist mein Ich,

das ist die Welt und dieses mein Ich wird nach meinem Tod

unvergänglich werden, beharrend, ewig, unveränderlich?‘« –

»Wahrlich nicht. Oh Herr * **.« (* Samyutta Nik.-XXlV. 3.)

** Der gleiche Gedanke, also die Unmöglichkeit, das Ich (atta)

– der Buddho spricht, wie der Inder überhaupt,

nie von einem Ich, sondern immer nur von dem Ich –

innerhalb der Welt ausfindig zu machen

und damit die Unsinnigkeit des Glaubens an persönliche Unsterblichkeit,

  1. h. also an eine solche der fünf Gruppen,

kommt auch in der folgenden, vielfach mißverstandenen Stelle zum Ausdruck:

»Wenn das ich, Mönche, wäre, könnte es dann sein (daß man sagen könnte):

‚Meinem Ich zugehörig‘?« – »Ja, oh Herr.« –

»Wenn etwas dem Ich Zugehöriges wäre,

könnte es dann sein (daß man sagen könnte): ‚Mein Ich‘?« – »Ja, oh Herr.« –

»Da nun, Mönche,

daß Ich und etwas dem Ich Zugehöriges in Wahrheit und Gewißheit nicht zu erfassen ist,

ist da nicht der Glaube, ‚Dies ist die Welt, dies – (vgl. die analoge stelle oben) – das Ich,

dies werde ich sterbend werden, fest, beständig, ewig, unwandelbar, so werde ich dort ewig sein:

ist das nicht in hohem Maß kindisch?« –

»Wie sollte es nicht, Herr, in hohem Maß kindisch sein?« (Majj. Nilc., n. sut.)

Übrigens ist der ganze zweite Teil des 22. Suttams des Majj. Nik. nichts weiter,

als eine gewaltige Proklamation der Außerweltlichkeit des Ich, eine Proklamation,

die ihren Höhepunkt erreicht in der grandiosen Ausführung des Gleichnisses

von den Gräsern und Zweigen des Jeta-Waldes,

in welchem Gleichnis der Buddho die gesamte Persönlichkeit

und damit die ganze erkennbare Welt unserem Ich als etwas so Wesensfremdes gegenüberstellt,

wie uns die Gräser und Zweige eines Waldes als etwas Wesensfremdes gegenüberstehen.

(Vgl. oben, S. 116 flg.)

Die Außerweltlichkeit des Ich erhellt auch äußerst klar aus folgenden zwei Stellen:

»‘Die leere Welt, die leere Welt‘ sagt man, Herr.

‚Warum aber, Herr, sagt man so?‘ –

‚Weil sie leer vorn Ich und etwas dem Ich Zugehörigem ist,

«deshalb, Anando, sagt man die leere Welt‘«. (Sam. Nik. XXXV. 85) –

»Unmöglich ist es und kann nicht sein,

daß ein recht erkennender Mensch irgendein Ding als das Ich ansieht –

ein solcher Fall kommt nicht vor.

Möglich aber ist es wohl, das der gemeine Mensch irgendein Ding

als das Ich ansieht – ein solcher Fall kommt vor«. (Majj. Nik. III. p. 64 (115. Suttam)

 

Hiernach beruht also der Ich-Gedanke

auf der Verkennung unseres Verhältnisses zu unserer Persönlichkeit

und hat seinen letzten Ursprung darin, das im Subjektiven –

man wird merken, daß auch dieses Wort ein solches ist,

welches nur die Richtung angibt, in welcher unser transzendentes Ich liegt –

oder im Unerklärbaren oder im Unergründlichen oder im Nichts – lauter Tautologien –

auf die später noch zu behandelnde Weise der psycho-physische Prozeß anhebt,

den wir Persönlichkeit nennen,

und dabei zugleich der Wahn entsteht,

als ob dieser Prozeß in seinen einzelnen Betätigungen, also das Sehen, Hören usw.«

dem Subjektiven wesentlich sei, die Auswirkung seiner eigenen Wesenheit wäre,

welcher Wahn dann eben das Subjektive oder unser transzendentes Ich zum Subjekt,

näher zum »Subjekt der Inhärenz«, und damit zum empirischen und damit zum logischen Ich werden läßt.

Man sagt jetzt nicht mehr, wie man der Wahrheit gemäß,

indem man auf alle diese Prozesse als auf etwas Fremdes herabblickt, es sollte:

»Es entstehen Atembewegungen, es entsteht eine Empfindung, es entsteht ein Gedanke«,

sondern: »ich atme, ich empfinde, ich denke«,

in dem bereits festgestellten Sinne:

ich bin meinem Wesen nach ein Atmender, Empfindender, Denkender.

Unser wahres Ich, daß tatsächlich jenseits dieser Prozesse liegt,

wird also im Handumdrehen als in ihnen bestanden, diese werden als ihm wesentlich zugehörig erachtet,

und eben der begriffliche Reflex dieser falschen Anschauung ist es dann,

wenn es selbst zum Subjekt als Träger der ihm so irrtümlich beigelegten Prädikate wird.

Darnach ist also das im Ich-Gedanken gedachte Ich unser transzendentes Ich,

soweit es zum Subjekt, das heißt zum Träger der Prädikate, gemacht

und als in diesen bestanden erachtet wird.

Ringt man sich zur wahren Anschauung durch, in der alles als anatta erkannt

und demgemäß unserem Ich jedes Prädikat abgesprochen wird,

dann hört dasselbe eben deshalb auch auf, Subjekt zu sein

und damit im Ich-Gedanken in die Erfahrungswelt hineingezerrt zu werden –

es versinkt wieder in das Nichts in dem zu Genüge behandelten Sinn.

 

Dabei bleibt es aber natürlich gleichwohl wahr, das ich an meine Persönlichkeit gebunden bin,

und bleibt weiterhin wahr, daß ich es bin, der die sechs-Sinnenmaschine gebraucht

und dadurch Bewußtsein erzeugt.

In diesem Sinn von uns unwesentlichen Beilegungen

kann also auch ein Vollendeter gar wohl denken und sagen: »Ich habe den Körper; ich empfinde« usw.

Allein auf dem Gipfel der reinen Erkenntnis

hat er die Denkform mit dem Ich als Subjekt auch in diesem an sich berechtigten Umfang überwunden,

indem sich ihm insoweit die Sachlage also darstellt:

Er kann zunächst die Tatsache seiner Verkoppelung

mit den ihm wesensfremden Bestandteilen seiner Persönlichkeit und kann weiterhin konstatieren,

daß die gesamten Persönlichkeitsprozesse von ihm ausgehen.

lm Übrigen aber erkennt er,

daß er, weil er mit seiner Erkenntnis nicht bis zu seinem eigentlichen Ich vorzudringen vermag,

auch nicht die Art seiner Verkoppelung an sich mit seiner Persönlichkeit feststellen kann,

indem auch sie in jenen unerkennbaren Tiefen statthat.

In diesen der Erkenntnis nicht mehr erreichbaren Tiefen geht auch die Aktaiernng der Sechssinnenmaschine vor sich.

Eben deshalb können wir auch nicht erkennen, wie wir das Herz, die Lunge usw.,

nicht einmal welche Nerven und Muskeln wir in Aktion setzen, wenn wir sehen, hören, denken:

sowohl die vegetativen wie die sensitiven Funktionen vollziehen sich unterhalb der Bewußtseinsschwelle;

daß durch die sensitiven Funktionen entzündete Licht des Bewußtseins

beleuchtet nur die bereits im Betrieb befindliche Maschine.

Daraus folgt: Das vollkommen der Wirklichkeit angepaßte Denken

befaßt sich weder mit dem Ich als solchem

noch mit seinen Zusammenhängen an sich mit der Persönlichkeit,

eben weil es nichts davon anschaulich zu erkennen vermag.

Es befaßt sich vielmehr nur

mit den allein erkennbaren materiellen Vorgängen oder Prozessen der Persönlichkeit als solchen;

kurz: das vollkommen der Wirklichkeit angepaßte Denken

befaßt sich nicht mit dem der Erkenntnis schlechterdings unzugänglichen Subjekt des Erkennens,

sondern nur mit den allein erkennbaren Objekten des Erkennens,

mit diesen allerdings auch insoweit,

als ans ihnen selber ihr Verhältnis zu jenem Subjekt des Erkennens bestimmbar ist,

welche Bestimmung letzten Endes eben dahin geht,

daß alle diese Objekte in keiner wesenhaften Beziehung zum Ich stehen.

Auf dieser Höhe des Erkennens denkt man also auch unter diesem Gesichtspunkt nur mehr so:

»Das entsteht, das vergeht; das soll entstehen, das soll vergehen!«

Das ich selbst es bin, der all das denkt, all das schafft,

kommt mir als eine Selbstverständlichkeit gar nicht zum Bewußtsein,

oder kommt mir doch nur mehr, in der Form des Anatta-Gedankens,

also nur mehr in der negativen Form zum Bewußtsein,

das alles Erkennbare auf keinen Fall etwas mit meinem Wesen zu tun hat:

in Wirklichkeit besitzen wir kein Selbst-Bewußtsein,

sondern nur ein Bewußtsein von dem, was nicht unser selbst ist *.

* Während der Heilige den Ich-Gedanken nicht mehr hat, hat ihn das Kind noch nicht.

Es nennt sich so, wie es sich von andern nennen hört,

was beweist, daß es seine Persönlichkeit nur als Objekt erkennt. —

Wenn ein Heiliger mit seiner vollen höchsten Erkenntnis

sich plötzlich in die Welt hineinversetzt sähe,

ohne Mitwesen, mit denen zu sprechen er in die Lage kommen könnte,

und er sich für sich selbst eine Sprache bildete, so käme in dieser das Wort Ich gar nicht vor.

 

Freilich dieses vollkommen objektive

– sich ausschließlich auf die Objekte der Erkenntnis beschränkende –

Denken,

bei welchem, eben deshalb, die Reflexion um keines Haares Breite über die Anschauung hinausgeht,

kann man bloß in den stunden beschaulicher Betrachtung pflegen.

Will man seine Erkenntnisse anderen mitteilen,

dann muß man wieder mit dem Ich als Subjekt denken und sprechen,

schon um seine Erlebnisse von denen der anderen zu unterscheiden.

Und so hat es eben deshalb auch der Buddho gehalten:

Für die Zeit der beschaulichen Betrachtung lehrt er das vollkommen objektive Denken,

im Übrigen aber die Denkform mit dem Ich als Subjekt,

soweit diese unvollkommene Art zu denken wenigstens nicht geradezu wirklichkeitswidrig ist.

Freilich mußte er dabei sogar diesen letzteren Mangel insofern mit in den Kauf nehmen,

als sich die Sprache dem Grundwahn der Menschheit völlig angepaßt hat,

daß wir in den Elementen unserer Persönlichkeit bestünden, soweit man also beispielsweise sagt:

»ich bin ein Mensch, ich bin der und der *.«

* Die Möglichkeit dieses Wahns

beruht eben auf der Unzugänglichkeit unseres wahren Wesens für die Erkenntnis;

ich kann auf jede Ansicht über mich geraten, weil jede gleich falsch ist.

 

Aber insoweit hat er seinen Standpunkt ein für allemal durch die Generalreservation gewahrt:

»Das sind nur landläufige Ausdrucksweisen, die auch der Vollendete gebraucht,

aber mit der gebotenen Reserve *.« (* Digha Nik. IX.)

 

Im Übrigen nennt er, wie gerade die eben angeführte Stelle ergibt,

und wie wir auch schon sonst des Öfteren ersehen haben, den wahren Menschen,

also jenen, der sich von den Elementen seiner Persönlichkeit und damit von dieser selbst und damit von der ganzen Welt losgelöst hat, somit vor allem auch sich selbst, den Vollendeten – Tathagato *.

* = tatha + agato = der zum »so ist es« Hingelangte,

also: Der zur Wirklichkeit (wie sie in Wahrheit ist) Vorgedrungene.

Die Übersetzung »der Vollendete« stammt von Ohlenberg.

 

Dabei macht es keinen Unterschied,

ob derselbe zunächst noch äußerlich mit diesen Elementen seiner Persönlichkeit verbunden bleibt

oder sie im Tode vollständig wegwirft:

in beiden Fällen ist er der Vollendete, nur das eine Mal vor, das andere Mal aber eben nach dem Tod.

Ja, im letzteren Falle ist er erst recht der Vollendete in seiner ganzen Reinheit,

vollständig losgelöst von den schlacken seiner Persönlichkeit, die allein ihn uns sichtbar gemacht hatten,

gleichwie etwa auch reines Glas nur durch die Schmutzsecken sichtbar wird, die auf ihm lagern.

Sein Tod hat also nur die eine Folge,

daß er mit dem völligen Abstreifen seines Leibes für die Menschen unsichtbar wird:

»solange sein Körper noch bestehen wird. werden Götter und Menschen ihn sehen,

aber nach dem Vergehen des Körpers, nach seinem Lebensende,

werden Götter und Menschen ihn nicht mehr erblicken.

Wie, Mönche, wenn der Stiel eines Mangofruchtbüschels vom Baum losgeschnitten ist,

alle Mangofrüchte, die an dem Stiel hängen, diesem nachfolgen,

ganz ebenso, Mönche, verhält es sich mit dem Körper des Vollendeten,

dessen Wille zum Leben vernichtet ist, solange sein Körper noch bestehen wird,

werden Götter und Menschen ihn sehen,

aber nach dem Vergehen des Körpers, nach seinem Lebensende,

werden Götter und Menschen ihn nicht mehr erblicken * **.«

* Digha Nik. I (Franke, S. 45 f.). Man beachte wohl:

Der Körper des Vollendeten mit seinen Empfindungen und Wahrnehmungen

wird mit dem Mangofruchtbüschel, sein Wille zum Leben mit dem stiel dieses Büschels,

der Vollendete selbst aber mit dem

durch das Abschneiden des Büschels samt Stiel nicht berührten Mangosstarnm verglichen.

Damit vgl. man Rigveda-samhita X, 136, 3:

»Die Leiber nur an unser-statt – ihr Erdensöhne, seht ihr da.«

 

* Auf die Frage: »Was werde ich sein,

wenn ich einmal als Heiliger den letzten Tod hinter mir, den letzten Körper abgelegt habe?«

könnte man also auch erwidern:

»Genau das Gleiche, was du jetzt bist. Was bist du aber jetzt?

Kannst du es mir sagen,

nachdem doch alle Bestandteile deiner Persönlichkeit nicht dein selbst, sondern anatta sind?

Versuche es einmal, dich unter Berücksichtigung dieser Tatsache zu definieren.

Es wird dir unmöglich sein; denn du bist eben bereits jetzt ein Unergründliches.«

 

* * *

 

Nunmehr werden wir einsehen. wie berechtigt die Mahnung des Buddho war, unser selbst an suchen *;

* cfr. oben, S. 94:

»Was ist wohl besser, Jünglinge, wenn ihr das Weib sucht oder wenn ihr euer Ich sucht?«

eine Mahnung, die sich übrigens mit der Aufschrift auf dem Tempel zu Delphi deckt:

Erkenne dich selbst!

Denn alles, was wir bisher für unser Ich gehalten hatten,

entpuppte sich uns auf der gleichfalls vom Meister gewiesenen »gehörigen Suche nach dem Jenseits *«

* Digha Nik. XXllI.

als nicht-ich, so sehr, daß schließlich für unser wahres Ich überhaupt nichts mehr von der Welt

und damit auch keine Möglichkeit übrig blieb, es irgendwie zu erfassen,

ein weiteres Grübeln in dieser Richtung mithin töricht wäre,

weshalb der Herr auch ausdrücklich betont,

daß ein Verständiger »bei keiner solchen Betrachtung verweilt *.« (* Digha Nik. XV.)

Damit haben wir zugleich das Wort

Ich als das größte Aequivocum erkannt, das es gibt, wie Schopenhauer sagt *.

* W. a. W. u. V. ll, 560 (576)

Jeder versteht darunter etwas anderes, der eine alle Bestandteile seiner Persönlichkeit,

der andere nur die sogenannten geistigen Elemente derselben,

der dritte von diesen wiederum nur das Denken,

während wir es nunmehr als nach jeder Richtung transzendent erkannt haben. –

 

Auf diese Weise sind wir nun freilich auch Schritt für Schritt

zu einer vollständigen Umkehrung aller Verhältnisse gekommen.

Früher betrachteten wir uns zur Welt. als zum All gehörig, aus seinen eigenen Elementen bestanden,

fühlten uns demgemäß in der Welt zu Hause,

und war eben deshalb das Nichts als das Gegenteil des Alls

für uns die totale Vernichtung wie des Alls so auch von uns selbst.

Wir schauderten daher vor ihm zurück als dem Abgrunde, der uns einst verschlingen werde.

Nunmehr haben wir die Welt als etwas unserem tiefsten Wesen Fremdes erkannt.

Wir sehen uns auf eine unerklärliche Weise in sie hineingeraten,

weshalb sie uns denn auch in allen ihren Bestandteilen ein unergründliches Rätsel ist,

nur nicht in dem Leiden, das sie uns schafft und das das Einzige ist, woran wir nicht zweifeln können:

»Geheimnis ist Alles,

Nur eins nicht, und zwar unsere Qual.«

 

Auf diese vollständige Umkehrung der Betrachtungsweise des Heiligen

gegenüber der des »gewöhnlichen Menschen« weist uns der Meister selbst hin,

wenn er sagt: »Was, Mönche, in der Welt als wahr betrachtet wird, das wird von den Heiligen als falsch, wie es wirklich ist, mit vollkommener Weisheit richtig angesehen.

Was, Mönche, in der Welt als falsch betrachtet wird, das wird von den Heiligen als wahr,

wie es wirklich ist, mit vollkommener Weisheit richtig angesehen *«. (* Suttanipato III. 12)

 

Zur Veranschaulichung dieser Umkehrung sei das schöne Gleichnis wiederegeben,

in welchem du Prel in seinem »Rätsel des Menschen« die Lage der Menschheit schildert,

ein Gleichnis, das noch in einem viel tieferen Sinne zutrifft, als sein Verfasser selbst ahnte:

 

»Denken wir uns folgenden Fall: Auf einem Schiff, das im stillen Ozean segelt,

wird ein Matrose in hypnotischen schlaf versetzt

und erhält die Suggestion, bis gegen Abend fortzuschlafen,

dann aber ohne jede Erinnerung an seine Vergangenheit zu erwachen.

Nachdem ihm diese Suggestion fest eingeschärft worden,

wird der Matrose in ein Boot hinabgetragen und auf einer kleinen Insel des Ozeans ausgesetzt;

das Schiff aber fährt mit vollen Segeln davon.

 

»Nach dem Erwachen nun würde dieser Matrose vollkommen einem neugeborenen Menschen gleichen,

mit dem Unterschied nur,

daß er als ausgereiftes und verständiges Wesen auf seine Welt gekommen wäre;

er würde sein Dasein als Mann beginnen.

Ganz vergeblich würde er aber darüber nachsinnen, wer

er sei und wie er in diese ihm vollkommen fremde Natur gekommen.

Ohne jede Erinnerung an seine Vergangenheit würde er über sich selbst und den Ort,

wo er erwacht, in einem Grade erstaunen, ja erschrecken, das er leicht tiefsinnig werden könnte.

 

»So weit sein Blick reicht, dehnt sich der Ozean-ein Bild, wie er es noch nie gesehen zu haben glaubt.

Er wendet sich landeinwärts, um sich auf seiner Insel zu orientieren, aber alles erscheint ihm befremdend;

er erinnert sich nicht, je Dinge dieser Art gesehen zu haben:

Pflanzen und Tiere, Berge und die Wolken, die darüber ziehen.

Endlich sieht er auch Wesen seinesgleichen;

er eilt auf sie zu, um von ihnen Aufschlüsse zu erhalten;

aber sie alle sind in der gleichen unbegreiflichen Lage,

sie wissen nicht, wer sie sind, noch woher sie gekommen.

 

»Eine Gesellschaft in so merkwürdiger Lage

würde sich verzehren in Grübeleien über sich selbst und ihre Insel;

aber alles Nachdenken und gegenseitige Fragen würde die unergründliche Fatalität nicht aufhellen,

vermöge welcher sie hier sind.

Mit einem Gemisch von hoher Bewunderung und tiefer Verwunderung

würden sie als ein nie gesehenes Schauspiel die Sonne untergehen sehen,

die mit einer goldig flutenden Lichtbrücke den Ozean überspannt.

Und grenzenlos wäre wiederum ihr Erstaunen,

wenn am dunklen Himmel Tausende von Sternen aufzukeimen beginnen.

 

»Mit der Zeit freilich würden die leiblichen Bedürfnisse sie von ihnen Grübeleien ablenken,

Hunger und Durst, Ermüdung und schlaf stellen sich ein;

Die Unbilden der Witterung nötigen, nach einem Obdach sich umzusehen,

und so würde denn auf dieser Insel die merkwürdigste Robinsonade anheben, die sich denken läßt;

denn Robinson brachte auf seine Insel Kulturerinnerungen mit,

während unsere Inselbewohner alles neu ersinnen und erfinden müßten.

 

»Es ist nicht nötig, diese Situation noch weiter auszumalen,

und auch darauf, ob eine hypnotische Ausleerung des Gehirns so weit gehen kann –

es sind ja Experimente ähnlicher Art gemacht worden -,

daß das Erwachen aus dem Schlaf einer Neugeburt völlig gleich käme, kommt es hier nicht an.

Ich habe trotzdem nicht von ganz imaginären Dingen gesprochen:

Die Insel, von der die Rede ist, heißt die Erde; der Ozean, der sie umfließt, heißt der Weltraum;

Wesen, die sich auf der Insel begegnen, heißen Menschen,

und die langwierige Robinsonade, welche sie aufführen, heißt Kulturgeschichte der Menschheit.

 

»In der Tat, wenn wir mit einiger Besonnenheit über unsere eigene irdische Lage nachdenken,

so trifft der Vergleich mit jenen Inselbewohnern in allen Punkten zu, mit Ausnahme eines einzigen:

wir erwachen nicht mit ausgebildetem Bewußtsein als ausgereifte Wesen,

sondern mit unentwickeltem Bewußtsein als hilflose Geschöpfe.

Da dieses der einzige Unterschied ist, so kann es auch nur an diesem einzigen Punkt liegen,

daß wir uns ganz anders verhalten, als jene Inselbewohner.

Diese erwachen als tiefsinnende Philosophen.

Denn Philosoph ist, wer sich über sein Dasein und das der Welt zu verwundern vermag.

Wir dagegen gewöhnen uns im Laufe der Kindheit

an den Anblick der Dinge und unsere eigene Existenz so sehr,

daß sie, weit entfernt, uns bestürzt zu machen,

uns wie von selbst verständliche Dinge erscheinen.

Wenn unser Bewußtsein seine Reife erlangt hat,

ist es durch die abstumpfende Macht der Gewohnheit verwunderungsunfähig geworden,

und so gehen wir in unserem ganzen Leben ganz in den praktischen Beschäftigungen auf.«

 

Der Buddho hat uns in der Besonnenheit, mit der er uns unsere Lage betrachten lehrt,

diese Verwunderungsfähigkeit im vollsten Maß wiedergegeben.

so das wir uns wieder fremd in der Welt fühlen,

ja, fremd in unserem eigenen Körpers fremd gegenüber all dem, was wir unsere Persönlichkeit nennen.

Ja, er hat uns noch viel mehr gegeben;

denn wir teilen als seine Jünger

schon jetzt das Los aller anderen Inselbewohner auch im Übrigen nicht mehr,

insofern diese sich zwar als Fremde auf ihrer Insel fühlen mögen, aber doch nicht wissen,

wer sie sind und woher sie gekommen;

wir wissen nämlich schon jetzt wenigstens so viel,

daß der Ozean, der das All, in das wir uns hineingestellt sehen, umfließt,

nämlich der Ozean des Nichts, »das Eiland, das einzige *« birgt, (* Suttanipato. V. 1094)

aus dem wir ins All hineinverschlagen wurden,

indem wir dieses früher so gefürchtete Nichts als den dunklen Schoß erkannt haben,

in welchem sich unser eigentliches Wesen, unsere ewige Heimat, verbirgt –

»attham gato«, der Heimgegangene, wird der abgeschiedene Heilige genannt *.

* Suttanipato. V. 1076. –

In ähnlicher Weise sagt der Herr auch angesichts seines bevorstehenden Todes:

Ich werde von euch gehen, ich habe meine Zuflucht zu mir selbst genommen – Windisch. S. 85.

Wir begreifen jetzt, daß wir, indem wir dieses Nichts so sehr fürchteten, Kindern zu vergleichen waren,

die, obwohl in einer trostlosen Gegend verweilend,

voll Furcht und schaudern auf den unermeßlichen, dunklen Wald blicken,

der sich vor ihnen ausdehnt und den zu betreten sie auf keine Weise zu bestimmen sind,

während doch hinter ihm, mitten zwischen grünen Matten,

im lachenden Sonnenschein ihr Elternhaus steht, dem sie entlaufen sind;

und wie für diese Kinder, ist es nur erst einmal gelungen, ihnen begreiflich zu machen,

daß jener dunkle Wald den Zugang zu ihrem Elternhaus in sich schließt,

seine bisherige unheimliche Stille sich in geheimnisvolles schweigen wandelt

und er für sie die große Hoffnung ihres Lebens wird,

so wird auch uns das Nichts,

nachdem wir es so lange als das unermeßliche schwarze Leichentuch betrachtet haben,

das über den Abgrund der absoluten Vernichtung, in den alles Lebende einmal hinabstürzen muß,

gebreitet ist,

nunmehr zum geheimnisvollen Schleier, der über unserem eigenen tiefsten Wesen liegt,

und hinter den wir nur zu treten brauchen,

um auf ewig dem Leiden des Samsaro zu entrinnen.

Wir entschwinden dann zwar der Welt, indem wir für sie zum Nichts,

nämlich, wie genugsam erklärt, zu nichts Erkennbarem mehr werden, aber nicht uns selbst.

Im Gegenteil, wir halten unseren Auszug aus der Welt, ihr in unserem Leichnam,

nachdem wir ihr schon vorher alles Übrige vor die Füße geworfen hatten,

noch das Letzte zurücklassend, was ihr gehört,

und gehen ein »zu unseres Selbstes eigener Herrlichkeit«,

ein Wort, das der Buddho zwar nicht gebraucht *,

* Es stammt aus dem Gesetzbuch des Manu (u, 91). Dort heißt es:

»so geht er ein, dem selbst das Opfer zündend, zu seines Selbstes eigner Herrlichkeit.«

(Zit. bei Deussen, Die Elemente der Metapyhsik, s. 252.)

aber nicht etwa, weil es falsch wäre,

sondern weil es nach dem Bisherigen wegen seiner Beziehung zum Persönlichen, die es in sich schließt,

nur zu leicht zu Mißdeutungen Anlaß geben könnte,

denen wir aber im bisherigen wohl genügend vorgebeugt haben,

um uns desselben unbedenklich bedienen zu können, sagt es uns in der Bedeutung,

in der wir es nunmehr verstehen gelernt haben, doch genau dasselbe, wie die eigenen Worte des Herrn: »Von dem, was man Körper – Empfindung – Wahrnehmung – Gemütsregungen – Bewußtsein nennt, befreit,

ist der Vollendete gar tief, unermeßlich, unergründlich, gleichwie etwa der Ozean.«

In dieses sein unergründliches Wesen geht der Heilige ein, auf es zieht er sich zurück, in ihm ruht er.

 

So ist also die große Frage, ob es denn nicht schon

in Hinsicht auf unser Verhältnis an sich zum Leiden unmöglich sei, ihm zu entrinnen, gelöst:

Es ist möglich.

Denn das Leiden wurzelt in der Beschaffenheit der Welt,

nämlich darin, daß sie sowohl im Ganzen wie in allen ihren Bestandteilen im ewigen Fluß sich befindet,

dem großen Gesetz der Vergänglichkeit unterworfen ist;

diese Welt aber ist die Welt der sechs sinne, die wir in unserer und als unsere Persönlichkeit erleben.

Die Persönlichkeit nun in ihren Elementen ist etwas unserem wahren Wesen Fremdes.

Von diesem Fremden brauchen wir uns also bloß frei zu machen,

um zugleich von der ganzen Leidenswelt und damit vom Weltleiden

und damit vom Leiden überhaupt loszukommen,

eine Befreiung,

deren tatsächliche Möglichkeit der Buddho ja auch noch ausdrücklich in der Stelle bestätigt:

»Nicht das ist es, Mönche, als ob die Befreiung vom Körperlichen, von der Empfindung,

von der Wahrnehmung, von den Gemütsregungen, vom Bewußtsein nicht vorhanden wäre,

denn da würden sich ja die Wesen vom Körperlichen, von der Empfindung,

von der Wahrnehmung, von den Gemütsregungen, vom Bewußtsein nicht befreien;

weil es aber, wahrlich, Mönche, eine Befreiung vorn Körperlichen, von der Empfindung,

von der Wahrnehmung, von den Gemütsregungen, vom Bewußtsein gibt,

deshalb befreien sich die Wesen vom Körperlichen, von der Empfindung,

von der Wahrnehmung, von den Gemütsregungen, vom Bewußtsein *.« (* Samyutta Nikayo XXlI. 26-17)

 

Aber diese Erkenntnis, von so grundlegender Bedeutung sie ist, genügt noch nicht.

Denn nunmehr taucht die andere große Frage auf:

Wie ist diese Befreiung zu verwirklichen?

Wie können wir, unsere Persönlichkeit und die ganze Welt überwindend,

in jenes Reich, unseren ureigensten Bereich, hinübergelangen, »da, wo es weder Geburt noch Krankheit noch Altern noch sterben noch Wehe, Jammer, Leiden, Gram und Verzweiflung gibt«,

und so, die Probe aufs Exempel machend,

uns augenscheinlich als jenseits der Welt und alles ihres Leidens begreifen?

Es erhellt, daß, wenn der Buddho auch diese Frage erschöpfend beantworten kann,

er der Menschheit in der Tat das Größte gegeben hat, was ihr überhaupt gegeben werden kann.

 

Ob es ihm gelungen ist, möge das Folgende zeigen.

 

 

 

DIE HOHE WAHRHEIT

 

VON DER LEIDENSENTSTEHUNG

Allgemeines

Wie genugsam ausgeführt,

fällt das Problem der Leidensvernichtung mit dem der Überwindung unserer Persönlichkeit zusammen,

durch die allein wir mit der Welt und damit mit dem Leiden verbunden sind,

ja, in der wir die Welt und damit das Leiden überhaupt bloß erleben.

In dem Maß, als es mir gelingt, von meiner Persönlichkeit loszukommen, über sie hinauszuwachsen,

wachse ich auch über die Welt und ihre Leiden hinaus,

und wenn ich mich ganz von den Bestandteilen meiner Persönlichkeit abgelöst habe,

ich als ein völlig Fremder auf sie und damit auch auf die Welt und das Leiden herab,

sie alle gehen mich dann nichts mehr an;

denn ich habe mich ja aus ihnen herausgezogen,

bin zwar noch in der Welt, aber nicht mehr von der Welt,

ich rage über sie empor

und sehe dem bevorstehenden Verfall meiner Persönlichkeit im Tode kalt und anteillos entgegen;

er berührt mich so wenig, wie es etwa den Himalaya, den König der Berge, berührt, wenn die Nebelschwaden, die ihn tief unten rings umziehen, sich auflösen und verflüchtigen, er vielmehr im Gegenteil dadurch erst in seiner ganzen Reinheit hervortritt:

»Gleichwie, Brahmane, die blaue, rote oder weiße Lotosblume, im Wasser entstanden. Im Wasser aufgewachsen, über das Wasser emporragend dasteht, unbefleckt vorn Wasser:

ebenso auch bin ich, Brahmane, in der Welt geboren, in der Welt aufgewachsen,

habe die Welt überwunden und unbefleckt von der Welt verweile ich *.« (* Angutt. Nik. IV, 36.)

 

Doch mit der Hinauswachsung über meine gegenwärtige Persönlichkeit

ist das Problem von der Vernichtung des Leidens noch keineswegs erschöpft.

Ja, handelte es sich bloß um die Überwindung dieser meiner gegenwärtigen Persönlichkeit,

so ließe sich schließlich sogar mit Recht einwenden,

daß ein wirklich ernsthaftes Problem gar nicht gegeben und es deshalb auch gar nicht der Mühe wert sei,

hiewegen einen groben Erlösungsapparat in Tätigkeit zu setzen,

da diese Persönlichkeit im Tode ja ohnehin von selbst vollständig zerfalle.

Der Schwerpunkt liegt vielmehr darin, auch jede künftige Neubildung

einer solchen im Moment der Auflösung der gegenwärtigen zu verhindern,

da wir ja bereits wissen, daß wir uns im Augenblick des Todes

jeweils immer sofort wieder neu in einem der fünf Reiche objektivieren.

Eben hierin lag auch für den Buddho der Kern des Problems.

Auch er hätte selbstverständlich,

wenn bloß das Leiden der einen flüchtigen gegenwärtigen Existenz in Frage stünde,

nicht viel Aufhebens davon gemacht.

 

Bei der ausschlaggebenden Wichtigkeit dieses Umstandes

für die klare Erfassung der einschlägigen Lehre des Buddho wird es gut sein,

sich das ganze Problem der Leidensvernichtung anschaulich gegenwärtig zu halten.

Es ist das für uns um so leichter, als uns der Buddho selbst mit höchster Lebendigkeit schildert,

wie es sich ihm auf dem Gipfel der Erkenntnis als das erste und zweite der drei großen Wissen darstellte,

die ihm in der Nacht, während er unter dem Bodhi-Baum bei Uruvela die Buddhaschaft erreichte,

aufgingen, während ihm dann das dritte Wissen die Lösung des Problems selbst brachte:

 

Solchen Geistes, gesammelt, geläutert, gesäubert,

von Helligkeit durchstrahlt, geschmeidig, biegsam, fest, regungslos,

richtete ich ihn auf die erinnernde Erkenntnis früherer Daseinsformen.

Ich erinnerte mich an manche verschiedene frühere Daseinsformen,

als wie an ein Leben, dann an zwei Leben, dann an drei Leben, dann an vier Leben, dann an fünf Leben,

dann an zehn Leben, dann an zwanzig Leben, dann an dreißig Leben. dann an vierzig Leben,

dann an fünfzig Leben, dann an hundert Leben, dann an tausend Leben,

dann an hunderttausend Leben, dann an die Zeiten während mancher Weltentstehungen,

dann an die Zeiten während mancher Weltvergehungen,

dann an die Zeiten während mancher Weltentstehungen-Weltvergehungen.

»Dort war ich, jenen Namen hatte ich, jener Familie gehörte ich an,

das war mein Stand, das mein Beruf,

solches Wohl und Wehe habe ich erfahren, so war mein Lebensende;

dort gestorben, trat ich anderswo wieder ins Dasein;

da war ich nun, diesen Namen hatte ich, dieser Familie gehörte ich an,

dies war mein Stand, dies mein Beruf,

solches Wohl und Wehe habe ich erfahren, so war mein Lebensende;

da gestorben, trat ich hier wieder ins Dasein.‘

So erinnerte ich mich mancher verschiedenen früheren Daseinsform,

mit je den eigentümlichen Merkmalen, mit je den eigenartigen Beziehungen.

Dieses Mssen, Aggivessano, hatte ich nun in den ersten Stunden der Nacht als erstes errungen,

das Nichtwissen zerteilt, das Wissen gewonnen,

das Dunkel Zerteilt, das Licht gewonnen, wie ich da ernsten Sinnes, eifrig, unermüdlich verweilte.

 

»Solchen Geistes … richtete ich ihn auf die Erkenntnis des Verschwindens-Erscheinens der Wesen.

Mit dem göttlichen Auge, dem geklärten, überirdischen,

sah ich die Wesen dahinschwinden und wiedererscheinen,

gemeine und edle, schöne und häßliche, glückliche und unglückliche,

ich erkannte, wie die Wesen je nach den Taten wiedererscheinen.

‚Diese lieben Wesen sind freilich in Taten dem Schlechten zugetan,

in Worten dem Schlechten zugetan, in Gedanken dem schlechten zugetan,

tadeln Heiliges, achten Verkehrtes, tun Verkehrtes;

bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode, gelangen sie auf den Abweg.

Auf schlechte Fährte, zur Verderbnis, in höllische Welt.

Jene lieben Wesen sind aber in Taten dem Guten zugetan,

in Worten dem Guten zugetan, in Gedanken dem Guten zugetan,

tadeln nicht Heiliges, achten Rechtes, tun Rechtes;

bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tod, gelangen sie auf gute Fährte in göttliche Welt.‘

So sah ich mit dem göttlichen Auge, dem geklärten, überirdischen,

die Wesen dahinschwinden und wiedererscheinen,

gemeine und edle, schöne und häßliche, glückliche und unglückliche,

ich erkannte, wie die Wesen je nach den Taten wiedererscheinen.

Dieses Wissen, Aggivessano, hatte ich nun in den mittleren Stunden der Nacht als zweites errungen,

das Nichtwissen zerteilt, das Wissen gewonnen,

das Dunkel zerteilt, das Licht gewonnen, wie ich da ernsten Sinnes. eifrig, unermüdlich verweilte.

 

»Solchen Geistes … richtete ich ihn auf die Erkenntnis der Versiegung der Beeinflussung *.

* Das Wort, das mit Beeinflussung wiedergegeben ist, heißt im Urtext asavo.

Das Wort kommt von su, fließen, auslaufen

und verbindet der Kommentar mit dem Worte die Vorstellung des Fließens.

lm vorliegenden Werke ist deshalb asavo in Anlehnung an Dr. Schrader –

Die Fragen des Königs Menandros. S. 155, 158 – stets mit Beeinflußung wiedergegeben:

alles sinnliche Begehren, (alle Gier nach) Werden,

alle Ansichten, alles Nichtwissen – das sind die vier Arten der asava. –

bilden eine – unglückselige – Beeinflussung unseres im Grunde von ihnen freien Wesens,

vor allem auch – dies ist die gewöhnliche Bedeutung der asava –

eine störende Beeinflussung unserer reinen Erkenntnistätigkeit,

wie wir später noch sehen werden. –

Daß bhavasavo – Beeinflussung durch die Gier nach Werden ist,

wird in Dhammasangani ausdrücklich gelehrt.

‚Dies ist das Leiden‘ verstand ich der Wirklichkeit gemäß.

‚Dies ist die Leidensentstehung‘ verstand ich der Wirklichkeit gemäß.

‚Dies ist die Leidensvernichtung‘ verstand ich der Wirklichkeit gemäß.

‚Dies ist der zur Leidensvernichtung führende Pfad‘ verstand ich der Wirklichkeit gemäß.

So erkennend, so schauend

war da mein Geist erlöst von der Beeinflussung durch das sinnliche Begehren,

erlöst von der Beeinflussung durch das Werden,

erlöst von der Beeinflussung durch das Nichtwissen.

‚Erlöst bin ich‘, diese Erkenntnis ging auf.

‚Versiegt ist die Geburt, vollendet die Heiligkeit, gewirkt das Werk, nichts bindet hinfort an diese Welt‘

verstand ich da.

Dieses Wissen, Aggivessano, hatte ich nun in den letzten Stunden der Nacht als drittes errungen,

das Nicht-wissen zerteilt, das Wissen gewonnen,

das Dunkel zerteilt, das Licht gewonnen, wie ich da ernsten Sinnes, eifrig, unermüdlich verweilte *«.

(* Majj. Nik. l, p. 247 (36. Suttam).)

 

Hiernach übersah der Buddho also anschaulich die grenzenlose Kette

seiner vorangegangenen, jedesmal durch eine neue Geburt bedingten Persönlichkeiten,

wie auch, daß die anderen Wesen

im unaufhörlichen Kreislauf immer wieder vom Tod zu erneuter Geburt geführt werden,

und erfaßte eben diesen unabsehbaren Kreislauf innerhalb der fünf Reiche

im aufgehenden dritten Wissen als das große Leiden des Menschen:

»Dies ist das Leiden« verstand ich da.

 

Wie dieser Kreislauf der unaufhörlichen Neuobjektivierung als Persönlichkeit

– Persönlichkeit natürlich im weitesten Sinne genommen als Individuum jeglicher Art –

ein für allemal zum Stillstand zu bringen sei, das war also für ihn die große Frage.

Ihre Lösung wurde ihm dann im dritten Wissen zuteil,

von dem er selbst sagt: »Die klare Gewißheit ging mir nun auf:

Auf ewig bin erlöst ich.

Dies ist die letzte Geburt,

Nicht gibt es mehr ein« neues Werden*.« (* Majj. Nik. I, p. 167 (26. Suttam))

 

Die Sutten sind voll von Stellen,

die immer wieder auf diesen Heraustritt aus dem Kreislauf der Wiedergeburten, dem Samsaro,

als das höchste Ziel aller Heiligkeit hinweisen.

Nur einige seien noch angeführt:

»Was es auch, Brüder. an Erschaffenem und Unerschaffenem gibt, als höchstes hierunter gilt …

die Zerstörung des Kreislaufs (Samsaro) * (* Angutt. Nik. IV, 34.)

»Ein Feind der Geburt ist der Asket Gotamo,

zum Zweck der Verhinderung der Geburt verkündet er seine Lehre und damit leitet er seine Schüler …

Von wem für die Zukunft die Wiedergeburt zu einem anderen Leben vernichtet ist,

wie man eine Fächerpalme mit der Wurzel ausrottet und zerstört,

von wem sie zum Aufhören gebracht ist, daß sie in Zukunft sich nicht wiederholt,

den nenne ich einen Feind der Geburt *.« (* Mahavaggo VI, 31.)

 

»Der Heilige, der den Frieden sucht, trägt seinen letzten Körper zu Grabe *.« (* Angutt. Nik. lV, 16.)

»Unzählbar langer Zeiten Lauf

Hab’ immer ich den Leib geliebt-

Nun kenn’ ich künftig keinen Leib,

Den letzten Körper kreis ich ah,

Das letzte Leben, letzte Grab,

Und nimmer gibt es Wieder-sein *.« (* Psalmen der Mönche, V. 202.)

»Im Wirbel kreist’ ich kraus in der Unterwelt,

Geriet immer neu hinab ins Totenreich,

Hinan wieder oft und oft als Tier erzeugt,

In Leiden lungernd, ach, lange Zeiten durch.

Das Menschenleben dann, es gemahnte mild,

In Götterwelten wallt’ ich wieder empor.

In Formensphären, in Sphären ungeformt,

Nicht unbewu0t. und bewußt nicht minder nicht.«

»Gewordenes verwest, verstiebt gewiß in Staub,

Vergänglich zergeht es, immer umgewühlt:

Mein Werden gewahr’ ich, was da leben läßt,

Errungen ist Friede, ewige Ruh’ *.« (* Psalmen der Mönche, V. 258. 259.)

 

Hiernach liegt also die Sache so:

Vom Leiden kann ich mich als definitiv befreit nur dann erachten,

wenn ich die unumstößliche anschauliche Gewißheit erreiche,

nicht nur, daß ich etwas von den Bestandteilen meiner gegenwärtigen Persönlichkeit

durchaus Verschiedenes und deshalb von deren Schicksal Unberührbares bin,

sondern auch, daß diese meine gegenwärtige Persönlichkeit die letzte sein wird, an die ich gekettet bin,

ich also mit meinem kommenden Tod als dem letzten. der mir noch bevorsteht,

auf ewig aus dem Kreislauf der Wiedergeburten, dem Samsaro, heraustreten

und durch keinerlei Elemente desselben werde mehr beunruhigt werden.

Das ist das Problem.

 

Es ist aber klar, daß ich, wenn ich die endlose Kette meiner Persönlichkeiten soll abschneiden,

das stete Wiederauftauchen einer solchen, nach dem Zerfall der bisherigen im Tod,

soll hintenanhalten können,

vor allem wissen muß, wie es kommt, daß immer wieder eine solche neu entsteht.

Denn nur, wenn ich die Bedingungen eines Vorganges kenne,

kann ich es überhaupt unternehmen, seinen Eintritt zu verhüten,

oder in den Worten des Buddho:

die Vernichtung des Leidens kann ich bloß erreichen, wenn ich seine Entstehung kenne,

so ist es denn vom Buddho auch nur folgerichtig,

wenn er zunächst in der zweiten der vier Hohen Wahrheiten

die Entstehung dieser unübersehbaren Leidenskette aufdeckt.

 

Indessen gibt er in dieser zweiten Hohen Wahrheit

nur die Grundursache für diese unablässige sukzessive Neubildung von Persönlichkeiten an,

als die wir uns seit Ewigkeit objektivieren.

lm Einzelnen zeigt er die Bedingungen dieses sich unaufhörlich wiederholenden Vorganges

in der berühmten Formel der Entstehung durch Abhängigkeit (Paticcasamuppado),

mit der wir uns deshalb zunächst zu beschäftigen haben.

Sie gilt gemeinhin als der schwierigste Teil der Lehre des Buddho

und findet die verschiedensten, zum Teil unglaublichsten Auslegungen,

obgleich auch sie, wenn man sie nur einzusehen vermag, selbstverständlich ist.

Um sie aber einzusehen, ist vor allem nötig, daß man gerade ihr gegenüber fähig ist,

sie rein objektiv, das heißt also voraussetzungslos in dem Sinn zu betrachten,

daß man an ihre Untersuchung nicht mit der Brille der eigenen philosophischen Ansichten,

auf die man bereits eingeschworen ist, herantritt,

indem man beispielsweise von der Voraussetzung ausgeht,

der Buddho lehre eine idealistische Weltauffassung im modernen Sinn des Wortes,

die Formel stelle deshalb die buddhistische Dinnoiologie dar *.

* Die auf diesem Standpunkt stehen, machen dabei nicht einmal vor dem Text selbst Halt,

richten ihn vielmehr unbedenklich einfach der eigenen Auffassung gemäß zu,

wie man das ersehen kann in Franke’s Übersetzung des Dighanikayo, S. 44 f.

Dort wird aus »tanha« (Durst) »das begehrende Interesse (an der Erscheinungswelt)«,

aus »upadanam« (Anhaften) »die Beziehung (der Daseinserscheinungen) auf das Ich«,

aus »bhavo« (Werden) »die (Idee [!] des) individuellen Seins«,

aus jati (Geburt) »(die der) Geburt«, also die Idee [!] der Geburt!

Wenn man so mit dem Text umspringt.

Dann kann man freilich auch unbedenklich die Konstatierung treffen:

»Von einer Reihenfolge mehrerer Geburten, die sich durch die Kausalitätsreihe hindurchzöge,

kann keine Rede sein«, wie sie Franke, S. 45, Anm. 2 trifft.

Zwar gibt er die richtige und eigentliche Bedeutung der zugrundeliegenden Eli-Ausdrücke anmerkungsweise wieder, das richtige wäre aber doch wohl das Umgekehrte gewesen,

da bei dem beliebten Verfahren

der wirkliche Inhalt des Textes für die meisten ganz unter den Tisch fällt.

Die Haltlosigkeit der Franke’schen Auslegung der Kausalitätsformel

– nur eine solche Auslegung, nicht aber eine Übersetzung liegt vor –

ergibt sich übrigens schon ganz allein und ohne weiteres daraus,

daß sie nicht aus dem Texte selbst zu begründen ist,

dieser vielmehr erst, wie angegeben, zurechtgestutzt werden muß.

Ähnlich steht es mit der Neumann’schen Übersetzung der Formel.

Auch sie stellt im Grunde bloß eine Auslegung derselben dar,

beruhend auf der falschen Auffassung der Sankhara als »Unterscheidungen«

und von nama-rupam als »Bild und Begriff-« einen Terminus,

den Neumann von Schopenhauer entlehnt hat.

Durch derartige Voreingenommenheiten

macht man sich nur ihr Verständnis gleich von Anfang an unmöglich.

Das einzig richtige ist vielmehr, sich ihr gegenüber, soweit man

es nur immer vermag, auf den Standpunkt eines Vollendeten zu stellen.

Wir haben denselben bereits ausführlich behandelt.

Er ist, um ihn noch einmal kurz zu präzisieren, folgender:

Der Vollendete steht den fünf Gruppen, aus denen sich jeweils das aufbaut,

was man Persönlichkeit nennt, in der sich ihm wiederum die Welt darstellt,

so entfremdet gegenüber,

er ist so sehr von dem Wahn, als ob sie irgendwie ein Ausfluß seines Wesens seien, geheilt,

daß ihm bei ihrer Betrachtung nicht einmal der Gedanke an sein Ich kommt.

Für ihn sind es vielmehr nichts weiter als rastlos auf- und abwogende Prozesse,

die im Grunde mit ihm selbst nicht das Geringste zu tun haben.

Vom ruhenden Pol seines eigentlichen, jenseits ihrer liegenden Wesens aus

sieht er auf sie gleich Phantasmagorien, die vor ihm hin- und hergaukeln, herab,

sieht, wie sie als fremde Elemente aus dem Bereich des Unerkennbaren

oder – was, wie wir ja bereits wissen, damit gleichbedeutend ist –

aus dem Nichts unaufhörlich, gleich Sumpfblasen aus dem Wasser, aufsteigen,

um sich alsbald immer wieder aufzulösen.

Nicht einmal insofern kommt ihm mehr der Gedanke an sein Ich,

als er die Art der Verkoppelung dieses seines Ich mit jenen wesensfremden Elementen erkennen möchte.

Denn die Grunderkenntnis, daß alles Erkennen nach außen gerichtet

und ihm deshalb das Wesenhafte und sein Gebiet unerreichbar ist, ist in ihm so lebendig geworden,

daß er eben auch nur mehr dieses der Wirklichkeit Vollkommen angepaßte Denken pflegt.

 

Vermögen wir diesen Standpunkt vollständig zu begreifen,

dann sind wir uns schon, ehe wir die Formel der Entstehung durch Abhängigkeit überhaupt nur kennen,

darüber im Klaren, daß sie nur darin bestehen kann,

aufzuzeigen, wie diese Prozesse, die das Gesamtbild der Persönlichkeit und der Welt ergeben,

durch einander bedingt sind, wie einer aus dem anderen hervorgeht,

und kommen gar nicht mehr auf den Gedanken,

daß dabei von einer Person die Rede sein könnte, die diese Prozesse aktuiert;

kurz: Wir wissen schon im Vorhinein,

daß die Formel der Entstehung in Abhängigkeit durchaus unpersönlich gefaßt sein muß,

indem im Bereich des Erkennbaren eine Person ja nicht zu finden ist,

der Bereich des Unerkennbaren aber, eben als solcher, überhaupt keine Gedanken mehr auslöst.

Und so schildert uns in der Tat die Formel der Entstehung in Abhängigkeit

nichts weiter als einfache Vorgänge,

die auf dem Hintergrund des Nichts

als dem der Erkenntnis entrückten Bereiche unseres tiefsten Wesens vor sich gehen,

aus diesem »Nichts« sich erheben und immer wieder in dasselbe versinken:

»Wer aber, Herr, berührt?«

»Die Frage ist nicht richtig gestellt«, sprach der Erhabene.

»Nicht sage ich: ‚Er berührt.‘

Sagte ich freilich: ‚Er berührt‘, dann wäre die Frage: ‚Herr, wer berührt?‘ richtig gestellt.

Ich aber sage nicht so.

Würde dagegen jemand mich, der ich nicht so sage, fragen:

‚Von was, Herr, ist die Berührung abhängig?‘ –

so wäre diese Frage richtig gestellt und die richtige Antwort darauf würde lauten:

‚In Abhängigkeit von den sechs Sinnesorganen

entsteht die Berührung und in Abhängigkeit von der Berührung entsteht die Empfindung‘.«

 

»Wer aber, Herr, empfindet?«

»Die Frage ist nicht richtig gestellte, sprach der Erhabene.

»Nicht sage ich: ‚Er empfindet‘.

Sagte ich freilich: ‚Er empfindet‘, dann wäre die Frage: ‚Herr, wer empfindet?‘ richtig gestellt.

Ich aber sage nicht so.

Würde dagegen jemand mich, der ich nicht so sage, fragen:

‚Von was, Herr, ist die Empfindung abhängig?‘ –

so wäre diese Frage richtig gestellt, und die richtige Antwort darauf würde lauten:

‚In Abhängigkeit von der Berührung entsteht die Empfindung‘ *.« (* Samyutta Nik. XII, 12.)

 

Nur weil es in Wirklichkeit eine Person nicht gibt,

ist ja auch bloß Raum für eine kausale Verknüpfung im Sinne des Buddho.

Denn unter einer Person versteht man ein Wesen, dem Empfinden und Wahrnehmen wesentlich sein soll.

Gäbe es so etwas, dann wäre natürlich

auch jede Frage nach den primären Ursachen der Empfindungen und Wahrnehmungen sinnlos

und jede kausale Verkettung im Sinne des Buddho unmöglich.

Denn zu empfinden und wahrzunehmen wäre dann eben die Auswirkung meines Wesens-.

Diese Qualitäten fänden in dem letzteren ihren zureichenden Grund,

so das kein Raum mehr für eine weitere Ursache übrig bliebe,

so gut wie die Frage, warum ein bestimmtes Tier Flügel hat,

erschöpfend durch den Hinweis beantwortet ist, daß dieses Tier ein Vogel sei.

Damit wäre aber auch

jede Erlösung von Empfindung und Wahrnehmung und damit vom Leiden unmöglich.

Denn mich selbst kann ich unmöglich vernichten *. (* cfr. oben S. 105)

 

Erscheint so schon diese Eigentümlichkeit der Formel,

daß sie eine vollständig unpersönliche Fassung hat, als eine Selbstverständlichkeit,

so wird sie sich weiterhin auch im Übrigen,

wenn wir uns nur den dargelegten Standpunkt des Buddho stets vor Augen halten,

als von äußerster Durchsichtigkeit erweisen.

 

 

Alter und Tod – Geburt als die nächsten Bedingungen des Leidens

Der Samsaro ist eine unübersehbare Kette sich aneinanderreihender einzelner Persönlichkeiten.

Dabei besteht die Persönlichkeit, wie wir bereits wissen,

in dem Ineinanderwirken der fünf Gruppen des Anhaftens derart,

daß der körperliche Organismus – die erste Gruppe * – (* cfr. oben S. 61, Anm. 65)

die Unterlage der Persönlichkeit die Sechssinnenmaschine darstellt,

die vermittels der Tätigkeit der Sinnesorgane zunächst Bewußtsein auslöst

und sodann in Verbindung mit diesem Empfindung, Wahrnehmung und Gemütsregungen erzeugt.

Da nun weiterhin wie wir ebenfalls schon wissen,

diese fünf Gruppen zugleich die sämtlichen Elemente und damit den Inbegriff alles Leidens bilden,

so können wir den körperlichen Organismus auch die Leider-Maschine heißen.

 

Damit wird aber klar und deutlich,

daß, wenn die ursächliche Bedingtheit der endlosen Leidenskette des Samsaro aufgewiesen werden soll,

als die nächste Ursache des Leidens eben der körperliche Organismus *, (* Nama-rupam)

die Leidensmaschine selbst sich darstellt.

Dabei erhält derselbe den Charakter als Leidensmaschine,

wie wir wiederum bereits wissen, dadurch, daß er »altert und verblüht, abgenutzt, grau und runzelig wird, die Lebenskraft schwindet, die Sinne stumpf werden *« (* Samyutta Nik. XII, 2.)

und schließlich im Tode die völlige Zersetzung und Auflösung erfolgt.

Diese beiden Grundeigenschaften der Unterlage der Persönlichkeit,

Alter und Tod, geben zugleich dem ganzen Persönlichkeitsprozeß selbst

und damit dem ganzen Leben in allen seinen Einzelheiten

und nach allen Richtungen hin das Gepräge der Vergänglichkeit

und machen eben dadurch das Leben als solches leidvoll.

lm Altern und sterben kulminiert daher das Leiden, sie sind der prägnanteste Ausdruck desselben.

Eben deshalb stellte sich denn auch dem Buddha

als er in erkennendem schauen die Bedingtheit des Leidensprozesses zu ergründen unternahm,

als erste Frage die dar: »sind Alter und Tod von irgend etwas abhängig?«

Die Antwort war natürlich: »Ja, sie sind abhängig.« –

»Von was sind Alter und Tod abhängig?« –

»In Abhängigkeit von der Geburt entsteht Alter und Tod *.« (* Digha Nik. XV.)

Jeder sieht ohne weiteres ein, das auch diese Antwort richtig ist.

Weil Altern und Sterben nichts anderes sind als der allmähliche Verfall

und die schließliche definitive Auflösung des körperlichen Organismus,

deshalb sind sie mit diesem unweigerlich gesetzt,

das heißt, sie sind durch jenen Vorgang bedingt,

durch welchen dieser Organismus selbst unter Hinzutritt des Elements des Bewußtseins entsteht:

»Somit, Anando: Was da geboren wird oder altert oder stirbt oder vergeht oder entsteht … –

das ist der körperliche Organismus mitsamt dem Bewußtsein *.« (* Siehe oben S. 62.)

Der Vorgang der Entstehung dieses »mit Bewußtsein behafteten Körpers« aber findet im Mutterleib statt

und erstreckt sich vom Moment der Empfängnis bis zum Austritt des Foetus aus dem Mutterleib.

Den ganzen Vorgang in seiner Gesamtheit faßt der Buddho unter dem Ausdruck Geburt zusammen:

»Und was, Mönche, ist die Geburt?

Der Wesen in dieser oder jener Lebensklasse Geburt, Geboren-werden, Keimung, Empfängnis,

das Erscheinen der Gruppen, das Ergreifen der Sinnengebiete:

Das nennt man, Mönche, Geburt *.« (* Samyutta Nik. l. c.)

 

Mit dieser Erkenntnis, das Alter und Tod mit der Geburt,

das heißt also mit der Bildung des mit den »sechs Sinnen behafteten Körpers«,

naturnotwendig gesetzt sind,

da sie ja nur die Auswirkung der Gesetze, denen dieser Körper unterworfen ist, darstellen,

ergab sich für den Buddho zunächst,

das eine Befreiung von dem Altern und sterben,

dem sein von ihm zur Zeit innegehabter Körper unterlag, sich als unmöglich erwies.

Dem gegenwärtigen Altern und dem sich daran anschließenden Tod gegenüber

war er also von vornherein ohnmächtig.

Gegenüber diesem Altern und diesem Tod

blieb deshalb auch nur die gleichmütige Hinnahme dieser unabänderlichen Folgeerscheinungen

einer bereits gesetzten Ursache übrig,

wie sie in den Worten ihren Ausdruck findet:

»Geduldig trag’ ich ab den Leib *.« (* Psalmen der Mönche, V. 1002.)

Dagegen ergab sich die Möglichkeit,

sich in seinem unergründlichen Wesen von der Wiederholung dieser Vorgänge in der weiteren Zukunft,

also in einer neuen Existenz, zu schützen,

dann, wenn es gelang, jede weitere Geburt,

das heißt die Bildung eines künftigen neuen körperlichen Organismus, hintanzuhalten.

Der Buddho sah sich also hier vor das unerhörte Problem gestellt, jenes Geheimnis zu ergründen,

zufolge dessen sich durch den Vorgang der Empfängnis in einem Mutterleib

immer wieder ein neuer sinnenbegabter Körper bildet mit der Folge,

daß sich noch in jenem Bewußtsein auf ihn herabsenkt.

Nur wenn die Lösung dieses Problems gelang, konnte überhaupt festgestellt werden,

ob unter den Bedingungen dieses Vorganges

– eben der Geburt in dem Sinn, wie der Buddho dieses Wort gebraucht –

solche seien, die zu setzen oder zu unterlassen in unserer Macht steht.

Der Buddho hat auch dieses Problem ergründet und dabei zugleich den Anteil aufgedeckt,

den wir selbst an unserer jeweiligen Empfängnis haben,

so daß jeder in der Lage ist, zu bestimmen, ob er wiedergeboren werden will oder nicht.

Eben diese Unmöglich-machung einer künftigen Neugeburt,

verbunden mit dem unerschütterlichen Bewußtsein,

daß dies gelungen sei, ist das Kriterium der eingetretenen Erlösung und damit der erreichten Heiligkeit.

Denn nur derjenige ist für immer dem Kreislauf entfahren

und eben dadurch definitiv dem Leiden entgangen,

also gänzlich erlöst und so vollkommen heilig geworden, der von sich sagen kann:

»Es-schöpft hat sich die Wiedergeburt, gelebt ist das heilige Leben, getan ist, was zu tun war,

ich habe nichts mehr mit dieser Ordnung der Dinge gemein *, (* Samyutta Nik. XXXV, 28.)

oder auch, wie es anderweit heißt:

»Unerschütterlich ist meine Erlösung, dies ist die letzte Geburt, nicht gibt es mehr ein neues Werden *.«

(* Cfr. oben S. 156.)

 

Damit ist zugleich als der einzige Zeitpunkt,

in welchem es möglich ist, für immer aus dem Samsaro herauszutreten, jener festgestellt,

in dem sich allein eine neue Geburt vollziehen kann,

nämlich der Augenblick des Todes, an den sich ja die neue Geburt jeweils anschließt.

 

 

Die Bedingungen der Wiedergeburt

Es ist früher* schon gesagt worden, (* Oben S. 85.)

daß die Lösung des Rätsels, wie wir immer wieder zu einer neuen Geburt kommen,

sich als geradezu verblüffend einfach erweist, so einfach, wie es eben nur die Wahrheit sein kann.

Nunmehr sind wir an dem Punkt angelangt, diesen Satz zu verifizieren.

 

Zunächst kann natürlich niemand aus unmittelbarer Anschauung heraus sagen,

wie sich der Vorgang seiner eigenen Geburt jeweils vollzieht,

obwohl jeder ihn bereits unzählige Male durchgemacht hat.

Denn die Empfängnis, Die diese jeweilige Geburt einleitet,

geht für jedes Wesen in der Nacht der tiefsten

Bewußtlosigkeit oder, um im Geiste des Buddho zu sprechen, im tiefsten Nichtwissen vor sich.

Wohl aber könnte man auf den Gedanken kommen,

die Kenntnis, die sich der Buddho auch in diesem Punkt zuschreibt,

aus dem zweiten der drei großen Wissen, die er sich errungen hatte, abzuleiten,

nämlich aus der Fähigkeit, »vermittels des göttlichen Auges, des geklärten, überirdischen« zu erkennen,

»wie die Wesen dahinschwinden und wiedererscheinen *.« (* Cfr. oben S. 154.)

Wäre der Buddho

wirklich auf diesem Weg zur Feststellung der Bedingungen unserer Wiedergeburt gelangt,

so wäre das für uns sehr mißlich.

Würden wir, denen diese Fähigkeit des göttlichen Auges vollständig abgeht,

uns doch hier auf den bloßen Glauben an seine Darstellung beschränkt sehen

und damit einer der Grundpfeiler des gewaltigen,

auf der Möglichkeit unmittelbarer eigener Einsicht beruhenden Baues seiner Lehre

sich als morsch erweisen.

Indessen ist diese Befürchtung unbegründet, und zwar aus einem sehr einfachen Grund:

Auch vermittels der Fähigkeit des göttlichen Auges

konnte der Buddho doch immer nur die bloße Tatsache,

daß die Wesen – und zwar in unserer Sinnenwelt in einem Mutterleibe – immer wieder neu erscheinen,

konstatieren,

nicht aber die Ursache für diese Tatsache,

die der unmittelbaren Anschauung überhaupt nicht zugänglich ist.

Diese Ursache mußte also auf einem anderen Wege gefunden werden.

Es war der folgende:

 

Der Buddho suchte das Geborenwerden

als den integrierenden Bestandteil eines anderen, allgemeineren Vorganges zu begreifen,

so daß, wenn er die Bedingung für den letzteren aufdeckte,

damit zugleich und eo ipso auch die für den ersteren klargestellt war.

Als diesen allgemeineren Vorgang aber fand er das Werden (bhavo).

Das Werden ist der allgemeinste, ja im Grund einzige Vorgang auf der Welt.

Es gibt kein eigentliches sein im Sinne eines irgendwie Beharrenden,

sondern alles ist im fortwährenden Fluß begriffen,

entwickelt sich aus den kleinsten Anfängen, um sich alsbald wieder aufzulösen,

ist eben ein bloßes Werden.

In dieser Weise wird insbesondere auch alles Lebendige in jeder der möglichen Welten,

nämlich der Begierdenwelt, der Formwelt und der Nichtformwelt *.

* »Diese drei [Arten von] Werden gibt es, Mönche:

Werden in der Begierdenwelt,

Werden in der Formwelt.

Werden in der Nichtformwelt.« (Samyutta-Nik. XII, 2) –

Unter der »Formwelt« werden hier jene himmlischen Reiche verstanden. in denen die

Objektivierung zwar noch in körperlicher Form erfolgt, aber frei von sinnlichem Begehren;

die »Nicht-Formwelt« begreift die Reiche des unbegrenzten Raumes,

des unbegrenzten Bewußtseins, der Nichtirgendetwasheit

und der Weder-Wahrnehmung-noch-Nichtwahrnehmung in sich.

Von diesen höheren Daseinsbereichen wird später noch gehandelt werden.

Dabei geht dieses Werden,

also das Werden eines neuen sinnenbehafteten Körpers, eines neuen körperlichen Organismus *,

* Ausnahmslos in diesem Sinn wird der Ausdruck »bhavo« (Werden) in den Sutten,

so oft er Bezug auf den Paticcasamuppado hat, gebraucht.

immer und ausnahmslos in der Weise vor sich,

daß es durch »Empfängnis, Keimung, Geborenwerden« eingeleitet wird.

Danach ist aber der in diesen letzteren Begriffen

beschriebene Vorgang mir das Werden in seinem Beginne selbst *.

* Cfr. Psalmen der Mönche, V. 259:

»Mein Werden gewahr’ ich, was da leben läßt.« (Oben S. 156).

Es leuchtet

also auch ohne weiteres ein, daß die letzten Bedingungen der Geburt in dem angegebenen Sinn,

also das Empfangen- und Geborenwerden, mit denen des Werdens überhaupt zusammenfallen:

Wenn ich die Bedingungen für die Empfängnis eines Wesens setze,

setze ich eben damit die Bedingungen für sein Werden, und wenn ich die Bedingungen alles Werdens vernichte, vernichte ich eben dadurch auch die Bedingungen jeglicher Geburt.

Es ist also wiederum nur ein selbstverständlicher Satz, wenn der Buddho sagt:

»Wenn, Anando, die Frage gestellt würde: ‚Ist die Geburt von irgend etwas abhängig?‘ –

so wäre zu erwidern: ‚Ja, sie ist abhängig‘

Und wenn gefragt würde: ‚Von was ist die Geburt abhängig?‘ –

so wäre zu erwidern: ‚In Abhängigkeit vom Werden entsteht die Geburt *‘.«

* Diese Stelle und die folgenden sind aus Digha Nikayo XV.

Das der Buddho mit diesem Satz wirklich nur das eben Ausgeführte besagen will,

ergibt sich mit aller wünschenswerten Präzision aus seiner eigenen Erklärung, die er ihm gibt:

 

»Ich habe gesagt: ‚In Abhängigkeit von dem Werden entsteht die Geburt‘.«

Und dies, Anando, das in Abhängigkeit von dem Werden die Geburt entsteht,

ist in folgendem Sinn zu verstehen:

Angenommen, Anando, daß überhaupt und durchweg kein Werden von irgend etwas stattfände,

das will sagen, kein Werden in der Begierdenwelt,

kein Werden in der Körperwelt, kein Werden in der Nichtkörperwelt –

würde da, bei dem gänzlichen Fehlen des Werdens, auf Grund der Aufhebung des Werdens,

irgendwo Geburt wahrzunehmen sein?«

»Gewiß nicht, Herr.«

 

»Da ist hier also, Anando, die Ursache, der Ursprung, die Entstehung, die Abhängigkeit der Geburt,

nämlich das Werden.«

 

Damit war also für den Buddho das Problem der Geburt auf das des Werdens überhaupt übergeleitet,

indem nunmehr für ihn die Frage zu beantworten war:

Was ist der zureichende Grund für dieses rastlose, unaufhörliche Werden,

in das wir uns hineingestellt sehen?

Die Antwort wurde ihm wiederum durch tiefe Betrachtung, die auch uns mühelos die Frage lösen wird:

Ich gehe auf der Straße. Eine Mädchengestalt taucht vor mir auf. Ich hafte an ihr.

Als Folge davon gewahre ich in mir Gedanken, wie ich mich ihr nähern könne.

Pläne werden geschmiedet, sie werden äußerlich verwirklicht.

Es folgt die Liebeserklärung, die Heirat; Kinder werden erzeugt;

kurz, jene ganze Kette von glücklichen und unglücklichen Ereignissen,

wie sie nur ein Familienleben mit sich bringen kann, läuft ab –

alles bedingt und ausgelöst durch den einzigen Umstand,

daß ich vor Jahren an jener Mädchengestalt auf der Straße gehaftet hatte.

Jenes Haften, das damals in mir aufgestiegen war, war es,

daß dieses ganze, sich über viele Jahre hinziehende Werden ausgelöst hatte.

Wäre es nicht aufgestiegen,

wäre ich vielmehr beim ersten Anblick jener weiblichen Erscheinung gleichgültig geblieben,

so wäre auch sie, wie tausend andere, unbeachtet, wie sie gekommen,

wieder aus meinem Gesichtskreis entschwunden

und hätte vielleicht nie wieder meine Lebensbahn gekreuzt,

die eben dadurch unter Umständen eine diametral entgegengesetzte Richtung genommen hätte. –

Ein junger Mann, der vor der Wahl seines Lebensberufes steht,

heftet an dem in ihm auftauchenden Gedanken, ein Geschäftsmann,

ein Beamter, Offizier, ein Künstler zu werden.

»Diesen Gedanken hegt er und pflegt er und klammert sich daran.«

Die Folge ist, daß der Gedanke sich in die Tat umsetzt, daß das Werden einsetzt

und sich so lange betätigt, bis der junge Mann schließlich

wirklich zum Geschäftsmann, Beamten, Offizier oder Künstler geworden ist,

infolge jenes Anhaftens ist er zu dem geworden, woran er haftete.

Hätte sich in ihm kein solches Anhaften geregt, dann wäre er auch nichts von alledem geworden. –

Man haftet an einer speise mit der Wirkung, daß man davon ist und krank wird;

man haftet an dem Gedanken, daß eine bestimmte Arznei helfe, nimmt infolge davon und wird gesund;

man haftet an einem Gegenstand, den uns ein anderer wegnimmt, und wird zornig;

man haftet an einem fröhlichen Anblick und wird lustig.

Kurz: sobald ein Anhaften in uns aufsteigt,

beginnt das Werden,

nicht bloß das Krank-werden, Gesund-werden, Zornig-werden, Lustig-werden,

sondern jegliches Werden überhaupt:

Immer und überall wird man zu dem, woran man hattet,

indem man sich zugleich mit dem, was infolge des Haftens wird, identifiziert.

Ja, selbst mein eigener Körper wird bloß, wenn und so lange an der Nahrung geheftet

und diese demzufolge dem Körper einverleibt wird;

hört jegliches Anhaften an der Nahrung auf,

dann wird auch der Körper als solcher nicht weiter, er löst sich auf.

Das Resultat ist also:

Wenn ich an nichts mehr hafte, kann auch nichts mehr für mich werden,

selbst ein bloßer Gedanke, der in mir aufsteigt, schwindet haltlos hinweg, löst sich auf,

wenn ich ihm gegenüber vollkommen gleichgültig bleibe,

das heißt also, wenn keinerlei Anhaften an ihm stattfindet:

»Wenn, Anando, die Frage gestellt würde: ‚Ist das Werden von irgend etwas abhängig?‘ –

so wäre zu erwidern: ‚Ja, es ist abhängig.‘

Und wenn gefragt würde: »Von was ist das Werden abhängig?‘ –

so wäre zu erwidern: ‚In Abhängigkeit vom Anhaften entsteht das Werden‘!«

 

So zwingend, weil aus der unmittelbaren Anschauung geschöpft,

diese Beweisführung dafür ist, daß alles Werden in einem Haften seinen Grund hat,

so ist sie doch und damit auch ihr Resultat uns ganz ungewohnt,

weil von unserer sogenannten wissenschaftlichen Methode durchaus verschieden.

Unsere Naturwissenschaften betrachten nämlich alles Werden

lediglich und ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der steten Wandlungen der Materie

auf Grund der sie beherrschenden Gesetze.

Diese Materie und diese Gesetze sind für sie das allein Gegebene,

aus denen deshalb, wie alles in der Welt, so auch der Mensch erschöpfend zu begreifen sei.

Demzufolge steht es für unsere Forscher von vornherein fest,

daß die Materie und ihre Gesetze auch die alleinigen Ursachen zu allen Erscheinungen der Natur,

also auch des Menschen, in sich bergen müssen,

woraus dann eben als die allein in Betracht kommende Methode aller Ätiologie

die möglichst umfassende Erforschung der Natur,

innerhalb deren der Mensch nur ein Genuß unter vielen anderen darstellt,

sich ergibt mit der Folge, daß dadurch

auch immer nur die äußere kausale Verknüpfung der Erscheinungen untereinander erkannt wird,

nie aber das innerste Prinzip, aus dem sie hervorquellen.

Dieses, von uns Naturkraft genannt, lassen die Naturwissenschaften

eben wegen der Art ihrer Methode als unerklärten und für sie unerklärbaren Rest stehen,

eben weshalb wir dann auch zunächst gar nicht wissen, wie wir uns verhalten sollen,

wenn wir uns plötzlich mitten in die Erklärung dieser Naturkraft selbst hineingestellt sehen.

Nichts anderes nämlich als diese Erklärung stellt die Erkenntnis dar,

das alles Werden aus dem Anhaften hervorgeht.

Dieses Haften ist das Kraftprinzip in allen einzelnen Erscheinungen der Natur

und bildet eben deshalb das Wesen aller Naturkräfte.

Freilich kann man das ganz erst dann verstehen,

wenn man statt des angegebenen objektiven Standpunktes unserer Naturwissenschaften

– objektiv deshalb, weil er vom Objekt ausgeht, dieses als das Primäre betrachtet,

aus dem alles, selbst das Subjekt, zu erklären sei –

sich auf den direkt entgegengesetzten, den subjektiven, zurückzieht, den der Buddho einnimmt.

Nach ihm ist ja, wie wir bereits zur Genüge wissen,

das Primäre nicht die Natur, die Welt mit ihren Gesetzen, sondern ich selbst bin dieses Primäre;

und das Problem besteht nicht darin, mich als Produkt der Welt zu begreifen,

also aufzuklären, wie die Welt zu mir kommt,

sondern umgekehrt, die Welt als Produkt von mir zu erfassen und klar zu machen,

wie ich in meinem unergründlichem Wesen zur Welt als zum Bereich des Anatta, des Nicht-ich, komme,

oder, was dasselbe ist, wie ich in den Bereich des Werdens hineingerate.

Eben deshalb kann es sich für den Buddho und für jeden,

der von seinem Standpunkt aus in die Welt hineinschaut,

nie darum handeln, wie das Werden an sich, also unabhängig von mir zu erklären sei,

sondern dasselbe wird, wie ja die ganze Welt, zu einem subjektiven Phänomen des Einzelnen,

muß deshalb auch stets und ausnahmslos und von vornherein

seinen letzten zureichenden Grund im einzelnen Individuum haben.

Damit ergibt sich dann aber auch eine von der unsrigen ganz entgegengesetzte Methode,

diesen Urgrund aufzufinden.

Man wird auf ihn nie durch äußere Forschung stoßen,

auch wenn man die ganze Welt bis in die Tiefen der Sterne durchsucht,

so wenig als man den unterirdischen Zufluß eines Sees dadurch findet,

daß man ihn auf seiner Oberfläche

an allen Ecken und Enden mit allen nur möglichen Instrumenten auf das genaueste durchforscht,

sondern man muß, sich aus der Welt auf sich selbst,

auf das »Zentrum seiner Lebensgeburt *« zurückziehend, (* Jakob Böhme)

durch beharrliche Innenschau festzustellen Suchen,

wie ich zu all dem Werden, in das ich mich hineinverwoben sehe, komme.

Unter Führung des Buddho wird man dann, wie wir gesehen haben, unschwer konstatieren können,

daß, was in und an mir und für mich wird,

es immer nur durch ein vorausgegangenes, in mir aufgestiegenes Anhaften wird,

ja, das eben dadurch auch ich selbst erst zum »Ich« werde.

Erst wenn man so die Quelle, aus der das Werden hervorquillt, in sich selbst aufgedeckt hat,

kann man seinen auf diese Weise richtig eingestellten Blick

mit Aussicht auf Erfolg auch auf die anderen Lebewesen richten *

* »Das eigene Körpergetriebe beobachtend,

wird er da vollkommen ausgeglichen, vollkommen abgeklärt:

weil er da vollkommen ausgeglichen, vollkommen abgeklärt wurde,

kann er nach außen, an anderem Körper, weise den Blick bewähren.« (Digha Nik. XVlll.)

– wiederum im Gegensatz zu den Naturwissenschaften,

die das Einzelne aus dem Allgemeinen begreifen wollen -,

um festzustellen, ob nicht auch bei ihnen alles Werden irgend welcher Art auf einem Anhaften basiert.

Bei der offensichtlichen Gleichartigkeit aller Lebenserscheinungen

wird sich ohne weiteres die Erkenntnis einstellen,

das der Satz auch bei ihnen im vollen Umfange gilt, wie der Buddho das in den Worten ausdrückt:

»Ich habe gesagt: ‚In Abhängigkeit vom Haften entsteht das Werden.‘

Und dies, Anando, das in Abhängigkeit vom Haften das Werden entsteht,

ist in folgendem Sinn zu verstehen:

Angenommen, Anando,

das überhaupt und durchweg kein Haften irgend eines (Wesens) an irgend etwas bestünde,

das will sagen, kein Haften an Sinnenfreuden, kein Haften an Ansichten,

kein Haften an rituellen Gebräuchen, kein Haften an dem Gedanken des Ich-Selbst * –

* Das Tier haftet natürlich bloß an Sinnengenüssen und an dem »Gedanken des Ich-Selbst«.

Den letzteren hat es indes nicht in abstrakter Form, wohl aber als anschauliche Vorstellung:

auch es sieht in seiner Individualität sich selbst.

würde da, bei dem gänzlichen Fehlen des Haftens, auf Grund der Aufhebung des Haftens,

irgendwie ein Werden wahrzunehmen sein?«

»Gewiß nicht, Herr.«

 

»Da ist hier also, Anando, die Ursache, der Ursprung, die Entstehung, die Abhängigkeit des Werdens,

nämlich das Haften.«

 

Ja, wenn wir nur tief genug zu schauen vermögen, entschleiern sich schließlich

auch alle Kräfte im Pflanzenreich und im Bereich des Unorganischen als Äußerungen von Anhaftungen:

Man nehme eine Schachtel mit Zündhölzern.

sobald man ein Zündholz an der Reibfläche der Schachtel reibt, flammt Feuer auf.

Woher kommt es?

Weder in der Reibfläche noch im Zündholz ist es selbstverständlich enthalten;

mag beide auf alle nur erdenkliche Weise physikalisch und chemisch untersuchen,

nie wird man eine Spur von Feuer oder etwas dem Ähnlichen in ihnen entdecken.

Und doch tritt jedesmal, sobald ein Zündholz an der Reibfläche gerieben wird, Feuer hervor.

Danach sind aber Reibfläche und Zündholz

nichts weiter als die Bedingungen – causes occasionelles * – * Schopenh. W. a. W. u. V. I, S. 163 (196).

für ein Drittes, das diese Bedingungen ergreift,

an sie sich anhaftet und vermittels ihrer als Feuer offenbar wird.

Dieses Dritte lauert förmlich auf diese Bedingungen,

um sich an sie anzuklammern und mittels ihrer mit

Vehemenz in die Erscheinung zu treten:

Wo immer nur ein Zündholz an seiner Reibfläche gerieben wird,

mag das in Europa oder in Amerika oder auf dem Mond oder auf dem Sirius geschehen, das gilt gleich:

immer und überall wird diese geheimnisvolle Naturkraft diese Bedingungen gierig ergreifen

und sich vermittels ihrer ins Dasein drängen.

Und dennoch, obwohl sie immer und überall ist, ist sie doch wieder nirgends;

denn nirgends kann sie selbst je gefunden werden.

kurz: sie ist für uns etwas Unerklärliches, Unergründliches,

entsteht für uns jedesmal wieder neu aus dem »Nichts«, in das sie stets wieder zurücksinkt,

liegt also außerhalb der Welt,

eben weshalb von ihr letzten Endes, wie von unseren eigenen Kraftäußerungen,

nichts weiter gesagt werden kann,

als daß es eine Anhaftung ist, die sich vollzieht und die wir dann als Feuer wahrnehmen.

Und so ist es mit jeder Naturkraft.

Zur weiteren Illustration mag das schöne Beispiel Schopenhauers,

in welchem er das Wesen der Naturkräfte anschaulich darlegt,

in buddhistischer Fassung gegeben werden *: * W. a. XV. u. V. I, 161 f. (193).

 

»Denken wir uns etwa eine nach den Gesetzen der Mechanik konstruierte Maschine.

Eiserne Gewichte geben durch ihre schwere den Anfang der Bewegung;

kupferne Räder widerstehen durch ihre Starrheit, stoßen und heben einander

und die Hebel vermöge ihrer Undurchdringlichkeit usf.

Hier sind Schwere, Starrheit, Undurchdringlichkeit, ursprüngliche, unerklärte Anhaftungen,

bloß die Bedingungen, unter denen, und die Art und Weise, wie sie sich äußern, hervortreten,

eine bestimmte Materie, Zeit und Ort beherrschen, gibt die Mechanik an.

Es kann jetzt etwa ein starker Magnet auf das Eisen der Gewichte wirken, die schwere überwältigen;

die Bewegung der Maschine stockt

und die Materie ist sofort wieder der Schauplatz einer anderen Anhaftung,

von der die ätiologische Erklärung ebenfalls nichts weiter als die Bedingungen ihres Eintrittes angibt,

des Magnetismus.

Oder aber es werden nunmehr die kupfernen scheiben jener Maschine auf Zinkplatten gelegt,

gesäuerte Feuchtigkeit dazwischen geleitet

und sogleich ist dieselbe Materie der Maschine

einer anderen ursprünglichen Anhaftung dem Galvanismus, anheimgefallen,

der nun nach seinen Gesetzen sie beherrscht, durch seine Erscheinungen an ihr sich offenbart,

von welchen die Ätiologie auch nicht mehr als die Umstände,

unter denen, und die Gesetze, nach welchen sie sich zeigen, angeben kann.

Jetzt lassen wir die Temperatur wachsen, reinen Sauerstoff hinzutreten:

die ganze Maschine verbrennt:

das heißt, abermals hat eine Anhaftung,

der Chemismus, zu dieser Zeit, an diesem Ort, unweigerlich Anspruch auf jene Materie.

Der dadurch entstandene Metallkalk verbinde sich nun mit einer Säure:

ein Salz entsteht, Kristalle schießen an:

sie sind die Erscheinungen einer anderen Anhaftung die selbst wieder ganz unergründlich ist,

während der Eintritt ihrer Erscheinung von jenen Bedingungen abhing,

welche die Ätiologie anzugeben weiß.

Die Kristalle verwittern, vermischen sich mit anderen Stoffen, eine Vegetation erhebt sich aus ihnen:

eine neue Anhaftung –

und so ließe sich ins Unendliche die nämliche beharrende Materie verfolgen …

wie bald diese, bald jene Anhaftung ein Recht auf sie gewinnt,

und sie unausbleiblich ergreift, um hervorzutreten.«

 

Freilich lehrt der Buddho nicht ausdrücklich,

das auch im Pflanzenreich und im Bereich des Unorganischen alles Werden durch Anhaften bedingt ist,

aber nicht etwa, weil es falsch ist,

sondern weil er mit einer geradezu beispiellosen Konsequenz, wie immer, so auch hier,

an seinem Prinzip festhält, mit nichts sich zu befassen,

was nicht dazu dient, ein wahrhaft heiliges Leben zu begründen,

sondern bloß dazu gut sein könnte, unsere Wißbegierde zu befriedigen;

das Werden im Pflanzenreiche und im Bereich des Unorganischen aber

berührt uns, wenigstens nach der hier fraglichen Richtung, nicht weiter,

weil es nie für uns praktisch werden kann, indem wir nie mehr in diese Reiche zurückgleiten können,

spricht so der Buddho nicht eigens von den Ursachen des Werdens in diesen Reichen,

so setzt er doch, wie wir noch sehen werden, als selbstverständlich voraus,

daß auch dort diese Ursache stets in einem Anhaften besteht.

 

In der oben zitierten Stelle finden wir auch eine Einteilung der möglichen Arten des Anhaftens,

insofern es sich beziehen kann auf sinnenfreuden, Ansichten,

rituelle Gebräuche und den Gedanken des ich-selbst.

Auch diese Einteilung mutet uns zunächst etwas fremdartig an,

da wir dieses Anhaften lieber nach den äußeren Objekten, auf die es sich bezieht,

gruppiert sehen möchten.

Allein auch hier sind wir wieder durch den uns gewohnten objektiven Standpunkt beeinflußt,

der immer sofort die äußere Welt zum Maßstab nehmen will.

Besinnen wir uns aber auf den subjektiven Standpunkt des Buddho,

also darauf, daß unser unergründliches Wesen

als ein Fremdes der Welt gegenübersteht, an der wir bloß haften, so wird klar,

daß dieses Haften in letzter Linie an den Sinnenfreuden statthat,

dann an den Ansichten, die in uns über die Welt und unser Verhältnis zu ihr aufsteigen,

weiter an den religiösen Zeremonien, durch die wir unser Heil wirken zu müssen glauben,

wie eine solche beispielsweise die Verehrung eines persönlichen Gottes ist,

insbesondere aber an dem falschen Gedanken,

als ob unser Wesen eine positive Größe dieser Welt sei.

Indessen ist diese Einteilung nicht die grundlegende.

Als solche erscheint eine andere,

die auch uns ohne weiteres verständlich ist und die wir bisher schon kennen gelernt haben,

sie hat direkt die Elemente zum Gegenstande, die unsere Persönlichkeit ergeben

und in denen, eben weil wir in der letzteren die ganze Welt erleben, sich all unser Anhaften erschöpft.

Es sind die fünf Gruppen: Körper, Empfindung, Wahrnehmung, Gemütsregungen und Bewußtsein,

die der Buddho als den Inbegriff alles dessen, woran wir überhaupt haften können,

die fünf Gruppen des Anhaftens, pancupadanakkhanha schlechthin nennt.

Eben in der Herausarbeitung, das heißt also in dem Werden dieser fünf Gruppen

mit dem körperlichen Organismus als Grundlage besteht der Vorgang der Geburt,

der eben deshalb auch das Anhaften ( – ) zur Voraussetzung hat.

Bevor wir uns jedoch mit der Art dieses Anhaftens näher befassen,

empfiehlt es sich, zunächst noch die unmittelbare Bedingung alles Anhaftens kennen zu lernen.

 

Auch das Anhaften ist nämlich ursächlich bedingt.

Ja, in der Aufzeigung dieser Bedingungen, unter denen, und der Art und Weise, wie es sich äußert,

besteht, wie wir gesehen haben, das Wesen aller Ätiologie.

Freilich begnügt sich diese, wie wir ebenfalls bereits wissen,

mit der Aufdeckung der äußeren Bedingungen, entsprechend ihrem objektiven Standpunkt,

während wir vom Buddho wiederum den inneren Grund erwarten dürfen,

den er uns denn auch, wie folgt, angibt:

»Wenn, Anando, die Frage gestellt würde: ‚Ist das Anhaften von irgend etwas abhängig?‘ –

so wäre zu erwidern: ‚Ja, es ist abhängig.‘

Und wenn gefragt würde: ‚Von was ist das Anhaften abhängig?‘ –

so wäre zu erwidern: »In Abhängigkeit vom Durst entsteht das Anhaften.‘«

 

Was das heißen will. erklärt uns der Buddho selbst:

»Ich habe gesagt: ‚In Abhängigkeit vom Durst entsteht das Haften.‘

Und dies, Anando, das in Abhängigkeit vom Durst das Haften entsteht,

ist in folgendem Sinn zu verstehen:

Angenommen, Anando,

das überhaupt und durchweg kein Durst irgend eines (Wesens) nach irgend etwas bestünde,

das will sagen, kein Durst nach Gestalten, kein Durst nach Tönen, kein Durst nach Gerüchen,

kein Durst nach Geschmäcken, kein Durst nach Tastobjekten, kein Durst nach Vorstellungen –

würde da, bei dem gänzlichen Fehlen des Durstes, auf Grund der Aufhebung des Durstes,

irgendwie ein Haften wahrzunehmen sein?«

»Gewiß nicht, Herr!«

 

»Da ist hier also, Anando, die Ursache, der Ursprung, die Entstehung, die Abhängigkeit des Haftens,

nämlich der Durst.«

 

Hiernach wird also zunächst unter Durst, tanha,

jegliches Verlangen oder Begehren nach irgend etwas in der Welt,

die ja ihrerseits, wie wir bereits wissen, sich in den Objekten der sechs Sinne erschöpft, verstanden,

angefangen vom leisesten Begehren, das in uns aufsteigt,

bis zum eingewurzelten, scheinbar unausrottbaren Triebe.

Ungewohnt ist uns hierbei lediglich der Ausdruck Durst.

Wir werden später noch näher auf ihn. insbesondere sein Verhältnis zum Willen, zurückkommen.

Hier genüge es festzustellen, daß er, ganz wie der schopenhauersche Wille,

sowohl das bewußte als das unbewußte Wollen in sich begreift.

 

Sobald dieser Durst, also dieses Verlangen nach einem Sinnesobjekt, sich in uns erhebt,

ist die naturnotwendige Folge, das auch ein Halten in uns aufsteigt.

Um uns dies deutlich zu machen, dürfen wir nur auf unsere früheren Beispiele zurückgreifen.

Was war die Ursache,

daß ich an jener Mädchengestalt, die mir auf der Straße begegnete, haftete mit der Folge,

daß dieses Haften selbst wieder das daraus erfolgende Werden

und damit mein ganzes Lebensschicksal bestimmte?

Fraglos das in mir aufgestiegene Verlangen, das Mädchen zu besitzen.

Wäre dieses Verlangen, dieser Durst nicht in mir aufgestiegen,

so hätte ich auch nicht an der Gestalt gehaftet

und wären wiederum auch alle Wirkungen dieses Haftens selbst ausgeblieben.

Und was ist der Grund, das einer mit eiserner Energie alle Hindernisse überwindet,

die sich seinem Plan, ein Geschäftsmann, ein Beamter, Offizier, Künstler zu werden, entgegenstellen?

Was ist die Ursache, das er mit solcher Gewalt an diesen Gedanken und Plänen haftet?

Doch wohl sein intensives Begehren, sein heißer Durst, sein unbeugsamer Wille,

jene Lebensstellung zu erringen.

Hätte er keinerlei solches Verlangen, keinerlei derartiges Interesse,

das wiederum nur eine Modalität des Durstes ist,

so würde er auch nicht an derartigen Gedanken

und noch weniger an den Mitteln zu ihrer Verwirklichung haften,

und damit würde von alledem nichts werden. –

Habe ich kein Verlangen nach der Speise, keinen Durst nach dem Getränk,

die mich krank machen können,

so haste ich auch nicht an ihnen, ergreife sie nicht und vermeide eben dadurch das Krank-werden. –

Und habe ich endlich auch nicht das geringste Verlangen nach meinem Körper

und damit auch keinerlei Wunsch mehr, ihn zu erhalten,

bin ich dabei noch frei von jedem Verlangen, den sich meldenden Hunger und Durst zu stillen,

kurz: habe ich überhaupt kein Verlangen irgend welcher Art mehr,

dann hafte ich auch an nichts mehr und kann gleichmütig zusehen,

wie dieser mein Körper mangels Zuführung der nötigen Nahrung sich auflöst und verfällt,

bis er schließlich samt den Sinnesorganen ganz zugrunde geht,

kann mithin in unmittelbarer Anschauung an mir selbst konstatieren,

wie alles Werden für mich nach und nach zur Ruhe kommt.

 

Das alles ist so klar, daß es keines weiteren Beweises bedarf,

ja, im Grunde auch gar keines solchen fähig ist.

Daß alles Anhaften und damit alles Werden durch den Durst, das Wollen bedingt ist,

ist für jeden, der den Satz überhaupt nur erst einmal begriffen hat,

vielmehr wiederum ohne weiteres in sich selbst evident;

es bleibt bloß noch übrig, die Probe aufs Exempel zu machen,

indem man an sich selbst praktisch erprobt,

wie durch allmähliche Willensabtötung auch das Werden immer weniger wird.

Und zwar gilt der Satz nicht bloß für uns selbst und jene Erscheinungen, welche uns ähnlich sind,

die Tiere:

»die fortgesetzte Reflexion wird den Menschen dahin leiten, auch die Kraft«

– oder, um im Geiste des Buddho zu sprechen. die Anhaftung –

»welche in der Pflanze treibt und vegetiert, ja die Kraft, durch welche der Kristall anschießt,

die, welche den Magnet zum Nordpol wendet,

die, deren schlag ihm aus der Berührung heterogener Metalle entgegenfährt,

die, welche in den Wahlverwandtschaften der Stoffe

als Fliehen und Suchen, Trennen und Vereinen erscheint,

ja, zuletzt sogar die schwere, welche in aller Materie so gewaltig strebt,

den Stein zur Erde und die Erde zur Sonne zieht *« – * Schopenhauer, W. a. W. u. V. I. 131 (163).

alle diese Anhaftungen als durch jene Ursache bedingt zu erkennen,

welche da, wo sie am deutlichsten hervortritt, nämlich im Menschen, tanha, Durst, Wollen heißt.

»Kein Körper ist ohne sucht und Begier«, sagt Schopenhauer * (* l. c.) im Geiste Jakob Boehmes,

wie er sich ausdrückt,

und, wie wir nach dem Bisherigen hinzufügen dürfen, eben so sehr im Geiste des Buddho.

Um speziell noch einmal auf unser früher gebrauchtes Beispiel vom Feuer zurückzukommen,

so haben wir gesehen, das jenes Geheimnisvolle,

was, wenn ein Zündholz an der entsprechenden Reibfläche gerieben wird, als Feuer erscheint,

förmlich auf diese Bedingungen seiner Sichtbarwerdung lauert,

ohne Beschränkung auf Zeit und Raum immer bereit, sie mit Vehemenz zu ergreifen.

Wer möchte in dieser lauernden Gier, sich an die geeigneten Bedingungen anzuhalten

und so zum Werden – als Feuer – zu gelangen,

trotz der graduell weiten Entfernung dieser Art von Daseinsform

von unserer eigenen, nicht ebenfalls die tanta, den Durst, wiedererkennen?

 

Damit ist aber als der Urgrund alles Seienden

oder vielmehr, um in der geläuterten Erkenntnisweise des Buddho,

der ja in dieser Welt kein sein, sondern nur ein ewiges Werden anerkennt, zu verbleiben *,

* Auch hier muß man wieder die Ungenauigkeit mancher Übersetzungen aus dem Kanon beklagen,

die, statt uns zur Erkenntnishöhe des Buddho, von der aus in der Welt kein sein,

sondern nur ein ewiges Werden sich darbietet, hinaufzuführen

und so unsere eigene seichte Anschauung zu läutern,

umgekehrt die klare Erkenntnis des Buddho,

sie entgegen dem Wortlaut des Urtextes in die gewöhnliche Ausdrucksweise hineinzwängend,

versuchen und verdunkeln, indem sie bhasuo, werden, stets mit sein oder dasein wiedergeben.

alles Werdenden die tanha, der Durst, das Wollen aufgewiesen:

»Dort, wo Willensgier ist, dort ist das Halten *.« (* Samyutta Nik. XXIL 82.)

»In Abhängigkeit vom Haften« – aber – »entsteht das Werden *.« (* Digha Nik. XV.)

 

Die bisherigen Ausführungen ergeben also:

Unsere Geburt hat als ein Teil, nämlich als das Anfangsstadium des Werdens überhaupt

mit diesem die gleiche Grundursache, das Anhaften;

alles Anhaften aber wurzelt im Durst, im Wollen.

so hatte den Buddho das Suchen nach der Ursache unserer steten Wiedergeburt

zur Aufdeckung der Grundursache alles Werdens,

das heißt in unserem Sprachgebrauch, alles Seins überhaupt, geführt.

Andererseits aber wird gerade dadurch der Vorgang, der unsere stete Wiedergeburt herbeiführt,

ins hellste Licht gesetzt.

Wie er sich hiernach darstellt, davon soll nunmehr die Rede sein.

 

Der Vorgang der Wiedergeburt – Das Karma-Gesetz

Unser wahres Wesen

liegt jenseits unserer Persönlichkeit und ihrer Bestandteile, ja, jenseits der Welt, im scheinbaren Nichts.

An ihm lassen wir es uns aber nicht genügen, wir haben Verlangen, Durst nach etwas Weiterem,

unserem tiefsten Wesen durchaus Fremdem,

nämlich nach der Welt,

die da ist eine Welt der Gestalten, der Töne, der Düfte, der Säfte und des Tastbaren;

und weil wir Verlangen, Durst nach ihr haben,

deshalb ergreifen wir jederzeit mit Gier die Gelegenheit, mit ihr in Verbindung zu kommen,

ist jedoch nicht unmittelbar möglich.

Um einen Kontakt mit den Gestalten herzustellen, ist ein Auge,

um eine Berührung mit den Tönen zu erreichen, ein Ohr,

um eine solche mit den Düften, den Säften, dem Tastbaren zu ermöglichen,

sind eine Nase, eine Zunge, ein Leib notwendig,

ein Gehirn aber als Zentralstelle;

kurz, zur Herstellung des von uns so sehr erstrebten Kontaktes mit der Welt

benötigen wir den körperlichen Organismus,

den »mit den sechs sinnen behafteten Körper« als die Sechssinnenmaschine.

Und so groß ist unser Durst nach der Welt, der Gestalten, der Töne, Düfte, Säfte und des Tastbaren,

das wir wähnen,

dieser Durst sei die unmittelbare Auswirkung unseres Wesens selbst

und deshalb »der körperliche Organismus mitsamt dem Bewußtsein«

die jeweilige Erscheinung dieses unseres Wesens, das sich darin objektiviere;

daher denn auch unser beispielloses Haften an diesem Organismus, solange wir ihn besitzen,

und unser grenzenloser Durst nach einem neuen in dem Moment, wo wir ihn verlieren,

also im Augenblick des Todes,

Durst, der dann ja auch tatsächlich

zur Bildung eines neuen solchen Organismus, einer neuen Sechssinnenmaschine führt.

Der Vorgang hierbei, wie er sich aus der Lehre des Buddho ergibt, ist folgender:

 

Wir wissen bereits, daß jedes Werden ein Doppeltes voraussetzt,

einmal, daß die Bedingungen zu seinem Eintritt gesetzt,

und dann, daß diese Bedingungen ergriffen werden, daß an ihnen gehaftet wird.

Man erinnere sich an das Beispiel vom Feuer:

Die Reibung des Zündholzes an der Reibfläche stellt die Bedingung, an der gehaftet wird, dar

oder, da dieses Ergreifen, dieses Anhaften aus dem scheinbaren Nichts heraus erfolgt,

so daß es in keiner Weise näher bestimmt werden kann,

insbesondere auch nicht als Wirkung eines Subjektes, noch kürzer und besser:

Das Zündholz wird infolge der Reibung das Objekt einer Anhaftung.

Aus eben diesen beiden Faktoren resultiert nun auch jenes neue, selbständige Werden,

das mit der Empfängnis, oder, um in der Sprache des Buddho zu bleiben, mit der Geburt einsetzt.

Die beiden Eltern

setzen durch die Begattung in der Vereinigung des männlichen Samens mit dem weiblichen Ei,

eine Vereinigung,

die bei der Hervorbringung des Feuers der des Zündholzes mit seiner Reibfläche analog ist,

die Bedingung oder, was dasselbe ist, das Objekt für die Anhaftung,

zufolge welch letzterer dann das ergriffene Objekt, das so befruchtete Ei, sich zum Embryo gestaltet,

das Werden eines neuen körperlichen Organismus einsetzt.

Diese Anhaftung aber war jene,

die der trotz aller Krankheit und Todespein nicht geminderte Durst eines sterbenden Wesens

nach einer neuen Sechssinnenmaschine als der einzigen Möglichkeit,

mit der Welt der Gestalten, Töne, Düfte, Säfte und des Tastbaren weiter in Kontakt zu bleiben

und sie zu genießen, ausgelöst hatte.

Konkret gesprochen:

Man versetze sich im Geiste an das Krankenlager eines Menschen, etwa eines mächtigen Fürsten, bezüglich dessen das vor sich geht, was wir sterben nennen,

das heißt also, der die fremden Bestandteile,

die er bisher in seinem mit den sechs Sinnen behafteten Körper ergriffen hielt,

welch letzterer ihn uns ja auch allein sichtbar macht, wieder abzugeben gezwungen ist

und der eben deshalb wieder einmal, wie schon so oft im Verlaufe der Zeiten,

die »Sterbeempfindung *« an sich erfahren muß. (* Digha Nik. XVII.)

In ihm ist der Durst nach der Welt noch nicht erloschen; wo aber Durst ist, da ist Anhaften.

Dieses Anhaften betätigt sich zunächst, solange das Leben noch nicht. aus dem Körper gewichen ist,

an diesem seinem gegenwärtigen Körper selbst;

in dem Augenblick aber, wo derselbe mit dem Entschwinden der Lebensfähigkeit aufgehört hat,

ein taugliches Objekt für dieses Anhaften abzugeben,

da diesem nur ein lebensfähiger Körper

als Mittel zur Befriedigung des Durstes nach Leben Genüge leistet,

wird unter Fahrenlassen des bisherigen Körpers ein neuer lebensfähiger Keim ergriffen,

an ihm geheftet,

und zwar ist das eben jener Keim,

den soeben in einem fremden Ehebett Mann und Weib, etwa rohe Taglöhnerseheleute,

unter den Schauern der Wollust in der Verbindung von Samen und Ei bereitet haben.

Auf den so ergriffenen Keim senkt sich im Mutterleibe Bewußtsein herab;

der Keim gestaltet sich zum Embryo, wird geboren – und jener ehemals mächtige Fürst

sieht sich im Lichte dieses Bewußtseins als Kind dieser Taglöhnerseheleute wieder,

wenn auch ohne Erinnerung an seine frühere Existenz,

in der Folge nur notdürftig ernährt, lieblos behandelt,

ja, oft gefühllos mißhandelt, in späteren Jahren aber vom Vater,

um diesem die Mittel zur Befriedigung seiner Trunksucht zu verschaffen, zum Betteln angehalten:

aus dem ehemaligen Fürsten ist ein erbärmlicher Bettler geworden. –

Doch das ist noch nicht das schlimmste.

Bei einem anderen betätigt sich im Augenblick des Sterbens

das infolge des noch vorhandenen Durstes nach neuern Werden oder Dasein bedingte Anhaften

an einem neuen Keim in irgend einem Tierleib

oder es findet gar in einer Hölle statt,

so daß der gestorbene Mensch sich alsbald als Tier oder gar als Teufel anschaut.

Dem steht der andere Fall gegenüber,

daß unter Fahrenlassen des bisherigen Körpers in einer Lichtwelt, in einem Himmel, gehastet wird

und so derjenige, an dem sich der Vorgang des Sterbens vollzogen hat,

sich später als »ein Gott oder als ein Göttlicher« wiedersieht.

 

Damit ist aber die Frage nach dem »Kausalnexus

zwischen meinem früheren Tode und der Fruchtbarkeit eines fremden Ehebettes *« gelöst,

* Schopenhauer, W. a. W. u. V. Il. 575 (592).

die Brücke zwischen dem frischen Dasein eines neugeborenen Wesens

und dem eines anderen untergegangenen aufgezeigt:

»Wenn Drei sich vereinen, Mönche, bildet sich eine Leibesfrucht.

Da sind Vater und Mutter vereint,

aber die Mutter hat nicht ihre Zeit, auch das Jenseitswesen ist nicht bereit,

und so bildet sich keine Leibesfrucht.

Da sind Vater und Mutter vereint und die Mutter hat ihre Zeit,

aber das Jenseitswesen ist nicht bereit, und so bildet sich keine Leibesfrucht.

Da sind Vater und Mutter vereint und die Mutter hat ihre Zeit und das Jenseitswesen ist bereit, so bildet sich durch der Drei Vereinigung eine Leibesfrucht *.«

* Majj. Nik., 38. Suttam. – Jenseitswesen = gandhabbo.

Dabei sieht jeder in Hinsicht darauf, daß der Buddho ja die Wiederverkörperung lehrt, sofort,

daß das Wort Jenseits-wesen nur ein metaphorischer Ausdruck

für den dürstenden Willen nach Werden eines verscheidenden Wesens

und damit auch, nachdem sich dieses Wesen ja, soweit es sich als von und in dieser Welt wähnt,

mit diesem dürstenden Willen völlig identifiziert, für dieses Wesen selbst ist.

Hiermit entschleiern sich dann aber Tod und Empfängnis als die beiden Seiten eines Vorganges:

Jede Empfängnis

ist nur möglich durch den gleichzeitigen Tod eines Wesens in einem der fünf Reiche des Samsaro,

indem, was hier verschwindet, dort wieder erscheint.

Den Schauern der Wollust im Moment der Begattung

steht also die Qual des Todes des empfangenen Wesens in seiner bisherigen Gestalt gegenüber.

 

Bei dieser ganzen Sachlage ist natürlich davon auszugehen,

das für den zu einer neuen Anhaftung an einem neuen Keim führenden dürstenden Willen nach Werden eines sterbenden Wesens die Gesetze des Raumes und der Zeit in diesem Augenblick nicht existieren, ihm also alle Keime der Welt an sich gleich nahe sind.

Denn der Durst ist in diesem Augenblick ja ohne jedes Substrat,

indem ihm der bisherige Körper, auf den er sich konzentriert hatte, entrissen worden ist *.

* Er lodert in diesem Augenblick, frei von seiner bisherigen Beschränkung, aus dem »Nichts«,

  1. i. unserem tiefsten Wesen, empor, das ebenso grenzenlos wie das All ist,

wie wir im letzten Kapitel noch sehen werden.

Er ist vollständig in der gleichen Lage, wie jene andere Art von Durst,

die wir sich als Feuer offenbaren sehen

und die, wie wir bereits wissen, ebenfalls mit geisterhafter Allgegenwart

auf die Bedingung ihres Eintrittes lauert und sie mit Begierde ergreift,

gleichviel, ob sie hier auf unserer Erde oder auf dem Sirius gesetzt wird *.

* ln den »Fragen des Königs Menandros« ist dieser Gedanke, wie folgt, ausgedrückt:

Der König sprach: »Meister Nagasena,

wenn jemand hier stirbt und darauf in der Brahman-Welt wiedergeboren wird

und ein anderer, der hier stirbt, in Kaschmir wiedergeboren wird:

welcher von den beiden würde zuerst ankommen?«

»Gleichzeitig würden sie ankommen, Großkönig?«

»Gib mir ein Gleichnis.«

»In welcher Stadt bist du geboren, Großkönig?«

»In einem Dorf Namens Kalasi bin ich geboren, Meister.«

»Wie weit, Großkönig, ist Kalasi von hier?«

»Etwa zweihundert Meilen, Meister.«

»Und wieweit, Großkönig, ist Kaschmir von hier?«

»Zwölf Meilen, Meister.«

»Jetzt denke einmal an das Dorf Kalasi, Großkönig.«

»Ich habe es getan, Meister.«

»Und jetzt denke einmal an Kaschmir, Großkönigu

»Es ist geschehen, Meister.«

»Woran, Großkönig. hast du langsamer und woran schneller gedacht?«

»Gleich schnell an beide, Meister.«

»Gerade so, Großkönig, wird der, welcher hier stirbt und in der Brahman-Welt wiedergeboren wird,

nicht später wiedergeboren als der, welcher hier stirbt und in Kaschmir wiedergeboren wird.«

 

»Gib noch ein Gleichnis.«

»Nun, was meinst du, Großkönig: angenommen, zwei Vogel flögen in der Luft

und setzten sich, beide gleichzeitig,

der eine auf einen hohen, der andere auf einen niederen Baum:

wessen schatten würde zuerst auf der Erde ruhen und wessen Schatten zuletzt?«

»Die beiden Schatten würden gleichzeitig da sein, Meister.«

 

»Gerade so, Großkönig, werden jene Beiden gleichzeitig wiedergeboren

und nicht einer später, der andere früher.«

 

* * *

 

Ist so das Problem der Wiedergeburt in der denkbar einfachsten Weise gelöst,

so ist diese Lösung doch noch keine erschöpfende.

Denn noch bleibt die – praktisch so ungeheuer wichtige – Frage zu beantworten:

Woher kommt es, daß das eine Wesen bei seinem Verscheiden an dem Ei in einem Menschenweib,

das andere an einem solchen in einem Tierleib,

wieder ein anderes in einer Hölle oder in einer Götterwelt haftet?

Oder, kürzer:

Wodurch wird die Verschiedenheit in der Richtung des Haftens bei dem Tod eines Wesens bestimmt?

Die Antwort ist:

Durch denselben Faktor, der die Ursache des Anhaftens überhaupt darstellt, den Durst, die tanha.

Die Art dieses Durstes, oder, anders ausgedrückt,

die Grundrichtung, welche das Wollen in einem sterbenden Wesen inne hat,

bestimmt mit dem Haften selbst auch seine Richtung.

 

Um dies ganz zu verstehen, muß man sich vor allem über die Verfassung des Durstes oder des Wollens in diesem entscheidenden Augenblick klar werden:

Man haftet nur an dem, was unserem Wollen gemäß ist:

ist ein Satz von ausnahmsloser Gültigkeit,

wie wir schon aus dem Bisherigen zu ersehen Gelegenheit hatten

und wie jeder jeden Augenblick an sich selbst erproben kann.

Aber so unbedingt seine Gültigkeit ist, so ist er doch im normalen Leben durch den anderen zu ergänzen,

daß wir nicht immer an dem haften, was unserem Wollen gemäß ist, nämlich dann nicht,

wenn wir das Schädliche oder Trügerische dessen, wonach wir Verlangen haben,

mit hinreichender Deutlichkeit erkennen.

Ja, diese Erkenntnis kann uns, wenn sie nur vollständig genug ist,

von der Begierde nach einem Objekt und damit auch vom Anhaften an demselben vollständig kurieren:

Einer sei von höchster Leidenschaft für ein Weib erfüllt.

Dieses, scheinbar Gewährung verheißend,

entblöße seinen deutlich die Zeichen der Syphilis aufweisenden Busen.

Die Leidenschaft für dieses Weib und damit auch

das Haften an ihm wird wohl augenblicklich für immer schwinden.

Hiernach wird also unser Wollen gemeinhin von der Erkenntnis modifiziert,

indem wir in ihrem Lichte auch Objekte verschmähen,

die an sich unserem Wollen vollständig entsprechen,

deren überwiegend schädliche Folgen für uns wir aber erkennen.

Ungehemmt betätigt sich unser Wille nur,

wenn das Licht der Erkenntnis aus irgend einem Grund nicht mehr leuchtet, wenn der Wille also blind ist.

Dann werden wir wahllos nach allem greifen, was ihm gemäß ist,

ohne Rücksicht darauf – eben weil ohne Erkenntnis davon-,

daß das ergriffene Objekt die schwersten Leiden für uns im Gefolge haben werde,

schon bei bloß getrübtem Bewußtsein

wird die Sehnsucht nach dem Besitz eines Spazierstocks nach der Giftschlange greifen lassen,

die ruhig am Boden liegt.

Erst recht aber wird der schlafende, dessen Wollen gerade so weit gereizt wird,

daß es, noch ohne Bewußtsein *, tätig wird,

* d. h. es wird bloß das Schmeckbewußtsein ausgelöst,

nicht aber weiterhin das Denkbewußtsein.

den süßen Saft, der ihm auf die Zunge geträufelt wird,

obwohl er in Wahrheit ein tödliches Gift darstellt, gierig hinunterschlucken.

Bewußt, also im Lichte der Erkenntnis, würden beide derartiges natürlich nie tun.

 

Genau in der gleichen Lage sind aber wir und ist jedes Wesen im Augenblick des Todes.

Denn dann schwindet jedes Bewußtsein, da ja die bisherigen Sinnentätigkeiten, seine Träger, aufhören. Der Durst, uns im Dasein zu behaupten, unser Wille nach neuem Werden, betätigt sich dann also,

weil ohne jede Erkenntnis, in vollständiger Blindheit

und eben deshalb ohne alle Rücksicht auf die daraus sich ergebenden Folgen.

Er führt einfach zu einem Anhaften an demjenigen Keim unter allen möglichen innerhalb der fünf Fährten,

der ihm am meisten entspricht, zu dem eben deshalb auch er selbst sich am meisten hingezogen fühlt,

gleichviel, ob dies ein Keim in einem Menschenweib oder in einem Tierleib oder auch in einer Hölle ist.

Erst später, wenn dieser Keim sich entfaltet hat

und nach eingetretener sinnentätigkeit wiederum Bewußtsein aufdämmert,

wird das, was man ergriff, an was man haftete, eben von diesem Bewußtsein beleuchtet,

indem man sich dann als Mensch, als Tier oder als Teufel sieht,

gleichwie derjenige, der eine Giftschlange ergriffen hatte in dem Wahn, es sei ein Stock

oder derjenige, der, fast ganz bewußtlos, gierig den Giftsaft hinuntergeschluckt hatte,

erst bei sich wiedereinstellender Denkerkenntnis gewahr wird,

welchen Streich ihm sein eigener Wille gespielt hat.

 

Weil so der dürstende Wille nach neuem Werden im Momente des Sterbens,

das heißt des Fahrenlassens des bisherigen Körpers, vollständig blind

und eben deshalb seinem innersten Wesen gemäß sich betätigt,

deshalb kann man auch, um einen modernen Ausdruck zu gebrauchen, sagen,

er steh in diesem Augenblick rein unter dem Gesetz der Wahlverwandtschaft.

Wie nämlich ein chemischer Stoff

nur mit ganz bestimmten anderen Stoffen eine einheitliche Verbindung eingeht,

diese aber mit aller Vehemenz erstrebt, während er gegenüber allen anderen sich indifferent verhält,

was man eben als chemische Wahlverwandtschaft bezeichnet,

genau so ist bei jedem Lebewesen im Augenblick des Todes ein ganz bestimmtes streben vorhanden,

welches der Buddho eben mit tanta, dürstender Wille, bezeichnet,

und das nur mit einer bestimmten Art von Keimen in einem Verwandtschaftsverhältnisse steht,

an denen allein es deshalb auch eine Anhaftung herbeiführt,

aus der dann der neue Organismus resultiert.

Ohne weiteres deutlich ist das hinsichtlich der Tierwelt.

Das Grundstreben jedes Tieres beschränkt sich schon bei Lebzeiten,

noch im Schein der Erkenntnis, auf seinesgleichen –

jedes Tier verkehrt nur mit solchen seiner eigenen Gattung;

um so ausschließlicher wird sich diese Konzentrierung des Willens zum Leben

auf die eigene Gattung im Moment des Sterbens geltend machen,

indem eben auch nur ein Streben nach Anhaftung an einem gleichartigen Tierkeim bestehen

und demzufolge auch nur eine Anhaftung an einem solchen stattfinden wird.

Dagegen wird die Bestimmung der Affinitäten beim Menschen erheblich schwieriger.

Denn unter den Menschen sind alle Willensrichtungen vertreten.

Neben solchen mit einem Engelsgemüt gibt es andere, die noch tief unter dem Tier stehen:

»Der Mensch hat Vernunft – und braucht es allein – um tierischer als jedes Tier zu sein *«.

* Gerade daß der Mensch Vernunft hat,

läßt ihn unter Umständen so sehr viel schlechter als ein Tier erscheinen.

Zunächst kann der Mensch gerade infolge dieser

Vernunft schon rein objektiv ungleich schlechter als jedes Tier handeln.

Dann ist seine Handlungsweise aber auch ceteris paribus,

wieder in Hinsicht auf seine Vernunft, immer schlechter als die eines Tieres.

Denn es ist klar, daß ein Mensch, der trotz seiner Vernunft stiehlt, tötet,

moralisch ungleich tiefer steht als ein Tier, das dasselbe ohne Vernunft tut.

Es wird also auch ohne weiteres verständlich, wenn der Buddha wie wir bereits gesehen haben, lehrt,

daß vom Menschenreich aus die Wege zu allen fünf Fährten des Samsaro führen:

Der dürstende Wille nach Dasein eines Menschen mit engelsgleichem Gemüt wird,

wenn er im Tode den bisherigen Organismus fahren läßt,

mit derselben Notwendigkeit zu einer Götterwelt hinziehen

und eine Anhaftung in einer solchen herbeiführen,

wie der leichte, durchsichtige Rauch eines brennenden edlen Holzes naturgesetzlich nach oben steigt;

andererseits werden die niedrigen Triebe eines verkommenen Menschen,

wenn sie noch in der Tierwelt einen wahlverwandten Keim treffen, an diesem haften,

wenn sie aber noch minderwertiger als jedes Tier sind,

eben nur in einem noch tieferen Reich, den Höllen,

ein ihnen entsprechendes Material finden und sich deshalb in ihrer Blindheit an dieses anklammern,

genau so, wie schwerer, dichter Steinkohlenrauch unfähig ist, nach oben zu steigen,

vielmehr seiner Natur gemäß in den Tiefen hängen bleibt.

Danach hängt also die Art unserer künftigen Wiedergeburt von der Richtung ab,

welche unser Begehren im Verlaufe des Lebens bis zum Tod nimmt:

Der Durst ist das Leitseil, an das gebunden,

die Wesen auf dem langen Weg der Wiedergeharten den Samsaro dahingeführt werden,

gleichwie man einen Ochsen am Band die Straße entlang führt *.

* Vierer-Buch, S. 3 Anm. 2 (Übersetzt von Nyanatiloka, 1922).

 

Seinen prägnantesten Ausdruck

findet dieser Gedanke im siebenundfünfzigsten Suttam der Mittleren Sammlung *. (* Majj. Nik. l, p. 387.)

Punno, ein Kuhasket, und Seniyo, ein Unbekleideter, ein Hundeasket,

also zwei Büßer, die nach brahmanischer Sitte

durch ausgesuchte Selbstqualen sich eine günstige Wiedergeburt sichern wollten,

indem Punno sein Leben nach Art der Kühe, Seniyo aber nach der der Hunde eingerichtet hatte,

begeben sich zum Erhabenen.

Punno stellt ihm folgende Frage:

»Dieser Unbekleidete, oh Herr, Seniyo, der Hundeasket, übt schwere Askese:

nur auf die Erde hingeworfene Nahrung nimmt er zu sich.

Er hat das Hundegelübde lange Jahre hindurch befolgt und bewahrt; wohin wird er gelangen?

Was darf er erwarten?«

Der Buddho weigert sich zunächst, die Frage zu beantworten,

gibt aber schließlich auf das Drängen Punnos folgenden Bescheid:

 

»Wahrlich denn, Punno, du gibst mir nicht nach, so will ich dir nun Rede stehen.

Da verwirklicht, Punno, einer das Hundegelübde, kommt ihm ganz und gar nach,

verwirklicht die Hundegewohnheit, kommt ihr ganz und gar nach,

verwirklicht das Hundegemüt, kommt ihm ganz und gar nach,

verwirklicht das Hundegehaben, kommt ihm ganz und gar nach.

Und hat er das Hundegelübde verwirklicht, ist ihm ganz und gar nachgekommen,

hat er die Hundegewohnheit verwirklicht, ist ihr ganz und gar nachgekommen,

hat er das Hundegemüt verwirklicht, ist ihm ganz und gar nachgekommen,

hat er das Hundegehaben verwirklicht, ist ihm ganz und gar nachgekommen,

so gelangt er bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tod, unter Hunden wieder zum Dasein.

Wenn er aber die Meinung hegt: ‚Durch diese Übungen oder Gelübde, Kasteiung oder Entsagung

werde ich ein Gott werden oder ein Göttlicher‘,

so ist es eine falsche Meinung.

Und seine falsche Meinung, sage ich, Punno,

läßt ihn nach der einen oder nach der anderen Seite gelangen:

in höllische Welt oder in tierischen Schoß,

so führt also, Punno, das Hundegelübde, wenn es gelingt, zu den Hunden hin,

und wenn es mißlingt, in höllische Welt.«

 

Nun fragt Seniyo:

»Dieser Koliyer Punno, der Kuhasket, oh Herr,

hat das Kuhgelübde lange Zeit hindurch befolgt und bewahrt:

wohin wird er gelangen, was darf er erwarten?«

Auch ihm erwidert der Buddho erst auf mehrmaliges Drängen:

»Wahrlich denn, Seniyo, du gibst mir nicht nach; so will ich dir nun Rede stehen.

Da verwirklicht, Seniyo, einer das Kuhgelübde, kommt ihm ganz und gar nach,

verwirklicht die Kuhgewohnheit, kommt ihr ganz und gar nach,

verwirklicht das Kuhgemüt, kommt ihm ganz und gar nach,

verwirklicht das Kuhgehaben, kommt ihm ganz und gar nach.

Und hat er das Kuhgelübde verwirklicht, ist ihm ganz und gar nachgekommen,

hat er die Kuhgewohnheit verwirklicht, ist ihr ganz und gar nachgekommen,

hat er das Kuhgemüt verwirklicht, ist ihm ganz und gar nachgekommen,

hat er das Kuhgehaben verwirklicht, ist ihm ganz und gar nachgekommen,

so gelangt er bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tod, unter Kühen wieder zum Dasein.

Wenn er aber die Meinung hegt: ‚Durch diese Übungen oder Gelübde, Kasteiung oder Entsagung werde ich ein Gott werden oder ein Göttlicher‘,

so ist es eine falsche Meinung.

Und seine falsche Meinung, sage ich, Seniyo,

läßt ihn nach der einen oder nach der anderen Seite gelangen:

in höllische Welt oder in tierischen Schoß,

so führt also, Seniyo, das Kuhgelübde, wenn es gelingt, zu den Kühen hin,

und wenn es mißlingt, in höllische Welt.« .

 

Wie sollte es auch anders sein?

Zu welch anderer Anhaftung als an einem Hundekeim

sollte der blinde Durst eines sterbenden Menschen, sich im Dasein zu behaupten,

nach dem Gesetz der Wahlverwandtschaft wohl führen,

wenn sein ganzes Streben und Wollen ein hündisches geworden ist?

Höchstens kann es passieren, daß dieses Streben,

das in jenem entscheidenden Augenblick ja vollständig blind ist,

zu einer Anhaftung in noch größeren Tiefen, also in einer Hölle, führt.

nämlich dann, »wenn das Hundegelübde mißlingt«.

Man hat sich dann in seinem blinden Wollen vergriffen,

etwa wie ein Tier, das in seiner blinden Gier, seinen Hunger zu stillen,

auch auf Nahrung, welche vergiftet ist, stoßen und sie ergreifen mag.

 

So ist es aber in allen Fällen.

Stets und ausnahmslos führt das Streben nach neuem Werden, d. h. also sich im Dasein zu behaupten,

dann, wenn es wegen des Zerfalles des bisher innegehabten Körpers

einen neuen Keim zu suchen und zu ergreifen gezwungen ist,

zu einer solchen Anhaftung, welche der Richtung, die es bereits im Leben genommen hatte, gemäß ist,

gleichwie der geworfene stein die Richtung, die ihm erteilt worden ist, beibehält:

»Da, Mönche, ist ein Mönch vertrauensvoll, sittenrein, kennt die Lehre, kann entsagen, ist weise.

Der denkt bei sich: ‚Oh, daß ich doch bei der Auflösung des Körpers.

Nach dem Tod, unter hohen Adeligen wiedergeboren werde.‘

Diesen Gedanken denkt er, in solchem Denken beharrt er, dieses Denken nährt er.

Den führen diese schöpferischen Denkakte

und ein entsprechendes Verhalten zu einer solchen Wiedergeburt *.

* Majj. Nik. Ill, p. 99 (120. Suttam). — Vgl. weiterhin Angutt. Nik. lll, 80,

wo der Buddho auf die von Anando geäußerte Begeisterung

über den gewaltigen Machtbereich des Ersteren zu Udayi spricht:

»Sollte Anando unbefreit vom Begehren sterben,

so würde er, eben infolge jener Herzensneigung,

siebenmal unter den Göttern die Götterherrschaft

und siebenmal eben in diesem indischen Kontinent die Königsherrschaft führen.

Das ist, Mönche, der Weg, das ist der Übergang, der zur Wiederkehr dorthin gedeiht.«

 

Hiernach wird einer also immer das. was er gerne werden möchte,

  1. h. also, wonach er Verlangen, Durst hat.

Denn wonach einer Durst hat, daran haftet er.

Das ist aber selbstverständlich nicht in dem Sinne zu verstehen,

als ob schon ein bloßer Wunsch genügen würde,

sondern maßgebend ist die Art unseres Wollens, unseres Begehrens in seinem tiefsten Grund,

  1. h. also unser innerster Charakter, wie er zum Vorschein kommt,

wenn er sich, ohne vom Licht der Erkenntnis gelenkt zu sein, als blinder Trieb betätigt.

Denn eben in dieser Lage

ist ja nach dem Bisherigen unser Wille in jenem entscheidenden Augenblick des Todes,

wo er uns zu einem Anhaften an einem neuen Keim bestimmt.

Um zu wissen, zu welcher Anhaftung uns unser Wille dereinst führen mag,

müssen wir also in die Tiefen unseres Trieblebens hinabsteigen,

wie es sich offenbart, wenn der dominierende Einfluß der Vernunft aufgehoben ist,

also im Affekt oder noch mehr im Rauschzustand und im Traum.

Es ist mithin nicht entscheidend,

ob einer bei vernünftiger Überlegung nicht tötet, nicht stiehlt, nicht unkeusch, nicht lieblos ist,

sondern ob er unfähig zu alledem auch – in der höchsten Leidenschaft, ja, selbst in seinen Träumen ist.

Erst das, was auch in diesen Zuständen nie mehr in uns aufsteigt, nie mehr aufsteigen kann,

wozu wir also, wie wir gar wohl fühlen, absolut unfähig sind, ist aus unserem Willen definitiv ausgerottet,

kann also auch dann nicht mehr sich geltend machen,

wenn wir im Tod das Bewußtsein vollständig abgeworfen haben,

und kann eben deshalb dann auch nicht mehr als blinder Trieb unser neues Anhaften mitbestimmen.

Wenn ich beispielsweise weiß, daß ich unter keinen Umständen auch nur den Gedanken fassen könnte,

nicht einmal im Traum zu töten,

dann bin ich sicher, daß dieser Trieb nicht mehr in mir existiert,

also auch nicht mehr mein neues Anhaften im Tod mitbestimmen kann.

Muß ich mir aber nach genauem Selbststudium sagen,

daß ich zwar bei klarem Bewußtsein zu töten unfähig bin,

wohl aber im Affekt oder im Rausch zu einer Tötung imstande wäre,

dann ist mein Wille eben noch derart,

daß er künftig, wenn ihm gar kein Bewußtsein leuchtet,

an einem Keim und in einer Welt haften kann, wo getötet werden kann und getötet wird

und wo vielleicht auch diese noch in mir schlummernde Willensfähigkeit

unter entsprechenden äußeren Verhältnissen,

beispielsweise wenn ich in eine rohe ungebildete Familie hineingeboren werde,

einmal selbst wieder emporlodern und mich zum Mörder werden lassen kann.

Grundbedingung der Gewißheit,

daß ich nach meinem Tod an keinem Keim in niedriger, leidvoller Welt haften werde, ist also,

daß ich mich, spätestens im Augenblick meines Todes, von allen niedrigen Trieben definitiv frei weiß.

In dem Maß, als dies zutrifft,

als einer also Vertrauen, Sittenreinheit, Durchdringung der Lehre, Loslösung, Weisheit erworben hat,

damit zugleich edler und reiner und zum Haften in höheren, reineren Sphären geeigneter geworden ist,

hat er es dann auch in der Hand,

seine Wiedergeburt in ganz bestimmten Kreisen oder Sphären herbeizuführen,

etwa in einer mächtigen Fürstenfamilie oder in einer Götterwelt,

indem er durch fortwährende intensive Beschäftigung mit den dahingehenden Gedanken

sein ganzes Streben in diese Richtung lenkt,

bis es ganz darin aufgeht, vollständig davon durchsättigt ist,

so daß sich von selbst die unerschütterliche Gewißheit einstellt:

ich kann nach meinem Tod unmöglich mehr in die Tiefe sinken,

so wenig als gereinigter, d. h. von den schweren Bestandteilen befreiter Kohlenrauch

in Niederungen sich niederschlagen kann, sondern in die Höhe steigen muß,

ja, ich kann in jenem entscheidenden unbewußtem Zustand

überhaupt an keinem anderen Keim haften als dem ersehnten,

weil jeder andere meiner innersten Natur, d. h. also meiner charakteristischen Willensrichtung,

meinem tiefsten Durst nach einer ganz bestimmten Art des Daseins, widerstreben

und daher von diesem ohne weiteres, auch blind, zurückgestoßen würde.

 

Als typisches Beispiel, wie das Gesetz der Wahlverwandtschaft es ist,

welches unser Anhaften im Tode bestimmt,

mögen noch folgende Buddhaworte angeführt werden *, (* Digha Nik. XIII.)

in welchen der Weg zur Vereinigung mit Brahma *, dem höchsten Streben der Brahmanenkaste,

* Brahma ist unser lieber Gott, also Gott im populären Sinn des Wortes – Digha Nik. I -;

auch er ist noch innerhalb der Welt und deshalb nicht ewig,

wähnt sich aber infolge seiner ungeheuren Lebensdauer ewig (cfr. Digha Nik. Xl).

behandelt wird:

 

»‘Vasettho, was glaubst du aus dem Munde älterer und alter Brahmanen,

die deine Lehrer oder Lehrerslehrer waren, darüber vernommen zu haben:

Hat Brahma Interesse für Haus und Hof, Weib und Kind oder nicht?‘

‚Nein, verehrter Gotamo.‘

 

‚Hat er ein gehässiges Gemüt oder ein friedfertiges?‘ – ‚Ein friedfertiges, verehrter Gotamo‘ –

‚Ist er böse gesinnt oder gut gesinnt?‘ – ‚Gut gesinnt, verehrter Gotamo.‘ –

‚Hat er ein reines Gemüt oder ein beschmutztes Gemüt?‘ – ‚Ein reines Gemüt. verehrter Gotamo‘ –

‚Ist er selbstgewaltig über seinen Willen oder willensschwach?‘ –

‚Er ist selbstgewaltig über seinen Willen, verehrter Gotamo.‘ –

‚Was meinst du nun aber dazu, Vasettho?

Hängen die Brahmanen an Haus und Hof, Weib und Kind oder nicht?‘ –

‚Sie hängen daran, verehrter Gotamo.‘ –

‚Sind sie gehässig oder friedfertig?‘ – ‚Gehässig.‘ –

‚Sind sie böse gesinnt oder gut gesinnt?‘ – ‚Böse gesinnt.‘ –

‚Haben sie ein reines Gemüt oder ein beschmutztes Gemüt?‘ – ‚Ein beschmutztes Gemüt.‘ –

‚Sind sie selbstgewaltig über ihren Willen oder willensschwach?‘ – ‚Willensschwach, verehrter Gotamo.‘ –

 

‚Vasettho, so sind also, wie du zugestehst, die dreiveden-kundigen Brahmanen

versessen auf Haus und Hof, Weib und Kind, Brahma aber nicht.

Paßt das nun wohl zusammen:

die Besitz und Familie schätzenden dreiveden-kundigen Brahmanen

und der besitz- und familienlose Brahma?‘ – ‚Es paßt nicht zusammen, verehrter Gotamo.‘

 

»Gut, Vasettho! Daß also diese Besitz und Familie schätzenden dreiveden-kundigen Brahmanen

nach dem körperlichen Ende, dem Tod,

zur Vereinigung mit dem besitz- und familienlosen Brahma gelangen könnten, ist ausgeschlossen.

 

‚Und, Vasettho, die dreiveden-kundigen Brahmanen sind deiner Aussage nach also gehässig,

Brahma aber ist friedfertig,

sie sind böse gesinnt, Brahma aber ist gütig,

sie sind beschmutzten Gemüts, Brahma aber ist reinen Gemüts,

sie sind schwach gegenüber ihrem Willen, Brahma aber ist selbstgewaltig über seinen Willen.

Paßt das nun wohl zusammen: die gehässigen, bös gesinnten, unreinen, willensschwachen Brahmanen

und der friedfertige, gütige, reine, willensmächtige Brahma?‘ –

‚Nein, das paßt nicht zusammen, verehrter Gotamo.‘

 

‚Gut, Vasettho! Daß also diese unsteten dreiveden-kundigen Brahmanen

nach dem körperlichen Ende, dem Tod,

zur Vereinigung mit dem willensstarken Brahma gelangen sollten, ist ausgeschlossen.‘ …

 

»Darauf sprach der junge Vasettho zum Erhabenen: ‚Verehrter Gotamo, ich habe gehört,

daß der Samano Gotamo den Weg weist, der zu Brahma, zur Vereinigung mit ihm führt.

Wohlan, möge doch der verehrte Gotamo uns diesen Weg weisen und die Brahmanen emporführen.‘

 

‚So höre denn, Vasettho, und achte wohl auf das, was ich sagen werde!( –

‚So sei es‘, sagte der junge Vasettho zustimmend zum Erhabenen. –

Der Erhabene aber sprach: …

‚Da durchdringt der Bhikkhu * (* Bhikkhu – Mönch) mit seinem gütigen Geist eine Himmelsgegend,

ebenso die zweite, dritte und vierte.

Und so durchdringt er nach oben und unten und horizontal die ganze Welt an allen Stellen

vollständig mit umfassendem, grobem, alles Malz überschreitendem, friedfertigem, gütigem Geist.

 

‚Wie, Vasettho,

ein kräftiger Muschelbläser alle vier Himmelsrichtungen mühelos mit dem Schall durchdringt,

so bleibt keine Schranke für die Entfaltung solchen gütigen Geistes,

die den Geist erlöst von der Beschränkung auf die eigene Person.

Vasettho, das ist der Weg, der zu Brahma, zur Vereinigung mit ihm führt.

 

‚Vasettho, ein solcher Mönch durchdringt auch mit mitleidsvollem Geist, mit freudevollem Geist *,

* Franke hat »mit gütiger Gesinnung«. Siehe dagegen die Ausführungen im letzten Kapitel,

auch Oldenberg, S. 351, Anm. I; Seidenstücker, Pali-Buddh., S. 280, § 22 A.

mit gleichmütigem Geiste eine Himmelsrichtung ebenso die zweite, dritte und vierte,

und so durchdringt er nach oben und unten und horizontal die ganze Welt an allen Stellen

vollständig mit umfassendem, großem, alles Maß überschreitendem, mitleidsvollem Geist,

freudevollem Geist, mit gleichmütigem Geist.

 

‚Wie, Vasettho, ein kräftiger Muschelbläser alle vier Himmelsrichtungen

mühelos mit dem Schall durchdringt,

so bleibt keine Schranke für die Entfaltung solchen mitleidsvollem freudevollen, gleichmütigen Geistes,

die den Geist erlöst von der Beschränkung auf die eigene Person.

 

‚Vasettho, das ist der Weg zu Brahma, zur Vereinigung mit ihm.

 

‚Was meinst du nun, Vasettho? Hat der Mönch, der sich so verhält,

Interesse für die kleinlichen Dinge des alltäglichen Lebens oder nicht?‘ – ‚Nein, verehrter Gotamo.‘ –

‚Ist er gehässig oder friedfertig?‘ – ‚Friedfertig, verehrter Gotamo.‘ –

‚Böse gesinnt oder gut gesinnt?‘ – ‚Gut gesinnt, verehrter Gotamo.‘ –

‚Beschmutzten Gemütes oder reinen Gemütes?‘ – ‚Reinen Gemütes, verehrter Gotamo.‘ –

‚Willensschwach oder selbstgewaltig über seinen Willen?‘ –

‚Selbstgewaltig über seinen Willen, verehrter Gotamo.‘ –

 

‚So ist denn, Vasettho, wie du zugestehst,

ein solcher Mönch ohne Interesse für die kleinlichen Dinge des alltäglichen Lebens,

und auch Brahma ist es.

Paßt das zusammen:

ein für irdischen Besitz interesseloser Mönch und der für irdischen Besitz interesselose Brahma?‘ –

‚Ja, verehrter Gotamo‘ –

‚Gut, Vasettho. Daß also ein solcher für Irdisches uninteressierter Mönch

nach dem Zerbrechen seines Körpers, nach dem Tod,

zur Vereinigung mit dem von irdischen sorgen unberührten Brahma gelangen kann,

diese Möglichkeit ist vorhanden.

 

‚Und so ist, Vasettho, ein solcher Mönch ebenso wie Brahma friedfertig, gütig, reinen Gemüts, selbstgewaltig über seinen Willen.

Paßt das zusammen:

ein friedfertigen gütiger, reiner, über seinen Willen selbstgewaltiger Mönch

und der friedfertige, gütige, reine, über seinen Willen selbstgewaltige Brahma?‘ – ‚Ja, verehrter Gotamo.‘ –

‚Gut, Vasetthol –

Daß also ein solch friedfertigen gütiger, reiner, über seinen Willen selbstgewaltiger Mönch

nach dem Zerbrechen seines Körpers, nach dem Tod,

zur Vereinigung mit dem über seinen Willen selbstgewaltigen Brahma gelangen kann,

diese Möglichkeit ist vorhanden.‘«

Wird er ja von seinem Durst, seinem Wollen in den Brahmahimmel »gleichsam eingeführt«,

wie es im hundertdreiundfünfzigsten bis hundertzweiundsechzigsten Suttam des Dreier-Buches * heißt.

* Ang. Nik. III, 153-162.

Doch ist damit das Gesetz der Wahlverwandtschaft, wie es den Willen in seinen Anhaftungen leitet,

noch nicht erschöpft.

Es bestimmt nicht nur den Keim, an dem die neue Anhaftung stattfindet,

im Allgemeinen in seiner Zugehörigkeit zu einem der fünf Reiche des Samsaro,

sondern es gibt bis ins einzelne die Richtschnur an,

warum ein ganz bestimmter Keim ergriffen, an ihm gehaftet wird,

warum beispielsweise innerhalb des Menschenreiches

eine Anhaftung gerade in dem schon eines armseligen Taglöhnerweibes oder einer vornehmen Frau

oder an einem schon vom Vater oder der Mutter her kranken Keim,

der nur mit einer geringen Lebensfähigkeit ausgestattet ist, erfolgt.

Im Einzelnen führt der Buddho das im einhundertfünfunddreißigsten Suttam der Mittleren Sammlung aus*:

* Majj. Nik. III. p. 202.

 

»Was ist wohl, oh Gotamo, der Grund, was ist die Ursache,

daß man auch unter menschlichen Wesen, die als Menschen geboren sind,

Verkommenheit und Vorzüglichkeit findet?

Man sieht, oh Gotamo, kurzlebige Menschen und man sieht langlebige,

man sieht bresthafte und man sieht rüstige,

man sieht unschöne und man sieht schöne,

man sieht wenig vermögende und sieht viel vermögende,

man sieht wenig besitzende und man sieht viel besitzende,

man sieht niedriggestellte und man sieht hochgestellte,

man sieht stumpfsinnige und man sieht scharfsinnige:

was ist da, oh Gotamo, der Grund, was ist die Ursache,

daß man auch unter menschlichen Wesen, die als Menschen geboren sind,

Verkommenheit und Vorzüglichkeit findet?«

 

»Eigner der Werke, Brahmane, sind die Wesen,

Erben der Werke, Kinder der Werke, Geschöpfe der Werke, Knechte der Werke:

das Werk scheidet die Wesen ab, nach Verkommenheit und Vorzüglichkeit. …

 

»Da bringt, Brahmane, irgend ein Weib oder ein Mann Lebendiges um,

ist grausam und blutgierig, an Mord und Totschlag gewohnt, ohne Mitleid gegen Mensch und Tier.

Da läßt ihn solches Wirken, so vollzogen, so vollbracht, bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tod,

abwärts geraten, auf schlechte Fährte, zur Tiefe hinab, in höllische Welt;

oder wenn er nicht dahin gelangt und Menschentum erreicht,

wird er, wo er da neugeboren wird, kurzlebig sein.

Das ist der Übergang. Brahmane, der zu kurzem Leben führt. …

 

»Da hat wieder, Brahmane,

irgend ein Weib oder ein Mann das Töten verworfen, vom Töten hält er sich fern:

ohne Stock. ohne Schwert, fühlsam, voll Teilnahme, hegt er zu allen lebenden Wesen Liebe und Mitleid.

Da läßt ihn solches Wirken, so vollzogen, so vollbracht, bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tod,

auf gute Fährte geraten, in göttliche Welt;

oder wenn er nicht dahin gelangt und Menschentum erreicht,

wird er, wo er da neugeboren wird, langlebig sein.

Das ist der Übergang, Brahmane, der zu langem Leben führt.«

 

In Fortsetzung seiner Rede legt dann der Buddho weiter dar,

wie der Grausame – der Zornige – der Neidige – der Geizige – der Hochmütige –

der ohne Interesse für sein künftiges Heil Dahinlebende,

wenn sie nicht in die Hölle geraten, sondern wiederum Menschentum erreichen,

der erste bresthaft – der zweite unschön – der dritte wenig vermögend – der vierte wenig besitzend –

der fünfte niedriggestellt – der sechste aber ein Tor werden wird.

Während Menschen, die die gegenteiligen Eigenschaften gepflegt haben, in göttliche Welt emporsteigen

oder, falls sie als Menschen wiedergeboren werden, gesund – bzw. anmutig –

bzw. viel vermögend – bzw. viel besitzend – bzw. hochgestellt – bzw. weise werden *.

*Es ist nicht schwer, auch in allen diesen Fällen das Gesetz der Wahlverwandtschaft

als den Regulator der im Tod vor sich gehenden Anhaftung an einem neuen Keim aufzuzeigen:

Wer mitleidlos Menschen oder auch nur Tiere töten kann,

trägt tief in seinem Inneren die Neigung, Leben abzukürzen;

er findet Befriedigung, ja Freude an der Kurzlebigkeit der anderen Wesen.

Kurzlebige Keime sind ihm also wahlverwandt,

eine Wahlverwandtschaft, die sich nach seinem Tod

in der dann erfolgenden Anhaftung an einem neuen Keim

zu seinem eigenen Schaden geltend macht. –

Ebenso sind einem, der an Mißhandlungen und Veranstaltungen anderer Gefallen findet,

Keime wahlverwandt,

die in sich die Anlage tragen, sich zu einem verunstalteten Körper zu entwickeln-

Ein zorniger Mensch erzeugt in sich Wahlverwandtschaft

zu unschönen Körpern und den entsprechenden Keimen,

wie es ja das Charakteristikum des Zornes ist, das Antlitz zu verzerren.

Wer eifersüchtig, geizig, hochmütig ist,

hat in sich die Tendenz, anderen nichts zu gönnen, sie zu verachten.

Demzufolge sind ihm Keime,

die in armseligen äußeren Verhältnissen sich zu entwickeln bestimmt sind, wahlverwandt.

Nur eine Konsequenz des Ausgeführten ist es natürlich,

daß auch ein Wechsel des Geschlechts eintreten kann,

so wird in Digha N. XXI. berichtet, wie Gopika, eine Tochter der Sakyer,

nach ihrem Tod als »Gopako der Göttersöhne« wiedergeboren wurde,

weil »ihr der weil-licht sinn widerwärtig geworden war,

sie männlichen Sinn in sich ausgebildet hatte«.

 

* * *

 

Bisher wurde hauptsächlich von dem Fall ausgegangen,

daß das Grundstreben eines Menschen in einer ganz bestimmten Richtung liegt,

daß er also bestimmte Charaktereigenschaften

ganz besonders und in einer hervorstechenden Richtung entwickelt.

Diese sind dann vor allem für die Art der Anhaftung im Tode bestimmend.

Nun ist aber gemeinhin sein Durst oder, wie wir geläufiger sagen,

sein Wollen im Augenblick des Todes nichts Einheitliches,

sondern ein Inbegriff der verschiedenartigsten, ja geradezu konträren Bestrebungen.

Schopenhauer hat dies in den Worten ausgesprochen,

in jedem Menschen wohne ein Engel und ein Teufel.

Die Frage ist deshalb, wonach sich in einem solchen Fall die neue Anhaftung im Tode bestimmt.

Die Antwort ist wiederum sehr einfach.

Sie hängt davon ab, ob die gute oder die böse Strebung im Augenblicke des Todes in Wirksamkeit tritt

und so die neue Anhaftung bestimmt.

 

Damit ist aber nicht gesagt,

daß nun die in diesem Augenblick latent bleibende gegenteilige Willensrichtung

für immer wirkungslos geworden sei.

Im Gegenteil wird auch sie irgendwo und irgendwann sich geltend machen,

indem sie maßgebend für irgend eine spätere Geburt, eine »nachmalige Wiederkehr *«, sein wird.

(* Majj. Nik. Ill, p. 214 (136. Suttam))

Denn sie bleibt ja bestehen, glimmt sozusagen unter der Asche fort,

indem sie lange Zeiten hindurch nicht einmal ins Bewußtsein zu treten braucht.

Um letzteres ganz zu verstehen, dürfen wir uns nur darüber klar werden,

wie die wenigsten Menschen ihren Charakter,

  1. h. also die Summe ihrer Willensstrebungen, wirklich kennen:

Es fehlen entweder die äußeren Motive,

welche die in ihnen schlummernden Triebe und Neigungen wecken könnten,

oder die äußeren Umstände, wie speziell die staatlichen Gesetze,

hemmen die Äußerungen des bösen Willens, keineswegs diesen selbst.

»Dadurch geschieht es,

daß höchst selten ein Mensch seine ganze Entsetzlichkeit im Spiegel seiner Taten erblickt.

Oder glaubt ihr wirklich, Robespierre, Bonaparte, der Kaiser von Marokko, die Mörder, die ihr rädern seht,

seien allein so schlecht unter Allen?

Seht ihr nicht, daß viele dasselbe täten, wenn sie nur könnten?

Mancher Verbrecher stirbt ruhiger auf dem Schafott,

als mancher Nichtverbrecher in den Armen der Seinen.

Jener hat seinen Willen erkannt und gewendet.

Dieser hat ihn nicht wenden können, weil er ihn nie hat erkennen können *.«

* Schopenhauer, Neue Paralip., S. 170.

Hiernach wird deutlich,

wie irgend eine Charakteranlage durch ganze Existenzen hindurch in uns schlummern kann,

bis sie plötzlich irgend einmal offenbar wird und in Wirksamkeit tritt *.

* Ein Analogon bilden ererbte physische krankhafte Keime,

die auch oft erst im zweiten, ja im dritten Glied, wie besonders solche zu Geisteskrankheiten,

zur Erkrankung führen,

also von ihren Zwischenträgern

gleichfalls zeit ihres Lebens völlig unbewußt mit herumgetragen werden.

Unter diesem Gesichtspunkt verstehen wir es dann aber auch,

wie ein schlechter Trieb uns im nächsten Tode einer Anhaftung in einer Hölle zuführen kann,

während unsere guten Neigungen, möglicherweise unter weiterem Fortwirken des schlechten Triebes,

erst eine spätere Anhaftung nach Umfluß der Objektivation in der Hölle bestimmen,

indem sie erst dann wirksam werden, oder umgekehrt.

Ein Beispiel hierfür gibt der Buddho im folgenden Fall:

König Pasenadi von Kosala berichtet ihm:

 

»Herr, hier in Savatthi ist ein Haushalter, ein Gildemeister, gestorben.

Derselbe hat keinen Sohn hinterlassen,

und ich komme jetzt hierher, nachdem ich seinen Besitz dem königlichen Palast überwiesen habe:

Herr, eine Million Goldstücke, und was soll ich erst vom Silber sagen!

Aber dieser Haushalter und Gildemeister, Herr,

pflegte abwechselnd Brockenspeise und sauren Haferschleim zu essen.

Und so kleidete er sich: Als Gewand trug er ein Kleid aus grobem Hanf, und was seine Kutsche anbetrifft, so fuhr er in einem defekten Wagen mit einem abgenutzten Sonnenschirm aus Blättern.«

 

Darauf spricht der Buddho:

»Gewiß, großer König, gewiß, großer König!

In früherem Leben. Großer König, gab dieser Haushalter und Gildeneister

einst einem Paccekabuddho* mit Namen Tagarasikhi Almosenspeise.

* Ein für sich allein Erwachter,

der im Gegensatz zu einem vollkommen Erwachten – Sammasambuddho –

nicht die Fähigkeit hat, seine Erkenntnisse anderen mitzuteilen.

Und als er nach den Worten: ‚Gebt dem Asketen Almosenspeise!‘

sich von seinem Sitz erhob und fortging, gereute es ihn, daß er gespendet hatte:

‚Es wäre besser, wenn meine Sklaven und Arbeiter die Almosenspeise äßen!‘

Und außerdem beraubte er seines Bruders einzigen Sohn um des Vermögens willen des Lebens.

 

»Und weil, großer König, dieser Haushalter und Gildemeister

dem Paecekabuddho Tagarasikhi Almosenspeise gespendet hatte,

gelangte er, als Frucht dieser Tat, siebenmal auf den guten Weg, in die Himmelswelt.

Und ebenfalls als Frucht dieser Tat wurde er hier in Savatthi siebenmal Gildemeister.

 

»Und weil nun, großer König, dieser Haushalter und Gildemeister es bereute, daß er gespendet hatte:

‚Es wäre besser, wenn meine Sklaven und Arbeiter die Almosenspeise äßen‘,

hatte er, als Frucht dieser Tat,

kein Verständnis für gute Speise, hatte kein Verständnis für schöne Kleidung,

hatte er kein Verständnis für ein geschmackvolles Gefährt,

hatte er kein Verständnis für die Genüsse der fünf Sinne.

 

»Und weil nun, großer König, dieser Haushalter und Gildemeister

seines Bruders einzigen Sohn um des Vermögens willen des Lebens beraubte,

mußte er, als Frucht dieser Tat, viele Jahre, viele hundert Jahre, viele tausend Jahre,

viele hunderttausend Jahre in der Hölle Pein erdulden.

Und ebenfalls als Frucht dieser Tat ist er das siebte Mal sohnlos

und muß infolgedessen sein Vermögen der Schatzkammer des Königs überlassen *.«

(* Majj. Nik. l. p. 371.)

 

Es bedarf wohl keines besonderen Hinweises, daß die angeführten Taten des Gildemeisters

nur als Äußerungen und Förderer der entsprechenden Willenstendenzen

ihre späteren Folgen zeitigten.

Niemand kann nach dem Gesetz des allmählichen Werdens, das alles beherrscht,

ein schweres Verbrechen begehen,

ohne das sein Wille nicht schon lange vorher in den Bahnen, innerhalb deren es liegt, gewandelt wäre.

Der Entschluß und die Ausführung des Verbrechens selbst

verstärken und besiegeln lediglich die bereits vorhandene Willenstendenz.

Dieselbe bleibt deshalb natürlich auch nach der Tat bestehen,

selbst wenn sie in der Folge nicht mehr zum Ausbruch kommt,

ja, dem Täter selbst unbewußt bleiben mag –

niemand wird einem Menschen trauen,

der, sei es auch vor vielen Jahren, bewußt einen anderen getötet hat -,

eben weshalb diese so latent gewordene Willensdisposition

dann auch im kommenden Tod die Direktive für die Art der neuen Anhaftung abzugeben vermag.

Das nicht etwa die Setzung der äußeren Tat als solcher, rein objektiv genommen,

also beispielsweise die wenn auch unverschuldet herbeigeführte Tötung eines Menschen,

sondern vielmehr die Gesinnung, in der sie gesetzt wird,

d.h. also eben wiederum die Willensrichtung, aus der sie erfolgt

und deren Verhärtung sie selbst mitbedingt,

es ist, welche das fernere Schicksal des Menschen bestimmt,

führt der Buddho im sechsundfünfzigsten Suttam der Mittleren Sammlung * aus,

(* Samyutta Nik. III, 2, 10.)

wo er in einem Zwiegespräch mit Upali, dem Hausvater, einem Anhänger des Nigantha Nathaputto,

den Gedankengang behandelt:

Was ohne Absicht geschieht, ist nicht so sehr von Übel;

wenn es aber mit Absicht geschieht, dann ist es sehr von Übel,

und dabei in dreimaliger feierlicher Wiederholung erklärt,

daß von den möglichen Taten in Gedanken, Worten und Werken die in Gedanken,

  1. h. eben jene, die auf eine böse Gesinnung zurückgehen, die übelsten sind.

Ja. im Sechser-Buch des Anguttara Nikayo identifiziert der Buddho das Wirken direkt mit dem Wollen:

»Den Willen, Mönche, nenne ich das Wirken (Kammam);

denn ist der Wille da, so wirkt man, sei es in Werken, Worten oder in Gedanken.« * **

(* Ang. Nik. VI 63)

** Vgl. auch Schrader, Die Fragen des Königs Menandros. S. 89 f.:

»Der König sprach: ‚Meister Nagaseno, wessen Schuld ist die größere:

dessen, der wissentlich, oder dessen, der unwissentlich sündigt?‘

Der Senior sprach: ‚Wer unwissentlich sündigt, Großkönig, hat die größere Schuld.‘ –

Dann sollen wir also, Meister Nagaseno,

unsere Prinzen und Minister, wenn sie unwissentlich sich vergehen, doppelt bestrafen?‘ –

‚Was meinst du, Großkönig: wenn einer, ohne zu wissen, was er tut,

und ein anderer mit Bewußtsein eine Eisenkugel ergreift, die bis zum Rotglühen erhitzt worden ist:

welcher von beiden würde sich stärker brennen?‘ –

‚Derjenige, Meister, welcher ahnungslos die Kugel ergreift.‘ –

‚Ebenso, Großkönig. ist dessen schuld die größere, der unwissentlich Böses tut.‘ –

‚Gut, Meister Nagaseno.‘« –

Hier bemerkt Schrader, S. 168 l.c., ganz im Sinne der obigen Ausführungen:

»Wie ist das zu verstehen?

Schwerlich anders als das bei dem, der sich seiner Tat als einer verwerflichen bewußt ist,

alsbald die Reue kommt und infolgedessen das Böse nicht zunimmt,

während bei dem, der ohne Skrupel seinen Freund betrügen kann,

der, ohne einen Funken von Mitleid zu empfinden,

einen Menschen ermorden, ein Tier quälen kann usw.,

durch Verhärtung des Charakters die Disposition zum Bösen wächst.« –

Wenn ein anderer Satz des Buddho

den unwissentlich sündigenden im Gegenteil von Schuld ganz freispricht –

»Ajanantassa n’apatti«: Ohne Wissen keine Schuld –

so ist dieses »ohne Wissen«

im Gegensatz zu dem eben behandelten Fall der Unkenntnis des Moral- oder Karma-Gesetzes,

welche Unkenntnis immer von einer ganz tiefen Stufe zeugt,

im Sinne des error in objecto zu verstehen,

wie das durch folgenden – gleichfalls von Schrader (l.c.) angeführten –

einem Buddhisten in den Mund gelegten Ausspruch des Sutrakrtanga illustriert wird:

»Wenn (ein Wilder) seinen Spieß

durch die Seite eines (bienenkorbähnlichen) Kornschuppens rennt, im Glauben, es sei ein Mann,

oder durch einen Kürbis, im Glauben, es sei ein Kind, und ihn brät,

so ist er des Mordes schuldig, nach unseren Ansichten.

Wenn ein Wilder einen Mann aufspießt und brät, im Glauben, es sei ein Stück vom Kornschuppen,

oder ein kleines Kind, im Glauben, es sei ein Kürbis,

so ist er nicht des Mordes schuldig, nach unseren Ansichten.«

 

Hiernach führt also jedes Wollen ganz bestimmte Wirkungen herbei,

und zwar bestehen dieselben nicht bloß in denjenigen, welche sich noch in diesem Leben einstellen

und die der Buddho als »die offenbare Leidensverkettung« * bezeichnet –

(* Majj. Nik. I, p. 92 (13. Suttam))

sie sind hier nicht zu behandeln -,

sondern sie äußern sich auch über den Tod hinaus als »die verborgene Leidensverkettung«,

indem jedes Wollen über den Weg

der durch dasselbe bedingten oder mitbedingten oder verhärteten Willenstendenz das Anhaften

bei einer unserer künftigen Wiedergeburten mitbestimmt

und so dazu beiträgt, uns in die entsprechenden äußeren Verhältnisse zu versetzen.

Gemeinhin wird diese gesetzmäßige Auswirkung alles Wollens das Karma-Gesetz genannt *,

* Karma (Sanskrit). in der Pali-Form Kammam, – die wirkende Tat, oder, kurz, das Wirken,

also das Gesetz des Wirkens oder, da nach dem Obigen Wirken –

Wollen ist, das Gesetz, dem jedes Wollen untersteht.

in den Sutten heißt es auch »die Frucht der Taten *« oder das Gesetz schlechthin:

* Der Pali-Ausdruck hierfür lautet: kamma-vipako. Vgl. Angutt. Nik. Il, p. 80 IV, 77)

 

»Was ist wohl, lieber Gotamo, die Ursache, was der Grund,

daß hier manche Wesen bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tod,

auf den Abweg, auf den schlechten Weg, zu Stätten des Leidens, zur Hölle gelangen?«

 

ipEben auf Grund des gesetzlos-m Wandels, des unrechten Wandels Brahmane,

gelangen hier manche Wesen bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tod,

auf den Abweg, auf den schlechten Weg, zu Stätten des Leidens, zur Hölle.«

 

»Und was, lieber Gotamo, ist die Ursache, was der Grund, daß hier manche Wesen bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tod, auf den guten Weg, zur Götterwelt gelangen?«

 

»Eben auf Grund des Wandels geymäjc dem Gesetz, des rechten Wandels, Brahmane,

gelangen hier manche Wesen bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tod,

auf den guten Weg, zur Götterwelt *.« * Anguttara Nik. ll» 2 : 6.

 

Genau besehen ist dieses Karma-Gesetz nichts weiter als das Kausalitätsgesetz

und zwar nicht nur in seinem formellen sinne als das Gesetz von Ursache und Wirkung an sich,

sondern zugleich in seiner materiellen Bedeutung,

nach welcher aus einer bestimmten Ursache jeweils auch eine ganz bestimmte Wirkung hervorgeht,

jedoch von seiner Beschränkung auf das Physische befreit und als auch im Bereich des Moralischen,

  1. h. über den Tod hinaus herrschend, aufgezeigt.

Es ist in diesem seinem allumfassenden Geltungsbereiche jene bald als gütige Vorsehung angestaunte.

bald als finsteres Schicksal gefürchtete Macht,

der jede Willensbetätigung, auch die geringste im leisesten Gedanken, untersteht:

Sobald sich irgend ein Wollen regt,

regt es sich nach Maßgabe des Kausalitätsgesetzes oder es regt sich überhaupt nicht.

 

Unseren Taten können wir somit nicht entrinnen,

sie werden uns in der Form ihrer Wirkungen zu gegebener Zeit unweigerlich finden:

 

»Nicht in der Luft, nicht in des Weltmeers Tiefen, noch in weitentlegener Bergeshöhle:

nirgend findet in der Welt ein Ort sich, wo man der eigenen bösen Tat entrinnen könnte *.«

* Dhammapadam, V. 127.

 

»Das keine Frucht für jene bösen Werke,

die befleckenden, wiedergebärenden, schrecklichen, leiderwirkenden,

von neuem zu Geburt, Altern und Sterben führenden, erstehen möge, das kann niemand bewirken,

kein Asket, Priester oder Geistwesen, kein Gott noch Teufel noch irgend einer in der Welt *.«

* Angutt. Nik. ll, p. 172 (IV, 182).

 

»Den nach langer Abwesenheit aus fernen Landen glücklich Wiederkehrenden begräbt,

wenn er heimkehrt, die Schar der Freunde und Verwandten,

so auch empfangen den, der recht gehandelt hat hienieden, die eigenen guten Taten in der anderen Welt,

wie Freunde einen lieben Freund *.« (* Dhammapadam. V. 219-220.)

 

Insbesondere ist natürlich auch unser gegenwärtiger Körper,

wie jeder spätere, mit allen Sinnesorganen und geistigen Fähigkeiten,

also das, was wir bisher die Sechssinnenmaschine genannt haben,

ein ausschließliches Produkt unseres früheren Wirkens,

indem dieses ja das Anhaften im Mutterleib herbeigeführt hat:

 

»Dies ist nicht, Mönche, euer Körper und nicht der Körper der anderen:

die Tat der Vergangenheit muß vielmehr hier erblickt werden,

die zur Entwicklung gekommen, die verwirklichtes Wollen ist, die fühlbar geworden ist *.«

* Samyutta Nikayo II, pag. 64 f. (Xll, 37). –

Der Sinn der Stelle ist: Dieser Körper gehört euch nicht wesenhaft an,

sondern ist einfach ein durch euer früheres Wirken erzeugtes Produkt,

an das ihr euch nunmehr gekettet seht.

 

»Das Auge, Mönche, ist als durch früheres Wirken bestimmt zu erkennen und zu betrachten.

 

»Das Ohr – die Nase – die Zunge – der Leib – der Geist, Mönche, ist als durch früheres Wirken gebildet und bestimmt zu erkennen und zu betrachten *.« (* Samyutta Nikayo XXXV, 145.)

 

Kurz: »Mein Wirken ist mein Besitz, mein Wirken ist mein Erbteil,

mein Wirken der Mutterleib, der mich gebiert,

mein Wirken ist das Geschlecht, dem ich verwandt bin,

mein Wirken ist meine Zuflucht *.« (* Anguttara Nikayo V, 57.)

 

Sind also die Wirkungen alles unseres Wollens streng gesetzmäßige.

Dann erhellt auch ohne weiteres, daß uns vor ihnen auch kein guter Glaube,

auch nicht das auf kirchliche Dogmen gegründete felsenfeste Vertrauen

von der Richtigkeit des eingeschlagenen Lebensweges zu schützen vermag:

Ein lungenschwacher Mensch, der in erhitztem Zustand einen kalten Trunk zu sich nimmt,

wird eine Lungenentzündung bekommen,

ob er nun diese Folgen gekannt hat oder nicht

und auch wenn er die unerschütterliche Überzeugung hatte, der Trunk werde ihm nicht schaden;

und wer mit einem unkundigen Führer einen Gletscher besteigt,

wird in eine Gletscherspalte hinunterstürzen,

auch wenn ihn der Führer

noch so sehr von seiner Unfehlbarkeit in der Kenntnis des richtigen Weges zu überzeugen gewußt hatte.

Denn es ist eben Naturgesetz, daß ein kalter Trunk ungünstig auf erhitzte Lungen wirkt

und daß, wer auf eine Gletscherspalte zugeht, schließlich in dieselbe hineinstürzen muß.

Ganz ebenso ist es aber auch im Bereiche des Moralischen ewiges Gesetz,

ja, es ist im Grunde dasselbe Gesetz, wie das eben genannte Naturgesetz,

daß jedwede Willensbetätigung und demzufolge jedes Anhaften in dem entsprechenden Werden

die entsprechenden Folgen herbeiführt.

Der Buddho

spricht diesen Gedanken im einhundertsechsundzwanzigsten Suttam der Mittleren Sammlung * aus,

wo er unter anderem sagt: (* Majj. Nik. lll. p. 140)

»Wer da auch immer, Bhumijo, als Asket oder als Brahmane falsch erkennt … falsch handelt . . .

und also etwa mit Hoffnung ein Asketenleben führt, kann das Ziel unmöglich gewinnen,

also etwa ohne Hoffnung ein Asketenleben führt, kann das Ziel unmöglich gewinnen.

Und warum nicht?

Weil er, Bhumijo, das Zielgewinnen nicht von Grund aus versteht…

Gleichwie etwa, Bhumjio, wenn ein Mann, der Milch begehrt, Milch sucht, auf Milch ausgeht,

eine Kuh, die gekalbt hat, am Horn zu melken begann;

mag der auch also mit Hoffnung bemüht sein, Milch kann er unmöglich gewinnen;

mag der auch also ohne Hoffnung bemüht sein, Milch kann er unmöglich gewinnen. …

Und warum nicht? Weil er, Bhumijo, Milchgewinnen nicht von Grund aus versteht.

Ebenso nun auch, Bhumijo, können dergleichen Asketen oder Brahmanen das Ziel unmöglich gewinnen:

Und warum nicht? Weil sie, Bhurnijo, das Zielgewinnen nicht von Grund aus verstehen.«

 

* * *

 

So über jeden Zweifel erhaben mithin die Kausalität alles Wollens ist,

so ist damit doch noch keineswegs gesagt,

daß sie sich nun in allen Fällen über den Tod hinaus

in eine unserer künftigen Wiedergeburten hinein erstrecken muß.

Das ist vielmehr nur dann der Fall, wenn die Willenstendenz deren Ausfluß eine bestimmte Tat war,

im Zeitpunkt des Todes, wo die neue Anhaftung stattfindet,

überhaupt noch, wenn auch nur latent, vorhanden ist.

Ist sie in diesem Augenblick bereits wieder vollständig ausgerottet,

dann kann sie und damit auch die aus ihr geflossene Tat selbstverständlich

auch in keiner Weise mehr kausal für die neue Anhaftung und die ihr später folgenden sein,

so wenig als ein kalter Trunk einem Menschen weiter schaden kann,

wenn dieser alsbald nach dem Trunke und noch ehevor die Wirkung der Lungenentzündung eintritt,

die durch ihn eingetretene krankhafte Veränderung der Lungen

durch ein entsprechendes Verhalten wieder beseitigt,

und so wenig ein unkundiger Gletscherwanderer in die Gletscherspalte hinunterstürzen kann,

wenn er rechtzeitig die eingeschlagene Richtung wieder verläßt:

 

»Diese drei, Mönche, sind dem Abgrund und der Hölle verfallen, falls sie folgendem nicht entsagen:

welche drei?

 

Der unkeusch Lebende. der sich als keusch lebenden Jünger ausgibt;

derjenige, der einen keusch lebenden Jünger des unkeuschen Lebens bezichtigt;

derjenige, der im Glauben und der Ansicht,

daß nichts Böses an der Sinnlichkeit zu finden sei, dem sinnlichen Genuß verfällt.

Diese drei, Mönche, sind dem Abgrund und der Hölle verfallen, falls sie diesen Dingen mehr entsagen *.«

(* Angutt. Nik. III, 111)

 

Nichts anderes besagt auch die Einleitung des neunundneunzigsten Suttams des Dreier-Buches *.

* Angutt. Nik. I, p. 249.

»Sollte, Mönche, die Behauptung zutreffen,

daß der Mensch für jedwede Tat, die er verübt, die ihr genau entsprechende Wirkung erfährt,

so ist in diesem Fall, Mönche, ein heiliger Wandel ausgeschlossen,

und keinerlei Möglichkeit besteht zur vollkommenen Leidensvernichtung.

Sollte aber, Mönche, die Behauptung zutreffen,

daß der Mensch, der eine von einer Wirkung gefolgte Tat verübt hat, stets diese Wirkung erfährt,

so mag es in diesem Falle, Mönche, einen heiligen Wandel geben,

und die Möglichkeit besteht zur vollkommenen Leidensvernichtung.«

Diese Stelle hat natürlich nicht, wie Nyanatiloka in seiner Anmerkung zu ihr meint, den Sinn,

daß es eine Tat, d. h. ein Wirken, ohne Wirkung gebe,

sondern sie will nur sagen, daß es ein Wirken gibt, das keine postmortalen Wirkungen im Gefolge hat *.

* so daß also die Stelle wie folgt zu lesen ist:

»Sollte, Mönche, die Behauptung zutreffen, daß der Mensch für jedwede Tat, die er verübt,

die ihr genau entsprechende Wirkung [nach dem Tode] erfährt,

so ist in diesem Fall, Mönche, ein heiliger Wandel ausgeschlossen,

und keinerlei Möglichkeit besteht zur vollkommenen Leidensvernichtung,

sollte aber, Mönche, die Behauptung zutreffen,

daß der Mensch, der eine von einer (postmortalen) Wirkung gefolgte Tat verübt hat,

stets diese Wirkung erfährt,

so mag es in diesem Fall, Mönche, einen heiligen Wandel geben,

und die Möglichkeit besteht zur vollkommenen Leidensvernichtung.« –

Das ein heiliges Leben unmöglich wäre, wenn jede Tat über den Tod hinaus wirkte, ist klar.

Denn dann könnte ja niemals und bei keinem Menschen

die Leidensverkettung im Tode abgerissen werden.

Es muß also auch Taten geben, die keine Wirkung über den Tod hinaus äußern,

bzw. müssen die Wirkungen aller Taten

rückwärts wieder auf das gegenwärtige Leben beschränkt werden können.

Das Letztere ist in seinem ganzen Umfang beim Heiligen der Fall,

wie wir später noch sehen werden. –

Unter welchen Umständen eine Tat ihre Wirkungen über den Tod hinaus erstreckt,

mithin als »eine von einer postmortalen Wirkung gefolgte« anzusprechen ist und unter welchen nicht. wird oben im Texte weiterhin ausgeführt.

Das dies der Sinn der Stelle ist, ergibt sich klar aus ihrer Fortsetzung:

»Da, Mönche, hat einer nur ein kleines Vergehen verübt, und dieses bringt ihn zur Hölle.

Da aber, Mönche, hat ein anderer ebendasselbe kleine Vergehen verübt,

doch dieses reift noch hei Lebzeiten,

und nicht einmal eine kleine Wirkung tut sich kund, geschweige denn eine große.«

Das heißt also: Bei dem einen wirkt ein bestimmter,

sich in einem Vergehen manifestierender Wille über den Tod hinaus derart,

daß er ihn direkt in eine Hölle zu führen vermag,

während er bei einem anderen sich schon bei Lebzeiten vollständig erschöpft

und sich nicht einmal eine kleine postmortale Wirkung kundtut.

 

»Welcherart aber. Mönche, ist der Mensch, den ein kleines Vergehen, das er verübt hat, zur Hölle bringt?

Da, Mönche, hat ein Mensch keinen Einblick in den Körper gewonnen *,

* d. h. er ist sich nicht klar geworden über das, was wir unsere Persönlichkeit – Sakkayo – nennen.

die Sittenreinheit nicht entfaltet, sein Denken ist beschränkt und kleinmütig,

und selbst infolge von Kleinigkeiten hat er zu leiden.

Einen solchen Menschen, Mönche, mag selbst ein kleines Vergehen, das er verübt hat, zur Hölle bringen.

 

» Welcherart aber, Mönche, ist der Mensch. bei dem ebendasselbe kleine Vergehen, das er verübt hat, noch bei Lebzeiten zur Reife gelangt,

und nicht einmal eine kleine Wirkung sich kundtut (nach dem Tod), geschweige denn eine große?-

Da, Mönche, hat ein Mensch Einblick in den Körper gewonnen.

Die Sittenreinheit entfaltet, sein Denken entfaltet, die Weisheit entfaltet, ist uns beschränkt, großmütig,

weilt im Unermeßlichen.

Bei einem solchen Menschen, Mönche, gelangt ebendasselbe kleine Vergehen, das er verübt hat,

noch bei Lebzeiten zur Reife,

und nicht einmal eine kleine Wirkung tut sich kund (nach dem Tod), geschweige denn eine große.

 

»Was meint ihr wohl, Mönche, gesetzt,

es würde ein Mann einen Klumpen Salz in eine kleine Tasse voll Wasser werfen;

würde da wohl das wenige Wasser in der Tasse

durch jenen Klumpen Salz salzig und ungenießbar werden?«

»Ja, oh Herrl«

 

»Und warum?«

»Es findet sich ja, oh Herr, nur sehr wenig Wasser in der Tasse.

Das würde durch jenen Klumpen Salz salzig und ungenießbar werden«

 

»Was meint ihr aber, Mönche,

gesetzt, es würde ein Mann einen Klumpen Salz in den Gangesstrom werfen;

würde wohl da das Wasser des Gangesstromes

durch jenen Klumpen salz salzig und ungenießbar werden?«

»Das wohl nicht. oh Herr!«

 

»Und warum nicht?«

»Es befindet sich ja, oh Herr, eine gewaltige Masse Wassers in dem Gangesstrom;

das würde durch jenen Klumpen Salz nicht salzig und ungenießbar werden.«

 

»Ebenso nun auch, Mönche, hat da einer nur ein kleines Vergehen verübt, und dieses bringt ihn zur Hölle.

Und ein anderer hat ebendasselbe kleine Vergehen verübt, doch dieses reift noch bei Lebzeiten,

und nicht einmal eine kleine Wirkung tut sich kund, geschweige denn eine große.«

 

Wie wir sehen, deckt sich auch die Begründung dafür, daß die gleiche Tat den einen in die Hölle führt,

während sie bei einem anderen sich noch bei Lebzeiten vollständig erschöpft,

mit den bisherigen Ausführungen:

Ob die Folgen einer Tat bis zum Tod und damit in die nächste Existenz hineinreichen,

bestimmt sich ausschließlich darnach, in welchem Maß die Tat den Willen beeindruckt:

ein beschränkter eitler Mensch

wird schon eine mäßige Beleidigung als einen schweren Angriff auf seinen Eigendünkel empfinden,

den er aufrichtig und von Herzen nie wird verzeihen können,

so daß derselbe also unauslöschliche Spuren in ihm hinterläßt,

dagegen wird dieselbe Beleidigung auf einen edlen Menschen,

der von der Wertlosigkeit alles Irdischen durchdrungen ist, keinerlei Eindruck machen

oder, wenn sie ihn in Aufregung bringt, so wird dieselbe doch bloß eine augenblickliche sein

und wird auch die durch diese Erregung bedingte Willensbeeinflußung

in der alsbald sich einstellenden bitteren Reue ausreifen, sich auswirken

und durch die Liebe und das Mitleid, das in ihm wohnt *,

* Güte und Mitleid sind das »Unermeßliche«, von dem oben die Rede war

und in dem alles Egoistische wie ein Klumpen salz im Gangesstrom aufgelöst wird. –

Von diesem »Unermeßlichen« im letzten Kapitel dieses Werkes mehr.

in kürzester Frist gänzlich aufgetrocknet, mit Stumpf und Stiel wieder ausgerottet sein,

so daß bei seinem Tod nichts mehr von ihr vorhanden ist,

was die dann neuerdings erfolgende Anhaftung beeinflussen könnte.

 

Damit ist dann aber auch der Weg gezeigt,

nicht wie wir den Folgen unseres bisherigen bösen Wirkens entgehen können

– das ist nach dem Ausgeführten unmöglich -,

sondern wie wir diese Folgen auf unser gegenwärtiges Leben beschränken

oder wenigstens die postmortalen Folgen abschwächen können.

Wir dürfen nur die schlechten Willensdispositionen,

die schlechten Charaktereigenschaften vernichten oder wenigstens schwächen,

die, wie wir später noch deutlich einsehen werden, aus unseren schlechten Handlungen erwachsen sind,

ja, die im Grunde nichts weiter als die Summe dieser darstellen

und in denen wir daher die fortwirkende Kraft jeder einzelnen früheren bösen Tat

auf eine geheimnisvolle Weise mitherumtragen.

Eben deshalb ertöten wir dann in den schweren Seelenkämpfen um die Abschwächung oder gänzliche Vernichtung einzelner oder aller unserer schlechten Charaktereigenschaften auch unsere früheren bösen Taten selbst, »leben wir sie nach und nach ab«, wie es im Dreier-Buch heißt *, * Ang. Nik. lll, 74.

so das einer in demselben Maß, als er von einer bestimmten schlechten Charaktereigenschaft frei wird,

auch der weiteren Folgen jener Taten, die in Beziehung zu dieser Charaktereigenschaft stehen,

ledig wird.

Nun gibt uns der Buddho auch in aller Deutlichkeit

den Weg zur gänzlichen Vernichtung unserer schlechten Neigungen an,

woraus folgt, daß, wer diesen Weg geht und soweit er ihn geht,

auch wegen der späteren Früchte seines früheren schlechten Lebens

oder seiner früheren schlechten Leben nicht weiter in Sorge zu sein braucht.

Das geht soweit, das er schließlich voll innerer Seligkeit ausrufen kann:

»Entronnen bin ich der Hölle, entronnen der Tierwelt, entronnen dem Gespensterreich,

entronnen dem Abweg, der Leidensfährte, der verstoßenen Welt,

bin eingetreten in den Strom – der in »das Todlose« überführt -,

sicher davor, je wieder hinabzusinken zu den Orten der Pein,

bin mit unablenkbarer Entschiedenheit darauf bedacht,

mich für die erlösende Erkenntnis reif zu machen *.« (* Sam-Nik. XII, F (cfr. Puggala Pannatti, I, 37))

 

Doch ist wohl zu merken, daß zu dieser tröstlichen Zuversicht nur derjenige gelangen kann,

der wirklich ernstlich und zugleich mit Erfolg,

  1. h. also auf die richtige Weise, wie sie eben der Buddho angibt,

den Kampf um die allmähliche Ausrottung

oder doch wenigstens Schwächung seiner Leidenschaften führt.

Es genügt also nicht, bloß ein guter Mensch in dem Sinn zu sein,

seine schlechten Charaktereigenschaften im Zaum zu halten und die guten zu pflegen.

Denn dadurch bleiben die ersteren als die Träger unserer früheren schlechten Taten ja bestehen;

es findet bloß kein neues schlechtes Wirken mit neuen unheilvollen Früchten,

sondern nur mehr ein gutes statt,

welch letzteres seinerzeit natürlich wieder seine guten Früchte tragen wird.

Weil aber so das sich in den vorhandenen schlechten Charaktereigenschaften ausprägende schlechte Wirken einer früheren Existenz bestehen bleibt, darum kann auch ein Mensch, der nur in diesem Sinne zeitlebens gut ist, das er seine schlechten Eigenschaften im Zaum hält, ohne sie zu vernichten oder wenigstens erheblich zu schwächen, nach seinem Tod infolge seines früheren schlechten Wirkens in eine Hölle geraten, wie aus dem gleichen Grund umgekehrt auch ein böser infolge seines guten Wirkens in einer vorgeburtlichen Erscheinungsform, daß in seinen vorhandenen, wenn auch nicht weiter gepflegten, guten Eigenschaften aufgespeichert ist, bei seinem Tod in eine Götterwelt emporsteigen kann,

um allerdings beim Abscheiden aus dieser infolge des nunmehr zur Geltung kommenden

schlechten Wirkens seiner letzten irdischen Existenz direkt in eine Hölle hinabzustürzen *.

* Cfr. die gefallenen Engel des Alten Testamentes.

Beide Fälle behandelt der Buddho im einhundertsechsunddreisigsten Suttam der Mittleren Sammlung.

Dort ist übrigens auch noch ausgeführt-, wie auch aus einem weiteren Grund

ein guter Mensch in eine Hölle und ein schlechter in eine Götterwelt kommen kann,

indem nämlich jener im Augenblick des Todes eine falsche, dieser aber eine rechte Erkenntnis vollzieht.

Ersteres trifft beispielsweise zu, wenn ein zeitlebens guter Mensch

infolge seiner letzten langwierigen und qualvollen Krankheit mit der Zeit die Geduld verliert,

mürrisch und unverträglich wird, wie das im Leben gar nicht selten vorkommt,

letzteres aber, wenn ein Verbrecher auf dem Schafott zur Besinnung kommt *.

* In den »Fragen des Königs Menandros« – S. 87 – ist als Beispiel angeführt,

daß jemand, der hundert Jahre dem Laster gefrönt hat, bei den Göttern wiedergeboren wird,

wenn er in der Sterbestunde

nur einen einzigen ernsten Gedanken bezüglich des Buddho oder seiner Lehre faßt.

In beiden Fällen werden Strebungen ins Leben gerufen,

die unmittelbar im Momente des Sterbens in Wirksamkeit sind

und deshalb das neue Anhaften bestimmen müssen.

Dabei werden aber die in jenem Augenblick latenten,

also nicht zur Geltung kommenden, während des übrigen Lebens gepflegten

guten oder bösen Strebungen eine spätere Zukunft bestimmen *.

* Der ernsthafte Jünger des Meisters

ist natürlich auch gegen die schlimme der obigen beiden Eventualitäten geschützt,

da er ja schon in gesunden Tagen sein Gemüt vollständig

oder doch wenigstens so weit in seine Gewalt bringt,

daß er sich sicher ist,

er werde auch im Fall schwerer Krankheiten die Herrschaft über dasselbe nicht verlieren.

 

Sicher ist hiernach die Ernte unseres Wirkens;

unsicher aber für die allermeisten Menschen

wegen seiner äußersten Kompliziertheit der Verlauf des Karma-Gesetzes im Einzelnen,

eine Kompliziertheit, die so groß ist, daß »die Frucht der Taten«, eben insofern,

ein weiteres der »vier unerfaßbaren Dinge« bildet, »über die man nicht nachzudenken hat,

es sei denn, daß man, indem man darüber nachdenkt, dem Wahn oder der Verstörung anheimfällt *«

* Angutt. Nik. IV, 77-

 

Ein solches Grübeln über die voraussichtliche Gestaltung unserer Zukunft

wäre aber auch höchst überflüssig.

Es genügt zu wissen, daß wir diese Zukunft uns selbst nach festen Normen gestalten.

Diese Wissenschaft haben wir nunmehr:

Wir können alles in der Welt werden, weil wir nichts von der Welt sind.

Ich kann ein König werden und kann ein Bettler werden,

kann ein Edler werden und kann ein Lump werden,

kann ein Mensch, ein Gespenst, ein Tier und ein Teufel werden und kann ein Gott werden.

An sieh ist mir das eine so nahe, weil so wesensfremd, wie das andere.

Es kommt nur auf den Willen, auf das innerste streben an, das ich in mir großziehe,

es wird ein dem entsprechendes Anhaften herbeiführen *. –

* Angutt. Nik. IV, 36. –

»Jene Beeinflussung, Brahmane, die mich zum Geiste in den Lüften machen würde,

zum Gespenst oder Menschen, ist in mir erloschen.«

Nunmehr fehlt nur noch eines, nämlich die Kenntnis des materiellen Gehaltes der Normen,

nach denen sich dieses Anhaften vollzieht, d. h. also die Beantwortung der Frage,

wie unsere Handlungen nach dem Karma-Gesetze beschaffen sein müssen,

wenn sie für uns gute Früchte zeitigen, eine günstige Wiedergeburt herbeiführen sollen,

oder, anders ausgedrückt, was für uns heilsam – kusalam – und unheilsam – akusalam – ist.

Damit kommen wir auf das Problem von Gut und Böse.

Denn gut ist ja eben, was für uns heilsam, böse oder schlecht aber, was für uns unheilsam ist.

 

* * *

 

Wir haben bereits einzelne heilsame und unheilsame Eigenschaften in den bisher angeführten stellen aus den Quellen kennen gelernt; nunmehr aber handelt es sich um das zugrundeliegende Prinzip.

 

Wir wissen, daß das Karma-Gesetz sich in Form der Wahlverwandtschaft betätigt,

indem jede Wiedergeburt durch ein Anhaften innerhalb der fünf Reiche des Samsaro,

die teils leidvoll, teils freudvoll, teils freud- und leidvoll sind, sich vollzieht,

das Anhaften selbst aber durch die Art der im Moment des

Swaltenden Willenstendenzen, die in ihrer Gesamtheit die tanha, den Durst, ergeben, bestimmt wird.

Danach ist aber das Wirken, welches jene Willenstendenzen schafft *,

* Über die Möglichkeit der beliebigen Schaffung solcher Willenstendenzen,

also über das Problem der Willensfreiheit, später.

die eine Anhaftung in freudvoller Welt herbeiführen, ein heilsames oder gutes,

dasjenige, welches Willenstendenzen zeitigt, denen eine Anhaftung in leidvoller Welt entspricht,

ein unheilsames oder böses,

und endlich jenes, das eine Wiedergeburt in einer Welt mit Freuden und Leiden bedingt,

ein unheilsames und heilsames, ein gutes und böses zugleich:

 

»Es gibt, Mönche, ein Wirken, das böse ist und eine böse Ernte zeitigt.

Es gibt, Mönche, ein Wirken, das gut ist und eine gute Ernte zeitigt.

Es gibt ein Wirken, das teils gut, teils böse ist und eine teils gute, teils böse Ernte zeitigt.

 

»Was ist das aber, Mönche. für ein Wirken, das böse ist und eine böse Ernte zeitigt?

Da verübt einer. Mönche, Harm verursachende Tat in Werken, in Worten, in Gedanken.

Harm verursachende Tat in Werken, in Worten, in Gedanken verübend,

gelangt er in einer Welt voll Harm wieder zum Dasein.

In einer Welt voll Harm zum Dasein gelangt, wird er von Harm verursachenden Berührungen berührt.

Von Harm verursachenden Berührungen berührt, empfindet er harmvolle Empfindung, äußerstes Wehe,

als wie die Wesen in der Hölle.

Das, Mönche, nennt man das Wirken, das böse ist und eine böse Ernte zeitigt.

 

»Was ist das aber, Mönche. für ein Wirken, das gut ist und eine gute Ernte zeitigt?

Da verübt einer, Mönche, harmlose Tat in Werken, in Worten, in Gedanken.

Harmlose Tat in Werken, in Worten, in Gedanken verübend,

gelangt er in harmfreier Welt wieder zum Dasein.

In harmfreier Welt zum Dasein gelangt, wird er von harmfreien Berührungen berührt.

Von harmfreien Berührungen berührt, empfindet er harmfreie Empfindung, höchste Seligkeit,

als wie die helleuchtenden Götter.

Das, Mönche, nennt man das Wirken, das gut ist und eine gute Ernte zeitigt.

 

»Was ist das aber, Mönche, für ein Wirken,

das teils gut, teils böse ist und eine teils gute, teils böse Ernte zeitigt?

 

»Da verübt einer, Mönche, teils harmverursachende,

teils harmlose Tat in Werken, in Worten,in Gedanken.

Teils harmverursachende, teils harmlose Tat in Werken, in Worten, in Gedanken verübend,

gelangt er in teils harmvoller, teils harmfreier Welt wieder zum Dasein.

In teils harmvoller, teils harmfreier Welt zum Dasein gelangt,

wird er teils von harmverursachenden, teils harmfreien Berührungen berührt.

Von teils harmverursachenden, teils harmfreien Berührungen berührt,

empfindet er teils harmvolle, teils harmfreie Empfindungen, wechselndes Wohl und Wehe,

als wie die Menschen, gewisse Götter und gewisse höllische Wesen.

Das, Mönche. nennt man das Wirken,

das teils gut, teils böse ist und eine teils gute, teils böse Ernte zeitigt *.« (* Angutt. Nik. lV, 231, 232.)

 

Nun ist es das Auszeichnende der leidvollen Welten – Hölle und Tierheit -,

daß die Wesen in ihnen aus sich heraus

keine Grenze des dürstenden Willens nach Dasein und Wohlsein,

der sie, noch dazu in rohester Form, beseelt, anerkennen,

das sie vielmehr, sich vollständig mit diesem Durste identifizierend, in seinen beiden Grundäußerungen,

nämlich Gier nach allem, was ihm entspricht und Haß gegen alles, was ihm zuwider ist, aufgehen,

so sehr, daß sie, um ihn zu befriedigen,

ohne weiteres auch in die Interessensphäre fremder Wesen hinübergreifen *.

* Daß den Wesen in der Hölle

gar keine Objekte zur Befriedigung ihrer Gier sondern nur solche, welche ihren Abscheu erregen,

sich bieten, macht ihren Zustand um so leidvoller.

Dem entspricht es, daß die Bewohner der freudvollen Welten,

also der Götterwelten – je höher, desto mehr -,

frei von solcher Gier und solchem Haß besonders in ihren rohen Formen sind,

erstere vor allem nicht mehr auf Kosten der fremden Wesen befriedigen,

diese vielmehr umgekehrt in immer umfassenderer Liebe in ihren Durst nach Wohlsein,

der also bei ihnen eine neue Richtung annimmt, einschließen.

Der Grund hierfür liegt darin, daß in diesen Reichen die Verblendung, in der alles Lebende befangen ist, daß nämlich unser Wesen mit unserer Persönlichkeit identisch sei

und deshalb unser Durst nach Wohlsein sich auf sie konzentrieren müsse, teilweise behoben

und eben dadurch

auch die Scheidewand zwischen uns und den anderen Wesen teilweise niedergerissen ist *.

* Auch davon im letzten Kapitel mehr.

Hiernach erscheint aber als das Charakteristikum der niederen, leidvollen Welten

Gier, Haß und Verblendung,

und als das der höheren über den Weg immer umfassenderer Liebe

eine zunehmende Annäherung an Gierlosigkeit, Haßlosigkeit und rechte Erkenntnis.

In der Mitte steht das spezifisch Menschliche.

Da nun, wie ausgeführt, unser jeweiliger Eintritt in eine dieser Welten sich darnach bestimmt,

welche von ihnen unseren eigenen Charaktereigenschaften,

unserem eigenen tiefsten streben am meisten konform, verwandt ist,

so ergibt sich als das für uns Unheilsame

oder schlechte Gier (lobho), Haß (doso) und Verblendung (moho)

und als das für uns Heilsame oder Gute

Gierlosigkeit (alobho), Haßlosigkeit (adoso) und Unverblendung (amoho).

In diesen Grundeigenschaften sind alle Tugenden und Laster beschlossen.

 

 

Die Bedingungen des Durstes

Im bisherigen sehen wir unser jeweiliges Dasein auf den uns beseelenden Durst nach Dasein

und die jeweilige Gestaltung der äußeren Bedingungen dieses Daseins

auf die Art dieses Durstes zurückgeführt:

wir sind in der Welt, weil wir Durst nach ihr hatten,

und wir sind gerade in einer solchen Welt, wie der unsrigen,

weil wir einen Durst hatten, der nach den ewigen Gesetzen uns gerade in diese Welt führen mußte.

Damit könnte es scheinen, daß das Problem der Leidensentstehung,

soweit es für den praktischen Zweck der Leidensvernichtung nötig ist

– und nur darum handelt es sich ja für den Buddho -, gelöst sei.

Denn wir brauchen ja nur diesen Durst in uns zu vernichten, um eine fernere Wiedergeburt hintanzuhalten

und so mit dem kommenden Tode auf ewig aus der Welt herauszutreten.

Allein diese Schlußfolgerung wäre auf dem Standpunkt, auf dem wir jetzt noch stehen, etwas voreilig.

Denn für den denkenden Menschen taucht sofort die weitere Frage auf:

Kann ich denn diesen Durst nach Dasein in mir überhaupt vernichten?

Ist er nicht vielmehr eine Äußerung meines Wesens selbst

und eben deshalb so wenig wie dieses vernichtbar?

Zwar hat uns der Meister auch schon von diesem Durst gesagt, daß er nicht unser selbst sei,

indem auch bei ihm ein Entstehen und Vergehen beobachtet werde *. (* Cfr. oben. S. 98.)

Allein dieses Kriterium für die Erkenntnis des Bereichs des Anatta, des Nicht-Ich,

ist hier nicht ohne weiteres einzusehen.

Denn der Durst nach Dasein und Wohlsein erfüllt uns vom ersten Augenblick unserer Existenz an,

ja, durch alle unsere fortlaufenden Existenzen hindurch so unaufhörlich und mit einer solchen Macht,

daß sogar der gewaltige Schopenhauer zum Schluß kam,

beim Willen, also eben dem Durst *, sei kein Entstehen und Vergehen zu beobachten,

* Cfr. oben, S. 170.

er sei vielmehr, wie selbst ursachlos und unbedingt, so auch nie Ursache eines anderen;

alles andere außer ihm, insbesondere auch unsere eigene Persönlichkeit, sei also auch nicht Wirkung, sondern vielmehr Erscheinung von ihm,

kurz, er sei die unmittelbare Auswirkung unseres Wesens selbst, das in ihm sich darstelle,

oder in den Worten des Buddho,

er sei unser leibhaftiges, wirkliches und wahres selbst, indem von ihm gelte:

»Das bin ich, das gehört mir, das ist mein Selbst«, ein Standpunkt, den praktisch ja auch die Menschheit in ihrer Gesamtheit von jeher einnimmt.

Hiernach erhellt aber, von welch ausschlaggebender Bedeutung in der Lehre des Buddho

gerade der Nachweis dafür ist, daß auch dieser dürstende Wille kein Metaphysisches,

sondern das auch er nach jeder Hinsicht der Kausalität unterworfen,

also bedingt und mithin ebenfalls etwas rein Physisches, das heißt anatta, nicht-ich, ist *.

* Man wird merken, das anatta und das Physische identische Begriffe sind.

Denn wäre er das nicht, wäre er wirklich das metaphysische Wesen des Menschen, also unser selbst,

dann wäre eben deswegen in alle Ewigkeit keine Erlösung von ihm

und damit von der Welt und damit vom Leiden möglich,

da ja niemand sich selbst vernichten, niemand aus seiner eigenen Haut fahren kann,

wie bereits früher ausgeführt, eine Konsequenz,

die Schopenhauer ja auch in der Tat insoweit gezogen hat,

als nach ihm unser intelligibler Charakter unveränderlich ist

und wir zu unserer Erlösung im Grunde nichts beitragen können *.

* Schopenhauer läßt bloß die Möglichkeit offen,

daß unser Wille vielleicht einmal im Verlauf der unendlichen Zeiten

sich von selbst und ohne unser Zutun wende und verneine. (Darüber vgl. Anhang 4.)

Wäre dem aber so, dann wäre es auch mit der Lehre des Buddho,

deren Kern ja eben darin besteht, den jederzeit gangbaren und bei Anwendung der nötigen Intensität

auch alsbald zum Ziel führenden Weg zur Erlösung aufzuzeigen, von vornherein nichts.

Hiernach ist es aber nicht nur nicht gegen den Geist seiner Lehre,

wenn in ihr auch für diesen dürstenden Willen, sich im Dasein zu behaupten,

die Ursache festgestellt wird,

wie Deussen in seiner Geschichte der Philosophie – Bd. I, z. Abt-, S. 165 – meint,

sondern die Lehre des Buddho wäre umgekehrt in sich widersinnig, wenn es nicht so wäre.

Und es ist denn auch in der Tat so:

»Wenn, Anando, die Frage gestellt würde:

‚Ist der Durst von irgend etwas abhängig?‘ – so wäre zu erwidern: »Ja, er ist abhängig‘.«

 

Die Frage ist also nunmehr: Wovon ist dieser Durst nach Dasein abhängig,

dieser Durst, der sich vor allem im Moment des Sterbens geltend macht,

indem er immer wieder ein Anhaften an einem neuen Keim herbeiführt?

Welche Grundvoraussetzung muß vorliegen, daß er in uns entstehen, sich erheben kann *?

* Ganz ebenso. wie bei den anderen Gliedern der Kette

handelt es sich für den Buddho

auch beim Durst nicht etwa um Feststellung der Ursache schlechthin und überhaupt,

sondern nur darum, die Gelegenheitsursuche aufzudecken,

die sein Erscheinen, sein Offenbarwerden ermöglicht,

was eben in der Redewendung zum Ausdruck kommt:

»Von was ist der Durst ahhängig?« —

Hier steht der Buddho also wieder ganz auf dem Standpunkt Schopenhauers:

»Jede natürliche Ursache ist nur Gelegenheitsursache,

kein Ding in der Welt hat eine Ursache seiner Existenz schlechthin und überhaupt.«

  1. a. W. u. V. l, 164 [196/197].)

Der Buddho sagt es uns in den Worten:

»Wenn gefragt würde: ‚Von was ist der Durst abhängig‘? –

so wäre zu erwidern: ‚In Abhängigkeit von der Empfindung entsteht der Durst‘.«

Auch das ist ohne weiteres verständlich.

Ohne den Anreiz einer Empfindung gibt es kein Begehren.

Wenn jegliche Empfindung gänzlich und für immer verschwunden ist,

dann ist es auch mit jedem Wollen irgend welcher Art, mit jedem Durst für immer vorbei:

ein vollständig empfindungsloser Mensch will nichts mehr, hat keinerlei Durst nach irgend etwas mehr, und wenn er für immer empfindungslos geworden ist,

kann sich auch in alle Ewigkeit dieses Phänomen des Durstes nicht mehr an ihm zeigen:

»Ich habe gesagt: ‚In Abhängigkeit von der Empfindung entsteht der Durst.‘

Und dies, Anando, das in Abhängigkeit von der Empfindung der Durst entsteht,

ist in folgendem Sinn zu verstehen:

Angenommen, Anando,

das überhaupt und durchweg keine Empfindung irgend eines (Wesens) von irgend etwas stattfände,

das will sagen, keine aus der Sehberührung resultierende Empfindung,

keine aus der Hörberührung resultierende Empfindung,

keine aus der Riechberührung resultierende Empfindung,

keine aus der Schmeckberührung resultierende Empfindung,

keine aus der Tastberührung resultierende Empfindung,

keine aus der Denkberührung resultierende Empfindung, –

würde da, bei dem gänzlichen Fehlen der Empfindung, auf Grund der Aufhebung der Empfindung,

irgendwie ein Durst wahrzunehmen sein?«

»Gewiß nicht, Herr.«

 

»Da ist hier also, Anando, die Ursache, der Ursprung, die Entstehung, die Abhängigkeit des Durstes, nämlich die Empfindung.«

 

Woher aber die Empfindung?

»Wenn, Anando, die Frage gestellt würde: ‚Ist die Empfindung von irgend etwas abhängig?‘ –

so wäre zu erwidern: ‚Ja, sie ist abhängig.‘

Und wenn gefragt würde: ‚Von was ist die Empfindung abhängig?‘ – so wäre zu erwidern:

)In Abhängigkeit von der Berührung entsteht die Empfindung.(

Und dies, Anando das in Abhängigkeit von der Berührung die Empfindung entsteht,

ist in folgendem Sinn zu verstehen:

Angenommen, Anando,

das überhaupt und durchweg keine Berührung irgend eines (Sinnes) mit irgend etwas stattfände,

das will sagen, keine Sehberührung, keine Hörberührung, keine Riechberührung,

keine Schmeckberührung, keine Tastberührung, keine Denkberührung, –

würde da bei dem gänzlichen Fehlen der Berührung, auf Grund der Aufhebung der Berührung,

irgend eine Empfindung wahrzunehmen sein?«

»Gewiß nicht, Herr.«

 

»Da ist hier also, Anando, die Ursache, der Ursprung, die Entstehung, die Abhängigkeit der Empfindung,

nämlich die Berührung.«

 

Damit aber eine Berührung in mir stattfinden kann,

ist mein körperlicher Organismus

als der Träger der die Berührung vermittelnden Sinnesorgane, die Sechssinnenmaschine, nötig:

»Wenn, Anando, die Frage gestellt würde: ‚Ist die Berührung von irgend etwas abhängig?‘ –

so wäre zu erwidern: »Ja, sie ist abhängig.‘

Und wenn gefragt würde: ‚Von was ist die Berührung abhängig?‘ –

so wäre zu erwidern:

‚In Abhängigkeit vom körperlichen Organismus – namarupam – entsteht die Berührung‘.«

 

Wir haben die Bedingtheit der Empfindung

beziehungsweise der mit ihr stets untrennbar verbundenen Wahrnehmung * durch die Berührung

* In Digha Nik. l. ist deshalb auch die Wahrnehmung an Stelle der Empfindung

als die Voraussetzung des Durstes angeführt.

und die Bedingtheit dieser durch den körperlichen Organismus beziehungsweise die Sinnesorgane

bereits früher im Kapitel über die Persönlichkeit kennen gelernt,

dessen genaue Kenntnis hier natürlich vorausgesetzt wird.

Dort * ist weiterhin auch, und zwar an der Hand von Stellen, (* S. 58 f.)

die die unmittelbare Fortsetzung der im Vorstehenden angeführten bilden, ausführlich dargelegt,

wie auch der körperliche Organismus wieder abhängig ist,

und zwar vom Bewußtsein und dieses seinerseits wiederum vom körperlichen Organismus,

beide in gegenseitiger Bedingtheit *,

* Diese gegenseitige Bedingtheit wird in Digha Nik. ll dadurch anschaulich gemacht,

daß gesagt wird, das Bewußtsein stecke im Körper und sei an ihn gebunden,

wie ein Faden durch einen Edelstein gezogen und an ihn gebunden sei.

somit mündet dann aber die Kette der Abhängigkeiten letzten Endes

in den »körperlichen Organismus mitsamt dem Bewußtsein« aus,

wo sie denn auch im Maha-Nidana-Suttam * ihren endgültigen Abschluß erreicht. (* Digha Nik. XV.)

 

Dieses letztere kann seinen Grund nur darin haben,

daß damit der Kreis der Abhängigkeiten auch tatsächlich geschlossen ist; dem ist denn auch so:

 

Wir wissen, daß wir dem Leiden nur dann dauernd entrinnen können,

wenn es uns gelingt, für immer aus dem Samsaro, dem Kreislauf der Wiedergeburten, herauszutreten,

wenn wir also künftig keiner neuen Geburt,

mithin keiner Neubildung des »körperlichen Organismus mitsamt dem Bewußtsein«

mehr ausgesetzt sind.

Denn sobald der Vorgang, in welchem diese Neubildung sich vollzieht,

eben die Geburt im Sinne des Buddho, auch nur eingeleitet ist – durch unsere Empfängnis im Mutterleib -,

sind wir für die ganze Dauer des Bestandes

dieses sich neu bildenden »mit Bewußtsein behafteten Körpers« wiederum unlöslich an ihn gebunden –

nur im Moment des jeweiligen Todes können wir ja gänzlich aus dem Samsaro heraustreten.

Alles Leiden gründet also in dem »körperlichen Organismus mitsamt dem Bewußtsein«,

welch ersteren wir eben deshalb wie die Sechssinnenmaschine im Allgemeinen

so vor allem auch die Leidensmaschine im Besonderen nennen konnten.

Aus diesem Grund waren wir auch schon gleich am Anfang unseres Unternehmens,

die bedingte Natur alles Leidens aufzuzeigen, genötigt,

die Ursache für die Geburt,

das heißt eben für die stete Neubildung »dieses körperlichen Organismus mitsamt dem Bewußtsein«,

festzustellen.

Als solche fanden wir den uns beseelenden Durst nach Dasein,

der immer wieder im Augenblick unseres jeweiligen Todes

ein Neuanhaften an einem neuen Keim in einem Mutterleib

und damit das Werden eines körperlichen Organismus herbeiführt.

Damit aber sahen wir uns vor die weitere Frage gestellt,

ob auch dieser Durst bedingt, mit anderen Worten, ein Physisches

und nicht vielmehr unser metaphysisches Substrat und als solches unzerstörbar sei.

Wir fanden soeben auch ihn bedingt, und zwar in stufenweiser Folge zunächst durch die Empfindung, weiterhin durch die Berührung

und endlich durch den – »körperlichen Organismus mitsamt dem Bewußtsein«.

Damit sind wir aber wieder zu unserem Ausgangspunkt zurückgelangt.

Der Kreis ist geschlossen:

Alles Leiden wurzelt in unserem »körperlichen Organismus mitsamt dem Bewußtsein«

diese beiden in ihrer Verbindung als unser gegenwärtiger »mit Bewußtsein behafteter Körper«

sind die Folge unseres Durstes nach Dasein während unserer letzten vorgeburtlichen Existenz,

jener Durst aber hatte seinerseits

wieder »einen körperlichen Organismus mitsamt dem Bewußtsein« zur Voraussetzung,

und so rückwärts weiter in saecula saeculorum.

 

Erwägen wir noch, daß aus dem körperlichen Organismus in Verbindung mit dem Bewußtsein

der Durst jeweils speziell in der Weise hervorgeht,

daß der erstere als die Sechssinnenmaschine in Tätigkeit gesetzt wird

und dadurch in dem zunächst aufsammenden Bewußtsein

Empfindung und Wahrnehmung ausgelöst werden,

aus welch’ letzteren dann der Durst zeitlebens bis zum Augenblick des Todes stets neu hervorquillt,

und daß wir diesen ganzen Tätigkeitsprozeß der Sechssinnenmaschine mitsamt dem Bewußtsein,

wie er sich von der Geburt bis zum Augenblicke des Todes hinzieht,

als das Getriebe der Persönlichkeit zusammengefast haben,

so kann der Inhalt der Kausalitätsformel noch prägnanter also zusammengefast werden:

Die Persönlichkeit ist

– und zwar in ihren beiden Grundgruppen,

dem körperlichen Organismus mitsamt dem Bewußtsein, als ihrer realen Unterlage –

durch den Durst, dieser aber durch die frühere Persönlichkeit bedingt,

genau so, wie die Henne durch das Ei, das Ei aber wiederum durch die Henne bedingt ist,

so verblüffend einfach ist also die Formel der Entstehung in Abhängigkeit *.

* Freilich, wenn man ganz tief hinuntersteigt, wird sie andererseits abgrundtief,

wie man dies speziell aus dem späteren Kapitel über die Sankhara ersehen kann.

Dann versteht man auch die Worte des Herrn gegenüber der Äußerung Anandos,

daß die Formel ihm jetzt leicht verständlich erscheine:

»Rede nicht also, Anando, rede nicht also!

Tief verschlungen ist dieser Paticcasamuppado, eine tiefe Offenbarung enthält er.«

(Digha-Nik. XV)

Was aber hat man aus ihr nicht alles gemacht!

 

Mit diesem Resultat ist nun aber die Wurzel des Leidens völlig bloßgelegt;

sind wir doch bis zum unermüdlichen Erbauer unseres jeweiligen körperlichen Organismus

selbst vorgedrungen,

durch welch letzteren als die Leidensmaschine alles Leiden für uns zu allererst möglich wird,

indem wir dabei diesen Erbauer der Leidensmaschine zugleich als einen Gesellen erkannt haben,

der mit unserem eigentlichen Wesen nicht das Geringste zu tun hat,

dem wir also bloß den Laufpaß zu geben brauchen,

um auf ewig von jeder neuen Wiederverkörperung befreit zu sein.

Mit dem Buddho können wir deshalb nunmehr auch, wenn wir wollen, ausrufen:

 

»Endloser Neugeburten Wandelsein

Hab‘ ich durchirrt, verfolgt von Schmerz und Pein.

Vergebens hab’ ich oftmals ausgeschaut

Nach ihm, der dieses Leidens Haus gebaut.

Bauherr, ich spotte dein, jetzt kenn’ ich dich.

Nie baust du mehr ein beinern Haus für mich.

Nicht braucht der Geist mehr schöpferisch tätig sein, fürwahr,

Hat er den grausen Durst vertilgt doch ganz und gar *.« * Dhammapad., V. 153-154.

 

Nunmehr sind wir auch reif, die zweite der vier Hohen Wahrheiten in ihrer ganzen Tiefe zu verstehen:

»Dies, Mönche, ist die Hohe Wahrheit von der Entstehung des Leidens:

Es ist der die Wiedergeburt erzeugen-le Durst, der von Wohlgefallen und Lust begleitete,

bald hier, bald dort sich ergötzende, nämlich der Durst nach sinnlicher Lust, der Durst nach Werden (Dasein), der Durst nach Vernichtung *.«

* Samyutta Nik. LVL n. – Bezüglich des Durstes nach Vernichtung

siehe die Ausführungen im »Buddhistischen Weltspiegel«, 1. Jahrgang, S. 341.

 

Wir haben oben gesagt, daß die Formel der Entstehung in Abhängigkeit im Maha-Nidana-Suttam

mit dem Glied »körperlicher Organismus mitsamt dem Bewußtsein« ihren Abschluß erreicht.

Das gleiche-ist im Mahapadhanasuttam der Fall, wo der Bodhisatto Vipassi,

nachdem er in der Entstehung der Abhängigkeiten ebenfalls

bis auf die beiden Faktoren »körperlicher Organismus und Bewußtsein« gekommen war

und diese beiden gleichfalls als sich gegenseitig bedingend erkannt hatte,

ausdrücklich erklärt: »Die Reihe geht nicht weiter.«

Nun wird aber an zahlreichen anderen Stellen des Kanons die Kausalitätsformel

gleichwohl noch weiter fortgeführt.

Nachdem nämlich der Kausalnexus im völligen Einklang mit den bisher dargestellten Gliedern

bis auf den körperlichen Organismus – nama-rupam – zurückverfolgt

und dieser letztere weiterhin als durch das Bewußtsein bedingt erklärt ist,

wird dieses Bewußtsein selbst

nicht wieder als durch den körperlichen Organismus bedingt dargestellt,

sondern fortgefahren: »In Abhängigkeit von den Sankhara, Mönche, entsteht das Bewußtsein …

In Abhängigkeit vom Nicht-wissen, Mönche, entstehen die Sankhara *«. (* Samyutta Nik. Xll, 20.)

 

Es ist klar, daß, wenn dieser Abschluß der Formel

mit dem von uns im bisherigen kennen gelernten nicht im Widerspruch stehen soll –

und ein solcher darf bei der Wichtigkeit des Paticcasamuppado

wohl von vornherein als ausgeschlossen gelten –

er nicht über den »körperlichen Organismus mitsamt dem Bewußtsein« hinausführen kann,

da ja der Abschluß, wie wir ihn bisher kennen gelernt haben, bereits wieder in den Anfang zurückläuft,

eine Weiterführung der Abhängigkeiten über ihn hinaus also gar nicht möglich ist.

Es kann sich mithin bei dieser anderweiten Fassung der Schlußglieder

nur um eine nähere Erläuterung des Formelabschlusses, wie wir ihn bisher kennen lernten, handeln.

Dem ist in der Tat so, wie sich uns nunmehr zeigen soll.

 

 

Die Sankhara

Wie die Kausalitätskette im Allgemeinen, so hat auch speziell der Begriff Sankharo

bei den europäischen Gelehrten die verschiedensten Deutungen erfahren.

Und doch ist auch er so klar wie die Kausalitätskette selber.

Sankharo kommt vom Verbum sankharoti, das dem lateinischen conficere entspricht,

indem es wörtlich »zusammenmachen«, »zusammenfügemc bedeutet.

Das Partieipiurn perfecti bedeutet also »zusammengemacht«, »zusammengefügt«,

im Sinne von »geschaffen«, »hervorgebracht« (fabriziert).

Es kann nach dem Kanon von allem in der Welt gebraucht werden:

schlechthin alles-ist sankhatam, zusammengemacht, zusammengefügt,

und eben-dadurch-geschalken, hervorgebracht.

Das Material, aus dem es zusammengefügt ist, sind die sechs Elemente Erde, Wasser, Feuer, Luft, Raum, Bewußtsein, welche Elemente nach dem Buddho die alleinigen Komponenten der Welt darstellen.

(s. die Abhandlung »Kraft und Stoff« in der »Wissenschaft des Buddhismus«.)

 

Das zu sankhatam gehörige substantivische Titigkeitswort ist Sankharo,

also »das Zusammenmachen«, »Zusammenfügen«, »die Zusammenfügung«, »Hervorbringung«: »Mönche, die Sankhara haben ihre Benennung daher,

daß sie das, was sankhatam ist, hervorbringen (sankharonti)«.

Deshalb ist der Begriff Sankharo ebenso umfassend wie der von sankhatam:

schlechthin alles ist sankhatam, hervorgebracht, und schlechthin alles, was sankhatam ist,

beruht auf einem Sankharo, einer Hervorbringung.

Dabei bedeutet Sankharo in erster Linie den Akt des Hervorbringens,

kann aber auch das Hervorgebrachte bezeichnen,

also auch den Sinn von Sankhatam haben, geradeso wie unser Wort «Hervorbringung«.

Ein typisches Beispiel hierfür ist der stehende Satz: »sabbe sankhara anicca sabbe sankhara dulikha:

alle Hervorbringungen sind vergänglich, alle Hervorbringungen sind leidbringend.«

 

Als Beispiel für diesen weitesten Umfang des Sankhara-Begriffs seien die folgenden angeführt:

  1. »Vergänglich, Mönche, sind die Hervorbringungen (sankhara),

unbeständig sind die Hervorbringungen, unerquicklich sind die Hervorbringungen;

es langt, um aller Hervorbringungen überdrüssig zu werden,

langt, um vor ihnen zurückzuschrecken, langt, um sich von ihnen loszulösen.

Es kommt einmal die Zeit.

Mönche, dann und wann, am Ende eines langen Zeitenlaufes, wo Jahre hindurch kein Regen fällt.

Was es da an Keimlingen und Pflanzen, an Kräutern, Gräsern und Bäumen gibt,

das verdorrt, vertrocknet, verschwindet.

So vergänglich Mönche. sind die Hervorbringungen,

so unbeständig sind die Hervorbringungen, so unerquicklich sind die Hervorbringungen;

es langt, um aller Hervorbringungen überdrüssig zu werden, langt, um vor ihnen zurückzuschrecken, langt, um sich von ihnen loszulösen.

 

»Es kommt, Mönche, einmal die Zeit, dann und wann, am Ende eines langen Zeitenlaufes,

wo eine zweite Sonne erscheint.

Dann trocknen alle Flüsse und Teiche aus. versiegen, verschwinden…

Es kommt einmal die Zeit, wo eine dritte …wo eine vierte, … eine fünfte Sonne erscheint.

Dann gehen die Wasser des Weltmeeres hundert Meilen zurück, gehen zweihundert, dreihundert, vierhundert, fünfhundert, sechshundert, siebenhundert Meilen zurück.

Und das Wasser des Weltmeeres steht dann nur noch sieben Palmen hoch,

nur noch sechs, fünf, vier, drei, zwei, nur noch eine Palme hoch,

nur noch sieben Mann hoch, nur noch sechs, fünf, vier, drei, zwei Mann hoch,

sinkt auf eine Manneshöhe herab, auf eine halbe Manneshöhe, geht bloß noch bis zur Hüfte,

dann nur noch bis zum Knie, dann nur noch bis zum Knöchel, nicht einmal ein Fingerglied hoch,

so vergänglich, Mönche, sind die Hervorbringungen,

so unbeständig sind die Hervorbringungen, so unerquicklich sind die Hervorbringungen;

es langt, um aller Hervorbringungen überdrüssig zu werden,

langt, um vor ihnen zurückzuschrecken, langt, um sich von ihnen loszulösen.

 

»Es kommt einmal die Zeit, Mönche, dann und wann,

am Ende eines langen Zeitenlaufes, wo eine sechste Sonne erscheint.

Dann beginnt diese große Erde zu tauchen und zu qualmen …

Es kommt einmal die Zeit, wo eine siebte Sonne erscheint.

Dann beginnt diese große Erde aufzulodern, zu einer einzigen Feuerflamme zu werden,

so vergänglich, Mönche, sind die Hervorbringungen,

so unbeständig sind die Hervorbringungen, so unerquicklich sind die Hervorbringungen;

es langt, um aller Hervorbringungen überdrüssig zu werden,

langt, um vor ihnen zurückzuschrecken, langt, um sich von ihnen loszulösen-« (Ang. Nik. VII, 62.)

 

  1. Der Erhabene sprach:

»Nicht auszudenken, Mönche, ist ein Anfang des Kreislaufes der Geburten (Samsaro),

nicht zu erkennen ist ein erster Beginn der Wesen,

die vom Nichtwissen festgehalten, durch den Durst verkoppelt, umherwandern, umherirren.

In früheren Zeiten. Mönche, hatte dieser Berg Vepullo den Namen Pacinamvamso

und hatten die Menschen hier den Namen Tivarer.

Und die Ttvarer-Menschen hatten eine Lebensdauer von vierzigtausend Jahren.

In vier Tagen stiegen sie den Berg Pacinavamso hinauf und in vier Tagen stiegen sie von ihm zu Tal …

Und in jener Zeit erschien Kalcusandho als Erhabenen Heiliger. Vollkommen-Erwachter in der Welt …

Seht, Mönche, jener Name dieses Berges ist untergegangen,

jene Menschen sind gestorben, und jener Erhabene ist vollkommen erloschen.

So vergänglich sind die Hervorbringungen,

so unbeständig sind die Hervorbringungen, so unerquicklich sind die Hervorbringungen;

es langt, um aller Hervorbringungen überdrüssig zu werden,

langt, um vor ihnen zurückzuschrecken, langt, um sich von ihnen loszulösen.«

(Sam.-Nik. ll p. 19o: XV, 20).

 

  1. lm 17. Suttam des Digha-Nikayo

berichtet der Buddho von den Herrlichkeiten des vorzeitlichen Königs Mahasudassano

– (der der Buddho selbst gewesen war) -,

von seinen Städten, seinen Palästen, Schätzen, Elefanten, Rossen, Wagen, Frauen,

in deren Besitz er ein herrliches Leben verbrachte und schließlich von seinem heiligmäßigen sterben,

um auch daran die Schlußfolgerung zu knüpfen:

»so vergänglich, Mönche, sind die Hervorbringungen,

so unbeständig sind, die Hervorbringungen, so unerquicklich sind die Hervorbringungen.

Es langt, um aller Hervorbringungen überdrüssig zu werden,

langt, um vor ihnen zurückzuschrecken, langt, um sich von ihnen loszulösen.«

 

* * *

 

Ist so nach dem Buddho alles in der Welt eine bloße Hervorbringung, die als solche entsteht und vergeht,

so befaßt er sich mit diesen Hervorbringungen näher doch nur insoweit,

als für uns, die wir in unserem unergründlichen Wesen jenseits der Welt sind, etwas entsteht,

als diese Welt mit ihren »leidvollen Dingen« zu uns in Beziehungen tritt.

Wie wir bereits wissen,

kommen wir mit der Welt in Berührung durch unseren »mit den sechs Sinnen behafteten Körper«,

welche Sinne das Bewußtsein erzeugen, in dem allein sich uns die Welt präsentiert:

»Hier im Bewußtsein steht das All«.

Schwindet jedes Bewußtsein mangels jeglicher Sinnentätigkeit dahin,

dann ist uns auch die ganze Welt entschwunden.

Eben deshalb sagt der Buddha wie wir bereits wissen, ja auch:

»In eben diesem sechs Fuß hohen mit Wahrnehmung und Bewußtsein behafteten Körper

ist die Welt enthalten, der Welt Entstehung, der Welt Ende und der zum Ende der Welt führende Weg.«

Zu diesem sechs Fuß hohen Körper aber

kommen wir durch Ergreifen eines befruchteten Keimes in einem Mutterschoß

auf Grund unseres dürstenden Willens,

welcher Keim sich dann auf dem Weg des Werdens zu unserem Körper entwickelt. (S. 163, Anm. 25.)

Dabei bleibt aber ungeklärt, welches Prinzip bei diesem Werden die materiellen Stoffe

gerade in die Form des körperlichen Organismus mit seinen Sinnesorganen zwingt,

so, daß diese Sinnesorgane Bewußtsein

und damit das Phänomen des Lebens hervorzubringen vermögen.

Diese Zielstrebigkeit des Werdens

ist auch für unsere modernen Naturwissenschaften ein unlösbares Rätsel,

sie bleiben in der Feststellung stecken,

daß sich alles Werden eben in den Naturprozessen vollziehe,

noch dazu in den chemisch-physikalischen Prozessen.

Wie wenig das besagen will, wird schon dadurch deutlich,

daß das lateinische Wort Processus nichts weiter als »Vorgang« bedeutet,

im Sinne, wie das in der Redewendung zum Ausdruck kommt:

»Es geht etwas vor«.

Gegenüber dem eigentlichen Problem des Sinnvollen

dieser auf Herbeiführung eines ganz bestimmten Resultates gerichteten Naturvorgänge

müssen also auch unsere Naturwissenschaften ihren Bankrott erklären.

Nur vereinzelte Neovitalisten wagen dieses Problem anzurühren.

Dabei bleibt aber auch ihnen nichts anderes übrig, als auf den Entelechie-Begriff des Anstoteles,

der vor 2200 Jahren gelebt hat, zurückzugreifen, indem sie die Entelechie als die Kraft erklären,

welche der Materie ihre Form gebe und ihr so erst Wirklichkeit verleihe – Entelecheia heißt »Wirklichkeit«.

Aber das ist doch keine Erklärung, sondern nur eine andere Formulierung des Problems,

indem die Frage eben ist, worin diese Entelechie, also jenes »Etwas« besteht,

»wodurch Materie hier in die Form des Bergkristalls, dort in die des Löwen,

da in die des Menschen getrieben wird *.«

* Der eigentliche Grund für dieses äußerst dürftige Resultat

angestrengtester naturwissenschaftlicher Forschungsarbeit

ist bereits oben S. 165 fig. dargelegt.

 

»Der Buddho

löst auch dieses Problem der sinnvollen Formung der Materie zu einem Bewußtseinsapparat,

indem er in der Kausalitätskette nach der Feststellung,

daß das Werden unseres körperlichen Organismus durch den Hinzutritt des Bewußtseins bedingt ist,

diesen Hinzutritt des Bewußtseins durch die weitere Feststellung aufklärt:

»In Abhängigkeit von den Hervorhringungen (Sankhara) entsteht das Bewußtsein«.

Besagt dieser Satz doch eben:

Die Hervorbringungen gestalten den in einem Mutterschoß ergriffenen Keim

zu dem körperlichen Organismus,

»dessen ins Unendliche gehende Kompliziertheit und Vollendung

nur der kennt, welcher Anatomie studiert hat«, wie Schopenhauer sagt,

als dem Apparat, der in seinen sechs Sinnesorganen während eines ganzen Lebens hindurch

für uns Empfindungen, Wahrnehmungen, die schöpferische Geistestätigkeit und Erkennen ermöglicht:

»Mönche, die Sankhara (Hervorbringungen) heißen so,

weil sie das, was sankhatam (hervorgebracht) ist, hervorbringen (abhisankharonti).

Und was bringen sie hervor?

Sie bringen die körperliche Form um der Körperheit willen als Hervorgebrachtes hervor,

bringen die Empfindung um der Empfindung willen als Hervorgebrachtes hervor,

bringen die Wahrnehmung um der Wahrnehmung willen als Hervorgebrachtes hervor,

bringen die schöpferischen Geistestätigkeiten um ihretwillen als Hervorgebrachtes hervor,

bringen das Erkennen um seinetwillen als Hervorgebrachtes hervor« (Sam. N. III p. 87: XXII, 79).

 

So hat also der Buddho das Werden des gesamten Persönlichkeitsgetriebes

in einen Haufen von Hervorbringungen aufgelöst.

In präziser Form hat das die Nonne Vajira ausgesprochen, als sie auf die Frage Maros des Bösen:

»Durch wen ist das Lebewesen geschaffen?

Wer ist der Bildner des Lebewesens?

Wo ist das Lebewesen entstanden?

Wo geht das Lebewesen zugrunde?« erwiderte:

»Warum versteifst du dich so auf das Wort ‚Lebewesen‘?

Das ist so eine richtige Maro-Ansicht.

Nichts weiter als ein Haufen von Hervorbringungen ist das.

Ein Lebewesen * ist da nicht ausfindig zu machen.

* »Lebewesen« = ein Wesen,

dessen eigentliches und letztes Reales, also dessen Substanz Leben ist.

Wie man da, wo die entsprechenden Teile zusammengefügt werden, das Wort ‚Wagen‘ gebraucht,

so ist, wo die Gruppen vorhanden sind, der Sprachgebrauch dafür ‚Lebewesen‘« (satto).

(Sam. Nik. I, p. 135: V, 10).

 

Somit haben wir als Resultat: Die fünf Gruppen sind Hervorbringungen in dem zweiten Sinn des Wortes, das sie das von den Hervorbringungsakten Hervorgebrachte (sankhatam) bilden.

Die Hervorbringungsakte selber werden, wie uns die vorangeführte Stelle aus Sam. Nik. XXIl sagt,

zu dem ganz bestimmten Zweck gesetzt, auf diese Weise einen Körper, Empfindungen, Wahrnehmungen, schaffende Geistestätigkeit und Erkennen zu ermöglichen.

Das heißt doch wohl: hinter den Hervorbringungen steht ein Wille, steht unser Wille.

In dessen Diensten die Hervorbringungen arbeiten.

Das geht ja auch schon aus den anderweiten Worten des Buddho hervor:

»Die fünf Haftensgruppen wurzeln im Willen« – (Majj. Nik., 109. Suttam) –

und: »lm Willen wurzeln alle Dinge« (Ang. Nik. X, 58) -, also auch die Hervorbringungen.

Mit ganz besonderem Nachdruck aber wird der Wille als die Quelle der Hervorbringungen herausgestellt

in der folgenden Darlegung des Buddho:

»Da sieht der gewöhnliche Mensch, der die Lehre nicht kennt, die fünf Haftensgruppen als sich selber an.

Diese Ansicht, Mönche, ist eine Hervorbringung.

Worin gründet nun diese Hervorbringung,

welchem Umstand verdankt sie ihre Entstehung,

woraus ist sie geboren, wodurch erzeugt?

Da ist der gewöhnliche Mensch von einer Empfindung getroffen worden,

die durch eine im Zustand des Nichtwissens erfolgte Berührung ausgelöst ist,

und Durst hat sich in ihm erhoben.

Daher kommt die Hervorbringung«. (Sam. Nik. XXll, 81)

Diese Darlegung gilt natürlich nicht bloß für die gedanklichen Hervorbringungen,

sondern schlechthin für den ganzen Haufen von Hervorbringungen, der unsere Persönlichkeit ergibt,

so ist also der eigentliche Bauherr unseres Körpers

und damit unserer ganzen Persönlichkeit nach wie vor der uns erfüllende Durst,

wie früher ausgeführt – (oben Seite 202):

 

»Bauherr. ich spotte dein, jetzt kenn’ ich dich,

Nie baust du mehr ein beinern Haus für mich,

Nicht muß der Geist mXX schöpferisch tätig sein, fürwahr,

Hat er den grausen Durst vertilgt ja ganz und gar

(visatikharam citam cittam tanhanam khayam ajjhaga).«

 

Das findet eine weitere Bestätigung darin, daß im 28. Suttam des Majjhima-Nik.

der Körper ein »Machwerk des Durstes« (tanhupadinna) genannt wird.

Die Hervorbringungen sind nur die im Dienste des Bauherrn stehenden Bauarbeiter,

sind die Willensvollziehen sobald gewollt wird,

treten die Hervorbringungen zur Befriedigung dieses Willens in Aktion,

und wo schlechterdings nichts mehr gewollt wird,

da gibt es auch keine Hervorbringungen mehr, somit kann schon jetzt gesagt werden,

daß der Weg zur definitiven Einstellung aller Hervorbringungen

über die Vernichtung des dürstenden Willens geht *. * M. N., 109. Suttam.

 

Die Hervorbringungen sind unsere Hervorbringungen,

wie der dürstende Wille unser Wille ist.

Jeder von uns ist also selber der Demiurg,

der die Materie zu dem so unaussprechlich komplizierten körperlichen Organismus

mit seinen sechs Sinnesorganen formt *

* »Anitna struit corpus« haben auch die deutschen Philosophen Rüdiger und Stahl erkannt

(Schopenhauer, Neue Paralipomena, § 685).

und mit diesem Bewußtsein und in diesem sich seine Welt erschafft,

eine Welt, die aber,

trotz der in den Hervorbringungen sich offenbarendem für unseren Intellekt unfaßbaren Kunst

letzten Endes nichts anderes ist als ein Ozean von Leiden,

da alle diese Kunst nicht imstande ist, das Grundgebrechen des Baustoffes, der Materie,

aus der unser körperlicher Organismus und die ganze im Bewußtsein sich darstellende Welt besteht,

zu beheben.

nämlich die rastlose Veränderlichkeit, ja Vergänglichkeit dieser Materie.

Und so bleiben denn in alle Ewigkeit die Worte wahr:

 

»Hervorbringung, was ist, vergeht, – sie schwindet hin, wie sie entsteht. –

Hat jede man zur Ruh« gebracht, – Hat man sein wahres Wohl geschafft«.

(Digha Nik. XVI, 6, 10)

 

»Und nun, Mönche, laßt euch gesagt sein:

)Was man auch hervorbringen mag: es muß wieder vergehen.

Ringet rastlos nach dem Ziele (nichts mehr hervorzubringen)!« (Digha Nik. XVI, 6, 7.)

 

»Diese drei Merkmale des Hervorgebrachten gibt es: Entstehen zeigt sich;

Vergehen zeigt sich; während des Bestehens zeigt sich Veränderung.

 

»Diese drei Merkmale des Nichthervorgebrachten gibt es:

Kein Entstehen zeigt sich; kein Vergehen zeigt sich; keine Veränderung des Bestehenden zeigt sich«.

(Ang. Nik. III, Nr. 47)

 

* * *

 

Bisher haben wir zwei Klassen von »Hervorbringungen« kennen gelernt.

Die erste begreift alles Entstandene überhaupt in sich,

die zweite umfaßt das gesamte Persönlichkeitsgetriebe,

mithin den Inbegriff der fünf Haftensgruppen, in die der Buddho die Persönlichkeit aufgelöst hat:

»Die fünf Haftensgruppen sind die Persönlichkeit, hat der Erhabene gesagt.« (44. Suttam, Majj. Vik)

Nun gibt es aber noch eine dritte Klasse von Sankhara, nämlich den Inbegriff

der vierten Haftensgruppe, die ja ebenfalls Sankhara heißt.

Wie ist das zu verstehen,

da doch auch, wie dargelegt, die vier anderen Gruppen »Hervorbringungen« sind?

Näher: welche speziellen Hervorbringungen sind in der vierten Haftensgruppe zusammengefast?

Um diese Frage zu beantworten, scheiden wir die drei ersten Haftensgruppen aus.

Dann ergibt der übrig bleibende Teil des Persönlichkeitsgetriebes

– dieses ist eingehend in dem Kapitel über die Persönlichkeit dargelegt –

den einzig möglichen Inhalt der beiden letzten Haftensgruppen,

also der »Hervorbringungen« (Sankhara) und des Erkennens (vinnanam).

Außer den drei ersten Haftensgruppen, körperliche Form, Empfindung, Wahrnehmung,

gibt es an der Persönlichkeit nur noch das Denken:

»Was man empfindet, nimmt man wahr;

was man wahrnimmt, denkt man (vitakketi)« haben wir oben S. 44 gesehen *.

* Der Durst und das Anhaften gehören nicht zum Persönlichkeitsgetriebe.

Eben deshalb heißen die fünf Gruppen ja Haftensgruppen:

man haftet an ihnen infolge des Durstes nach ihnen:

»Man haftet an den zum Anhaften geeigneten Gruppen.

Deshalb werden sie die Haftensgruppen genannt.« (Sam. Nik. Ill, p. 47: XXII, 48)

Also steht von vornherein fest,

daß die beiden letzten Haftensgruppen im Denken bestehen müssen.

Ja, wir können auch ohne weiteres die Art des Denkens der vierten Haftensgruppe

von der Art des Denkens der fünften Haftensgruppe scheiden.

Die vierte Haftensgruppe führt den Namen »Hervorbringungen« par excellence.

Das Denken der vierten Haftensgruppe ist also das hervorbringende Denken,

das will sagen, daß im Dienste des dürstenden Willens stehende Denken,

das unablässig bemüht ist, den unersättlichen Rachen dieses dürstenden Willens mit Nahrung zu stopfen,

auf daß er uns nicht fortwährend quäle,

indem er das herbeizuschaffen trachtet, wonach er giert.

Der Buddho schildert diese Art zu denken, wie folgt:

»Die Lehre von den achtzehn geistigen Erwägungen, Mönche, habe ich verkündet.

Mit Bezug worauf habe ich das gesagt?

Erblickt man mit dem Auge eine Gestalt,

so erwägt man die zu Frohsinn Anlaß gebende Gestalt,

erwägt die zu Trübsinn Anlaß gebende Gestalt,

erwägt die zu Gleichgültigkeit Anlaß gebende Gestalt.

Hört man mit dem Ohre einen Ton, riecht man mit der Nase einen Duft,

schmeckt man mit der Zunge einen Saft, tastet man mit dem Leib ein Tastobjekt,

denkt man mit dem Denken ein Denkobjekt,

so erwägt man das zu Frohsinn Anlaß gebende Denkobjekt,

erwägt das zu Trübsinn Anlas gebende Denkobjekt,

erwägt das zu Gleichgültigkeit Anlaß gebende Denkobjekt«. (Ang. Nik. III, Nr. 61).

Weil so dieses Denken ganz im Dienste des dürstenden Willens steht,

deshalb wird es unaufhörlich von diesem Willen durchwogt

»mit all den Modifikationen der Sache, die man Gefühle, Affekte, Leidenschaften nennt«.

Der Buddho sagt von einem solchen Denken (cittam), das es von Gier, Haß und Verblendung,

eben den Äußerungen des Durstes verunreinigt, beschmutzt sei.

Die deutsche Sprache hat für diese Verfassung des denkenden Geistes

den überaus zutreffenden Ausdruck »Gemüt«.

Eben deshalb können wir die Sankhara der vierten Haftensgruppe

auch die hervorbringenden oder schöpferischen Gemütstätigkeiten nennen.

Demgegenüber steht dann das Denken der fünften Haftensgruppe, das Erkennen genannt *.

* Vinnanam – (von vi + janati) – bedeutet wörtlich »Erkennen«. –

Da das Element Vinnanam allem Erkennen zugrundeliegt,

auch jeder noch ganz unbestimmten Empfindung,

so können wir in diesem weiten Sinne Vinnanam

auch sehr gut durch unser deutsches Wort »Bewußtsein« wiedergeben (vgl. oben S. 40 fig.).

Es ist das Erkennen par excellence, das reine Erkennen,

das nicht mehr zur Befriedigung eines dürstenden Willens hervorbringt,

sondern dem ganzen Persönlichkeitsgetriebe und auch dem dürstenden Willen selber,

kritisch beobachtend und jeweils nüchtern den objektiven Tatbestand feststellend, gegenübersteht.

Es will, vom neu erweckten Willen nach reiner Erkenntnis gezeugt, nur mehr wissen.

 

Daß dieses die Art des Denkens der fünften Haftensgruppe ist,

geht klar und eindeutig aus den folgenden Worten des Buddho hervor:

»Es bleibt nunmehr noch das Erkennen (vinnanam) übrig, das völlig reine, völlig geklärte.

Mit diesem Erkennen erkennt man was?

‚Wohl tut es‘ erkennt man; ‚wehe tut es‘ erkennt man;

‚weder wehe noch wohl tut es‘ erkennt man. –

Auf eine Berührung, Mönch, die wohlig zu empfinden ist, erfolgt eine wohlige Empfindung,

und eine wohlige Empfindung empfindend, erkennt man: ‚Eine wohlige Empfindung empfinde ich.‘

Weil aber die wohlig zu empfindende Berührung aufhört,

hört auch die wohlige Empfindung auf, die als Folge der wohlig zu empfindenden Berührung entstand,

kommt wieder zur Ruhe: so erkennt man. –

Auf eine Berührung, Mönch, die wehe zu empfinden ist, erfolgt eine wehe Empfindung,

und eine wehe Empfindung empfindend, erkennt man: ‚Eine wehe Empfindung empfinde ich.‘

Weil aber die wehe zu empfindende Berührung aufhört, hört auch die wehe Empfindung auf,

die als Folge der wehe zu empfindenden Berührung entstand, kommt wieder zur Ruhe: so erkennt man. –

Auf eine Berührung, Mönch, die weder wehe noch wohlig zu empfinden ist,

erfolgt eine weder wehe noch wohlige Empfindung,

und eine weder wehe noch wohlige Empfindung empfindend erkennt man:

‚Eine weder wehe noch wohlige Empfindung empfinde ich‘.

Weil aber die weder wehe noch wohlig zu empfindende Berührung aufhört,

hört auch die weder wehe noch wohlige Empfindung auf,

die als Folge der weder wehe noch wohlig zu empfindenden Berührung entstand,

kommt wieder zur Ruhe: so erkennt man.

Es ist geradeso, Mönch, wie wenn da zwei Holzscheite aneinander gerieben, geraspelt werden,

Wärme entsteht, Hitze erzeugt wird,

wenn aber die beiden Holzscheite wieder von einander getrennt, gesondert werden,

die erst entstandene Wärme wieder vergeht, zur Ruhe kommt …

Und er erkennt: ‚Es ist hervorgebracht (sankhatam).‘

Und so bringt er nicht mehr hervor, erdenkt nichts mehr,

weder zu dem Zweck, das etwas wird, noch, das etwas vernichtet wird.

(so n’eva abhisankharoti nabhisancetayati bhavaya va vibhavaya va).

Daß er nicht mehr hervorbringt, nichts mehr erdenkt,

weder zu dem Zweck, daß etwas wird, noch, daß etwas vernichtet wird,

künden das er an nichts mehr haftet.

Daß er an nichts mehr haftet, künden das er nicht mehr dürstet;

weil er nicht mehr dürstet, erlischt er eben in sich«.

(140. Suttam, Majj. Nik., auch Sam. Nik. II. p. 82, 97: XII, 51, 62)

 

Dieses Erkennen der fünften Haftensgruppe tötet also, wie wir das später noch näher sehen werden,

den dürstenden Willen

und macht damit auch das gesamte,

der Befriedigung dieses dürstenden Willens dienende schöpferische Denken der vierten Haftensgruppe

und damit alle Hervorbringungen überhaupt überflüßig,

weshalb die gesamte Hervorbringungstätigkeit für ewig eingestellt wird.

Auch die reine Erkenntnistätigkeit selber hat dann ihr Endziel erreicht

und geht deshalb ehestens gleichfalls zur Rüste,

wie auch das später noch eingehend behandelt werden wird.

 

Der Buddho nennt diese reine Erkenntnistätigkeit der fünften Haftensgruppe das erkennende Schauen

(nanadassanam) *. (* Wir können nanadassanam auch mit »anschauliche Erkenntnis« übersetzen.)

Dasselbe bildet in seiner stufenweisen Verwirklichung

als das große Instrument zur Vernichtung des Nicht-wissens den Kern des Erlösungsweges des Buddho, wie sich bei der späteren Darlegung dieses Weges zeigen wird.

 

Aus dieser Gegenüberstellung der beiden Denkarten der vierten und fünften Haftensgruppe

wird auch ohne weiteres ersichtlich,

warum der Buddho diese Denkarten in zwei selbständige Gruppen geschieden hat.

Sie sind in seiner Lehre von geradezu grundlegenden bahnbrechender Bedeutung:

die vierte Haftensgruppe zeigt die Bahn des Denkens, die in die Welt hineinführt,

die fünfte Haftensgruppe bricht die Bahn, die aus der Welt herausführt.

Zugleich wird durch diese Gegenüberstellung der Begriff der Sankhara,

der schöpferischen Denkakte, scharf umrissen.

 

* * *

 

Bisher haben wir das Wesen der Sankhara, der vierten Haftensgruppe,

als der schöpferischen Denkakte rein logisch erschlossen.

Nunmehr soll auch der quellenmäßige Nachweis hierfür erbracht werden.

Dabei wird sich zugleich ergeben,

daß diese Denkweise im bloßen begrifflichen Denken und Erwägen

stecken bleibt,

wie ja auch gemeinhin dem »gewöhnlichen Menschen«

das »erkennende schauen« völlig fremdes Gebiet ist.

 

  1. Was sich in uns und an uns regt, ist Sankharo, Hervorbringung:

der Körper, die Empfindung, die Wahrnehmung, die schöpferische Gemütstätigkeit, das Erkennen,

so gut wie jede Tat, die wir mit dem Körper vollbringen,

jedes Wort, das wir sprechen und jeder Gedanke, den wir denken. –

Speziell die drei letzten Arten von Hervorbringungen

begegnen uns im Kanon bei der praktischen Morallehre immer wieder.

Alles das gehört zum Haufen von Hervorbringungen,

der das ergibt, was wir Lebewesen, speziell Mensch nennen.

Diesen ganzen Haufen löst nun die Nonne Dhammadinna,

»die Weise, Wissensmächtigen, wie sie der Buddho selber nennt,

unter ausdrücklicher Billigung des letzteren, wie folgt, auf:

»Wie vielerlei Hervorbringungen gibt es, Ehrwürdige?« –

»Dreierlei Hervorbringungen gibt es, Bruder Visakho: die körperliche Hervorbringung, die sprachliche Hervorbringung, die geistige Hervorbringung« –

»Und was ist, Ehrwürdige,

die körperliche Hervorbringung,

was die sprachliche Hervorbringung,

was die geistige Hervorbringung?« –

»Einatmung und Ausatmung, Bruder Visakho, ist die körperliche Hervorbringung, begriffliches Denken.

Erwägen ist die sprachliche Hervorbringung,

Wahrnehmung und Empfindung ist die geistige Hervorbringung *.«

* Man beachte die Reihenfolge der einzelnen Hervorbringungen,

sie entspricht genau derjenigen,

in welcher in den später zu behandelnden beschaulichen Schauungen (jhana)

die Hervorbringungen methodisch, eine nach der andern, wieder aufgehoben werden:

zuerst hört das Ein- und Ausatmen auf, dann das begriffliche Denken und Erwägen,

hierauf die Wahrnehmung und schließlich auch die Empfindung.

Auch das legt Dhammadinna im 44. Suttam des Majj. Nik. dar.

»Warum, Ehrwürdige, ist die Einatmung und Ausatmung die körperliche Hervorbringung,

begriffliches Denken, Erwägen die sprachliche Hervorbringung, Wahrnehmung und Empfindung

die geistige Hervorbringung?« –

»Einatmung und Ausatmung, Bruder Visakho, sind körperliche Eigenschaften, sind an den Körper gebunden.

Darum ist Einatmung und Ausatmung die körperliche Hervorbringung.

Was man begrifflich denkt, erwägt (vitakketva vicaretva), spricht man nachher aus.

Darum ist begriffliches Denken, Erwägen die sprachliche Hervorbringung,

Wahrnehmung und Empfindung sind geistige Eigenschaften, sind an den Geist (cittam) gebunden.

Darum ist Wahrnehmung und Empfindung die geistige Hervorbringung« (44. Suttam des Majj. Nik.)

In der Tat, Dhammadinna war weise, überaus weise.

Denn diese Definition der Hervorbringungen ist in ihrer nicht mehr zu überbietenden,

den Kern der Sache bloßlegenden Präzision staunenswert:

Die Einatmung und die Ausatmung ist die Basis und das Zentrum der körperlichen Hervorbringungen,

ja, auch nach Schopenhauer die Bewegung des Lebens

als vom Atmungsprozeß ausgehend zu betrachten ist – (s. oben S. 109) -;

Empfindung und Wahrnehmung

sind die Repräsentanten der in den Sinnentätigkeiten erscheinenden Hervorbringungen;

begriffliches Denken und Erwägen (vitakkavicär0) bilden den Kern der schöpferischen Denkakte.

Das Dhammadinna diese letzteren Hervorbringungen den sprachlichen Sankharo nennt, gründet darin,

daß dem begrifflichen Denken, also der Vernunft,

die Sprache als erstes Erzeugnis und zugleich notwendiges Werkzeug dient –

(Schopenhauer, W. a. W. u. V. I, 44, 74) –

ja, Wort und Sprache das unerläßliche Mittel zum deutlichen Denken sind – (l. e. II, 71. 77).

Wo aber bleiben in der Definition der Dhammadinna die Hervorbringungen der fünften Haftensgruppe?

Der Inhalt dieser fünften Haftensgruppe ist, wie wir gesehen haben,

das beschauliche Schauen, das erkennende Schauen

und damit bereits in der dritten Haftensgruppe, der Wahrnehmung, enthalten.

» so bestätigt also auch Dhammadinna,

worauf es uns an der Stelle, an der wir gerade stehen, vor allem ankommt,

daß die Sankhara der vierten Haftensgruppe die schöpferischen Denkakte,

bestehend im begrifflichen Denken, Erwägen, sind.

 

  1. Das ergibt sich auch aus Folgendem: Wir haben bereits oben (Seite 208)

Worte des Buddho aus Samyutta Nikayo XXII. 81 angeführt.

Die Stelle lautet ausführlicher so:

»Da sieht der gewöhnliche Mensch die fünf Haftensgruppen als sich selber an.

Diese Ansicht, Mönche, ist eine Hervorhringung (Sankharo) …

Oder er hat die Ansicht: ‚Das bin ich, das ist die Welt, das werde ich nach dem Tod werden,

beharrend, ewig dauernd, ohne Wechsel.‘

Diese Ansicht ewiger Dauer, Mönche, ist eine Hervorbringung …

Oder er hat die Ansicht: ‚Nicht möge ich sein, nicht möge weiter etwas für mich sein,

ich werde nicht mehr sein und so wird für mich nichts mehr werden.‘

Diese Ansicht der Vernichtung, Mönche, ist eine Hervorbringung…

Oder er schwankt und zweifelt,

kann nicht zur vollen Klarheit kommen über die wahre Sachlage (saddhammo).

Dieses Schwanken und Zweifeln, dieses Nicht-zur-Klarheit-kommen-Können, Mönche,

ist eine Hervorbringungsk

Dabei fährt dann der Buddho in jedem einzelnen Fall fort:

»Diese Hervorbringung aber, Mönche, worin gründet sie,

welchem Umstand verdankt sie ihre Entstehung, woraus ist sie geboren, wodurch erzeugt?

Da ist der gewöhnliche Mensch, der die wirkliche Sachlage nicht kennt,

von einer Empfindung getroffen worden,

die aus einer im Zustand des Nicht-wissens erfolgten Berührung hervorgegangen ist,

und Durst hat sich in ihm erhoben.

Daher kommt die Hervorbringung«.

Also: durstgeborene Ansichten sind Hervorbringungen, Ansichten-aber sind Denkakte,

und da diese Denkakte »Hervorbringungen« genannt werden, eben schöpferische Denkakte.

 

  1. In ganz besonders hervorstechender Weise klärt uns der Buddho über die wörtliche und sachliche Bedeutung der Hervorbringungen der vierten Haftensgruppe im 120. Suttam des Majjhima Nikayo auf, das den Titel trägt »Wiedergeburt je nach den Hervorbringungen (Sankhara)«:

Wiedergeburt je nach den Hervorbringungen (sankharuppattim).

Mönche, will ich euch zeigen. Das hört!

Da ist ein Mönch vertrauensvoll, sittenrein, kennt die Lehre, kann entsagen, ist weise.

Der denkt bei sich: ‚Ach, möchte ich doch bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tod,

unter hohen Adeligen wiedergeboren werden‘ …

oder er denkt: ‚Möchte ich doch in einer vornehmen Bürgerfamilie wiedergeboren werden!‘

Auf dieses Denken stellt er sich ein. in diesem Denken beharrt er, dieses Denken pflegt er.

Den führen diese Hervorbringungen und ein entsprechendes Verhalten, so gehegt und gepflegt,

zu einem solchen Dasein …

Oder ein Mönch hat reden hören: ‚Die seligen Götter, die leben lange und herrlich und glückselig.‘

Und er denkt: ‚Oh, möchte ich doch bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode,

bei den seligen Göttern wiedergeboren werden!‘

Auf dieses Denken stellt er sich ein, in diesem Denken beharrt er, dieses Denken pflegt er.

Den führen diese Hervorbringungen und ein entsprechendes Verhalten, so gehegt und gepflegt,

zu einem solchen Dasein.t( Das gleiche führt der Buddho

weiterhin im einzelnen und genau in der gleichen Weise auch hinsichtlich aller anderen Götterreiche aus. Klarer kann man wohl nicht zum Ausdruck bringen,

daß die »Hervorbringungen« Denkakte sind,

also – eben als »Hervorbringungen« – das, was wir »schöpferische Denkakte« heißen.

 

Weiter ergibt sich aus diesen Worten des Buddho,

daß diese schöpferischen Denkakte dauernd gehegt und gepflegt

und von einem entsprechenden Verhalten (viharo),

nämlich von »keinen Harm verursachenden Taten und Worten«, begleitet sein müssen *,

wenn sie ihr Ziel erreichen sollen. * Vgl. Angutt. Nik. lV, Nr. 231, 232.

Warum?

Wir wissen bereits, daß unsere Wiedergeburt durch die Art des uns erfüllenden Durstes bestimmt wird.

indem dieser Durst ein Ergreifen eines ihm wahlverwandten Keimes herbeiführt.

Es handelt sich also darum. diesen Durst entsprechend zu veredeln, ihn mithin umzuschauen.

Das erfolgt eben auf dem Wege der schöpferischen Denkakte,

die solange gehegt und gepflegt werden müssen, bis diese Willensumschaffung erreicht ist.

 

Solange das nicht der Fall ist, läßt jede schöpferische Denktätigkeit neben dem unmittelbar verfolgten Zweck der Befriedung des» quälenden Durstes als das weiter soon ihr «c (sankhatam)’ auch den Durst in seiner bisherigen Verfassung anwachsen, verstärkt ihn, da sie ihm ja neue Nahrung zuführt:

»Und sein Durst, der zu neuem Werden führende, der wächst ihm nur immer noch mehr«, führt der Buddho im 149. Suttam des Majj. Nik aus.

Die Weltenreise geht also in den bisherigen Bahnen weiter.

 

Für den, dem daran liegt, sein nächstes Dasein günstiger zu gestalten

als sein gegenwärtiges und damit nach seinem Tode in eine Welt überzusiedeln,

auf die er sich freuen kann, handelt es sich mithin darum, mit eiserner Energie jene schöpferische Denktätigkeit zu pflegen, die seinen dürstenden Willen in die von ihm ersehnte Richtung lenkt.

Welches sind aber die in dieser Beziehung möglichen Denkarten?

»Dreierlei Arten schöpferischer Denktätigkeiten gibt es:

die künftiges Glück bringende schöpferische Denktätigkeit, die künftiges Unglück bringende schöpferische Denktätigkeit, die künftige Unverstörbarkeit bringende schöpferische Denktätigkeit *.« (Digha Nik-» 33. Suttam) –

* Man kann immer nur seine Zukunft gestalten,

die Gegenwart ist immer das abgeschlossene Produkt der Vergangenheit.

Wenn man einen Schnellzug nach Berlin besteigt, kann man nicht nach Rom kommen,

so besteigen wir unseren neuen Lebenszug jeweils im Moment unseres Todes

durch Ergreifen eines neuen Keimes.

Bereits von da ab ist unser neu anhebendes Leben in der Hauptsache ebenso fest umrissen,

wie bereits beim Antritt einer Reise nach Indien

oder nach dem Nordpol die kommenden Erlebnisse fest umrissen sind.

Deshalb legt der Buddho ein so ungeheures Gewicht

auf die Sorge um eine günstige Wiedergeburt.

Von ihr hängt letzten Endes alles ab.

»Wenn der in Nichtwissen geratene Mensch eine Glück bringende schöpferische Denktätigkeit hervorbringt, dann gelangt sein Bewußtsein – (nach dem Tod) – in eine glückliche Welt *.

* Das heißt: Das All, das er nach seinem Tod in seinem neuen Bewußtsein erleben wird

– »Hier im Bewußtsein steht das All« – stellt sich als eine glückliche Welt dar.

Wenn er eine Unglück bringende schöpferische Denktätigkeit hervorbringt,

dann gelangt sein Bewußtsein in eine unglückliche Welt.

Wenn er eine auf Unverstörbarkeit – (durch Sinnenobjekte) –

gerichtete – schöpferische Denktätigkeit hervorbringt,

dann gelangt sein Bewußtsein in eine unverstörbare Welt – (Brahmawelt) *.«

* Daß dabei stets das künftige Glück, also das nach dem Tod,

bzw. das künftige Unglück, bzw. die künftige Unverstörbarkeit gemeint ist,

wird auch im Maha-Niddeso ausdrücklich konstatiert

(vgl. Rhys Davids, Pali-Lexikon unter »punna«) -,

geht übrigens auch aus dem 106. Suttam des Majj. Nik. hervor.

Dort heißt es: »Was es da an diesseitigen Sinnenfreuden gibt

und was es da an jenseitigen sinnenfreuden gibt;

was es da an diesseitigen materiellen Formen gibt

und was es da an jenseitigen materiellen Formen gibt:

Beides ist vergänglich.

Was vergänglich ist, lohnt nicht der Liebe, lohnt nicht der Freude, lohnt nicht der Neigung.

Und indem er ausharrt in solchem Denken, wird sein Gemüt heiter-zufrieden.

Ist heitere Zufriedenheit in ihm eingekehrt,

so erlangt er in dieser Zeit die Unverstörbarkeit oder es wird die Weisheit seine Genossin.

Bei der Auflösung des Körpers. nach dem Tod, mag es wohl sein,

daß dieses sein – [seinem Durst] –

die Richtung weisendes Bewußtsein in unverstörbare Welt gelangt.«

 

* * *

 

So hängt also schlechterdings alles von der Art unseres Denkens ab:

»Im Denken (mano) haben ihren Ausgangspunkt die Dinge,

vom Denken werden sie gelenkt, vom Denken sind geschaffen sie.

Verderbten Denkens wer da redet oder handelt, dem folgt Leiden wie das Rad des Zugtiers Hufen.

 

»Im Denken haben ihren Ausgangspunkt die Dinge, vom Denken werden sie gelenkt,

vom Denken sind geschaffen sie.

Mit reinem Denken wer da redet oder handelt, dem folgt Wohl, gleichwie ihn nie verläßt sein Schatten.« (Dhammapadam, V. i, 2)

 

»Was es da, Mönche, an unheilsamen Dingen gibt-,

zuerst entsteht das Denken an sie, die unheilsamen Dinge folgen nach.« –

»Was es da an heilsamen Dingen gibt:

zuerst entsteht das Denken an sie, die heilsamen Dinge folgen nach.« (Ang.- Nik. l, Nr. 6: 6, 7)

 

Auf eine kurze Formel gebracht, besagt dies:

Wie das Denkorgan die Zentrale- aller Sinnentätigkeiten ist – (oben s. zo) -,

so ist das Denken der Höchstkommandierende des ganzen Haufens von Hervorbringungen, der die Persönlichkeit ergibt.

lnsbesondere sind die fünf Ausensinne nur die Vollzugsorgane dieses Höchstkommandierenden Us.

* Nun wird dem Leser auch die oben S. 207 angegebene Legaldefinition der Sankhara,

der vierten Haftensgruppe, die ihm wohl ein Rätsel geblieben ist, durchsichtig sein:

»Die Hervorbringungen haben ihre Benennung daher,

daß sie die Hervorbringungen um ihretwillen als Hervorgebrachtes hervorbringen.«

 

Oben wurde gesagt, daß jedes Wesen selber der Demiurg seiner Welt sei,

indem es sich diese immer wieder in der Hervorbringung seines körperlichen Organismus erschafft,

durch den allein wir ja in unsere Welt eintreten und sie erleben.

Das wird uns nun in seiner ganzen Weite deutlich sein:

Wir sind solche berufsmäßige Demiurgen,

daß wir in dieser unserer Schöpfertätigkeit überhaupt nicht zur Ruhe kommen.

Kaum haben wir uns in unserer Geburt eine neue Welt geschaffen, so beginnen wir schon gleich wieder, unserem Weltenbaumeister, unserem dürstenden Willen nach Leben, unablässig den Bauplan

für unsere künftige Welt in unseren gegenwärtigen schöpferischen Gemütstätigkeiten

– Gemüt im Sinne durstdurchfluteten Denkens genommen – zu suggerieren,

mit der Folge, daß uns dieser Durst beim Zerbrechen unseres gegenwärtigen Körpers

zum Ergreifen eines ganz bestimmten,

eben durch unsere vergangenen Gemütstätigkeiten determinierten Keimes

in einem neuen Mutterschoß führt.

Diesen Keim gestalten wir dann in unseren Hervorbringungen

als den willigen Gesellen des Baumeisters zu einem neuen körperlichen Organismus,

in dem wir, wie gesagt, in unsere neue Welt eintreten,

sei das nun wieder eine Menschenwelt, oder aber eine Hüllen-, Tier-, Gespenster- oder Götterwelt.

 

Freilich, diese Weltschöpfung ist nicht so einfach wie die des Jehova,

der einfach »sprach: ‚Es werde Licht!‘ und es wurde Licht.«

Aber trotzdem brauchte auch er zu seiner Weltschöpfung sechs Tage.

Dabei stehen die christlichen Theologen nicht an,

diese sechs Tage für ebenso viele Weltperioden zu erklären.

Auch die Arbeit Jehovas scheint also nicht ganz einfach gewesen zu sein.

Wir dürfen uns mithin nicht wundern,

wenn auch wir als Demiurgen unsere jeweilige Welt nur in hattet Arbeit erschaffen können,

wenigstens dann, wenn es eine Licht- oder Götterwelt sein soll, die wir uns schaffen wollen.

Auch dazu, also zur Umschaffung unseres dürstenden Willens,

können wir eine Reihe von Existenzen, ja, Weltperioden nötig haben.

 

Diese Kosmogonie hat auch der Buddho in den folgenden abgrundtiefen Worten im Auge,

zu deren Verständnis nur der Fingerzeig gegeben werden soll,

das ja auch die Tiere, auch die Insekten, einmal Menschen gewesen sind

und bereits als solche den Grund für ihre nunmehrigen tierischen Eigenschaften gelegt hatten.

 

»Mönche, habt ihr schon einmal ein recht buntes Gemälde, ‚Schaustück‘ genannt, gesehen?« –

»Gewiß, oh Herr.« –

»Nun, Mönche, ein solches Gemälde ist durch das Gemüt (cittam) – (des Künstlers) – so bunt geworden;

ist doch das Gemüt noch bunter als so ein buntes, ‚Schaustück‘ genanntes Gemälde.

 

»So sind, Mönche,

auch die so überaus buntartigen Wesen des Tierreiches durch das Gemüt so bunt geworden.

Das Gemüt ist noch bunter als die so überaus buntartigen Wesen des Tierreiches.

Deshalb, Mönche, muß der Mönch sein Gemüt, es bloßlegend, oft und oft betrachten:

‚Lange Zeit hindurch ist dieses Gemüt – (im Verlauf des Samsaro) –

verunreinigt worden durch Gier, durch Abneigung, durch verkehrte Denkweise.

Durch die Verunreinigung des Gemüts aber werden die Wesen selbst verunreinigt,

durch die Reinigung des Gemüts werden sie selbst rein.

 

»Gleichwie, Mönche, wenn ein Färber oder Maler

mit Farbe oder Lack oder Gelbwurz oder Indigo oder Färberröte

auf einer wohl polierten Tafel oder Wand oder auf einem Gewebe

eine weibliche oder männliche Gestalt in ihrer ganzen Vollständigkeit erschafft:

ebenso auch, Mönche,

erschafft sich der die wirkliche Sachlage nicht kennende Weltmensch – (im Verlauf seines Samsaro) –

immer und immer wieder eine neue körperliche Form,

erschafft sich immer und immer wieder neue Empfindung, neue Wahrnehmung,

neue schöpferische Gemütstätigkeiten, neues Erkennen * **.«

(* Sam. Nik. lll, p. ist fig. (XXll, 100.))

** Die Grundanschauung, daß wir, an sich jenseits der Welt,

alles an uns und für uns fortwährend neu erste-Fern hervorbringen,

beherrscht auch die Sprache des Pali-Kanons so sehr,

daß manchmal eine wörtliche Übersetzung für den Europäer geradezu unverständlich wäre,

so heißt es beispielsweise im Ang. Nik. IV, Nr. 231. 232, – (auch Majj. Nik., 57. Suttam) – wörtlich:

»Was ist das, Mönche, für ein Wirken (kammam), das böse ist und eine böse Ernte zeitigt?

Da bringt einer Harm verursachende körperliche Hervorbringung hervor

– (sabyabajjham kayasankharam abhisankharoti) –

bringt Harm verursachende Hervorbringung in der Rede,

bringt Harm verursachende Hervorbringung in seinem Denken hervor.«

Um allgemein verständlich zu sein, wird das bei uns gewöhnlich in der Form wiedergegeben:

»Er verübt böse Tat in Werken, Worten und Gedanken« – (s. auch oben S. 196. 197) -.

Dadurch wird aber der tiefe Sinn des Sankhari-Begriffs

und damit auch das Verhältnis der Sankhara zum Karma-Begriff, völlig verschleiert.

Bei der wörtlichen Übersetzung sieht man aber unschwer ein,

daß das Karmagesetz nichts anderes ist als die Feststellung der Normen,

nach denen die schöpferischen Gemütstätigkeiten der Wesen sich auswirken –

Wie sehr sachlich begründet die Ausdrucksweise des Buddho ist,

wird übrigens auch daraus deutlich,

daß selbst der Europäer auf sie verfällt, wenn er nur tief genug schürft.

so sagt Schopenhauer: »Das Erkennen ist bloß Gehirnfunktion und nicht unser eigenstes selbst.

Unser wahres selbst, der Kern unseres Wesens, ist das, was hinter jenem steht …

ist das, was jenes andere hervorbringt.« (S. Grimm, »Das Glück«, S. 25.)

 

Als Schlußresultat dieser Ausführungen seien noch zwei Beispiele gegeben.

wie sich hiernach die Übersetzung des Terminus »Sankharo« im einzelnen Fall gestaltet-

»Während der Regenzeit – (einige Monate vor seinem Tod) –

befiel den Erhabenen eine ernste Krankheit; er hatte heftige Schmerzen zu erdulden.

Als wolle der Tod kommen.

Der Erhabene ertrug sie besonnen, klar bewußt.

Ohne sich beschweren zu lassen.

Da sagte sich der Erhabene:

»Es empfiehlt sich für mich nicht, ohne Abschiedswort an die, die mir gedient haben,

und ohne die Mönchsgemeinde noch einmal gesehen zu haben, zu erlöschen.

so will ich denn diese Krankheit mit Energie bezwingen

und noch eine Weile in der Leben schaffenden Denkart – (jivitasankharam) – verharren.‘

Und der Erhabene stellte sich energisch auf die Leben schaffende Denktätigkeit – (jivitasankharam) – ein.

Da legte sich die Krankheit des Erhabenen.« (Digha Nikayo XVI, 2, 23)

 

Später heißt es dann:

»… Da hat denn der Erhabene beim Capala-Heiligtum besonnen,

klar bewußt das Leben schaffende Denken – (ayusankharam) – entlassen . . .

Und der Erhabene tat den feierlichen Ausspruch:

»Das Werden schaffende Denken – (bhava-sankharam) – entlassen hat der Weise. –

Und neues Werden, ob es hoch, ob niedrig heiße – In sich gesammelt, voll von innerer Seligkeit – Zerbricht das eigene Werden er gleichwie ein Panzerkleid.« (Digha Nik. XVI. 3, 10)

 

Nach dieser Aufhellung der Sankhara können wir in der Formel vom Kausalnexus weiterfahren.

Wir hatten sie oben S. 204 bei dem Glied verlassen:

»In Abhängigkeit von den Sankhara entsteht das Bewußtsein«.

Was das besagen will, ist nunmehr klar.

Es besagt: »In Abhängigkeit von den Hervorbringung entsteht das Bewußtsein«.

Das aber bedeutet:

Wir gestalten in schöpferischer Hervorbringungstätigkeit den in einem Mutterschoß ergriffenen Keim

zu einem körperlichen Organismus mit seinen sechs Sinnesorganen

und bringen dann nach der Geburt mit ihm,

ihn zugleich während des ganzen Lebens hindurch fortwährend erneuernd und gebrauchend,

immer wieder Sehbewußtsein, Hörbewußtsein, Riechbewußtsein,

Schmeckbewußtsein, Tastbewußtsein, Denkbewußtsein

und in diesem Bewußtsein

weiterhin Empfindungen, Wahrnehmungen, schöpferische Gemütstätigkeiten und Erkennen hervor,

wie das im Kapitel über die Persönlichkeit näher ausgeführt ist.

 

Zu diesem in die Tiefen der schöpferischen Gottheit führenden Satz:

»In Abhängigkeit von den Hervorbringungen entsteht Bewußtsein« gelangt man aber nur,

wenn man die Methode des Buddho befolgt,

  1. h. wenn man sich auf »das Zentrum seiner Lebensgeburt zurückziehend«,

durch intensive Innenschau festzustellen sucht,

wie ich in meinem unergründlichen Wesen

»zu all dem Werden, in das ich mich hineinverwoben sehe« – oben S. 165 flg. – komme.

Demgegenüber liefert auch die tiefste Betrachtung der den fünf Außensinnen

allein zugänglichen materiellen Bestandteile des körperlichen Organismus

eben auch immer nur Erkenntnisse bezüglich der Resultate

unserer an der Materie vor sich gehenden Hervorbringungstätigkeit,

die selber für die bloß äußere Erkenntnis ebenso unerreichbar ist wie unser Ich

und unser unmittelbar aus diesem Ich hervorquellender Wille

mit dem ihm folgenden Anhaften oder Ergreifen.

Eben deshalb stehen ja auch unsere Naturwissenschaften diesen Problemen völlig hilflos gegenüber.

Und so verblaßt denn auch der abgrundtiefe Satz

»In Abhängigkeit von den Hervorbringungen entsteht das Bewußtsein«

selbst bei den größten abendländischen Philosophen

zur freilich immer noch bedeutsamen Erkenntnis:

»Das Bewußtsein

ist das jeweilige Produkt der physiologischen Prozesse unseres Körpers im Allgemeinen

und der Funktionen der Sinnesorgane« im Besonderen,

oder, um im Geiste Schopenhauers zu sprechen:

»Das Bewußtsein ist ein sekundäres Phänomen,

bedingt durch die Funktionen des cerebralen Nervensystems,

beruht auf dem somatischen Leben des Individuums,

erst vermittels des organischen Lebens ist Bewußtsein möglich.«

 

Oben S. 58 wurde ausgeführt,

daß der körperliche Organismus und das Bewußtsein nur in gegenseitiger Bedingtheit,

wie zwei aneinander gelehnte Büschel von Ried, bestehen können.

Eben deshalb findet auch im Mahanidana-Suttam die Formel der Entstehung

in Abhängigkeit mit dem Gliede »körperlicher Organismus mitsamt dem Bewußtsein«

ihren Abschluß mit der ausdrücklichen Konstatierung:

»Die Reihe geht nicht weiteren Seite 204 ist dann weiter ausgeführt,

das eben deshalb die zwei weiteren Glieder der erweiterten Kausalreihe,

die Hervorbringungen und das Nichtwissen,

nicht über den »körperlichen Organismus mitsamt dem Bewußtsein« hinausführen können.

Auch das ist nunmehr zunächst hinsichtlich der Hervorbringungen klar geworden.

Diese klären lediglich

die gegenseitige Bedingtheit des körperlichen Organismus und des Bewußtseins näher dahin auf,

daß sie es sind, die den körperlichen Organismus ausschließlich zu dem Zweck formen,

durch seine Sinnesorgane Bewußtsein zu erzeugen, so ausschließlich,

daß er, wenn er diese Fähigkeit der Bewußtseinserzeugung verliert, selber zugrunde geht,

wie das ja auch die tägliche Erfahrung ohne weiteres bestätigt.

 

Es bleibt nur noch übrig zu zeigen,

wie auch das Nichtwissen als Ursache der Hervorbringungen

sich harmonisch in die früher behandelte Kausalreihe einfügt.

 

 

DAS NICHTWISSEN

Überblick über die Leidensverkettung

In Abhängigkeit vom Nichtwissen entstehen die »Hervorbringungen«.

Damit sind wir zum letzten Glied der Formel vom Kausalnexus auch in ihrer erweiterten Form gekommen. Schon aus dieser Stellung des Nichtwissens an der obersten Spitze der ursächlichen Verkettung

dürfen wir auf seine grundlegende Wichtigkeit schließen;

und dem ist in der Tat so.

 

Zunächst ist klar, daß der Buddho mit dem Satz besagen will,

daß die Hervorbringungen der Ausfluß der Unkenntnis von etwas sind,

bei dessen Kenntnis sie nicht erfolgen würden und damit überhaupt nichts mehr für uns werden würde.

Was ist nun das für ein Etwas, in Ansehung dessen diese Unkenntnis. dieses Nichtwissen besteht?

Der Buddho sagt es uns in den Worten:

»Das Leiden, Mönche, nicht kennen, die Leidensentstehung nicht kennen,

die Leidensvernichtung nicht kennen, den zur Leidensvernichtung führenden Pfad nicht kennen:

das nennt man, Mönche, Nichtwissen *.« (* Majj. Nik. I, p. 54 (9. Suttam))

Was das für ein Leiden ist, haben wir bereits in der ersten der vier Hohen Wahrheiten kennen gelernt.

Es ist das große Weltleiden der Vergänglichkeit, dem alles unterworfen ist,

so zwar, daß die ganze Welt nur eine einzige große Leidenswelt ist.

Alles ist vergänglich und damit leidvoll:

das Auge und die Gestalten, das Ohr und die Töne, die Nase und die Düfte,

die Zunge und die Säfte, der Leib und das Tastbare, das Denken und das Denkbare« *.

* Man wird sich erinnern, das damit in der Tat alles erschöpft ist.

Vgl. oben S. 117, im Kapitel über das Subjekt des Leidens.

Das erkennt nun der »gewöhnliche Mensch« nicht der Wirklichkeit gemäß.

Er vermag nicht einzusehen, daß letzten Endes

immer wieder der unvermeidliche Zusammenbruch aller Sinnengenüsse und Sinnenbefriedigungen

irgend welcher, auch der höchsten und idealsten Art eintreten muß

und diese, sei es noch in diesem Leben oder in einer späteren Daseinsform

– etwa gar in der Tier- oder Höllenwelt –

in ein auch zeitlich unabsehbares Meer von Leiden ausmünden müssen,

und so wird er »am Auge erfreut, wird an den Gestalten erfreut, wird am Ohr und den Tönen erfreut,

an der Nase und den Düften, an der Zunge und den Säften, am Leib und am Tastbaren,

am Denken und am Denkbaren erfreut«,

wie im einhundertneunundvierzigsten Suttam der Mittleren Sammlung * ausgeführt wird,

* Majj. Nik. Ill, p. 287.

was nichts anderes besagen will, als:

er pflegt die Sehtätigkeit, die Hörtätigkeit, die Riech-, Schmeck-, Tast- und Denktätigkeit,

kurz, die Hervorbringungen, die Sankhara,

mit der Folge, daß nun die ganze Leidensverkettung abermals weiterläuft

und den sorglosen im Verlaufe der Zeiten unweigerlich neuerdings,

wie schon so oft in der unergründlichen Vergangenheit, in alle Abgründe des Seins hinunterführt.

Denn eben infolge dieser neuerlichen Hervorbringungen

flammt auch immer wieder neu das Bewußtsein auf

und damit neue Empfindung und damit neuer Durst nach der Welt der Gestalten,

der Töne, der Düfte, der Säfte, des Tastbaren und des Denkbaren,

womit dann derjenige Faktor wieder verwirklicht ist,

der im kommenden Tod ein neues Anhaften herbeiführen muß,

das genau der Qualität dieses Durstes entspricht *.

* Wonach aber, Mönche, entsteht und entspringt eben dieser Durst?

Wonach setzt er sich fest und greift um sich?

Was da in der Welt angenehm und reizend ist,

darnach entsteht und entspringt eben dieser Durst,

darnach setzt er sich fest und greift um sich.

Was aber ist in der Welt angenehm und reizend?

Das Auge ist in der Welt angenehm und reizend,

darnach entsteht und entspringt eben dieser Durst,

darnach setzt er sich fest und greift um sich.

Das Ohr – die Nase – die Zunge – der Leib – das Denken

ist in der Welt angenehm und reizend –

darnach entsteht und entspringt eben dieser Durst,

darnach setzt er sich fest und greift um sich.«

(Digha Nikayo XXII.)

Damit wird deutlich,

warum der Buddho bei der Formel vom Kausalnexus nicht bei dem objektiv letzten Glied,

»dem körperlichen Organismus mitsamt dem Bewußtsein«, stehen geblieben ist,

sondern sie bis zu den Sankhara und dem Nichtwissen fortgeführt hat.

Für ihn handelte es sich darum, die definitive Ursache des immer wieder neu hervorbrechenden,

die Quelle der steten neuen Wiedergeburt bildenden Durstes aufzudecken,

und zwar galt es nicht bloß die objektive Ursache festzustellen,

wie diese Feststellung in dem von uns oben behandelten Maha-Nidana-

Suttam eben mit dem »körperlichen Organismus mitsamt dem Bewußtsein« als Abschluß getroffen ist,

sondern entsprechend dem praktischen, auf die Vernichtung dieses Durstes gerichteten Zweck, womöglich bis zu seiner letzten Subjektiven, von uns selber abhängigen Bedingung vorzudringen,

als welche sich dann eben die Unkenntnis über die wahre Beschaffenheit der Welt,

also das Nichtwissen ergibt.

Dieses Nichtwissen ist mithin die Basis der ganzen Leidensverkettung,

es ist die tiefe Nacht, in welche eingehüllt die Wesen seit anfangslosen Zeiten

den Sechssinnenapparat gebrauchen mit der Folge,

daß immer wieder neuer Durst nach fernerer solcher Betätigung sich erhebt,

welcher Durst dann seinerseits beim Zerfall des Sechssinnenapparates im jeweiligen Tod

die stete Neubildung eines solchen bewirkt:

»Nichtwissen ist die tiefe Nacht, darin man hier so lange kreist *.« (* suttanipato, V. 730.)

 

Hiernach ist aber nicht nur die Bedingtheit des Durstes als der unmittelbaren Ursache des Kreislaufes der Wiedergeburten

und damit dessen rein physische Natur über allen Zweifel festgestellt,

sondern auch seine letzte und eigentliche Bedingung als eine solche erkannt,

deren Behebung völlig in unserer Gewalt steht:

Mit der Beseitigung des Nichtwissens wird er und mit ihm alle Kausalität überhaupt für immer entwurzelt: »Die die Verblendung überkommen und die dichte Finsternis durchbrochen haben,

die wandern nicht wieder: Ursächlichkeit besteht für sie nicht mehr *.« (* Itivuttakam 14.)

 

Damit haben wir die ganze Formel der Entstehung

durch Abhängigkeit kennen gelernt und wohl auch gesehen,

daß sie in allen ihren Teilen von äußerster Durchsichtigkeit ist.

Niemand wird sich der Einsicht verschließen können,

daß ein Glied mit logischer Notwendigkeit ins andere übergeht,

die ganze Kette der Bedingungen also nicht nur richtig, sondern auch erschöpfend ist.

Insbesondere hat sich uns nunmehr auch gezeigt,

daß auch das Nichtwissen, so gut wie die Sankhara,

sich harmonisch an den früher von uns behandelten Formelabschluß

mit dem »körperlichen Organismus mitsamt dem Bewußtsein« als letzteren Gliede anschließt,

sie führen beide nicht über dieses letzte Glied hinaus,

was ja nach dem Früheren auch gar nicht möglich ist,

indem schon mit ihm, und zwar speziell mit dem körperlichen Organismus,

der im Moment der Empfängnis sich zu bilden anfängt,

der unmittelbare Anschluß an den früheren »mit Bewußtsein behafteten Körper«,

der der neuen Empfängnis unmittelbar vorausgegangen war, gegeben ist.

Wie die Sankhara

die Art der Bedingtheit des Bewußtseins durch den körperlichen Organismus aufklärten,

so gibt uns das Nichtwissen den Schlüssel zum Verständnis der Tatsache,

wie wir überhaupt dazukommen,

den infolge unseres früheren Durstes

in einem Mutterleib ergriffenen Keim zur Sechssinnenmaschine zu gestalten

und von dieser wiederum Gebrauch zu machen.

 

Nunmehr brauchen wir nur noch die Formel in ihrer Gesamtheit zu überblicken *: (* nach Udanam I, 3.)

 

»Wenn dieses ist, existiert jenes-, wenn dieses entsteht, tritt jenes in die Erscheinung. …

Das will sagen:

In Abhängigkeit vom Nichtwissen – avijja –

entstehen die – (den im Mutterleib ergriffenen Keim zu einem Erkenntnisapparat gestaltenden) –

Hervorbringungen (sankhara) -,

in Abhängigkeit von den Hervorbringungen entsteht das Bewußtsein – vinnanam -,

in Abhängigkeit von dem Bewußtsein entsteht der körperliche Organismus – nama-rupam * -,

* Vgl. die Ausführungen oben S. 58, 59, wo dargelegt ist,

daß nur ein mit Bewußtsein versehener Organismus entwicklungs- und lebensfähig ist,

ja, daß schon die allererste Entwicklung des befruchteten Keimes dadurch bedingt ist,

daß vermittels seiner organisierten Materie Bewußtsein,

wenn auch zunächst bloß ein pflanzenhaftes Bewußtsein, ausgelöst wird.

in Abhängigkeit vom körperlichen Organismus entstehen die sechs Sinnesorgane – salayatanam * **-,

* Salsyatanam wörtlich: sechsfaches Gebiet.

Dieses wird in die »sechs inneren und äußeren Gebiete-i unterschieden (Majj. Nik., 148. Sut.).

Während die sechs äußeren Gebiete

die Inbegriffe der den einzelnen Sinnesorganen entsprechenden Objekte darstellen,

also die Gestalten, die Töne usw.,

werden unter den sechs inneren Gebieten die sechs Sinnesorgane selbst,

soweit sie »ungebrochen« sind — cfr. oben S. 40 fig. – also als Sinnenvermögen, verstanden

(cfr. Majj. Nik-, 10. Suttam).

»Wie aber, Mönche, verharrt der Mönch bei den Gegenständen

in der Beobachtung der Gegenstände der sechs lnnen- und Außengebiete?

Da kennt, Mönche, der Mönch das Auge und kennt die Gestalten,

er kennt das Ohr und kennt die Töne« usw.

Hier, bei der Kausalitätskette,

sind natürlich die sechs inneren Gebiete, also die Sinnesorgane, gemeint,

da es sich ja um die Erklärung des Zustandekommens der fünf Haftensgruppen

in Form des Getriebes der Persönlichkeit handelt.

(cfr. übrigens auch Majj. Nik. ll, 260 [105. Suttam).

wo dargelegt ist, wie die Wunde der »sechs inneren Gebietes-, also eben der Sinnesorgane,

sich schließen müsse,

  1. h. diese für immer untergehen müssen – Majj. Nik. Il, p. 237 (105. Suttam),

wenn man leidfrei werden will:

Eben die stete Entstehung und Offenhaltung dieser Wunde

legt nun aber andererseits die Kausalitätskette dar.)

Übrigens fehlt dieses Glied der sechs Sinnesorgane,

das wir hier und auch sonst eingeschoben sehen, in der Kette der Abhängigkeiten,

wie wir sie bisher nach dem Maha-Nidana-suttam kennen gelernt haben.

Der Grund ist offensichtlich:

es ist eigentlich schon mit dem körperlichen Organismus – nama-rupam – dem vierten Glied,

gegeben und deshalb im Grunde überflüssig.

 

** Die Glieder Sankhara, Bewußtsein. körperlicher Organismus nebst Sinnesorganen

bedingen sich gegenseitig,

indem sie ja nur die nähere Erläuterung

der zwei, sich gegenseitig bedingenden, Glieder »körperlicher Organismus« und »Bewußtsein«

– cfr. Oben S. 58 – darstellen,

mit denen im Maha-Nidana-Suttam die Formel ihren Abschluß erreicht – cfr. oben s. 201.

in Abhängigkeit von den sechs Sinnesorganen entsteht die Berührung – phasso -,

in Abhängigkeit von der Berührung entsteht die Empfindung – vedana -,

in Abhängigkeit von der Empfindung entsteht der Durst – tanha -,

in Abhängigkeit von dem Durst entsteht das Haften – upadanam -,

in Abhängigkeit von dem Haften entsteht das Werden — bhavo -,

in Abhängigkeit von dem Werden entsteht die Geburt – jati -,

in Abhängigkeit von der Geburt entstehen Alter und Tod,

Kummer, Jammer, Schmerz, Gram und Verzweiflung.

 

Also kommt die Entstehung dieser ganzen Leidensverkettung zustande.«

 

Was das Verständnis dieser Formel bisher bei uns so überaus erschwerte,

war neben anderem der Umstand,

daß man gemeinhin in ihr eine Darlegung der einzelnen Glieder des Kausalnexus

in ihrer einfachen Zeitlichen Aufeinanderfolge finden zu müssen glaubte.

Wir haben das Verkehrte dieses Standpunktes

aus den bisherigen Erläuterungen der Kette

an der Hand der vom Buddho selbst gegebenen Aufschlüsse kennen gelernt.

Hiernach ist vielmehr der richtige Gedankengang der Formel

und damit der Schlüssel zu ihrem Verständnis der folgende:

Der Buddho will in ihr die Abhängigkeit der einzelnen Glieder in rein abstrakter Fassung, mithin so,

wie sie sich innerlich und an sich bedingen, geben,

das heißt also folgenderart:

Alter und Tod, Kummer, Jammer, Schmerz, Gram und Verzweiflung

sind nur an und mit einem körperlichen Organismus als der Leidensmaschine möglich.

Ein solcher muß geboren werden, setzt also die Geburt voraus.

Die Geburt aber ist ein Spezialfall des Werdens.

Jedes Werden ist durch ein Anhaften, dieses aber durch den Durst nach Werden (bhavatanha) bedingt.

Ein solcher Durst kann nur auftreten, wo Empfindung ist.

Empfindung aber ist die Folge einer Sinnesberührung mit einem Objekt,

setzt also Sinnesorgane voraus,

Sinnesorgane bedingen selbstverständlich einen körperlichen Organismus als ihren Träger.

Ein solcher kann aber fraglos nur bestehen, wie überhaupt auch nur sich entwickeln,

wenn Bewußtsein dazu kommt.

Bewußtsein aber setzt die Gestaltung des ergriffenen Keimes

zu einem Sechssinnenapparat durch die Hervorbringungen voraus.

Diese aber werden nur gesetzt, wo Nicht-wissen über die Heillosigkeit ihrer Folgen besteht.

 

In umgekehrter Reihenfolge und zugleich unter Berücksichtigung ihrer Realisierung in der Wirklichkeit

stellen sich diese allgemeinen Sätze, wie folgt, dar:

Im Mutterleib heben in der Nacht tiefsten Nichtwissens weil völliger Bewußtlosigkeit,

die Hervorbringungen – (Sankhara) – an dem ergriffenen befruchteten Keim an.

Diese Hervorbringungen bilden die notwendige Voraussetzung für die Entstehung des Bewußtseins –

Bewußtsein aber bildet seinerseits wieder die notwendige Bedingung

für die Entwicklung des Organismus im Mutterleib und sein Fortbestehen nach der Geburt,

so daß also erst in Abhängigkeit vom Bewußtsein

der körperliche Organismus mit den sechs Sinnesorganen zur Reife gedeihen

und weiterhin sich behaupten kann. –

Die Sinnesorgane

stellen ihrerseits wieder die notwendige Voraussetzung jeder Berührung und damit Empfindung dar. –

Aus der Empfindung * quillt dann

* beziehungsweise aus der stets mit ihr untrennbar verbundenen Wahrnehmung

in der Folge unaufhörlich der Durst nach der Welt der Gestalten, der Töne, der Düfte usw. hervor,

der seinerseits die conditio sine qua non für das Anhaften bildet. –

Mit diesem aber ist die unmittelbare Ursache alles Werdens bloß gelegt:

was nur immer wird, wird auf Grund eines solchen Anhaftens. –

Dieses Anhaften ist insbesondere auch die Ursache für das Werden eines neuen Organismus,

daß durch die Geburt, das heißt die Empfängnis

und die sich daran anschließende erste Entwicklung im Mutterleib, eingeleitet wird.

Damit ist der Kreislauf wiederum geschlossen

und so abermals die Voraussetzung für die Entstehung

von Alter und Sterben, Kummer-, Jammer, Schmerz, Gram und Verzweiflung gesetzt.

 

Sehen wir so in der Formel vom Kausalnexus

lediglich die innere Abhängigkeit der einzelnen Glieder der Leidensverkettung voneinander aufgezeigt,

so, wie sie sich an sich bedingen, so gibt uns der Buddha wie ja gar nicht anders zu erwarten,

die Formel andererseits auch so, wie sie sich im konkreten Fall verwirklicht:

 

»Durch das Auge und die Gestalten entsteht das Sehbewußtsein,

das Zusammentreffen dieser drei ist die Berührung;

durch die Berührung entsteht die Empfindung;

durch die Empfindung der Durst;

durch den Durst das Anhaften;

durch das Anhaften das Werden-, durch das Werden die Geburt;

durch die Geburt entstehen Alter und Tod, sorge und Jammer, Leiden, Trübsal and Verzweiflung.

 

»Durch das Ohr und die Töne entsteht das Hörbewußtsein –

durch die Nase und die Düfte entsteht das Riechbewußtsein –

durch die Zunge und die Säfte entsteht das Schmeckbewußtsein –

durch den Körper und das Tastbare entsteht das Tastbewußtsein –

durch das Denken und die Dinge entsteht das Denkbewußtsein:

das Zusammentreffen dieser drei ist die Berührung;

durch die Berührung entsteht die Empfindung;

durch die Empfindung der Durst;

durch den Durst das Anhaften;

durch das Anhaften das Werden;

durch das Werden die Geburt;

durch die Geburt entstehen Alter und Tod, Sorge und Jammer, Leiden, Trübsal und Verzweiflung *.«

* Samyutta Nik. XII, 44.

 

Aus dieser Fassung der Formel wird zugleich deutlich, wie das Nichtwissen, das, hier nicht genannt» diesem ganzen Sinnengetriebe mit seinen Folgen zugrunde liegt,

eben dadurch, daß es die Ursache für die Sinnenbetätigung bildet,

auch die unmittelbare Ursache für den Durst nach Dasein selbst darstellt,

der immer wieder neu aus der Empfindung hervorquillt.

Denn in dem Moment, wo die sinne tätig werden,

wo also das Auge auf eine Gestalt, das Ohr auf einen Ton trifft usw.,

flammt auch schon Bewußtsein und damit Empfindung und damit Durst, Verlangen auf.

Es ist also nicht an dem, wie oft gesagt wird,

als ob der Durst erst künstlich durch eine Reihe zeitlich voneinander getrennter Zwischenglieder

auf das Nichtwissen zurückgeführt würde,

sondern weil ich in Unkenntnis des »Wesens der Körperlichkeit *« als eines leidvollen bin,

* Siehe die folgende dritte Fassung der Formel!

deshalb gebrauche ich fortwährend meine sechs sinne mit der unmittelbaren Folge,

daß, sobald ich sie gebrauche, stets neue Empfindung entsteht

und damit, weil ich ja das Leidvolle aller Sinnenobjekte nicht kenne,

sofort wiederum der Durst sich meldet.

Das Nichtwissen als Ursache und der Durst als Folge

treffen also in dem Akt der Empfindung jeweils zusammen,

liegen mithin nicht zeitlich auseinander,

eben weshalb auch, soll der Durst modifiziert oder gar vernichtet werden,

dies nur dadurch möglich ist,

daß der Hebel bei der primären Ursache der Sinnentätigkeiten selbst, dem Nicht-wissen, angesetzt wird.

 

Es ist noch eine dritte Betrachtungsart der Formel vorn Kausalnexus möglich,

nämlich jene, wie sich der letztere in seinem ganzen Verlaufe darstellt,

angefangen von der ersten Entstehung der Sechssinnenmaschine

als der Leidensmaschine mit der Empfängnis im Mutterleib, hinweg über die Zeit,

während diese Maschine in Aktion ist, bis zur Bildung einer neuen solchen in einer neuen Empfängnis.

Bei der Wichtigkeit der Sache ist es nur natürlich,

daß der Buddho die Formel auch unter diesem Gesichtspunkt gibt *: (* Majj. Nik. l,p. 265 (38. Suttam))

»Wenn Drei sich vereinen, Mönche, bildet sich eine Leibesfrucht. …

Da sind, Mönche, Vater und Mutter vereint, und die Mutter hat ihre Zeit, und das Jenseitswesen ist bereit,

so bildet sich durch der Drei Vereinigung eine Leibesfrucht.

Eine solche Frucht, Mönche,

hegt die Mutter neun bis zehn Monate * im Leib, mit großer Angst, eine schwere Last.

* Es sind Mond-Monate gemeint.

Eine solche Frucht, Mönche,

gebiert die Mutter nach Verlauf von neun bis zehn Monaten, in großen Ängsten, die schwere Last.

Und wann dieser Sprößling geboren ist, ernährt sie ihn mit ihrem eigenen Blut.

Blut sagt man, Mönche, im Orden des Heiligen für Muttermilch.

Dieses Kind nun, Mönche, entwickelt sich nach und nach, reift nach und nach heran

und pflegt alle die Spiele und Übungen seiner Genossen,

als wie Verstecken und Fangen, Klettern und Springen, Schleudern, Wagenlenken, Bogenschießen.

Dieser Knabe nun, Mönche, hat sich allmählich entwickelt, ist allmählich reif geworden,

und lebt und webt im Genuß der fünferlei Lustobjekte:

der durch das Auge ins Bewußtsein tretenden Gestalten,

der durch das Ohr ins Bewußtsein tretenden Töne,

der durch die Nase ins Bewußtsein tretenden Düfte,

der durch die Zunge ins Bewußtsein tretenden Säfte,

der durch den Leib ins Bewußtsein tretenden Tastobjekte,

der ersehnten, geliebten, entzückenden, angenehmen, dem Begehren entsprechenden, reizenden.

 

Erblickt er nun mit dem Auge eine Gestalt,

Hört er nun mit dem Ohre einen Ton,

Riecht er nun mit der Nase einen Duft,

schmeckt er nun mit der Zunge einen Saft,

Tastet er nun mit dem Leibe etwas Tastbares,

 

Erkennt er nun mit dem Denken ein Ding, so verfolgt er die angenehmen Dinge

und verabscheut * die unangenehmen,

* Verfolgen und verabscheuen – begehren und fliehen

sind die beiden Grundrichtungen des Durstes. –

Man beachte, wie dieser Durst oben die direkte Folge der Sinnenbetätigungen ist:

sobald diese einsetzen,

kommt es im gleichen Augenblick zur Empfindung und Wahrnehmung und damit auch zum Durst.

nicht wahrt er sich die Besonnenheit gegenüber seiner Persönlichkeit,

verweilt so beschränkten Geistes

und kennt nicht in Wahrheit jene Loslösung des Geistes, Loslösung durch Weisheit,

wo seine bösen, schlechten Eigenschaften sich restlos auflösen *.

* Er ist also im Nichtwissen.

So fällt er der Befriedigung und Unbefriedigung anheim,

und was für eine Empfindung er auch empfindet,

eine freudige oder leidige, oder weder freudige noch leidige,

diese Empfindung hegt er und pflegt er und klammert sich daran.

Während er diese Empfindung hegt und pflegt und sich daran klammert, erhebt sich in ihm Lust *:

* nandi (cfr. Oldenberg, S. 276).

diese Lust bei den Empfindungen, das ist das Anhaften *«.

* Also nur ein mit Lust verbundenes Anhaften ist ein Anhaften im Sinne des Buddha.

Der Heilige haftet auch noch an der Nahrung in dem Sinne,

daß er seinen Hunger und Durst stillt –

»Sei so gut, Anando, und hole mir Wasser, ich bin durstig und möchte trinken«,

spricht der Herr kurz vor seinem Tod zu Anando (Digha Nik. XVI) –

aber er hat keine Lust mehr an dem Gefühl der Sättigung.

Durch dieses Anhaften entsteht das Werden *,

* Wie wir wissen, folgt aus jedem Anhaften sofort ein Werdenx sobald ich hafte, wird etwas;

in dem Moment, wo ich nicht mehr hafte, wird für mich auch nichts mehr.

Dieses Werden meint der Buddho aber, wie bereits früher angegeben, hier nicht,

sondern das Werden einer neuen Persönlichkeit, einer neuen Existenz,

die mit der Empfängnis anhebt.

Der Buddho schildert in der obigen Stelle,

wie der unwissende Mensch sein ganzes Leben hinbringt, von der Jugend bis zum Grab:

Während dieser ganzen Zeit pflegt er in allen Formen das Anhaften,

so das dann »dieses» – nämlich eben das bis zum Augenblick des Todes gepflegte – »Anhaften«

sich auch im Augenblick des Todes selbst an einem neuen Keim betätigt

und so das Werden einer neuen Persönlichkeit herbeiführt.

Das nur dieses Werden gemeint ist, ergibt sich ja auch schon daraus,

das nur von ihm der weitere Satz gilt:

»Durch das Werden – besser: in Abhängigkeit vom Werden – »entsteht die Geburt ss»,

indem dieses Werden ja eben durch die Empfängnis – Geburt im Sinne des Buddho –

eingeleitet wird,

nicht aber jenes Werden, das noch während des Lebens infolge des Anhaftens entsteht.

Eben deshalb hat es ja auch der Mensch bis zum Augenblick seines Todes in der Hand,

das Werden – nämlich daß einer neuen Persönlichkeit – hintanzuhalten,

indem es genügt, daß er in diesem letzten Augenblick keinen Durst nach Dasein mehr hat

und damit die Gewißheit besitzt, daß er an keinem neuen Keim mehr haften werde.

cfr. auch oben S. 163, Anm. 25.

durch das Werden die Geburt,

durch die Geburt Altern und Sterben, Wehe, Jammer, Leiden, Gram und Verzweiflung.

Derart ist die Entstehung dieser ganzen Masse von Leiden.«

 

Hat uns so der Buddho gezeigt, »wie immer wieder ein neues Dasein entsteht *«

* Majj. Nik. l, p. 294 (38. Suttam). –

und dadurch das Leiden perpetuiert wird,

so hat er uns eben damit auch den Schlüssel in die Hand gegeben,

wie wir das Entstehen eines neuen Daseins oder eines neuen körperlichen Organismus

und damit einer neuen Persönlichkeit verhindern und so die Leidensverkettung abbrechen,

auf ewig aus dem Kreislauf der Wiedergeburten heraustreten können.

Damit werden wir uns nunmehr zu beschäftigen haben.

 

 

 

III. DIE HOHE WAHRHEIT VON DER LEIDENSVERNICHTUNG

 

Die Hohe Wahrheit von der Leidensvernichtung

– Nibbana –

Alles ist anatta, nicht-selbst, gehört nicht zu meinem tiefsten Wesen,

die ganze äußere Welt so wenig, wie mein körperlicher Organismus mitsamt dem Bewußtsein,

ich bin jenseits von dem allen, jenseits der Welt.

Das war die eine Wahrheit, die uns der Buddho zu sagen hatte.

 

Die zweite war: All dieses Fremde, in das ich mich hineinverworfen sehe,

ist für mich nichts als eine einzige, unabsehbare Kette von Leiden,

weshalb es für mich das Beste ist, mich, wenn irgend möglich, wieder von ihm loszumachen.

 

Damit ergab sich aber die Notwendigkeit,

uns über das Verhältnis, in welchem wir zu diesem Fremden stehen, klar zu werden,

vor allem darüber, wie wir zu ihm gekommen sind und wie wir immer wieder zu ihm kommen.

Auch das wissen wir nunmehr.

Es stellt sich dem zusammenfassenden Blick, wie folgt, dar:

 

Wir hängen an der Welt, haben Durst, Verlangen, mit ihr in steter Berührung zu bleiben.

Lediglich diesem Zweck dient unser »mit den sechs Sinnen behafteter Körper«,

indem er den Berührungsapparat bildet gegenüber der Welt der Gestalten,

der Töne, Düfte, Säfte, des Tastbaren und der Vorstellungen,

eben weshalb wir ihn auch die Sechssinnenmaschine nennen konnten.

Dabei arbeitet dieser Apparat derart,

daß, wenn ein Sinnesorgan mit einem entsprechenden Objekt zusammentrifft,

sofort Bewußtsein ausgelöst,

beziehungsweise das bereits anderweit ausgelöste Bewußtsein davon affiziert wird,

in welchem Bewußtsein wir dann zuallererst, und zwar in Form der Empfindung und Wahrnehmung,

vom Objekt und damit von der Welt befährt werden.

 

Weil so unser körperlicher Organismus der Apparat zur Ermöglichung der Berührung mit der Welt ist,

deshalb konzentriert sich auch all unser Durst auf die Erhaltung und den Gebrauch dieses Organismus,

sowie darauf, ihn im Augenblick des Zerfalls im Tod durch einen neuen zu ersetzen,

was dadurch erreicht wird,

daß infolge dieses dürstenden Willens ein Anhaften an einem neuen Keim herbeigeführt wird,

der sich dann wiederum zu einem Organismus entwickelt.

 

So ist es heute, so war es in aller Vergangenheit und so wird es in alle Zukunft hinein sein.

Immer wieder flammt in unserem unergründlichen Wesen

oder, was, wie wir wissen, dasselbe ist,

aus dem »Nichts« infolge der Tätigkeit der Sechssinnenmaschine

»ein unsichtbares, unendliches, überallhin dringendes Bewusstsein *« auf,

* Von der einschlägigen Stelle wird später noch gehandelt werden.

in welchem wir jede einzelne Einwirkung der Welt

und damit auch diese selbst in ihrer Gesamtheit erfahren, indem sie uns eben zum Bewußtsein kommt:

Alles, »Wasser, Erde, Feuer, Luft, Langes und Kurzes, Kleines und Großes, Schönes und Unschönes *«,

* Von der einschlägigen Stelle wird später noch gehandelt werden.

ist nur mit und in diesem unseren Bewusstsein für uns da, in das es vermittels der Sinnesorgane eintritt *.

* cfr. oben S. 59 flg.

Auf eben solche Weise

tritt insbesondere auch der Träger dieser Sinnesorgane selbst, der lebensfähige Körper,

ins Bewußtsein ein und erhalten wir dadurch auch von ihm erst Kenntnis *.

* Hiernach steht das Element des Bewußtseins zwischen uns und der Welt,

oder, wie Schopenhauer in unklarer Erkenntnis der psychischen Prozesse sagt:

»zwischen den Dingen und uns steht immer noch des Intellekts« (W. a. W. u. V. I. S. 494 [534]).

Das Element des Bewußtseins ist also von mir so verschieden,

wie von den Erscheinungen: es steht in der Mitte.

 

Mittels dieses Bewußtseins wird dann zugleich die Richtung,

in der sich die fernere Tätigkeit der Sechssinnenmaschine abspielen soll, bestimmt.

 

Dabei reichte dasselbe aber seit Ewigkeit her nicht hin,

uns über die wahre Natur der Vorgänge, deren Kenntnis es uns vermittelt, aufzuklären;

im Gegenteil wird es uns geradezu zu einem Instrument der Verblendung dahin,

daß wir den körperlichen Organismus für unser höchsteigenes Wesen

und seine Betätigung als Sechssinnenmaschine

eben deshalb für die uns allein angemessene Auswirkung dieses unseres Wesens halten,

so, daß wir uns als zur Welt gehörig betrachten

und alles, was unseren Sinnen angenehm ist und entspricht, als zu unserem wahren Wohl erforderlich,

alles aber, was ihnen widerstrebt, als diesem wahren Wohle hinderlich ansehen.

Die unmittelbare Folge davon ist, daß, sobald uns

durch ein Sinnesorgan ein angenehmes Objekt in Form einer angenehmen Empfindung zugeführt wird,

sofort Begehren darnach, wenn aber das zugeführte Objekt eine unangenehme Empfindung auslöst.

ebenso prompt ein Verabscheuen in uns aufsteigt,

also eben das, was der Buddho unter Durst versteht.

Hiernach perpetuiert sich also unser Bewusstsein gerade infolge seines eigenen Zustandes,

in dem es sich befindet, nämlich dem des Nichtwissens, fortwährend selbst.

Denn der aus diesem Nichtwissen stets neu geborene dürstende Wille

führt ja im kommenden Tod ein neues Anhaften herbei

und schafft dadurch neue Sinnesorgane,

die das neuerliche Aufflammen des Bewußtseins zur Folge haben *.

* Warum weiß ich aber dann von dieser unendlichen Dritter des Bewußtseinsprozesses nichts?

Sonderbare Frage! Warum weißt du nichts von der Zeit,

die du zu Beginn deiner gegenwärtigen Existenz im Mutterleibe verbrachtest?

Warum weißt du nichts von deiner ersten Kindheit,

auch nichts von dir selber während jeder Nacht, in der du im Tiefschlaf liegst?

Warum haben sich auch im Übrigen von deinem gegenwärtigen Leben

nur die Hauptbegebenheiten eingeprägt,

so daß tausend Szenen vergessen sind gegen eine, die behalten worden,

und du von deinem Lebenslauf allenfalls etwas mehr weißt,

als von einem ehemals gelesenen Roman?

Warum geht, je älter du wirst, desto spurloser alles vorüber?

Warum können hohes Alter, Gehirnverletzung, Wahnsinn das Gedächtnis ganz rauben?

(Schopenhauer, W. a. W. u. V., Kap. 19).

Weil wir auch die Fähigkeit des Erkennens und speziell der Erinnerung nicht von Haus aus haben,

sondern wir auch sie erst in hartem Mühen haben uns aneignen und erlernen müssen.

Ja, auch diese Fähigkeiten sind uns so wesensfremd,

daß wir sie trotz der Anfangslosigkeit unserer Weltenwanderung

noch nicht über den bescheidenen Grad hinaus zu entwickeln vermochten,

in dem wir sie zur Zeit besitzen, da wir wegen der Mühseligkeit, sie zu entwickeln,

es uns stets genügen ließen,

gerade soviel von ihnen zu besitzen, als zur Erhaltung unseres Lebens nötig ist.

Entfalten wir aber die gleiche Energie,

mit der einer, der ein Klaviervirtuos werden will, Jahre hindurch,

täglich Stunden lang sein Klavierspiel betreibt, und befolgen wir dabei die rechte Methode,

so mögen auch wir es zur Rückerinnerung an zahllose Existenzen gleich dem Buddho bringen.

 

In anderer Weise läßt sich unser Verhältnis zur Welt auch so anschaulich machen:

Wir sind nichts von dem, was erscheint,

sind also im vollkommensten Sinne qualitätslos und damit für das Erkennen *,

* Siehe oben S. 59. Anm. 61.

nachdem dieses ja nur Qualitäten zum Objekt haben kann, schlechterdings nichts.

Aber wir sind nur für das Erkennen nichts;

an sich sind wir das Realste von allem;

denn wir sind eben der Gegensatz von dem,

was wir seit ungezählten Jahrmilliarden, ja seit Ewigkeiten, entstehen und vergehen sehen.

 

In der Himmelsklarheit dieses »Nichts«

flammte seit undenklichen Zeiten und flammt auch heute noch Bewußtsein auf

als Anzeichen dafür, daß ein Etwas diese Himmelsklarheit stört,

daß eine Berührung mit einem Fremden eingetreten ist.

Denn nur infolge Reizung durch Fremdkörper wird Bewußtsein ausgelöst:

wo nichts da ist, dessen einer sich bewußt werden könnte,

ist auch kein Grund für die Entstehung eines Bewußtseins.

»Und wessen wird er sich bewußt.

Er wird sich der Freude bewußt, und er wird sich des Leides bewußt,

und er wird sich der Abwesenheit beider bewußt *«,

* Majj. Nik. l, p. 292 (43. Suttam).

das heißt, das Bewußt-werden erfolgt in Form der Empfindung:

man empfindet etwas, eine Empfindung, die sofort die Form der Wahrnehmung annimmt:

man nimmt das Empfundene als diesen körperlichen Organismus,

der im Grunde nichts ist als ein Haufen von Willenstätigkeiten,

und die durch ihn vermittelte äußere Welt wahr.

Und weil man so im Lichte des Bewußtseins das, was sich in uns regt und das Bewußtsein auslöst,

als einen Haufen von Willensregungen

– die alle die Verbindung mit der Welt zum Ziel haben – erkennt,

deshalb hält man sich für in ihnen bestanden und prägt den Satz:

Ich bin durch und durch Wille.

 

In Wahrheit bin ich so wenig Wille als Bewußtsein.

Was das letztere anlangt, so ist es, wie aus dem Bisherigen zur Genüge hervorgeht,

nur die jeweilige Folge des ersteren und deshalb mit ihm untrennbar verknüpft:

es flammt auf, so oft ein Wollen in Form einer der sechs Sinnentätigkeiten sich in mir geltend macht,

und nur dann.

Was aber dieses Wollen betrifft,

so ist es eine bloße Regung, ein bloßes Verlangen nach etwas Fremdem,

daß in meinem unergründlichen Wesen aufsteigt,

aufsteigt nicht etwa, weil diesem meinem Wesen diese Art der Betätigung eigentümlich wäre,

so zwar, daß es sich eben deshalb derart betätigen muß,

sondern das überhaupt nur aufsteigen kann,

weil das jeweils ausgelöste Element des Bewußtseins nicht klar leuchtet

und demzufolge als eine trübe Wolke über mir liegt,

so daß sich die Objekte nicht so darstellen, wie sie wirklich sind,

sobald dieser Zustand des Nichtwissens durch das Aufsteigen des Wissens im Bewußtsein beseitigt

und damit die Wolke des Nichtwissens für immer aufgelöst wird,

kann die Regung des Wollens gar nicht mehr aufsteigen:

wer einmal als Kind in Unkenntnis der Wirkung der Hitze nach einem glühenden Ofen gelangt

und sich dabei schwer verbrannt hat, kann in Zukunft, solange die Erinnerung hieran lebendig ist

– und sie wird wohl das ganze Leben hindurch lebendig bleiben -,

gar nicht mehr den Willen fassen, einen glühenden Ofen zu berühren;

diese Regung des Wollens ist in ihm für das ganze Leben ausgelöscht.

Freilich geht gerade aus diesem Beispiel hervor, daß, wie übrigens selbstverständlich,

nicht schon die bloß abstrakte Erkenntnis der üblen Folgen des Wollens

zur Aufhebung desselben genügt,

sondern daß die anschauliche Erkenntnis hiervon eintreten muß:

ich mag einem Kind die aus dem Anfassen eines heißen Ofens resultierenden Schmerzen

noch so ausführlich explizieren;

schließlich wird es die Neugierde doch nach ihm greifen lassen;

erst wenn es hierdurch die Folgen dieses seines Wollens anschaulich an sich erfährt,

besitzt es wirkliches Wissen in dieser Hinsicht.

Diese anschauliche Erkenntnis der Verderblichkeit eines bestimmten Wollens

ist also unfehlbar das Grab desselben.

Davon gibt es keinerlei Ausnahme.

Wer einwenden wollte,

daß er gar wohl die üblen Folgen einer bestimmten Willensrichtung an sich erkenne.

Sie aber gleichwohl nicht vernichten könne, dem wäre zu erwidern,

daß dann eben seine Erkenntnis noch keine hinreichend starke und anschauliche ist.

Je stärker ein Trieb ist, um so mehr wird gerade durch diese seine Intensität

die wirkliche und völlige Erkenntnis seiner Verderblichkeit erschwert,

der Wille fälscht die Erkenntnis,

er findet immer wieder eine Ausflucht gegen die wider ihn sprechenden Argumente,

wodurch er über sie hinwegkommt, mag die Ausflucht für jeden Dritten noch so unbegründet erscheinen;

kurz: der Mensch betört sich selbst;

er will gar nicht die richtige Erkenntnis haben,

wenn ihm zugemutet wird, seine Leidenschaften zu bekämpfen.

Gilt das schon gemeinhin für die Zeit, während dieselben schweigen,

so geht auch das bißchen Erkenntnis, daß er tatsächlich besitzt, völlig in Gier unter,

wenn die Leidenschaften nun wirklich über ihn hereinbrechen;

sie begraben dann jegliche Vernunft unter sich:

»Diesen fünferlei Sinnenfreuden, Brahmane,

hat sich der Brahmane Pokkharasati, der Opamanner aus Subhagavanam,

verlockt, geblendet, anheimgefallen,

ohne das Elend zu sehen, ohne an Entrinnung zu denken, hingegeben.

Daß der etwa das überirdische Heil, das höchste Wissen,

verstehen oder erkennen oder verwirklichen würde, das ist unmöglich *.«

(* Majj. Nik. Il, p. 202 (99. Suttam))

so beweist also die gemeinhin erfahrene Unmöglichkeit,

seinen Willen, das heißt, seinen Charakter zu ändern,

nur die Unkenntnis des Weges,

wie man die durch die Heftigkeit des Wollens bedingte Trübung der Erkenntnis beseitigen kann.

Gibt es aber einen solchen Weg –

und es gibt einen, der Buddho zeigt ihn uns in dem Hohen achtfältigen Pfad,

wie wir später noch eingehend sehen werden -,

kann man sich also in einen Zustand versetzen,

in welchem man seinem gesamten Wollen so entfremdet und objektiv gegenüberstehen

wie etwa ein lebensfroher Mensch dem vor ihm stehenden Becher, der mit Gift angefüllt ist,

oder einer in einem Behälter eingeschlossenen Giftschlange,

und übersieht man dann ebenso klar, wie dieser Mensch

die Folgen eines etwaigen Trunkes aus dem Becher oder des Anfassens der Giftschlange,

die Abgründe, in die uns unser Durst nach Dasein und Wohlsein unweigerlich führen muß,

wenn man ihm nachgibt:

dann kann dieser Durst weiterhin so unmöglich noch in uns aufsteigen,

als jener Mensch in Wahrheit den Willen fassen kann,

aus dem Giftbecher zu trinken oder die Giftschlange zu ergreifen:

 

»Gleichwie etwa, Sunakkhatto, wenn man eine Trinkschale da hätte,

mit schönem, duftendem, wohlschmeckendem Inhalt, aber mit Gift versetzt,

und es käme ein Mann herbei, der leben, nicht sterben will,

der Wohlsein wünscht und Wehe verabscheut;

was bedünkt dich nun, Sunakkhatto:

würde da wohl der Mann den Trinkbecher leeren, von dem er wüßte:

‚Habe ich Das getrunken, so muß ich sterben oder tödlichen schmerz erleiden‘?«

»Gewiß nicht, oh Herr!«

 

»Ebenso nun auch, Sunakkhatto: daß da ein Mönch, der über die sechs Berührungsgebiete wacht

und ‚Anhaften ist des Leidens Wurzel‘ entdeckt hat…,

den Körper etwa dem Anhaften annähern, den Geist etwa anhangen liebe:

ein solcher Fall findet sich nicht.

 

»Gleichwie etwa, Sunakkhatto, wenn da eine Giftschlange wäre, giftig fauchend,

und es käme ein Mann herbei, der leben, nicht sterben will,

der Wohl-sein wünscht und Wehe verabscheut;

was bedünkt dich nun, Sunakkhatto:

würde da wohl der Mann nach der Giftschlange, der giftig fauchenden, Hand oder Daumen ausstrecken,

wo er wüßte:

‚Hat mich diese gebissen, so muß ich sterben oder tödlichen schmerz erleiden‘?«

»Gewiß nicht, oh Herr!«

 

»Ebenso nun auch, Sunakkhatto: daß da ein Mönch, der über die sechs Berührungsgebiete wacht

und ‚Anhaften ist des Leidens Wurzel‘ entdeckt hat«-,

den Körper etwa dem Anhaften annähern, den Geist etwa anhangen ließe:

ein solcher Fall findet sich nicht *.« (* Majj. Nik. II, p. 261 (105. Suttam))

 

Somit tötet also die Erkenntnis jedes Wollen von selbst und unfehlbar.

Darnach ist aber die Möglichkeit alles Wollens in der Tat durch die Abwesenheit dieser Erkenntnis,

also durch das Nichtwissen, bedingt.

Was aber nur bedingungsweise mit meinem Wesen verbunden ist,

was mir nur bedingungsweise anhängt, was nur bedingungssweise aus mir aufsteigen kann,

kann ich eben deshalb auch verlieren,

ohne daß ich selbst hierdurch in meinem wirklichen Bestand getroffen werde;

es ist eben keine wesentliche,

sondern eine bloß unter bestimmten Bedingungen mir anhaftende Eigenschaft,

die von mir abfällt, wenn die Bedingung, unter der sie allein bestehen kann, aufgehoben wird.

So selbstverständlich also das Wollen einerseits eine Eigenschaft von mir ist – es steigt ja in mir auf -,

so klar ist es andererseits, daß es nur eine unwesentliche Eigenschaft von mir darstellt,

die ich an mir zum Verschwinden bringen kann, wenn ich ihre Bedingung aufhebe.

 

Ist mir aber das Wollen nicht wesentlich,

dann natürlich auch nicht mein Organismus,

der ja erst infolge des durch dieses Wollen veranlaßten Haftens entsteht

und im Grunde nur das solcherart gebildete Werkzeug zur Befriedigung meines Wollens ist,

und ebensowenig mein Bewußtsein,

daß selbst wieder erst infolge der Tätigkeit des Organismus aufflammt,

damit aber auch nicht Empfindung und Wahrnehmung und Gemütsregungen,

die lediglich als Folgen der Sinnentätigkeiten und des von diesen ausgelösten Elements des Bewußtseins

für mich möglich werden *.

* Sie sind speziell durch den körperlichen Organismus bedingt.

»wie da durch einen Baum bedingt, ein Schatten entstehen möchte« (vgl. oben S. 61. Anm. 64).

Auch sie sind also bloß unwesentliche Bestimmungen von mir.

Damit ist aber alles. was an mir erkennbar ist, als unwesentlich erkannt

und somit auch unter diesem Gesichtspunkt die Wahrheit der Worte des Buddho bestätigt:

»Das gehört mir nicht, das bin ich nicht, das ist nicht mein selbst«,

mit denen er natürlich eben auch nur besagen will,

daß die fünf Gruppen, die mein Dasein konstituieren, zwar Eigenschaften von mir,

aber keine wesentlichen sind, sie mögen deshalb ruhig zur Aufhebung gelangen.

In meinem tiefsten Grunde werde ich davon in keiner Weise berührt,

ich bin dann zwar ärmer, aber nicht weniger,

um dieses mehrfach gebrauchte Wort noch einmal zu wiederholen,

ich werde dann eben qualitätslos, also willenlos, bewußtlos, empfindungslos, körperlos.

Doch nein! Das wäre nicht ganz richtig.

Mit den Ausdrücken qualitätslos, willenlos, bewußtlos, empfindungslos, körperlos

verbinden wir den Begriff des Mangelhaften, des Dürftigen,

ganz im Einklang damit, daß, wie eben gesagt, wer so wird, ja arm wird, sogar unsagbar arm, urarm;

verliert er doch alles im weitesten Sinn des Wortes.

Nun ist aber diese Armut, genau besehen, wie wir ebenfalls bereits wissen,

nur eine Armut an – Leiden:

man wird, indem man den Willen, den Körper, das Bewußtsein, die Empfindung aufgibt,

unsagbar arm an Leiden.

Denn aller Wille, alle Körperlichkeit, alles Bewußtsein, alle Empfindung

laufen ja, wie genugsam ausgeführt, nur auf die Berührung mit der Welt hinaus,

indem wir diese Berührung mittels des Willens erstreben,

mit dem körperlichen Organismus vollziehen

und im Bewußtsein in Form der Empfindung und Wahrnehmung erfahren.

Diese Welt aber ist die Welt der Vergänglichkeit, des Verfalles und damit des Leidens,

sonach ist aber aller Wille und alles Bewußtsein und alle Empfindung

nur ein Wille nach und ein Bewußtsein und eine Empfindung von Leiden,

und damit selbst leidvoll.

Der Untergang alles Wollens und alles Bewußtseins und aller Empfindung

ist also nicht der Verlust eines Gutes, sondern das Freiwerden von einer Bürde, einer ungeheuren Bürde,

wenigstens für den, der die ganze Wahrheit durchschaut hat *.

* Im Samyutta Nik. XXII, u heißt es: »Was ist nun, Mönche, die Bürde?

Die fünf Haftensgruppen, wäre zu erwidern.

Welche fünf? Es ist die Haftensgruppe des Körpers,

die Haftensgruppe der Empfindung,

die Haftensgruppe der Wahrnehmung,

die Haftensgruppe der Gemütsregungen,

die Haftensgruppe des Bewußtseins.

Das nennt man, Mönche, die Bürde.«

Der Hohe Jünger, wird im Samyutta Nikayo aus geführt *,

* Samyutta Nik. vol. II, pag. 99 (XII, 63).

durchblickt die Berührung, das heißt, er sieht sie als Nährboden an,

wie bei einer geschundenen Kuh, die noch lebendig, wo immer sie auch sei,

an einer Mauer, an einem Baum, im Wasser, im Feld, mit ihrem offenen Fleisch

eben überall Bremsen und Mücken, Würmern und was sonst noch kriecht und fliegt,

als Gegenstand des Angriffes dient.

Wer also Berührung durchblickt hat,

hat alle Empfindung durchblickt, für ihn ist nichts mehr zu tun übrig:

er will keinerlei Berührung mit der Welt mehr

und damit, nachdem es ein Wollen mit einem anderen Objekt nicht gibt, überhaupt nichts mehr,

er will insbesondere auch kein Bewußtsein mehr,

da alles Bewußtsein ja nur im Bewußt-werden dieser leidvollen Berührung

in Form der Empfindung besteht;

er erkennt speziell in letzter Hinsicht die Wahrheit der Worte:

»Bewußt sein ist siech sein, bewußt sein ist schmerzhaft sein *«, (* Majj. Nik. II, p. 230 (102. Suttam))

erkennt nur zu deutlich, wie berechtigt es ist, das Bewußtsein als ein Übel zu bezeichnen,

das an Intensität gar wohl der Strafe des Verbrechers, morgens, mittags und abends je hundert Hiebe,

verglichen werden kann, wie das im Samyutta Nikayo geschieht *.

* und zwar vol. II, pag. 100 (Xll, 63).

Und so will er denn in der Einsicht, daß damit »nichts anderes als das Leid vergeht *«,

* Bhikkhuni Samyutta, 10 : 6.

vollkommen willens- und bewußtseins- und damit empfindungs-, kurz, überhaupt qualitäts-frei werden.

Der uns allein angemessene Zustand

ist also der der Freiheit von allen diesen Eigenschaften und Bestimmungen,

mit denen wir uns zur Zeit behaftet sehen,

die uns mithin nicht nur unwesentlich, sondern im Grunde auch unnatürlich sind *.

* Aus dem Ausgeführten ergibt sich,

daß »auf die vergänglichen Erscheinungen der Welt verzichten«

und »auf die Empfindung überhaupt verzichten« ein und dasselbe ist.

Denn nur diese vergänglichen Erscheinungen werden ja empfunden,

nur bezüglich ihrer kann überhaupt eine Empfindung statthaben,

die, eben wegen der Vergänglichkeit dessen, was empfunden wird,

letzten Endes immer leidvoll sein muß.

Man kann also schlechthin die Gleichung aufstellen:

Empfindungsfähigkeit – Leidensfähigkeit,

und: wirkliche Empfindung = wirkliches Leiden:

du empfindest entweder Leiden, oder du empfindest überhaupt nichts.

Wenn einer also wenigstens

die Empfindungs- oder Bewußtseins-Fähigkeit sich zu erhalten wünscht,

so wünscht er nicht mehr und nicht weniger, als die Fähigkeit zu leiden, sich zu erhalten.

Erst jetzt wissen wir auch im vollen Umfang, was Freiheit heißt.

Freiheit ist ein negativer, kein positiver Begriff.

Er sagt nur aus, daß man von etwas, und zwar näher von etwas Hinderndem, Beschränkendem frei wird,

nicht aber, was man dann ist, wenn man in dieser Weise frei geworden ist.

Die höchste, »die heilige Freiheit« besteht nun eben darin,

daß man von allen Beschränkungen frei wird,

nicht bloß von den durch die äußeren Verhältnisse, in denen wir leben, gesetzten,

sondern vor allem auch von denen, die mit und in unserer Persönlichkeit naturgesetzlich gegeben sind,

also von der Beschränkung, daß wir immer wieder geboren werden müssen,

daß wir immer wieder Krankheit, Alter und Tod über uns ergehen lassen müssen,

kurz, daß wir immer wieder ins unheilvolle Werden hinein verstrickt werden.

Erst wenn wir diese Beschränkungen von uns abgeschüttelt haben, sind wir wirklich frei.

Nun sind diese, wie überhaupt alle Beschränkungen,

aber nichts weiter als die Konsequenzen unseres Wollens, das ja gerade, um seinen einzigen Zweck;

eine Berührung mit der Welt herzustellen, auf den aus den Stoffen dieser Welt aufgebauten

und mithin deren Gesetzen unterworfenen Organismus geht und gehen muß,

deshalb auch einen solchen durch Herbeiführung des Anhaftens aufbaut

und ihn weiterhin als sein Werkzeug gebraucht.

Die Freiheit ist also im Grunde nichts weiter als eine Freiheit vom Wollen:

wer sich von seinem Willen befreien kann,

befreit sich eben dadurch auch von seinem Organismus mitsamt dem Bewußtsein,

indem im kommenden Tod, mangels des Willens hierzu, kein neues Anhaften mehr herbeigeführt

und somit kein neuer mit Bewußtsein behafteter Organismus mehr aufgebaut wird,

womit dann aber die sämtlichen fünf Gruppen, an denen überhaupt ein Anhaften stattfinden kann,

für ihn auf immer entschwunden sind,

so daß uns also auch die ganze Wahrheit des Satzes klar wird:

»Die fünf Gruppen des Anhaftens, Mönch, wurzeln im Willen *.« (* Majj. Nik. lll, p. 16 (100. Suttam))

Hiernach fällt also das Problem der Freiheit überhaupt

mit dem der Willensfreiheit im Besonderen zusammen.

Dieses Problem aber hat sich im vorstehenden in der einfachsten Weise gelöst:

weil wir nicht Wille sind, sondern nur einen Willen haben,

der in zahllosen einzelnen, fortwährend aufsteigenden Regungen des Wollens besteht,

und weil dieser Wille noch dazu etwas uns Unwesentliches,

weil nur bedingungsweise in uns Vorhandenes ist,

darum können wir ihn auch durch Modifizierung,

beziehungsweise Aufhebung seiner Bedingungen, des Nichtwissens,

nicht nur beliebig ändern, sondern auch ganz aufheben.

Freilich ist das in der Praxis nicht ganz so einfach, als es hiernach vielleicht scheinen möchte

– es ist nur auf einem ganz bestimmten, später noch zu behandelnden Wege zu verwirklichen -.

Aber darauf kommt es hier nicht an, sondern darauf, daß es überhaupt verwirklicht werden kann.

 

Damit haben wir aber auch die dritte der vier Hohen Wahrheiten bereits vorweggenommen,

die uns deshalb ohne weiteres verständlich ist:

 

»Dies, Mönche, ist die Hohe Wahrheit von der Aufhebung des Leidens:

Es ist eben dieses Durstes völliges Aufgeben, Vernichten, Verwerfen, Ablegen, Vertreiben *.«

* Smymka Nikayo XLVI. 11.

 

Indessen wird hier, nachdem sowohl in der zweiten wie in dieser dritten der Hohen Wahrheiten

immer der Durst als die positive Ursache des Kreislaufes unserer Wiedergeburten genannt ist,

während wir statt seiner im bisherigen

auch häufig vom dürstenden Willen oder vom Wollen gesprochen haben,

der Ort sein, das genaue Verhältnis der beiden Begriffe zueinander zu bestimmen.

Zunächst ist klar, daß sie beide im Grunde dasselbe besagen,

wie denn auch im Suttanipato * (* V. 864 ff.) bei der Darstellung des Kausalnexus statt,

wie sonst, der Durst, der Wille als durch die Empfindung bedingt

und aus ihr hervorgehend aufgeführt wird.

Andererseits aber fühlt doch wohl ein jeder, daß die beiden Begriffe·“.- auch keineswegs ganz identisch sind. sie müssen also Nuaneierungen desselben Grundgedankens darstellen;

und so ist es denn auch-

 

Wenn wir unseren Willen genau betrachten *,

* Daß wir ihn überhaupt betrachten können, ist schon für sich allein ein Beweis, d

aß er nichts mit unserem wahren Wesen zu tun hat:

Was an uns erkennbar ist, ist anatta, nicht-selbst (cfr. oben S. 135, Anm. 174);

der Wille ist, wie alle übrigen Bestimmungen an uns, genau erkennbar;

also ist auch er anatta!

so sehen wir ihn sich auf eine doppelte Weise betätigen,

einmal als ein von Überlegung und Erwägung bestimmtes Wollen

und dann als trotz Erwägung und Überlegung sich geltend machender Trieb.

Fast unser gesamtes Wollen ist mehr oder minder der Ausfluß solcher Triebe in uns.

Dadurch nimmt es eine ganz bestimmte Richtung an,

es ist von vornherein mehr oder weniger determiniert,

so sehr, daß der Wille eines jeden Menschen sich im Großen und Ganzen

als eine Summe bestimmter Willensdispositionen darstellt,

die man als seine Charaktereigenschaften oder in ihrer Gesamtheit als seinen Charakter bezeichnet.

Eben dieses einem jeden Menschen eigentümliche triebmäßige Wollen

bezeichnet der Buddho in höchst anschaulicher Weise mit dem Ausdruck Durst.

Wie der physiologische Durst nicht von unserer Willkür abhängt,

so sehen wir auch den uns beseelenden Durst nach Dasein und Wohlsein

immer wieder neu mit Allgewalt aus uns hervorquellen,

so sehr, daß er,

statt der Herrschaft unserer Vernunft, das heißt also unserer Erkenntnis, unterworfen zu sein,

dieselbe ohne weiteres in seine Dienste zwingt *.

* Das Wort tanha, Durst, deckt sich mit dem, was Schopenhauer

mit Wille bezeichnet in bewußter Erweiterung des normalen Inhalts dieses Begriffs,

wonach man unter ihm nur »den vom Erkennen geleiteten, …

unter Leitung der Vernunft sich äußernden Willen« versteht,

indem der Buddho eben bereits »die Identität des Wesens

jeder irgend strebenden und wirkenden Kraft in der Natur mit dem Willen«

durchschaute und deshalb »zur Bezeichnung des Begriffs dieses Genuß«

im Gegensatz zur Spezies des Wollens im engeren Sinne ein eigenes Wort prägte,

das uns, die wir diese Identität nicht erkannten, fehlt

(cfr. hierzu Schopenhauer, W. a. W. u. V. l, S. 132 [164]).

 

Dieses triebmäßige Wollen ist es insbesondere weiterhin,

das uns im Moment des Todes stets wieder zu einem neuen Anhaften an einem neuen Keim treibt,

ein neues solches Anhaften herbeiführt und uns so immer wieder an einen neuen Organismus kettet.

Es ist es also auch, das noch bei Lebzeiten mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden muß,

wenn wir im Tod aus dem Kreislauf der – Wiedergeburten sollen heraustreten können –

anläßlich einer bestimmten Empfindung und Wahrnehmung aufsteigende Regungen bloßen Wollens,

also solche, die keine Gier und kein Widerstreben, die beiden Charakteristika alles triebmäßigen Wollens,

in sich schließen, vermögen kein solches Anhaften herbeizuführen,

da sie, wie schon bei Lebzeiten, so auch im Moment des Todes

mit der sie auslösenden Empfindung und Wahrnehmung wieder spurlos verschwinden *.

* Vom reinen Wollen im Gegensatz zum triebmäßigen handelt folgende Stelle:

»Da hat sich, Mönche, ein Mönch beim Wollen der Begierde entäußern des Verlangens entäußert,

der Sehnsucht entäußert, des Dürstens entäußert, des Fieberns entäußert,

des Durstes entäußert.« Majj. Nik. l, p. roz (16. Suttam)

Wir müssen also vollständig triebfrei

oder was, wie wir gesehen haben, dasselbe ist, vollständig charakterfrei * und damit qualitätsfrei werden.

* Auch hier also wieder der Unterschied zwischen charakterlos und charakterfrei:

der Charakterlose hat noch keinen Charakter, der charakterfreie hat ihn nicht mehr.

 

Nun entsteht aber die Frage,

wie es kommt, daß unser Wollen zu einem triebmäßigen, zu einem determinierten geworden ist,

oder wie wir zu unserem individuellen Charakter gekommen sind.

Denn es ist klar, daß auch das auf einem rein natürlichen Vorgang beruhen muß,

nachdem, wie wir gesehen haben,

auch alles Wollen irgend welcher Art, wie überhaupt alle Bestimmungen an uns,

nichts mit unserem, den Gesetzen des Entstehens und Vergebens entrückten Wesen zu tun hat,

sondern auch es anatta, mithin den genannten Gesetzen unterworfen ist.

 

Um die Umwandlung des bloßen Wollens zur Heftigkeit des Triebes

und damit zur Charaktereigenschaft zu verstehen, muß man vor allem die Tatsache klar ins Auge fassen,

wie wir allmählich auch in Gebieten, in welchen der Wille bisher keine Macht über uns hatte,

zu dessen Sklaven werden:

Einer, der bisher frei – man beachte das Wort! – von der Leidenschaft des Tabakrauchens war,

läßt sich durch fremdes Beispiel bestimmen, es gleichfalls zu versuchen.

Er raucht einmal und fühlt sich noch vollständig frei, es künftig zu wiederholen oder zu unterlassen;

er raucht ein zweites Mal

und schon empfindet er es bei der nächsten Gelegenheit als Versuchung, es wiederum zu tun.

Er muß also schon Kraft aufwenden, dieser Versuchung Widerstand zu leisten,

wenn auch noch keine erhebliche,

statt aber sich zu diesem Kraftaufwand zu entschließen, gibt er nach und raucht weiter.

Mit jeder Wiederholung wird die Neigung hierzu stärker,

bis schließlich eine förmliche Leidenschaft daraus wird, gegen die anzukämpfen aussichtslos erscheint. –

Ein Knabe aus arbeitsamer Familie verliere frühzeitig seine Eltern,

unter deren Obhut er ordentlich und fleißig war.

Er wird zu verkommenen Verwandten gebracht, statt daß ihm Gelegenheit gegeben wird,

eine ordentliche Beschäftigung zu erlernen, wird er zum Betteln und stehlen angehalten.

Es kann kein Zweifel bestehen, daß er mit der Zeit ein arbeitsscheuer Mensch werden wird;

ja, diese Arbeitsscheue wird sich später zum eingewurzelten Hang auswachsen.

In beiden Fällen kann nicht davon gesprochen werden,

daß die Anlage zu dem späteren, scheinbar unausrottbaren Hang mit auf die Welt gebracht worden ist.

Der Keim zu ihnen ist vielmehr erst in diesem Leben gelegt

und weiterhin dann infolge der Gewohnheit bis zur dauernden Willensdisposition entwickelt worden. –

Wie viele junge Leute sind nicht durch schlechtes Beispiel,

Verführung oder infolge ungünstiger äußerer Verhältnisse

auf die Bahn des Lügens, Stehlens oder eines ausschweifenden Lebens gebracht

und infolge langer Betätigung in diesen Richtungen

zu gewohnheitsmäßigen Lügnern, Dieben, Wüstlingen geworden,

die unter gegenteiligen Umständen anständige Menschen abgegeben hätten,

also eben nicht von Natur aus schlecht waren!

Auch sie hatten diese nachmaligen Eigentümlichkeiten ihres Wollens nicht mit auf die Welt gebracht,

waren vielmehr beim Eintritt ins Leben noch frei von ihnen,

die vielmehr erst die Frucht allmählicher Gewöhnung während desselben sind.

Diese allmähliche, unwiderstehliche Neigungen schaffende Macht der Gewohnheit

wird schließlich ein jeder selbst in seinem täglichen Leben am Werke finden:

die nichtigsten Kleinigkeiten, die armseligsten Verhältnisse

können uns infolge der Macht der Gewohnheit vollständig in ihren Bannkreis zwingen,

so daß wir am Ende töricht in die Klage über die Unbesiegbarkeit

unseres Wollens ausbrechen und uns damit entschuldigen,

daß wir mangels eines anderen Willens eben nicht anders handeln können,

statt daß wir uns darauf besinnen,

daß wir uns selbst durch die gedankenlose Hingabe an seine ersten Regungen

in die Knechtschaft dieses Willens begeben haben-

 

»Gleichwie etwa, Udayi, eine Wachtel, mit einem Band aus faulem Baste gebunden»

eben dadurch in Verderben, in Not und Tod gerät:

Wer nun da, Udayi, so spräche: ‚Das Band aus faulem Bast, womit diese Wachtel gebunden ist

und wodurch sie in Verderben, in Not und Tod gerät,

das ist ja für sie kein festes Band, ist ein schwaches Band. ein faules Band, ein haltloses Band‘,

würde der also, Udayi, recht reden?«

 

»Gewiß nicht, oh Herr. Das Band aus faulem Bast, oh Herr,

womit diese Wachtel gebunden ist und wodurch sie in Verderben, in Not oder Tod gerät,

das ist ja für sie ein festes Band, ein tüchtiges Band, ein zähes Band,

kein faules Band, ein schwerer Block.«

 

»Ebenso nun auch, Udayi, haben da gar manche Toren, von mir ermahnt ‚Das mögt ihr lassen‘,

dann so gesprochen: ‚Was wird es auf solche Kleinigkeit, Winzigkeit ankommen?

Allzu peinlich genau ist doch dieser Asket!‘

Und sie gehen nicht davon ab

und veranlassen die Mönche, die da strebend ringen zur Unzufriedenheit mit mir.

Denen wird das, Uddyi, eine feste Fessel, eine tüchtige Fessel, eine zähe Fessel,

keine faule Fessel, ein schwerer Block *.« (* Majj. Nik. l, p. 450 (66. Suttam))

 

So ist es also die Gewohnheit, die das Wollen im Verlaufe des Lebens in bestimmte Bahnen lenkt,

bestimmte Willensdispositionen schafft.

Diese so entstandenen Dispositionen

bestimmen dann aber später die Art der Neuanhaftung im Tod mit der Folge,

daß das Wesen,

welches aus dem ergriffenen, diesen Dispositionen entsprechenden neuen Keim hervorwächst,

jene in der vorangegangenen Existenz entwickelten Gewohnheiten nunmehr als Anlage,

als Charaktereigentümlichkeit mit auf die Welt bringt.

Dieser so charakteristisch gewordenen Gewohnheit wird im neuen Leben weiter nachgegeben,

wodurch sie noch stärker wird.

Das setzt sich durch eine Reihe von aufeinanderfolgenden Existenzen fort,

bis die Charaktereigentümlichkeit schließlich eine solche Stärke erreicht,

so innig mit uns verwoben erscheint,

daß wir unter normalen Verhältnissen keine Möglichkeit mehr sehen, uns von ihr zu befreien,

uns vielmehr auch aus diesem Grunde in ihr bestanden wähnen

und dann auch aus diesem Grunde den Satz prägen:

Ich bin durch und durch Wille -ein Satz, der nach dem Bisherigen aber nur in dem Sinne richtig ist,

als auch ein Tuch durch und durch naß sein kann und deswegen doch nicht aus Wasser besteht.

 

Daß unsere Charaktereigentümlichkeiten auf diesem Wege zustande gekommen sind,

kommt in den uns schon bekannten Worten mit zum Ausdruck:

»Eigner der Werke, Brahmane, sind die Wesen, Erben der Werke,

Kinder der Werke, Geschöpfe der Werke, Knechte der Werke.

Das Werk scheidet die Wesen ab, je nach Verkommenheit und Vorzüglichkeit«,

wie der Buddho das dann auch an folgendem Beispiele ausführt:

 

»Da ist, Brahmane, irgend ein Weib oder ein Mann einem Asketen oder einem Priester begegnet

und erkundigt sich nicht: ‚Was ist heilsam, oh Herr, was ist unheilsam,

was ist unrecht und was ist recht, was ist zu betreiben und was ist nicht zu betreiben?

Was kann mir, indem ich es tue, lange zum Unheil und Leiden gereichen

und was kann mir wieder, indem ich es tue, lange zum Wohl, zum Heil gereichen?‘

Da läßt ihn solches Wirken, so vollzogen, so vollbracht, bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tod,

abwärts geraten, auf schlechte Fährte, zur Tiefe hinab, in höllische Welt;

oder wenn er nicht dahin gelangt und Menschentum erreicht,

wird er, wo er da neugeboren wird, unverständig sein.

Das ist der Übergang, Brahmane, der zur Unverständigkeit fährt…

Da ist wieder, Brahmane, irgend ein Weib oder ein Mann einem Asketen oder einem Priester begegnet

und erkundigt sich: ‚Was ist heilsam, oh Herr, was ist unheilsam,

was ist unrecht und was ist recht, was ist zu betreiben und was ist nicht zu betreiben?

Was kann mir, indem ich es tue, lange zum Unheil und Leiden gereichen

und was kann mir wieder, indem ich es tue, lange zum Wohl, zum Heil gereichen?‘

Da läßt ihn solches Wirken, so vollzogen, so vollbracht, bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tod,

auf gute Fährte geraten, in himmlische Welt;

oder wenn er nicht dahin gelangt und Menschentum erreicht,

wird er, wo er da neugeboren wird, wissensmächtig sein.

Das ist der Übergang, Brahmane, der zur Wissens-nacht fährt *.« (* Majj. Nik. III, p. 205 (IzF. Suttam))

 

Auf dem Wege der unvordenklichen Gewohnheit

ist insbesondere auch der Grundwahn der Menschheit zu seiner granitenen Stärke angewachsen,

nämlich der Wahn,

daß wenigstens die geistigen Fähigkeiten die unmittelbare Auswirkung unseres Wesens seien:

»Des aus den vier Hauptelementen aufgebauten Körpers

mag wohl auch ein unerfahrener, gewöhnlicher Mensch überdrüssig werden;

was aber da bezeichnet wird als ‚Denken‘ oder als ‚Geist‘ oder als ‚Erkennen‘.

davon kann der unerfahrene, gewöhnliche Mensch nicht genug haben, nicht loskommen.

Und warum nicht?

Lange Zeit hindurch hat ja der unerfahrene, gewöhnliche Mensch sich daran geschlossen,

es gehegt und gepflegt (in dem Gedanken):

‚Das gehört mir, das bin ich, das ist mein Selbst ‚‘«, * Cfr. oben S. 106 f.

welchem Grundwahn entsprechend

dann die Selbstsucht die ebenso hervorstechende Grundeigenschaft des Willens ist.

Es ist nur die Konsequenz dieser richtigen Erkenntnis von der charakterbildenden Macht der Gewohnheit,

daß der Buddho auch im Übrigen,

wenn wir von Charakter oder charakteristischen Willensrichtungen sprechen,

nur ein »weltgewohntes Betragen«, eine »weltgewohnte Einstellung«,

»weltgewohnte Niedergeschlagenheit, Trägheit, Heftigkeit« kennt *. (* Majj. Nik. lll, p. 136 (125. Suttam))

Inhaltlich aber stellt dieses hausgewohnte Betragen das zum Trieb gewordene Wollen,

also eben den Durst in seiner sechsfachen Betätigung als Durst nach den Gestalten,

den Tönen, Düften, Säften, Tastobjekten und Vorstellungen dar *. (* Majj. Nik. I, p. 51 (9. Suttam))

Mit einem kühnen Ausdruck könnte man auch sagen,

der uns erfüllende, bei jeder Empfindung stets wieder neu hervorbrechende Durst

sei die Verknöcherung des Wollens infolge Gewohnheit.

Eben darum ist seine Ausrottung ja auch so schwer

und mußte dieser Anteil, den die Gewohnheit an unserem Wollen hat,

einen entscheidenden Einfluß

auf die Gestaltung des vom Buddho zur Vernichtung des Durstes aufgestellten Pfades haben,

wie wir später noch sehen werden.

 

Nach dieser Aufhellung des Verhältnisses, in welchem der Durst zum Willen steht,

ist uns nun aber die dritte der vier Hohen Wahrheiten, zu der selbst wir nunmehr zurückkehren können,

völlig klar:

lm Durst muß unser Wille vernichtet werden, soweit er über uns Gewalt gewonnen hat.

Mit dieser Vernichtung ist dann das Band, das uns an die Welt und damit ans Leiden fesselt,

definitiv durchschnitten:

wir sind erlöst.

Denn, um es noch einmal zu wiederholen, habe ich keinen Willen, keinen Durst mehr nach der Welt,

dann wird im kommenden Tod mangels eines Willens darnach

auch kein Anhaften an einem neuen Keim mehr stattfinden

und damit auch die Sechssinnenmaschine als der zur Berührung mit der Welt bestimmte Apparat

nicht mehr aufgebaut werden;

wo aber keine Berührung ist. da ist auch keine Empfindung *

* »Es wäre ein Unding anzunehmen,

daß sie ihre Empfindung haben würden ohne die Berührung« (Digha Nik. l)

und damit kein Leiden mehr –

die ganze Leidensverkettung, wie wir sie früher im Einzelnen

als die Kette vom Kausalnexus, den Paticcasamuppado, kennen gelernt haben,

für immer aufgehoben:

 

»Wenn, Mönche, aus Öl und Docht erzeugt, das Licht einer Öllampe brannte,

aber niemand von Zeit zu Zeit Öl aufgösse und für den Docht sorgte,

dann würde, Mönche, da der alte Brennstoff verzehrt ist und neuer nicht hinzugetan wird,

die Lampe aus Mangel an Nahrung erlöschen.

Ebenso auch, Mönche,

wird in dem, der in der Erkenntnis von der Vergänglichkeit aller Daseinsfesseln verharrt,

der Durst aufgehoben;

durch die Aufhebung des Durstes wird das Anhaften aufgehoben;

durch die Aufhebung des Anhaftens wird das Werden aufgehoben;

durch die Aufhebung des Werdens wird die Geburt aufgehoben;

durch die Aufhebung der Geburt wird Alter,

Krankheit, Tod, Schmerz und Klagen, Leiden, Kümmernis und Verzweiflung aufgehoben.

Das ist die Aufhebung des ganzen Reiches des Leidens *.« (* Samyutta Nikayo Il. pag. 86 (Xll, 53).)

 

An dieser Stelle sehen wir zugleich wieder, wie der Durst zur Aufhebung gelangt,

nämlich eben durch die Erkenntnis.

Wer von allem in der Welt immer deutlicher und deutlicher erkennt,

daß es schließlich doch zugrunde gehen muß und damit aus seinem Besitz nur Leid übrig bleiben kann,

dessen Sinnenbetätigung findet immer weniger geeignete Objekte,

bis sich schließlich die allgemeine Erkenntnis einstellt, daß »kein Ding der Neigung wert ist *«,

* Majj. Nik. l. p. 251 (37. Suttam).

daß also nichts in der Welt verdient,

gesehen, gehört, gerochen, geschmeckt, getastet, gedacht zu werden,

ja, daß alles Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten, Denken,

eben weil uns alle diese Funktionen im Grunde nur Leiden zuführen, selbst leidvolle Tätigkeiten bilden.

Er erkennt: »Wer sich am Auge erfreut, der erfreut sich am Leiden.

Wer sich am Ohr – an der Nase – an der Zunge – am Leib – am Denken erfreut,

der erfreut sich am Leiden *.« (* Samyutta Nikayo, XXXV, 19-20.)

Wer das erkannt hat, und zwar wirklich erkannt hat, den kommt Grausen vor allem an,

»es überkommt ihn Grausen vor dem Auge, Grausen vor den Gestalten,

Grausen vor dem Sehbewußtsein, Grausen vor der Sehberührung,

Grausen vor der Empfindung, Grausen vor dem Durst.

Es überkommt ihn Grausen vor dem Ohr, der Nase, der Zunge, dem Leib, dem Denken,

Grausen vor den Tönen, den Düften, den Säften, dem Tastbaren, den Gedanken,

Grausen vor dem Hörbewußtsein, dem Riechbewußtsein,

dem Schmeckbewußtsein, dem Tastbewußtsein, dem Denkbewußtsein,

Grausen vor der Hörberührung, der Riechberührung,

der Schmeckberührung, der Tastberührung, der Denkberührung,

Grausen vor der Empfindung, Grausen vor dem Durst *.« (* Majj. Nik. III, p. 286 (148. Suttam))

Auch der letztere erlischt also definitiv.

Denn wonach sollte der noch Verlangen haben,

der alle wirklichen und möglichen Objekte, die sich seinen sechs Sinnen je bieten können,

als leidvoll erkannt hat,

der also, wohin er auch in der Welt blickt, nur ein Meer von Leiden sich entgegenströmen sieht?

Leid kann man sich ja gar nicht wünschen,

nach Leiden kann man ja gar kein Verlangen haben,

weil das in der Tat gegen unser wirkliches Wesen ginge, »das Wohlsein begehrt und Wehe verabscheut«.

Somit muß also jeder Durst wirklich, sobald die ganze Erkenntnis aufgeht,

daß – alles, was nur je Objekt unseres Willens werden kann, verkapptes Leiden ist,

also eben mangels geeigneter Nahrung, unfehlbar erlöschen.

Diese Erlöschung alles dürstenden Willens kann man auch ohne weiteres dadurch feststellen,

daß man keinerlei Hervorbringungen im engeren Sinne,

also keine der Befriedigung eines Durstes dienenden schöpferischen Denkakte mehr setzt.

Denn, »daß man mit dem Denken nicht mehr hervorbringt, nichts mehr ersinnt, kündet,

daß man nicht mehr dürstet, daß man nicht mehr dürstet, kündet,

daß man nicht mehr haftet *«. (* Vgl. S. 211 f.)

Nun ist jeder Durst letzten Endes ein Durst nach Bewußtsein

und kulminiert damit alles Haften in einem Haften an einem Keim im Augenblick des Todes,

um daraus einen neuen Bewußtseinsapparat zu formen.

Damit steht mithin schon von dem Zeitpunkt an,

in welchem man alle schöpferischen Denkakte für immer eingestellt hat, fest,

daß man mangels jeglichen Durstes nach Bewußtsein

im Tod auch an keinem neuen Keim zur Formung eines neuen Bewuötseinsapparates mehr haften wird.

Der Erlöste weiß also bereits zu seinen Lebzeiten,

daß er nach seinem Tod körperfrei, bewußtseins- und damit empfindungs-frei sein wird,

und weiß weiter, daß dieser Zustand unveränderlich, mithin ewig sein wird,

weil sich ja in alle Ewigkeit kein Durst nach Änderung dieses Zustandes mehr erheben kann,

indem jeder Durst als seine unerläßliche Bedingung Empfindung

und damit einen körperlichen Organismus voraussetzen würde.

 

Näher gestaltet sich für den Erlösten

– wohl zu merken, von diesem Standpunkt aus schildert der Buddho die Sachlage! –

sein Heraustritt aus der Welt in seinem Tode, wie folgt:

Nachdem er die Hervorbringungen im engeren Sinn, nämlich die schöpferischen Denkakte,

bereits mit der Ertötung des dürstenden Willens für immer eingestellt hat,

hört im Sterben zunächst das Ein- und Ausatmen auf.

Damit stellen auch die fünf Außensinne ihre Tätigkeit ein.

Das Denken kann noch weitergehen,

schließlich kommt aber auch die geistige Wahrnehmung zum Stillstand

und als Letztes »erkalten die Empfindungen *«. (* vgl. Anm. 110 S. 213 des Kapitels »Die Sankhara«.)

Damit sind die Hervorbringungen »völlig, restlos aufgehoben«

und mit ihnen ebenso »völlig und restlos« alles Bewußtsein.

Mit dem Hinschwinden des Bewußtseins

schwindet für den sterbenden Heiligen auch der körperliche Organismus dahin,

den er ja nur in seinem Bewußtsein erlebte: »lm Bewusstsein steht das All *«. (* Suttanipito, Vers 1114.)

 

Mit der völligen Trennung vom körperlichen Organismus ist die Brücke zur Welt für ewig abgebrochen

und damit für immer jede neue »Berührung« mit der Welt unmöglich geworden,

damit auch jede neue Empfindung, damit jeder neue Durst, damit jedes neue Haften,

damit jedes neue Werden, damit jede neue Geburt, damit jedes neue Leiden.

 

Eben das kündet die Formel vom Kausalnexus in ihrem zweiten Teil, wenn – sie sagt:

»Wenn dieses nicht ist, ist jenes nicht;

wenn dieses aufgehoben wird, verschwindet jenes.

Das will sagen:

Durch die völlige, restlose Aufhebung des Nichtwissens

werden die Hervorbringungen – Sankhara – aufgehoben,

durch die völliges restlose Aufhebung der Hervorbringungen wird das Bewußtsein aufgehoben,

durch die völlige, restlose Aufhebung des Bewußtseins wird der körperliche Organismus aufgehoben,

durch die völlige, restlose Aufhebung des körperlichen Organismus werden die sechs Sinne aufgehoben,

durch die völlige, restlose Aufhebung der sechs sinne wird die Berührung aufgehoben,

durch die völlige, restlose Aufhebung der Berührung wird die Empfindung aufgehoben.

durch die völlige, restlose Aufhebung der Empfindung wird der Durst aufgehoben,

durch die völlige, restlose Aufhebung des Durstes wird das Haften aufgehoben,

durch die völlige, restlose Aufhebung des Haftens wird das Werden aufgehoben,

durch die völlige, restlose Aufhebung des Werdens wird die Geburt aufgehoben,

durch die völlige, restlose Aufhebung der Geburt

verschwinden Alter und Tod, Kummer, Jammer, schmerz, Gram und Verzweiflung·

 

Also kommt die Aufhebung dieser ganzen Leidensverkettung zustande *.«

* Udanam I, 3. – Kurz sagt der Buddho vom Tod eines seiner heiligen Jünger:

»Zerbrochen ist der Leib,

aufgehoben die Wahrnehmung,

die Empfindungen alle sind ausgeglüht,

die Hervorbringungen sind zur Ruhe gekommen,

das Erkennen ist zur Rüste gegangen« (Udanam Vlll, 9),

während er beim Tod des heiligen Godhiko die Frage:

»Wo hat das Bewußtsein Godhikos, des Edlen,

neuen Anhalt – (an einem neuen Keim) – gefunden-«

so beantworten »Godhikos, des Edlen, Bewusstsein hat keinen Anhalt mehr gefunden;

vollkommen erloschen ist Godhiko, der Edle«. (Sam. Nik I., p.122: lV, 3)

 

Weil so der ganze Kreislauf innerhalb der Welt

mit dem kommenden Tod infolge der Unmöglichkeit einer neuen Geburt für immer abgebrochen wird,

deshalb ist der Heilige natürlich auch allen Folgen seiner früheren schlechten Taten,

soweit diese Taten erst nach seinem Tod zur Reife kämen, für immer entronnen,

mögen sie auch noch so schlecht gewesen sein.

Denn mit seinem Heraustritt aus der Welt

entzieht er sich selbstverständlich auch dem diese beherrschenden Karma-Gesetz.

In diesem Sinn sagt denn auch der Vers 294 des Dhammapadam:

»Erschlüge den Vater er und auch die Mutter,

Dazu zwei Fürsten aus adligem Stamm,

Samt Anhang und zerstörte deren Reich:

schuldlos stünd’ er da, wenn heilig er dann würde.«

 

Andererseits bleibt er aber ebenso selbstverständlich

den Folgen seiner früheren Taten soweit und so lange unterworfen,

als er noch in der Welt verweilt, also während der Zeit bis zu seinem Tod.

Ein Beispiel hierfür bietet uns Augulimalo im sechsundachtzigsten Suttam des Majjhima Nikayo.

Derselbe, »einst ein Räuber, grausam und blutgierig,

an Mord und Totschlag gewohnt, ohne Mitleid gegen Mensch und Tier«,

war von dem Buddho bekehrt und weiterhin ein Heiliger geworden.

Eines Tages, als er sich gerade auf dem Almosengang befand,

wurde er mit Steinen und Stöcken beworfen, so daß er blutüberströmt zum Meister kam.

Dieser spricht zu ihm: »Dulde nur, Heiliger, dulde nur, Heiliger!

Um welchen Wirkens Frucht du viele Jahre, viele Jahrhunderte, viele Jahrtausende Höllenqualen erlittest,

dieses Wirkens Frucht, Heiliger, findest du noch bei Lebzeiten«.

Damit sagt also der Buddho einmal, daß diese Mißhandlung Angulimalos

in kausaler Verknüpfung mit seinem früheren ruchlosen Leben stehe,

wenn diese Verknüpfung in ihren einzelnen Gliedern auch nicht offenbar ist,

sondern insoweit unter die verborgene Leidensverkettung fällt.

Im Übrigen aber hat der Ausspruch eben den Sinn.

Angulimalo solle froh sein, daß er als Heiliger nur mehr diese geringen,

sich noch während seines Lebens einstellenden Folgen über sich ergehen lassen müsse

und er von den anderen schrecklichen Folgen,

die nach seinem Tod ausgereift wären, wenn er nicht heilig geworden wäre, befreit sei *.

* Daß diese noch bei Lebzeiten sich einstellenden Folgen so gering waren,

verdankte Angulimalo nicht zum geringsten Teil der herrschenden Anschauung seiner Zeit,

wonach die Staatsgewalt auch einen Räuber und Mörder nicht zur Rechenschaft zog,

wenn er als Mönch auf Hohem Pfade wandelte – cfr. Majj. Nik. Il. p. tot (86. Suttam). –

Würde Angulimalo in unserer Zeit gelebt haben,

so würde ihn auch die erreichte Heiligkeit

nicht vor dem Urteilsspruch des weltlichen Richters haben schützen können,

der nur auf Todesstrafe hätte lauten können.

Auch in diesem Fall würde der Buddha ihm noch aufs Schafott hinauf

den angeführten Ausspruch zugerufen haben.

 

* * *

 

Das Aufgehen der vollen Erkenntnis

und das dadurch herbeigeführte Erlöschen jeglichen Durstes nach der Welt

hebt aber nicht bloß die Leidenskette mit dem Tod gänzlich auf,

sondern bringt auch schon im Leben eine radikale Umwälzung mit sich:

die Erlösung wird noch hienieden unmittelbar erlebt.

Zugleich mit dem Erlöschen des Durstes

stellt sich nämlich, wie wir oben gesehen haben, Grausen vor jeder weiteren Sinnentätigkeit ein,

in der sich ja der Durst nur betätigte und aus der er andererseits immer wieder neue Nahrung sog.

Damit graust es einem aber auch vor dem eigenen Körper,

den man ja bloß als Träger der Sinnesorgane, als die Sechssinnenmaschine liebt:

Wer in Wahrheit nichts mehr sehen will, dem liegt auch nichts mehr daran,

wenn all das an seinem Körper zugrunde geht, was die Sehtätigkeit ermöglicht;

und wer auch nichts mehr hören, riechen, schmecken und tasten will,

der hängt an seinem Körper nur mehr insoweit,

als er das notwendige Werkzeug für das allein noch für unentbehrlich gehaltene Denken darstellt.

Wer aber noch dazu auch alles Denkens überdrüssig wird,

der hat jegliches Interesse an dem Fortbestand seines Körpers verloren,

der ihm ja jetzt zu nichts mehr nütze ist:

die Sechssinnenmaschine ist ihm in ihrer Gesamtheit überflüssig geworden.

Es geht ihm wie einem Maler, der des Malens überdrüssig geworden ist, alle Lust daran verloren hat.

Wie ein solcher eben deshalb gleichgültig gegen Palette und Pinsel geworden ist,

sie achtlos beiseite wirft, ja, sie für ihn nunmehr eine Last bilden,

so werden dem,

der aller Sinnentätigkeiten wegen ihres leidenschaffenden Charakters überdrüssig geworden ist,

die Sinnesorgane und damit der gesamte körperliche Organismus zur Last,

er betrachtet sie als eine Bürde.

Ja, als die Bürde, von der freizukommen Erlösung ist;

dies um so mehr, als er dem genannten Maler auch darin gleicht,

daß er, ebenso wie dieser

durch Aufgabe des ihm mißliebig gewordenen Berufes in seiner Unversehrtheit nicht berührt wird,

sondern diese ihm im Gegenteil nunmehr erst völlig als eine ungestörte zum Bewußtsein kommt,

ebenfalls, je mehr er sich von allen Sinnentätigkeiten losmacht,

zu seiner eigenen Überraschung anschaulich erkennt,

daß er selbst dadurch in seinem Bestand in keiner Weise beeinträchtigt,

sondern lediglich von störenden Elementen frei wird.

Dieses Bewußtsein wird in ihm so überwältigend,

daß er vor seinem mit den sechs sinnen behafteten Körper geradezu zurückschreckt,

mit der Folge, daß er sich innerlich von ihm los-löst.

Es ist also eine bloße Loslösung, die sich in ihm vollzieht:

»Von Grausen schreckt er zurück; weil er zurückschreckt, löst er sich los«,

fährt die oben – S. 244 – zitierte Stelle aus der Mittleren Sammlung * fort.

* Majj. Nik. Ill, p. 286 (148. Suttam).

Nimmt er gleichwohl wieder Sinnentätigkeiten vor,

so empfindet er die durch sie ausgelösten Empfindungen unmittelbar als ihm nicht zugehörig,

als etwas, das er unbeschadet seiner Integrität auch lassen kann,

empfindet sie eben als ein Los-gelösten »Empfindet er nun eine wohlige Empfindung,

so erkennt er ‚sie ist vergänglich‘, erkennt ‚sie ist unangenommen‘,

erkennt ‚ist unerfreulich‘.

Empfindet er eine wehe Empfindung, so erkennt er, ‚sie ist vergänglich‘,

erkennt ‚ist unangenommen‘, erkennt ‚ist unerfreulich‘.

Empfindet er eine weder wehe noch wohlige Empfindung, so erkennt er ‚sie ist vergänglich‘,

erkennt ‚ist unangenommen‘, erkennt ‚ist unerfreulich‘.

Empfindet er nun eine wohlige Empfindung, so empfindet er sie als ein Losgelöster.

Empfindet er eine wehe Empfindung, so empfindet er sie als ein Losgelöster.

Empfindet er eine weder wehe noch wohlige Empfindung, so empfindet er sie als ein Losgelöster *.«

* Majj. Nik. Ill. p. 244 (140. Suttam).

 

Weil man so seinen eigenen Empfindungen als ein Losgelöster gegenübersteht,

deshalb können sie einen auch nicht mehr gefangen nehmen:

»Durch das Auge und die Gestalten entsteht das Sehbewußtsein, der Einschlag der drei gibt Berührung, durch die Berührung entsteht eine Empfindung von FrVohl oder von Wehe oder weder von Wehe noch von Wohl.

Von einer wohligen Empfindung getroffen,

empfindet man da keine Freude, keine Befriedigung, kein Ergötzen

und begehrliche Anwandlung kommt einen nicht an.

Von einer wehen Empfindung getroffen. wird man da nicht bekümmert, nicht beklommen,

man jammert nicht, schlägt sich nicht stöhnend die Brust, gerät nicht in Verzweiflung

und widerwillige Anwandlung kommt einen nicht an.

Von einer weder wehen noch wohligen Empfindung getroffen,

mag man dieser Empfindung Entstehen und Vergehen,

die Lust, die sie bringt und das Elend, das sie im Gefolge hat, sowie man ihr entrinnt,

der Wirklichkeit gemäß verstehen und unwissende Anwandlung kommt einen nicht an *.«

* Majj. Nik. III. p. 286 (140. Suttam). –

Das gleiche gilt natürlich, wie dort weiter ausgeführt, auch bezüglich

der durch die Hör-, Riech-, Schmeck, Tast- und Denktätigkeit ausgelösten Empfindungen.

Infolge der Sinnentätigkeiten flammt also natürlich zwar auch noch weiterhin Bewußtsein auf,

aber nur mehr so, daß es gleichmütig auf das, wodurch es ausgelöst wurde, herabblickt;

ja, weil man auch seinen eigenen Empfindungen vollständig fremd gegenübersteht

und die sie auslösenden Objekte vom Lichte der erworbenen reinen Erkenntnis,

wonach sie alle im Grunde die Verwesung in sich bergen,

so ekelhaft sind, wie mit einem Scheinwerfer bestrahlen kann,

deshalb hat man es auch in der Hand,

aufgestiegene angenehme Empfindungen direkt in ihr Gegenteil zu verkehren,

also sie als unangenehme zu empfinden, unangenehmen Empfindungen

aber das Unangenehme zu nehmen oder auch allen Empfindungen gegenüber

sich völlig teilnahmslos, also absolut gleichmütig zu verhalten,

je nachdem man die Erkenntnis auf die die Empfindungen auslösenden Objekte wirken läßt:

 

»Wie aber hat man, Anando, als Heiliger Gewalt über die Sinne?

Da hat, Anando, ein Mönch mit dem Auge eine Gestalt gesehen, mit dem Ohr einen Ton gehört,

mit der Nase einen Duft gerochen, mit der Zunge einen Saft geschmeckt,

mit dem Leib etwas Tastbares getastet, mit dem Denkorgan eine Vorstellung gedacht,

und wird angenehm bewegt, wird unangenehm bewegt, wird teils angenehm, teils unangenehm bewegt.

Und wenn er sich wünscht:

‚Bei Widerwärtigem will ich unwiderwärtig wahrnehmen‘, so nimmt er unwiderwärtig wahr.

Wenn er sich wünscht:

‚Bei Unwiderwärtigem will ich widerwärtig wahrnehmen, so nimmt er widerwärtig wahr.

Wenn er sich wünscht:

‚Bei teils Widerwärtigem, teils Unwiderwärtigem will ich unwiderwärtig wahrnehmen‘,

so nimmt er unwiderwärtig wahr.

Wenn er sich wünscht: Bei teils Unwiderwärtigem, teils Widerwärtigem will ich widerwärtig wahrnehmen‘,

so nimmt er widerwärtig wahr.

Wenn er sich wünscht: ‚Widerwärtiges und Unwiderwärtiges,

beides will ich von mir weisen und gleichmütig bleiben, besonnen, klar bewußt‘,

so bleibt er dabei gleichmütig, besonnen, klar bewußt.

So aber, Anando, hat man als Heiliger Gewalt über die Sinne *.« (* Majj. Nik. III, p. 301 (152. Suttam))

 

Man erlebt also zwar noch Empfindungen, aber sie haben alle Gewalt über einen verloren:

man ist zwar noch nicht frei von ihnen, aber man steht ihnen als ein Freier gegenüber:

 

»Das ist ein Mönch. der erträgt Kälte und Hitze, Hunger und Durst, Wind und Wetter,

Mücken und Wespen und plagende Kriechtiere,

boshafte, böswillige Redeweisen, körperliche Schmerzgefühle, die ihn treffen,

heftige, schneidende, stechende. unangenehme, leidige, lebensgefährliche, dauert er duldend aus,

ist gänzlich von Gier, Hals und Irre entledigt, entwöhnt worden von Unart;

Opfer und Spende, Gabe und Gruß verdient er als heiligste Stätte der Welt *.«

* Majj. Nik. Ill, p. 136 (125. Suttam).

 

Von ihm gelten die gewaltigen Worte:

»Die mir schmerz zufügen und die mir Freude bereiten, gegen alle bin ich gleich;

Zuneigung und Widerwillen kenne ich nicht.

In Freude und Leid bleibe ich unbewegt, in Ehren und Unehren; überall bin ich gleich.

Das ist die Vollendung meines Gleichmuts *.« (* Cariyi Pitakam Ill, 15)

 

Nichts kann mehr eine Regung des Begehrens oder des Widerstrebens in ihm auslösen;

es ist nur noch völlig reines verkennendes schauen« – (nanadassanam) übrig geblieben.

Denn wodurch sollte ein solcher noch beeinflußt werden, nachdem er aller bisheriger Determinierung ledig und von allen äußeren Eindrücken unabhängig geworden ist?

Welche Regung des Wollens er aufsteigen lassen will, die läßt er eben aufsteigen,

und welche er wieder untergehen lassen will, die läßt er wieder untergehen:

er hat die vollkommenste Willensfreiheit verwirklicht *.

* Hiernach kann man einen Heiligen auch als einen Menschen definieren,

der die Willensfreiheit verwirklicht hat, oder – demzufolge – schlechthin als einen Freien.

 

Ja, es mag sein, daß ein solcher Erlöster nicht bloß die Freiheit im Wollen,

sondern auch die völlige Freiheit vom Wollen

und damit auch die absolute Bewußtseins- und Empfindungsfreiheit schon zu Lebzeiten verwirklicht,

freilich nicht augenblicklich und plötzlich,

sondern in stufenweisem Aufstieg, so, wie jemand die sprossen einer Leiter erklimmt –

so gewaltig sind die Einflüsse seitens der Welt,

welche durch die fünf äußeren Sinn auf uns hereinströmen,

daß auch der Erlöste, an dem sie im Übrigen, wie wir gesehen haben,

auch wenn sie eindringen, auf jeden Fall spurlos abgleiten, sie nur der Reihe nach völlig stauen kann, gleichwie auch ein freier Mann im Sinne der Welt die Hindernisse, die seine Freiheit beeinträchtigen, eines um das andere, beseitigen muß.

Dieser Weg des Erlösten aber zur völligen Freiheit auch vom Wollen

und damit zugleich von der ganzen Welt ist der folgende:

 

Das Wollen vollzieht sich in den Tätigkeiten der sechs Sinne.

Von ihnen vermag der Erlöste beliebig jene der fünf äußeren Sinne völlig einzustellen,

also insoweit alles Wollen zur Aufhebung zu bringen, er ist dann nach außen völlig blind und taub,

für jeden Geruch, jeden Geschmack,jede Tastung unempfindlich geworden,

insoweit also bereits aus der Welt herausgetreten:

 

»Um diese Zeit aber war Pukkuso der Mallerprinz, ein Jünger des Alaro Kalamo,

von Kusinara nach Pava unterwegs und reiste die Landstraße entlang.

Es sah nun Pukkuso der junge Maller den Erhabenen unter einem Baum sitzen.

Als er den Erhabenen gesehen hatte, kam er heran, begrüßte den Erhabenen ehrerbietig

und setzte sich beiseite nieder.

Beiseite sitzend sprach nun Pukkuso der Mallerprinz zum Erhabenen so:

 

‚Erstaunlich, oh Herr, außerordentlich ist es, oh Herr,

wie tief da, oh Herr, der Frieden ist, in dem Pilger zu beharren vermögen. –

Eines Tages einmal, oh Herr, war Alaro Kalamo die Landstraße entlang gewandert,

war dann vom Weg abgebogen

und hatte sich in der Nähe unter einem Baum niedergesetzt, bis gegen Abend zu verweilen.

Da sind nun, oh Herr, an fünfhundert Karren gerade

Alaro Kalamo gegenüber vorbeigefahren.

Nun ist dann, oh Herr, einer der Männer, den sparen dieser Karrenkarawane nachfolgend,

zu Alaro Kalamo herangekommen und hat so gefragt:

‚Du hast wohl, oh Herr, an fünfhundert Karten vorbeifahren sehn?‘ – ‚Nichts habe ich, Bruder, gesehen.‘ –

‚Aber du hast doch, oh Herr, den Lärm gehöre‘. – ‚Nichts, Bruder, hab’ ich von Lärm gehört.‘ –

‚So hast du, oh Herr, geschlafen?‘ – ‚Nicht habe ich, Bruder, geschlafen.‘ –

‚Wie denn, oh Herr: und du warst bewußt?‘ – ‚Gewiß, Bruder.‘ –

»so hast du, oh Herr, bewußt und mit wachen Sinnen

die fünfhundert Karren, die gerade gegenüber vorbeigefahren sind,

weder gesehen noch auch den Lärm gehört:

aber dein Mantel, oh Herr, ist ja ganz mit staub überdeckt!‘ – ‚Freilich, Bruder.‘

Da wurde nun, oh Herr, jenem Mann so zumute:

‚Großartig ist es, unglaublich, in der Tat, wie tief da, fürwahr, der Frieden ist,

in dem Pilger zu beharren vermögen:

wo ja eben einer bewußt und mit wachen sinnen fünfhundert Karten, die gerade gegenüber vorbeifahren,

weder zu sehen noch auch den Lärm zu hören braucht!‘

Und nachdem er so für Alara Kalamo hohe Begeisterung erkennen hatte lassen, ging er weiter.‘

 

‚Wie denkst du darüber, Pukkuso,

was mag da wohl etwa schwieriger auszuführen, etwa schwieriger zu erwirken sein:

daß einer bewußt und mit wachen Sinnen fünfhundert Karten, die gerade gegenüber vorbeifahren,

weder zu sehen noch auch den Lärm zu hören bräuchte;

oder daß einer bewußt und mit wachen Sinnen im Gewittersturm, im wirbelnden Wolkenbruch,

während Blitze herabfahren und der Donner krachend dreinschlägt,

weder zu sehen noch auch den Lärm zu hören bräuchte?‘

 

Was gälten da freilich, oh Herr, fünfhundert Karten oder sechshundert, siebenhundert Karren

oder achthundert, neunhundert Karren oder tausend oder hunderttausend Karten:

vielmehr wäre das eben gar schwieriger auszuführen und schwieriger zu erwirken,

daß einer bewußt und mit wachen Sinnen im Gewittersturm, im wirbelnden Wolkenbruch,

während Blitze herabfahren und der Donner krachend dreinschlägt,

weder zu sehen noch auch den Lärm zu hören bräuchte!‘

 

‚Es war einmal, Pukkuso, da bin ich bei Atuma geweilt, in einer Scheune.

Um diese Zeit aber, bei einem Gewittersturm, im wirbelnden Wolkenbruch,

während Blitze herabfuhren und der Donner krachend dreinschlug,

wurden unweit der Scheune zwei Landbauern, Brüder, vom Blitz getroffen und vier Zugochsen.

Da ist denn, Pukkuso, aus Aturna eine große Menschenmenge herangekommen

und um die beiden Landbauern, die erschlagenen Brüder, und die vier Zugochsen herumgestanden.

Doch war ich, Pukkuso, schon aus der Scheune hervorgetreten

und ging vor der Tenne unter freiem Himmel auf und ab.

Alsbald kam nun, Pukkuso, einer der Männer aus jener großen Menschenmenge auf mich zu,

verbeugte sich vor mir und stand beiseite.

Den Mann aber, Pukkuso, der da beiseite stand, sprach ich so an:

‚Was ist denn da, Bruder, für eine große Menschenmenge -zusammengekommen?‘ –

‚Es sind jetzt, oh Herr, im Wettersturm,

im prasselnden Wolkenguß unter flammenden Blitzen und krachendem Donnergetöse,

zwei Landleute erschlagen worden, Brüder, und vier Zugochsen:

da ist nun diese große Menschenmenge zusammengelaufen;

du aber, oh Herr, bist wo gewesen?‘ – ‚Hier eben, Bruder, bin ich gewesen.‘ –

‚Und hast es, oh Herr, wohl gesehen?‘ – ‚Nichts habe ich, Bruder, gesehen,‘. –

‚Aber du hast doch, oh Herr, den Lärm gehört?‘ – ‚Nichts, Bruder, habe ich von Lärm gehört.‘ –

‚Dann hast du, oh Herr, gar geschlafen!‘ – ‚Nicht habe ich, Bruder. geschlafen.‘ ‚

»Wie denn, oh Herr: und du warst bewußt?‘ – ‚Gewiß, Bruder.‘ –

»So hast du, oh Herr, bewußt und mit wachen Sinnen im Gewittersturm und wirbelnden Wolkenbruch,

während Blitze herabfahren und der Donner krachend dreinschlug,

weder gesehen noch auch den Lärm gehört?‘ – ‚Freilich, Bruder.‘

Da wurde nun, Pukkuso, jenem Mann so zumute:

‚Oh wie seltsam ist es, wie so wunderbar doch,

wie tief da wirklich der Frieden sein muß, in dem Pilger verharren können:

wo ja eben einer bewußt und mit wachen Sinnen im Gewittersturm, im wirbelnden Wolkenbruch,

während Blitze herabfahren und der Donner krachend dreinschlägt,

weder zu sehen noch auch den Lärm zu hören braucht!‘

Und nachdem er so hohe Begeisterung für mich gezeigt hatte, ging er rechts herum und entfernte sich *.«

* Digha Nik. XVL (Übersetzung v. K. E. Neumann).

 

Aber noch ist innen nicht völlige Ruhe eingekehrt:

Das Denkorgan ist noch angeregt, kann nicht augenblicklich zur Ruhe kommen,

wie ein in Schwingung versetztes Pendel noch eine Zeitlang weiterschwingt.

Aber da der Sinnesgewaltige zu denken vermag, was ihm beliebt –

»welchen Gedanken er will, den denkt er; welchen Gedanken er nicht will, den denkt er nicht *« –

* Majj. Nik. l. p. 122 (20. Suttam).

so hatte er schon, sobald er sich aus der äußeren Welt zurückzog,

seinen Geist an einen bestimmten Gedanken »gleichsam festgebunden«,

indem er ihn etwa auf die Vorstellung »Erde« konzentrierte,

die Vorstellung »Erde« aufnahm »als einzigen Gegenstand«.

»In der Vorstellung »Erde« erhebt sich ihm der Geist, erheitert sich, beschwichtigt sich, beruhigt sich *.«

* Majj. Nik. lll, p. 104 (121. Suttam).

Diese Beruhigung hat zur Folge,

daß er alsbald auch der Vorstellung »Erde« in vollkommenster Gleichgültigkeit gegenübersteht

und damit auch sie als den letzten Widerschein der materiellen Welt

aus seinem Bewußtsein entlassen kann,

indem er sich völlig in die Wahrnehmung des unbegrenzten Raumes versenkt:

»Und die Dinge der unbegrenzten Raumsphäre,

Wahrnehmung der unbegrenzten Raumsphäre und Konzentration des Geistes,

Berührung, Empfindung, Wahrnehmung, Gemütstätigkeiten, Erkennen, Wille, Entschlossenheit,

Energie, Besonnenheit, Gleichmut, Bedachtsamkeit *,

* Alle diese Funktionen

haben natürlich ausschließlich die Vorstellung des unbegrenzten Raumes zum Gegenstand.

diese Dinge hat er der Reihe nach zergliedert und läßt diese Dinge wissentlich aufsteigen,

wissentlich standhalten, wissentlich untergehen.

Und er erkennt:

‚So kommen denn diese Dinge ungewesen zum Vorschein und gewesen verschwinden sie wieder.‘

Und er ist diesen Dingen nicht zugeneigt und nicht abgeneigt,

nicht angeschlossen, nicht an sie gebunden,

ist von ihnen losgelöst, losgetrennt, ohne sein Denken von ihnen einnehmen zu lassen.

Damit erkennt er: ‚Es gibt eine Entrinnung darüber hinaus‘.

Und indem er diese eifrig pflegt, erfährt er: ‚Die gibt es‘.

 

»Und ferner noch, Mönche, hat Sariputto, nach völliger Überwindung der unbegrenzten Raumsphäre

in der Wahrnehmung ‚Grenzenlos ist das Bewußtsein‘

das Reich des unbegrenzten Bewußtseins gewonnen.

Und die Dinge der unbegrenzten Bewußtseinssphäre,

Wahrnehmung der unbegrenzten Bewußtseinssphäre und Konzentration des Geistes,

Berührung, Empfindung, Wahrnehmung, Gemütstätigkeiten, Erkennen, Wille. Entschlossenheit, Energie,

Besonnenheit, Gleichmut, Bedachtsamkeit,

diese Dinge hat er der Reihe nach zergliedert

und läßt diese Dinge wissentlich aufsteigen, wissentlich standhalten, wissentlich untergehen.

Und er erkennt:

‚So kommen denn diese Dinge ungewesen zum Vorschein und gewesen verschwinden sie wieder.‘

Und er ist diesen Dingen nicht zugeneigt und nicht abgeneigt,

nicht angeschlossen, nicht an sie gebunden, ist von ihnen losgelöst, losgetrennt,

ohne sein Denken von ihnen einnehmen zu lassen.

so erkennt er: ‚Es gibt eine Entrinnung darüber hinaus‘.

Und indem er diese eifrig pflegt, erfährt er: ‚Die gibt es‘.

 

»Und ferner noch, Mönche,

hat Sariputto nach völliger Überwindung der unbegrenzten Bewußtseinssphäre

in der Wahrnehmung ‚Nun ist nichts mehr da‘,

das Reich der Nichtirgendetwasheit gewonnen *

* Auf dieser Höhe hat der Erlöste nur noch das Bewußtsein, daß er ganz allein ist,

daß er von allem losgelöst ist.

Nicht nur, daß schon lange nichts mehr aus der lärmenden Unrast der Körperwelt zu ihm empor,

oder, vielleicht besser, in ihn hineindringt,

geht er nun auch in sich ganz in dem Bewußtsein der gewaltigstem hehrsten Einsamkeit

und damit des majestätischsten Friedens auf.

Er hat alles von sich abgeschüttelt.

auch seinen eigenen körperlichen Organismus, den er nur noch in seinem Denkorgan

und auch insoweit lediglich

noch zu dem einzigen Zweck der Erkenntnis der ungeheuren Leere gebraucht,

der er sich gegenüber sieht,

was ihm die weitere gewaltige Erkenntnis einbringt:

»Nicht bin ich irgendwo, bei irgendwem, in irgend etwas,

noch gehört mir irgendwo, bei irgend etwas irgendwas an.« (Majj. Nikq 106. Suttam)

und die Dinge der Sphäre der Nichtirgendetwasheit,

Wahrnehmung dieser Sphäre und Konzentration des Geistes,

Berührung, Empfindung, Wahrnehmung, Gemütstätigkeiten, Erkennen,

Wille, Entschlossenheit, Energie, Besonnenheit, Gleichmut, Bedachtsamkeit,

diese Dinge hat er der Reihe nach zergliedert und läßt diese Dinge wissentlich aufsteigen,

wissentlich standhalten, wissentlich untergehen.

Und er erkennt:

‚So kommen denn diese Dinge ungewesen zum Vorschein und gewesen verschwinden sie wieder.‘

Und er ist diesen Dingen nicht zugeneigt und nicht abgeneigt, «nicht angeschlossen, nicht an sie gebunden, ist von ihnen losgelöst, losgetrennt, .»

ohne sein Denken von ihnen einnehmen zu lassen, so erkennt er:

‚Es gibt eine Entrinnung darüber hinaus.‘

Und indem er diese eifrig pflegt, erfährt er: ‚Die gibt es.‘

 

»Und ferner noch, Mönche, hat Sariputto nach völliger Überwindung der Sphäre der Nichtirgendetwasheit

den Bereich der Wederwahrnehmung-noch-Nichtwahrnehmung gewonnen *.

* lm Anschluß an das Reich der Nichtirgendetwasheit heißt es im 9. Suttam des Digha Nikayo:

»sobald nun, Potthapado, der Mönch da in sich wahrnimmt,

kann er also immer weiter, der Reihe nach, bis an die Grenze der Wahrnehmung hinaufreichen,

steht er nun an der Grenze der Wahrnehmung, so sagt er sich:

‚Gedanken dulden bekommt mir schlechter, keine Gedanken dulden bekommt mir besser;

wenn ich nun eben weiter denken und hervorbringen wollte,

würde mir diese Wahrnehmung untergehen und eine andere gröbere Wahrnehmung aufgehen:

»Wie, wenn ich also eben nicht mehr dächte und nicht mehr hervorbrächte?‘

So denkt er eben nicht mehr und bringt nicht mehr hervor.

Weil er nicht mehr denkt und nicht mehr hervorbringt,

geht auch diese Wahrnehmung unter und eine andere, gröbere Wahrnehmung geht nicht auf« –

ein Zustand, der im hundertsechsten Suttam des Majj. Nik., wie folgt, beschrieben ist:

»Da ist, Herr, ein Mönch also vorgeschritten:

‚Nicht möge es sein, nicht möge es für mich sein,

nicht möge es werden, nicht möge es für mich werden:

was ist, was geworden ist, das lasse ich fahren: so gewinnt er Gleichmut.‘ «

Er stellt mithin auch alles Denken ein, so, daß er gerade noch merkt:

»Friedvoll bin ich, erloschen bin ich, ein nicht mehr Haftender bin ich«. (M. N., 102. Suttam)

Die, übrigens auch da noch in vollem Bewußtsein vor sich gehende Wahrnehmungstätigkeit

ist also hier auf den gerade noch möglichen Rest zurückgeführt, wahrzunehmen,

daß man keine Wahrnehmung mehr hat,

weshalb dieser Zustand eben das Reich der

»Wederwahrnehmung – noch – Nichtwahrnehmung« – nevasannanasannayatanam – genannt wird.

Und aus diesem Erfunde kehrt er besonnen zurück.

Und ist er aus diesem Erfunde besonnen zurückgekehrt,

so nimmt er die Dinge, die überstanden, aufgelöst, umgewandelt sind, wahr:

‚So kommen denn diese Dinge ungewesen zum Vorschein und gewesen verschwinden sie wieder‘.

Und er ist diesen Dingen nicht zugeneigt und nicht abgeneigt,

nicht angeschlossen, nicht an sie gebunden, ist von ihnen losgelöst, losgetrennt,

ohne sein Denken von ihnen einnehmen zu lassen,

so erkennt er: ‚Es gibt eine Entrinnung darüber hinaus‘

und indem er diese eifrig pflegt, erfährt er: ‚Die gibt es.‘

 

»Und ferner noch, Mönche, hat Sariputto

nach völliger Überwindung des Bereiches der Wederwahrnehmung-noch-Nichtwahrnehmung

die Aufhebung von Wahrnehmung und Empfindung erreicht

und sind nach seiner weisen Schau die Einflüsse – (dürstenden Wollens) – aufgehoben *.

* Der Pali-Ausdruck für diesen Zustand ist nirodha-samapatti – Erlangung der Aufhebung,

auch sannavedayitanirodho = Aufhebung (nirodho) von Wahrnehmung und Empfindung.

Er mag für sieben volle Tage anhalten.

lm 43. Suttam des Majjhima Nikayo heißt es:

»Welcher Unterschied besteht nun, Bruder, zwischen einem Toten, Abgestorbenen

und einem Mönch, der die Vernichtung von Wahrnehmung und Empfindung erwirkt hat?« –

»Wer da tot und abgestorben ist, oh Bruder,

dessen körperliche Hervorbringungen – Sankhara – sind aufgehoben und erloschen,

dessen sprachliche Hervorbringungen sind aufgehoben und erloschen,

dessen geistige Hervorbringungen sind aufgehoben und erloschen,

die Lebensfähigkeit ist aufgezehrt, die Wärme verflogen, die Sinne sind zerstoben;

der Mönch aber, der die Vernichtung von Wahrnehmung und Empfindung erwirkt hat,

dessen körperliche, sprachliche und geistige Hervorbringungen sind aufgehoben und erloschen,

doch die Lebensfähigkeit ist nicht aufgezehrt, die Wärme nicht verflogen und die sinne sind gestillt.«

(Zu ayu = Lebensfähigkeit. vgl. oben S. 57). –

Im 50. Suttam des Majjhima Nikayo

ist der Zustand, wie er sich von außen darstellt. geschildert, wie folgt:

»Der ehrwürdige Sanjivo dagegen pflegte im inneren des Waldes zu weilen,

oder unter einem groben Baumes oder an leerer Stätte,

und versenkte sich gar leicht in die Aufhebung von Wahrnehmung und Empfindung.

Eines Tages hatte sich der ehrwürdige Sanjivo, unter einem großen Baum sitzend,

in die Aufhebung von Wahrnehmung und Empfindung versenkt.

Da sahn nun Hirten und Landleute den ehrwürdige-n Sanjivo,

in die Aufhebung von Wahrnehmung und Empfindung verloren, am Fuß eines großen Baumes sitzen,

und wie sie ihn da fanden, riefen sie erstaunt und bestürzt aus:

‚Seht nur, welch ein Wunder! sitzend ist dieser Asket gestorben! Laßt ihn uns bestatten.‘

Und jene Hirten und Landleute trugen Stroh und Reisig und trockenen Dünger herbei,

bedeckten damit den Körper des Ehrwürdigen, legten Feuer an und gingen fort.

Am nächsten Morgen nun kam der ehrwürdige Sanjivo aus seiner Vertiefung zurück, schüttelte sein Gewand, nahm Mantel und Schal und begab sich ins Dorf um Almosenspeise.

Da sahn nun jene Hirten und Landleute den ehrwürdigen Sanjivo von Haus zu Haus schreiten

und als sie ihn gesehen, riefen sie erschreckt und entsetzt aus:

‚Seht, oh seht nur! Der Asket, der sitzend gestorben ist, der ist nun wieder lebendig geworden!‘«

Und aus diesem Erfunde kehrt er besonnen zurück.

Ist er aus diesem Erfunde besonnen zurückgekehrt,

so nimmt er die Dinge, die überstanden, aufgelöst, umgewandelt sind, wahr:

‚So kommen denn diese Dinge ungewesen zum Vorschein, und gewesen verschwinden sie wieder.‘

Und er ist diesen Dingen nicht zugeneigt und nicht – abgeneigt,

nicht angeschlossen, nicht an sie gebunden, ist von ihnen losgelöst, losgetrennt,

ohne sein Denken von ihnen einnehmen zu lassen,

und er erkennt: »Eine Entrinnung auch darüber hinaus gibt es nichts *.«

* Majj. Nik. Ill, p. 27 (111. Suttam).

 

Ein solcher hat also die völlige Erlösung von allem, was anatta, nicht-selbst an ihm ist,

das heißt also von den Bestandteilen seiner Persönlichkeit und damit von der Welt,

tatsächlich schon bei Lebzeiten verwirklicht.

Er hat das Ungeheure vollbracht, hat alle Fesseln, »ob fein oder gemein *«, gesprengt,

* Majj. Nik. l, p. 456 (66. Suttam).

hat alle seine Sinnentätigkeiten – denn sie sind ja die Fesseln –

mithin alles Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten und Denken total vernichtet

und damit die Sechssinnenmaschine zeitweilig überhaupt weggeworfen,

hat die höchste, die heilige Freiheit errungen.

Zwar heben diese Sinnentätigkeiten alsbald wieder von neuem an,

da ja die Lebensfähigkeit der Sechssinnenmaschine geblieben ist,

und rufen ihn neuerdings in die Welt zurück.

Aber beiden, seinen eigenen Sinnentätigkeiten wie der Welt, steht er jetzt völlig fremd gegenüber;

hat er es ja doch nunmehr in der denkbar anschaulichsten Weise unmittelbar erfahren,

daß er nicht in ihnen bestanden ist;

denn selbstverständlich war, als er sich von jeder Empfindung frei gemacht hatte,

nicht er selbst zu nichts geworden

– dieses Wort im Sinne des absoluten Nichts genommen –

und nun wieder neu entstanden, sondern er war geblieben, was er seit Ewigkeit ist,

aber diese Hervorbringungen,

die sich an ihm oder vor ihm oder in ihm oder wie man sonst sagen will, abspielen,

kommen unablässig »ungewesen zum Vorschein und verschwinden gewesen wieder«;

ja, er selbst ist es,

der sie »wissentlich aufsteigen, wissentlich standhalten und wissentlich wieder untergehen läßt«,

der also, wenn es erlaubt ist, diesen trivialen Vergleich zu gebrauchen, mit der Welt Fangball spielt:

er kann sie nach Belieben verschwinden und wieder vor sich aufsteigen lassen.

Er hat die ganze Wahrheit der berühmten Worte des Mönches Assaji.

In denen die Lehre des Buddho zusammengefaßt erscheint, an sich selbst erfahren:

»ye dhamma hetuppabhava

tesam hetum tathagato aha

tesan ca yo nirodho

evamvadi mahasamano.

 

Die – (leidvollen) – Dinge, die aus einer Ursache entspringen:

Deren Ursache hat der Vollendete mitgeteilt,

Wie auch ihre Aufhebung·

So lehrt der große Asket *.« (* Mahavaggo l, 23)

 

Von dieser Warte aus weiß er jetzt natürlich auch unmittelbar,

daß er selbst so wenig sterben wird, als er in Wahrheit je entstanden ist.

Was vergehen und sterben wird, sind ja nur diese Hervorbringungen,

die als das Getriebe seiner Persönlichkeit

ungewesen zum Vorschein kommen und gewesen wieder verschwinden,

sind nur die Bestandteile des Anatta, des Nicht-Ich,

sein vermeintliches bisheriges immer wieder neues Sterben während des unendlichen,

nunmehr alsbald definitiv zur Ruhe kommenden Samsaro

entschleiert sich ihm nunmehr als eine ungeheuerliche, unaufhörliche Selbstmystifikation,

beruhend auf dem Wahn,

als ob sein wahres Wesen irgend etwas mit den Bestandteilen seiner Persönlichkeit gemein hätte.

Diesen Wahn hat er jetzt total vernichtet;

ja, er hat entdeckt, daß jedes Denken positiven Inhalts

über sich selbst oder sein Verhältnis zur Welt naturnotwendig ein wahnhaftes,

also eben ein bloßes Wähnen ein bloßes Vermeinen bleiben muß,

da seine eigene Wesenheit ja gar nicht in dieses Denken eingeht,

sondern vielmehr ganz überhaupt erst verwirklicht wird,

wenn auch dieses Denken – im Zustand der Vernichtung von Wahrnehmung und Empfindung –

gänzlich aufgehoben wird,

und hat weiterhin entdeckt, daß, sobald dieses Denken als ein bloßes Vermeinen von neuem anhebt,

wir uns auch schon wieder mitten im Bereich der Gesetze des Entstehens und Vergebens

und damit des Todes, also der Selbstmystifikation, befinden.

Er versteht aus eigener Erfahrung die Wahrheit der Schilderung dieser fortwährenden Selbstmystifikation,

wie sie in einer sinnigen Legende des Samyutta Nikayo – so gegeben wird *:

* Cfr. Neumann. Suttanipato. S. 198, Anm. – Sam. Nik. XXXV, 207.

Der Dämon Vepacitti

ist im Kampf seiner Scharen mit den Göttern von diesen besiegt und fünffach gefesselt worden,

so oft er nun bei sich vermeint:

‚Recht haben die Götter, unrecht die Dämonen‘,

sieht er sich auch schon von den fünf Banden befreit und genießt himmlische Wonne;

und so oft er dann wieder vermeint:

‚Recht haben die Dämonen, unrecht die Götter‘,

sieht er sich wieder von den fünf Banden gefesselt und entbehrt himmlischer Wonne.

»So zart«, heißt es weiter, »ist die Fessel Vepacittis;

aber noch viel zarter ist die Fessel des Todes.

Vermeinen läßt vom Tod gebunden sein, nicht vermeinen läßt vom Bösen befreit sein.

‚Ich bin‘ ist ein Vermeinen, ‚Ich bin nicht‘ ist ein Vermeinen,

‚Ich werde sein‘ ist ein Vermeinen, ‚Ich werde nicht sein‘ ist ein Vermeinen;

‚Körperhaft werde ich sein« ist ein Vermeinen, Körperlos werde ich sein‘ ist ein Vermeinen;

‚Bewußt werde ich sein‘ ist ein Vermeinen, ‚Unbewußt werde ich sein‘ ist ein Vermeinen,

‚Weder bewußt noch unbewußt werde ich sein‘ ist ein Vermeinen.«

Und so vermeint denn unser Mönch, der einmal die Aufhebung von Wahrnehmung und Empfindung

und damit auch das totale Aufhören alles Vermeinens gekostet hat, über sich auch dann nichts mehr,

wenn er wieder aus jenem Zustand zur Welt zurückgekehrt ist:

»Das ist, Mönche, ein Mönch, der gar nichts vermeint, von gar nichts vermeint, um gar nichts vermeint*.«

* Majj. Nik. l, p. 430 (63. Suttam).

Er hegt nur noch den einen rein negativen, weil ja alles abweisenden, Gedanken:

»Das gehört mir nicht, dies bin ich nicht, dies ist nicht mein Selbst *.«

* Vgl. zu dem Gesagten auch die Stelle Majj. Nik., 8. Sut.:

»Von den vielen verschiedenen Lehren, Cundo,

die da in der Welt auftauchen

und sich bald mit der Betrachtung des Selbstes, bald mit der Betrachtung der Welt befassen,

gilt überall, wo sie auftauchen, aufsteigen, auftreten,

das wirklichkeitsgemäße, vollkommen weise Urteil:

‚Das gehört mir nicht, das bin ich nicht, das ist nicht mein selbst‘:

So werden sie verworfen, so werden sie verleugnen.«

 

Übrigens ist die Erlösung nicht davon abhängig,

daß man noch bei Lebzeiten

nach Belieben die Aufhebung der Wahrnehmung und Empfindung herbeizuführen

und damit völlig aus der Welt herauszutreten vermag

– um das zu verwirklichen,

muß noch eine ganz außerordentliche Fähigkeit der Konzentration gegeben sein,

wie wir später sehen werden -,

sondern die Erlösung ist ausschließlich dadurch bedingt,

daß infolge des Aufgehens des vollen Wissens,

daß alles leidvoll und durch den Durst bedingt ist, eben dieser Durst restlos vernichtet wird.

Ein jeder, der dazu gelangt ist,

nimmt schon bei Lebzeiten dieselbe Stellung gegenüber seiner eigenen Persönlichkeit,

speziell seinen Sinnentätigkeiten und damit der Welt ein,

wie derjenige, der die Aufhebung von Wahrnehmung und Empfindung erreicht hat.

Denn eben weil er keinerlei Verlangen nach Sinnenbetätigung und der Welt mehr hat,

ist damit das Band zerrissen, das ihn an diese kettete, und in ihm immer wieder den Wahn entstehen ließ,

als ob sie doch irgendwie zu ihm gehörten,

sei es auch nur in dem Sinne, daß er selbst und an sich durch ihren Verlust zwar nicht berührt werde,

sie aber wenigstens zu seinem Glücke brauche,

infolge welchen Wahnes er nicht den vollen und reinen Anatta-Anblick zu gewinnen,

sich nicht als ein völlig Fremder und damit Freier der Welt,

einschließlich der Elemente seiner eigenen Persönlichkeit, gegenüberzustehen vermochte.

Und weil er nunmehr das Band, das ihn an seine Persönlichkeit und die Welt fesselte,

  1. i. den Durst nach ihnen, als solches erkannt und zerrissen hat,

deshalb weiß auch er so gut wie derjenige,

der die Aufhebung von Wahrnehmung und Empfindung gewinnen kann,

daß im Augenblick seines kommenden Todes mangels dieses Durstes

und des durch ihn bedingten Anhaftens keinerlei Wiedergeburt mehr für ihn bevorstehe,

sondern die ewige Erlösung von der Welt, die absolute Empfindungsfreiheit für immer eintreten wird:

»Und er erkennt:

Diese sechs Sinne werden gänzlich, vollständig und restlos zur Aufhebung gelangen

und andere sechs sinne werden nirgends und an keinem Orte entstehen *.«

* Samyutta Nikayo XLVIII, 53.

»Im Erlösten steigt das Wissen von seiner Erlösung auf:

‚Vernichtet ist die Wiedergeburt, erfüllt der heilige Wandel, getan ist, was zu tun war;

ich habe nichts mehr mit dieser Ordnung der Dinge gemein *.« (* Majj. Nik. I. p. 38 (7. Suttam))

 

Hiernach hätten wir also den speziellen Fall eines Erlösten,

der schon bei Lebzeiten sich empfindungsfrei zu machen vermag, gar nicht gebraucht.

Wenn wir ihn gleichwohl behandelt haben, so geschah es, weil gerade an ihm

die Wirkungen der Erlösung schon bei Lebzeiten besonders scharf und deutlich hervortreten *.

* Übrigens kann der Zustand der Aufhebung von Wahrnehmung und Empfindung

nicht nur von einem vollkommenen Heiligen, also demjenigen erreicht werden,

der jeden Durst nach Dasein (Werden) in irgend welcher Form für immer vernichtet hat,

so, daß er allem, speziell auch seiner Fähigkeit,

diesen letzten und höchsten Zustand der Aufhebung von Wahrnehmung und Empfindung

schon bei Lebzeiten zu verwirklichen,

in vollendetstem Gleichmut gegenüberstehen,

sondern auch von demjenigen, der gleichfalls jeden Durst nach Dasein verloren hat,

jedoch mit Ausnahme jenes letzten Restes von ihm,

daß er noch »Liebe und Freude und Neigung«

zu dem infolge davon gewonnenen völligen Gleichmut als solchem

und zu der dadurch

bei ihm sich einstellenden Fähigkeit der Aufhebung von Wahrnehmung und Empfindung empfindet.

Ein solcher kann in dem letzteren Zustand

die Erlösung zwar Vorübergehend – eine »zeitliche Erlösung« – erringen;

aber er besitzt, solange nicht auch noch dieser letzte Rest von Durst,

also die Befriedigung über den gewonnenen, alles umfassenden Gleichmut,

vernichtet ist.-noch nicht die ewige Erlösung,

da ja auch dieser letzte Rest von Durst im Tod seine Wirkungen äußern,

das heißt ein neues, wenn auch »bestes Anhaften« herbeiführen muß. (Majj. Nik., 106. Suttam)

 

* * *

 

Nun mag sich mancher Leser wundern. das im bisherigen,

wo doch die Erlösungslehre des Buddho dargestellt wurde,

noch mit keinem Wort des Begriffes Nihhanam gedacht wurde,

der doch, wie wohl jeder weiß, das Endziel seiner Lehre bildet:

»Nibbanam ist der Kern des heiligen Lebens, Bruder Visakho.

Nibbanam ist Zweck und Ziel *.« (* Majj. Nik. l. p. 304 (41. Suttam).)

Doch diese Verwunderung wäre unbegründet.

Denn wir haben,

indem wir den Zustand des gänzlich Erlösten nach dem Tod und schon bei Lebzeiten behandelten,

überhaupt von nichts anderem gesprochen als von Nibbanam.

Nibbanam und ewige Erlösung sind nämlich synonyme Begriffe,

die auch insofern sich decken, als sie keinerlei positiven, sondern nur einen rein negativen Inhalt haben.

Wie nämlich unter der Erlösung einfach die Befreiung gedacht wird,

ohne daß dabei irgendwie zum Ausdruck käme,

was denn nun der Befreite nach seiner Befreiung eigentlich ist,

so bedeutet Nibbanam wörtlich einfach das Erlöschen;

und wie wir die Erlösung als eine Befreiung von dem in uns hausenden Durste

nach den fünf Hattensgruppen als den leidvollen Bestandteilen unserer Persönlichkeit

und eben deshalb als die schließliche – im Tod vor sich gehende – völlige Befreiung

auch von diesen Haftensgruppen selbst

und damit von der ganzen Welt erkannt haben,

so besagt auch Nibbanam nichts anderes als das Erlöschen dieses Durstes

und damit letzten Endes das Erlöschen unserer Persönlichkeit und der Welt im Tod des Heiligen:

»Nibbanam, Nibbanam, so sagt man, Freund Sariputto;

was ist nun Nibbanam, Freund?« –

»Was da, Freund, das Verschwinden der Gier, das Verschwinden

des Hasses, das Verschwinden der Verblendung ist,

das nennt man Nibanam *«, (* Samvutta Nik. XXXVIII, 1)

wobei wir uns nur darüber im Klaren sein müssen,

daß Gier, Haß und Verblendung die drei Äußerungsarten des Durstes darstellen *.

* Der Durst quillt jeweils aus der Empfindung hervor,

und zwar bei der angenehmen Empfindung in Form der Gier,

bei der unangenehmen in Form des Hasses oder Abscheues

und bei der weder angenehmen noch unangenehmen in der Form,

daß man das die Empfindung auslösende Objekt zwar angeht,

aber nur um zu finden, daß es für den Willen nicht in Betracht kommt.

Man betrachtet also auch diese für den Durst untauglichen Objekte

in seiner Verblendung ausschließlich unter dem Gesichtspunkt dieses Durstes,

statt sich darüber klar zu werden,

daß auch sie anatta sind und uns deshalb überhaupt nichts angehen:

»Der freudigen Empfindung haftet der Trieb der Gier an,

der leidigen Empfindung haftet der Trieb des Hasses an,

der weder freudigen noch leidigen Empfindung haftet der Trieb des Nichtwissens an«.

(M. N» 44. Suttam)

sonach-werden in der im Kanon regelmäßig wiederkehrenden Dreiteilung

»Gier, Haß und Verblendung« eben die drei möglichen Äußerungsarten des Durstes dargestellt.

Übrigens wird im Sam. Nik. l. 7 : 4 klipp und klar festgestellt:

»Nach der Ausmerzung des Durstes spricht man von Nibbanam.«

 

Weil so Nibbanam nichts anderes als die Erlösung ist,

wird es, wie diese, ebenfalls schon hienieden erlebt:

»‚Das klar sichtbare Nibbanam‘, so sagt man, Herr Gotamo.

Inwiefern ist nun aber das Nibbanam klar sichtbar, jederzeit zugänglich, lädt es ein:

»Komm und sieh!(, ist es Führer, können Weise es in sich erleben?« –

»Wenn man, Brahmane, die Gier – nach einem Körper und Geist * – entlassen hat,

* Körper und Geist = »die fünf Haftensgruppen«.

den Haß entlassen hat, die Verblendung – (daß Körper und Geist uns angehören) – entlassen hat,

dann denkt man nicht mehr, was einem selber Harm verursachen könnte,

denkt man nicht mehr, was dem anderen, denkt man nicht mehr, was beiden Harm verursachen könnte;

auch empfindet man kein geistiges Leid, keine geistige Bedrückung mehr.

So – indem man all das in sich verwirklicht sieht – ist das Nibbanam klar sichtbar, jederzeit zugänglich,

lädt es ein: ‚Komm und sieh‘!, ist es Führer, können Weise es in sich erleben *.« (* Anguttara Nik. Ill. 55)

 

Somit erlischt auch hiernach im Tod des Heiligen nichts von ihm selbst;

denn trotz des eingetretenen Erlöschens – Nibbanam – lebt er sogar noch hienieden weiter;

sondern es erlöschen nur Gier, Hals und Verblendung von denen wohl kein denkender Mensch behaupten wird, daß sie sein Wesen bilden,

es erlischt nur – als ihre Zusammenfassung – die lodernde Flamme des Durstes,

mit der Welt in Berührung zu bleiben *.

* Daß dieses Erlöschen nichts weiter als das Erlöschen des dürstenden Willens ist,

kommt auch im Vers 283 des Dhammapadam dadurch sehr schön zum Ausdruck,

daß dort statt nibbuto erloschen, nibbano, willenlos, gesagt wird.

Freilich muß, wie wir wissen, infolge des Erlöschens dieses dürstenden Willens – im kommenden Tod –

auch der mit den sechs Sinnen behaftete Körper definitiv,

ohne daß sich ein neuer bildet, zugrunde gehen;

aber dieses vollkommene Erlöschen, Parinibbanam,

berührt den Heiligen genau so wenig, wie das schon zu Lebzeiten erfolgte Erlöschen, Nibbanam.

War der Durst nach der Welt schon etwas,

was er unbeschadet seiner selbst als ein seinem tiefsten Wesen Fremdes verlieren konnte,

so gilt das noch viel mehr vom körperlichen Organismus als dem bloßen »Machtwerk des Durstes *«,

* Majj. Nik. l, p. 185 (28. Suttam).

als dem von diesem aufgebauten Berührungsapparat.

Parinibbanam ist eben nichts weiter

als das definitive Erlöschen aller Bestandteile des Anatta, des Nicht-selbst;

es ist das cmupcidisesanibbdnem, das Erlöschen ohne einen Rest von Beilegungen,

im Gegensatz zu dem bereits bei Lebzeiten eintretenden Erlöschen,

dem sa-upadisesa-nibanam, dem Nibbanam mit einem Rest von Beilegungen *.

* Den Rest von Beilegungen — upadhis (cfr. Unt., S. 400, Anm. 46) –

bilden natürlich die als Persönlichkeit erscheinenden fünf Haftensgruppen.

 

Eben in dieser Weise

durchschaut der Heilige vom Moment des Eintrittes Nibbanams an sein ganzes Verhältnis zur Welt

– es ist wohl ohne weiteres klar,

daß zur Welt auch die sämtlichen Bestandteile seiner Persönlichkeit selbst gehören –

er erwacht

aus dem langen, während des Samsaro geträumten, in den Sinnentätigkeiten unterhaltenen Lebenstraum,

in welchem er sich als zur Welt gehörig wähnte *,

* Eben deshalb nennt sich Gotamo den Bad-ihm den Erwachten

oder den Samma-sambuddho, den vollkommen Erwachten.

und besinnt sich darauf, daß der ihm allein angemessene Zustand das Aufhören aller Hervorbringungen

und damit der ewige Friede, die ewige Stille ist:

»Das ist das Friedvolle, das ist das Hocherhabene:

das Aufhören aller Hervorbringungen (sabbasankharasamatho),

das sich-losmachen von allen Beilegungen, das Versiegen des Durstes, die Reizfreiheit,

die Aufhebung *, (* »Aufhebung« – Aufhebung der Bestandteile des Nicht-Ich.)

das Nibbanam *.« (* Majj. Nik. I, p. 436 (64. Suttam))

Parinibbanam kann hiernach also auch definiert werden

als die definitive Einstellung aller Hervorbringungen –

»wenn du den Untergang der Hervorbringungen * erkannt hast, (* Sankhara)

kennst du das Ungewordene *« – (* Dhammapadam, V. 383)

Nibbanam aber als ihre völlige Beherrschung mangels jeder weiteren Anhänglichkeit an sie,

unter Umständen bis zu dem Grad,

daß man sie schon bei Lebzeiten nach Belieben sämtlich gänzlich einzustellen vermag *.

* Wie wir gesehen haben, sind Erlösung und völliges Erlöschen (parinibbanam) synonyme Begriffe.

Die Erlösung nach dem Buddho ist also etwas ganz anderes als die im Christentum.

Das wird noch deutlicher durch Folgendes:

Das gewöhnlich mit »Erlösung« übersetzte Pali-Wort »vimutti« bedeutet wörtlich »Loslösung«,

nämlich Loslösung von Körper und Geist,

mehrfach auch kurz als »Loslösung des Geistes« bestimmt:

»Wie das Erlöschen (nibbanam) einer Lampe, war die Loslösung seines Geistes«,

sprach der grobe Anuruddho unmittelbar nach dem Tod des Buddho.

Das besagt: Wenn das Öl oder der Docht einer Lampe verbraucht ist,

löst sich die Flamme los, sie verschwindet

und, wie auch schon die alten Inder sagten,

die Lampe – selber durch den Vorgang unberührt – ist erloschen.

Ganz ebenso sagt der Buddho von einem Vollendeten,

dessen Geist (Bewußtsein) sich mit dem Zerfall seines Körpers

als des Bewußtseinsapparates auf ewig von ihm losgelöst hat:

er ist – (wie die Lampe) – »vollkommen erloschen«.

Weiter ergibt sich:

Wie sich nicht die Lampe von der Flamme. sondern die Flamme von der Lampe loslöst,

so ist das Versinken in das Parinibbanam keine Handlung des Vollendeten,

sondern einfach ein Abfallen des »mit Bewußtsein behafteten Körpers« von ihm,

wie sich ein herabfallender Ast zugleich mit den an ihm hängenden Früchten vom Stamm loslöst.

(vgl. oben S. 144, Anm. 197, das Gleichnis von dem Mangobüschel).

Losgelöst kann man sowohl sein, wenn man sich selber von etwas losgelöst hat,

als auch wenn etwas Fremdes, wie Schmutz, sich von uns ablöst.

 

* * *

 

Nunmehr sind wir an dem Punkte angelangt, wo jeder sich schlüssig machen kann.

ob er noch ferner in der Welt bleiben

oder den Kampf zu ihrer Überwindung und zur Trennung von ihr aufnehmen will.

So lautet nämlich das Problem, nicht aber so, wie es sich »der gewöhnliche Mensch« vorstellt.

Der wähnt, der Tod habe die Vernichtung der Welt für ihn zur unabweisbaren Folge,

und der deshalb kein anderes streben kennt,

als die Dauer seines Aufenthaltes in ihr möglichst zu verlängern,

während doch umgekehrt die Sachlage die ist,

daß uns in alle Ewigkeit hinein, solange wir es nur wollen, das Leben sicher ist

– der Satz Schopenhauers »dem Willen zum Leben ist das Leben gewiß« gilt, wie wir gesehen haben,

auch nach dem Buddho vollumfänglich –

und es sich nicht darum handelt, wie wir möglichst lange in der Welt bleiben,

sondern wie wir ihr ehestens entrinnen können.

Die Alternative, die jedem fortwährend offen steht, ist mithin in Wahrheit die:

Entweder er verzichtet auf die Sinnentätigkeiten nicht und nimmt dafür in Kauf,

daß er stets von neuem den Vorgang der Geburt über sich ergehen lassen muß,

immer wieder den Plackereien und Kümmernissen des Lebens, allen möglichen Krankheiten,

schließlich dem Altern und jedesmaligem Sterben preisgegeben ist,

ja, daß er im Laufe des endlosen Samsaro mit Sicherheit auf unermeßliche Zeiträume

auch wieder in die Abgründe des Seins, die Tier- und Höllenwelten, hinuntersinkt *,

* Daß auch ein edler Mensch wieder in das Tierreich hinabsinken kann,

ergibt sich aus der Zahllosigkeit der uns noch bevorstehenden Wiedergeburten,

während deren sich – nach der Regel:

es ist unwahrscheinlich,

daß das Unwahrscheinliche nie geschehe – alle Möglichkeiten erschöpfen können:

Unmerkbar gleitet man mit jeder neuen Geburt eine Nuance tiefer,

bis man schließlich einmal bei der Gemütsart eines Tieres angelangt ist,

womit der unmittelbare Übergang in dessen Bereich eröffnet ist.

oder: er entsagt für immer allen Sinnentätigkeiten, legt demzufolge den Körper auf ewig ab

und ist als Gegenwert dafür auch für ewig allem Leid irgend welcher Art entronnen.

 

Doch so klar diese Alternative ist,

so kann sich »der unkundige Weltmensch« doch immer noch nicht zu einer definitiven Wahl entschließen.

Denn noch bleibt für ihn, auch soweit er sich rein erkennend zu verhalten bemüht ist, ein großes Bedenken übrig, das er durch die bisherigen Ausführungen nicht widerlegt findet.

Er weiß sich nämlich als ein Wesen, »das Wohl begehrt und Wehe verabscheut *«.

* Majj. Nik. ll, p. 159 (94. Suttam).

Nun sieht er im bisherigen zwar die Möglichkeit, dem Wehe zu entrinnen,

aber, wie es scheint, nur um den Preis, daß für ihn auch alles Wohl für immer dahin ist;

er hat die Empfindung, daß ein solcher Zustand unmöglich entsprechend für ihn sein könne,

sicherlich nicht so entsprechend, wie der auf dieser Welt, auf der es zweifellos auch Lust für ihn gibt,

wie der Buddho das ja selber einräumt:

»Nicht das ist es, Mönche, als ob die Lust am Körperlichen – an der Empfindung – an der Wahrnehmung –

an den Gemütsregungen – am Erkennen nicht vorhanden wäre;

denn da würden sich ja die Wesen vom Körperlichen – von der Empfindung – von der Wahrnehmung –

von den Gemütsregungen – vom Erkennen nicht hinreißen lassen *.« (* Samyutta Nikayo XXlI. 28.)

 

Freilich geht diese Lust schließlich immer wieder in Leid über:

»Ist Lust aufgegangen, geht Leid auf,

das, Punno, sage ich *«; (* Majj. Nik. lll. p. 267 (145. Suttam))

und freilich überwiegt letzten Endes immer das Leid: »Das Elend überwiegt *«;

* Majj. Nik. l. p. 364 (54. Suttam).

aber immerhin kommt dabei doch auch jene andere Seite in uns, die Wohl begehrt,

wenigstens einigermaßen zur Geltung.

 

Der Buddho verkennt die Gewichtigkeit dieses Einwandes nicht;

ja, er räumt direkt ein, daß es trotz aller Leidenserkenntnis unmöglich wäre,

den Durst nach der Welt zu überwinden,

wenn das Verlangen nach Wohlsein nur in der Welt und mittels ihrer befriedigt werden könnte,

wenn dasselbe also nicht auch beim Streben nach Loslösung von der Welt ebenso,

ja noch in unvergleichlich höherem Grad auf seine Rechnung käme.

»‚Unbefriedigend sind die Sinnenfreuden, voller Qual, voller Verzweiflung, das Elend überwiegt‘:

wenn der erlesene Jünger, Mahanamo,

diesen Satz der Wirklichkeit gemäß mit vollkommener Weisheit erkannt hat,

aber er findet außer den Sinnenfreuden, außer dem Schlechten

keine Glückseligkeit und nichts Besseres,

so tanzt er eben immer noch um die Sinnenfreuden herum,

sobald aber, Mahanamo, der erlesene Jünger den Satz:

‚Unbefriedigend sind die Sinnenfreuden, voller Qual, voller Verzweiflung, das Elend überwiegt‘

der Wirklichkeit gemäß mit vollkommener Weisheit erkannt hat,

und er findet stiller den Sinnenfreuden, außer dem Schlechten Glückseligkeit und Besseres,

so tanzt er nicht mehr um die sinnenfreudenherum.

Auch ich, Mahanamo, hatte schon vor der vollen Erwachung,

als unvollkommen Erwachter, Erwachung erst Erringender, den Satz:

‚Unbefriedigend sind die Sinnenfreuden, voller Qual, voller Verzweiflung, das Elend überwiegt‘

der Wirklichkeit gemäß mit vollkommener Weisheit erkannt,

doch außer den Sinnenfreuden, außer dem Schlechten

fand ich keine Glückseligkeit und nichts Besseres,

und so gewahrte ich denn, daß ich eben immer noch um die Sinnenfreuden herumtanzte.

Sobald ich aber, Mahanamo, den Satz:

‚Unbefriedigend sind die Sinnenfreuden, voller Qual, voller Verzweiflung, das Elend überwiegt‘

der Wirklichkeit gemäß mit vollkommener Weisheit erkannt hatte

und außer den Sinnenfreuden, außer dem Schlechten Glückseligkeit gefunden hatte und Besseres,

da gewahrte ich, daß ich nicht mehr um die Sinnenfreuden herumtanzte *.«

(* Majj. Nik. I, p. 91 (14. Suttam))

 

Wie sehr der Buddho die Rechtmäßigkeit des Verlangens nach Wohlsein anerkennt, geht,

zugleich mit dem Hinweis auf die Unbegründetheit der Befürchtung,

dasselbe könnte in der Erlösung von der Welt und auf dem Wege zu ihr nicht befriedigt werden,

in präziser Form besonders auch aus folgender Stelle hervor:

 

»Potthapado, ich künde euch die Lehre,

die euch erlösen soll vom Besitz des materiellen – des geistigen – des körperlosen Selbstes

– (darunter ist der angenommene Besitz eines solchen Selbstes gemeint) * –

* »Potthapado, wenn andere mich fragen würden:

‚Freund, welches ist aber der Besitz des materiellen – des geistigen – des körperlosen Selbstes,

von dem du durch deine Lehre befreien willst …?‘

so würde ich ihnen antworten: ‚Freund, es ist lediglich

jener von euch angenommene Besitz des materiellen – des geistigen – des körperlosen Selbstes,

von dem ich euch durch die Verkündung meiner Lehre loslösen will‘«. (Digha Nik. lX) –

Also auch hier wieder: Der Buddho will uns von dem Wahn befreien,

als ob es ein körperliches (= grobstoffliches) oder ein geistiges (= feinsreales – cfr. oben S. 53 f.)

oder ein in der Nichtkörperwelt – s. oben S. 163, Anm. 24 – seinen Standort habendes Selbst gäbe,

in dem wir bestanden wären, kurz, als ob wir irgendwie von der Welt wären.

bei deren Befolgung alle Bedeckung von euch abfallen, eure Reinheit zunehmen wird

und ihr schon hier im Irdischen die Fülle und ganze Entfaltung der Weisheit

durch eigene Erkenntnis schauen dürft und zu dauerndem Besitz gewinnt( Potthapado. es könnte nun sein, daß du so denkst:

‚Die Beschmutzung mag ja-schwinden, die Reinheit zunehmen

und man mag ja wohl schon hier im Irdischen die Fülle und ganze Entfaltung der Weisheit

durch eigene Erkenntnis schauen und zu dauerndem Besitz gewinnen,

das wird aber doch ein recht trübseliges Leben sein.‘

So dürft ihr indessen die Sache nicht ansehen, Potthapado, vielmehr wird alles Erwähnte eintreten

und dann Freude, Heiterkeit, Beruhigung,

ernstes Sich-besinnen und Vollbewußtheit und Glückseligkeit folgen *.« (* Dighs Nik. IX.)

 

Das Emporklimmen zur Höhe der Erlösung, zu Nibbanam,

hat also, je näher man dem Ziele kommt, desto mehr Wohl in seinem Gefolge,

und zwar ein Wohl. von dessen Größe sich der Weltmensch keinen Begriff macht.

Es sei hier speziell die Schilderung jenes glückseligen Zustandes wiedergegeben *, (* Digha Nik. Il.)

in den der kämpfende Jünger eintritt, wenn es ihm mit der Zeit gelingt,

seinen Geist von allen störenden Einflüssen der Außenwelt freizumachen

und darauf in die vier beschaulichen Schauungen einzutreten,

von denen später noch weiter zu reden sein wird:

 

»Ausgerüstet mit der Gruppe Hoher Sittenreinheit, Hoher Wachsamkeit gegenüber den Sinnen,

Hoher besonnener Vollbewußtheit und Hoher Zufriedenheit mit dem Gewand, das seinen Körper schützt,

und der Almosenspeise, die seinen Leib erhält,

sucht er eine weltentrückte Wohnstätte auf, eine Einöde,

den Raum unter den Luftwurzeln eines Baumes, einen Berg, eine Schlacht, eine Felsenhöhle,

einen Bestattungsplatz, ödes Waldgestrüpp, eine Stelle unter freiem Himmel oder einen Strohhaufen.

Dort setzt er sich nach der Mahlzeit, vom Almosengang zurückgekehrt,

mit gekreuzten Beinen nieder, mit gerade aufgerichtetem Oberkörper

und läßt die Besonnenheit erstehen.

 

»Er erstickt jegliches Interesse am Welttreiben und hält sein Denken frei davon.

So läutert er sein Denken von weltlichem Interesse.

Er erstickt Übel-wollen und Schadenfreude und hält sein Denken frei davon;

er ist vielmehr voll Erbarmen gegen alles Lebendiggewordene.

So läutert er sein Denken von Übelwollen und Schadenfreude.

Er überwindet geistige Schlaffheit und Energielosigkeit und hält sie von sich fern.

Hellsichtig ist er, besonnen, klar bewußt.

So läutert er sein Denken von geistiger Schlaffheit und Energielosigkeit.

Er erstickt Gedankengestöber, wie auch beengende Ängstlichkeit (uddhacea-kukkuecam)

und ist hinfort davon frei.

Damit vollzieht sich sein Denken in ungestörter Ruhe,

so läutert er sein Denken von Gedankengestöber, wie auch beengender Ängstlichkeit *.

* Zu uddhacea-kukkuccam s. Ang. Nik. Ill, Nr. 128.

Er erstickt die Zweifelsucht, kein Zweifel sucht ihn mehr heim

und nicht kennt er mehr ein Schwanken des Urteils in den heilsamen Dingen.

So läutert er sein Denken von der Zweifelsucht.

 

»Großer König, es ist damit so (wie mit dem Loswerden folgender lästiger Dinge):

Jemand muß Geld borgen, um es in geschäftliche Unternehmungen zu stecken,

die Unternehmungen glücken aber,

so daß er dann nicht nur jene früher aufgenommene Schuld abtragen kann,

sondern auch noch eine Summe darüber hinaus übrig behält, um davon seiner Frau Putz zu kaufen.

Der denkt dann: ‚Ich mußte früher das Geld borgen,

das ich in meine geschäftlichen Unternehmungen steckte,

die Unternehmungen glückten aber,

und ich konnte nicht nur jene früher aufgenommene Schuld abtragen,

sondern ich habe auch noch ein Sümmchen übrig behalten, um meiner Frau schmuck davon zu kaufen‘, und freut sich darüber und ist vergnügt.

 

»Oder; großer König, jemand befindet sich nicht wohl, ist leidend, schwer krank,

das Essen schmeckt ihm nicht, und der Körper ist entkräftet.

Nach einiger Zeit aber erholt er sich von dieser Krankheit,

das Essen schmeckt ihm wieder, und seine Körperkräfte kehren zurück.

Da denkt er: »Ich befand mich vorher nicht wohl, ich war leidend, schwer krank,

das Essen schmeckte mir nicht,

und der Körper war entkräften jetzt aber habe ich mich von dieser Krankheit erholt,

das Essen schmeckt mir wieder, und meine Körperkräfte kehren zurück(,

und freut sich darüber und ist vergnügt.

F »Oder. groner König» es sitzt einer im Gefängnisse, wird aber später freigelassen, gesund und heil, und sein Besitz ist unangetastet geblieben.

Der denkt dann: ‚Ich war früher im Gefängnisse, jetzt aber bin ich wieder frei, gesund und heil,

und mein Besitz ist unangetastet geblieben‘, und freut sich darüber und ist vergnügt.

 

Oder, großer König, jemand ist Sklave, nicht sein eigener Herr, einem anderen untertan,

und darf nicht gehen, wohin ihm beliebt, später aber wird er aus der Sklaverei entlassen

und ist somit sein eigener Herr, keinem anderennmehr untertan, frei und kann gehen, wohin ihm beliebt.

Der denkt dann: ‚Ich war früher Sklave, nicht mein eigener Herr,

einem anderen untertan und konnte nicht gehen, wohin mir beliebte;

jetzt aber bin ich aus der Sklaverei entlassen

und mein eigener Herr, keinem anderen mehr untertan, frei und kann gehen, wohin mir beliebt‘,

und freut sich darüber und ist vergnügt.

 

Oder. großer König, ein vermögender, reicher Mann zieht seine Straße durch eine wilde Waldgegend,

wo die Gefahr des Verhungerns und andere Gefahren drohen.

Endlich aber hat er sie hinter sich

und kommt unversehrt zu einem friedlichen, Sicherheit gewährenden Dorf.

Der denkt dann: ‚Ich bin eine Straße durch eine wilde Waldgegend gezogen,

wo die Gefahr des Verhungerns und andere Gefahren drohten.

Jetzt aber habe ich sie hinter mir und bin in einem friedlichen, Sicherheit gewährenden Dorf‘,

und freut sich darüber und ist vergnügt.

 

»Großer König, wie eine Schuld,

wie Krankheit, Gefängnis, Sklaverei, oder eine Reise durch wilde Waldgegend,

so betrachtet ein Mönch der genannten Art jene fünf Hemmnisse

– (des reinen verkennenden Schauens *‘) – (* nanadassanam.)

solange er sie in seinem Innern noch nicht überwunden hat.

Und wie das Abtragen einer Schuld, Genesung von Krankheit,

Entlassung aus dem Gefängnis, Freilassung aus der Sklaverei, Erreichung eines sicheren Asyls,

so betrachtet ein solcher Mönch das innere Freiwerden von jenen fünf Hemmnissen.

 

»Sobald er nun wahrnimmt, daß sie aus seinem Inneren getilgt sind,

erhebt sich in ihm heitere Zufriedenheit.

Aus heiterer Zufriedenheit entwickelt sich Frohsinn.

Ist sein Geist von Frohsinn erfüllt, so beruhigt sich auch der körperliche Teil von ihm.

Ist der Körper beruhigt, so fühlt er sich behaglich.

Weil Wohlbefinden in ihn eingekehrt ist, konzentriert sich sein Geist.

Und so gewinnt er, fern von den Sinnenfreuden, fern von den unheilschwangeren Dingen,

die im energischen Denken und Erwägen bestehende erste beschauliche Schauung

mit all dem von Freude durchwogten Wohlbefinden, das aus der Weltentrücktheit erwächst,

und hält sie fest.

Er tränkt diesen seinen Körper, überschüttet ihn vollständig,

erfüllt ihn ganz und durchdringt ihn von allen Seiten mit dem von Freude durchwogten Wohlbefinden,

das aus der Weltentrücktheit erwächst,

so daß kein einziges Winkelchen desselben von dem von Freude durchwogten Wohlbefinden,

das aus der Weltentrücktheit erwächst, undurchdrungen bleibt.

 

»Wie wenn, großer König, ein tüchtiger Bader oder Badergehilfe in ein Metallgefäß Waschpulver tut,

es mit Wasser fortgesetzt anfeuchtet und knetet,

und wie der so entstandene zum Baden benutzte Teig

mit Feuchtigkeit ganz durchdrungen, gesättigt, innen und außen vollgesogen ist, ohne zu tropfen:

Geradeso, großer König, tränkt ein solcher Mönch diesen seinen Körper,

überschüttet ihn vollständig, erfüllt ihn ganz und durchdringt ihn von allen Seiten

mit dem von Freude durchwogten Wohlbefinden,

daß aus der Weltentrücktheit erwächst,

so das kein einziges Winkelchen desselben von dem von Freude durchwogten Wohlbefinden,

das aus der Weltentrücktheit erwächst, undurchdrungen bleibt.

 

»Dann wieder gewinnt der Mönch, indem er auch allem Denken und Erwägen ein Ende macht,

die volle innere Beruhigung, die Einheit des Geistes

und damit die von Denken und Erwägen freie zweite beschauliche Schauung

mit ihrem durch die Konzentration ausgelösten, von Freude durchwogten Wohlbefinden und hält sie fest.

Er tränkt diesen seinen Körper, überschüttet ihn vollständig, erfüllt ihn ganz und durchtränkt ihn von allen Seiten mit dem von Freude durchwogten Wohlbefinden, das aus der Konzentration erwächst, so das kein einziges Winkelchen desselben von dem von Freude durchwogten Wohlbefinden, daß aus der Weltentrücktheit erwächst, undurchdrungen bleibt.

 

»Großer König,

es verhält sich damit wie mit einem Teich, der von einer Quelle in sich selbst gespeist wird,

von außen aber keinen Zufluß hat, weder auf der Ost- noch auf der West-, Nord- oder Südseite,

und in den es auch nicht von Zeit zu Zeit einmal ordentlich regnet.

Diesen Teich speist der in sich selbst quellende kühle Wasserstrom mit kühlem Wasser,

durchströmt, füllt und umflutet ihn ganz damit,

so das kein einziges Winkelchen des Teiches von kühlem Wasser undurchdrungen bleibt:

geradeso, großer König, tränkt ein solcher Mönch diesen seinen Körper, überschüttet ihn vollständig,

erfüllt ihn ganz und durchdringt ihn von allen Seiten mit dem von Freude durchwogten Wohlbefinden,

das aus der Konzentration erwächst,

so daß kein einziges Winkelchen des Körpers von dem von Freude durchwogten Wohlbefinden,

das aus der Weltentrücktheit erwächst, undurchdrungen bleibt.

 

»Dann wieder, großer König, kommt der Mönch auch über die Freude hinüber

und verharrt gleichgültig – (gegenüber den fünf Haftensgruppen) – besonnen, klar bewußt.

Dabei empfindet er jenes Wohlbefinden in seinem Körper, daß die Erlesenen meinen, wenn sie sagen: ‚Der Gleichmütige, Besonnene lebt in Wohlbefinden‘:

so hat er die dritte beschauliche Schauung erreicht und hält: sie fest.

 

»Er tränkt diesen seinen Körper, überschüttet ihn vollständig,

füllt ihn ganz und durchdringt ihn von allen Seiten mit dem Wohlbefinden, das jenseits von Freude ist,

so daß kein einziges Winkelchen desselben von diesem Wohlbefinden undurchdrungen bleibt.

 

»Wie, großer König, in einer Gruppe blauer, weiser oder roter Lotusse

manche mit allen ihren Teilen, mit Wurzel, Stiel und Blüte, unterhalb der Oberfläche des Wassers bleiben,

ausschließlich im Wasser vegetieren

und von der Wurzel bis zur Spitze von der kühlen Feuchtigkeit

getränkt, umspült, geschwellt und benetzt werden,

so das auch nicht die kleinste Stelle an ihnen von der kühlen Feuchtigkeit unbenetzt bleibt:

geradeso, großer König,

tränkt ein solcher Mönch seinen irdischen Körper mit dem Wohlbefinden. das jenseits von Freude ist,

überschüttet ihn vollständig, erfüllt ihn ganz

und durchdringt ihn von allen Seiten mit diesem Wohlbefinden, das jenseits der Freude ist,

so daß kein einziges Winkelchen von diesem Wohlbefinden undurchdrungen bleibt. –

 

»Dann wieder, großer König,

gibt der Mönch auch dem Wohlbefinden, so gut wie dem Leiden, den Abschied,

nicht zu reden von der früheren Fröhlichkeit und Niedergeschlagenheit,

und gewinnt so die über alles Leid und alles Wohlbefinden erhabene völlige Reinheit der Besonnenheit

mit dem – (vollendeten) – Gleichmut als Frucht:

er hat die vierte beschauliche Schauung erreicht und hält sie fest.

So sitzt er in seiner Körperlichkeit da, sie übergießend mit ganz reiner, lichter Geistigkeit,

das auch nicht das kleinste Winkelchen seines Körpers von ihr undurchdrungen bleibt.

 

»Großer König, wie wenn jemand vom Kopf bis zu den Füßen weiß gekleidet dasitzt,

so daß keine einzige Stelle seines ganzen Körpers nicht weiß umhüllt ist:

geradeso, großer König, sitzt ein solcher Mönch da,

diesen seinen Körper mit ganz reiner, lichter Geistigkeit übergießend,

daß nicht das kleinste Winkelchen desselben von ihr undurchdrungen bleibt.«

 

Allerdings ist dieses Wohl von ganz anderer Art als das sinnenwohl.

Es ist »das Wohl der Loslösung, Wohl der Einsamkeit, Wohl der Beruhigung, Wohl der Erwachung«,

das keinerlei Leiden in seinem Gefolge hat,

weshalb von ihm gilt: »Zu pflegen und zu hegen und zu mehren ist es.

Nicht zu hüten hat man sich vor solchem Wohl, sage ich *.« (* Majj. Nik. Ill, p. 23 (139. Suttam))

 

Wer dieses Wohl einmal genossen hat, der

hat »außer den Sinnenfreuden, außer dem schlechten Glückseligkeit gefunden und Besseres«,

für ihn wird »das Sinnenwohl

ein kotiges Wohl, gemeines Wohl, unheiliges Wohl *“, (* Majj. Nik. Ill, p. 23 (139. Suttam))

auf daß er nunmehr angesichts jenes »heroischen Wohles *« (* Majj. Nik. Ill, p. 23 (139. Suttam))

leicht verzichten kann,

um das er nicht mehr »herumtanzt«,

ja, das ihm als eine erbärmliche Fratze jenes wirklichen Wohles im Innersten widersteht:

»Was meinst du wohl, Brahmane, wenn Feuer, durch Heu und Holz genährt, entfacht würde

oder wenn Feuer, durch regengetränktes Heu und Holz genährt, entfacht würde,

welches von beiden hätte da Flamme und Glanz und Leuchtkraft?« –

»Wäre es möglich, oh Gotamo, Feuer, durch regengetränktes Heu und Holz genährt» zu entfachen,

so hätte auch dieses Feuer Flamme und Glanz und Leuchtkraft.« –

»Unmöglich ist es, Brahmane,

es kann nicht sein, daß Feuer, durch regengetränktes Heu und Holz genährt, entfacht werde,

es sei denn durch magische Macht.

Gleichwie nun, Brahmane,

als ob man Feuer, durch regengetränktes Heu und Holz genährt, entfachen wollte,

erscheint mir, Brahmane, eine Heiterkeit durch die fünferlei Sinnenfreuden hervorgerufen *.«

* Majj. Nik. ll, p. 203 (99. Suttam).

 

Doch ist dieses »vollkommene Wohlsein« noch nicht alles:

»Es gibt, Udayi, noch andere Dinge, die besser und vorzüglicher sind,

um deren Erreichung die Mönche bei mir das heilige Leben führen *.« (* Majj. Nik. ll, p. 37 (79. Suttam))

Über diesem »sichtbaren Wohl u stehen nämlich »die friedvollen Zustände *«,

* »Santa vihara« (Majj. Nik. I, p. 41: 8. Suttam).

die der strebende Jünger, die ganze Körperwelt tief unter sich zurücklassend, erlebt,

wenn sich seinem geistigen Auge nur mehr der Bereich des unbegrenzten Raumes,

dann der Grenzenlosigkeit des Bewußtseins präsentiert,

das in die anschauliche Erkenntnis der ungeheuren Leere, der allein er sich dann noch gegenübersieht,

ausmündet:

»Leer ist das von mir und etwas mir Zugehörigem.«

Auf diesen einsamen Höhen kommt unaussprechlicher Friede über ihn

– »Hier ist kein Elend, hier ist keine Bedrängnis *« -, (* Mahavaggo l. 7-10.)

bis er mit Vernichtung jeglicher Wahrnehmung und Empfindung der Friede selbst geworden ist.

Wer diesen Zustand einmal an sich erfahren hat, der ist für das Getümmel der Welt verloren,

auch wenn er wieder zu ihr erwacht:

»sein Geist neigt sich zur Einsamkeit, beugt sich zur Einsamkeit, senkt sich zur Einsamkeit *.«

* Majj. Nik. l. p. 301 (44. Suttam).

Die einzige Sehnsucht, deren ein solcher noch fähig ist,

kann nur noch darin bestehen, diesen Zustand vollendeten Friedens zu einem ewigen zu machen,

Nibbanam ganz zu verwirklichen.

Denn für ihn ist er die höchste Seligkeit.

 

So erweist sich denn Nibbanam als der ewige Friede,

»die ewige Stille«, die »ewige Ruhe *«, (* Majj. Nik. lll, p. 110 (122. Suttam))

in deren Bereich der Erlöste schon bei Lebzeiten eintritt, die er mit seinem Tod restlos verwirklicht

und in der er, »was wahr und echt ist *«, (* Majj. Nik. lll, p. 246 (140. Suttam))

für immer in Besitz genommen hat *.

* Wie einen erratischen Block finden wir den Hinweis auf diese ewige Ruhe.

Den ewigen Frieden auch in der katholischen Kirche wieder,

wenn wir sie, ganz im Gegensatz zu ihrer sonstigen Lehre vom ewigen Lehen,

am offenen Grab beten hören: »Herr, gib ihm die ewige Ruhe!« –

Hier wird auch deutlich, daß der Gegensatz von Leben nicht der Tod ist.

Dieser gehört zum Leben, so gut wie die Geburt.

Unter ihm wird vielmehr nur der jeweilige Augenblick in unserem großen Weltenleben verstanden,

in welchem der bisherige körperliche Organismus fahrengelassen

und an einem neuen Keim zu neuem Leben gehaftet wird.

Der Gegensatz von Leben ist vielmehr, da Leben = Bewegung ist,

Ruhe, ect. von der rastlosen Bewegung der fünf Gruppen,

welche Ruhe definitiv aber erst mit der Heiligkeit erreicht wird,

woraus zugleich die Selbsttäuschung ersichtlich wird,

die in Ausdrücken wie »Grabesruhe«, »Ruhe der Toten« liegt.

Dieser GROSSE FRIEDE steht höher als alles »vollkommene Wohlsein«,

höher als alle »selige Ruhe«, die hienieden gewonnen werden kann.

All das ist »unzulänglich *«; (* Majj. Nik. l, p. 455 (66. Suttam))

denn es hat noch den einen Fehler, das es »hervorgebracht, zusammengesonnen« ist;

»was aber irgend hervorgebracht, zusammengesonnen ist,

das ist wandelbar, muß untergehen *;« (* Majj. Nik. l, p. 352 (52. Suttam))

es führt also nicht definitiv über die Vergänglichkeit und damit über das Leiden hinaus;

die ewige Ruhe allein ist als das Wechsellose der leidlose Zustand.

Denn wo kein Wechsel vor sich geht, da kann auch nichts mehr

und somit auch der Erlöste selbst nicht mehr – durch Anhaften – entstehen;

»Das gibt es nicht mehr bei ihm; wodurch er entstünde.

Weil er nicht entsteht, wie sollte er vergehen?

Weil er nicht vergeht, wie sollte er ersterben?

Weil er nicht erstirbt, wie sollte er erbeben?

Weil er nicht erhebt, wonach sollte er verlangen *?« (* Majj. Nik. lll, p. 246 (140. Suttam))

Man ist »still geworden«, »still geworden« aber »neigt man sich nicht;

neigt man sich nicht, kommt man und geht man nicht;

kommt man und geht man nicht, erscheint und verschwindet man nicht;

erscheint und verschwindet man nicht,

gibt es kein hüben und kein drüben noch inmitten sein:

es ist eben das Ende vom Leiden *«; (* Majj. Nik. lII, p. 266 (144. Suttam))

ja, es ist lautete Seligkeit: »Seligkeit ist das Nibbanam, Seligkeit ist das Nibbanaka,«

ruft Sariputto aus *; (* Angutt. Nik. vol. IV, p. 414 f. (IX, 34))

noch mehr: es ist die höchste Seligkeit:

»Hunger ist die schwerste Krankheit;

die Hervorbringungen * sind das schwerste Leid. (* sankhara.)

Dies erkennend, wahrhaftig, erlangt man das Nibanam, die höchste Seligkeit *.«

* Dhammapadam, V. 203.

 

Denn Ruhe, Friede und Seligkeit sind ja im Grunde eins:

»Der von Güte durchdrungen ist. der Mönch. der an Buddhas Lehre hält.

er wende sich zum Pieris-sollen Zustande, wo die Vergänglichkeit Ruhe findet, zur Seligkeit *.«

* Dhammapaclam, V. 368.

 

Doch hier wird der »normale« Verstand wieder einmal protestieren.

Wie kann da Seligkeit sein,

wo absolute Ruhe herrscht derart, daß nicht einmal mehr irgend etwas empfunden wird?

So wird er fragen, ganz im Einklang mit jenem Zeitgenossen Sariputtos,

der auf des letzteren Ausruf: »Seligkeit ist das Nibbanam, Seligkeit ist das Nibbanam«

ihm verwundert vorhielt:

»Wie kann da Seligkeit sein, wo keine Empfindung ist?«;

und wie dieser wird wohl auch der heutige Frager die Antwort Sariputtos nicht ohne weiteres verstehen:

»Eben dies, Freund, ist die Seligkeit, daß hier keine Empfindung ist *«; (* Angutt. Nik. l. c.)

weshalb wir uns auch hiermit noch kurz befassen wollen.

 

Alles, was an uns und in uns vorgeht, ist Wollen: wir wollen – und zwar natürlich nur Angenehmes.

Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten, Denken oder, was dasselbe ist,

wir wollen ein angenehmes Bewußtsein in Form der Empfindung angenehmer Objekte in uns erzeugen,

welches Bewußtsein ja der alleinige Zweck der Sinnentätigkeiten ist.

Nun enttäuscht aber das jeweils ausgelöste Bewußtsein letzten Endes immer die Erwartung:

schließlich überwiegt jedesmal das Elend,

die schmerzlichen Bewußtseinseindrücke sind viel zahlreicher und auch intensiver als die angenehmen.

Dadurch wird ein neues Wollen in uns angeregt,

nämlich das Erkennen-wollen der Ursachen dieser unangenehmen Bewußtseinseindrücke

und wie sie zu belieben seien,

so daß bloß mehr angenehme übrig blieben.

Auch dieses Wollen bleibt regelmäßig unbefriedigt;

es gelingt nicht, die Ursache des Leidens einwandfrei festzustellen.

Das zeigt die Geschichte der Medizin bezüglich des in der Krankheit liegenden Leidens nicht weniger,

wie die der Religionen und der Philosophie bezüglich des naturgesetzlich bedingten Elends.

Die Antworten nämlich, die die Religionen auf die Frage nach der Ursache des Leidens geben,

laufen so ziemlich alle auf die hinaus, mit der die Bibel das Problem löst:

Wir leiden, weil unsere Stammmutter Eva so leichtsinnig war,

gegen Gottes Geheiß in den Apfel zu beißen,

womit natürlich auch von vornherein jede Möglichkeit abgeschnitten ist, uns vom Leiden zu befreien.

Nicht viel mehr befriedigend sind auch die Antworten,

welche die Philosophen alter und neuer Zeit gegeben haben.

Nur zwei Männer haben die wahre und letzte Ursache alles Leidens aufgedeckt:

der Buddho und Schopenhauer, letzterer allerdings lediglich rein theoretisch.

Beide sagen: Du leidest, weil du willst.

Denn alles, was du nur immer wollen kannst,

also alle – Objekte des Sehens, Hörens, Riechens, Schmeckens, Tastens, Denkens,

ja, schon die Organe dieses Wollens sind ihrer innersten Natur nach vergänglich,

gehen also, wie du dich auch gebärden magst, immer wieder unweigerlich zugrunde.

Wenn du also das Leiden beheben willst, mußt du das Wollen überhaupt beheben. –

Das ist aber unmöglich, fährt Schopenhauer fort.

Denn eben in diesem Wollen besteht ja dein eigentlichstes Wesen,

das sich in ihm auswirkt, in ihm erscheint,

solange sich dieses dein Wesen nicht etwa irgendeinmal von selbst und aus sich heraus ändert,

wirst du also auch dem Leiden überliefert sein.

Dir selbst kannst du nicht entfliehen. –

Auch das ist falsch, sagt der Buddho.

Du bist nicht Wille, sondern in dir erheben sich bloß Regungen des Wollens,

wie im dunklen Himmelsraum Blitze aufflammen;

und wie diese Blitze, trotzdem sie im Raum entstehen, nichts mit ihm gemein haben,

so haben auch die in dir entstehenden Regungen des Wollens nichts mit deinem wahren Wesen gemein.

Eben deshalb kannst du nicht bloß neues Wollen in dir aufsteigen lassen,

sondern auch altes, ja, alles Wollen überhaupt und damit alles Leiden vernichten,

und zwar dadurch,

daß du in dir speziell den Willen nach Erkenntnis von der Leidensnatur alles Entstandenen entwickelst.

Wenn dieses Wollen vollständig befriedigt, also die ganze Erkenntnis aufgegangen ist,

dann kann irgend ein weiteres Wollen gar nicht mehr in dir bestehen,

es wird durch diese Erkenntnis getötet. –

Entsprechend dieser Botschaft

betätigt sich mein ja auch bereits vorher rege gewesenes Streben nach Erkenntnis

und Behebung der Ursache des Leidens

nunmehr in dieser vom Buddho gewiesenen Richtung.

Ich sehe mehr und mehr die Richtigkeit seiner Darlegungen ein,

eben weshalb der Buddho dann für mich auch weit über Schopenhauer hinauswächst

und mir schließlich als der Höchste der Götter und Menschen erscheint.

Doch noch genügt diese Einsicht,

da sie ja noch keine vollständige und vor allem mir auch nicht immer gegenwärtig ist, nicht,

mein bis zur Heftigkeit des Durstes gediehenes Wollen zu ertöten;

ich sehe vielmehr als Frucht dieser Teilerkenntnis zunächst nur ein neues Wollen aus mir hervorwachsen,

das auf Überwindung des bisherigen, also auf Entsagung gerichtet ist.

Damit ist die Unbefangenheit,

mit welcher ich mich bisher den die Welt und mich selbst bejahenden Regungen des Wollens

hingegeben hatte, geschwunden

und das eingetreten, was man die Selbstentzweiung des Willens nennt,

mit all der inneren Zerrissenheit, welche diese mit sich bringt:

die Regungen des Entsagens liegen im unablässigen Kampf mit denen des Begehrens.

Ersteren können wir nur unter fortwährenden schweren und schmerzlichen Widerständen

gegen die letzteren zum Sieg verhelfen.

Folgen wir aber den letzteren, so stellen sich als neues Leiden auch noch die Gewissensbisse ein –

das Gewissen ist nach dem Bisherigen nichts weiter

als das sträuben unseres innersten Wesens gegen das bereits als Leid bringend

und für uns unheilsam Erkannte *.

* Eben weil das Gewissen nichts weiter

als die jeweilige Reaktion der bereits errungenen Erkenntnis des uns Heilsamen und Unheilsamen

gegenüber einer beabsichtigten oder vollführten Tat ist,

ist es fast bei jedem Menschen graduell ein anderes.

Ja, es kann sehr wohl Menschen geben, bei denen sich überhaupt noch kein Gewissen rührt.

Das sind dann eben solche,

in denen noch keinerlei lebendige Erkenntnis des Karma-Gesetzes vorhanden ist.

Man kann auch ein falsches Gewissen haben.

Nämlich dann, wenn jene Erkenntnis eine falsche ist,

wenn man also etwas in Wahrheit Heilsames für unheilsam oder umgekehrt hält,

so schlägt dem überzeugten Anhänger einer Religion

angesichts einer vollführten Tat das böse Gewissen,

während dieselbe Tat, von dem Anhänger einer Religion mit gegenteiligen Lehren vollführt,

in diesem ein gutes Gewissen auslöst.

Lassen wir jedoch in diesem Kampf nicht nach,

vertiefen wir mithin um jeden Preis die bereits gewonnene Erkenntnis,

so wird mit dem Wachsen dieser auch der neu in uns aufgestiegene,

auf Überwindung des uns beseelenden Durstes nach der Welt gerichtete Wille immer mehr sich verwirklichen, der Durst wird immer schwächer werden;

wir merken, daß er uns immer weniger zu bezwingen vermag;

ja, es mögen sich Zeiten einstellen,

wo er vorübergehend ganz zum Einschlafen kommt und wir seiner Fesseln ledig sind.

Dann empfinden wir ein bisher ungekanntes Gefühl der Erleichterung,

das höchste und reinste Glück des Lebens, wie Schopenhauer es nennt

und wie wir es eben als das Wohl der Entsagung, das Wohl der Beruhigung kennen gelernt haben.

Wem dieses Labsal einmal beschieden war.

Der kennt kein anderes Wollen mehr, als diese Unabhängigkeit sich dauernd zu erringen,

das heißt, der Wille auf Überwindung seines in den Formen des Durstes auftretenden Willens

wird mit der Zeit so stark, daß er ihn ganz, ebenso wie früher dieser Durst, in Besitz nimmt;

bloß mehr seiner Verwirklichung lebt er hinfort.

Freilich begibt er sich so wiederum in die Knechtschaft des Willens,

opfert ihm, wie früher dem Durst, alles.

Aber dieser neue Wille

unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt von dem immer noch in ihm hausenden Durst.

Der letztere kann nie auf Befriedigung hoffen –

»so taumle ich von Begierde zu Genuß, und im Genuß verschmachte ich nach Begierde«,

gilt von ihm – eben weshalb wir ja auch nie aus dem Leiden herauskommen.

Jener neue, auf Überwindung alles Wollens gerichtete Wille aber, also der Wille zur Heiligkeit,

und nur er ganz allein kann vollkommen befriedigt werden und wird vollkommen befriedigt im Erlösten,

der in Nibbanam ja eben den gewaltigen Triumph der restlosen und ewigen Befriedigung seines Willens,

keinen Willen mehr an haben, und damit die höchste Seligkeit erlebt.

Denn wenn Glück, wie wir eingangs dieses Werkes gesehen haben, nichts weiter ist

als Befriedigung des Willens, ja, wenn Glück und Willensbefriedigung identische Begriffe sind,

so muß die völlige, restlose und dauernde Befriedigung

des im kämpfenden Weisen allein noch dominierenden Willens zur Heiligkeit, zur Willenlosigkeit,

eben deshalb die lauterste Seligkeit sein:

Er, er ganz allein von all den Milliarden und Abermilliarden Wesen,

die sich, seit die Welt besteht, vergeblich darum als das Ideal alles Glückes mähen,

»hat all seinen Willen *.«

* »Der all seinen Willen hat und s Wunsch, der hat Friede«, sagt Meister Eckehart.

Man diesen Gedanken durchdenken,

um das Ungeheure und Unerhörte, das in ihm liegt, wenigstens zu ahnen.

 

Nun verstehen wir auch ganz die lapidaren Worte:

»Zur Willensverleugnung, chandapahanattham, wird beim Erhabenen das heilige Leben geführt:

chanden’ eva chandam pajahati,

eben durch den Willen wird der Wille verleugnet:

denn ist durch den Willen die Heiligkeit – (das ist eben die Willenlosigkeit) – erreicht,

so ist der Wille danach gestillt M Mai

* Samyutta Nik. V, pag. 272-273 (LI, 15).

* Das Glück der Willenlosigkeit kann man auch so umschreiben:

Allerdings gibt es, wenn ich keinen Willen mehr habe, auch kein Glück mehr für mich,

weil jedes Glück eben in der Befriedigung des Willens besteht.

Aber ich vermisse dann auch ein solches Glück nicht mehr,

weil ich ja keinen Willen mehr habe, der zu befriedigen wäre.

Wer ist besser daran: Derjenige, der in einem Schluck kühlen Wassers

das Glück der Stillung seines Durstes geniest,

oder derjenige, der gar keinen Durst mehr hat, der zu stillen wäre? –

Übrigens ergibt sich auch aus diesem Gedanken, das Glück und Friede synonyme Begriffe sind:

der Friede wird erreicht durch die Beruhigung des Willens,

eben weshalb man von Willensbefriedigung spricht.

Andererseits ist Willensbefriedigung Glück also ist Friede = Glück

und eben deshalb der höchste Friede

im Erlöschen alles quälenden Begehrens das höchste Glück. –

Damit steht zugleich die Negativität alles Glückes fest: es besteht bloß

in der Aufhebung des durch die Nichtbefriedigung des Willens bedingten Unfriedens,

eine Aufhebung, die umso glücklicher empfunden wird,

je heftiger der nichtbefriedigte Wille und damit der hierdurch bedingte Unfriede war.

 

Hiernach sind also Willenlosigkeit, absolute Freiheit, unbeschreiblicher Friede und lauterste Seligkeit

lauter synonyme Ausdrücke für die Bezeichnung des Zustandes in Nibbanam,

im Gegensatz zu dem völliger Unfreiheit, fortwährender Unruhe

und deshalb unaufhörlichen Leidens des noch in der Welt weilenden Menschen.

Anderweit wird Nibbanam auch als der Zustand der Gesundheit

gegenüber dem der Krankheit, in dem wir noch verweilen, bezeichnet;

ja, die Persönlichkeit in ihren fünf Elementen wird von dem, der Nibbanam verwirklicht hat,

mit einem ölrusgeschwärzten Schinderhemd verglichen,

das nur ein völlig Blinder für ein weises Kleid halten kann:

 

»Gleichwie etwa, Magandiyo, wenn da ein Blindgeborner wäre:

der sähe keine schwarzen und keine weisen Gegenstände,

keine blauen und keine gelben, keine roten und keine grünen,

er sähe nicht, was gleich und was ungleich ist, sähe keine Sterne und nicht Mond und nicht Sonne.

Und er hörte das Wort eines Sehenden;

‚Schicklich, fürwahr, lieber Mann, ist ein weises Kleid, gar fein, ohne Flecken und sauber.‘

Und er suchte sich ein solches zu verschaffen.

Und es täuschte ihn ein anderer Mann mit einem ölrußgeschwärzten Schinderhemd:

‚Da hast du, lieber Mann, ein weißes Kleid, gar fein, ohne Flecken und sauber.‘

Und er nähme es entgegen und bekleidete sich damit,

und damit bekleidet liebe er zufrieden fröhliche Rede ergehen:

‚Schicklich, fürwahr, ist das weiße Kleid, gar fein, ohne Flecken und sauber.‘

Und seine Freunde und Genossen, Verwandte und Vettern bestellten ihm einen heilkundigen Arzt,

und dieser gäbe ihm ein Heilmittel, ließe ihn nach oben und unten sich ausleeren,

Salbe, Balsam und Nießpulver gebrauchen.

Und er unterzöge sich dieser Behandlung und die Augen öffneten sich, läuterten sich.

Und wie er zu sehen begänne,

verginge ihm die Lust und die Freude an dem ölrußgeschwärzten Schinderhemd

und er hielte jenen Mann für seinen Feind und dachte wohl gar daran, dessen Tod als sühne zu heischen:

‚Lange Zeit hindurch, wahrlich, bin ich von jenem Mann betrogen, getäuscht, hintergangen worden

mit dem ölrußgeschwärzten Schinderhemd.‘

Ebenso nun auch, Magandiyo,

möchte ich dir wohl die Lehre darlegen, was da Gesundheit, was Nibbanam ist.

Und du möchtest die Gesundheit wahrnehmen, Nibbanam sehen,

und es würde dir, wie du zu sehen begannst,

die Lust und die Freude an den fünf Gruppen des Anhaftens vergehen

und du würdest denken:

‚Lange Zeit hindurch, wahrlich, bin ich von diesem Geist betrogen, getäuscht, hintergangen worden *.

* und zwar dadurch, daß er mich nicht die wahre Sachlage erkennen ließ.

Und so war ich dem Körper eben anhänglich angehangen,

der Empfindung anhänglich angehangen,

der Wahrnehmung anhänglich angehangen,

den Gemütsregungen anhänglich angehangen,

dem Erkennen eben anhänglich angehangen *.« (* Majj. Nik. l, p. 511 (75. Suttam))

 

Wie ein ölrußgeschwärztes Schinderhemd

stellt sich dem Erlösten aber nicht etwa bloß unsere Persönlichkeit hier auf Erden dar.

Jede solche, und sei es auch eine in den höchsten Götterhimmeln,

ist für ihn, der sich auf die Lauterkeit seines ureigensten Wesens zurückgezogen hat,

nichts weiter als – Kot.

Nach Anguttara Nikayo

ist nämlich ein auch bis zum kleinsten Rest gebrachtes Dasein als solches eben noch immer von Übel,

gleichwie auch nur ein Restchen Kot oder Eiter immer noch übel riecht.

Bei den Reinen Göttern ist jener Daseinsrest soweit als möglich verflüchtigt,

wobei auch sie jedoch dem Asketen natürlich nur so erscheinen,

wie der unermeßlich gestirnte Himmel mit seinen goldenen Feuern dem Prinzen von Dänemark,

nämlich als ‘no other thing than a foul and pestilent congregation of vapours‘,

kein Ding zum ‘velle reverti’«, wie Neumann sagt *. * Längere Sammlung II, S. 74, Anm. 54.

Eben deshalb kehrt denn auch der Erlöste um keinen Preis mehr in diese Welt zurück:

»Und sollt’ ich auch, Sariputto, nur unter Reinen Göttern geboren werden.

ich mag in diese Welt nicht wiederkehren *.« (* Majj. Nik. I, p. 82 (12. Suttam))

Gerade hierin wird die Seligkeit des Friedens, den er sich errungen hat, besonders deutlich.

Der Heilige, der sein Wollen vollkommen beherrscht, hätte es nämlich in der Hand,

in alle Ewigkeiten hinein immer nur eine Wiederverkörperung in den höchsten Lichtwelten herbeizuführen,

indem er nur gerade so viel und gerade einen solchen Durst in sich erzeugte,

da dieser im Augenblick seines jeweiligen Todes immer ein Anhaften in jenen Lichtwelten herbeiführte.

Aber er verschmäht auch das.

Wie könnte auch der, der die »unbeschmutzte *« Seligkeit des ewigen Friedens an sich erfahren hat,

* cfr. Majj. Nik. l, p. 167 (26. Suttam).

 

nochmals Kot wählen,

wenn er mit seinem Tod den Schmutz seiner gegenwärtigen Persönlichkeit ablegt?

so entschwindet ihm denn dann der Schmutz der Welt auf ewig und er der Welt für immer *.

* Vom Standpunkt des Heiligen aus verschwindet nicht er, sondern die Welt in der Versenkung;

für uns stellt sich der Vorgang umgekehrt dar.

Zwischen beiden gibt es keine Brücke mehr.

Er ist erloschen, aber eben, um es immer wieder zu sagen, nur für die Welt,

wie das früher eingehend

in den Ausführungen über den Zustand des Vollendeten nach dem Tod dargelegt wurde *,

* und zwar im Kapitel über das Subjekt des Leidens.

die also das vorstehende Kapitel einmündet.

Nur mag zu jenem früher Gesagten

im Anschluß an den erst jetzt ganz verständlich gewordenen Ausdruck ‚Erloschen‘

noch Folgendes nachgetragen werden:

 

Das Wort Erlöschen ist vom Buddho mit Beziehung auf das Feuer gewählt,

das ja auch erlischt.

Das Feuer aber ist, wie wir wissen *, in irgend einer Weise, auch wenn es erloschen ist:

es ist nirgends und überall.

* sie oben S. 167.

Denn nirgends kann es gefunden werden

und doch lauert es überall auf die Bedingungen seines Eintrittes in diese Welt

und kann demzufolge auch jeden Augenblick überall.

Wo diese Bedingungen gesetzt werden,

indem es dabei die gebotene Nahrung gierig ergreift, aufflammen, sei es hier bei uns oder auf dem Sirius.

Ganz ebenso ist auch der gänzlich erloschene Erlöste nirgends und überall.

Denn nirgends kann er mehr gefunden werden,

aber überall, hier auf unserer Erde, ja, mitten unter uns,

oder auch wiederum an jeder beliebigen anderen Stätte in den Unendlichkeiten des Weltraumes

könnte er jetzt so gut, wie irgendwann in der Unendlichkeit der Zeiten, wieder in die Welt eintreten,

wenn er nur wollte, wenn auch nur das leiseste Verlangen danach in ihm sich erheben

und damit ein Anhaften stattfinden würde.

Aber entgegen der Gier, mit der das Feuer sich immer wieder in die Welt hereindrängt,

hat er jedes solche Verlangen für alle Ewigkeiten verloren,

er ruht sicher und geborgen in der

durch nichts mehr beschänkten Unergründlichkeit und Unermeßlichkeit seines höchsteigenen Wesens.

Der Buddho legt das ausführlich im zweiundsiebzigsten Suttam der Mittleren Sammlung

auf die Frage des Wanderasketen Vacchagotto dar,

was denn aus dem Erlösten nach dem Tod werde:

 

»Vaccho, diese Sache ist schwer zu ergründen, zu erschauen und auszudenken, ruhevoll und erhaben,

bloßem logischen Denken unerreichbar, sublim und nur von Weisen zu begreifen. …

Was meinst du, Vaccho:

Wenn vor deinen Augen ein Feuer brennt, wirst du dann wohl wissen: ‚Da vor mir brennt ein Feuer?‘« –

»Ja, verehrter Gotamo.« –

»Vaccho, wenn dich aber jemand fragt:

‚Wovon brennt denn das Feuer da vor deinen Augen?‘, was wirst du da antworten?« –

»Verehrter Gotamo, ich werde antworten:

‚Das Feuer da vor meinen Augen brennt, weil es Heu und Holz ergriffen hält.« –

»Wenn nun das Feuer da vor deinen Augen erlischt, weist du dann: ‚Das Feuer da ist erloschen?‘« –

»Ja, verehrter Gotamo.« –

»Wenn man dich aber nun fragt, Vaccho:

‚Nach welcher Gegend der Welt ist das Feuer, das da vor deinen Augen ausgegangen ist,

von hier aus hingegangen, nach Osten, Westen, Norden oder Süden?‘, was wirst du dann antworten *?« –

* Für den Inder war die Unberührtheit der Feuersubstanz

durch das Erlöschen seiner Erscheinung so selbstverständlich,

daß ihm die obige Frage sozusagen auf der Zunge liegen mußte (siehe Anhang).

»Verehrter Gotamo, das ist eine falsche Fragestellung.

Dieses Feuer, das vorher brannte, weil es Heu und Holz ergriffen hielt, hat dasselbe verzehrt

und ist ohne weitere Nahrung:

so heißt es in seiner Nahrungslosigkeit ‚erloschen‘.« –

»Vaccho, geradeso verhält es sich mit einem Vollendeten,

seine Gestalt – seine Empfindung – seine Wahrnehmung – seine Gemütsregungen – sein Erkennen,

die man eventuell im Auge haben könnte, wenn man von ihm spricht, sind abgetan,

von Grund aus annulliert …,

jenseits jeder Möglichkeit, in Zukunft je wieder erstehen zu können,

und der Vollendete ist erhaben über alle Begreifbarkeit mittels der Auffassungsform,

die wir Gestalt – Empfindung – Wahrnehmung – Gemütsregungen – Erkennen nennen.

Er ist undefinierbar, unbestimmbar, unergründbar, wie der große Ozean.

Es wäre falsch zu sagen: ‚Er ist,‘ es wäre ebenso falsch zu sagen: ‚Er ist nicht‘ * ** …«

* Cfr. damit Udanam VllI. 10:

»Gleichwie vom Feuer, das unter den Schlägen des Schmiedehammers aufflammt,

nicht gesagt werden kann, wohin es gegangen, nachdem es naturgemäß erloschen ist:

ebensowenig ist zu erkunden der Verbleib der wahrhaft Erlösten,

die hindurchgekommen sind durch den Strom der sinnesbanden,

die die unerschütterliche Seligkeit errungen haben.«

In der oben im Text angeführten Stelle aus der M. s. wird ein Vollendeter,

also einer, der sich völlig von seiner Persönlichkeit losgelöst hat,

in seiner Unergründlichkeit mit dem großen Ozean verglichen,

womit wohl so deutlich als nur möglich zum Ausdruck gebracht wird,

daß er ein für die Erkenntnis unfaßbares Unermeßliches ist,

von dem man nicht einmal sagen kann, es sei – cfr. auch die Worte der Nonne Khema, ob. S. 138 f.

Es kann nun aber die Frage aufgeworfen werden,

wie der Heilige zur Erkenntnis dieser Unermeßlichkeit seines Wesens komme,

da doch jenseits seiner Persönlichkeit auch alles Erkennen aufhört.

Gerade dieser letztere Umstand weist indessen schon auf die Richtung hin,

in der die Antwort liegt:

Der Heilige gewinnt auch die Erkenntnis von der Unendlichkeit seines Wesens,

wie jene von seinem Wesen überhaupt, indirekt,

infolge der Durchschauung des Bereiches des Nicht-ich:

Im aufgehenden ersten großen Wissen – cfr. ob. S. 154 f. –

entschleiert sich ihm die ganze anfangslose, durch die zahllosen Billionen der Weltzeitalter

– vgl. ob. S. 85, Anm. 104 – sich hinwälzende Kette seiner Wiedergeburten,

womit die Unendlichkeit der Zeit zum Spiegel seines eigenen Wesens wird.

Dazu hätte er weiterhin, wenn er wollte, wie jeder sterbende, die Möglichkeit,

im Zeitpunkt seines Todes an jedem Keim im grenzenlosen Raum zu haften

und sei dieser Trillionen von Sternweiten – eine solche mißt 31 Billionen km – entfernt

– cfr. ob. S. 175 – so daß ihn mithin auch die Grenzenlosigkeit des Raumes nicht berührt.

Hiernach ist aber die Welt in ihrer ganzen zeitlichen und räumlichen Unermeßlichkeit

»nur das Maß seiner eigenen, sie stets über-steigenden Größe«

– Schopenhauers Philosoph. Tagebücher, S. 219 –

womit indessen, wohl zu merken, im Grunde wieder nichts Positives,

sondern lediglich seine Unbeschränktheit, also etwas rein Negatives, ausgesagt wird.

 

** Der erlöste Heilige hat seinen Willen verloren und damit »Alles«,

indem er mit diesem ja nur durch seinen Willen verknüpft war,

insbesondere hat mit dem Erlöschen alles Wollens

natürlich auch jedes Wirken (kammam) von ihm aufgehört:

wo nichts gewollt wird, wird auch nichts gewirkt;

denn Wirken ist verwirklichtes Wollen – »den Willen, Mönche, nenne ich das Kammam;

denn ist der Wille da, so wirkt man, sei es in Gedanken, Worten oder Werken«. (cfr. oben S. 188)

Durch das Aufhören des Wirkens wird der Heilige also noch viel weniger berührt,

wie durch das Aufhören seines Wollens;

ist es doch im Verhältnis zu diesem bloß sekundär.

Indessen kann uns gerade das der deutschen Sprache allein eigentümliche Wort »Wirken«,

auf daß sie nach Schopenhauer Grund hat, stolz zu sein

– cfr. Frauenstaedt, Schopenhauers Handschriftl. Nachl., S. 328 – deutlich machen,

was Leute, die, wenn sie in leichter naturalistischer Ausrüstung

in die Tiefen philosophischer Probleme hinabzusteigen sich unterfangen,

unfehlbar »zu fackeln« beginnen,

mit der von ihnen behaupteten Vernichtung des Heiligen in seinem Tod im Grunde nur meinen:

der Heilige wirkt nicht mehr. d. h. er ist nicht mehr wirkend, d. h. er ist nicht mehr wirklich. –

Nur diese ganz beschränkte Seite des Seins als eines Wirkenden

wird also im Begriff der Wirklichkeit gedacht

und nur in diesem Sinn ist der Heilige nicht mehr.

Er ist vielmehr in absoluter Ruhe.

Wo aber absolute Ruhe herrscht, kann natürlich auch kein Wollen aufsteigen

und damit kein Wirken und damit nichts wirklich werden

und kann man daher auch mit vollem Rechte sagen:

er ist wirklich nicht mehr – er ist kein Wirkender mehr.

 

Nunmehr ist alles gesagt, was über die Art unserer ewigen Bestimmung gesagt werden kann.

Wessen Gemüt sich davon »angeregt, erheitert, beruhigt, erleichtert fühlt *«

* Majj. Nik. I, p. 435 (M. Suttam).

»wer sich nach dem Unnennbaren, im Innersten ergriffen, sehnt *,« (* Dhammapadam, V 218.)

der mag auch mit Aussicht auf Erfolg den Weg gehen, Nibbinam an sich selbst zu verwirklichen,

und so mit eigenen Augen die Wahrheit dessen schauen,

was er bisher nur als Erlebnis anderer kennen gelernt hat.

 

 

 

 

 

 

DIE HOHE WAHRHEIT

VON DEM ZUR LEIDENSVERNICHTUNG FÜHRENDEN PFAD

 

  1. Der Hohe achtfache Pfad im Allgemeinen.

Daß die meisten Menschen so sorglos dahinleben, hat seinen Grund darin,

daß sie die Lage nicht kennen, in der sie sich befinden.

Entweder sie reden sich ein, sie seien aus dem absoluten Nichts in diese Welt emporgetaucht

und würden mit ihrem Tod ebenso spurlos wieder verschwinden,

oder sie betrachten sich als das Produkt eines Schöpfers,

der sie nach dem Tod zu sich in sein himmlisches Reich übernehme,

indem sie keinen Zweifel darüber hegen,

daß die daneben allerdings noch bestehende Hölle immer nur für die anderen bestimmt sei.

So ergibt sich sowohl für den Ungläubigen wie für den Gläubigen als die höchste Lebensweisheit,

es sich möglichst behaglich auf dieser Welt zu machen,

für den ersteren deshalb, weil es doch die höchste Torheit wäre,

diese so flüchtige Existenz nicht möglichst auszunützen,

für den letzteren aber, weil auch sein Aufenthalt in dieser Welt ein Geschenk seines Gottes ist,

daß nicht mit Dank zu genießen der höchste Undank wäre.

 

Würden sie ihre wirkliche Lage überschauen, also mit hinreichender Deutlichkeit erkennen,

daß sie seit anfangslosen Zeiten ziel- und planlos in der Welt in allen ihren Höhen und Tiefen,

also bald als Gott, bald als Mensch, bald als Gespenst, bald als Tier, bald als Teufel, umherirren,

und daß  diese ziel- und planlose Wanderung unter fortwährender Selbsttäuschung

auch in alle Zukunft hinein weitergehen soll,

und würden sie weiterhin die Möglichkeit erkennen,

diesem Kreislauf P»des Leidens für immer zu entrinnen

und sich auf eine völlig leidlose Stätte, »ein Versteck, ein Eiland *« zurückzuziehen,

* Angutr. Nik. 1, p. 155 (lII, 51).

so würden sie wohl mit derselben Inbrunst die dargebotene Hand,

die zu jener leidlosen Stätte geleiten will, ergreifen,

wie ein ins Wasser Gefallener jene, die ihn ans Ufer zu ziehen bereit ist.

In dieser Lage aber sind nunmehr wir, wenn anders wir das bisher Ausgeführte verstanden haben,

und muß uns eben deshalb auch die letzte der vier Hohen Wahrheiten,

die den zur Vernichtung des Leidens führenden Pfad behandelt,

als das Hehrste erscheinen, was je in dieser Welt geoffenbart worden ist,

insbesondere auch als die hehrste unter den vier Hohen Wahrheiten selbst.

Waren doch die drei ersten, die wir bisher kennen gelernt haben,

ohne diese vierte trotz ihrer Erhabenheit ein Danaergeschenk der schlimmsten Art,

indem sie, gerade weil aus ihnen die ganze Schrecklichkeit der Situation, in der wir uns befinden, erhellt,

uns nur um so unglücklicher machen würden.

Die letzte der vier Hohen Wahrheiten

bildet also den Schlußstein und die Krönung des gewaltigen Lehrgebäudes des Buddho.

Auf diesem Standpunkt steht auch er selbst,

wenn er als das größte Unglück, das je seine Jünger treffen könnte,

eine etwaige Uneinigkeit über den Inhalt des Weges bezeichnet:

»Wenig läge daran, Anando, am Hader um die Lebensnotdurft oder um die Ordensregel;

doch um den Weg, Anando, oder den Pfad, wenn darum unter den Jüngern Hader entstehen sollte,

so gereichte solcher Hader gar vielen zum Unheil und Unglück, gar vielen zum Verderben,

zum Unheil und Leiden für Götter und Menschen *.« (* Majj. Nik. II, p. 245 (104. Suttam))

Seine Jünger aber haben die ausschlaggebende Bedeutung dieser letzten der vier Hohen Wahrheiten

dadurch zum Ausdruck gebracht, daß sie den Meister speziell als »des unentdeckten Weges Entdecker,

des unerschaffenen Weges Erschaäen des unerklärten Weges Erklärer,

als den Wegeswisser, den Wegeskenner, den Wegeskundigen« preisen *.

* Majj. Nik. Ill, p. 8 (108. Suttam).

 

  1. Dabei ist aber die Anlage dieses Weges mit den drei ersten Wahrheiten bereits gegeben:

Es muß jeglicher Durst nach der Welt als die eigentliche und tiefste Quelle alles Leidens

restlos zum Verschwinden gebracht werden.

Dieser dürstende Wille aber wurzelt im Nicht-wissen,

kann also auch nur durch den Eintritt des Wissens beheben werden.

Noch bevor wir also den Weg kennen, ist uns schon so viel klar,

daß er darauf hinauslaufen muß, allen Durst nach der Welt durch Erkenntnis in uns zu erröten.

Aus dem Bisherigen ergibt sich aber weiterhin auch,

daß diese Erkenntnis entsprechend der Art des Nichtwissens,

aus welcher jener Durst hervorquillt, eine doppelte sein muß:

wir müssen uns einmal darüber klar werden,

daß unsere ganze Persönlichkeit in allen ihren Bestandteilen und damit die ganze Welt

für uns im Grunde etwas Fremder ist,

an das wir uns bloß hängen,

weil wir glauben, dieses uns im Grunde Fremde besitzen zu müssen, um glücklich zu sein;

und dann müssen wir die Bestandteile unserer Persönlichkeit, wie alles in der Welt,

als einen für uns leidvollen Besitz

uns mithin den Glauben, die Persönlichkeit und damit unser Aufenthalt in der Welt

seien zu unserem Glücke nötig, als einen Wahn erkennen.

Haben wir nach beiden Richtungen hin wirkliche Erkenntnis erlangt,

so können wir gar kein Verlangen, keinen Durst nach Persönlichkeit und nach der Welt mehr haben,

so wenig wir Verlangen haben können, täglich hundert Peitschenhiebe zu bekommen;

denn »wir sind Wesen, die Wohl begehren und Wehe verabscheuen«.

Freilich muß diese Erkenntnis, wie wir ebenfalls bereits wissen,

eine wirkliche und darf nicht bloß eine abstrakte sein.

Das letztere nicht genügt, können wir alle Tage an uns selbst erfahren,

indem wir das Schädliche irgend einer Leidenschaft von uns

im allgemeinen, das heißt also abstrakt, gar wohl erkennen,

uns aber gleichwohl nicht einmal zu dem Entschluß aufraffen können, sie zu bekämpfen.

Die bloß abstrakte Erkenntnis motiviert also nicht, eben weshalb sie sittlich völlig wertlos ist.

Einen Bestimmungsgrund für unser Handeln vermag vielmehr bloß die anschliche Erkenntnis abzugeben,

also jene, bei der das erstrebte Objekt,

wie auch die Folgen seines Besitzes anschaulich vor unser leibliches oder geistiges Auge treten:

Wenn ich einem Menschen die freudenreichen Folgen einer ihm zugemuteten Tat

so überzeugend und anschaulich darzulegen weiß,

daß er sich eine greifbare Vorstellung von ihnen machen kann,

so wird er die Tat,

wenn anders er dazu imstande ist und keine schwerwiegenden Gründe dagegen sprechen,

unweigerlich setzen, wie auch in ihm aufgestiegene Begierden alsbald wieder verschwinden werden,

wenn die unheilvollen Folgen, die ihre Befriedigung für ihn oder andere im Gefolge hat,

ihm anschaulich gegenwärtig sind –

»als mir nun, Mönche,

bei diesem ernsten, eifrigen, heißen Mühen ein Gedanke an Lust – (kamavitakko) – aufstieg,

sagte ich mir: ‚Aufgestiegen ist mir da dieser Gedanke an Lust

und er führt zu eigener Beschwer und führt zu fremder Beschwer, führt zu beider Beschwer,

rodet die Weisheit aus, bringt Verstörung mit sich, führt nicht zu Nibbanam‘;

da ich also darüber nachdachte, Mönche, verschwand er *«. (* Majj. Nik. l, p. 114 (19. Suttam))

Insbesondere wird, wenn ich einen sinnlichen Menschen

zu einer so tiefen Durchschauung des menschlichen Organismus bringen kann,

daß er in jedem Weib nur »ein mit Haut überzogenes Beingerüst«, das mit Kot und Eiter angefüllt ist *,

* Cfr. Psalmen der Mönche, V. 1150 ff.

zu sehen vermag,

seine Leidenschaft fraglos verschwinden,

so sicher, als ein Hungriger jeden Appetit verliert,

wenn er von einer einladenden Schüssel den Deckel wegnimmt

und statt des erhofften köstlichen Gerichtes Schlangenaas darin findet *. (* Majj. Nik. I, p. 30 (5. Suttam))

Diese anschauliche Erkenntnis motiviert also, was sich, soweit sie eine richtige ist, das heißt uns aufdeckt,

daß alle wirklichen und möglichen Objekte unseres Durstes

letzten Endes immer Leiden für uns im Gefolge haben müssen,

in der Weise äußert, daß in demselben Verhältnis, als diese Erkenntnis eintritt, der Durst schwindet,

so daß, wenn sie eine vollständige und allumfassende geworden ist,

damit auch aller dürstende Wille vernichtet ist;

die richtige anschauliche Erkenntnis wird, um mit Schopenhauer zu sprechen,

schließlich zum Quietiv alles Wollens oder, um mit dem Buddho zu reden,

»zur heiligen Weisheit, fähigen Weisheit, vermögenden Weisheit *.« (* Majj. Nik. lll, p. 72 (117. Suttam))

So ist denn diese richtige Anschauung

auch das allererste Element des vom Buddho zur Vernichtung des Leidens zusammengestellten Pfades.

Er selbst nennt sie samma-ditthi, rechte Anschauung:

wir müssen die richtige Anschauung von den Dingen gewinnen, dürfen sie nicht so nehmen.

wie sie sich dem oberflächlichen Blick präsentieren,

sondern müssen sie bis auf den Grund durchschauen,

so, wie sie wirklich sind, nämlich vergänglich, leidbringend

und eben deshalb uns im Grunde unangemessen.

Auf die Herbeiführung dieser richtigen Anschauung ist daher auch der Weg im Übrigen abgestellt *.

* lm Ang. Nik. X, Nr. 104, ist die Anschauung als Grundlage des Handelns eigens dargestellt:

aus schlechter Anschauung folgt schlechtes Handeln, aus rechter rechtes,

gleichwie Same vom Gallenbaum allen aufgesogenen Erdensaft in Bitterkeit,

Same vom Zuckerrohr in Süßigkeit umwandelt.

Ibid. Nr. 121 ist auch noch die rechte Anschauung der Morgenröte verglichen,

die der Sonne des rechten Handelns vorhergeht.

 

  1. Zunächst liegt auf der Hand, daß sie nur durch anhaltende und tiefe Betrachtung erreicht werden kann: »Zwei Bedingungen, Bruder, liegen der rechten Erkenntnis zugrunde:

die Stimme eines anderen und tiefes Nachdenken *.« (* Majj. Nik. I. p. 294 (43. Suttam))

Aber dieses tiefe Nachdenken führt nicht ohne weiteres zum Ziele.

Der »unkundige Weltmensch« mag die Dinge, die ihm Freude machen,

mag insbesondere auch die Elemente seiner Persönlichkeit noch so anhaltend betrachten,

er wird doch immer wieder zum Schluß kommen:

»Ich kann in ihnen nichts Schreckliches finden *.« (* Majj. Nik. l, p. 116 (19. Suttam))

Der Geist muß vielmehr in einer ganz bestimmten Verfassung sein,

wenn er die Aufgabe leisten soll, die der Buddho ihm zumutet.

Er nennt diese geistige Verfassung Samadhi, wörtlich Zusammenfügung,

ein Begriff, der selbst wieder im dreiundvierzigsten Suttam der Mittleren Sammlung

näher als die Einheit des Geistes definiert wird:

»Die Einheit des Geistes (citt’ekagatta), Bruder Visakho, das ist Samadhi *.«

* Majj. Nik. l, p. 301 (44. Suttam).

Um zu verstehen, was damit gemeint ist, müssen wir erst einsehen lernen,

warum die normale Betrachtungsart, auch wenn sie noch so tief ist, nicht zum Ziel führen kann.

indem Samadhi eben in der Ausschaltung der der ersteren anhaftenden Fehlerquelle besteht:

 

In uns lebt der Durst nach der Welt,

der da ist ein Durst nach Gestalten, Tönen, Düften, Sähen, Tastobjekten und Vorstellungen.

Lediglich den Apparat zur Befriedigung dieses Durstes

stellt unser mit den sechs sinnen behafteter Körper von Haus aus dar;

ist er ja doch auch sein »Machwerk«.

Der gewöhnliche Mensch hält es auch Zeit seines Lebens für selbstverständlich,

daß der Sechssinnenapparat ausschließlich zu diesem Zweck zu gebrauchen sei,

da er in dem Wahn befangen ist. das in diesem seinem Durste sich sein ureigenstes Wesen betätige.

So verwendet er denn die Sinnesorgane

auch speziell in ihrer Eigenschaft als Erkenntnisorgane ausschließlich dazu,

jenen dürstenden Willen zu befriedigen, d. h. die ihm entsprechenden Objekte – Gestalten, Töne usw. –

und weiterhin die Mittel zu ihrer Erlangung ausfindig zu machen,

das ihm Widerstrebende aber zu vermeiden.

Diesem einzigen Zweck dient vor allem auch das Zentralerkenntnisvermögen, der Intellekt:

er wird bloß dazu verwendet, unsere Triebe, seien sie nun fein oder gemein,

und damit unseren dürstenden Willen auf die bestmögliche Weise zu befriedigen.

Alles, was wir betrachten, betrachten wir ausschließlich unter diesem Gesichtspunkt.

»Der Intellekt ist der Diener des – (triebmäßigen) – Willens,« sagt Schopenhauer.

Freilich können wir auch von diesem Standpunkt aus dazu kommen, etwas,

was an sich unserem Durst entspräche, in Hinsicht auf das überwiegende Leid,

das wir als die Folge seines Besitzes erkennen,

fahren zu lassen,

aber doch immer nur deshalb, weil eine solche Durstbefriedigung nicht die bestmögliche ist,

eben weshalb wir ja auch gemeinhin nur jene Objekte zu seiner Befriedigung auswählen,

welche diese Befriedigung in möglichst hohem Maß gewährleisten,

welche uns also die höchste Lust unter möglichst geringer Beigabe von Leid verursachen.

Weil so alle Erkenntnistätigkeit des Normalmenschen im ausschließlichen Dienst seines Durstes steht,

dessen Berechtigung selbst für ihn,

so gut wie sein eigenes Wesen, mit dem er nach ihm zusammenfällt,

außer Frage steht,

deshalb wird er auch nie den Satz begreifen,

daß man auf alle Dinge verzichten müsse,

weil sie alle vergänglich seien

und deshalb letzten Endes Leiden im Gefolge hätten.

Auf alles zu verzichten, wäre für ihn ja gleichbedeutend damit,

auf jede Willensbefriedigung überhaupt zu verzichten,

dieses aber damit,

in seinem ganzen Wesen unaufhörlich gänzlich unbefriedigt zu sein,

also solange er ist, mithin auf ungezählte Weltzeitalter hinaus

– dem Willen zum Leben ist ja das Leben gewiß –

fortwährend nach allen Richtungen hin zu hungern und zu dürsten.

Das stellt aber eine derart schauerliche, ja, unmögliche Zumutung dar,

daß sie für ihn unter keinen Umständen weiter in Frage kommen kann.

Mögen die Objekte seines Durstes immerhin samt und sonders vergänglich sein

und mögen deshalb aus ihrer Ergreifung auch immer wieder neue Leiden für ihn hervorbrechen:

sie bringen ihm doch auch andererseits

stets wieder eine wenigstens vorübergehende Stillung des ihn quälenden Begehrens

und damit eine wenigstens zeitweise Beruhigung seines Wesens –

ein dem Verhungern Naher

wird ja schließlich auch ekelhafte Speise und ein Verschmachtender auch faules Wasser trinken.

Noch weniger wird ein auf diesem Standpunkt stehender Mensch die Zumutung begreifen,

seine eigene Persönlichkeit, seinen mit den sechs sinnen behafteten Körper aufzugeben;

käme sie für ihn doch der anderen gleich, sich selbst aufzugeben,

was er unmittelbar als unmöglich erkennt,

so wird ihm denn die Lehre des Buddho ein Buch mit sieben Siegeln.

 

Wie wir merken, liegt der Fehler seiner Weltanschauung darin,

daß er sich in seinem Wesen mit seinem Durste nach der Welt identifiziert.

Eben die Folge davon ist, daß seine Erkenntnistätigkeit stets unter dem Einfluß dieses Durstes steht,

sich also nicht rein, nicht unabhängig von seinen Trieben, in denen sich der Durst äußert, betätigen kann: »Auge, Brüder, und Gestalten: Beides ist gegenwärtig;

indem es aber gegenwärtig ist, wird das Erkennen mit Willensgier daran gefesselt. …

Ohr, Brüder, und Töne, Nase und Düfte, Zunge und Säfte, Leib und Tastbares,

Denkorgan und Vorstellungen:

Beides ist gegenwärtig;

indem es aber gegenwärtig ist, wird das Erkennen mit Willensgier daran gefesselt,«

heißt es im hundertdreiunddreißigsten Suttam der Mittleren Sammlung *, (* Majj. Nik. Ill, p. 197)

eine Stelle, die im hundertachtunddreißigsten Suttam der gleichen Sammlung * (* Majj. Nik. lll, p. 225)

so paraphrasiert ist:

»Hat da, Brüder, ein Mönch mit dem Auge eine Gestalt erblickt,

so folgt das Erkennen den Spuren der Gestalt nach,

wird von den anziehenden Spuren der Gestalt verlockt,

von den anziehenden Spuren der Gestalt gefangen,

von den anziehenden Spuren der Gestalt fesselverstrickt…

Hat er mit dem Ohr einen Ton gehört, hat er mit der Nase einen Duft gerochen,

hat er mit der Zunge einen Saft geschmeckt, hat er mit dem Leib etwas Tastbares getastet,

hat er mit dem Denkorgan ein Ding erkannt, so folgt das Erkennen den spuken des Dinges nach,

wird von den anziehenden spuken des Dinges verlockt,

von den anziehenden Spuren des Dinges gefangen,

von den anziehenden spuken des Dinges fesselverstrickt.« –

Daraus ergibt sich aber als der richtige Standpunkt,

daß wir unser Erkennen vom Dienst unserer Triebe, d. h. also des Durstes, losreisen,

daß wir es nicht mehr von den anziehenden Spuren der Gestalten, der Töne usw. gefangen nehmen

und so von vornherein trüben lassen,

sondern daß wir uns mit diesem unseren Erkennen allen diesen Sinneseinwirkungen

vollständig objektiv gegenüberstellen, kurz, daß wir uns rein erkennend verhalten.

Wie das möglich ist, ergibt sich aus Folgendem:

 

Jedes Erkennen wird von einem Wollen, das heißt einer Sinnestätigkeit, getragen,

da es ja, wie wir wissen, nur durch eine solche ausgelöst wird *;

* Siehe das Kapitel über die Persönlichkeit.

ja, jedes Wollen überhaupt ist zunächst nur ein Erkennen-wollen und dann erst ein Besitzen-wollen;

zunächst will man sehen, hören, riechen, schmecken, tasten, denken,

das heißt mit dem Auge, dem Ohre, der Nase, der Zunge, dem Tastorgan, dem Denkorgan erkennen,

was unseren Trieben, unserem Durste, entspricht, um dann erst es sich zuzueignen,

indem man wiederum mittels der Erkenntnistätigkeit die Mittel zu seiner Erlangung ausfindig macht

und so die Welt zwingt, uns das Gewünschte zu gewähren.

So ist also nicht nur das Erkennen als Bewußtsein das Medium,

mittels dessen wir überhaupt erst mit der Welt in Verbindung stehen

– »hier im Bewußtsein steht das All *« – (* cfr. oben S. 121, 232.)

sondern es ist weiterhin das Licht, das uns den Weg in der Welt zeigt, in dessen schein wir sie lenken,

sie uns dienstbar machen:

»Von wem, oh Herr, wird die Welt gelenkt, woran ist die Welt gebunden,

wessen Macht ist die Welt unterworfen?« –

»Recht so, Bruder! recht so! Edel ist dein Tiefsinn, gut dein Scharfblick, trefflich deine Frage.

Du fragst also: ‚Von wem, oh Herr,

wird die Welt gelenkt, woran ist die Welt gebunden, wessen Macht ist die Welt unterworfen?‘« –

»Ja, h Herr.« – »Vom Erkennen, oh Bruder, wird die Welt gelenkt,

ans Erkennen ist die Welt gebunden,

der Macht des Erkennens ist die Welt unterworfen *.« (* Angutt. Nik. II, p. 177 (IV, 186))

Dieser Macht des Erkennens ist die Welt insbesondere auch insoweit unterworfen,

als in seinem Lichte und mit seiner Hilfe

angesichts der ebenfalls von ihm vermittelten Tatsache,

daß wir trotz aller Vorsicht uns immer wieder von Leiden umgeben sehen,

auch der Wille in uns aufsteigt, die Ursachen dieser Leiden zu erkennen

und dann durch Behebung dieser Ursachen die Welt auch füllende Durst nach der Welt darstellt, beschlossen sei.

Dieser Wille nach Er- X

X insoferne nach unserem Willen zu gestalten.

Jedoch bleibt dieser Wille hinsichtlich alles naturgesetzlich bedingten Leidens, also vor allem des Todes,

gemeinhin völlig unbefriedigt,

eben weshalb sich schließlich die Erkenntnis einstellt,

daß auf dem gewöhnlich eingeschlagenen Weg

das Leidensproblem in diesem Umfang überhaupt nicht lösbar ist.

Aus dieser Erkenntnis wächst dann schließlich ein völlig neues Wollen hervor – wie wir sehen,

ist jedes Wollen die Frucht und Folge einer vorangegangenen richtigen oder falschen Erkenntnis –

nämlich jenes, die tiefste und letzte Ursache alles Leidens nicht mehr außer uns,

sondern in uns zu suchen, das heißt festzustellen,

ob diese letzte Ursache nicht in unserem bisherigen Wollen selbst,

das in seiner Gesamtheit sich als der uns er X

X kenntnis, der alsbald den ganzen Erkenntnisapparat in Besitz nimmt,

ist also ein ganz eigenartiger;

er ist nicht, wie unser bisheriger Erkenntniswille, im Dienst des Durstes tätig,

indem er ihn zu befriedigen sucht,

sondern er tritt ihm gegenüber, indem er sich zur Aufgabe macht,

ihn in allen seinen unzähligen Äußerungen des Verlangens und der Abneigung,

der schmerzlichen und der freudigen Regungen, wie sie unablässig unser Inneres bewegen,

zu analysieren und in seiner Kausalität zu durchschauen.

Er steht also selbst auch in keinerlei unmittelbaren Beziehungen zu den Dingen mehr,

da sein Objekt ja gerade der Durst nach ihnen ist, so daß er ihnen gegenüber völlig uninteressiert,

absolut objektiv sich verhält.

Eben deshalb ist aber auch das in dieser Weise sich betätigende Erkennen ganz reines, in sich einiges,

nicht mehr von der Sorge um Befriedigung unserer Triebe getrübtes Erkennen.

Es meint der Buddho, wenn er sagt:

»Wie aber wird, Mönche, das Erkennen, als nach außen nicht zerstreut, nicht zerfahren bezeichnet?

Hat da, Mönche, ein Mönch mit dem Auge eine Gestalt erblickt,

so folgt das Erkennen den Spuren der Gestalt nicht nach,

wird von den anziehenden Spuren der Gestalt nicht verlockt,

von den anziehenden Spuren der Gestalt nicht gefangen,

von den anziehenden Spuren der Gestalt nicht fesselverstrickt. …

Hat er mit dem Ohr einen Ton gehört, hat er mit der Nase einen Duft gerochen,

hat er mit der Zunge einen Saft geschmeckt,

hat er mit dem Leib etwas Tastbares getastet,

hat er mit dem Denkorgan ein Ding erkannt,

so folgt das Erkennen den Spuren des Dinges nicht nach,

wird von den anziehenden Spuren des Dinges nicht verlockt,

von den anziehenden Spuren des Dinges nicht gefangen,

von den anziehenden Spuren des Dinges nicht fesselverstrickt:

Nach außen. sagt man, ist das Erkennen nicht zerstreut, nicht zerfahren *.«

* Majj. Nik. Ill. p. 225 (138. Suttam).

 

Diese dem Dienst des dürstenden Willens entrückte Erkenntnistätigkeit

ist sozusagen am äußersten Ende der Welt postiert,

nachdem ja die letztere für uns von diesem unserem Durst nach ihr getragen wird,

und haben wir erst in dieser Weise die richtige Distanz,

um nicht bloß wie bisher die Beziehungen der Welt zu dem uns beseelenden Durst nach ihr,

sondern auch die Beziehungen dieses dürstenden Willens und seines »Machwerkes«,

des mit den sechs sinnen behafteten Körpers, zu uns zu erkennen,

indem wir nunmehr auch auf sie wie aus weiter Ferne herabblicken.

Dieses Verhältnis meint der Buddho mit den Worten:

»Wie, wenn ich nun mit weitem, tiefem Geiste verweilte und hätte die Welt« –

zu ihr gehört natürlich auch der körperliche Organismus – »überwunden, über ihr stehend im Geiste *?«

* Majj. Nik. II, p. 262 (106. Suttam).

Ferner wird es im Anguttara Nikayo dadurch sehr anschaulich zum Ausdruck gebracht,

daß der so erkennende Hohe Jünger mit einem Kämpfer verglichen wird, der aus der Ferne trifft:

»Gleichwie da, Salho, der Kämpfer aus der Ferne trifft,

so, Salho, besitzt der erlesene Jünger rechte Konzentration.

Und was es da an Körperlichkeit gibt, an vergangener, gegenwärtiger oder zukünftiger,

ob eigen oder fremd, grob oder fein, gemein oder edel, fern oder nahe,

das, Salho, erkennt der recht konzentrierte erlesene Jünger der Wirklichkeit gemäß,

in vollkommener Weisheit so:

‚Das gehört mir nicht, das bin ich nicht, das ist nicht mein selbst.‘

Ebenso was es da an Empfindung, an Wahrnehmung, an Gemütsregungen, an Erkennen gibt,

an vergangenem, gegenwärtigem oder zukünftigem,

ob eigen oder fremd, grob oder fein, gemein oder edel, fern oder nah,

das, Salho, erkennt der recht konzentrierte erlesene Jünger der Wirklichkeit gemäß,

in vollkommener Weisheit so:

»Das gehört mir nicht, das bin ich nicht, das ist nicht mein selbst *.‘« (* Angutt. Nik. II, p. 202 (IV, 196))

 

Weil wir so von diesem Standort aus deutlich sehen,

wie unsere Persönlichkeit und damit auch unser in ihr sich realisierender Durst nach der Welt

nicht das geringste mit unserem eigentlichen Wesen zu tun hat,

deshalb besteht nun das Problem auch nicht mehr darin,

wie wir in diesem Durst unser Wesen befriedigen können,

sondern darin, ob die Befriedigung unseres Wesens nicht gerade dadurch herbeizuführen sei,

daß wir uns von diesem Durst befreien.

Lediglich unter diesem Gesichtspunkt betrachten wir von jener Warte aus dann auch nur mehr die Dinge. Wir sehen sie nicht mehr, uns mit unserem Durst nach der Welt identifizierend, daraufhin an,

ob sie geeignete Objekte zur Befriedigung desselben sind,

sondern darauf, ob nicht vielmehr die Worte des Buddho zutreffen:

»Kein Ding ist der Neigung wert *«, (* Majj. Nik. l, p. 251 (37. Suttam))

und damit auch jedes Verlangen, jeder Durst nach solchen Dingen selbst schon töricht ist.

Das Resultat dieser Erkenntnistätigkeit kann nicht lange zweifelhaft sein:

Alles in der Welt und von der Welt, einschließlich der Bestandteile unserer eigenen Persönlichkeit,

ist unaufhörlichem Wechsel unterworfen,

einem steten Wechsel, den wir, wenn wir uns an die Welt ketten,

ebenso unaufhörlich in Form von Geburt, Alter, Krankheit, Tod, Kummer, Schmerz und Gram empfinden,

so daß wir aus den schmerzlichen Empfindungen überhaupt gar nie ganz herauskommen,

während wir, wenn wir alles loslassen, auf alles in der Welt und damit auf diese selbst verzichten,

in die hehrste, ungetrübteste, heiligste Ruhe, die durch keinerlei Empfindung mehr gestört wird, eingehen.

Angesichts einer solchen Erkenntnis kann kein Durstnach der Welt mehr bestehen,

in ihr verwirklicht sich die ganze Wahrheit der Worte des Herrn:

»Der Macht des Erkennens ist die Welt unterworfen.«

Denn es tötet den Durst nach der Welt und vernichtet damit diese selbst für mich.

Das Erkennen wird also hier zum Vatermörder;

war es ja doch eben dieser dürstende Wille,

der es in der Tätigkeit der von ihm erbauten und unterhaltenen Sinnesorgane ausgelöst hatte.

Gleichzeitig mit seinem Schöpfer stirbt es aber selbst;

denn es war ja nur noch getragen von dem Willen nach Erkenntnis dieses Durstes,

ein Wille, der nunmehr gestillt ist, sich also nicht weiter geltend macht,

eben womit dann auch das Erkennen selbst zur Rüste geht,

wie die Flamme erlischt, wenn der Docht aufgezehrt ist – Nibbanam ist verwirklicht *.

* Das Erkennen stirbt gleichzeitig mit seinem schöpfen dem Durst.

Dieser aber wirkt in dem von ihm angefachten Lebensprozeß der Sechssinnenmaschine

auch nach seinem eigenen Untergang noch eine Zeitlang fort,

nämlich bis zum Zerfall dieser Sechssinnenmaschine im Tod des Heiligen,

gleichwie – cfr. W. a. W. u. V. I. S. 452 (490) Anm. – die Töpferscheibe noch eine Zeitlang weiterrollt,

auch nachdem die Kraft, die sie in Bewegung setzte, aufgehört hat tätig zu sein.

Ebenso lang wird natürlich auch das Erkennen noch aufgerufen.

Aber es sieht nach der Vernichtung des Durstes alle Arbeit getan

und wartet nur noch sein vollständiges Verwehen

mit dem völligen Stillstand auch der letzten Nachwirkungen desselben ab.

 

Hiernach erweist sich also Samadhi oder die Einheit des Geistes

als von den Regungen unserer Triebe oder unseres Durstes völlig unbeeinflußtes und somit ganz reines

oder, wie wir auch sagen können, als konzentriertes Erkennen,

so daß wir Samadhi

am besten mit Konzentration im Sinne von Konzentration des Geistes (cetosamädhi) übersetzen können.

Dabei müssen wir uns nur gewöhnen, mit diesem Wort

den Begriff eines konzentrierten Geistes oder eines konzentrierten Denkens zu verbinden,

so, wie man von einer Konzentrierten Flüssigkeit spricht.

 

Wir bezeichnen dieses konzentrierte Erkennen, aus dem, analog einem chemischen Zerlegungsprozesse,

alle Regungen des Durstes ausgeschieden sind, als die geniale Betrachtungsart.

Hierbei ist aber zu merken, daß diese,

wenn sie mit rechter Konzentration in dem behandelten sinne zusammenfallen soll,

auch zu dem angegebenen Zweck, also zur Erkenntnis der Verwerflichkeit alles Durstes

gebraucht werden muß.

Sonst ist sie eine falsche Konzentration, unter welcher mithin jede geniale Betrachtungsart fällt,

die, obwohl sie selbst durstfrei ist, doch mittelbar wieder im Dienst dieses Durstes steht,

indem sie nicht ihn selbst,

sondern, unter bloßer temporärer Ausschaltung seiner störenden Einflüsse auf das Denken,

irgend welche seiner Befriedigung dienende Probleme zum Objekte hat.

Falsche Konzentration im Sinne des Buddho pflegen mithin alle jene genialen Menschen,

für die der Zustand des reinen Erkennens nur dazu dient,

Aufgaben irgend welcher Art innerhalb der Welt zu lösen *.

* Wie wir sehen,

ist nach dem Buddho die Möglichkeit des durstfreiem nicht willensfreien Erkennens

– ein schlechthin willensfreies Erkennen gibt es überhaupt nicht,

indem jedes Erkennen einen entsprechenden Willen als seinen Träger voraussetzt –

oder die Möglichkeit der genialen Betrachtungsart eine selbstverständliche Folge davon,

daß wir nicht Wille sind, sondern bloß einen Willen haben, ein Wille,

der selbst wieder aus unzähligen einzelnen Regungen des Wollens sich zusammensetzt.

Diese Regungen des Wollens wogen, von der sie begleitenden Erkenntnis gelenkt

und immer wieder neu ausgelöst, unaufhörlich, insbesondere in Form der Gemütstätigkeiten,

in uns auf und ab,

eben weshalb der Buddho den Menschen auch mit einem Ameisenhaufen,

in welchem ja gleichfalls rastlose Bewegung herrscht, vergleicht (23. Suttam d. M. S.).

Da sie aber alle so wenig mit unserem wahren Wesen zu tun haben, wie die Luft mit dem Raum.

Den sie erfüllt, so können wir im Prinzip jedes beliebige Wollen,

also auch Willensregungen sich widersprechenden Inhalts, in uns aufsteigen lassen,

wenn das auch in tatsächlicher Beziehung dadurch erschwert ist,

daß die meisten dieser Regungen im Verlauf der Zeiten die Form des Durstes,

das heißt der eisernen Gewohnheit, angenommen haben.

Deshalb können wir insbesondere auch einen Willen in uns aufsteigen lassen,

der auf die Erkenntnis der Gesamtheit dieser triebmäßigen Regungen,

also unseres Durstes nach der Welt, gerichtet ist,

indem sich dann das Erkennen in den Dienst dieses neuen Wollens stellt.

 

Die richtige Konzentration besteht in der Loslösung des Erkennens oder des Bewußtseins

oder des Geistes oder des Denkens – lauter synonyme Ausdrücke * – vom Dienst des Durstes,

* »Was man cittam (Geist), mano (Denken), vinnanani (Erkennen) nennt»

heißt es in Digha Nikayo l.

sie schließt also stets, soweit sie erreicht ist, auch eine Befreiung unserer Erkenntnistätigkeit in sich.

Denn die Sklaverei der sechsfachen Erkenntnistätigkeit besteht ja eben darin,

daß sie immer wieder im Dienst unserer Triebe oder unseres Durstes nach der Welt tätig werden muß.

Hiernach ist es aber nur eine selbstverständliche Konsequenz,

wenn der Buddho die höheren Grade von cetosamadhi oder Konzentration des Geistes

auch Geistesbefreiungen oder Geisteserlösungen nennt.

Soweit diese Unabhängigkeit unserer Erkenntnistätigkeit vom Dienst unserer Triebe

eine Tatsache geworden ist, sind wir aber auch selbst frei geworden, erlöst,

die wir ja, wie wir wissen, nur vermittels des Elements des Bewußtseins oder Erkennens mit der Welt

verbunden und an sie gebunden sind.

Können wir nämlich unsere Erkenntnistätigkeit vom Dienst unserer Triebe

oder des in uns hausenden Durstes vollkommen frei machen,

was dadurch geschieht, daß vermittels derselben Erkenntnistätigkeit jeder Trieb und damit aller Durst,

insbesondere auch nach weiterer Erkenntnistätigkeit selbst,

vollständig zum Schweigen gebracht wird *,

* also die Mahnung der Maha-Narayana-Upanischad verwirklicht wird:

»Was von Erkenntnisdrang erfüllt, lasse welken!«

so können wir, weil uns dann ja auch nichts mehr zu weiterer Erkenntnistätigkeit treibt,

auch diese selbst in absoluter Freiheit völlig einstellen

und damit das Element des Erkennens – (Bewußtseins) – ganz verlöschen lassen *.

* was wir gerne tun werden,

weil wir ja im Licht dieser reinen Erkenntnistätigkeit

bereits alles als vergänglich, leidbringend und deshalb uns unangemessen erkannt haben.

Mit diesem schwindet dann aber für uns alles dahin, auch unser sinnenfähiger Körper,

indem alles ja nur mit und in diesem »Element des Erkennens« – (Bewußtseins) –

uns zugänglich gemacht worden war:

»Das Bewußtsein, das unsichtbare, unendliche, wenn man gänzlich aufgibt,

dann können Erde, Wasser, Feuer, Luft nicht Fuß fassen,

dann hört Lang und Kurz, Klein und Gros, schön und Unschön,

dann hört der sinnenbegabte Körper (nama-rupam) gänzlich auf.

Durch die Aufhebung des Bewußtseins (Erkennens) hört dann dieses auf *.« (* Digha Nik. Xl, 85.)

Sind uns so diese tiefen Worte des Meisters vollständig durchsichtig geworden,

so verstehen wir aber nunmehr weiterhin,

warum mit dem Eintritt der völligen Geisteserlösung (cetovimutti)

auch unsere eigene ewige Erlösung verwirklicht ist:

Mit dem Erlöschen jeglichen Durstes besteht für uns in alle Ewigkeit hinein kein Anlaß mehr,

nochmal eine Geistes- oder Erkenntnistätigkeit zu entfalten

und damit das Element des Bewußtseins neu erstehen zu lassen,

um in seinem Lichte das Gaukelspiel der Welt weiterhin zu genießen.

Eben deshalb bauen wir dann auch im Tod

keinen neuen Apparat für die Geistestätigkeit im Wege des Anhaftens an einem neuen Keim mehr auf,

so daß mit der erreichten definitiven Befreiung

unserer Erkenntnistätigkeit oder unseres Geistes vom Dienst des dürstenden Willens,

wie sie mit der Vernichtung des letzteren eintritt,

bereits der ewige Friede in uns seinen Einzug hält,

der seine Krönung mit unserem darauf erfolgenden letzten Tod erhält,

indem dieser für uns dann nichts weiter bedeutet

als die definitive Abwerfung des uns nunmehr völlig unnütz gewordenen Erkenntnisapparates *.

* Übrigens ist cetovimutti, wenn es im letzteren sinne gebraucht wird,

im Kanon zum Unterschied von den oben genannten bloß teil- und zeitweisen Geisteserlösungen

regelmäßig noch durch pannavimutti, Erlösung durch Wissen, näher bestimmt,

indem die ewige Loslösung unseres Geistes oder unseres Bewußtseins von uns

und damit unsere eigene ewige Erlösung

nach dem zur rechten anschaulichen Erkenntnis Ausgeführten

ja nur infolge des heiligen Wissens eintreten kann.

Damit verstehen wir auch die anderen Meisterworte:

»Mehr und mehr mag der Mönch sich üben, daß ihm das Erkennen nicht zerstreut, nicht zerfahren werde,

auf Grund der Abkehr unerschütterlich sei.

Ist das Erkennen nicht zerstreut, nicht zerfahren,

wird man, auf Grund der Abkehr unerschütterlich,

ein Entstehen und Hervorgehen von Geburt und Alter, Tod und Leiden künftig nicht mehr finden *.«

* Majj. Nik. Ill, p. 223 (138. Suttam).

 

  1. Wie wir aus dem Bisherigen ersehen,

ist Samma-samadhi oder rechte Konzentration nichts weiter als reines, durstfreies,

also von keiner anderweiten störenden Gemütsregung getrübtes Erkennen an sich.

Unter rechter Konzentration für sich allein

wird also auch nur ein rein formaler Zustand der Erkenntnistätigkeit verstanden,

wobei freilich auch ihr Inhalt bereits insoweit bestimmt ist,

als sie speziell den Durst und seine Objekte,

und zwar näher in der Richtung ihrer Unangemessenheit für uns, zum Gegenstande hat.

Im Übrigen aber benötigen wir natürlich, um diese Unangemessenheit nun auch wirklich einzusehen, noch genauer Richtlinien für jene Erkenntnistätigkeit:

wenn ein Fachmann einem Laien

einen komplizierten Mechanismus zur eigenen Durchschauung und Würdigung vorlegt,

so muß er ihn sich nicht nur, wenn sein bloßes Auge hierzu nicht ausreicht,

mit einem scharfen Glas,

dem in unserem Fall eben die Konzentration des Geistes oder das konzentrierte Denken entspricht,

sich bewaffnen lassen,

sondern ihn auch bis ins Einzelne hinein

auf alle Teile des Mechanismus und die Art ihres Ineinandergreifens aufmerksam machen,

so ist es denn auch für den Erfolg der konzentrierten Erkenntnistätigkeit,

wie sie der Weg zur Leidensvernichtung vorschreibt, von ausschlaggebender Bedeutung,

daß ihr ihr Material in durchsichtiger Weise und in richtiger Beleuchtung vorgelegt wird,

dementsprechend es dann betrachtet werden kann.

Es ist deshalb nur selbstverständlich,

daß dieses materiellen Gehaltes der rechten Konzentration

als einer fundamentalen Bedingung des Erfolges in einem eigenen Glied des Pfades,

der sonst ja ganz unvollständig wäre, gedacht wird,

und zwar heißt dieses Glied eben wegen seiner Eigenschaft als Inbegriff dessen,

worauf sich die rechte Konzentration beziehen soll,

Samma-sati, rechtes Gedenken.

Das unter ihm zusammengefaste Material

besteht natürlich in den bisher behandelten ersten drei der Hohen Wahrheiten,

indem die rechte Konzentration ja eben zu ihrer Durchschauung führen soll *.

* Deshalb können wir samma-sati auch mit rechter Besonnenheit wiedergeben:

man besinnt sich bei allem auf die Lehre. –

Das sati in der Tat diesen Sinn hat, wird über allen Zweifel klargestellt durch folgende Stellen:

»siegreich aber wird meine Kraft sein, unverzagt, gewärtig mein Gedenken –

sati – frei von Vergeßlichkeit. …

Wenn, Mönche, diesem Mönch, der solcher Art des Buddho gedenkt,

solcher Art der Lehre gedenkt, solcher Art der Jüngergemeinde gedenkt…« (M. N., 28. Suttam). –

»Und er hat Besonnenheit – sati – ist mit höchster Besonnenheit begabt:

was da einst getan, einst gesagt wurde,

daran denkt er, daran erinnert er sich.« (M. N., 53. Suttam)

»Und wie kennt ein Mönch die Weide?

Da kennt ein Mönch die vier Gegenstände des Gedenkens der Wirklichkeit gemäß.

Also kennt ein Mönch die Weide« – M. N., 33. Suttam –

  1. h. doch wohl: die vier Gegenstände des Gedankens liefern

das Material für die konzentrierte Betrachtung. –

Siehe übrigens auch Puggala Pannatti, s. 38, Nr. 85.

Der Buddho hat den Inhalt derselben

der Hauptsache nach auf eine der anschaulichen Betrachtung äußerst dienliche Weise

in einem der wichtigsten Sutten des ganzen Kanons zusammengestellt,

das eben deshalb den Titel »die vier Gegenstände des Gedenkens« – cattaro satipatthana – führt,

und zwar ist in ihr dieses Material für das konzentrierte Denken nicht etwa bloß schematisch aufgezählt;

sondern gleich in die Form der konzentrierten Betrachtung selbst gebracht.

Das Suttam, von dem wir Teile bereits früher im Wortlaute kennengelernt haben *, (* Cfr. Oben S. 99 ff.)

baut sich auf der grundlegenden Erkenntnis auf,

daß unser ganzer Durst nach der Welt sich in unserer Persönlichkeit erschöpft, in und mit der wir,

ja, wie wir wissen, die erstere allein erleben,

eben weshalb mit der Durchschauung der Bestandteile dieser Persönlichkeit als leidvoll

und anatta unser Durst nach der Welt selbst zur Erlöschung kommt.

Dementsprechend löst der Buddho den »Haufen von Hervorbringungen«, der die Persönlichkeit ergibt,

in seine Einzelheiten auf

und zeigt in denkbar anschaulichster Form, wie alles an und in ihr, auch die edelsten Regungen,

ja, selbst das Durchschauen der vier Hohen Wahrheiten selbst,

nur vorübergehende Prozesse sind, die wir sich abspielen sehen,

mit denen wir eben deshalb auch nicht identisch sein können;

und zwar gliedert er die Objekte dieser Betrachtung in vier Teile,

nämlich den Körper, die Empfindungen, die Gemütsregungen

und eine weitere Gruppe, die er »die Dinge« – (dhamma) – schlechthin nennt,

nämlich die Dinge. mit denen allein ein Mönch sich in seiner Erkenntnistätigkeit noch beschäftigen soll *.

* Majj. Nik. I, p. 301 (44. Suttam).

Weil so in diesen »vier Gegenständen des Gedenkens« die wichtigsten und wesentlichsten Teile aller Meditationsobjekte zusammengefast sind, gibt Dhammadinna dem Anhänger Visakho auf seine Frage: »Wie erklärt man, Ehrwürdige, die Vorstellungen in der Konzentration?«

entsprechend der Definition, die das rechte Gedenken übrigens auch sonst erfährt,

denn auch den Bescheid:

»Die vier Gegenstände des Gedenkens sind die Vorstellungen in der Konzentration * **.

* Für jeden, der sich einen Einblick in die Praxis der Kontemplation verschaffen will,

ist das Studium des Suttams über »die vier Gegenstände des Gedenkens« im Wortlaut unerläßlich,

sie ist übersetzt von Neumann, Majj. Nik., 10. Suttam, und Digha Nik., 22. Suttam,

sowie von Seidenstücker, Pali-Buddhismus. S. 286 ff.

Eine für den des Pali Unkundigen sehr instruktive Interlinear-Übersetzung

findet sich in Nyanatilokas Pali-Grammatik

 

** Rechte Konzentration und rechtes Gedenken bilden nach dem Ausgeführten

in der Praxis stets ein unteilbares Ganzes von dem die erstere die Form,

das rechte Gedenken aber den materiellen Gehalt darstellt:

solange das rechte Gedenken gegenwärtig ist,

ist man auch recht konzentriert und umgekehrt hat man,

solange man recht konzentriert ist. auch rechtes Gedenken.

Daraus erklärt es sich,

daß häufig für rechte Konzentration auch bloß rechtes Gedenken allein gesagt wird,

beispielsweise im zweiunddreißigsten Suttam der M. S.:

»Und nun hört auch von mir. was für ein Mönch dem Gosingam-Wald Glanz verleihen mag.

Da setzt sich ein Mönch nach dem Mahl nieder.

wenn er vom Almosengang zurückgekehrt ist, mit gekreuzten Beinen,

aufrecht gehaltenem Körper, und pflegt das Gedenken -:

Nicht eher will ich von hier aufstehen,

als bis mein Geist von der Beeinflussung durch (die Gier nach) Werden (Dasein) restlos erlöst ist.«

 

Dieses innige Verhältnis von rechter Konzentration und rechtem Gedenken

kommt insbesondere auch bei Behandlung des letzteren

in den »Fragen des König Milindo« zum Ausdruck,

wo als charakteristische Eigenschaften des rechten Gedenkens angeführt werden einmal die,

»nichts aus dem Gedächtnis entfahren zu lassen«,

  1. h. bei allem sich stets die Lehre des Meisters gegenwärtig zu halten,

und dann »die Eigenschaft des Festhaltens«.

Speziell von letzterer heißt es: »solange das Gedenken gegenwärtig ist, oh König,

erforscht man den Ausgang der heilsamen und schädlichen Dinge,

ob diese oder jene Dinge heilsam oder unheilsam, nützlich oder schädlich sind.

Darauf läßt der in der Konzentration sich Übende die unheilsamen und schädlichen Dinge fahren,

und die heilsamen und nützlichen hält er fest.

Insofern, oh König, hat das Gedenken die charakteristische Eigenschaft des Festhaltens.«

 

  1. Hiernach stellt sich die Sachlage vom höchsten Standpunkt aus so dar:

Wir ziehen uns, indem wir in uns den Willen aufsteigen lassen,

das Getriebe unserer Persönlichkeit als einen Haufen von leidvollen,

durch unseren Durst nach der Welt unterhaltenen Hervorbringungen zu durchschauen,

auf diesen reinen Erkenntniswillen als auf den Punkt,

von dem aus wir unsere Persönlichkeit und damit die Welt aus den Angeln heben können, zurück

und beobachten von ihm aus,

der sozusagen eine Insel in dem Meer von Durst, in dem wir schwimmen, darstellt,

so lange und mit ungeteilter Aufmerksamkeit dieses Getriebe unserer Persönlichkeit

in allen seinen Bestandteilen und in seiner ursächlichen Bedingtheit,

bis wir es als durch und durch von uns verschieden, leidvoll

und deshalb uns auch unangemessen durchschaut

und damit den Durst nach ihm als eine Trübung der Himmelsklarheit unseres Wesens erkannt haben,

womit derselbe erlischt.

Mit ihm mag dann auch die Insel versinken, auf die wir uns zurückgezogen hatten.

 

Dabei entsteht nun allerdings die Frage,

wie es möglich ist, diese Höhe der reinen Erkenntnis zu erklimmen,

mit so völlig entfremdetem Blick anhaltend und völlig gesammelt auf unser Schein-selbst herabzuschauen, bis dieses anschaulich als solches erkannt ist,

eine Frage, die bloß der in ihrer ganzen schwere zu würdigen weiß, der es schon einmal versucht hat, auch nur auf einige Minuten sich selbst * ungestört zu betrachten:

* d. h. eben sein Schein-Selbst, seine Persönlichkeit, in die wir ja fälschlich unser Wesen setzen.

immer und immer wieder

wird das Bewußtsein von den rastlos in uns aufsteigenden Regungen des Wollens

und den unaufhörlich unseren Kopf durchziehenden Gedanken gefangen genommen,

so daß man sich, ehe man es sich versieht, stets wieder in sie verloren hat.

Wie soll da jene ruhige, durch keine anderweite Gemütsregung gestörte und noch dazu intensive Betrachtung möglich sein, wie sie die rechte Konzentration in sich schließt?

Es ist klar, daß wir damit auf die eigentlich praktische Seite des Problems kommen.

Der Buddho löst auch sie in seinem Hohen Wege in denkbar einfachster Weise.

Das Wort des Rätsels heißt allmählicher Fortschritt;

was nicht auf ein Mal gelingen kann, das kann man nach und nach erreichen,

wie man ja auch die Spitze eines hohen Berges, von der aus sich eine entzündende Aussicht bietet

– vergleiche oben S. 18 f. – erst in allmählichem Anstieg gewinnen muß:

»Gleichwie man da, oh Gotamo, bei dieser Terrasse Mutter Migaros

den allmählichen Ansatz, den allmählichen Fortschritt, den allmählichen Aufstieg erkennen kann,

und zwar von der untersten Stufe an,

kann man gewiß auch, oh Gotamo, bei unseren Brahmanen den allmählichen Ansatz,

den allmählichen Fortschritt, den allmählichen Aufstieg erkennen, und zwar bei der Andacht;

kann man gewiß auch, oh Gotamo, bei unseren Bogenschützen

den allmählichen Ansatz, den allmählichen Fortschritt, den allmählichen Aufstieg erkennen,

und zwar beim Schießen;

kann man gewiß auch, oh Gotamo, bei uns Rechnern, die wir von der Rechenkunst leben,

den allmählichen Ansatz, den allmählichen Fortschritt, den allmählichen Aufstieg erkennen,

und zwar beim Zählen.

Denn haben wir, oh Gotamo, Schüler angenommen, so lassen wir zuerst zählen:

eins, die Einheit, zwei, die Zweiheit, drei, die Dreiheit … so lassen wir, oh Gotamo, bis hundert zählen.

Ist es nun möglich, oh Gotamo, auch in dieser Lehre und Ordnung etwa ebenso

einen allmählichen Ansatz, einen allmählichen Fortschritt, einen allmählichen Aufstieg nachzuweisen?« –

»Es ist möglich, Brahmane, auch in dieser Lehre und Ordnung, einen allmählichen Ansatz,

einen allmählichen Fortschritt, einen allmählichen Aufstieg nachzuweisen *.«

* Majj. Nik. Ill, p. I (107. Suttam).

»Gleichwie da, Mönche, das große Weltmeer allmählich tiefer wird, allmählich abfällt,

allmählich sich aushöhlt und kein jäher Abfall vorhanden ist. –

genau ebenso, Mönche, ist in dieser Lehre, in dieser Disziplin

die Schulung eine allmähliche, ist die Betätigung eine allmähliche, ist der Pfad ein allmählicher,

und es gibt kein plötzliches Vordringen zur vollen Erkenntnis *.« (* Udanam V, 5.)

Dabei erweist sich

der innere Aufbau dieser Schulung zur Gewinnung der anschaulichen Erkenntnis der Wahrheit

als von solch äußerster Zweckmäßigkeit,

daß er Anando, dem Jünger, der stets um den Meister war, den Ausruf entlockte:

»Erstaunlich, oh Herr, außerordentlich ist es, oh Herr:

von Stufe zu Stufe, merkt man,

hat uns der Erhabene das Entkommen aus dem Flutbereich dargestellt *.«

(* Majj. Nik. Il, p. 265 (106. Suttam))

 

Näher stellen sich diese Stufen als eine methodisch betriebene Übung der rechten Konzentration dar.

Die Übung macht nach dem Buddho alles möglich, sie ist geradezu allmächtig.

Sie vermag insbesondere auch unser Erkennen

wieder aus der Knechtschaft der in uns hausenden Gemütsregungen zu befreien,

wie das im Grunde ja auch nur natürlich ist.

War es doch bloß die Gewohnheit, die es in die Fesseln dieser Regungen schlug,

indem wir, als diese Regungen das erste Mal in uns auftauchten,

an ihnen mit unserem Erkennen, ohne Kenntnis ihrer verderblichen Folgen, hafteten

und das so lange fortsetzten, bis sie jene stärke erlangen konnten,

die sie als für uns charakteristische Regungen erscheinen läßt,

in deren Dienst sich zu stellen eben deshalb für unser Erkennen sei selbstverständlich wurde.

Die Übung nun ist sozusagen die umgestülpte Gewohnheit,

ist das Wiederentwöhnen unserer Erkenntnistätigkeit vom Dienste dieser Regungen,

derart, daß sie selbst zum Objekt für unser Erkennen gemacht

und auf diese Weise immer mehr als für uns verderblich

und insbesondere auch unserem weiteren moralischen Fortschritt hinderlich durchschaut werden

mit der Folge, daß unsere Erkenntnistätigkeit im gleichen Maß, als das erfolgt,

immer mehr und mehr von ihnen unabhängig wird, ihnen weniger und weniger nachgibt,

bis sie schließlich eben deshalb mangels Nahrung ihre völlige Rückbildung erfahren.

Durch die so entstandene Freiheit von ihnen wird unsere Erkenntnistätigkeit aber fähig,

sich immer ausschließlicher und ungestörter

der Durchschauung unserer ganzen Persönlichkeit zu widmen.

Eine Tätigkeit, die auch ihrerseits wieder durch fortwährende Übung immer mehr erstarkt

und dadurch auch ein immer stärkeres und reineres Erkennen in der genannten Richtung erzeugt.

Hiernach kann es nicht wundernehmen, wenn der ganze Heilsweg eigentlich nichts weiter ist,

als eine unaufhörliche, methodisch voranschreitende Übung des konzentrierten Denkens,

um dadurch jeweils die rechte Anschauung herbeizuführen

und so unser Erkennen und damit uns selbst zunächst vorübergehend,

schließlich für dauernd der Reihe nach

vom Dienst unserer gewohnheitsmäßigen Gemütsregungen zu befreien:

als einen in der Konzentration sich Übenden

charakterisiert der weise Nagaseno den auf dem Heilsweg Wandelnden,

der Buddho aber bezeichnet die methodisch betriebene Übung – nämlich eben der Konzentration –

direkt als den formellen Gehalt seiner Lehre:

»Aber ich will dir, Bhaddali, im Gleichnis vom jungen Roß die Lehre darlegen.

Das höre und achte wohl auf meine Rede…

Gleichwie etwa, Bhaddali, ein gewandter Roßbändiger, wenn er ein schönes, edles Roß erhalten hat,

es zu allererst am Gebisse Übungen ausführen läßt;

und während es am Gebisse Übungen ausführt,

zeigt es allerlei Ungebührlichkeit, Ungebärdigkeit, Unbändigkeit,

weil es nie zuvor solche Übungen ausgeführt hat:

aber durch wiederholtes Üben, durch allmähliches Üben gibt es sich damit zufrieden,

sobald nun, Bhaddali, das schöne, edle Roß

durch wiederholtes Üben, durch allmähliches Üben sich damit zufrieden gegeben hat,

dann läßt es der Roßbändiger weitere Übungen ausführen und schirrt es an;

und während es angeschirrt Übungen ausführt,

zeigt es eben allerlei Ungebührlichkeit, Ungebärdigkeit, Unbändigkeit,

weil es nie zuvor solche Übungen ausgeführt hat:

aber durch wiederholtes Üben, durch allmähliches Üben gibt es sich damit zufrieden.

Sobald nun, Bhaddali, das schöne, edle Roß durch wiederholtes Üben, durch allmähliches Üben

sich damit zufrieden gegeben hat,

dann läßt es der Roßbändiger weitere Übungen ausführen und im Schritt gehen, Galopp laufen,

er läßt es rennen und springen, bringt ihm königlichen Gang und königliche Haltung bei,

er macht es zum schnellsten und tüchtigsten und verläßigsten der Pferde;

und während es so Übungen ausführt,

zeigt es eben allerlei Ungebührlichkeit, Ungebärdigkeit, Unbändigkeit,

weil es nie zuvor solche Übungen ausgeführt hat:

aber durch wiederholtes Üben, durch allmähliches Üben gibt es sich damit zufrieden.

Sobald nun, Bhaddali, das schöne, edle Roß durch wiederholtes Üben, durch allmähliches Üben

sich damit zufrieden gegeben hat,

dann läßt ihm der Roßbändiger – noch die letzte Strählung und Striegelung angedeihen.

Das sind, Bhaddali, die zehn Eigenschaften, die ein schönes, edles Roß,

dem König schicklich, dem Könige tauglich, eben als ‚Königsgut‘ erscheinen lassen:«

Ebenso nun auch macht sich der Buddho erbötig, den, der sich seiner Führung unterwirft,

durch methodische Übung der Konzentration, d. h. also des reinen Denkens,

von allen seinen Leidenschaften frei und »zur heiligsten Stätte der Welt« zu machen *.

* Majj. Nik. l, p. 445 (65. Suttam). Übersetzt von K. E. Neumann.

Das der Buddho dabei in der angeführten Stelle unter der Übung

auch wirklich die Übung der Konzentration meint,

ergibt sich aus dem ganzen Aufbau des Heilsweges,

ist übrigens im einhundertfünfundzwanzigsten Suttam der Mittleren Sammlung * (* Majj. Nik. lll, p. 128.)

das die Konzentration des Denkens zum unmittelbaren Thema hat,

an Hand des ähnlichen Gleichnisses vom Elefanten direkt ausgeführt

und auch in den folgenden Stellen bestätigt:

»Mehr und mehr, Mönche, mag der Mönch sich üben,

daß ihm da, wie er sich übt, das Erkennen nicht zerstreut, nicht zerfahren werde,

auf Grund der Abkehr unerschütterlich sei *.« (* cfr. oben S. 291 f.)

 

»Nichts kenne ich, Mönche, was ohne Übung spröder wäre als das Denken …

Nichts kenne ich, Mönche, was durch Übung biegsamer würde als das Denken…

Nichts kenne ich, Mönche, was ohne Übung zu so großem Verderben führte, wie das Denken…

Nichts kenne ich, Mönche, was durch Übung zu so hohem Segen führte, wie das Denken …

Nichts kenne ich, Mönche, was ohne Übung, ohne Entfaltung solches Leiden zeugte, wie das Denken…

Nichts kenne ich, Mönche, was durch Übung, durch Entfaltung solche Seligkeit zeugte,

wie das Denken *.« (* Angutt. Nik. I, p. 5 (I, 3))

 

Im Hohen Pfad selbst erscheint diese methodische Übung der rechten Konzentration des Geistes

oder des von unseren Neigungen unabhängigen Denkens – als rechtes Mühen, Samma-vayamo.

 

5.-8. Die Pflege der rechten Konzentration hat zwei Hauptstufen,

zunächst »die Ablösung« unseres Erkennens »vom Feind«,

das heißt von den Regungen des in uns hausenden dürstenden Willens,

derart, daß man zunächst allmählich »des Körpers und der Wünsche entwöhnt wird *«,

* Majj. Nik. I, p. 241 (85. Suttam).

und dann, wenn so unser Erkennen in der Form des reinen Denkens in die Lage versetzt ist,

ungestört und anhaltend das ganze Getriebe unserer Persönlichkeit,

in der ja all unser Durst nach der Welt sich erschöpft,

immer mehr zu durchschauen, als zweite Hauptstufe eben diese Durchschauung

und damit die radikale Vernichtung jeglichen Durstes überhaupt,

so zwar, »daß er nicht mehr keimen, nicht mehr sich entwickeln kann *.«

* Majj. Nik. l, p. 464 (68. Suttam).

Dieser zweite Teil bildet die Konzentration des Geistes im engeren Sinn,

zu dem der erste nur die notwendige Vorbedingung schaffen soll,

weshalb wir ihn die vorbereitende Konzentration nennen können.

Nun betätigt sich unser Durst nach der Welt auf dreifache Weise,

einmal in Form aller jener inneren Regungen,

als deren Resultat unsere jeweiligen Entschlüsse erscheinen,

dann in dem, was wir reden, und endlich in dem, was wir tun,

kurz, in Form unserer Gedanken, Worte und Werke.

Nach diesen drei Richtungen hin muß also auch die Konzentration unaufhörlich gepflegt werden,

das heißt, sie muß jeweils ein rechtes sich-Entschließen (Samma-sankappo),

ein rechtes Reden – (Samma-vaca)

und ein rechtes Handeln (Samma-kammanto) zum Ziel haben,

was nur unter der Voraussetzung eines rechten Lebensberufes überhaupt (Samma-ajivo) möglich ist.

Entsprechend den beiden Hauptstufen der rechten Konzentration

sind aber auch diese ihre vier Betätigungsgebiete doppelter Art:

Auf der Stufe der vorbereitenden Konzentration

versteht man unter rechter Rede

»Lüge vermeiden, Verleumdung vermeiden, rohe Worte vermeiden, Geschwätz vermeiden«,

unter rechtem Handeln »Lebendiges umzubringen vermeiden.«

Nichtgegebenes zu nehmen vermeiden, unerlaubte Wollust vermeiden«,

unter rechtem sich-Entschließen aber

die auf die Verwirklichung dieser Grundsätze gerichtete Gesinnung:

man soll stets »den Verzicht auf Sinnenfreuden sinnen,

sinnen, daß man keinen Harm verursache,

sinnen, das man nicht gewalttätig werde«,

während der rechte Lebensberuf ein solcher ist, der ein Leben nach diesen Grundsätzen-ermöglicht *.

* Majj. Nik. Ill, p. 72 (117. Suttam).

Auf der Stufe der eigentlichen Konzentrationstätigkeit dagegen bedeutet,

entsprechend ihrer Aufgabe der restlosen Vernichtung alles Durstes,

rechtes Reden, rechtes Handeln, rechter Lebensberuf:

»was da den vier Arten übler Rede, den drei Arten üblen Handelns und einem falschen Beruf

gegenüber sich abneigen, wegneigen, hinwegneigen, abwenden«

– das heißt also eben die Ausrottung des Triebes zu ihnen – »ist«,

in welcher Richtung sich hier natürlich auch das rechte sich-Entschließen wieder bewegt *.

* Mahavaggo l, 6, 10 ff.

 

Damit haben wir alle acht Glieder des zur Aufhebung des Leidens führenden Pfades,

den die letzte der vier Hohen Wahrheiten zum Gegenstand hat, kennengelernt:

»Dies, Mönche, ist die Hohe Wahrheit vorn Wege zur Aufhebung des Leidens,

es ist dieser Hohe achtteilige Pfad, der da heißt:

rechte Anschauung, rechtes sich-Entschließen, rechtes Reden, rechtes Handeln,

rechter Beruf, rechtes Mühen, rechtes Gedenken, rechte Konzentration *.« –

* Majj. Nik. Ill, p. 251 (141. Suttam).

 

Überblicken wir ihn noch einmal,

so sehen wir, daß seine acht Glieder nicht etwa wie die Kugeln auf einer Schnur sich aneinanderreihen,

sondern daß sie sich zu einer organischen Einheit zusammenschließen:

Der Heilsweg besteht in einem steten Mühen um fortwährende Konzentration des Geistes

zum Zweck unablässiger objektiver Betrachtung aller unserer Gedanken, Worte und Werke,

wie auch unserer ganzen Lehensführung überhaupt,

an der Hand der vom Buddho im rechten Gedenken gegebenen Richtlinien,

um so die rechte anschauliche Erkenntnis, letzten Endes in Form der heiligen Weisheit, zu gewinnen *:

* Ist so die rechte anschauliche Erkenntnis – (nanadassanam) –

das Ziel alles moralischen Strebens,

so muß sie doch andererseits nach dem früher Ausgeführten

auch jedem solchen wieder vorangehen, indem ja nur sie motiviert,

also auch das Mühen

um rechte Konzentration behufs immer größerer Vertiefung ihrer selbst erst möglich macht,

wie das näher im einhundertsiebzehnten Suttam der M. S. ausgeführt ist.

Die Sache ist, wie bereits früher – oben S. 16 – angedeutet,

so, wie wenn jemand nach einem Reisehandbuch auf der Landstraße einem fernen Ziel zustrebt.

Zunächst sieht er nur die Straße selbst vor sich,

macht sich jedoch in dem Bewußtsein, den rechten Weg zu haben, auf ihn.

Je weiter er nun wandert,

desto mehr tauchen die einzelnen nach seinem Reisehandbuch zu passierenden Ortschaften auf,

die ihm eine immer erhöhtere Gewißheit geben, bis zuletzt das Ziel selbst am Horizont aufsteigt.

Hohe, rechte Konzentration, Mönche, will ich euch weisen mit ihrem Gefolge, mit ihrer Begleitung.

Was ist also, Mönche, Hohe rechte Konzentration mit ihrem Gefolge, mit ihrer Begleitung?

Es ist da rechte Anschauung, rechtes sich-entschließen,

rechtes Reden, rechtes Handeln, rechter Beruf, rechtes Mühen, rechtes Gedenken:

eine von diesen siehen Gliedern hegieitete Einheit des Denkens, Mönche,

die heißt man Hohe rechte Konzentration, und zwar mit ihrem Gefolge,

und zwar mit ihrer Begleitung *.«

* M. Nik., 117. Suttam. – Damit vgl. man Digha Nikayo XVllI. –

Dort werden die ersten sieben Glieder des Pfades »die sieben Geräte der Konzentration«,

also die Faktoren genannt. an bzw. mit denen sich das konzentrierte Denken zu betätigen hat.

Eben deshalb wird dann auch im Anschluß daran fortgefahren:

»Wenn nun, ihr Lieben,

eine solche siebenfach bestandene Einheit des Denkens bereitet worden ist,

dann wird sie Hohe, rechte Konzentration genannt,

wird sie ‚wohlgelungen‘ genannt, wird sie ‚wohlgeraten‘ genannt«. –

Das speziell das rechte Mühen ein solches um rechte Konzentration

und diese selbst wieder unzertrennlich mit dem rechten Gedenken verbunden ist

– cfr. ob. S. 293, Anm. 33 – wird auch daraus deutlich,

daß in M. Nik., 44. Suttam,

»rechtes Mühen, rechtes Gedenken und rechte Konzentration«

zusammen »der Teil der Konzentration« genannt werden.

 

Es wäre nicht im Geiste des Buddho, wenn wir diese organische Einheit,

zu der sich die acht Glieder des Pfades zusammenschließen, nicht auch anschaulich,

also so, wie sie sich praktisch darstellt, uns vorführen würden.

Zu diesem Zweck dürfen wir nur das einundsechzigste Suttam der Mittleren Sammlung * herausgreifen,

* Majj. Nik. l. p. 415.

in dem der Buddho seinem Sohn Rahulo diese praktische Gestaltung des Weges darlegt:

»Was meinst du wohl, Rahulo: wozu taugt ein Spiegel?«

»Um sich zu betrachten, oh Herr!«

»Ebenso nun auch soll man sich, Rahulo, betrachten und betrachten, bevor man Taten begeht, betrachten und betrachten, bevor man Worte spricht,

betrachten und betrachten, bevor man Gedanken hegt.

 

»Was immer du, Rahulo, für eine Tat begehen willst, eben diese Tat sollst du dir betrachten:

‚Wie, wenn diese Tat, die ich da begehen will, mir selber Harm verursachte,

oder einem anderen Harm verursachte, oder allen beiden Harm verursachte?

Das wäre eine unheilsame Tat, die Leiden aufzieht, Leiden züchtet.‘

Wenn du, Rahulo, bei der Betrachtung merkst:

‚Diese Tat, die ich da begehen will, die kann mir selber Harm verursachen,

kann einem anderen Harm verursachen, kann allen beiden Harm verursachen:

es ist eine unheilsame Tat, die Leiden aufzieht, Leiden züchtet‘,

so hast du, Rahulo, eine derartige Tat sicherlich zu lassen.

Wenn du aber, Rahulo, bei der Betrachtung merkst:

‚Diese Tat, die ich da begehen will. die kann weder mir selber Harm verursachen,

noch kann sie einem anderen Harm verursachen, kann keinem von beiden Harm verursachen:

es ist eine heilsame Tat, die Wohl aufzieht, Wohl züchtet‘,

so hast du, Rahulo, eine derartige Tat zu tun.

 

»Und während du, Rahulo, eine Tat begehst, sollst du dir eben diese Tat betrachten:

‚Weil ich nun diese Tat begehe, verursacht sie mir da selber

oder verursacht sie einem anderen, oder verursacht sie allen beiden Harm?

Ist es eine unheilsame Tat, die Leiden aufzieht, Leiden züchtet?‘

Wenn du, Rahulo, bei der Betrachtung merkst:

‚Diese Tat, die ich da begehe, die verursacht mir selber,

oder sie verursacht einem anderen, oder verursacht allen beiden Harm;

 

es ist eine unheilsame Tat, die Leiden aufzieht, Leiden züchtet‘,

so hast du, Rahulo, einer derartigen Tat Einhalt zu tun.

Wenn du aber, a, bei der Betrachtung merkst:

»Diese Tat, die ich da begehe, die verursacht weder mir selber, noch verursacht sie einem anderen,

verursacht keinem von beiden Harmes ist eine heilsame Tat, die Wohl aufzieht, Wohl züchtet‘,

so hast du, Rahulo, eine derartige Tat zu fördern.

 

»Und hast du, Rahulo, eine Tat begangen, so sollst du dir eben diese Tat betrachten:

‚Weil ich nun diese Tat begangen habe, verursacht sie mir da selber,

oder verursacht sie etwa einem anderen, oder verursacht sie allen beiden Harm?

Ist es eine unheilsame Tat, die Leiden aufzieht, Leiden züchtet?‘

Wenn du, Rahulo, bei der Betrachtung merkst:

‚Diese Tat, die ich da begangen habe, die verursacht mir selber,

oder sie verursacht einem anderen, oder verursacht allen beiden Harm:

es ist eine unheilsame Tat, die Leiden aufzieht, Leiden züchtet‘,

so hast du, Rahulo,

ein derartige Tat dem Meister oder erfahrenen Ordensbrüdern anzugeben, aufzudecken, darzulegen;

und hast du sie angegeben, aufgedeckt, dargelegt, dich künftighin zu hüten *.

* Cfr. auch M. Nik., 65. Suttam:

»Ein Fortschritt ist es, Bhaddali, im Orden des Heiligen, ein Vergehen als Vergehen einzusehen,

nach Gebühr zu bekennen und sich künftig davor zu hüten.«

Wenn du aber, Rahulo, bei der Betrachtung merkst:

‚Diese Tat, die ich da begangen habe, die verursacht weder mir selber,

noch verursacht sie einem anderen, verursacht keinem von beiden Harm:

es ist eine heilsame Tat, die Wohl aufzieht, Wohl züchtet‘,

so hast du, Rahulo, eben diese selig heitere Übung im Guten Tag und Nacht zu pflegen.«

 

Das gleiche führt der Buddho dann bezüglich jedes Wortes, das man spricht,

und jedes Gedankens, den man hegt, aus.

 

Auch hieraus wird also wieder deutlich, wie alle Glieder des Weges in der rechten Konzentration,

das heißt eben

in der unaufhörlichen beschaulichen Betrachtung aller in uns aufsteigenden Regungen des Wollens,

als in ihrem Brennpunkt zusammentreffen:

jeder gute, das ist entsagende Gedanke,

jedes gute, das heißt aus Selbstbeherrschung entsprungene Wort, jede solche Tat setzt sie voraus,

da sie alle durch die rechte anschauliche Erkenntnis bedingt sind,

diese aber ihrerseits nur als die Frucht

jenes reinen, hinter den Regungen des Durstes stehenden erkennenden Schauen möglich ist,

das insoweit die Verderblichkeit dieser Regungen durchschaut und sie so nicht zur Geltung kommen läßt,

so das eben deshalb

die aus dieser Geistesverfassung geborenen Gedanken, Worte und Taten selbst durstfrei,

mithin eben gute sein müssen.

Weil so das konzentrierte Denken die unerläßliche Bedingung für alles Gute,

auch den unscheinbarsten guten Gedanken ist *, (* s. oben S. 343.)

so erhellt gerade hieraus auch, daß sie eine ständige werden, das heißt in Form steter Besonnenheit

mehr und mehr zum beherrschenden Faktor des ganzen Lebens gemacht werden muß,

wenn anders ein wirklicher moralischer Fortschritt möglich sein soll,

so wahr es nämlich einerseits ist,

daß die Ertötung der Regungen unserer Leidenschaften

nur durch die anschauliche Erkenntnis ihrer Verderblichkeit möglich ist,

so sicher ist es andererseits, das diese anschauliche Erkenntnis eine gegenwärtige sein muß.

Jeder von uns hat nämlich gewiß schon Augenblicke gehabt,

wo ihm das Unheilvolle irgend einer Leidenschaft mit erschreckender Deutlichkeit vor Augen trat,

so daß er gar nicht zu begreifen vermochte, wie er sich ihr je habe hingeben können.

Und doch fallen wir trotz dieser richtigen anschaulichen Erkenntnis

immer wieder in den alten Fehler zurück.

Der Grund dafür ist, daß sie alsbald stets wieder untergeht.

Höchstens behalten wir einen schwachen Reflex von ihr in der Erinnerung zurück,

der aber viel zu schwach ist, als das er irgend welchen nachhaltigen Einfluß ausüben könnte.

Soll die anschauliche Erkenntnis wirksam sein,

so muß sie demnach jeden Augenblick bei allem, was wir denken, reden, tun, gegenwärtig sein.

Das setzt aber seinerseits wieder voraus,

daß das aus dem konzentrierten Denken resultierende erkennende Schauen

als stetes Kontrollorgan auf dem Posten ist,

das sich allen in uns aufsteigenden Regungen des Wollens

so reserviert und scharf beobachtend gegenüberstellt,

wie etwa ein Torwächter einem Einlaß begehrenden Fremden,

und das, wie jener diesem erst Einlaß gewährt, wenn er ihn als unverdächtig erkannt hat,

so auch irgend welche Willensregung erst passieren läßt, wenn sie als ungefährlich durchschaut ist.

Ganz allein auf diese Weise ist die Läuterung und schließliche Aufhebung unseres Charakters

in der völligen Erlöschung unseres Durstes nach der Welt möglich:

»Denn wer immer auch, Rahulo,

von den Asketen oder den Brahmanen in vergangenen Zeiten seine Taten geläutert,

seine Worte geläutert, seine Gedanken geläutert hat,

ein jeder hat also und also betrachtend und betrachtend

seine Taten geläutert, betrachtend und betrachtend seine Worte geläutert,

betrachtend und betrachtend seine Gedanken geläutert.

Und wer immer auch, Rahulo,

von den Asketen oder der Brahmanen in künftigen Zeiten seine Taten läutern,

seine Worte läutern, seine Gedanken läutern wird,

ein jeder wird so und so betrachtend und betrachtend seine Taten läutern,

betrachtend und betrachtend seine Worte läutern, betrachtend und betrachtend seine Gedanken läutern.

Und wer immer auch, Rahulo,

von den Asketen oder den Brahmanen in der Gegenwart seine Taten läutert,

seine Worte läutert, seine Gedanken läutert,

ein jeder läutert so und so betrachtend und betrachtend seine Taten,

betrachtend und betrachtend läutert er seine Worte,

betrachtend und betrachtend läutert er seine Gedanken.

Darum merke dir, Rahulo: Betrachtend und betrachtend wollen wir unsere Taten läutern,

betrachtend und betrachtend wollen wir unsere Worte läutern,

betrachtend und betrachtend wollen wir unsere Gedanken läutern:

so habt ihr euch, Rahulo, wohl zu üben * **.«

* Majj. Nik. I, p. 420 (61. Suttam).

** Warum sollte ich diesen jederzeit gangbaren Weg zur Charakteränderung nicht gehen?

Könnte es denn nicht ebenso gut sein,

daß in mir mit der Zeit, statt, wie jetzt, regelmäßig

gemeine, sich nur mehr edle Regungen anläßlich einer bestimmten Wahrnehmung erheben,

also solche der Loslösung, der Milde, der Geduld, ja schließlich gar keine mehr?

 

Es kann ja auch gar nicht anders sein.

Wissen wir doch von früher her *, * Vgl. oben s. 220, 225.

daß unser Durst nach der Welt aus der gedankenlosen Vornahme der Sinnentätigkeiten,

worin ja eben das Nichtwissen besteht, immer wieder neu hervorquillt,

indem wir, sobald wir mit dem Auge eine Gestalt sehen, mit dem Ohr einen Ton hören,

mit der Nase einen Duft riechen, mit der Zunge einen Saft schmecken,

mit dem Tastorgan etwas Tastbares tasten, mit dem Denken ein Ding auffassen,

stets gleich »ohne Einsicht in das Wesen der Körperlichkeit«

»die angenehmen Dinge verfolgen und die unangenehmen verabscheuen.«

Der dürstende Wille kann also auch nur auf dem entgegengesetzten Wege vernichtet werden,

indem wir bei jeder Sinnestätigkeit die Objekte derselben vermittels des konzentrierten Denkens

als vergänglich, ja, im Grunde ekelhaft,

und damit auch jede in Bezug auf sie aufsteigende Willensregung als uns verderblich durchschauen,

also nicht mehr unwissend, sondern wissend handeln.

 

So erweist sich denn der vom Buddho gewiesene Heilsweg als der Weg der Erkenntnis,

und zwar der Erkenntnis von der Verderblichkeit des in uns hausenden Durstes nach der Welt.

Er ist im Grunde weiter nichts

als eine Anleitung zum ständigen, richtigen und möglichst scharfen Denken,

– der Buddho nennt es »erkennendes Schauen« –

wobei insbesondere das Denken richtig dann ist, wenn man alles in der Welt,

eingeschlossen die fünf Gruppen unserer Persönlichkeit, auf die drei Merkmale (tini lakkhanani):

vergänglich (anicca), leidvoll (dukkha) und deshalb uns unangemessen (anatta) untersucht.

Dieser Weg allein kann zum Ziel führen,

so ausschließlich, als alles Leiden in unserem Durst nach den fünf Gruppen unserer Persönlichkeit

und damit nach der Welt gründet

und als dieser dürstende Wille durch unsere Unkenntnis seiner unheilvollen Folgen bedingt ist.

 

Damit sind aber dann ebenso offensichtlich die beiden anderen,

noch vielfach begangenen Wege zum Heile als Abwege aufgewiesen, nämlich der Weg,

vermittels religiöser Zeremonien und Gebräuche sein Heil wirken zu wollen.

und der Weg der Selbstkasteiung wie er gerade in Indien,

übrigens auch vielfach im Christentum in seinen besseren Zeiten, eingeschlagen wurde:

»Nicht spreche ich, Mönche,

einem Kuttenträger, weil er die Kutte trägt, das heilige Leben zu,

nicht einem Unbekleideten, weil er unbekleidet ist,

nicht einem Uchmutzbeschmierten, weil er schmutzbeschmiert ist,

nicht einem Wasserbesprenger, weil er sich mit Wasser besprengt *,

* Der Ursprung der christlichen Taufe geht auf das alte Indien zurück,

in welchem es eine ganze Reihe von heiligen Flüssen gab,

in denen man sich seine Sünden abwaschen konnte.

Mit Bezug hierauf spricht der Buddho im siebenten Suttam des M. Nik. die Verse:

»Die Bahuka, die Adhika,

Die Gaya, selbst die Sundari,

Sarasvati, Payagos strom

Und Bahumatis rasche Flut

Spült nimmer weg gewirkte schuld,

Und wüsche auch einer ewig sich.

Hast abgesagt dem Lügenwort,

Verletzest keine Wesenheit

Und nimmst nichts Ungeschenktes du,

Der Selbstverleugnung standhaft treu:

Was willst du dann zur Gaya gehen?

Nur Wasser gilt die Gaya dir.«

nicht einem Waldeinsiedler, weil er im Wald wohnt,

nicht einem Fastenpfleger, weil er fastet,

nicht einem Spruchgewaltigen, weil er die Sprüche in seiner Gewalt hat *. …

* Gemeint ist die Kenntnis der heiligen Schriften der Brahmanen,

wir würden sagen: einem Bibelfesten.

Wenn durch das Tragen der Kutte – durch Unbekleidet-sein – durch Schmutzbeschmierung –

durch Wasserbesprengen – durch Waldeinsiedlertum – durch Fasten – durch Sprüche – (des Veda) –

des Gierigen Gier, des Gehässigen Haß, des Zornigen Zorn, des Feindseligen Feindschaft …. verschwinden könnte,

…. würden Blutsverwandte und Freunde einem Neugeborenen die Kutte bringen,

würden ihm Unbekleidetsein vorschreiben, Schmutzbeschmierung, Wasserbesprengen, Waldeinsiedlertum, Fasten, Spruchgewalt,

…. würden ihn damit belehnen:

‚Komm, du Glückskind, sei Kuttenträger, sei unbekleidet, sei schmutzbeschmiert, sei wasserbesprengt,

werde Waldeinsiedler, faste, werde spruchgewaltig, so wird dir, dem Gierigen, die Gier schwinden,

dem Gehässigen der Haß, dem Zornigen der Zorn, dem Feindseligen die Feindschaft‘.

Da ich nun aber, Mönche, auch manchen Kuttenträger, manchen Unbekleideten, Schmutzbeschmierten,

Wasserbesprenger, Waldeinsiedler, Fastenpfleger, Spruchgewaltigen hier sehe,

der gierig, gehässig, zornig, feindselig … ist,

so spreche ich keinem solchen aus solchem Grund das heilige Leben zu *.«

* Majj. Nik. l, p. 281 (40. Suttam).

 

Wohl aber wandelt, wer den vom Buddho gewiesenen Weg geht, auf Hohem Pfad.

Denn auf »seiner Fährte wird man sehend und wissend *«. (* Majj. Nik. lll, p. 230 (139. Suttam))

Wo aber Wissen ist, da kann man keiner Leidenschaft mehr huldigen.

Denn niemand kann wissend sich in ein Meer von Qualen stürzen.

Das bringt nur einer fertig, der das schließliche »Ende nicht sieht«, also der Unwissende.

Deshalb gibt es in der Morallehre des Buddho

im Grunde auch keine guten und bösen Menschen in unserem Sinn, sondern nur Weise und Toren.

Deshalb gibt es in ihr aber auch keine Verachtung der schlechten,

sondern nur grenzenloses Mitleid mit ihnen,

die ebenso wie wir »das Verlangen, den Wunsch, die Absicht hegen:

‚Ach, möchte sich doch das Unersehnte, Unerwünschte, Unerfreuliche mindern

und das Erwünschte, Ersehnte, Erfreuliche mehren‘,«

denen aber »das Unersehnte, Unerwünschte, Unerfreuliche sich mehrt

und das Ersehnte, Erwünschte, Erfreuliche sich mindert . …

und warum das?

Weil es eben also geschehen muß, wenn einer unwissend ist * ‚**«

* Majj. Nik. I, p. 309 (46. Suttam).

** Man tut viel, von dem man nicht wünschen möchte, daß es ein von uns geliebtes Wesen täte.

Woher kommt das?

Sobald wir unseren Erkenntnisapparat im eigenen Interesse gebrauchen,

wird unsere Erkenntnistätigkeit in den Dienst der uns erfüllenden Triebe gezwungen,

diese fälschen die Erkenntnis,

wir handeln also dann selbst im Zustand der Unwissenheit.

Steht aber das Wohl eines geliebten Wesens in Frage, dann schweigen unsere eigenen Triebe,

wir verhalten uns rein erkennend und sehen dementsprechend viel schärfer und reiner.

Wenn man also wissen will, wie man sich im einzelnen Fall verhalten soll,

dann stelle man sich die Frage, wie man wünschen möchte, daß das geliebte Wesen handelte.

Was wir so erkennen, stellt das jeweilige Höchstmaß unserer Erkenntnisfähigkeit dar.

 

  1. Die Staffeln des Pfades im Einzelnen

 

  1. Der Gang in die Heimlosigkeit

Je höher etwas ist. um so weniger wird es gemeinhin verstanden,

weil es ja die Fassungskraft des Durchschnittsmenschen übersteigt;

desto mehr Mißdeutungen ist es eben deshalb ausgesetzt.

Ja, weil der Grund nicht behoben werden kann,

ist es auch ganz unmöglich, diesen Mißdeutungen mit Erfolg zu begegnen.

Deshalb war es denn auch von jeher das Los der höchsten Wahrheiten,

nicht bloß nicht verstanden, sondern,

soweit sie in ihrer praktischen Betätigung das Auge des Alltagsmenschen auf sich ziehen,

ins lächerliche gezogen zu werden.

So ist es denn nicht weiter verwunderlich,

daß auch die Lehre des Buddho als das Höchste, was der Welt je mitgeteilt wurde,

vielfach diesem Schicksal, insbesondere auch bei uns im Abendland, verfiel,

und dies in ganz besonderem Maß insoweit,

als sie in ihrer vollen praktischen Betätigung auf das Mönchtum hinausläuft,

eine Institution, gegen die sich der normale Weltmensch schon rein instinktmäßig aufbäumt,

weil sie, wenn sie der Wahrheit entspräche,

die denkbar schärfste Verurteilung seines eigenen in den Sinnenfreuden aufgehenden Lebenswandels

darstellen würde.

Ja, es gibt bei uns in Europa sogar »Buddhisten« – sie halten sich allen Ernstes für solche! –

welche diese Einrichtung des Buddho für überflüssig erachten,

was natürlich nicht mehr als die Wahrheit des alten indischen Sprichwortes beweist:

»Mehr als sein eigenes Maß fast ein Krug auch auf dem Meer nicht.«

Uns aber wird es schon aus dem, was wir bisher über den vom Buddho gelehrten Heilsweg gehört haben,

klar geworden sein, daß er ganz in der Welt unmöglich begangen werden kann.

Verlangt er doch nicht mehr und nicht weniger

als die Pflege tiefster Beschaulichkeit und unaufhörlicher Besonnenheit gegenüber jedem einzelnen,

auch dem unbedeutendsten Akt der Sinnestätigkeit,

um jede Regung des Durstes nach der Welt sofort als solche und in ihrer Verderblichkeit zu erkennen

und so keinerlei Anhaften mehr aufsteigen zu lassen.

Wie sollte aber

eine solche unaufhörliche Kontrolle aller und jeder Sinneseindrücke innerhalb der Welt möglich sein?

Das geht schon deshalb nicht, weil in ihr diese Eindrücke viel zu zahlreich sind,

als das jedem einzelnen gegenüber volle Besonnenheit gewahrt werden könnte.

Kommt man in der Welt doch nur in den seltensten Fällen auch nur vorübergehend zur Besinnung,

geschweige zu einer ununterbrochenen Besonnenheit:

»So ich da wirklich die vom Erhabenen dargelegte Lehre verstehe,

geht es nicht wohl, wenn man im Haus bleibt,

das völlig geläuterte, völlig geklärte heilige Leben Punkt für Punkt zu erfüllen«,

sagt Ratthapalo zum Meister, als er ihn gehört hatte *. (* Majj. Nik. ll, p. 56 (82. Suttam))

Nicht einmal die grundlegenden Gebote kann man ständig einhalten:

»Wer im Haus lebt, ist ja viel betätigt, viel beschäftigt, viel besorgt, viel bemüht,

nicht jederzeit ganz und gar der Wahrhaftigkeit zugetan,

nicht jederzeit ganz und gar der Selbstzucht ergeben, keusch, andächtig, entsagungsvoll *.«

* Majj. Nik. lI, p. 205 (99. Suttam).

Nun kann man allerdings auch innerhalb der Welt seine Beziehungen zu ihr möglichst beschränken, indem man beispielsweise keinen Beruf übernimmt, keine Familie gründet,

aber ganz werden sich diese Beziehungen nie aufheben lassen.

Denn als Weltmensch leben heißt ja eben Beziehungen mit der Welt unterhalten.

Soweit aber diese Beziehungen reichen, soweit befaßt man sich eben mit weltlichen Dingen;

soweit hegt und pflegt man also auch die Bande, die uns an die Welt knüpfen;

soweit können dieselben aber eben deshalb auch nicht definitiv gelöst werden;

soweit ist mithin die volle Erlösung unmöglich.

Denn ganz erlöst ist ja nur der, »der jedes Band durchschnitten hat *.« (* Suttanipato, V. 621)

Darüber kann ein vernünftiger Zweifel doch wohl nicht bestehen.

Und so ist es denn eigentlich wiederum nur eine Selbstverständlichkeit,

wenn der Buddho die Unmöglichkeit, innerhalb der Welt Nibbanam zu erreichen, ausdrücklich bestätigt:

»Gibt es wohl, oh Gotamo. irgend einen Hausgewohnten,

der, ohne die häuslichen Bande gelassen zu haben,

bei der Auflösung des Körpers dem Leiden ein Ende macht?« –

»Nicht gibt es, Vaccho, irgend einen Hausgewohnten,

der, ohne die häuslichen Bande gelassen zu haben,

bei der Auflösung des Körpers dem Leiden ein Ende macht *.« (* Majj. Nik. l, p. 483 (71. Suttam))

 

Eben in Konsequenz dieses seines Standpunktes

hat der Buddho denn auch den Sangho gegründet als die Gemeinschaft aller derer,

die aus dem Haus in die Heimlosigkeit gewandert sind,

um unter seiner Führung

als Mönche dem großen Ziel des völligen Heraustrittes aus der Welt entgegenzustreben.

Was man unter dem Sangho zu verstehen hat,

zu dem man als dem Dritten Juwel seine Zuflucht nehmen muß,

ist ausführlich dargelegt in dem Kapitel »Die Zufluchtnahme zu den Drei Juwelen«.

Die Bekenntnisformel,

die bis auf den heutigen Tag das eigentliche Glaubensbekenntnis aller Buddhisten bildet, lautet:

 

»Das auf Erkenntnis gegründete Vertrauen zum Buddho wird mich erfüllen:

Er, der Erhabene ist der Heilige, der vollkommen Erwachte,

kundig des rechten Wissens und des rechten Wandels,

der Pfadvollender, der die Welten kennt,

der Unvergleichliche, der den Menschen wie einen Stier bändigt,

der Lehrer von Göttern und Menschen, der Erwachte, der Erhabene.

 

»Das auf Erkenntnis gegründete Vertrauen zur Lehre – Dhammo – wird mich erfüllen:

Wohl verkündet ist vom Erhabenen die Hohe Lehre, klar sichtbar, jederzeit zugänglich,

sie heißt: Komm and sieh«, ist Führer, Verständige können sie in sich selber feststellen.

 

»Das auf Erkenntnis gegründete Vertrauen zur Gemeinde – Sangho – wird mich erfüllen:

In rechtem Wandel lebt die Jüngergemeinde des Erhabenen,

in geradem Wandel lebt die Jüngergemeinde – savakasangho – des Erhabenen,

nach der rechten Methode lebt die Jüngergemeinde des Erhabenen,

nämlich die vier Paare von Menschen *.

* Die vier Arten von Heiligen – davon weiter unten –

sowie jene, welche jeweils auf dem Wege dazu sind (cfr. Pugg. Pann. No. 17, 18).

Das ist die Jüngergemeinde des Erhabenen, würdig der Opfer, würdig der Spenden, würdig der Gaben,

würdig, daß man die Hände in Ehrfurcht vor ihr erhebt,

das unübertreffliche Saatfeld der Welt für glückbringende Wohltätigkeit *.«

* Samyutta Nik. vol. V, pag. 343, 345 (LV, 1-74).

 

Darnach wird wohl die ganze Torheit aller derer offenkundig,

die einem Dhammo ohne einem Sangho das Wort reden zu müssen glauben.

Nehmen sie doch dem Messer die Klinge

oder, was dasselbe ist, wollen sie doch glauben machen, daß ein Badender trocken werden könnte,

bevor er überhaupt aus dem Wasser gestiegen ist.

Zu einem solchen Standpunkt können sie natürlich nur gelangen,

weil sie den Kern der Lehre des Buddho und damit ihre eigene ewige Bestimmung nicht zu erfassen,

das heißt nicht zu begreifen vermögen, daß die ganze Welt wirklich ein brennendes Haus ist,

aus dem man sich nicht schleunig genug retten kann *. (* Majj. Nik. l, p. 353 (52. Suttam))

Denn würden sie das. so wäre es doch einfach unmöglich,

daß sie, statt verächtlich von Weltsucht zu reden, nicht jedes Mal erleichtert aufatmeten,

wenn sie wieder einen aus diesem brennenden Hause sich flüchten sehen,

und das sie dabei nicht bedauerten, das nicht auch sie selbst den Mut dazu finden können.

 

Aus dem Gesagten erhellt aber wohl weiterhin, was von jenen Klagen zu halten ist,

die darin gipfeln, das hiernach ja alle Menschen Mönche und Nonnen werden müßten

und so die Welt auf den Aussterbe-Etat gesetzt wäre *.

* Klagen, die übrigens schon zu des Buddho Zeiten laut wurden:

»Zu der Zeit aber führten weitbekannte junge Leute aus vornehmen Familien von Magadha

unter der Leitung des Erhabenen den Wandel der Reinheit.

Darüber wurden die Leute erregt, sie ärgerten sich und murrten:

‚Der Asket Gotamo ist gekommen, um uns kinderlos zu machen;

der Asket Gotamo ist gekommen, um Frauen zu Witwen zu machen;

der Asket Gotamo ist gekommen. um die Familien aussterben zu machen.‘« (Mahavaggo l. 23)

Sind solche Klagen im Grunde doch nicht anderes, als wenn es einer für ein Unglück halten wollte,

wenn alle Menschen von körperlichen Krankheiten genäsen,

da es dann ja keine Krankenhäuser mehr gäbe!

Freilich würde die Welt aufhören,

wenn alle Wesen veranlaßt werden könnten, ihre ewige Bestimmung zu verwirklichen;

aber dadurch würde ja nur das Leiden sein definitives Ende erreichen.

Doch zum Troste jener, denen so viel an dem Fortbestand der Welt liegt,

wird das nicht eintreten, wird das wohl überhaupt nie eintreten;

denn immer wird es solche geben, die, statt selbst ihren Auszug aus der Welt zu halten,

sogar mit Steinen nach jenen werfen, die es ihnen vormachen *.

* Die Frage, ob alle Wesen zur Erlösung gelangen werden, hat der Buddho nicht beantwortet,

weil sie für die praktische Erlösungsarbeit des einzelnen belanglos ist.

Im Anguttara Nikayo X, 95 – heißt es:

Wie der Torwart einer Festung nicht weiß, wie viele Personen durch das Tor kommen,

wohl aber weiß, daß niemand anders als durch das Tor kommen und gehen kann,

so »kümmert es den Vollendeten nicht,

ob die ganze Welt oder die Hälfte oder ein Drittel auf diesem

(das heißt dem von ihm gelehrten Weg)

in die Freiheit gelangt ist oder gelangt oder gelangen wird«.

 

Freilich über gewisse Bedenken kommen auch ernster Strebende nicht hinweg,

nämlich über die angebliche Pflichtenkollision,

die der Gang in die Heimlosigkeit – Pabbajja –

gegenüber den eigenen Angehörigen, insbesondere Weib und Kind, mit sich bringe.

Wenn der Buddho ihn nämlich auch keinem gestattet,

der nicht die Einwilligung seiner Eltern hierzu erlangt hat –

»nicht nehmen Vollendete ohne Zustimmung der Eltern den Sohn auf«,

sagt er zu dem um Aufnahme in die Mönchsgemeinde bittenden Ratthapalo * –

* Majj. Nik. Il. p. 56 (82. Suttam).

so hat er doch nichts dagegen, das man Weib und Kind verläßt, um sein ewiges Heil zu wirken.

Am schärfsten tritt dieser Standpunkt im folgenden Bericht hervor:

 

»Zu einer Zeit weilte der Erhabene zu Savatthi, im Jeta-Waldhaine des Anathapindiko.

Zu dieser Zeit nun war der ehrwürdige Sangamaji nach Savatthi gekommen,

um den Erhabenen zu sehen.

Nun hatte das frühere Weib des ehrwürdigen Sangamaji reden gehört:

»Der Mönch Sangamaji soll in Savatthi angelangt sein«

Da nahm sie ihr Kind und ging zu dem Jeta-Wald hin.

Zu jener Zeit aber saß der ehrwürdige Sangamaji am Fuß eines Baumes,

um dort den Nachmittag, in Meditation versenkt, zuzubringen.

Das frühere Weib des ehrwürdigen Sangamaji

begab sich nun dorthin, wo der ehrwürdige Sangamaji weilte,

und sprach hierauf den ehrwürdigen Sangamaji folgenderart an:

‚Siehe hier dein Söhnchen, oh Asket: ernähre mich!‘

Auf diese Worte verharrte der ehrwürdige Sangamaji im Schweigen.

Ein zweites Mal

sprach nun das frühere Weib des ehrwürdigen Sangamaji zu dem ehrwürdigen Sangamaji so:

-sieh« hier dein Söhnchen, oh Asket: ernähre mich!‘

Und zum zweiten Mal blieb der ehrwürdige Sangamaji schweigsam.

Zum dritten Mal sprach nun des ehrwürdigen Sangamaji früheres Weib zu dem ehrwürdigen Sangamaji: ‚siehe hier dein Söhnchen, oh Asket: ernähre mich!‘

Und zum dritten Mal blieb der ehrwürdige Sangamaji schweigsam.

Da nun legte des ehrwürdigen Sangamaji früheres Weib das Kind vor den ehrwürdigen Sangamaji hin

und ging fort:

‚Das ist dein Sohn, oh Asket, ernähre ihn!‘

Der ehrwürdige Sangamaji aber blickte weder auf das Kind, noch sprach er ein Wort.

Als nun des ehrwürdigen Sangamaji früheres Weib in einiger Entfernung sich umwandte,

sah sie, wie der ehrwürdige Sangamaji das Kind weder betrachtete, noch irgend sprach.

Da dachte sie: ‚Nicht einmal um sein Kind kümmert sich dieser Asket!‘ –

kehrte zurück, nahm das Kind und entfernte sich.

 

»Es sah aber der Erhabene mit dem göttlichen Auge, dem reinen, das menschliche übertreffenden,

diese Begegnung des ehrwürdigen Sangamaji mit seinem früheren Weib.

Da erkannte der Erhabene den Sinn (dieser Begegnung)

Und sprach bei jener Gelegenheit folgenden Vers:

»Die Kommende erfreut ihn nicht, die Gehende betrübt ihn nicht:

Den vom Anhangen geheilten Mönch, den nenne ich einen Brahmanen‘ *.«

* Udanam I, 8. Damit vergleiche man folgenden Ausspruch Christi – Matthäus 10,34-37:

»Denkt nicht, daß ich gekommen sei, Frieden auf die Erde zu bringen.

Nicht bin ich gekommen, Frieden zu bringen, sondern das schwere

Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien

mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Frau mit ihrer Schwiegermutter,

und des Menschen Feinde werden seine Hausgenossen sein. –

Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, nicht ist der meiner würdig;

und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, nicht ist der meiner würdig.« –

Natürlich bezieht sich auch der erste Teil der Stelle

ausschließlich auf den gleich näher zu behandelnden Konflikt

zwischen den »Rechten« der Angehörigen

und den sittlichen Geboten, denen der Anhänger Christi untersteht.

 

Es gibt viele, die aufrichtige Freunde der Lehre des Meisters sind,

aber dabei trotzdem diesen Standpunkt nicht verstehen können;

und doch ist auch er sonnenklar, wenn man ihn nur von der Höhe des reinen Erkennens aus betrachtet:

 

Wenn der Buddho recht hat, daß die ewige Bestimmung jedes Wesens darin liege,

über die Welt hinauszuwachsen und schließlich ganz aus ihr herauszutreten,

dann muß aus der Art dieser Bestimmung

auch das Kriterium für die Bewertung jeder Handlung in moralischer Hinsicht entnommen werden.

Indem gut oder sittlich im höchsten Sinn nur sein kann, was der Erreichung dieses Endzieles dienlich ist,

böse oder unsittlich aber alles ist, was sie hemmt oder direkt unmöglich macht.

Legt man dieses zweifellos richtige Prinzip zugrunde, dann handelt keinesfalls derjenige unsittlich,

der um seines ewigen Heiles willen die Welt und damit auch Weib und Kind verläßt.

Was er tut, ist für ihn gut;

denn es liegt in der Linie seiner ewigen Bestimmung;

ja, es ist außerordentlich gut;

denn es liegt auf dem nächsten Weg zu ihr.

Wenn es aber auf seiner Seite etwas außerordentlich Gutes ist, das er auszuführen willens ist,

dann erscheint eben deshalb jede Erschwerung dieses Schrittes,

von welcher Seite her sie auch immer erfolge, als etwas Unsittliches

– dieses Wort natürlich vom höchsten Standpunkt aus, den wir jetzt ja einnehmen, gebraucht –

kurz: Unsittlich handelt nicht der, der heilig werden will,

sondern unsittlich handeln seine Frau und seine Kinder,

die ihn aus Selbstsucht hindern wollen, dieses sein ewiges Heil zu wirken.

Um diese Verteilung der Schuld ganz klar zu erkennen, erwäge man Folgendes:

Auch jenen bewegt die Liebe zu Weib und Kind, vielleicht mehr als diejenigen, die ihn verurteilen;

ist er doch fraglos ein edler Mensch.

Aber unter den schwersten Seelenkämpfen trotzt er dieser Liebe,

trotzt auch jeder anderen Neigung, die ihn zur Welt zurückzieht,

und macht sich auf den Weg, das Schwerste zu vollbringen, was ein Mensch überhaupt vollbringen kann,

im vollen Umfang den Kampf mit sich selbst aufzunehmen,

einen Kampf, gegen den jeder andere ein Kinderspiel ist *,

* »Nicht wer zehnhunderttausend Mann

Am Schlachtfeld überwältigt hat:

Wer einzig nur sich selbst besiegt,

Der, wahrlich, ist der stärkste Held«, – heißt es im Dhammapadam, V. 103.

mithin auf Befriedigung jeglicher Willensregung verzichten zu lernen,

ja, mit der Zeit völlig willenlos zu werden.

Diese aber wollen nur ihren Ernährer nicht verlieren,

können die in Form der Liebe auftretende Neigung zum Ziehenden nicht beherrschen,

sind mit einem Worte Sklaven des in ihnen hausenden Durstes.

Wer ist da groß und wer klein?

Darf aber der Große sein Ziel um der Kleinen willen fahren lassen?

Darf ein Krieger der ins Feld ziehen will,

sich durch die Klagen von Weib und Kind davon abhalten lassen?

Würde ihm nicht die ganze Welt zurufen: »Schwächling?«

 

Daraus geht also zur Evidenz hervor,

daß es nicht geraten ist, etwas sittlich Gutes in Hinsicht auf den Unverstand anderer zu unterlassen.

Denn nichts anderes als Unverstand ist es doch, der sich hindernd in den Weg stellt:

Auf ihrer unendlichen Weltenwanderung

haben sich diese paar Menschen auf eine kurze spanne Zeit in einer Familie zusammengefunden,

um sich alsbald im Tod wieder von einander zu trennen

und, jeder für sich allein, die Wanderung, vielleicht in eine schauerliche Zukunft hinein, fortzusetzen.

Ist es unter diesem Gesichtspunkt nicht unvernünftig,

wenn einer den anderen hindern will, ein Ende dieser unglückseligen Weltenwanderung herbeizuführen,

nur damit er diese gegenwärtige flüchtige Existenz möglichst sorglos und schmerzlos genießen kann,

unbekümmert wie um sein eigenes so auch um des anderen ferneres Schicksal?

Ja, ist das im Grunde nicht unverantwortlich?

Wer ist hier der Egoist, jener, der alles, was ihn zu etwas Positivem,

also eben zu einem Ego in der Welt macht, radikal vernichten,

oder jener, der sich nicht bloß mit der Behauptung seines eigenen Ego begnügen,

sondern auch noch den anderen in dessen Dienste zwingen will?

 

Weil somit der Gang in die Heimlosigkeit das sittliche,

jedes Hemmen desselben aber eine Unsittlichkeit ist,

darum kann sich ihm gegenüber auch niemand auf vertragliche Rechte als Hemmnisse berufen.

Denn auch jede Berufung auf eine solche vertragliche Gebundenheit des anderen Teiles

würde ja eben selbst wieder eine Unsittlichkeit darstellen,

indem einer an sich unsittlichen Handlung

dieser ihr Charakter keinesfalls dadurch genommen werden kann,

das einem derjenige, dem gegenüber sie gesetzt werden soll,

früher, noch dazu unter gänzlich anderen Voraussetzungen,

einen Anspruch auf sie eingeräumt hat, so gut öffentliches Recht dem Privatrecht vorgeht,

ein Privatrechtsanspruch also einem öffentlichen weichen muß,

so gut muß jeder vertragliche und sonstige aus der Rechtsordnung hergeleitete Anspruch

den Geboten der Sittlichkeit weichen,

wenn das Recht nicht ein Instrument für den Triumph der Unsittlichkeit werden soll *.

* Die Möglichkeit des Konfliktes zwischen Recht und Sittlichkeit liegt darin,

daß beide an sich mit einander überhaupt nichts zu tun haben,

wie denn ja auch nach Schopenhauer der Staat kein Mittel zur Moralität ist

(Neue Paralip., S. 409).

Freilich wird jeder Gesetzgeber bestrebt sein, das Recht in Einklang mit der Moral zu bringen,

da der Staat nicht selbst ein ethisches Unrecht sein darf,

wenn er aus rechtlichen-Leuten bestehen will (Schop. l. c.),

so das also für normale Verhältnisse Recht und Sittlichkeit sich im Allgemeinen decken werden.

Aber erleidet das schon für diesen Bereich Ausnahmen,

zum Beispiel bei antireligiöser Gesetzgebung,

so sind Widersprüche zwischen formalem Recht und Moral insbesondere dann unvermeidlich,

wenn die Sittlichkeit eines Individuums über die sittlichen Begriffe,

auf die die Rechtsordnung Rücksicht nimmt, hinauswächst:

ein Soldat ringt sich zur sittlichen Überzeugung durch,

daß das Töten in allen Formen, auch im Krieg, verwerflich sei;

ein Ehegatte findet mit der Zeit

die Ausübung der ehelichen Pflicht mit seinem verfeinerten sittlichen Empfinden

nicht mehr vereinbar-,

der andere Ehegatte besteht aber auf seinem »Recht«;

endlich auch unser Fall:

Einer findet schon das Leben als Weltmensch an sich seinem ewigen Heil abträglich,

seine Angehörigen wollen ihn aber unter Berufung auf seine »Verpflichtungen«

nicht ziehen lassen. –

In allen derartigen Fällen muß mithin vor dem Gewissensforum des Einzelnen

das Recht hinter die sittliche Forderung zurücktreten,

wenn auch der Staat mit »Recht« den entgegengesetzten Standpunkt einnimmt.

 

Damit ist aber nicht gesagt, daß der Anspruch auf den Gang in die Heimlosigkeit ein unbedingter sei;

er findet vielmehr eben in den sittlichen Geboten, aus denen er entspringt, auch seine Schranke:

wer sein eigenes ewiges Wohl wirken will, darf auch das wahre Wohl der anderen nicht gefährden *.

* Dieser Satz, wie überhaupt das Folgende,

wird in späteren Ausführungen seine letzte Begründung erfahren.

Zwar der Seelenkummer, den er seinen Angehörigen bereitet,

scheidet für den Ziehenden ohne weiteres aus;

denn für diesen ist nicht er, sondern deren eigener Unverstand die Ursache,

weshalb insoweit auch nicht er die Konsequenzen zu tragen hat.

Aber auch im Übrigen handelt es sich natürlich nur um das wahre Wohl der Seinen,

nicht, was diese für solches halten.

Es kommt also insbesondere nicht darauf an,

daß sie nunmehr das bisherige sorgenfreie, vielleicht sogar behagliche Leben verlieren sollen;

ein solches ist ja vom höchsten Standpunkt aus eher als ein Unglück denn als ein Glück zu erachten,

da es gemeinhin nur das Anhaften an der Welt und damit das künftige Leiden verstärkt:

»Wenn du, Hausvater, tun willst, was ich rate,

so würdest du diesen Haufen von Gold und Geschmeide auf Wagen laden

und hinausfahren und mitten in den Strom der Gangesfluten versenken lassen.

Und warum das?

Du wirst ja, Hausvater, Wehe, Jammer, Leiden, Gram und Verzweiflung daran erfahren«,

sagt Ratthapalo zu seinem Vater,

der ihn durch den Hinweis auf sein großes Vermögen bestimmen will, das Mönchtum wieder aufzugeben *.

* Majj. Nik. ll, p. 64 (82. Suttam).

Es kommt nicht einmal darauf an, daß die Zurückbleibenden ihren Ernährer verlieren,

sofern sie sich nur selbst, sei es auch unter Mithilfe anderer, notdürftig ernähren können.

Denn das ist vom höchsten Standpunkt aus eher ein Glück als ein Unglück,

da es ganz besonders geeignet ist,

den Menschen über sein wahres Verhältnis zur Welt zur Besinnung zu bringen.

Somit bleiben als Fälle, auf die derjenige, der Mönch werden will. Rücksicht zu nehmen hat, nur übrig,

daß ohne ihn auch dieser notdürftige Unterhalt seiner Angehörigen

oder gar deren ewiges Heil in Frage stünde,

letzteres beispielsweise, wenn die Kinder in die Gefahr kämen, sittlich zu verwahrlosen.

Auf dem ersteren Standpunkt steht Ghatikaro, der Hafner,

im einundachtzigsten Suttam der Mittleren Sammlung,

wenn er der Aufforderung seines Freundes Jotipalo, in den Orden des Meisters einzutreten,

mit dem Hinweis begegnet:

»Weißt du denn nicht, bester Jotipalo, daß ich meine greisen, erblindeten Eltern ernähre *?«

* Majj. Nik. Il. p. 48 (81. Suttam).

Daß aber keinesfalls

das ewige Heil der Zurückbleibenden durch den Gang in die Heimlosigkeit gefährdet sein darf,

geht gerade aus dem oben angeführten Berichte aus dem Udanam hervor,

wonach Sangamaji nur der Aufforderung seines früheren Weibes gegenüber sich passiv verhält,

sie und ihr Kind zu ernähren;

wäre ihr ewiges Heil in Frage gestanden, so hätte ihn schon

das in ihm, wie in jedem Heiligen wohnende Erbarmen mit den Wesen bestimmt, sie zu retten,

wobei freilich dieses Erbarmen nach der Sachlage, der er sich gegenüber sah,

sich wohl auf das »Wunder der Belehrung *« (* Digha Nik. XI.)

als das einzige, wirklich Erfolg verheißende Mittel beschränkt haben würde.

 

Um die Fälle, in denen der Gang in die Heimlosigkeit in Rücksicht auf andere

nach den Intentionen des Buddho wohl besser unterbleibt, auf ein Prinzip zu bringen, kann man sagen:

Wer in den Orden des Meisters eintreten will,

dessen Beziehungen zu seinen Angehörigen müssen solche sein,

daß sein Schritt ihre Billigung finden würde,

wenn sie auf der gleichen sittlichen Höhe ständen wie er selbst.

Findet er diese Beziehungen nach reiflicher Prüfung derart gelagert,

kann er sich also mit anderen Worten sagen,

daß er bei vertauschten Rollen ebenfalls die Einwilligung zu geben sich für verpflichtet erachten würde,

so handelt er, wenn er nun wirklich fortzieht,

im vollkommenen Einklang mit dem für ihn maßgebenden Sittengesetz

und kann eben deshalb nach keiner Richtung hin etwas Tadelnswertes begehen.

Denn die Ursache für alles Leid, das anläßlich seines Schrittes für seine Angehörigen anhebt,

liegt dann auch insoweit nicht an ihm,

sondern wiederum in deren eigener Unverständigkeit oder mangelnder Erkenntnis,

ist also, recht betrachtet, wiederum nicht von ihm, sondern von ihnen selbst verschuldet und zu vertreten.

Wären sie der Sachlage gewachsen,

so würde das Ereignis, statt das sie es zu einer Quelle des Leidens machen,

auch von den heilsamsten Folgen für sie begleitet sein:

»Wenn die Familie,

aus der jene edlen drei Söhne vom Haus fort in die Heimlosigkeit hinausgezogen sind,

jener edlen drei Söhne in Liebe gedächte,

so gereichte es auch ihr lange zum Wohl, zum Heil«,

heißt es im einunddreißigsten Suttam der Mittleren Sammlung * (* Majj. Nik. I, p. 210.)

in Bezug auf drei Jünger, die dem Buddho nachgefolgt waren.

Die Frage ist mithin. ob beispielsweise die Frau gegenüber dem scheidenden Mann,

wenn sie auf der Höhe der Situation stände, statt zu klagen, mutatis mutandis ebenso sprechen würde,

wie jene Gattin im Anguttara Nikayo zu ihrem schwer kranken Mann:

»stirb nicht in sorgenvollen Gedanken; solch einen Tod lobt der Erhabene nicht.

Fürchtest du, ich werde nach deinem Hinscheiden unsere Kinder nicht ernähren können?

Aber ich bin ja eine geschickte Baumwollspinnerin;

mir wird es nicht schwer werden, den Hausstand aufrecht zu erhalten.

Oder meinst du, daß ich nach deinem Tod aufhören möchte,

den Anblick des Buddho und seiner Jünger zu ersehnen?

Das meinem Geiste der Frieden fehlen wird?

Das ich nicht ohne Wanken darin feststehen werde, des Meisters Lehre zu kennen und ihr zu vertrauen?

Aber wenn mich je eine Unsicherheit anwandelt,

so weilt er ja in der Nähe, der erhabene, heilige Buddho, und ich kann hingehen, ihn zu befragen *.«

* Angutt. Nik., vol. Ill, pag. 295-298 (VI. 16).

 

Kann es so äußere Verhältnisse geben, die vom Gang in die Heimlosigkeit abhalten *,

* Von der Aufnahme in den Sangho ist auch ausgeschlossen:

  1. a) wer mit gewissen Krankheiten behaftet ist,
  2. b) wer im Dienst des Königs steht,
  3. c) wer seine Schulden noch nicht beglichen hat,
  4. d) wer unfrei ist.

Wie man sieht, beruhen diese Ausnahmen sämtlich auf Zweckmäßigkeitsgründen,

insbesondere sollen die zwei letzten offenbar einen Konflikt mit der Staatsgewalt ausschließen. –

Ähnlichen Erwägungen – man muß dabei an die ausgedehnten Machtbefugnisse denken,

die speziell im alten Indien die Eltern gegenüber ihren Kindern hatten –

entspringt wohl auch

die unbedingte Respektierung des Gewaltverhältnisses der Eltern gegenüber ihren Kindern,

die in der Statuierung des elterlichen Konsenses zum Eintritt in den Orden zum Ausdruck kommt,

wie das schon daraus hervorgeht,

daß selbst ein aus reiner Bosheit entsprungenes Verbot der Eltern wirksam ist.

so liegt das Haupthindernis doch gewöhnlich im Menschen selbst:

der Mensch muß dazu reif sein,

das heißt, sein ganzes Wollen muß bereits so veredelt sein,

daß keine Güter dieser Welt ihn mehr völlig zu befriedigen vermögen,

so daß das Ewige, sobald es irgendwie greifbar in seinen Gesichtskreis tritt,

ihn mächtig anzieht und ihm allen seinen weltlichen Besitz als schal und leer erscheinen läßt,

der ihn ernstlich nicht weiter zu fesseln vermag:

»Gleichwie etwa, Udayi, wenn da ein Hausvater wäre oder der Sohn eines Hausvaters,

reich, mit Geld und Gut mächtig begabt, im Besitz vieler Haufen Goldes,

im Besitz vieler Massen Getreides, im Besitz vieler Felder und Wiesen, im Besitz vieler Häuser und Höfe,

im Besitz vieler Scharen von Frauen,

im Besitz vieler Scharen von Dienern, im Besitz vieler Scharen von Dienerinnen.

Und er sähe in einem Hain einen Mönch, mit rein gewaschenen Händen und Füßen, heiter blickend,

nach eingenommenem Mahl, in kühlem Schatten sitzen, hohem Gedenken hingegeben.

Und es würde ihm also zumute: ‚Selig ist, wahrlich, heiliges Leben, leidlos ist, wahrlich, heiliges Leben.

Oh, wäre ich doch ein solcher, daß ich, mit geschorenem Haar und Bart, mit gelbem Gewand bekleidet,

aus dem Haus in die Heimlosigkeit hinauszöge.‘

Und er vermöchte die vielen Haufen Goldes zu lassen, die vielen Massen Getreides zu lassen,

die vielen Felder und Wiesen zu lassen, die vielen Häuser und Höfe zu lassen,

die vielen Scharen von Frauen zu lassen,

die vielen Scharen von Dienern zu lassen, die vielen Scharen von Dienerinnen zu lassen

und, mit geschorenem Haar und Bart, mit gelbem Gewand bekleidet,

aus dem Haus in die Heimlosigkeit hinauszuziehen…

Das sind ja für ihn keine festen Bande, sind schwache Bande, faule Bande, haltlose Bande *.«

* Majj. Nik. l, p. 451 (66. Suttam).

 

Auf dieser Höhe stehen aber die allerwenigsten Menschen.

Die ungeheure Überzahl klebt noch so fest an der Welt,

daß die Botschaft eines überweltlichen Glückes und Friedens in ihnen,

auch wenn sie in den erbärmlichsten Verhältnissen leben,

höchstens ein mattes, unbestimmtes Gefühl der Unwürdigkeit ihrer Lage auszulösen vermag,

daß natürlich kein Motiv für ein entsprechendes Handeln abzugeben imstande ist:

»Gleichwie etwa, Udayi, wenn da ein Mann wäre, arm, unfrei, unselbständig,

und er besäße ein einziges Häuschen, verfallen und zerfallen,

den Krähen gar sehr zugänglich, durchaus nicht schön,

eine einzige Lagerstatt verfallen und zerfallen, durchaus nicht schön,

einen einzigen Scheffel voll Getreidesamen, durchaus nicht schön,

ein einziges Weib, durchaus nicht schön,

und er sähe in einem Hain einen Mönch, mit rein gewaschenen Händen und Füßen, heiter blickend,

nach eingenommenem Mahl, im kühlen Schatten sitzen, hohem Gedenken hingegeben.

Und es würde ihm also zumute: ‚Selig, wahrlich, ist heiliges Leben, leidlos, wahrlich, ist heiliges Leben;

oh, wäre ich doch ein solcher, daß ich, mit geschorenem Haar und Bart, mit gelbem Gewand bekleidet,

aus dem Haus in die Heimlosigkeit hinauszöge.‘

Und er vermöchte nicht das eine Häuschen, verfallen und zerfallen,

den Krähen gar sehr zugänglich, durchaus nicht schön, zu lassen,

die eine Lagerstatt, verfallen und zerfallen, durchaus nicht schön, zu lassen,

den einen Scheffel voll Getreidesamen, durchaus nicht schön, zu lassen,

das eine Weib, durchaus nicht schön, zu lassen

und, mit geschorenem Haar und Bart, mit gelbem Gewand bekleidet,

aus dem Haus in die Heimlosigkeit hinauszuziehen. …

Das sind ja für ihn feste Bande, tüchtige Bande, zähe Bande, keine faulen Bande,

ein schwerer Block *.« (* Majj. Nik. I. p. 450 (66. Suttam))

 

Hiernach kommt der Orden des Meisters nur für die Allerwenigsten in Betracht,

für so wenige, daß er gleich nach seiner vollen Erwachung zunächst überhaupt Bedenken trug,

»die Hohe Lehre«, die sich ihm entschleiert hatte,

»die abgründige«, die »Gier-Ergötzten unsichtbar« sei *, (* Majj. Nik. I. p. 168 (26. Suttam))

der Welt mitzuteilen.

Indessen bestimmte ihn schließlich doch die Rücksicht auf die »wenigen Wesen«,

die »ohne diese Hohe Lehre schließlich ebenfalls wieder verkommen würden«, den Sangho zu gründen.

So wenig Höchstgesinnte fand der Buddho also schon in seinem gesegneten Zeitalter,

wo die Sorge um das ewige Wohl wie zu keiner anderen Zeit

Einfluß auf das Handeln des Menschen gewonnen hatte *

* lm Digha Nik. XXVl heißt es einmal,

daß der Buddho der Lenker einer Jüngerschar von einigen Hunderten sei,

während der nächste Buddho ein solcher einer Jüngerschar von einigen Tausenden sein werde.

Wie viele werden da in unserem »übelartigen Zeitalter *«

* Cfr. die interessanten Ausführungen Neumanns in der L. S. II, S. 500 f.

und noch dazu im Abendland reif sein, den höchsten Weg bis zum Ende zu gehen!

 

Die Frage ist mithin, was alle jene zu tun haben,

die infolge ihres bisherigen, natürlich vor allem auch vorgeburtlichen Wirkens – Kammam –

aus äußeren oder inneren Gründen nicht reif für den Sangho sind,

in denen aber andererseits doch mehr oder weniger eine »Ahnung der Wahrheit« aufgegangen ist

und damit »das Vertrauen zum Vollendeten und zu seiner Lehre

Wurzeln geschlagen, Triebe angesetzt hat *.« (* Siehe oben S. 21.)

Auch ihnen zeigt der Buddha wie wir wissen, den Weg,

und zwar ebenfalls im Hohen achtfältigen Pfad als der einzigen Möglichkeit überhaupt,

moralisch vorwärts zu kommen.

Sie mögen ihm eben innerhalb der Welt nachleben nach Maßgabe ihrer Fähigkeiten

und soweit es die Verhältnisse, in denen sie leben müssen, gestatten,

sei es, daß sie sich darauf beschränken,

lediglich die Voraussetzungen für eine günstige Wiedergeburt zu schaffen *,

* Das wird stets der Standpunkt der großen Masse bleiben,

soweit sie überhaupt auch nur dieses Minimums von Klugheit,

einigermaßen für die Zukunft nach dem Tode Vorsorge zu treffen, fähig ist. –

Um sich eine günstige Wiedergeburt zu sichern,

hat man nach dem Buddho die fünf grundlegenden Sittengebote einzuhalten,

die eben deshalb auch für alle Laienanhänger gelten:

  1. Nichts Lebendes zu töten,

worin auch das Verbot der Mißhandlung eines Wesens eingeschlossen ist.

  1. In keiner Form Nicht-gegebenes zu nehmen,

also auch nicht in Form irgend welcher geschäftlicher Übervorteilung

oder gar des direkten Betrugs.

  1. Innerhalb der Geschlechtssphäre stets in den Grenzen des Erlaubten zu bleiben,

natürlich auch in Gedanken;

dazu gehört vor allem auch, nicht nur nicht mit dem Weib eines anderen,

sondern überhaupt mit keinem weiblichen Wesen in sexuelle Beziehungen zu treten,

das noch unter der Obhut der Eltern oder dritter Personen steht, also noch nicht selbständig ist.

  1. Wissentlich nichts Unwahres sprechen,

noch unlieber Worte gegenüber den Mitwesen sich bedienen.

  1. Berauschende und berückende Getränke vermeiden. –

Auch dieses Mindestmaß von wirklicher Sittlichkeit

kann man natürlich nur vermittels des Hohen achtfältigen Pfades erreichen.

Man muß ihn also auf jeden Fall so weit gehen,

daß so viel anschauliche Erkenntnis von der Verderblichkeit unserer Triebe gewonnen wird,

als nötig ist, ihnen wenigstens nur innerhalb dieser fünf Gebote nachzugehen. –

Für den Mönch sind diese Vorschriften weiter ausgestaltet. Davon weiter unten.

sei es, daß auch sie dem großen Endziel

der gänzlichen Überwindung des Kreislaufes der Wiedergeburten nachstreben.

Wenn sie dabei auch noch nicht in diesem Leben dieses höchste Ziel der Heiligkeit erreichen –

in dieser Erscheinung kann Nibbanam nach dem bereits Ausgeführten

nur innerhalb des Sangho verwirklicht werden -,

so können doch auch sie ihre Leidenschaften und damit ihren Durst nach der Welt

so weit bändigen und veredeln, daß sich auch bei ihnen die innere Gewißheit einstellt,

daß sie nie wieder im Zeitpunkt ihres jeweiligen Todes

an einem Keim unterhalb des Menschenreiches haften werden.

so das sie mit jeder Existenz, die ihnen noch bevorsteht, ihrem ewigen Heil näher kommen –

sie sind »dem Verderben entronnen, wandeln zielbewußt der vollen Erwachung entgegen *«;

* Majj. Nik. l, p. 142 (22. Suttam).

ja, sie mögen »die fünf niederzerrenden Koppeln«,

die immer wieder an die Welten der Sinnenfreuden binden,

nämlich eben den Hang zu diesen Sinnenfreuden,

zu sinnlicher Abneigung, zum Glauben an Persönlichkeit,

zum Glauben an die Wirksamkeit ritueller Zeremonien und Gebräuche und zum Zweifel *,

* Darunter ist der Zweifel an den vier Hohen Wahrheiten gemeint:

»Ghatikaro, der Hainen großer König, zweifelt nicht am Leiden,

zweifelt nicht an der Leidensentstehung, zweifelt nicht an der Leidensvernichtung,

zweifelt nicht am Pfad, der zur Leidensvernichtung führt«,

heißt es im einundachtzigsten Suttam der M. S.

Auf dieser Stufe

hat man also bereits einen so tiefen Einblick in die vier Hohen Wahrheiten gewonnen,

das jener in uns hausende, durch das Nichtwissen bedingte,

also im Grunde unvernünftige Hang, an ihnen zu zweifeln

– er ist vom höchsten Standpunkt aus genau so unvernünftig,

wie der Hang zu irgend einer Leidenschaft – völlig behoben

und nur noch die gänzliche Verwirklichung der vier Hohen Wahrheiten

in der Vernichtung jeglichen Durstes nach Werden durchzuführen ist.

gänzlich überkommen *,

(* Die fünf niederzerrenden Koppeln sind näher behandelt im vierundsechzigsten Suttam der M. S.)

so daß sie nach dem Tod nicht mehr in eine Welt der Sinnenfreuden zurückkehren,

sondern in einer der höchsten Lichtwelten – (Brahmawelten) – Nibbanam erreichen *.

* Es gibt vier Klassen von Hohen Jüngern:

  1. Derjenige, der, »wenn er wollte, von sich sagen könnte:

‚Aufgehoben ist für mich die Hölle, aufgehoben die Wiedergeburt in einem tierischen Schoß,

aufgehoben mein Wiedererscheinen im Gespensterreich. aufgehoben so niedere Daseinsform,

der schlimme Gang, der Sturz in die Tiefe,

ich bin einer, der in den Strom – (der zu Nibbanam führt) – eingetreten ist – (Sotapanno) -,

ich habe den Abweg für immer verlassen, bin in Sicherheit, der höchsten Erwachung gewiß.‘«

Ein solcher Sotapanno

wird höchstens noch siebenmal im Menschenreiche oder in Götterwelten wiedergeboren.

  1. Der »Einmal-Wiederkehrende« (sakadagami):

»Da kehrt ein Mensch … nach äußerster Abschwächung von Begehren, Haß und Verblendung

nur noch ein Mal wieder, und nur noch ein Mal zur Welt zurückgelangt,

macht er dem Leiden ein Ende.

Diesen Menschen bezeichnet man als ‚Einmal-Wiederkehrenden‘.«

  1. Der Nie-Wiederkehrende (Anagami):

»Da erscheint ein Mensch

nach Vernichtung der fünf an das Niedere – (die Welten sinnlicher Lust) – bindenden Koppeln

unter den geistgeborenen Wesen – (in den ungeschlechtlichen Brahmawelten) – wieder

und dort erlischt er, kehrt nicht mehr zurück zu jener Welt.

Diesen Menschen bezeichnet man als wie-wiederkehrend‘.«

  1. Der vollkommen Heilige (Araha), der noch in diesem Leben dem Leiden völlig ein Ende macht:

»Ein solcher Mönch kehrt nirgends wieder« (M. N., 120. Suttam). –

Nur die Erreichung der letzten Stufe also bleibt dem im Haus Lebenden versagt –

wie einer innerhalb der Welt zu leben hat, wenn er es bis zur Stufe des Anagami bringen will,

lehrt das Beispiel Ghatikaros, des Hafners,

in dem bereits angeführten einundachtzigsten Suttam der M. S.

Indessen ist nicht einmal die Erreichung der vollkommenen Heiligkeit

für den im Haus Lebenden schlechthin ausgeschlossen,

er kann sie wenigstens in seiner Sterbestunde erreichen:

»Ich sage dir, Mahanamo, daß zwischen einem Laienjünger,

dessen Geist diese Stufe der Erlösung erreicht hat«

– daß er sein letztes Verlangen auf das Aufhören des Werdens richtet –

»und einem Mönch, dessen Geist von aller Beeinflussung befreit ist,

kein Unterschied besteht, was den Zustand ihrer Erlösung angeht.« (Samyutta Nik. LV, 54) –

Daß er die völlige Willenstötung als Laienjünger erst in seiner Sterbestunde erreichen kann,

ergibt sich daraus, daß er, wenn er bereits in gesunden Tagen

bis zur unmittelbaren Verwirklichung Nibbanams vordringen würde,

eben deshalb, indem das ja den uneingeschränkten Verzicht auf alles Irdische voraussetzt,

auch äußerlich aus der Welt heraustreten und somit Nibbanam immer als Mönch erreichen würde.

(Sam. Nik. Xll, 41; Pugg. Pann. l, 37-41)

 

Der Sangho ist bloß eine Anstalt,

um von vornherein alle jene äußeren Hindernisse wegzuräumen,

die gemeinhin in der Welt

die genaue und ständige Einhaltung des Hohen achtfältigen Pfades unmöglich machen.

Je nachdem man es versteht,

diesen Hindernissen auch innerhalb der Welt möglichst auszuweichen und sie so zu beschränken,

mag auch hier ein erfolgreiches Vorwärtsschreiten stattfinden;

ja, es mag gar wohl sein, daß, wer im Haus lebt, weiter kommt, als einer, der vom Haus fortzieht:

»Die Brahmanen, oh Gotamo, reden so:

‚Wer im Haus bleibt, pflegt die rechte Methode, heilsames Benehmen.

Wer vom Haus fortzieht, tut das nicht.‘

Was hält nun Herr Gotamo davon?« –

»Mancherlei sage ich, Brahmane, darüber aus, nicht sage ich darüber einerlei aus.

Ob einer im Haus bleibt, oder ob einer vom Hause fortzieht: lebt er falsch, so lobe ich es nicht.

Denn wer im Haus bleibt, Brahmane, und wer vom Haus fortzieht:

lebt er falsch,

so pflegt er um seines falschen Lebens willen nicht die rechte Methode, kein heilsames Benehmen.

Ob einer, Brahmane, im Haus bleibt oder ob einer vom Hause fortzieht:

lebt er recht, so lobe ich es.

Denn wer im Hause bleibt und wer vom Haus fortzieht:

lebt er recht, so hat er wegen seines rechten Lebens die rechte Methode, heilsames Benehmen *.«

* Majj. Nik. lI, p. 197 (99. Suttam).

 

Natürlich aber wird, wer vom Haus fortzieht,

ceteris paribus viel leichter und viel rascher vorwärtskommen, als wer im Haus bleibt;

ja, vielfach werden die häuslichen und beruflichen Verhältnisse derartige sein,

daß nur der völlige Bruch mit ihnen überhaupt erst die Möglichkeit zu ernsterer Erlösungsarbeit schafft.

Aber auch wo sie ausnahmsweise derselben günstig sind,

können sie, wie bereits ausgeführt, nie derartig sein,

daß sie noch bei Lebzeiten die völlige Erlösung und die unerschütterliche Gewißheit von ihr ermöglichen.

Deshalb bleibt für diejenigen, die sich dieses Höchste zum Ziel stecken,

nur der Eintritt in den Sangho übrig.

An diese Auserwählten wendet sich der Buddho auch zunächst.

Es ist also auch ohne weiteres verständlich, daß er den Gang in die Heimlosigkeit

zum Ausgangspunkt für die Verwirklichung seines Hohen achtfältigen Pfades gemacht

und diesen in allen seinen Teilen auf jenen gegründet hat,

indem er es allen denen, die diese Grundvoraussetzung nicht erfüllen können oder wollen, überläßt,

sich, soweit es ihnen nach ihren Verhältnissen möglich ist,

an die einzelnen Stadien des Weges anzuschließen.

Und so beginnt er denn die erste Etappe des Heilsweges, wie er sich praktisch gestaltet,

eben mit dem Gang in die Heimlosigkeit.

 

  1. Die Zufluchtnahme zu den Drei Juwelen

Nur ein Buddho kann nach dem buddhistischen Kanon

den Wesen das Höchste, den absolut angemessenen Zustand,

und damit für alle Ewigkeit das vollkommene Glück in seinem Dhammo, dem »Wunderding«, offenbaren,

auf daß man dann dieses Wunderding

als Mitglied seines »Sangho«, seiner Jüngergemeinde, verwirkliche.

Deshalb werden diese drei Faktoren »die Drei Juwelen« (tini lakkhanani) genannt.

Dabei setzt der Buddho als weitere Bedingung voraus,

daß man vor allem seine Zuflucht zu diesen Drei Juwelen nehme.

Das geschieht seit des Buddho Zeiten dadurch,

daß man in feierlicher Form in dreimaliger Wiederholung die Erklärung abgibt:

»Ich nehme meine Zuflucht zum Buddho,

– ich nehme meine Zuflucht zum Wunderding,

ich nehme meine Zuflucht zur Gemeinde.«

 

Dementsprechend beginnt der Buddho die Schilderung seines Heilsweges

regelmäßig mit der Aufzeigung des ersten Juwels:

»Es handelt sich da um den Fall, daß ein Vollendeter in der Welt erscheint,

ein Heiliger, Vollkommen-Erwachter, kundig des rechten Wissens und des rechten Wandels,

ein Pfadvollender, ein Kenner der Welt, ein Lehrer der Götter und Menschen, ein Erhabener.

Der offenbart das Wesen dieser Welt wie auch der Welten der Götter und Brahmas

und das Wesen der Kreaturen in diesen Welten,

einschließlich der Asketen, der Brahmanen, der Götter und Menschen,

nachdem er all das selber durchdrungen, mit eigenen Augen gesehen hat.

Er verkündet das Wunderding,

beglückend in seinem Anfang, beglückend in der Mitte, beglückend am Ende,

voll Bedeutung und Sorgfalt in der äußeren Form,

den durchaus lückenlosen, völlig reinen heiligen Wandel legt er dar.

 

»Dieses Wunderding hört ein Haushalter oder der Sohn eines Haushalters

oder einer, der in einem anderen Stand wiedergeboren ist.

Nachdem er es gehört hat, faßt er Vertrauen zum Vollendeten.

Von diesem Vertrauen erfüllt, erwägt er:

‚Ein Gefängnis ist die Häuslichkeit, ein Schmutzwinkel, der freie Himmelsraum das heimlose Leben.

Nicht wohl geht es, wenn man in der Häuslichkeit bleibt,

den durchaus lückenlosen, völlig reinen, einer polierten Perle gleichenden heiligen Wandel zu führen.

Wie, wenn ich nun mit geschorenem Haar und Bart, mit dem gelben Gewand bekleidet,

aus dem Heim in die Heimlosigkeit zöge?‘

Und so gibt er nach einiger Zeit seinen kleinen Besitz oder seinen großen Besitz auf,

verläßt seinen kleinen oder seinen großen Verwandtenkreis,

läßt sich Haar und Bart scheren

und zieht aus dem Heim in die Heimlosigkeit« (Digh. Nik. II, 40, 41).

 

Daß das zweite Juwel bezeichnende Wort »Dhammo« ist im Vorstehenden mit »Wunderding« wiedergegeben.

Bisher wurde es allgemein mit »l-ehre«, auch »Gesetz« übel-setzt.

Diese Übersetzungen lassen aber die eigentliche.

Die Grundbedeutung des Begriffes völlig unberücksichtigt. Bei seiner Wichtigkeit erscheint es geboten, die hier gewählte Wiedergabe näher zu begründen.

 

Das Wort Dhammo in seinem weitesten Sinn ist im Kanon identisch mit unserem Wort »Ding«: schlechthin alles Erkennbare ist ein dhammo.

Ganz ebenso wie bei uns ein Ding.

Dieser allumfassende Inhalt des Wortes »Dhammo« kommt schon dadurch zum Ausdruck,

daß im Kanon als die möglichen Objekte des Denksinnes

stets die dhamma, also die Dinge, angegeben werden.

Es heißt stets: »das Denken und die Dinge (dhamma),

ganz ebenso wie »das Auge und die Gestalten, das Ohr und die Töne«.

In seiner engsten und erhabensten Bedeutung ist »Dhammo« das Ding par excellence,

das was unsere Philosophen »das Ding an sich« nennen, beim Buddho also das Nibbanam.

In diesem Sinn nahm der Inder, wenn der Zusammenhang ihn ergab,

das Wort dhammo auch ohne weiteres.

Wir müssen dieses »Ding« näher als solches kenntlich machen.

etwa eben als »Ding an sich«

oder, mehr im Geiste des Buddho, als das »Wunderding« – (Wissenschaft des Buddhismus. S. 305) -.

Übrigens wird dieses Ding an sich im Kanon auch häufig ausdrücklich als solches herausgehoben,

indem es Saddhammo genannt wird, »das beste Ding«,

was auch unser Wort Wunderding im Grunde besagt.

 

Da die ganze Lehre des Buddho

nur in der Verkündigung dieses Wunderdinges und des Weges zu seiner Verwirklichung besteht,

so begreift das Wort »Dhammo«, das Wunderding,

auch – wohl zu merken! – die ganze Lehre des Buddho in sich,

ebenso wie in Indien das Wort Brahman nicht bloß das Absolute,

sondern auch das »Wissen« von ihm (Veda)

und damit den ganzen vedischen Schriftenkomplex in sich einschließt; (Wissenschaft des Buddh., S. 301)

»Wohl verkündet ist vom Erhabenen das Wunderding (dhammo), klar sichtbar, jederzeit zugänglich,

es heißt: ‚Komm und sieh!‘, ist Führer,

Verständige können es in ihrem eigenen Inneren feststellen«

(Sam. Nik. LV, I; Majjh. Nik., 38. Suttam).

 

Folgende Stellen werden die Richtigkeit dieser Ausführungen dartun:

»… Ich wanderte nun, Mönche, das, was angemessen ist (kimkusalam),

den unvergleichlichen Zustand erhabensten Friedens suchend im Magadhaland von Ort zu Ort

und kam so in die Nähe der Burg-Uruvela.

Dort sah ich einen anmutigen Fleck Erde, einen schönen Wald,

einen Fluß mit dahineilendem klaren Wasser und freundlichen Ufern,

ringsum die Wiesen und Felder eines Dorfes.

Da kam mir, Mönche, der Gedanke:

‚Das genügt einem Sohn aus edlem Haus, der sich der Einsamkeit geweiht hat,

zur Askese, das genügt zur Askese.‘

Und ich fand da die von Geburt freie, unvergleichliche Sicherheit vor Verkoppelung, das Nibbanam,

fand die vom Altern, Krankheit, dem Tod, dem Kummer, der Beschmutzung freie,

unvergleichliche Geborgenheit vor Verkoppelung, das Nibbanam.

Die anschauliche Gewißheit (nanan ca pana me dassanam) erhob sich in mir:

‚Unerschütterlich ist meine Erlösung, das war meine letzte Geburt.

Nicht mehr gibt es ein neues Werden.‘

 

»Da kam mir, Mönche, der Gedanke: ‚Vorgedrungen bin ich zu diesem Wunderding (ayam dhammo),

dem abgründigen, schwer zu sehenden, schwer zu entdeckenden, dem friedvollen, hocherhabenen,

nicht mehr im Bereich des begrifflichen Denkens liegenden, feinen,

nur von Verständigen zu erfahren«.

Dieses Volk aber ist dem Anschluß – (an die fünf Haftensgruppen) – ergeben,

freut sich über den Anschluß, ist wohl zufrieden mit dem Anschluß.

Einem derart beschaffenen Volk aber ist ein solcher Sachverhalt

wie die ursächliche Bedingtheit, die Entstehung in Abhängigkeit (paticcasamupado) schwer verständlich

und auch dieser Sachstand ist ihm schwer verständlich,

nämlich das Ruhen aller Hervorbringungen,

das Ledig-sein aller Beilegungen,

das Verschwunden-sein des dürstenden Willens,

die Unmöglichkeit, noch weiter gereizt zu werden,

die Aufhebung alles Gewordenen, das Nibbanam.

So würden also die anderen, wenn ich das Wunderding darlegen wollte, mich doch nicht verstehen,

und es wäre für mich nur eine unnütze Plage, nur eine unnütze Belästigung.‘

 

»Was ich gefunden habe so schwer, nun offenbaren? Nein, oh nein.

Wer Gier und Haß noch in sich birgt, begreift nicht dieses Wunderding (dhammo),

das stromentgegengehende, das feine, so abgründige, das kaum zu sehen, weil überzart. –

Die Gier-Ergötzten, ganz in schwarze Nacht gehüllt, sehen es nicht.

 

»Also erwägend, Mönche,

neigte sich mein Geist zur Verschlossenheit, nicht zur Darlegung des Wunderdings.

Da wurde Brahma Sahampati vor mir offenbar.

Er sprach: ‚Möge doch der Erhabene das Wunderding aufzeigen,

möge doch der Pfadvollender das Wunderding aufzeigen!

Es gibt einige Wesen, die von Geburt an nur wenig verunreinigt sind.

Hören die das Wunderding nicht, so verkommen auch sie wieder, sie werden das Wunderding verstehen.‘

Und ich antwortete, Mönche, dem Brahma Sahampati:

 

‚Die Tore der Unsterblichkeit sind offen für die, die hören und sich wenden weg vom Opfern –

(vom Opferkult der Brahmanen).

Die Last (der Lehrverkündung) sehend,

wollte ich das Wunderding, das hehre, nicht verkünden vor den Menschen.‘« (26. Suttam des Majjh. Nik.)

 

Womöglich noch offensichtlicher erhellt die Synonymität der Begriffe »Dhammo« und »Nibbanam«

aus folgenden zwei Aussprüchen des Buddho in Anguttara Nikayo Ill, 53 u. 55:

  1. a) »‚Das klar sichtbare Wunderding (dhammo)‘ sagt man, Herr Gotamo.

Inwiefern ist nun aber das Wunderding klar sichtbar, jederzeit zugänglich, heißt es: ‚Komm und sieh!‘,

ist es Führer, können Verständige es in ihrem eigenen Inneren feststellen?« –

»Wenn man, Brahmane, die Gier – (nach den fünf Haftensgruppen) -,

die Abneigung, die Verblendung – (das die fünf Haftensgruppen uns zugehören) – aufgehoben hat,

dann denkt man nicht mehr, was einem selber, denkt man nicht mehr, was dem anderen,

denkt man nicht mehr, was beiden, einem selber und dem anderen, Harm bringen könnte;

auch empfindet man kein geistiges Leid, keine geistige Bedrückung mehr.

So – (indem man all das in sich verwirklicht sieht) – Brahmane,

ist das Wunderding (dhammo) klar sichtbar, jederzeit zugänglich, heißt es: ‚Komm und sieh!‘,

ist es Führer, können Verständige es in ihrem eigenen Inneren feststellen.«

 

  1. b) »‚Das klar sichtbare Nibbanam‘. sagt man, Herr Gotamo.

Inwiefern ist nun aber das Nibbanam klar sichtbar, jederzeit zugänglich, heißt es: »Komm und sieh!‘,

ist es Führer, können Verständige es in ihrem eigenen Inneren feststellen?« –

»Wenn man, Brahmane, die Gier, – (nach den fünf Haftensgruppen) –

die Abneigung, die Verblendung – (das die fünf Haftensgruppen uns zugehören) – aufgehoben hat,

dann denkt man nicht mehr, was einem selber, denkt nicht mehr, was dem anderen,

denkt man nicht mehr, was beiden, einem selber und dem anderen Harm verursachen könnte;

auch empfindet man kein geistiges Leid, keine geistige Bedrückung mehr.

So – (indem man all das in sich verwirklicht sieht) –

ist das Nibbanam klar sichtbar, jederzeit zugänglich, heißt es: ‚Komm und sieh’!‘

ist es Führer, können Verständige es in ihrem eigenen Innern feststellen.«

 

Dazu nehme man noch Folgendes.

lm Suttanipato 224 flg. werden die Drei Juwelen behandelt.

Dabei wird das zweite Juwel, wie folgt, bestimmt:

»Die Ausmerzung des Durstes, die Unmöglichkeit, noch weiter gereizt zu werden,

die hocherhabene Unsterblichkeit,

zu der der Weise aus dem Sakyastamm mit seinem konzentrierten Denken vorgedrungen ist:

es gibt nichts, was diesem Wunderding (dhammo) gleichkommt.

Das ist das hocherhabene Juwel, das im Wunderding besteht.

Um dieser Wahrheit willen sei Heil!«

 

Und in den Psalmen der Nonnen 201 heißt es:

»Das Unerschütterliche, das sondergleichen, von den gewöhnlichen Menschen nicht besucht:

der Vollkommen-Erwachte hat mir das (WUNDER-)Ding (dhammo) aufgezeigt:

daran erfreut sich mein Geist.

 

Man sollte meinen, daß damit der Dhammabegriff ein für alle Mal klargestellt ist.

 

* * *

 

Die Ordnung der Dinge, in die wir uns hineingestellt sehen. ist durchaus unbefriedigend,

ja, sie ist uns bei ihren Grundgesetzen – Geburt, Krankheit, Alter, Tod – in tiefster Seele zuwider,

und mithin durchaus unangemessen.

Dabei ist sie eine irreparable, schon deshalb ganz allein muß es,

wenn wir nicht schon an sich unselige Wesen sein sollen,

wogegen wieder unsere Ursehnsucht nach einer uns mehr entsprechenden Ordnung,

ja, nach einem uns absolut angemessenen Zustand spricht,

auch Ordnungen der Dinge in diesem letzteren sinne in der grenzenlosen Wirklichkeit geben.

Freilich ist, diese anderen Bereiche der Wirklichkeit und die Wege zu ihnen auszuspüren,

bisher noch keinem irdischen Wesen einwandfrei gelungen, mit einer einzigen Ausnahme – dem Buddho.

Er nennt diese anderen, höheren Ordnungen der Dinge die Götter- oder Himmelreiche

und die uns vollkommen entsprechende Ordnung das Nibbanam

und zeigt auch die Wege zu ihnen,

so zwar, daß jeder schon hienieden, in seinem gegenwärtigen Leben,

sich durch den Augenschein von ihrer Realität überzeugen kann.

Ja, er legt dar, daß es ein und derselbe Weg ist, der zu diesen Götterreichen und zu Nibbanam führt.

Die verschiedenen Götterreiche sind nämlich die einzelnen Stationen auf dem Weg zu Nibbanam,

die der Hohe Jünger des Buddho bei seinem Aufstieg zum Nibbanam der Reihe nach passiert,

so daß er also schon hienieden alle Götterreiche stufenweise in sich erlebt

und dabei auch jeweils mit ihren Bewohnern Zwiesprache halten kann.

Die niederen Himmelreiche sind die Zustände vollkommener Sittenreinheit,

während die Brahmahimmel

in den später noch zu schildernden beschaulichen Schauungen erlebt werden.

Aus diesem Grund stellen also die Schilderungen der Seligkeit und des Friedens,

wie sie der auf dem Heilsweg des Buddho Wandelnde

in seiner stufenweisen Loslösung von der Welt erfährt,

zugleich Schilderungen himmlischer Seligkeit und himmlischen Friedens dar.

 

In erster Linie war es dem Buddho um Nibbanam als dem absolut angemessenen Zustand zu tun.

Dabei hat er den Weg so gestaltet,

daß dieses Ziel noch hienieden, im gegenwärtigen Leben, erreicht werden kann:

»Leiht Gehör, Mönche, die Unsterblichkeit ist gefunden.

Ich führe ein, ich lege das Wunderding dar.

Der Führung folgend, werdet ihr in gar kurzer Zeit dieses Ziel noch in diesem Dasein erringen.«

 

Das macht es doch wohl selbstverständlich,

daß auch nach dem Buddha, ganz ebenso wie bei den brahmanischen Heilssuchern,

schon gleich der Ausgangspunkt des Weges für den Anwärter auf vollkommene Heiligkeit

den radikalen Bruch mit seinem ganzen bisherigen Leben in sich schließt.

Dieser Ausgangspunkt ist der Gang in die Heimlosigkeit (pabbajja).

In der Tat, wer möchte nicht einsehen,

daß das Unternehmen, »das Unmögliche möglich zu machen«, wie es im Kanon heißt,

nämlich den Durst nach der Welt mit allem in ihr noch im gegenwärtigen Leben

radikal und für ewig zu vernichten,

die restlose Lebenskraft und Lebenszeit beansprucht, ohne jede Ablenkung durch andere Zwecke

und damit ungestört von jeder anderweiten Sorge und Verpflichtung.

Deshalb also fordert der Buddho von dem, der den höchsten Gang gehen will.

Aufgabe von Weib und Kind, Haus und Hof, Geld und Gut:

»Ein Gefängnis ist die Häuslichkeit, ein Schmutzwinkel, der freie Himmelsraum das heimlose Leben.«

 

Wer diesen Gang in die Heimlosigkeit aus physischen Gründen

oder wegen moralischer Verpflichtungen anderen gegenüber

nicht tun zu können oder nicht tun zu dürfen glaubt *,

* So verzichtete Ghatikaro, der Hafner, auf den Gang in die Heimlosigkeit,

weil er seine greisen. erblindeten Eltern ernähren mußte.

Nach dem Buddho

verhindern auch ungetilgte Schulden und die Weigerung der Eltern, ihre Zustimmung zu erteilen,

wie auch noch einige andere Gründe, diesen Schritt.

der bewähre sich eben innerhalb der Häuslichkeit als Hoher Jünger des Buddho.

Auch in ihr kann er es sehr weit bringen, wie wir noch sehen werden.

 

Daß nach dem Buddho

die Ermöglichung der uneingeschränkten Hingabe an den heiligen Wandel

den Grund für den Gang in die Heimlosigkeit bildet, geht auch daraus hervor,

daß der Heimlose im Sinne des Buddho sich nicht einmal seine Nahrung durch eigene Arbeit verschaffen,

ja, sich nicht einmal zubereiten darf.

Er muß vielmehr ausschließlich durch den Bettel sein Leben fristen und wahllos alles essen,

was ihm in seine Almosenschale geworfen wird.

Das ist auch der Grund dafür,

daß nach dem Buddho, wer unter seiner Aegide das Asketenleben führen will,

von gesunder Körperkonstitution sein muß:

»Gesund ist er, nicht kränklich, seine Säfte sind nicht zu kalt und nicht zu heiß,

bewirken eine gleichmäßige Verdauung *.« (* Majj. Nik., 90. Satt-arm Ang. Nik. X, Nr. 11.

 

Mit dem Gang in die Heimlosigkeit ist es aber nicht getan.

Er bildet nur die Voraussetzung für die Aufnahme in die Mönchsgemeinde (bhikkhusangho)

als der denkbar günstigsten Anstalt zur Führung des heiligen Wandels (brahma-cariyam).

In dieser Gemeinde aber steht jeder Schritt und Tritt,

ja, jedes Wort des Mönches unter strengen Vorschriften

und muß jeder Verstoß

bei den an den Voll- und Neumonden stattfindenden Beichtversammlungen der Mönche

bei Vorlesung der Beichtformel, dem Patimokkham,

gebeichtet und eventuell gesühnt werden *.

* »Das Patimokkham enthält in mehr als zweihundert Paragraphen die Verbote,

welche das tägliche Leben der Mönche, ihr Wohnen, Essen und Trinken, die Kleidung

und ihren Verkehr untereinander und mit Nonnen und Laien betreffen.

Auch das Äußerlichste und Geringfügigste fand seine Stelle;

für die peinliche Gesetzlichkeit, die hier aus jedem Wort spricht, gab es nichts Nebensächliches«.

(Oldenberg, »Buddha«, S. 43 1)

lm Übrigen waren »die Satzungen der Gemeindeordnung durchaus darauf berechnet,

das kleine Genossenschaften nahe beieinander lebender Brüder sich zusammenfanden,

die voneinander wußten, sich zu den Beichtfeiern vereinigten,

einander belehrten, in Zweifeln und Anfechtungen einander beistanden,

bei Krankheiten einander pflegten und die geistliche Disziplin unter sich handhabten.

‚Denn so‘, sagt die alte Beichtformel, ‚ist die Jüngerschaft des Erhabenen verbunden,

daß einer dem anderen zuredet und einer den anderen aufrichtet‘.

Insbesondere dem jungen Mönch war es zur Pflicht gemacht,

die Gemeinschaft der älteren und erfahrenen Brüder aufzusuchen,

um in den Lehren wie in den äußeren Ordnungen des Verhaltens

bis herab zu den Regeln über das Tragen von Gewand und Almosenschale unterrichtet zu werden.

Die ersten fünf Jahre hindurch, die ein jeder in der Gemeinde zubringt,

soll er sich der Leitung und Unterweisung zweier kundiger Mönche anvertrauen,

welche seit wenigstens zehn Jahren dem Orden angehören.

Diese begleitet er auf ihren Wanderungen und Almosengängen,

er sorgt für die Reinhaltung ihrer Zellen und bedient sie bei den Mahlzeiten.

Der Lehrer soll den Schüler ansehen wie einen Sohn,

der Schüler soll den Lehrer ansehen wie einen Vater.

So sollen die beiden Ehrerbietung, Neigung und Gemeinsamkeit des Lebens unter sich walten lassen,

auf das sie in dieser Lehre und Ordnung wachsen, zunehmen und sich befestigen *.«

* Oldenberg, l. c., S. 421.

 

* * *

 

Es entsteht nun aber die Frage, in welchem Verhältnisse die Mönchsgemeinde,

der Bhikkhu-sangho, zum Sangho, der Gemeinde als dem dritten Juwel steht,

zu welcher jeder Buddhajünger seine Zuflucht nimmt.

Gewöhnlich identifiziert man die beiden Begriffe.

Das ist aber nicht richtig.

Der Sangho als drittes Juwel umfaßt vielmehr die Gesamtheit der »Hohen«

oder, wenn man diese Übersetzung vorzieht, der »Erlesenen« Jünger (ariyasavaka),

zu denen außer den Mönchen auch Laienanhänger gehören können.

Wer ist nun ein solcher erlesener Jünger?

Das Ziel des heiligen Wandels ist die Vernichtung des Durstes nach Welt und Leben.

Dieser Durst äußerst sich in seinen niederen Formen in einem in den Wesen hausenden,

im Verlauf ihres Samsaro großgezogenen Hunger in fünffacher Richtung.

Es ist

  1. der Hang zum Glauben an Persönlichkeit als unsere Essenz (sakkaya-ditthi).
  2. der zur krankhaften Sucht ausgeartete Hang,

an dem vom Buddho in seiner Anattalehre enthüllten Tatbestand,

nach welchem die Persönlichkeit eine bloße »Beilegung« (upadhi) von uns ist,

trotz aller Aufklärung, mag diese auch noch so zwingend sein, zu zweifeln *,

* Der Hang zum Glauben an Persönlichkeit ist so tief in die Wesen eingesenkt,

das sie gemeinhin gar nicht fähig sind,

auch nur den Versuch zu einem gegenteiligen Denken zu machen,

und auch von den wenigen, die dazu in der Lage sind, werden die meisten früher oder später

die Beute der sie mehr und mehr überwältigenden pathologischen Zweifelssucht.

Es ist geradeso, wie ein sinnlicher Mensch

den Hang zur Wollust trotz aller Erkenntnis ihrer Verderblichkeit

erst in jahrelangen schweren Kämpfen zu meistern lernt.

In beiden Fällen gilt,

wenn man sich einmal über die Verderblichkeit seines Hanges klar geworden ist,

die Maxime: »nec audiatur altera pars«:

die gegenteiligen Einflüsterungen unserer verderbten Natur sind einfach zu ignorieren.

(vgl. Schopenhauer, Neue Paralipomena, § 216)

  1. der Hang, sein Heil von einer, Gott genannten, überweltlichen Macht

auf Grund religiöser Zeremonien und Gebräuche, insbesondere von Gebeten, zu erwarten,

  1. der Hang nach den durch die Objekte der fünf Außensinn ausgelösten Freuden (kama),
  2. der Hang zum Ärger über alles, was den Eigenwillen durchkreuzt.

 

Diese Äußerungsarten des Durstes in seinen niederen Formen

nennt der Buddho »die fünf an das Niedere«, nämlich die Welten der Sinnenfreuden,

»fesselnden Koppeln«. (orambhagiani sannojanani)

Die Vernichtung des Durstes

hat daher vor allem durch die Vernichtung dieser fünf niederzerrenden Koppeln zu erfolgen,

und zwar methodisch, stufenweise, in vier großen Etappen.

Wer als Buddhajünger auf einer dieser vier Etappen wandelt,

der ist ein »Hoher«, ein »Erlesenera« Jünger.

 

Die Etappen sind die folgenden:

  1. Der Sotapanno,- »der in den Strom« – (der zu Nibbanam führt) – »eingetreten ist«.

Ein solcher hat seine Persönlichkeit im Licht des Anatta-Gedankens

und des Paticcasamuppado so tief durchschaut,

daß er den Glauben an Persönlichkeit als unsere Essenz restlos verloren hat,

mit der Folge, daß auch jegliche Sucht, an den vier Hohen Wahrheiten zu zweifeln,

für immer in ihm erloschen ist.

Damit ist er sich auch über seinen weiteren Weg klar geworden:

es kann nur der Weg der immer größeren Vertiefung dieser eigenen anschaulichen Erkenntnis sein.

Das ist für ihn so selbstverständlich geworden,

daß auch der Hang zum Glauben an die Wirksamkeit religiöser Zeremonien und Gebräuche

in nichts zerflattert ist:

»Gleichwie, Mönche, zur Herbstzeit die Sonne, die Lüfte durcheilend,

am klaren, wolkenlosen Himmel leuchtet und flammt und strahlt,

ebenso wird der erlesene Jünger,

wenn ihm das ungetrübte, deckenlose Auge für das Wunderding aufgegangen ist,

von drei Koppeln befreit:

dem Glauben an Persönlichkeit, der Zweifelsucht, dem Hang zu religiösen Zeremonien und Gebräuchen«.

(Ang. Nik. III, 92; auch Sam. Nik. XII, 41; XXIV, 3. 4)

Eben diese Erkenntnis eines Sotapanno meinen auch die folgenden Worte des Buddho:

»Inwiefern, oh Herr, eignet sich ein Jünger von dir deine Botschaft an,

ist er der Belehrung zugänglich, über allen Zweifel hinübergekommen,

jeglicher Ungewißheit entronnen und verweilt er in vollendeter Selbstsicherheit,

von keinem Anderen mehr abhängig in allem, was deine Botschaft betrifft?« –

»Da sieht, Aggivessano, ein Jünger von mir, was es auch an körperlicher Form gibt,

eigen oder fremd, grob oder fein, gemein oder edel,

fern oder nahe, vergangen, gegenwärtig oder zukünftig:

jede körperliche Form sieht er in vollkommener Weisheit, der Wirklichkeit gemäß, also an:

‚Das gehört nicht zu mir, das bin ich nicht, das ist nicht mein selbst‘.

Was es auch an Empfindung – an Wahrnehmung – an Gemütstätigkeiten – an Erkennen gibt:

jede Empfindung – jede Wahrnehmung – jede Gemütstätigkeit – jedes Erkennen

sieht er in vollkommener Weisheit, der Wirklichkeit gemäß, so an:

‚Das gehört nicht zu mir, das bin ich nicht, das ist nicht mein selbst‘.

lnsofern, Aggivessano, eignet sich ein Jünger von mir meine Botschaft an,

ist er der Belehrung zugänglich, über allen Zweifel hinübergekommen,

jeglicher Ungewißheit entronnen und verweilt er in vollendeter Selbstsicherheit,

von keinem Anderen mehr abhängig in allem, was die Botschaft des Meisters betrifft«.

(Majjh. Nik., 35. Suttam)

 

Es leuchtet wohl ein,

daß eine solche Erkenntnis auch ohne weiteres die Grundlage abgibt für die vierte Eigenschaft,

die nach dem Buddho ein Sotapanno sich erworben haben muß:

er ist ein durchaus sittenreiner Mensch geworden,

»hat sich Eigenschaften erworben, die den Erlesenen wohlgefällig sind, keine Angriffsfläche bieten,

die innerlich frei machen und damit zur Konzentration hinleiten«. (Sam. Nik. LV, 1)

Es ist die im folgenden Kapitel näher dargestellte Sittenreinheit,

die seinem ganzen Leben das Gepräge gibt.

 

Mit der Zerstörung der drei ersten der fünf niederzerrenden Koppeln

und seiner vollkommenen Sittenreinheit

hat der Sotapanno bereits einen gewaltigen, ja er hat einen entscheidenden Sieg

über den großen Feind, den »grausen Durst« – Dhammapadam 335 – nach Welt und Leben erfochten.

Kann er doch, wie der Buddho oft, so in Digh. Nik. XVI, 2, 8 ausführt,

als »erlesener Jünger« selber von sich konstatieren:

»Vernichtet habe ich für mich die Hölle,

vernichtet die Wiedergeburt in einem tierischen Schoß, im Gespensterreich,

vernichtet niedere Daseinsform, den schlimmen Gang, den Sturz in den Abgrund,

ich bin ein Sottipanno, habe mich in Sicherheit gebracht, bin der höchsten Erwachung gewiß«.

Ein Sotapanno wird nämlich, wie der Buddho weiter lehrt,

höchstens noch siebenmal unter glücklichen Verhältnissen

als Mensch oder in einer Himmelswelt wiedergeboren:

»Da ist ein Mensch durchaus sittenrein geworden,

aber er hat die Konzentration und die Weisheit nur mäßig entwickelt.

Doch hat er die drei – (ersten) – Koppeln abgestreift und wird nur noch siebenmal wiedergeboren.

Nur noch siebenmal unter Göttern und Menschen wandelnd,

wallend, macht er dem Leiden ein Ende«. (Ang. Nik. IX, 12) –

»Ein solcher wird ein Erlesener genannt, der das Wunderding bereits sieht,

der das Wissen des Kämpfers besitzt, der anklopft an das Tor der Ewigkeit«. (Sam. Nik. Xll. 50).

 

Derart ist ein »erlesener Jüngern«, der die erste Etappe des Heilsweges zurückgelegt.

»die Frucht der sotapannaschaft« gepflückt hat.

Ein erlesener Jünger ist aber auch schon derjenige, der noch auf dem Weg zur Sotapannaschaft wandert,

noch nach der Frucht des Eintrittes in den Strom ringt,

sei es, weil er sich von der Lehre des Buddho so »angezogen fühlt«,

daß er von tiefem »Vertrauen zu ihr erfüllt ist«,

sei es, das er den Anatta-Gedanken »bereits mäßig begreift«.

Auch ein solcher »wandelt« nach Sam. Nik. XXV, I, 2 »auf dem rechten Weg,

wandelt im Bereich der Erlesenen, ist hinübergekommen über den Bereich der gewöhnlichen Menschen«.

Sein Vertrauen bzw. seine schon erworbene Einsicht muß aber so stark sein,

daß »er unfähig geworden ist, eine Tat zu begehen,

die ihn in eine Hölle oder in tierischen Schoß oder in das Gespensterreich führen könnte«.

Ja, er ist auch »unfähig zu sterben, ehe er die Frucht der sotapannaschaft erreicht hat«,

eine Versicherung, die durch die Erwägung verständlich wird,

daß sein glühendes Verlangen oder, im Sinne des Buddho gesprochen,

seine das Leben schaffende und erhaltende Schöpfertätigkeit (ayusankharo)

das Leben immer wieder neu anfacht, bis er sein Ziel erreicht hat.

 

Freilich mag das Ringen

eines solchen noch in der ersten Hälfte der ersten Etappe stehenden erlesenen Jüngers

noch von vielen Rückfällen in die alten Charakterschwächen begleitet sein.

Hierüber helfen ihm die Worte des Suttani-pato 230, 231 hinweg:

»Die Hohen Wahrheiten, wer da klar durchschaut, –

wohl aufgezeigt vom abgrundtiefen Weisen, –

mag der auch noch gar arg nachlässig sein, –

ein achtes Dasein wird er nicht erleiden; –

zugleich mit seines Schauens Aufgang ja verschwinden diese Drei: –

Der Glaube an Persönlichkeit, die Zweifelsucht, der Hang zu frommen Bräuchen, –

und keine Tat kann er begehen mehr. –

die in des Daseins Tiefen führen könnte«.

 

  1. Auf der zweiten Etappe des Aufstieges zu Nibbanam gilt es für den erlesenen Jünger,

die vierte und fünfte niederzerrende Koppel,

also die Begier nach den durch die fünf Außensinne vermittelten Freuden

und den bei Durchkreuzung dieser Begier sich erhebenden Ärger, soweit zu schwächen,

daß er nur noch einmal in die Lustwelten zurückzukehren braucht,

indem er auch insoweit die Leidensfülle, ja, Verwerflichkeit des Durstes einsehen lernt.

Hat er diese »Frucht« der zweiten Etappe erreicht,

so ist er ein »Einmal-Wiederkehrender« (sakadagami) geworden.

Daß der Buddho sich zunächst mit der bloßen Abschwächung dieser beiden Koppeln begnügt,

und schon sie zur Würde einer eigenen Etappe erhoben hat,

hat seinen Grund darin, daß der Durst nach den Sinnenfreuden zutiefst in die Wesen eingesenkt ist.

Es ist daher schon Gewaltiges erreicht, wenn man soweit kommt,

daß man nur mehr Geschmack an erhabenen, vor allem auch harmlosen,

keinem anderen Wesen Harm verursachenden Freuden finden kann,

wie solche auch noch in den höheren sinnlichen Himmeln begehrt werden.

Dieses Ziel der zweiten Etappe umreist der Buddho in den Worten:

»Da ist ein Mönch vollkommen in der Sittenreinheit,

aber nur teilweise vollkommen in der Konzentration – (dem lehrgemäßen Denken) –

nur teilweise vollkommen in der Weisheit.

Nach Vernichtung der drei niederzerrenden Koppeln

und nach Abschwächung von Begier, Ärger und Verblendung

kehrt er nur noch einmal wieder.

Nur noch einmal zur Welt zurückgekehrt, macht er dem Leiden ein Ende«. (Ang. Nik. Ill, 85)

 

  1. So wird der Boden für die dritte Etappe vorbereitet, deren Ziel ist,

das noch vorhandene Verlangen nach Sinnenfreuden und damit auch den Ärger restlos zu vernichten

und damit den Brahmazustand zu gewinnen.

Wer das erreicht hat,

der hat damit auch jede Wahlverwandtschaft mit den Welten sinnlicher Lust verloren,

kehrt also auch nicht mehr in solche zurück:

er ist ein Nicht-Wiederkehrender (anagami) geworden.

Von ihm gelten die Worte:

»Da ist ein Mönch vollkommen in der Sittenreinheit, vollkommen in der Konzentration,

aber nur teilweise vollkommen in der Weisheit.

Nach Vernichtung der fünf niederzerrenden Koppeln erscheint er in ungeschlechtlicher Welt wieder,

um dort völlig zu erlöschen, nicht mehr zurückzukehren zu jener Welt«. (l. c.)

 

  1. Der Nicht-Wiederkehrende mag schon hienieden sich auf den Weg der vierten Etappe machen,

die Heiligkeit zu verwirklichen.

Hat er sie als »die Frucht« dieser letzten Etappe erreicht, dann treffen auf ihn die Worte zu:

»Da ist ein Mönch

vollkommen in der Sittenreinheit, vollkommen in der Konzentration, vollkommen in der Weisheit.

Und so erlangt er noch hienieden die Vernichtung der Einflüsse

und damit die Lostrennung durch Weisheit, die Lostrennung des Geistes, und verharrt darin«.

»So gewinnt, Mönche, wer etappenweise vorgeht, eine Etappe, wer vollkommen handelt,

die Vollendung«. (l. c.)

 

Dabei bleibt nur noch zu konstatieren übrig, daß, wie bei der ersten Etappe,

auch bei der zweiten, dritten und vierten der erlesene Jünger,

der noch nach der Gewinnung der »Frucht« der Etappe ringt,

dem, der diese Frucht gewonnen hat, gegenübergestellt wird,

so daß sich insgesamt »vier Paare von Personen« oder »acht Arten von Personen« ergeben,

in welche die »erlesenen Jünger« auch tatsächlich zusammengefast werden.

So heißt es in Digha Nikayo XXX, 3: »Acht der Verehrung würdige Personen gibt es:

den Sotapanno, den auf die Verwirklichung der sotapannaschaft Hinarbeitenden;

den Einmal-Wiederkehrenden, den auf die Verwirklichung der Einmal-Wiederkehr Hinarbeitenden;

den Nicht-Wiederkehrenden, den auf die Verwirklichung der Nicht-Wiederkehr Hinarbeitenden;

den Heiligen und den auf die Verwirklichung der Heiligkeit Hinarbeitenden«.

 

Nun bildet die Gesamtheit der erlesenen Jünger, wie wir bereits festgestellt haben,

den Sangho, die Gemeinde als das dritte der Drei Juwelen,

zu denen jeder Anhänger des Buddho seine Zuflucht nimmt.

Damit ist also auch über dieses dritte Juwel völlige Klarheit geschaffen:

man nimmt seine Zuflucht nicht einfach zur Mönchsgemeinde,

in der sich von jeher auch sehr viele nicht erlesene Jünger befanden,

sondern zur Jüngergemeinde (savakasangho) des Erhabenen als der Gesamtheit der erlesenen Jünger,

gleichviel, ob diese Erlesenen Mönche oder Laien sind.

 

Das dem wirklich so ist,

stellt der Buddho selber für jeden Heilssucher, der auf seinen Spuren wandeln will,

in der feierlichen Formel fest:

»Da hast du darauf hinzuarbeiten:

 

»Das auf Erkenntnis gegründete Vertrauen zum Buddho wird mich erfüllen:

Er, der Erhabene, ist der Heilige, der vollkommen Erwachte,

kundig des rechten Wissens und des rechten Wandels,

der Pfadvollender, der die Welten kennt,

der Unvergleichliche, der den Menschen wie einen Stier bändigt,

der Lehrer von Göttern und Menschen, der Erwachte, der Erhabene.

 

»Das auf Erkenntnis gegründete Vertrauen zum Wunderding wird mich erfüllen:

Wohl verkündet ist vom Erhabenen das Wunderding, klar sichtbar, jederzeit zugänglich,

es heißt: ‚Komm und sieh’‘,

ist Führer, Verständige können es in sich selber feststellen.

 

»Das auf Erkenntnis gegründete Vertrauen zur Gemeinde (Sangho) wird mich erfüllen:

In rechtem Wandel lebt die Jüngergemeinde des Erhabenen,

in geradem Wandel lebt die Jüngergemeinde (savakasangho) des Erhabenen,

nach der rechten Methode lebt die Jüngergemeinde des Erhabenen,

in wahrem Wandel lebt die Jüngergemeinde des Erhabenen,

nämlich die vier Paare von Menschen, die acht Arten von Menschen«

Das ist die Jüngergemeinde des Erhabenen, würdig der Opfer, würdig der Spenden, würdig der Gaben,

würdig, daß man die Hände in Ehrfurcht vor ihr erhebt,

das unübertreffliche Saatfeld der Welt für glückbringende Wohltätigkeit.«

 

Es wurde schon wiederholt hervorgehoben, daß auch Laienanhänger

erlesene Jünger und damit Mitglieder der Jüngergemeinde des Buddho sein können.

Denn auch sie können nicht bloß die sotapannaschaft erreichen,

sondern auch die zweite und dritte Etappe des Weges zu Nibbanam,

also die Einmal-Wiederkehr und die Nicht-Wiederkehr verwirklichen,

wenn sie es nur verstehen, die äußeren Verhältnisse, in denen sie leben müssen,

entsprechend zu gestalten.

Zur Zeit des Buddho stand auch dieses erlesene Laientum in hoher Blüte.

In Digha Nikayo XVL 2, 7 fragt Anando den Buddho über das Schicksal der Laienanhänger,

die in Nadika, nach unseren Begriffen eine kleinere Stadt, gestorben waren.

Der Buddho antwortet: »Der Mönch Salho, Anando, ist vollkommen heilig gestorben;

die Nonne Nanda, dann der Laienanhänger Kakudho, der Laienanhäger Kalingo,

der Laienanhänger Nikato, der Laienanhänger Katisabho, der Laienanhänger Santuttho,

der Laienanhänger Bhaddo, der Laienanhänger Subhaddo,

weitere fünfzig andere Laienanhänger von Nadika

sind nach ihrem Tod nach Vernichtung der fünf an die Sinnenfreuden bindenden Koppeln

zu den Reinen Göttern in die Reinen Gefilde emporgelangt

zum dort völlig zu erlöschen, nicht mehr zurückzukehren zu jener Welt;

mehr als neunzig gestorbene Laienanhänger von Nadika

werden nur noch einmal in eine sinnliche Welt zurückkehren;

fünfhundert in Nadika gestorbene Laienanhänger sind als Sotapannos gestorben.«

 

Als Vorbild, wie man sogar die dritte Etappe des Heilsweges als Laienanhänger verwirklichen kann,

führt der Buddho im 81. Suttam des Majjhima-Nikayo Ghatikaro, den Hafner, an:

»Ghatikaro, der Hafner, großer König, hat zum Erwachten Zuflucht genommen,

zum Wunderding Zuflucht genommen, zur Jüngerschaft Zuflucht genommen.

Er hütet sich vor dem Töten, hütet sich vor dem Nehmen des Nichtgegebenen,

hütet sich vor Ausschweifung, hütet sich vor der Lüge,

hütet sich vor Wein und gebranntem Wasser, vor berauschenden und berückenden Mitteln.

Ghatikaro, der Hafner, besitzt das auf Erkenntnis gegründete Vertrauen zum Erwachten,

besitzt das auf Erkenntnis gegründete Vertrauen zum Wunderding,

besitzt das auf Erkenntnis gegründete Vertrauen zur Jüngergemeinde,

hat Eigenschaften, wie sie den Erlesenen lieb sind.

Er zweifelt nicht am Leiden, zweifelt nicht an der Entstehung des Leidens,

zweifelt nicht an der Vernichtung des Leidens,

zweifelt nicht am Pfad, der zur Vernichtung des Leidens führt.

Er nimmt nur einmal des Tages Nahrung zu sich, lebt keusch, ist sittenrein, von erlesener Art.

Er hat Schmuck und Juwelen abgelegt, Gold und Silber abgetan.

Ghatikaro, der Hafner, gräbt die Erde mit der Hand, nicht mit dem Spaten –

(um kein lebendes Wesen zu verletzen).

Findet er ein Kaninchen oder Nesthäkchen, so hebt er es liebevoll auf, legt es in einen Korb

und spricht zu ihm: ‚Hier werden nach Wunsch übriggebliebene Reiskörner

und übriggebliebene Bohnen und übriggebliebene Erbsen ausgeteilt, nehme sich jeder, was ihm beliebt.‘

Er ernährt seine greisen, erblindeten Eltern.

Ghatikaro, der Hafner, großer König, hat die fünf niederzerrenden Koppeln vernichtet,

steigt nach dem Tod in ungeschlechtliche Welt empor,

um dort zu erlöschen, nicht mehr zurückzukehren zu jener Welt.«

 

Doch was ist es dann

mit den übrigen Laienanhängern (upasaka) und Anhängerinnen (upasika) des Buddho,

seien es Mönche oder Laienanhänger, die keine erlesenen Jünger sind?

Sie gehören nicht zur Jüngergemeinde, bilden deren Umrahmung;

man kann auch sagen: sie stehen noch im Vorhof zu ihr.

 

  1. Die Sittenreinheit

In dem hundertfünfundzwanzigsten Suttam der Mittleren Sammlung

vergleicht sich der Buddho mit einem Elefantenlenker.

Wie dieser mittels eines gezähmten Elefanten den wilden Elefanten aus dem Elefantenwald

in eine Lichtung hinauszieht – »bis dahin aber ist der wilde Elefant in die Lichtung gekommen« –

um ihm dann von dort aus »sein waldgewohntes Betragen, seine waldgewohnte Sehnsucht,

seine waldgewohnte Widerspenstigkeit, Verstocktheit, Heftigkeit«

in methodisch fortschreitender Übung »auszutreiben«

und ihn so »in der Umgebung des Dorfes heimisch werden, Sitten annehmen zu lassen,

wie sie bei Menschen üblich sind«,

so bestimmt auch der Buddho den Menschen zunächst,

aus der Häuslichkeit in die Heimlosigkeit hinauszuziehen,

um ihm von dort aus seinen Durst nach der Welt allmählich völlig auszutreiben.

Mit dem Gang in die Heimlosigkeit »ist der erlesene Jünger in die Lichtung gekommen«,

von der aus er zunächst den ersten Teil des Hohen achtfältigen Pfades zu gehen hat,

den wir als Ablösung vom Feind bezeichnet haben und der darin besteht,

daß der Jünger die abwärts führenden Regungen des ihn beseelenden Durstes im Zaum hält,

ihnen nicht mehr nachgibt, bis er ihrer mit der Zeit völlig entwöhnt wird,

wobei er auch im Übrigen seine Beziehungen zur Welt auf das Notwendigste zu beschränken hat.

Der Buddho nennt diesen ersten Teil des Weges das »Hohe silam«, die Hohe Sittenreinheit.

Er ist in den folgenden Ordensvorschriften genau präzisiert:

 

»Da hat der Mönch Lebendiges umzubringen verworfen, Lebendiges umzubringen liegt ihm fern:

ohne Stock, ohne Schwert, fühlsam, voll Teilnahme,

hegt er zu allen lebenden Wesen Liebe und Mitleid *.

* Der Jünger des Buddho darf schlechterdings kein Wesen absichtlich töten,

und sei es auch das unscheinbarste Insekt.

Wenn man demgegenüber auf Schopenhauers Satz rekurrieren wollte:

»… Hingegen leidet das Insekt durch seinen Tod noch nicht so viel,

wie der Mensch durch dessen Stich.

Die Hindu sehen dies nicht ein«, (W. a. W. u. V. l, 440 [479] Anm.)

so wäre hierauf zu erwidern,

daß hier Schopenhauer das punctum saliens selbst nicht eingesehen hat:

Es handelt sich nicht darum, ob ich oder das Tier momentan mehr Schmerz erleide,

sondern darum, daß ich moralisch handle, auch nach Schopenhauer selber,

sagt er doch anderweitig: »Läßt sich etwas Realeres denken als das Moralische?

Mußt du nicht alles, was sonst noch als real erscheint,

sobald es mit diesem kollidiere als nichtig fahren lassen?«

Worin besteht aber das Moralische?

Vom höchsten Standpunkt des Buddho aus ist die Antwort:

Alles, was unsere Große Zukunft nach dem Tod günstig gestaltet, ist moralisch,

und alles, was diese Große Zukunft gefährdet, ist unmoralisch.

Darnach ist aber das Regulativ für die günstige Gestaltung dieser Zukunft,

also das moralische Grundgesetz, Güte, grenzenlose Güte gegen alles, was lebt und atmet.

(siehe weiter unten das letzte Kapitel)

Im Einzelnen begründet der Buddho das so:

Wer anderen Wesen mutwillig oder gar boshaft das Leben raubt,

erzeugt in sich Wahlverwandtschaft mit der Tierheit oder einer Hölle.

Wer um seines Unterhaltes willen Tiere tötet, erzeugt Wahlverwandtschaft mit dem Tierreich.

Wer wenigstens noch ihn angreifende Insekten in der Erwägung tötet,

das ihnen ja der Tod nicht so viel schmerz verursache wie uns ihr Stich,

der läßt in sich keine Wahlverwandtschaft mit den höheren, übermenschlichen Daseinsreichen,

also mit einer Götter- oder Himmelswelt aufkommen

und verwehrt sich so selber den Zugang zu ihnen,

da die Bewohner dieser Welten so sehr von Güte durchflutet sind,

daß sie unfähig sind zu jeder Gewalttat gegen andere Wesen.

(Näheres darüber in des Verfassers Schrift »Der Samsaro, die Weltenirrfahrt der Wesen«.) –

Dieser Sachstand war übrigens auch dem großen christlichen Einsiedler-Asketen Makarios

zum Bewußtsein gekommen,

der als Sühne dafür, daß er eine Mücke tötete, sich in der Wüste sechs Monate lang

von großen Stechmücken stechen lies (Günter, »Buddha in der abendländischen Legende«).

Nichtgegebenes zu nehmen, hat er verworfen, vom Nehmen des Nichtgegebenen hält er sich fern:

Gegebenes nimmt er, Gegebenes wartet er ab, nicht diebisch gesinnt, rein gewordenen Geistes.

Die Unkeuschheit hat er verworfen, keusch lebt er:

fern zieht er hin, entraten der Paarung, dem gemeinen Gesetz.

Lüge hat er verworfen, von Lüge hält er sich fern:

die Wahrheit spricht er, der Wahrheit ist er ergeben, standhaft, vertrauenswürdig,

kein Heuchler und Schmeichler der Welt.

Das Ausrichten hat er verworfen, vom Ausrichten hält er sich fern:

was er hier gehört hat, erzählt er dort nicht wieder, um jene zu entzweien, und was er dort gehört hat, erzählt er hier nicht wieder, um diese zu entzweien;

so einigt er Entzweite, festigt Verbundene,

Eintracht macht ihn froh, Eintracht freut ihn, Eintracht beglückt ihn.

Eintracht fördernde Worte spricht er.

Rohe Worte hat er verworfen, von rohen Worten hält er sich fern:

Worte, die frei von Schimpf sind, dem Ohr wohltuend, liebreich, zum Herzen dringend, höflich,

viele erfreuend, viele erhebend, solche Worte spricht er.

Wertloses Gerede hat er verworfen, von wertlosem Gerede hält er sich fern.

Er redet nur zur rechten Zeit, nur, was wahr ist, was zum Heil dient;

er spricht über die Hohe Lehre, die Ordensregeln;

wo es angebracht ist, spricht er Worte, die Schätze in sich bergen,

er schmückt mit Gleichnissen seine gemessene und inhaltsreiche Rede.

 

»Er meidet die Zerstörung von Keim- und Pflanzenleben.

Einmal des Tages nimmt er Nahrung zu sich, nachts ist er nüchtern.

fern liegt es ihm, zur Unzeit zu essen.

Von Tanz, Gesang, Spiel, Schaustellungen hält er sich fern.

Kränze, Wohlgerüche, Salben, Schmuck, Zierrat, Putz weist er ab.

Hohe, prächtige Lagerstätten verschmäht er.

Gold und Silber nimmt er nicht an.

Rohes Getreide nimmt er nicht an.

Rohes Fleisch nimmt er nicht an.

Frauen und Mädchen nimmt er nicht an.

Diener und Dienerinnen nimmt er nicht an.

Ziegen und Schafe nimmt er nicht an.

Hühner und Schweine nimmt er nicht an.

Elefanten, Rinder und Rosse nimmt er nicht an.

Haus und Feld nimmt er nicht an.

Botschaften, Sendungen, Aufträge übernimmt er nicht.

Von Kauf und Verkauf hält er sich fern.

Von falschem Mas und Gewicht hält er sich fern.

Von den schiefen Wegen der Bestechung, Täuschung, Niedertracht hält er sich fern.

Von Raufereien, Schlägereien, Händeln, vom Rauben, Plündern und Zwingen hält er sich fern.

 

»Er ist zufrieden mit dem Gewand, das seinen Leib deckt, mit der Almosenspeise, die sein Leben fristet,

wohin er auch wandert, nur mit dem Gewand und der Almosenschale versehen wandert er.

Gleichwie da etwa ein beschwingter Vogel, wohin er auch fliegt, nur mit der Last seiner Federn fliegt:

ebenso auch ist der Mönch zufrieden mit dem Gewand, das seinen Leib deckt,

mit der Almosenspeise, die sein Leben fristet;

wohin er auch wandert, nur mit dem Gewande und der Almosenschale versehen wandert er *.«

* Digha Nik. ll und sonst oft.

 

Das Mittel zur peinlich genauen Einhaltung dieser Ordensvorschriften bildet, wie wir bereits wissen,

die Pflege der rechten Konzentration:

Die tiefe Betrachtung, der sich der Mönch an einem einsamen Ort,

»einer Einöde, am Fuß eines Baumes, auf einem Berg, in einer Schlucht, einer Felsenhöhle,

auf einem Friedhof, in ödem Waldgestrüpp,

an einer Stelle unter freiem Himmel oder auf einem Strohhaufen«,

»nach dem Mahl, wenn er vom Almosengang zurückgekehrt ist,

mit gekreuzten Beinen dasitzend, den Körper gerade aufgerichtet * (* cfr. oben S. 264 und sonst oft.)

bis zum Abend hingibt, liefert die wirksamen Motive zunächst zur Selbstbeherrschung in diesem Umfang,

während die Pflege steter Besonnenheit im Übrigen dafür sorgt,

daß diese Motive jeden Augenblick gegenwärtig bleiben und so das Handeln zu bestimmen vermögen.

Dabei betätigt sich diese stete Besonnenheit näher in der Form der vier rechten Kämpfe:

»Da erweckt der Mönch den Willem nicht aufgestiegene unheilsame Dinge nicht aufsteigen zu lassen,

er strengt sich an, setzt seine Energie ein, spannt das Denken an, treibt es an;

er erweckt den Willen, aufgestiegene unheilsame Dinge aufzugeben,

er strengt sich an, setzt seine Energie ein, spannt das Denken an, treibt es an;

er erweckt den Willen, nicht aufgestiegene heilsame Gedanken aufsteigen zu lassen,

er strengt sich an, setzt seine Energie ein, spannt das Denken an, treibt es an;

er erweckt den Willen, aufgestiegene heilsame Dinge zu erhalten,

zur Fülle, zur Entwicklung, zur Vollendung zu bringen,

er strengt sich an, setzt seine Energie ein, spannt das Denken an, treibt es an *.«

* Majj. Nik. Il, p. 26 (78. Suttam).

 

So kommt der strebende Jünger durch die systematische Unterdrückung aller schlechten Regungen

und die Pflege der entgegengesetzten guten auf dem Weg der rechten Konzentration

allmählich um die ersteren herum:

»Gleichwie, Cundo, wenn da ein ungangbarer Weg wäre und ein gangbarer Weg führte um ihn herum, oder gleichwie, Cundo, wenn da eine ungangbare Furt wäre und eine gangbare Furt führte um sie herum:

ebenso nun auch, Cundo, kann, wer zur Harmverursachung neigt,

durch Pflege der Harmlosigkeit herumkommen –

»die Menschen sehen es selten ein, das Dulden uns geduldig macht«, sagt der Meister anderweit * –

* Majj. Nik. III, p. 154 (128. Suttam).

wer zur Lüge neigt, durch Vermeidung von Lügen herumkommen,

wer zur Grobheit neigt durch Vermeidung grober Rede herumkommen *; (* Majj. Nik. l, p. 43 (8. Suttam))

oder mit anderen Worten: die rechte Konzentration führt mit der Zeit zu vollkommener Sittenreinheit, eben weshalb denn auch dieser erste Teil des Pfades regelmäßig als »in Sittenreinheit ausgereifte Konzentration« bezeichnet wird * **. (* M Digha Nik. XVI.)

* Wie gesammeltes richtiges Denken

mit der Zeit die schlechten Neigungen erstickt und gute entstehen läßt,

also eben in Sittenreinheit überführt, geht besonders scharf aus der folgenden Stelle hervor:

»Was da, Mönche, ein Mönch lange erwägt und überlegt, dahin neigt sich der Sinn.

Wenn der Mönch, Mönche, einen Gedanken der Loslösung lange erwägt und überlegt,

so hat er den Gedanken der Lust verleugnet, den Gedanken der Loslösung großgezogen

und sein Denken neigt sich zum Gedanken der Loslösung.« * (Majj. Nik., 19. Suttam.)

 

Als Folge stellt sich schon auf dieser Stufe ein Glück ein,

daß, weil jenseits des schlechten, kein Leiden aus sich gebären kann:

»Durch die Erfüllung dieser Hohen Ordensvorschriften empfindet er ein inneres untadeliges Glück *.«

* (Majj. Nik., 38. Suttam.)

Dieses Glück jedoch, daß die Frucht des Hohen Silam darstellt. ist noch kein vollkommenes.

Dennoch zieht der Buddho zwischen ihm und dem Silam eines Weltmenschen

einen klar sichtbaren Trennungsstrich:

»Wie aber, Udayi, gibt es einen durchaus glücklichen Zustand?

Gibt es einen auf Vernunft beruhenden Pfad, der zu diesem durchaus glücklichen Zustand führt?« –

»Von unserem Lehrer, Herr, sind wir also unterwiesen:

»Es gibt einen durchaus glücklichen Zustand;

es gibt einen auf Vernunft beruhenden Pfad, der zu diesem durchaus glücklichen Zustand führt« –

»Was aber ist dies, Udayi, für ein auf Vernunft beruhender Pfad,

der zur Verwirklichung dieses durchaus glücklichen Zustandes führt?« –

»Da, Herr, enthält sich einer des Tötens, enthält sich des Nehmens des Nichtgegebenen,

enthält sich eines üblen Wandels hinsichtlich der Sinnenlüste,

enthält sich falscher Rede oder er hat noch andere Asketenpflichten auf sich genommen.« –

»Was meinst du nun, Udayi, zu einer Zeit, da man sich des Tötens enthält,

sich des Nehmen des Nichtgegebenen enthält,

sich des üblen Wandels hinsichtlich der Sinnenlüste enthält,

sich falscher Rede enthält und noch andere Asketenpflicht auf sich genommen hat,

ist das Selbst zu einer solchen Zeit durchaus glücklich oder glücklich und leidvoll?« –

»Glücklich und leidvoll, oh Herr.« –

»Was meinst du nun, Udayi, wenn man sich auf einen mit Glück und Leid gemischten Pfad stützt,

gelangt man da zur Verwirklichung eines durchaus glücklichen Zustandes?« –

»Abgeschnitten hat der Erhabene das Gespräch, abgeschnitten hat der Pfadvollender das Gespräch.«

 

Es war nötig, das auch hier eigens zu betonen, nachdem auch heute noch

fast ausnahmslos als der Weg zum wahren und vollen Glück die Tugend gelehrt wird.

Bloße Tugend kann nie über die Welt,

insbesondere auch nicht über den Kreislauf der Wiedergeburten hinausführen,

gewährt also stets, und zwar auch für die Zeit nach dem Tod,

nur ein relatives, das heißt ein solches Glück, wie es innerhalb der Welt der Vergänglichkeit möglich ist.

Eben mit Rücksicht hierauf bezeichnet der Buddho ein solches Silam auch als minderwertig:

»Gering, Mönche, und von untergeordneter Bedeutung, nichts als Sittenreinheit ist das,

was die Alltagsmenschen wohl meinen, wenn sie mit Anerkennung vom Vollendeten sprechen *.«

* Digha Nik. l.

 

Indessen liegt darin natürlich nicht etwa eine Geringschätzung der Sittenreinheit an sich.

Der Buddho will mit diesem Urteil vielmehr nur zum Ausdruck bringen,

daß der Jünger es sich bei ihr nicht genügen lassen darf,

»da noch mehr zu tun ist *.« (* Majj. Nik. I, 39. Suttam.)

Sein Silam muß verbunden sein mit dem Ziel des Heraustrittes aus der Welt

und erst als solches bildet es die erste Stufe zum großen Endziel des heiligen Lebens.

lm Digha Nik. X, i, 6 erklärt Anando, einer der Mönche des Buddho, dem jungen Brahmanen Subha:

»Drei Dinge hat der Erhabene empfohlen …:

Das Hohe Silam, die Hohe Konzentration, die Hohe Weisheit.«

Denn ohne dieses Hohe Silam gibt es keine Hohe Konzentration

und damit auch keine völlige Durchschauung unserer Persönlichkeit als anatta.

Konzentrierte, das heißt also völlig objektive anschauliche

Betrachtung der Bestandteile dieser unserer Persönlichkeit

ist vielmehr nur möglich,

wenn das Erkennen von leidenschaftlichen Aufwallungen irgend welcher Art nicht mehr gestört wird,

wenn die Stürme des Wollens, die es verfinstern, sich gelegt haben

oder wenn, wie der Buddho sagt,

»die gröberen körperlichen, geistigen und sprachlichen Regungen * (* Sankhara; cfr. oben S. 213 ff.)

beschwichtigt« worden sind *, (* Digha Nik. XVIII.)

kurz, wenn das Denken von allen Trübungen rein geworden ist.

Eben diese Reinheit aber

ist die Frucht des Hohen Silam, der Hohen Sittenreinheit, die mit dem Pfad verbunden ist:

»Wie nun, Bruder, wird beim Erhabenen um der Sittenreinheit willen heiliges Leben gepflegt?« –

»Das nicht, Bruder … Aber, Bruder, Sittenreinheit führt zu einem reinen Geist.

ein reiner Geist zu reinem Verständnis – (der Buddhalehre) -,

reines Verständnis vertilgt die Zweifelsucht

und führt zu reinem, von keinem Zweifel mehr getrübten Erkennen, reines Erkennen.

jenseits der Zweifelsucht, führt zum reinen erkennenden Schauen,

reines erkennendes Schauen führt zum vollkommenen Nibbanam auf Grund des Nichtmehrhaftens *.«

* Majj. Nik. l, p. 149 (24. Suttam).

 

»Durch richtiges Vorgehen, Visakha, kommt die Reinigung des befleckten Geistes zustande.

Wie aber, Visakha, kommt durch richtiges Vorgehen die Reinigung des beschmutzten Geistes zustande?

Da, Visakha gedenkt der Hohe Jünger der eigenen Sitten,

der ungebrochenen, umfassenden, sich immer gleich bleibenden, makellosen, befreienden,

von den Verständigen gepriesenen, unbeeinflußten,

die zur Konzentration führen.

Der Sittenreinheit gedenkend, erheitert sich sein Geist.

Freude steigt auf,

und was an Verunreinigungen des Geistes besteht, das schwindet,

gleichwie ein beschmutzter Spiegel durch richtiges Vorgehen rein wird *.« (* Ang. Nik. l, p. 209 (lll, 70))

 

»Gleichwie, Mönche, einer, der am Ufer eines trüben, aufgewühlten und verschlammten Teiches steht,

trotz seiner Augen weder die auf dem Grund befindlichen Austern und Muscheln,

den Sand und die Kieselsteine,

noch die Menge der sich herumtummelnden Fische unmöglich erkennen kann –

eben wegen des trüben Wassers -:

ebensowenig kann, Mönche, ein Mönch bei beschmutztem Geist das eigene Heil erkennen,

eines andern Heil erkennen, das beiderseitige Heil erkennen,

und nicht kann er

das jenseits des normalen Menschentums liegende hehre erkennende Schauen verwirklichen,

eben wegen seines beschmutzten Geistes *.« (* Angutt. Nik. l, 5.)

 

Dieses Hohe Silam

bildet mithin die unerläßliche Grundlage für das weitere Fortschreiten auf dem Heilsweg.

Ihr Verhältnis zur Hohen Konzentration ist dasselbe,

»wie wenn ein Akrobat, wenn er seine Kunststücke zeigen will,

erst die Erde umgräbt, dann die Steine und den harten Kies entfernt, den Boden ebnet

und so auf weichem Boden seine Kunststücke vollführt:

 

»Gleichwie da alles Leben auf der Erde fußt, so ist das Silam,

das befreiende, der Grund und Boden zur Entfaltung alles Guten,

der Ausgangspunkt der Lehre der Erwachten *«.

* Die Fragen des Königs Milinda Il, 1.Kap. –

Eine ausführliche Schilderung der Sittenreinheit,

wie sie der Buddho vom buddhistischen Laienanhänger fordert,

finden wir im 41. Suttam des Majj. Nik.

Vgl. hiermit auch »Der Samsara die Weltenirrfahrt der Wesen« sowie »Der Buddhaweg für Dich«.

 

  1. Die Konzentration – Die Meditation

Das Ziel des Buddhaweges

ist die Vernichtung des in uns hausenden Durstes nach der Welt auf dem Weg der Erkenntnis,

der Erkenntnis nämlich, daß jedes nur mögliche Objekt,

auf das sich dieser Durstrichten kann, letzten Endes Leiden, ja nur Leiden bringt.

Diese allumfassende Erkenntnis kann aber natürlich nicht

durch die Betrachtung jedes in unser Bewußtsein eintretenden Einzeldinges erreicht werden,

da wir auf diesem Weg bei der Unzahl der Einzeldinge ja in aller Ewigkeit nicht fertig würden.

Deshalb hat der Buddho das gesamte unendliche Betrachtungsmaterial

in fünf ohne weiteres durchsichtige Gruppen zusammengefaßt,

nämlich in die Komponenten unserer Persönlichkeit, also die fünf Haftensgruppen.

Durch sie stehen wir ja auch bloß mit der Welt in Verbindung,

sie bilden den Mikrokosmos, in welchem wir den Makrokosmos, das Weltall, erleben.

Aus diesem Grund setzt also der Weg des Buddho

die genaueste und gründlichste Kenntnis des Persönlichkeitsgetriebes,

wie es oben S. 36 flg. dargestellt ist, voraus.

Erst dann kann man überhaupt

das Grundschema des Buddho für die zu erkennenden Objekte verstehen:

»so ist die körperliche Form, so entsteht sie, so verschwindet sie;

so ist die Empfindung. so entsteht sie, so verschwindet sie;

so ist die Wahrnehmung, so entsteht sie, so verschwindet sie;

so sind die Gemütstätigkeiten, so entstehen sie, so verschwinden sie;

so ist das Erkennen, so entsteht es, so verschwindet es.«

Auch in dieser Zusammenfassung des sonst unerschöpflichen Betrachtungsmaterials

zeigt sich die einzigartige Größe des Buddho.

 

Ebenso wichtig ist der folgende Umstand:

Durch die Erkenntnis, daß die fünf Haftensgruppen unsere »Todfeinde« sind *,

* Sam. Nik. lV, p. 172 flg. (XXXV, 197)

soll unser Durst nach ihnen vernichtet werden.

Diesem Durste aber haben die Wesen seit unzähligen Weltzeitaltern gedient,

ihn so genährt und ihn dadurch zum übermächtigen Despoten gemacht,

dessen willenlose Sklaven sie geworden sind.

Das gilt auch von den Menschen.

Auch sie halten die Zumutung, ihm zu trotzen, gemeinhin für geradezu widersinnig,

und auch die ganz Wenigen, denen im Verlauf ihres Samsaro wenigstens die Ahnung aufgegangen ist,

daß er die Quelle alles Unheils ist, halten seine erfolgreiche Bekämpfung für unmöglich,

es sei denn, durch die Hilfe eines allmächtigen Gottes.

Nur der Buddho konnte die Möglichkeit dieser Bekämpfung

und schließlichen Vernichtung des Durstes feststellen:

beides ist möglich durch die Erkenntnis,

daß  alles Unheil für die Lebewesen von den fünf Haftensgruppen kommt,

auf die unser Durst unablässig gerichtet ist.

Aber bei der geschilderten Sachlage ist es selbstverständlich,

daß es eine qualifizierte Erkenntnis sein muß:

das abstrakte Begreifen in Form des bloßen Studiums der leidensvollen Natur der fünf Haftensgruppen

genügt in keiner Weise, ja ist für sich allein völlig wertlos.

Die Erkenntnis muß vielmehr bis zu ihrem Zenit, der Sonne am Mittag gleich, entwickelt werden,

  1. h. sie muß zum unfehlbaren Wissen aus-steifem

»Durch unermüdliche Gewinnung von Wissen zieht man den Pfeil des Durstes aus sich heraus«.

(Su. 293).

Wirkliches, jeden Zweifel unmöglich machendes Wissen aber

kann nur die Frucht anschaulicher Erkenntnis

oder, wie der Buddho sagt, »des erkennenden Schauens« (nanadas-sanam) sein:

nur was man leibhaftig klar und scharf sieht, weiß man in Wahrheit. ,

 

Solches Wissen können wir auch in der hier fraglichen Richtung gewinnen.

Wir müssen unseren Erkenntnisapparat nur beherrschen lernen.

Das können wir, weil wir hinter diesem Apparat, den wir ja auch selbst »hervorgebracht« haben, stehen,

ja, wir können ihn in unserer Allfähigkeit – s. Appendix – souverän beherrschen lernen,

wie nur immer ein tüchtiger Reiter sein Pferd

oder ein Maschinenbauer seine Maschine oder ein Musiker sein Instrument bis zur Virtuosität

beherrschen lernen kann.

 

Freilich stellt sich der anschaulichen Erkenntnis, daß die fünf Haftensgruppen unsere Todfeinde sind,

ein ungeheurer Gegner gegenüber,

nämlich eben der durch das erkennende Schauen zu vernichtende Durst nach ihnen:

sobald man auch nur einen Versuch zu solcher Erkenntnistätigkeit macht,

erheben sich in uns in allen Variationen seine gegenteiligen Einflüsterungen

und zischen uns wie aufgescheuchte, sich bedroht fühlende Schlangen an.

Deshalb müssen vor allem die groben, unsittlichen Äußerungen dieses Durstes

durch die Pflege der Sittenreinheit erstickt werden,

wie bereits im vorigen Kapitel ausgeführt.

Diese Pflege der Sittenreinheit als Vorbedingung für die beschauliche Betrachtung

wird auch in den folgenden stellen betont:

 

»Schaffe dir, Bahiyo, das reine Fundament für die heilsamen Dinge!

Und was ist dieses Fundament?

Sittenreinheit und rechte Erkenntnis – (natürlich Erkenntnis der Buddhalehre).

Hast du dir diese Sittenreinheit und diese rechte Erkenntnis erworben,

dann magst du, dich an die Sittenreinheit anlehnend, auf die Sittenreinheit dich stützend,

die Besonnenheit bei den vier Gegenständen pflegen.«

 

»Was da die vom Erhabenen dargelegten heilsamen Sitten anlangt,

welcher Zweck soll mit ihnen erreicht werden, Freund Anando?« –

»Diese vom Erhabenen dargelegten heilsamen Sitten, Freund Bhaddo,

ermöglichen die erfolgreiche Pflege der Besonnenheit bei den vier Gegenständen«.

(Sam. Nik. V, s. 171: XLVII, 21).

 

»In dem Nichtsittenreinen. Mönche, ist die rechte Konzentration ohne ihre Basis.

Fehlt die rechte Konzentration,

so ist das der Wirklichkeit gemäße erkennende Schauen ohne seine Basis.

Fehlt das der Wirklichkeit gemäße erkennende schauen,

so ist das Zurückschrecken des Grausens ohne seine Basis.

Fehlt das Zurückschrecken des Grausens, so ist das erkennende Schauen,

daß man die Erlösung erreicht hat, ohne seine Basis« (Ang. Nik. V. Nr. 24).

 

Mithin kann man das erkennende schauen mit Erfolg überhaupt nur in dem Maße pflegen,

als man bereits ein sittenreiner Mensch ist.

 

Doch auch ein sittenreiner Mensch hat sein Denken noch nicht so in seiner Gewalt,

daß er es längere Zeit in voller Konzentration, ohne jede störende Gemütsbewegung,

auf das erkennende Durchschauen der fünf Haftensgruppen einstellen könnte.

Auch ihn sucht sein in ihm hausender Durst nach diesen fünf Haftensgruppen

immer wieder in die entgegengesetzte Richtung abzulenken.

Der Buddho hat auch diese »Hemmungen« des konzentrierten anschaulichen Denkens

wiederum in einzigartiger Weise, zusammengefaßt, sie sind bereits oben S. 264 ff. angeführt.

Näher behandelt sie der Buddho in seiner Belehrung des Brahmanen Sangaravo:

 

»Wenn man es, Brahmane, zu einer Zeit,

in der das Denken vom Reize der Sinnenlust – kamarago – durchsetzt oder gar von ihm überwältigt ist,

nicht der Wirklichkeit gemäß versteht,

diesen aufgestiegenen Reiz wieder loszuwerden, zu einer solchen Zeit erkennt

und sieht man nicht der Wirklichkeit gemäß

sein eigenes Heil, sieht nicht des anderen Heil, sieht nicht beider Heil.

Es ist, Brahmane, wie wenn das Wasser in einer Wanne

mit Lack oder Gelbwurz oder mit blauer oder gelber Farbe vermischt wäre

und ein gut sehender Mann wollte in ihm das Spiegelbild seines Gesichtes betrachten:

er würde es nicht der Wirklichkeit gemäß erkennen und sehen.

 

»Und weiter, Brahmane, wenn man es zu einer Zeit,

in der das Denken von Ärger durchsetzt oder gar von ihm überwältigt ist,

nicht der Wirklichkeit gemäß versteht,

diesen aufgestiegenen Ärger wieder loszuwerden, zu einer solchen Zeit erkennt

und sieht man nicht der Wirklichkeit gemäß

sein eigenes Heil, sieht nicht des anderen Heil, sieht nicht beider Heil.

Es ist, Brahmane, wie wenn eine Wanne voll von kochendem, sprudelndem Wasser da wäre,

und ein gut sehender Mann wollte das Spiegelbild seines Gesichtes darin betrachten:

er würde es nicht der Wirklichkeit gemäß erkennen und sehen.

 

»Und weiter, Brahmane, wenn man es zu einer Zeit,

in der das Denken von Schlaffheit und Energielosigkeit durchsetzt oder gar überwältigt ist,

nicht der Wirklichkeit gemäß versteht,

diese aufgestiegene Schlaffheit und Energielosigkeit wieder loszuwerden, zu einer solchen Zeit erkennt

und sieht man nicht der Wirklichkeit gemäß

sein eigenes Heil, sieht nicht des anderen Heil, sieht nicht beider Heil.

Es ist, Brahmane, wie wenn das Wasser in einer Wanne mit moosigen Wasserpflanzen bedeckt wäre,

und ein gut sehender Mann wollte das Spiegelbild seines Gesichtes in diesem Wasser betrachten:

er würde es nicht der Wirklichkeit gemäß erkennen und sehen.

 

»Und weiter, Brahmane, wenn man es zu einer Zeit,

in der das Denken von Gedankengestöber oder Ängstlichkeit durchwogt wird oder gar überwältigt ist,

nicht der Wirklichkeit gemäß versteht,

dieses Gedankengestöber und diese Ängstlichkeit, die sich erhoben haben, wieder loszuwerden,

zu einer solchen Zeit erkennt und sieht man nicht der Wirklichkeit gemäß

sein eigenes Heil, sieht nicht des anderen Heil, sieht nicht beider Heil.

Es ist, Brahmane, wie wenn das Wasser in einer Wanne vom Wind bewegt, sich kräuselte, wellte,

und ein gut sehender Mann wollte das Spiegelbild seines Gesichtes darin betrachten:

er würde es nicht der Wirklichkeit gemäß erkennen und sehen.

 

»Und weiter, Brahmane, wenn man es zu einer Zeit,

in der das Denken von Zweifelsucht durchsetzt oder gar überwältigt ist,

nicht der Wirklichkeit gemäß versteht,

diese aufgestiegene Zweifelsucht wieder loszuwerden, zu einer solchen Zeit erkennt

und sieht man nicht der Wirklichkeit gemäß

sein eigenes Heil, sieht nicht des anderen Heil, sieht nicht beider Heil.

Es ist, Brahmane,

wie wenn trübes, schmutziges, schlammiges, dunkel gewordenes Wasser in einer Wanne wäre

und ein gut sehender Mann wollte das Spiegelbild seines Gesichtes darin betrachten:

er würde es nicht der Wirklichkeit gemäß erkennen und sehen«. (Sam. Nik. XLV1, 55).

 

So schauen die Verwüstungen aus, die unser dürstender Wille

nach den fünf Haftensgruppen und damit nach Welt und Leben

in der Form der Unsittlichkeit und der fünf Hemmungen im Reich des reinen Denkens anrichtet.

Sittenreinheit und die Beseitigung der fünf Hemmungen

sind also die beiden unerläßlichen Voraussetzungen für das erkennende Schauen,

sind sie erfüllt,

dann kann sich dieses erkennende Schauen, voll konzentriert, in seiner ganzen Reinheit betätigen.

Als Richtung gebend können die Worte dienen, in denen der Buddho

sein erstmaliges Vordringen zu diesem Höhepunkt der Erkenntnis vor seiner vollen Erwachung schildert:

 

»Wie Stahl war meine Willenskraft – (nur mehr im Sinne der Hohen Lehre zu denken) –

unablenkbar – (durch einen gegenteiligen Drang) –

fest stand die Besonnenheit, nicht einen Augenblick wankte sie, ruhig vollzog sich das Körpergetriebe,

unmerkbar, konzentriert das anschauliche Denken. einig«. (M. N., 19. Suttam).

 

So ist das erkennende Schauen

in Form der völligen Durchdringung des Wesens unserer Körperlichkeit (Persönlichkeit),

wie sie in Wirklichkeit ist,

besonders des eigentlichen Verhältnisses, in welchem wir zu dieser Körperlichkeit stehen,

der Kern des Heilsweges des Buddho.

Diesem erkennenden schauen gibt sich deshalb der Mönch,

nachdem er vom Almosengang zurückgekehrt ist

und zu Mittag seine einzige Tagesmahlzeit eingenommen hat,

bis zum Abend an einem einsamen Ort hin, »in einer Einöde, am Fuß eines Baumes,

auf einem Berg, in einer Schlucht, einer Felsenhöhle, auf einem Leichenacker, in ödem Waldgestrüpp,

an einer Stelle unter freiem Himmel oder auf einem Strohhaufen,

mit gekreuzten Beinen dasitzend, den Körper gerade aufgerichtet.«

 

In solchem zeitlichen Ausmaß pflegten die Mönche des Buddho, der Jüngste so gut wie der Älteste,

das erkennende Schauen nicht etwa bloß gelegentlich,

sondern täglich, durch zehn, zwanzig, dreißig Jahre hindurch, eben bis an das Lebensende.

Galt es doch das große Endziel, das Nibbanam, noch in diesem Leben zu verwirklichen.

Heutzutage freilich tut man das nicht mehr,

aber heutzutage gibt es auch kaum mehr echte Buddha-Mönche.

In diesem erkennenden Schauen schlug der Mönch seine groben, siegreichen Schlachten

gegen Maro den Bösen, den in die Maske der Weltlust gehüllten Tod.

Da schmiedete er auch seine Waffen für sein übriges tägliches Leben, wie wir noch sehen werden.

 

Ohne erkennendes Schauen der wahren Natur unserer Körperlichkeit (Persönlichkeit)

und unseres wahren Verhältnisses zu ihr gibt es überhaupt keinen moralischen Fortschritt,

also keine Charakteränderung im Sinne der Veredelung unseres dürstenden Wollens.

Das steht so sicher fest. als nur die anschauliche Erkenntnis unseren Willen zu beeinflussen vermag,

wie oben Seite 282 ff. ausgeführt ist.

Es ist also unmöglich, auch nur sittenrein zu werden,

ohne das erkennende Schauen in der genannten Richtung zu pflegen.

Deshalb darf auch der Laienanhänger des Buddho, der wenigstens sittenrein werden will,

dieses erkennende Schauen nicht vernachlässigen,

muß es, an geeigneter Stätte verweilend, täglich mindestens eine halbe bis eine Stunde lang pflegen.

Das gilt in noch viel höherem Grad für jene Laienanhänger, die Höheres,

insbesondere die Sotapannaschaft, erstreben.

 

Wollte man einwenden, daß nach dem früher Gesagten – oben Seite z 34 f. –

das konzentrierte anschauliche Denken die Sittenreinheit ja bereits voraussetze,

diese letztere mithin nicht durch jenes bedingt sein könne,

so erledigt sich dieser Einwand durch den Hinweis,

daß Sittenreinheit und Konzentration sich gegenseitig bedingen,

indem auch hier das Gleichnis des Buddho von den zwei Bündeln Ried gilt,

die, gegeneinander gelehnt, stehen *. (* s. oben S. 58)

Das spricht er auch in den Worten aus:

»Von Sittenreinheit umflossen ist die Weisheit. von Weisheit umflossen die Sittenreinheit:

Wo Sittenreinheit ist, da ist auch Weisheit und wo Weisheit ist, da ist Sittenreinheit;

wer sittenrein ist, der hat Weisheit und wer weise ist, der ist sittenrein.

Wie man eine Hand mit der anderen wäscht und einen Fuß mit dem anderen,

gerade so ist die Weisheit von Sittenreinheit umflossen und die Sittenreinheit von Weisheit.

Sittenreinheit und Weisheit sind das Höchste in der Welt. (D. N. IV, 21)

 

Daß das erkennende Schauen zu seinem Hauptobjekt

immer den Körper als den Einigungsort der fünf Haftensgruppen haben soll,

tritt besonders klar in den folgenden Stellen hervor:

 

»… Ferner, oh Herr, ist es unübertrefflich, wie der Erhabene die ‚Hohe Lehre‘ aufzeigt,

auch soweit das erkennende Schauen in Betracht kommt:

Vier Arten dieses Schauens gibt es:

Da gewinnt, oh Herr, ein Asket oder Brahmane

infolge seines zähen Ringens, seines Mühens, seiner Hingabe, seiner Unermüdlichkeit,

seiner Bedachtsamkeit, die Konzentration des anschaulichen Denkens,

so daß er mit ihm seinen Körper, den mit Haut überzogenen, der mit gar Unreinem angefüllt ist,

von der Sohle bis zum Scheitel kritisch zu betrachten vermag:

dieser Körper trägt einen schöpf, ist behaart, hat Nägel und Zähne, Haut und Fleisch,

Sehnen und Knochen und Knochenmark, Nieren, Herz, Leber, Zwerchfell, Milz, Lungen, Magen,

Eingeweide, Weichteile, Kot, hat Galle, schleim, Eiter, Blut, Schweiß, Lymphe, Gelenköl, Urin.

Das ist die erste Art seines Schauens.

 

»Weiter sodann, oh Herr, dringt der Asket oder Brahmane

in seinem konzentrierten anschaulichen Denken darüber hinaus

durch Haut und Fleisch und das Blut hindurch zum Skelett vor und betrachtet kritisch dieses Skelett.

Das ist die zweite Art seines Schauens.

 

»Weiter sodann, oh Herr, erkennt der Asket oder Brahmane, indem er auch darüber hinausgeht,

im Menschen den Strom des Bewußtseins, wie er fortwährend nach beiden Richtungen dahinströmt,

das Bewußtsein, bald gebunden an diese Welt, bald gebunden an eine andere Welt.

Das ist die dritte Art seines Schauens.

 

»Weiter sodann, oh Herr, erkennt der Asket oder Brahmane, indem er auch darüber hinausgeht,

im Menschen den Strom des Bewußtseins, wie er fortwährend nach beiden Richtungen dahinströmt,

das Bewußtsein nicht mehr gebunden an diese Welt, nicht mehr gebunden an eine andere Welt«.

(D.N. XXVlIl).

 

Die Grundlage jeder Persönlichkeit ist die körperliche Form,

sie ist am leichtesten als uns wesensfremd zu durchschauen.

Ja, ihre Betrachtung mag, wenn man sich dabei nur klar bewußt ist,

daß die weiteren vier Haftensgruppen Empfindung, Wahrnehmung, Gemütstätigkeiten und Erkennen,

an die körperliche Form als an ihre Basis gebunden, durch sie bedingt sind,

schon für sich allein und am leichtesten zur Loslösung von der ganzen Persönlichkeit führen.

Diesen Fall behandelt der Buddho in dem folgenden Suttam:

 

»Was es da, Rahulo, an Erdenelement – an Wasserelement – an Feuerelement – an Luftelement gibt,

ob an einem selber oder außen,

das ist eben das Erdenelement – das Wasserelement – das Feuerelement – das Luftelement.

Man muß es dahin bringen, Rahulo, jedes dieser vier Elemente, der Wirklichkeit entsprechend,

nur mehr in der folgenden Weise zu sehen:

»Das gehört nicht zu mir, das bin ich nicht, das ist nicht mein Selbst.‘

Sieht man sie einmal, der Wirklichkeit gemäß, in vollkommener Weisheit nur mehr in dieser Weise,

dann graust es einem vor ihnen und, weise sehend, erfüllt man sein Denken mit Abscheu vor ihnen.

 

»Wenn nun, Rahulo, der Mönch in dieser Weise in diesen vier Hauptelementen

weder sich selbst sieht noch etwas ihm Zugehöriges, dann hat er den Durst –

(nach dem aus diesen Elementen bestehenden Körper) – aus sich herausgerissen,

die Koppel – (die ihn bisher mit diesem Körper verband) – abgestreift,

ist völlig mit dem Stolz – (auf seine Persönlichkeit) – fertig geworden,

hat ein Ende gemacht dem Leiden«. (Ang. Nik., 4. Buch, Nr. 177).

__

 

In geradezu überwältigender Weise

rückt der Buddho den Körper als den Inbegriff der fünf Haftensgruppen

in den Mittelpunkt des konzentrierten erkennenden Schauens in seinen folgenden weihevollen Worten:

 

»Gleichwie, Mönche, für einen. der das große Weltmeer im Geiste durchdrungen hat,

alle sich irgend in das Meer ergießenden Flüsse miteinbegriffen sind,

geradeso sind für einen, der den Einblick in den Körper gepflegt und entfaltet hat,

mit einbegriffen alle heilsamen Dinge, die irgendwie zur Gewinnung des Wissens beitragen.

 

»Ein Ding, Mönche, geübt und entfaltet,

führt zur großen Durchschauerung, zum großen Heil, zur Sicherheit, – (vor neuer Verkoppelung) –

zum erkennenden schauen, zum Wohlsein schon im gegenwärtigen Leben,

bringt die Frucht der Erlösung durch Wissen.

Welches eine Ding?

Der Einblick in den Körper.

 

»Wird ein Ding, Mönche, geübt und entfaltet, so geht das Körpergetriebe ruhig, unmerkbar vor sich,

das Gemüt kommt zur Ruhe, Gedankengestöber und Grübeln legen sich,

die zum Wissen führenden Dinge kommen zur vollen Entfaltung.

Welches eine Ding?

Der Einblick in den Körper.

 

»Wind ein Ding, Mönche, geübt und entfaltet, so verschwindet das Nichtwissen, das Wissen steigt auf. der Ich-bin-Dünkel verflüchtigt sich, die Neigungen ersterben, die Koppeln fallen ab.

Welches eine Ding? Der Einblick in den Körper.

 

»Wird ein Ding, Mönche, geübt und entfaltet, so gewinnt man die Frucht der Sotapannaschaft,

die Frucht der Einmalwiederkehr, die Frucht der Nichtwiederkehr, die Frucht der Heiligkeit.

Welches eine Ding? Der Einblick in den Körper.

 

»Wer, Mönche, nicht den Einblick in den Körper kostet, der kostet nicht die Unsterblichkeit.

Nur wer den Einblick in den Körper kostet, der kostet die Unsterblichkeit.

 

»Wer, Mönche, nicht aus eigener Anschauung den Einblick in den Körper kennt,

der kennt nicht aus eigener Anschauung die Unsterblichkeit.

Nur wer aus eigener Anschauung den Einblick in den Körper kennt,

kennt aus eigener Anschauung die Unsterblichkeit«. (A. N., Einerbuch, XXI)

 

Dieser Belehrung ihres Meisters gemäß haben dann auch die Mönche gehandelt. wie folgendes Gespräch zwischen den beiden Mönchen Mahakotthito und dem großen Sariputto zeigt:

 

»Eines Abends sprach der ehrwürdige Mahakotthito zum ehrwürdigen Sariputto:

‚Welche Dinge, Bruder Sariputto, hat ein sittenreiner Mönch im Geiste gründlich zu betrachten?‘ –

‚Ein sittenreiner Mönch, Bruder Mahakotthito, hat die fünf Haftensgruppen

als eine Krankheit, als ein Geschwür, als einen stechenden Stachel,

als etwas Schmerzhaftes, Sieches, Fremdes, Hinfälliges, als leer, als Nicht-das-Ich

gründlich zu betrachten.‘

 

‚In der Tat, Bruder Sariputto, es mag wohl sein,

daß ein sittenreiner Mönch, der die fünf Haftensgruppen also gründlich betrachtet,

die Frucht der Sotapannaschaft verwirklicht.

Welche Dinge aber, Bruder Sariputto, hat ein Mönch, der ein Sotapanno ist, gründlich zu betrachten?( –

»Ein Mönch, Bruder Mahakotthito, der ein Sotapanno ist, hat die fünf Haftensgruppen

als eine Krankheit, als ein Geschwür, als einen stechenden Stachel,

als etwas Schmerzhaftes, Sieches, Fremdes, Hinfälliges, als leer, als Nicht-das-Ich

gründlich zu betrachten.‘

 

‚In der Tat, Bruder Sariputto, es mag wohl sein, daß ein Mönch,

der ein Sotapanno ist und die fünf Haftensgruppen also gründlich betrachtet,

die Frucht der Einmalwiederkehr verwirklicht.

Welche Dinge aber, Bruder Sariputto,

hat ein Mönch, der ein Einmalwiederkehrender ist, gründlich zu betrachten?‘ –

‚Ein Mönch, Bruder Mahakotthito, der ein Einmalwiederkehrender ist,

hat die fünf Haftensgruppen als eine Krankheit, als ein Geschwür, als einen stechenden Stachel,

als etwas Schmerzhaftes, Sieches, Fremdes, Hinfälliges, als leer, als Nicht-das-Ich

gründlich zu betrachten.‘

 

‚In der Tat, Bruder Sariputto, es mag wohl sein, daß ein Mönch, der ein Einmalwiederkehrender ist

und die fünf Haftensgruppen also gründlich betrachtet, die Frucht der Nichtwiederkehr verwirklicht.

Welche Dinge aber, Bruder Sariputto,

hat ein Mönch, der ein Nichtwiederkehrender ist, gründlich zu betrachten?( d

»Ein Mönch, Bruder Mahakotthito. der ein Nichtwiederkehrender ist,

hat die fünf Haftensgruppen als eine Krankheit, als ein Geschwür, als einen stechenden Stachel,

als etwas Schmerzhaftes, Sieches, Fremdes, Hinfälliges, als leer, als Nicht-das-Ich

gründlich zu betrachten‘

 

‚In der Tat, Bruder Sariputto, es mag wohl sein,

daß ein Mönch, der ein Nichtwiederkehrender ist und die fünf Haftensgruppen also gründlich betrachtet,

die Frucht der Heiligkeit verwirklicht.

Welche Dinge aber, Bruder Sariputto, hat ein Heiliger gründlich zu betrachten?‘ –

‚Ein Heiliger, Bruder Mahakotthito, hat die fünf Haftensgruppen

als eine Krankheit, als ein Geschwür, als einen stechenden Stachel,

als etwas Schmerzhaftes, Sieches, Fremdes, Hinfälliges, als leer, als Nicht-das-Ich

gründlich zu betrachten.

Zwar gibt es für einen Heiligen nichts mehr zu vollbringen oder Begonnenes zu vollenden.

Aber indem auch er noch diese Dinge hegt und pflegt, ermöglichen sie ihm, auch während dieses Lebens in Wohlbefinden zu verharren und in besonnener Vollbewußtheit(« (Sam. Nik. XXII, 122).

__

 

Auf diesem Weg kommt man mehr und mehr auch dazu,

die beschauliche Betrachtung über die Leidensfülle der fünf Haftensgruppen

durch die Betrachtung des ewigen höchsten Wohlbefindens nach erfolgter Lostrennung von ihnen,

also durch die Betrachtung des Nibbana-Zustandes, zu ergänzen:

 

»Da verweilt ein Mensch, Mönche,

in der Betrachtung der Leidensfülle aller Hervorbringungen – (Sankhara) –

einerseits und in der Betrachtung des Wohlbefinden Nibbanams andererseits;

das Wohlbefinden Nibbanams gewahrend, das Wohlbefinden Nibbanams erfassend,

allezeit, immerdar, unbeirrt, standhaften Geistes,

sich in Weisheit darein versenkend:

der erlebt nach der Ausmerzung der Einflüsse – (dürstenden Wollens) –

noch hienieden selber anschaulich

die nicht mehr – (durch den Durst) – beeinflußte Lostrennung des Geistes, Lostrennung in Weisheit,

nimmt sie unmittelbar wahr und verharrt in ihr,

oder es tritt bei ihm das Ende der Beeinflussung und das Lebensende im gleichen Zeitpunkt ein,

oder aber er wird infolge der völligen Ausmerzung der fünf mit dem Niederen verbindenden Koppeln

ein stromaufwärts zu den Hehren Göttern Eilender –

(uddhamsoto hoti akanitthagami)« – (Ang. Nik. VII. Nr. 16, 17).

 

* * *

 

Die in der täglichen Meditation

durch die Pflege des konzentrierten erkennenden Schauens gewonnene Einsicht

entwickelt sich nur langsam und allmählich.

Dazu kommt, daß sie immer wieder alsbald verblaßt, wenn die Konzentration des Geistes

nicht auch nach beendeter Meditation in der Form ständiger Besonnenheit fortgesetzt wird.

Das bedeutet nicht weniger,

als daß das auf die Buddha-Lehre konzentrierte Denken das ganze Leben durchfluten,

jedes Tätigwerden begleiten muß,

wenn das Ziel der allmählichen Vernichtung des dürstenden Wollens erreicht werden soll.

Es muß, um es drastisch zu illustrieren, so selbstverständlich werden,

wie das Essen und Trinken und schlafen und, umgekehrt,

muß einem die unbesonnene Hingabe an die immer wieder neu aufsteigenden Regungen des Durstes

so unnatürlich werden wie ein verrenkter Arm oder ein verrenktes Bein.

In Suttanipato 228

wird die in dieser Richtung zu erstrebende ständige Geistesverfassung in die Worte zusammengefaßt:

»Diejenigen, deren Denken so erstarkt ist,

daß es sich überhaupt nur mehr im Sinne von Gotamos Botschaft vollzieht,

gewinnen den Kampfespreis:

sie tauchen in die Ewigkeit unter und genießen die Seligkeit des Erloschen-seins.«

 

Weil aber das erst die Frucht jahrelangen, ja, durch Existenzen sich hinziehenden zähen Ringens ist,

deshalb lehrt der Buddho in Anpassung an die bis dahin beschränkten Willens- und Geisteskräfte

dieses Ziel in Stufen verwirklichen.

Dabei erleichtert er das Erklimmen der einzelnen Stufen

– auch darin zeigt sich wieder seine unvergleichliche Weisheit – dadurch,

daß man seine ganze Willens- und Geisteskraft

einzig und allein auf die Erreichung der jeweils als Ziel vorschwebenden stufe konzentriert:

alles Studium seiner Lehre und alle Meditation, zu der man bereits fähig ist,

hat zunächst nur und ausschließlich der Verwirklichung dieser Stufe zu dienen.

Wer das nicht befolgt, sondern zugleich noch Höheres erreichen will,

der erreicht wegen Zersplitterung seiner Kräfte überhaupt nichts.

Es gelten hier also die Worte:

Bei Möglichem: »Wer stets dasselbe will und immer nur dasselbe, –

Der bricht vom Himmel das Gewölbe, –

Dem müssen selbst die Götter sich verneigen – und sprechen:

»Komm und nimm, du nimmst dein Eigen!‘«

Diese stufenweise Charakters Läuterung

lehrt der Buddho in aller Schärfe im 125. Dialog des Majjhima Nikayo:

 

»Wohlan, Mönch, sei sittenrein, halte dich in strenger Selbstzucht in den Schranken,

mit denen die Vorschriften über Sittenreinheit dich umgeben.

Bleibe lauter im Handeln und Wandeln!

Ringe um Sittenreinheit, auch in kleinen Übertretungen eine Gefahr erblickend!

 

»Wenn nun der Hohe Jünger sittenrein geworden ist, dann weist ihm der Vollendete weiter den Weg. Wohlan, Mönch, hüte die Tore der Sinne!

Siehst du mit dem Auge eine Gestalt,

so hafte weder an der Gestalt im Ganzen, noch an Einzelheiten von ihr!

Da Begier und Verdrießlichkeit, diese bösen, unheilsamen Dinge,

gar bald den überwältigen, der unbewachten Auges verweilt.

So befleißige dich dieser Bewachung hüte das Auge, wache eifrig über das Auge!

 

»Hörst du mit dem Ohre einen Ton – riechst du mit der Nase einen Duft –

schmeckst du mit der Zunge einen Saft –

tastest du mit dem Körper (als Tastorgan) ein Objekt –

denkst du mit dem Denken ein Ding,

so hafte weder am Ganzen noch an Einzelheiten.

Da Begierde und Verdrießlichkeit, diese bösen, unheilsamen Dinge,

gar bald den überwältigen, der unbewachten Denkens verweilt,

so befleißige dich dieser Bewachung, hüte das Denken, wache eifrig über das Denken!«

 

Man wacht also unaufhörlich über die Sinnentätigkeiten,

damit diese nie in der Form des Anhaftens an den Sinnesobjekten, das ist also im Dienst des Durstes,

vor sich gehen,

indem man etwa irgendwelches Interesse

an dem Objekt als Ganzem oder an einzelnen Teilen desselben nimmt,

sondern vielmehr sich so vollziehen, daß man eben »beim Gesehenen, Gehörten usw. Halt macht *«

* Udanam I. 10

und nüchtern feststellt,

was dasselbe an sich, unabhängig von dem Reiz, den es auf unser Begehren ausübt, wohl sein mag.

Da sieht man dann bald etwas ganz anderes als bisher.

Man erblickt beispielsweise nicht mehr einfach einen Mann oder ein Weib,

sieht keine zierlichen Hände, kein verführerisches Lächeln mehr,

das bisher unsere Leidenschaft entfachte,

sondern lediglich zu dieser Gestalt zusammengeballten, organisierten Kot,

der früher oder später sich auch äußerlich wieder in seine ursprüngliche Form zurückwandeln wird

und der mit jenem Unergründlichen, aus welchem ein Anhaften an ihm entstanden ist,

bereits jetzt so wenig zu tun hat wie dereinst,

wenn er als tote Masse wie ein abgetragenes Kleid wieder weggeworfen wird.

So sieht der geläuterte Blick.

 

Ein Mensch, der so sieht, läßt sich auch durch einschmeichelnde Töne, insbesondere die Musik,

nicht mehr gefangen nehmen.

Auch die Musik gehört ja nach dem Buddho zu den Sinnenlüsten – (kama) -,

»den Heerscharen«, mit denen Maro der Böse, der in die Maske der Weltlust getarnte Tod,

die Wesen an die Lustwelten – Tierreich, Menschenreich und sinnliche Himmelreiche – fesselt

und ihnen dadurch den Weg in die Reiche oberhalb der Sinnenfreuden

mit ihrem wahrhaftigen, beseligenden inneren und äußeren Frieden zu versperren sucht.

Ja, die Musik züchtet geradezu durch die Aufwühlung des im Lebensdurst wurzelnden Gemütslebens

absichtlich den Unfrieden hoch.

Dem gegenüber sagt die geläuterte Erkenntnis mit dem Dhammapadam (102):

»ob auch einer hundert Lieder – Zwecklos in die Lüfte sendet – Besser ist ein Wort der Lehre –

Das dem Hörer Frieden spendet.«

Ja, der Buddho sagt: »Als Geheul gilt im Orden des Heiligen das Singen.«

In der Tat, wie könnte einer, der den »unvergleichlichen Zustand erhabensten Seelenfriedens«

täglich, ja, stündlich auskostet,

jede Art von Musik, auch himmlische, anders empfinden denn als Störung?

 

Objektiv genommen, sind ja auch die Ausdrucksmittel der Musik

nichts weiter als künstlich erregte Luftschwingungen,

welche »die edle Lärmkunst«, wie ein Moderner die Musik genannt hat,

als Sprache der Gefühle und Leidenschaften des Menschen benützt,

dabei sogar bei den Streichinstrumenten in Saiten gedehnte Schafdärme, also Teile von Tierleiche,

verwendend!

Freilich, wer denkt so objektiv, so »der Wirklichkeit entsprechend«, wie der Buddho sagt?

 

Genau so ist es mit dem Material, das die drei anderen äußeren Sinne,

der Geruch-, Geschmacks- und Tastsinn uns zuführen.

Insbesondere vermittelt uns der Geschmackssinn

nichts weiter als den Geschmack der von uns als Nahrung benützten Pflanzen- und Tierleichen.

Denn man mag diese Nahrung noch so raffiniert zubereiten,

die durchdringende Erkenntnis wird doch immer nur Leichengeruch und -geschmack entdecken können.

 

Freilich ist dieses Weltbild armselig und traurig, so armselig und traurig,

daß es die Menschen gar nicht kennen lernen wollen,

weil sie gar wohl ahnen, das ihnen sonst der Appetit nach der Welt verginge.

Aber wer kann im Ernst behaupten, daß es nicht wahr ist?

Wenn es aber wahr ist. wenn die Welt der fünf Sinne –

und eine andere kennen wir nicht und können wir nie erfahren *-

* »Daß er aber, Mönche, außer diesen Sinnenfreuden da,

außer den wahrgenommenen Sinnenfreuden, außer dem, was unter Sinnenfreuden gedacht wird,

etwa andere Sinnenfreuden finden könnte, ist schlechterdings unmöglich«,

sagt der Buddho von dem Mönch Arittho,

der auch hoffte, innerhalb der Welt Genüge finden zu können. (M. N., 22. Suttam)

in Wahrheit armselig und traurig, unsäglich armselig und traurig ist,

dann steht eben wiederum fest,

daß sie nur infolge einer gewaltigen Illusion, infolge einer grotesken Selbsttäuschung,

also eben infolge des Nichtwissens ihrer wirklichen Beschaffenheit,

begehrt werden kann

und daß in dem gleichen Maß,

in welchem die Einsicht in diese ihre wirkliche Beschaffenheit, also das Wissen, aufgeht,

jeder Durst nach ihr erlöschen muß.

Man erkennt, daß man nichts versäumt, wenn einem solche Objekte für immer entschwinden.

 

Doch das ist immer noch nicht die ganze Wahrheit.

Wäre es bloß an dem, daß man mit dem Verzicht auf das Leben nichts versäumt,

so könnte man immerhin noch mit dem gleichen Rechte entgegenhalten,

daß es einem dann doch auch nicht verwehrt sein könne,

die harmlosen Freuden, die uns in ihm erblühen, mitzunehmen,

nachdem wir uns nun einmal in die Welt hineingestellt sehen.

Auch wenn jene Freuden nur auf Illusion und auf Selbsttäuschung basieren.

Indessen würde, wer so spräche, nicht genügend berücksichtigen,

daß jede Illusion früher oder später sich rächen muß,

da man sich mit einer solchen aus der Welt der Wirklichkeit heraus und in eine Scheinwelt hineinbegibt,

die, früher oder später, unweigerlich an der ersteren zerschellen

und mithin letzten Endes Leiden bringen muß.

Diese Rache – und sie ist eine geradezu fürchterliche – besteht nun aber hier darin,

daß man, solange man diese Illusion pflegt, nicht aus der Welt herauskommt,

daß man also auch immer wieder alle ihre Leiden

in Gestalt von Kummer, Krankheit, und des stets neuen Sterbens,

ja, schließlich auch in Form des Sturzes in die Abgründe des Seins mit in den Kauf nehmen muß.

 

Das ist die ganze Wahrheit über die Welt, wie sie sich darstellt,

wenn man mit bewachten Sinnen, mithin sich rein erkennend verhaltend,

  1. h. also in Form der Hohen Sinnenzügelung, in sie hineinschaut.

Freilich wird diese ganze Wahrheit

auch durch die konzentrierte Geistestätigkeit nicht sofort und ohne weiteres verwirklicht.

Denn wie die Sinnenzügelung

mit Aussicht auf Erfolg überhaupt erst von einem Menschen begonnen werden kann,

der in strenger Sittenreinheit seinen Geist bereits von den gröbsten Illusionen

und damit von den brutalen Äußerungen des Durstes nach der Welt gereinigt hat,

so muß sie selbst durch unablässige Übung, erst nach und nach

zur völligen Vollendung gebracht werden;

auch ihre Entwicklung ist also eine allmähliche.

 

Zunächst wird man die- wahre Natur der Sinnesobjekte nur wie im Nebel erkennen,

gleichwie das ungeübte Auge

die verschwommenen Konturen eines fernen, den Horizont abgrenzenden Gebirges

noch kaum von Wolken unterscheiden kann.

Entsprechend diesem Grad von Erkenntnis

kann auch das Begehren nach den Sinnesobjekten nur in fortwährendem Kampfe unterdrückt werden,

so daß das Hauptaugenmerk darauf zu richten ist,

sich von ihnen nicht neuerdings bestechen und gefangen nehmen zu lassen:

»Darum aber, Sariputto … hat ein Mönch sich so zu erforschen:

‚Auf dem Weg, wo ich nach dem Dorf um Almosen hinging, an dem Ort, wo ich um Almosen stand,

auf dem Weg, wo ich aus dem Dorf vom Almosengang wiederkam,

ist mir da etwa bei den durch das Auge ins Bewußtsein-tretenden Gestalten –

den durch das Ohr ins Bewußtsein tretenden Tönen –

den durch die Nase ins Bewußtsein tretenden Düften –

den durch die Zunge ins Bewußtsein tretenden Säften –

den durch den Leib ins Bewußtsein tretenden Tastobjekten –

den durch das Denken ins Bewußtsein tretenden Dingen Wille oder Gier oder Haß

oder Verblendung oder Abneigung im Geiste aufgestiegen?‘

Wenn da, Sariputto, der Mönch bei seiner Betrachtung erkennt:

‚Auf dem Weg, wo ich nach dem Dorf um Almosen hinging, an dem Ort, wo ich um Almosen stand,

auf dem Weg, wo ich aus dem Dorf vom Almosengang wiederkam,

da ist mir… Wille oder Gier oder Haß oder Verblendung oder Abneigung im Geiste aufgestiegen‘,

so hat ein solcher Mönch, Sariputto,

um Befreiung von eben diesen bösen, schlechten Dingen zu kämpfen.

Wenn aber, Sariputto, der Mönch bei seiner Betrachtung erkennt:

»Auf dem Weg, wo ich nach dem Dorfe um Almosen hinging, an dem Ort, wo ich um Almosen stand,

auf dem Weg, wo ich aus dem Dorf vom Almosengang wiederkam,

ist mir … Wille oder Gier oder Haß oder Verblendung oder Abneigung im Geiste nicht aufgestiegen‘,

so soll ein solcher Mönch, Sariputto,

mit dieser frohen Selbstzufriedenheit in heilsamen Dingen bei Tag und Nacht verharren *.

* Majj. Nik. lll, p. 294 (151. Suttam).

Soweit der Mönch in dieser Übung, wenn auch unter fortwährendem Kampfe, beharren kann,

wandelt er auf jener Stufe des Heilsweges, die der Herr mit den Worten beschreibt:

»Da ist, Udayi, ein Mensch auf dem Wege. das Anhaften zu lassen, das Anhaften zu verleugnen;

und während er auf dem Weg ist, das Anhaften zu lassen, das Anhaften zu verleugnen,

kommen ihn mit Anhaften verbundene Erinnerungen an:

und er gönnt ihnen keinen Raum, verleugnet sie, vertreibt sie, vertilgt sie, erstickt sie im Keim *.«

* Majj. Nik. l, p. 453 (66. Suttam).

 

Ist so der Hohe Jünger mit der Zeit ein strenger Wächter seiner Sinnestore geworden,

auf daß sein Durst nach den durch die Objekte der sinne ausgelösten Freuden keine Nahrung mehr finde

und auf diese Weise mehr und mehr mangels Nahrung verkümmere,

»dann« – so fährt der Buddho fort – »weist ihm der Vollendete weiter den Weg:

‚Wohlan, Mönch, beim Essen wisse Maß zu halten,

nimm’ auch die Nahrung gründlich besonnen ein,

nicht um genußfähig zu bleiben, nicht um hübsch und schmuck zu werden.

sondern nur um diesen Körper zu erhalten, zu fristen, um Schaden zu verhüten,

um ein heiliges Leben führen zu können;

so werde ich die frühere wohlige Geschmacksempfindung abtöten

und eine neue nicht aufkommen lassen,

und ich werde mein Leben auf makellose Weise erhalten und mich wohlbefinden‘.«

 

Auf dieser Stufe richtet sich also der Kampf des Hohen Jüngers speziell gegen die Gier,

die der Durst bei der Aneignung der Nahrung, also beim Essen annimmt,

nachdem er im erkennenden Schauen der Meditation sich darüber klar geworden ist,

daß sein Körper

nichts weiter als einen aus Materie aufgebauten Mechanismus in organisierter Form darstellt,

der überhaupt nur durch fortwährende Vernichtung fremden Lebens erhalten werden kann,

so daß im Grunde schon diese Erhaltung unmoralisch ist,

so beschränkt er sich auf die notdürftige Erhaltung dieses Körpers

als der unerläßlichen Voraussetzung der allmählichen völligen Vernichtung alles Durstes überhaupt,

indem er sich mit den anderen Worten des Meisters tröstet:

»Durch Nahrung wird die Nahrung überwunden.«

Dabei schaltet er das sündhafte jeder Nahrungsaufnahme, soweit nur immer möglich, aus *.

* Das sündhafte bei der Nahrungsaufnahme liegt darin,

das fremdes Leben vernichtet und damit Schmerz in der Welt verursacht wird.

Da nun Tierleben höher steht

und eine viel größere Schmerzempfindlichkeit besitzt als Pflanzenleben,

so wird der gute Mensch auf keinen F all, sei es direkt oder indirekt, Veranlassung geben,

daß seiner Nahrung halber ein Tier getötet wird.

In Konsequenz davon wird er auch das Fleisch keines Tieres essen,

von dem er gesehen oder gehört hat oder vermutet,

daß das Tier seinetwegen geschlachtet worden ist:

»Drei Fälle gibt es, Jivako, wo ich sage, Fleisch ist nicht zu nehmen:

Gesehen, gehört, vermutet«. (M. N., 55. Suttam).

Eben deswegen darf auch niemand dem Vollendeten oder einem Jünger desselben

das Fleisch eines Tieres vorsetzen, das zu diesem Zweck getötet wurde:

»Wer da, Jivako, um des Vollendeten oder vollendeten Jüngers willen das Leben raubt,

der erwirbt zu fünf Malen schwere Schuld.

Weil er da so befiehlt: ‚Geht hin und bringt jenes Tier dort herbei‘,

darum erwirbt er zum ersten Mal schwere Schuld.

Weil dann das Tier, zitternd und zagend herbeigeführt, Schmerz und Qual empfindet,

darum erwirbt er zum zweiten Mal schwere Schuld.

Weil er dann spricht: ‚Geht hin und tötet dieses Tier‘,

darum erwirbt er zum dritten Male schwere Schuld.

Weil dann das Tier im Tod Schmerz und Qual empfindet,

darum erwirbt er zum vierten Mal schwere Schuld.

Weil er dann den Vollendeten oder des Vollendeten Jünger ungebührend speisen läßt,

darum erwirbt er zum fünften Mal schwere Schuld« (M. N., 55. Suttam). –

Trifft einem dagegen an dem Tod des Tieres keinerlei Schuld,

so mag man ruhig sein Fleisch genießen.

Denn was man so genießt, ist ja nichts weiter als abgelegte, tote Materie, wie jede andere auch.

Deshalb erwidert denn auch der Mönch Kassapo einem Laien,

der ihm Vorhalt darüber gemacht hatte,

daß er zubereitetes Fleisch von Geflügel als Almosen angenommen habe:

»Was lebt, verletzen, schlagen, schlachten, kerkern ein,

Diebstahl und Lüge, Hinterlist und Heimlichkeit,

Geheim erspähen, erbuhlen anderer Gattin Gunst,

Das wird geheißen ruchbar, nicht doch Fleischgenuß.« (Suttanipato, V. 242)

 

Freilich wird der Hohe Jünger auch diese, wie überhaupt jede Nahrung,

eingedenk des Todes des Wesens, von dem sie stammt, einnehmen,

wie Eltern, die auf der Reise in eine Wüste geraten,

verzweifelnd ihr einziges, vielgeliebtes Kind schlachten, um nicht alle drei zu verhungern,

und weinend, sich die Brust schlagend, nach und nach verzehren:

Wer die Nahrung also betrachte, der kehre nimmer zu dieser Welt zurück (Sam. Nik. XII, 63).

 

»Wenn so der Mönch beim Essen Maß zu halten weiß,

dann – merke wohl: erst dann – weist ihm der Vollendete weiter den Weg:

‚Wohlan, Mönch, der Wachsamkeit weihe dich:

Bei Tag sollst du gehend und sitzend

das Denken von – (den noch vorhandenen) – trübenden Regungen säubern;

in den ersten Stunden der Nacht gehend und sitzend

das Denken von trübenden Regungen säubern;

in den mittleren Stunden der Nacht

magst du dich wie der Löwe auf die rechte Seite legen, einen Fuß über dem anderen,

besonnen, klar bewußt, der Zeit des Aufstehens gedenkend;

sollst in den letzten Stunden der Nacht, wieder aufgestanden, gehend und sitzend

das Denken von trübenden Regungen säubern.«

 

In diesen noch vorhandenen trübenden Regungen

erhebt die alte Schlange des Durstes ab und zu noch einmal züngelnd den Kopf;

aber sie ist bereits so schwach geworden, daß sie ernstlich kein Unheil mehr stiften kann:

»Da ist ferner, Udayi, ein Mönch auf dem Weg, das Anhaften zu lassen, das Anhaften zu verleugnen;

und während er auf dem Weg ist, das Anhaften zu lassen, das Anhaften zu verleugnen.

kommen ihm gelegentlich, hier und da, wirre Gedanken, mit Anhaften verbundene Erinnerungen an.

Langsam, Udayi, treten die Gedanken auf,

aber gar eilig verleugnet er sie, vertreibt er sie, vertilgt er sie, erstickt sie im Keime.

Gleichwie etwa, Udayi, wenn ein Mann

auf eine tagsüber am Feuer glühende, eiserne Pfanne zwei oder drei Wassertropfen herabträufeln ließe,

– langsam, Udayi, wäre der Fall der Tropfen, aber gar eilig würden sie aufgelöst und verschwunden sein. –

Ebenso nun auch, Udayi, ist da ein Mensch auf dem Weg,

das Anhaften zu lassen, das Anhaften zu verleugnen;

und während er auf dem Wege ist, das Anhaften zu lassen, das Anhaften zu verleugnen,

kommen ihm gelegentlich, hier und da, wirre Gedanken, mit Anhaften verbundene Erinnerungen an.

Langsam, Udayi, treten die Gedanken auf,

aber gar eilig verleugnet er sie, vertreibt er sie, vertilgt er sie, erstickt sie im Keim.«

 

Wenn nun so der Hohe Jünger auch über die trübenden Regungen zu wachen gelernt hat,

dann zeigt ihm der Vollendete weiter den Weg:

»Wohlan, Mönch, mit klarer Bewußtheit wappne dich:

sei klar bewußt beim Kommen und Gehen,

klar bewußt beim Hinblicken und Wegblicken,

klar bewußt beim Neigen und Erheben,

klar bewußt beim Tragen des Gewandes und der Almosenschale,

klar bewußt beim Essen und Trinken, Kauen und schmecken,

klar bewußt beim Entleeren von Kot und Urin,

klar bewußt beim Gehen und Stehen und Sitzen, beim Einschlafen und Erwachen,

beim Sprechen und Schweigen.«

 

Mit dieser ständigen Vollbewußtheit, in deren Licht sich nunmehr alles und jedes vollzieht,

hat sich das auf die Verwirklichung der Hohen Lehre konzentrierte Denken

in Form ununterbrochener Besonnenheit auf das ganze tägliche Leben ausgedehnt.

Doch nicht bloß das, in Folge der Jahre hindurch geübten zähen Ringens,

diese Art konzentrierten Denkens zur Charaktereigenschaft zu entwickeln,

nähert sich naturgemäß speziell auch das in der täglichen Meditation gepflegte erkennende Schauen

mehr und mehr seinem Höhepunkt,

wie wir diesen bereits in den Worten des Buddho präzisiert haben:

»Wie stahl war meine Willenskraft – (nur mehr in der Richtung der Hohen Lehre zu denken) –

unablenkbar, fest stand die Besonnenheit, keinen Augenblick wankte sie,

ruhig vollzog sich das Körpergetriebe,

unmerkbar, konzentriert war das Denken, einzig auf sein Objekt gerichtet.«

 

So kann ein solcher Hoher Jünger schließlich mit dem Mönche Khemako sagen:

»Ich nehme, Brüder. in den fünf Haftensgruppen nicht mehr mich selber wahr,

noch etwas mir Zugehöriges *. (* Sam Nik. in, p. 126 flg. (XXII, 89))

Freilich ist damit das große Endziel,

»sein eigenes Nibbanam zu erkennen« (Udanam III, 5) noch nicht verwirklicht.

Es mag, wie Khemako seinen Mitbrüdern erklärte,

»hinsichtlich der fünf Haftensgruppen ein noch nicht zum Verschwinden gebrachter schwacher Rest

von Ich-bin-Dünkel, von Ich-bin-Wunsch, von der Neigung in der Form von ‚lch-bin‘ zu denken« –

(statt nur mehr in der Form: ‚Das bin ich nicht‘).

Deshalb verweilt der Hohe Jünger weiterhin

in der Betrachtung des Entstehens und Vergehens der fünf Haftensgruppen:

‚so ist die körperliche Form, so entsteht sie, so verschwindet sie;

so ist die Empfindung. so entsteht sie, so verschwindet sie;

so ist die Wahrnehmung, so entsteht sie, so verschwindet sie;

so sind die Gemütstätigkeiten, so entstehen sie, so verschwinden sie;

so ist das Erkennen, so entsteht es, so verschwindet es«.

Und indem er auch weiterhin

in der Betrachtung des Entstehens und Vergehens dieser fünf Haftensgruppen verharrt,

schwindet ihm hinsichtlich derselben auch jener noch nicht zum Verschwinden gebrachte schwache Rest

von Ich-bin-Dünkel, von Ich-bin“-Wunsch, von der Neigung, in der Form ‚ich-bin‘ zu denken, hinweg.

Es ist geradeso, Brüder, wie wenn man ein verunreinigtes, schmutziges Kleid zum Wäscher brächte.

Der riebe es mit Salzerde, Lauge oder Kuhmist tüchtig ab und spülte es dann in reinem Wasser.

Dadurch wäre zwar das Kleid sauber und rein geworden,

aber es bliebe an ihm doch ein noch nicht zum Verschwinden gebrachter schwacher Rest

von dem Geruch der Salzerde oder der Lauge oder des Kuhmistes zurück.

Und so legten die Eigentümer das Kleid in eine duftende Schachtel,

in welcher der noch nicht zum Verschwinden gebrachte schwache Rest des Geruches

alsbald aufgesogen würde.

 

Wann auf diese Weise der letzte Rest des Ich-bin-Dünkels wegschwindet.

ob nach Monaten oder Jahren, gilt gleich.

Aber einmal kommt der große Augenblick *,

* Wann wird er kommen? lm Dreier-Buch Nr. 91 heißt es:

»Es steht, Mönche, nicht in dein Vermögen und der Macht des Landmanns,

daß ihm heute etwa sein Korn aufgehe, morgen Frucht trage und übermorgen reife,

sondern es wird eben einmal eine Zeit kommen,

wo jenes Korn des Landmannes den richtigen Zeitpunkt erreicht hat, Frucht trägt und reift.

Ebenso nun auch … steht es nicht in dem Vermögen und der Macht des Mönches,

das ihm etwa heute oder morgen oder übermorgen

sein Geist restlos von den Einflüssen erlöst werde,

sondern es wird eben, Mönche, eine Zeit kommen,

wo dem Mönche,

der sich in hoher Sittenreinheit, hoher Geistigkeit – Konzentration – und hohem Wissen übt,

sein Geist restlos von der Beeinflussung erlöst wird.« –

In M. N., 10. Suttam aber sagt der Meister:

»Wer da, Mönche, diese vier Gegenstände der Besonnenheit sieben Jahre behaupten kann,

darf eine von den zwei möglichen Folgen erwarten:

Erlösung bei Lebzeiten oder Nichtwiederkehr nach dem Tod, sei es um die sieben Jahre:

wer da, Mönche, diese vier Gegenstände der Besonnenheit sechs Jahre, fünf Jahre,

vier Jahre, drei Jahre, zwei Jahre, ein Jahr behaupten kann – sei es um das Jahr:

wer da, Mönche, diese vier Gegenstände der Besonnenheit sieben Monate behaupten kann,

darf eine von den zwei möglichen Folgen erwarten:

Erlösung bei Lebzeiten oder Nichtwiederkehr nach dem Tod, sei es um die sieben Monate:

wer da, Mönche, diese vier Gegenstände der Besonnenheit sechs Monate, fünf Monate,

vier Monate, drei Monate, zwei Monate, einen Monat, einen halben Monat behaupten kann –

sei es um den halben Monat:

wer da, Mönche. diese vier Gegenstände der Besonnenheit sieben Tage behaupten kann,

darf eine von den zwei möglichen Folgen erwarten:

Erlösung bei Lebzeiten oder Nichtwiederkehr nach dem Tod.« –

Und im M. Nik., 85. Suttam heißt es, daß ein Mönch, der den Vollendeten zum Lenker habe,

am Abend eingeführt, am Morgen den Ausgang finden,

am Morgen eingeführt, am Abend den Ausgang finden könne« –

Es kommt eben alles auf die Fähigkeiten an,

die man bei der Beschreitung des Weges bereits mitbringt,

sowie auf die Energie, mit der man ihn geht,

wie das speziell am letztgenannten Ort näher ausgeführt wird.

wo die Wolken des Nichtwissens

sich für den Hohen Jünger völlig zerteilen,

der duftige Schleier, den sein Begehren um seine Persönlichkeit und ihre Welt wob,

mit einem Ruck gänzlich entzwei reißt *

* Die höchste anschauliche Erkenntnis stellt sich blitzartig ein,

so »wie nämlich, Mönche, ein Mensch in der Dunkelheit und Finsternis der Nacht

beim plötzlichen Auftauchen des Blitzes mit seinen Augen die Gegenstände erkennen möchte.«

Angutt. Nik. Ill, 25.

 

und er die Natur dieser Persönlichkeit völlig durchschaue:

er erkennt ihr Getriebe, wie es sich in der sechsfachen Sinnentätigkeit vollzieht,

als das Produkt eines aus Kot aufgebauten Mechanismus,

der auch seinerseits wieder im Haften an Kot,

wenn dieser sich schließlich auch bis zur Form von Gedanken verfeinert, sich erschöpft *

* Vgl. dazu: »Gleichwie, Mönche, selbst ein wenig Kot schon übel riecht:

so möchte ich selbst nicht einmal für eine kurze spanne Zeit wiedergeboren werden.

und wäre es auch nur für einen Augenblick.« Ang. Nik. l, 28, 13.

und der eben wegen dieser seiner Natur gar nichts anderes als eine Leidensmaschine darstellen kann.

Er erkennt weiterhin diesen seit Ewigkeiten sich unaufhörlich erneuernden Mechanismus

als durch seinen Durst nach der Welt des Kotes und daher des Todes bedingt;

und erkennt eben deshalb schließlich auch,

daß er mit der restlosen Vernichtung dieses Durstes

von dem schrecklichen Alp dieses Bereiches des Anatta, des Nicht-selbst,

im kommenden Tod völlig und für ewig frei wird,

so daß ihn in alle Ewigkeit nichts, schlechterdings nichts mehr beunruhigen wird.

Das alles erkennt er mit seinem geistigen Auge so deutlich und anschaulich,

sieht sich so sehr

von allen Bestandteilen seiner Persönlichkeit als den Elementen des Leidens verschieden,

wie ein scharf sehender Mann, am Ufer eines Alpensees von klarem durchsichtigen Wasser stehend,

die Muscheln und Schnecken sieht und den Kies und Sand am Grunde

und die Fische, wie sie dahingleiten und stille stehen.

»Und so sehend, in dieser Weise erkennend,

wird sein Denken erlöst

von Beeinflussung durch die Gier nach den durch die Objekte der sinnesausgelösten Freuden,

wird erlöst von Beeinflussung durch die Gier nach Werden – (in einer Brahmawelt) -,

wird erlöst von Beeinflussung durch Nichtwissen –

(als den drei Äußerungsarten des nunmehr vernichteten Durstes) *. )* s. oben S. 290.)

In dem so Erlösten steigt das Wissen auf:

»Ich bin erlöst, vernichtet ist die Wiedergeburt; zu Ende gelebt der heilige Wandel;

ich habe getan, was mir zu tun oblag, habe nichts mehr mit dieser Ordnung der Dinge gemein *.‘«

* Digha N. Il, 97, 98.

 

Damit ist sein Auszug aus der Welt im Grunde auch schon vollzogen.

Wenn er auch regelmäßig noch das vollständige Verwehen der Bestandteile seiner Persönlichkeit

als des Produktes seines früheren Durstes abwarten wird *,

* Der erlöste Heilige hat das Leben überwunden.

Das Nächstliegende wäre, daß er, nachdem er sich innerlich völlig von ihm losgesagt hat,

ihm auch äußerlich durch Freitod ein Ende machte.

Indessen wird er das regelmäßig gerade deshalb nicht tun,

weil ihm das Leben gleichgültig geworden ist, so gleichgültig,

daß er lächelnd seinem Mörder die Brust zum tödlichen Stich darbieten würde:

»Ich freue mich nicht über den Tod,

Ich freue mich nicht über das Leben.

Ich werde diesen Körper weglegen,

Klar bewußt, besonnener (Thera-Gatha, V. 1002)

Indessen mögen schwere körperliche Schmerzen gar wohl ein Grund für ihn sein,

das Leben durch Freitod gänzlich wegzuwerfen,

gerade weil es ihm im Übrigen eine völlig gleichgültige Sache geworden ist,

so handelte z. B. Channo im einhundertvierundvierzigsten Suttam des M. N.,

woselbst der Buddho diese Handlungsweise auf die Mitteilung Sariputtos hin,

daß sie den Freunden und Genossen Channos als Tadel gelte, mit den Worten billigt:

»Ich sage nicht, Sariputto, daß man darum Tadel habe.

Wer da, Sariputto, den einen Körper ablegt und einen anderen Körper annimmt,

der, sage ich, ist tadelhaft.

Das gilt von Channo, dem Mönche, nicht.

Untadelhaft hat Channo, der Mönch, zur Waffe gegriffen.«

so steht er von nun ab dieser Persönlichkeit und in ihr der ganzen Welt in vollendeter Gleichgültigkeit,

die ja nur die positive Seite der Vernichtung alles Durstes nach der Welt ist, gegenüber.

Nichts geht ihn mehr etwas an, nicht einmal der Tod,

der ja nur das vernichtet,

was er nunmehr anschaulich als nicht zu sich gehörig und noch dazu als leidvoll erkennt:

»Er gerät durch nichts mehr in der Welt außer Fassung;

ihm, dem von den Sinnenfreuden Losgelösten,

dem Heiligen, der keine Frage mehr stellt, jeden Mißmut überwunden hat,

der nach keinerlei Werden mehr dürstet, haften Wahrnehmungen nicht mehr an *.

* Majj. Nik. l. p. 108 (18. Suttam).

Er hat den Strom, der diese Welt des Todes vom Reich der Todlosigkeit trennt *, durchschwommen

* Der Buddho nennt die Welt das Reich des Todes – maradheyyam –

im Gegensatz zum Reich der Todlosigkeit – amaradheyyam (M. N., 34. Sut.);

wir nennen sie Natur, das Reich des ewigen Geborenwerdens. Auch das ist natürlich richtig:

die Welt kann ebensogut das Reich der Natur, wie das der Mortar, genannt werden.

(Schopenhauer, Nachl. IV, § 551).

Doch kommt gerade in dieser Verschiedenheit der Benennung

besonders deutlich die Verschiedenheit des Standpunktes zum Ausdruck-:

wer am Leben hängt, sieht nur dessen ewige Erneuerung;

wer weise ist, sieht das Ende, dem alles unterworfen ist.

Gewöhnlich wird im Kanon

der Tod in dieser seiner Eigenschaft als oberster Herr der Welt personifiziert

und zwar als Maro, der Böse, der Fürst und Spender aller Weltlust,

die ja auch gar nichts weiter als der verhüllte Tod ist, indem wer ihr dient, diesem untertan ist.

Dabei bleibt jedoch die Personifikation, entgegen der Gestalt des Luzifer in der Bibel,

als solche stets durchsichtig, wie das schon darin zum Ausdruck kommt,

daß die nähere Bezeichnung Maro’s als Maro papima, genau genommen, nicht Maro, der Böse,

sondern Maro, das Übel, bedeutet (Windisch, S. 195). –

In dieser durchsichtigen Personifikation der Weltlust

wird auch die Wirklichkeit am vollkommensten wiedergegeben:

In jedem Menschen nehmen die Leidenschaften die Form unheimlicher, selbständiger Mächte an,

deren Einflüsterungen – man beachte diesen Sprachgebrauch! – man preisgegeben ist;

ja, im werdenden Heiligen, in welchem

der Kampf mit ihnen zur furchtbaren Heftigkeit eines wirklichen Vernichtungskampfes anwächst,

von dem der gewöhnliche Mensch keine Ahnung hat,

verdichten sie sich auf dem Höhepunkt dieses Kampfes gerade in Hinsicht darauf,

daß der Heilige sie als seinem tiefsten Wesen fremde und durchaus feindliche Mächte erkennt,

in letzter gigantischer Aufwallung vor ihrem definitiven Zusammenbruch zu visionären Gestalten,

nämlich eben denen des bösen Feindes,

wie wir das nicht nur bei buddhistischen, sondern auch bei christlichen Heiligen sehen. –

Das Maro in allen Fällen wirklich nur eine Personifikation ist, wird übrigens ausdrücktlich gelehrt:

Radho spricht zum Buddho:

»Maro, Maro, so sagt man, o Herr-, wer ist nun aber, oh Herr, Maro?« –

»Der Körper, wahrlich, Radho, ist Maro, die Empfindung ist Maro, die Wahrnehmung ist Maro.

Die Gemütstätigkeiten sind Maro, das Bewußtsein ist Maro.« (Samyutta Nik. XXllI. 11-22)

Im Vorstehenden ist die primäre Entstehung der Maro-Figur behandelt.

In der Folge wurde sie dann, nachdem sie durch die Berichte derer, die sie erlebt hatten,

der Welt bekannt geworden war, von den Kompilatoren des Kanons,

dem menschlichen Hang zu derlei Personifikationen entsprechend

und zur dramatischen Steigerung der Wirkung der Meisterworte,

vielfach in die Rahmenerzählungen, in denen uns die letzteren überliefert sind, eingefügt.

(cfr. Windisch, Mara und Buddha, S. 177 ff.)

und ist vom »diesseitigen Ufer, voller Gefahren und Schrecken«

an »das jenseitige Ufer, sicher, frei von schrecken«, hinübergelangt *. (Majj. Nik. l. p. 134 (22. Suttam))

Damit hat er alles hinter sich gelassen, selbst die Lehre des Buddho,

die ja auch nur »als Floß« zu dieser Überfahrt dienen sollte,

»zum Entrinnen tauglich, nicht zum Festhalten *.« (* Majj. Nik. l. p. 134 (22. Suttam))

Er ist, wie jenseits aller Weisheit. so auch jenseits von Gut und Böse:

»Die ihr das Gleichnis vom Floß, Mönche, versteht,

ihr habt auch das Rechte zu lassen, geschweige das Unrechte *.«

* Cfr. auch Dhammapadam V. 412: »Wer guter Tat und böser Tat, –

Wer beider Fesseln sich entwand, – Den heiße ich einen Heiligen.«

 

So war es also der durch die Konzentration »in Weisheit ausgediehene Geist *«, (* Digha Nik. XVI.)

der einem Diamanten gleich, dem nichts widerstehen kann *, alles vernichtete, (* Ang. Nik. l, p.124 (III,25)

mit der Folge, daß er nach getaner Arbeit selbst weggeworfen wird.

 

 

  1. Die beschaulichen Schauungen

 

Der Steilaufstieg zu Nibbanam

»Wer diese Rede nicht versteht, der bekümmere sein Herz nicht damit.

Denn solange der Mensch nicht gleich ist dieser Wahrheit,

solange wird er sie nicht verstehen.« (Meister Eckhart)

 

Das Höhere Wissen

Vorbemerkung:

Die Sinnenfreuden sind die durch die Objekte unserer fünf Sinne in uns ausgelösten Freuden.

Der Buddho nennt sie Kama.

Die Objekte dieser Sinne bilden zugleich den Inbegriff der Welt:

»Als die Welt, ihr Brahmanen,

gelten im Orden des Heiligen die fünferlei Objekte der Sinnenlust (kamaguna).

Welche fünf?

Die Gestalten, die Töne, die Düfte, die Säfte, die Tastobjekte«. (Ang. Nik. IX, Nr. 38)

Das wahre Glück thront jenseits der Sinnenfreuden und damit jenseits der Welt,

dort, wo dem Weltmenschen der große Abgrund des Nichts entgegengähnt.

Als das Kriterium, das auszeichnende Merkmal dieses wahren Glücks gibt der Buddho den FRIEDEN an.

Das versteht sich so:

Unser absolut angemessener Zustand und damit vollkommenes Wohlbefinden

und damit absolutes Glück und damit absolute Wunsch-, Willenlosigkeit

und damit absoluter Friede sind identische Begriffe:

wessen Wille, weil er sich nach Erreichung des ihm absolut angemessenen Zustandes

vollkommen wohl und damit vollkommen glücklich befindet,

schlechterdings durch nichts mehr angeregt wird, der genießt eben deshalb den HÖCHSTEN FRIEDEN,

indem Unfriede ja immer Willensunrast ist.

Und so bezeichnet der Buddho das uns gesteckte Endziel mit Vorliebe als

»Das Friedvolle, das Hocherhabene«, oder den »GROßEN FRIEDEN«

und betont immer wieder,

daß, je höher man auf dem Glückspfad steigt, es desto friedvoller in uns und um uns wird.

 

Den direkten Aufstieg zum Gipfel des wahren Glücks und die Art,

wie man von einer stufe auf die andere emporgelangen kann,

schildert das folgende Suttam des Anguttara Nikayo lX, Nr. 41:

 

»Der Hausvater Tapusso kam zum ehrwürdigen Anando, begrüßte ihn ehrerbietig

und setzte sich seitwärts nieder, seitwärts sitzend sprach er so zum ehrwürdigen Anando:

‚wir Hausleute, ehrwürdiger Anando,

genießen die Sinnenfreuden, sind an ihnen entzückt, schweigen in ihnen.

Der Zustand jenseits der Sinnenfreuden scheint uns gleichsam ein Abgrund.

Doch habe ich gehört, daß in dieser Lehre und Ordnung schon bei ganz jungen Mönchen

der Geist in dem Gedanken an den Zustand jenseits der Sinnenfreuden sich erhebt, beruhigt,

darin feststeht und sich loslöst (von den Sinnenfreuden),

da sie erkennen: ‚Das ist friedvoll‘. (etam santam)

Der Zustand jenseits der Sinnenfreuden ist es, Ehrwürdiger,

worin sich in dieser Lehre und Ordnung die Mönche von der großen Menge unterscheiden.‘ –

‚So ist es, Hausvater.

Wollen wir den Erhabenen aufsuchen, um seine Erklärung über diese Materie zu hören.‘

Und der ehrwürdige Anando begab sich in Gesellschaft des Hausvaters Tapusso zum Erhabenen

und berichtete ihm die Äußerung des Hausvaters Tapusso.

Der Erhabene sprach:

‚So ist es, Anando, so ist es, Anando.

Auch ich hegte schon vor meiner vollen Erwachung,

als ich noch kein voll Erwachter war, sondern der Erwachung erst nachhing, den Gedanken:

‚Etwas Gutes ist der Zustand jenseits der Sinnenfreuden, etwas Gutes ist die Abgeschiedenheit.‘

Aber mein Geist erhob sich nicht bei dem Gedanken an den Zustand jenseits der Sinnenfreuden,

beruhigte sich nicht dabei, stand darin nicht fest, löste sich nicht los (von den Sinnenfreuden)

und so erkannte ich nicht: ‚Das ist friedvoll.‘

Da kam mir, Anando, der Gedanke:

Wenn ich das Elend der Sinnenfreuden durchschaue, mir darüber völlig klar werde

und wenn ich zum Glück des Zustandes jenseits der Sinnenfreuden vordringe, es auskoste,

dann mag es wohl sein,

daß sich mein Geist hinfort beim Gedanken an den Zustand jenseits der Sinnenfreuden erhebt,

beruhigt, darin feststeht, sich loslöst (von den Sinnenfreuden);

erfahre ich dann doch: ‚Das ist friedvoll.‘

Und ich durchschaute, Anando, mit der Zeit das Elend der Sinnenfreuden,

wurde mir darüber völlig klar und drang zum Glück des Zustandes jenseits der Sinnenfreuden vor,

kostete es aus.

Und so gewann ich, Anando, seit dieser Zeit – (nach Belieben. ohne Mühe und Anstrengung) –

losgelöst von den durch die Objekte der Sinne ausgelösten Freuden,

diesen unheilschwangeren Dingen,

die im energischen Denken und Überlegen – (der vier Grundlagen der Besonnenheit) –

bestehende erste beschauliche Schauung mit all dem von Freude durchtränkten Wohlbefinden,

wie es aus der Loslösung von den Freuden, die durch die Objekte der sinne ausgelöst werden, entsteht.

Und wenn, Anando, während ich in diesem Zustand verweilte,

Wahrnehmungen und Vorstellungen über mich kamen, die mit sinnlicher Freude verbunden waren,

so war mir das schmerzhaft.

Gleichwie, Anando, einem Glücklichen, den Leid überfällt, das schmerzhaft ist.

 

Da kam mir, Anando, der Gedanke: Möchte ich doch nunmehr,

nach dem Zur-Ruhe-kommen des Denkens und Überlegens die von allen Gedanken

und Überlegungen freie Einheit des Geistes, die zweite beschauliche Schauung, erreichen,

mit all dem von Freude durchtränkten Wohlbefinden, wie es aus (dieser) Konzentration erwächst *.

* Der konzentrierte Geist schwelgt hier in diesem von Freude durchtränkten Wohlbehagen.

Aber mein Geist erhob sich nicht bei dem Gedanken des Freiseins von Gedanken,

beruhigte sich nicht dabei, stand darin nicht fest, löste sich nicht los (vom Denken);

und so erkannte ich nicht: ‚Das ist noch friedvoller *‘.

* Im Urtext heißt es stets:

‚Das ist friedvoll‘ (etam santarn), der Sinn ist aber natürlich, wie hier übersetzt.

Da kam mir, Anando, der Gedanke:

Wenn ich das Elend der Gedanken durchschaue, mir darüber völlig klar werde

und wenn ich zum Glücke des Freiseins von Gedanken vordringe, es auskoste,

dann mag es wohl sein, daß sich mein Geist hinfort beim Gedanken des Freiseins von Gedanken erhebt,

beruhigt, darin feststeht, sich (vom Denken) loslöst;

erfahre ich dann doch: ‚Das ist noch friedvoller.‘

Und ich durchschaute, Anando, mit der Zeit das Elend der Gedanken, wurde mir darüber völlig klar und drang zum Glücke des Freiseins von Gedanken vor, kostete es aus.

Und so gewann ich seitdem, Anando, – (nach Belieben, ohne Mühe und Anstrengung) –

nach Beruhigung der Gedanken und Überlegungen die von allem Denken und Überlegen freie Einheit des Geistes, die zweite beschauliche Schauung, mit all dem von Freude durchtränkten Wohlbefinden, wie es aus (dieser) Konzentration erwächst.

Und wenn, während ich in diesem Zustande verweilte, Wahrnehmungen und Vorstellungen über mich kamen, die mit Gedanken verbunden waren. so war mir das schmerzhaft.

Gleichwie, Anando, einem Glücklichen, den Leid überfällt, das schmerzhaft ist.

 

Da kam mir, Anando, der Gedanke:

Möchte ich doch nunmehr nach Verblassen der Freude gleichmütig verweilen, besonnen, klar bewußt,

und jenes Wohlbefinden im Körper erfahren, von dem die Erlesenen sagen:

‚Der Gleichmütige, Besonnene lebt im Wohlbefinden‘

und so in der dritten beschaulichen Schauung verweilen *.

* Es ist das Wohlbefinden gemeint,

das die aufsteigende völlige Gleichgültigkeit gegenüber allen Sinnesobjekten,

auch gegenüber dem eigenen Körper, auslöst.

Aber mein Geist, Anando, erhob sich nicht beim Gedanken an den Zustand jenseits der Freude

(wie sie in der zweiten beschaulichen Schauung herrscht),

beruhigte sich nicht dabei, stand nicht darin fest, löste sich nicht los (von der Freude)

und so erkannte ich nicht: ‚Das ist noch friedvoller.‘

Da kam mir, Anando, der Gedanke:

Wenn ich das Elend durchschaue, das auch die Freude in sich birgt *,

* Sie ist einerseits vergänglich, andererseits hindert sie am Vordringen zu noch Höherem.

mir darüber völlig klar werde und wenn ich zum Glücke jenseits der Freude vordringe, es auskoste,

dann mag es wohl sein,

daß sich mein Geist hinfort beim Gedanken an den Zustand jenseits der Freude erhebt,

beruhigt, darin feststeht, sich loslöst (von der Freude);

erfahre ich dann doch: ‚Das ist noch friedvoller.‘

Und ich durchschaute, Anando, mit der Zeit das Elend, das auch die Freude in sich birgt,

wurde mir darüber völlig klar und drang zum Glück jenseits der Freude vor, kostete es aus.

Und so gewann ich seitdem, Anando – (nach Belieben, ohne Mühe und Anstrengung) –

indem ich auch die Freude verblassen lies, die dritte beschauliche Schauung,

in der ich gleichmütig verweile,

besonnen, klar bewußt, und jenes Wohlbefinden in meinem Körper empfinde,

von dem die Erlesenen sagen: ‚Der Gleichmütige, Besonnene lebt im Wohlbefinden.‘

Und wenn, Anando, während ich in diesem Zustand verweilte,

Wahrnehmungen und Vorstellungen über mich kamen, die mit Freude verbunden waren,

so war mir das schmerzhaft.

Gleichwie, Anando, einem Glücklichen, den Leid überfällt, das schmerzhaft ist.

 

Da kam mir, Anando, der Gedanke:

Möchte ich doch nunmehr nach Aufgabe alles Wohlbefindens so gut wie alles Leides,

nach dem Dahinschwinden des früheren Frohsinns und Trübsinns

die vollkommene Reinheit

des über alles Leid und alles Wohlbefinden erhabenen besonnenen Gleichmutes,

die vierte beschauliche Schauung gewinnen *.

* Also den Zustand vollendeter, von allen Gefühlsregungen freier Gleichgültigkeit

gegenüber der gesamten Formwelt,

insbesondere auch gegenüber dem eigenen Körper.

Ist die vierte Schauung erreicht, so geht speziell die durch die vollkommene Gleichgültigkeit

gegenüber dem eigenen Körper herbeigeführte Loslösung von diesem so weit,

daß seine Atmungstätigkeit und damit natürlich auch seine übrigen vegetativen Funktionen,

wie übrigens auch die Tätigkeiten der fünf grobmateriellen Außensinne, vorübergehend aufhören.

Nur der Geist bleibt in höchster Aktivität.

Man ist also reiner Geist geworden und sieht sich als solcher in vollendeter Gleichgültigkeit

seinem bewegungslosen Körper wie der gesamten Formwelt gegenüber.

Auch es ist vergänglich und hindert am Fortschreiten zu noch erhabeneren Zuständen.

Aber mein Geist erhob sich nicht

bei dem Gedanken an den Zustand jenseits alles Leides und auch alles Wohlbefindens,

beruhigte sich nicht dabei, stand darin nicht fest,

löste sich nicht los (vom Wohlbefinden der dritten beschaulichen Schauung),

und so erkannte ich nicht: ‚Das ist noch friedvoller.‘

Da kam mir, Anando, der Gedanke:

Wenn ich das Elend, das auch das Wohlbefinden über den errungenen Gleichmut in sich birgt,

durchschaue, mir völlig darüber klar werde

und wenn ich zum Glück des Zustandes jenseits alles Leides und auch alles Wohlbefindens vordringe,

es auskoste,

dann mag es wohl sein, daß sich mein Geist hinfort

bei dem Gedanken an den Zustand jenseits alles Leides und alles Wohlbefindens erhebt,

beruhigt, darin feststeht, sich loslöst (auch von dem Wohlbefinden der dritten beschaulichen Schauung);

sehe ich dann doch ein: ‚Das ist noch friedvoller.‘

Und ich durchschaute, Anando, mit der Zeit das Elend,

das auch das Wohlbefinden über den errungenen Gleichmut in sich birgt,

wurde mir darüber völlig klar

und drang zum Glück des Zustandes jenseits alles Leides und alles Wohlbefindens vor, kostete es aus.

Und so gewann ich seitdem, Anando, – (nach Belieben. ohne Mühe und Anstrengung) –

nach Zurücklassung alles Leides und alles Wohlbefindens,

nach dem Dahinschwinden des früheren Frohsinns und Trübsinns

die vollkommene Reinheit

des über alles Leid und alles Wohlbefinden erhabenen besonnenen Gleichmutes

(gegenüber der gesamten Sinnenwelt) die vierte beschauliche Schauung.

Und wenn, Anando, während ich in diesem Zustand verweilte,

Wahrnehmungen und Vorstellungen über mich kamen,

die mit Wohlbefinden über den errungenen Gleichmut verbunden waren, so war mir das schmerzhaft.

Gleichwie, Anando, einem Glücklichen, den Leid überfällt, das schmerzhaft ist.

 

Da kam mir, Anando, der Gedanke:

Möchte ich doch nunmehr nach völliger Ausschaltung aller Wahrnehmungen von körperlichen Formen,

nach dem Hinschwinden aller Reflexwahrnehmungen * (* Gedächtnisbilder.)

und durch Nichtbeachtung der Vielheitswahrnehmungen in der Vorstellung ‚Grenzenlos ist der Raum‘

den Bereich des grenzenlosen Raumes gewinnen und darin verweilen *.

* Auf dieser Höhe hat man als reiner Geist keinerlei Bewußtsein von der Außenwelt mehr,

auch nicht mehr von seinem eigenen Körper,

man geht vielmehr mit seinem allein noch übrig bleibenden Erkennen

restlos in der Anschauung des grenzenlosen Raumes auf.

Aber mein Geist erhob sich nicht bei dem Gedanken an den Bereich des grenzenlosen Raumes, beruhigte sich nicht dabei, stand darin nicht fest, löste sich nicht los

(von dem gleichmütigen Anblick der Welt der Formen in der vierten beschaulichen Schauung);

und so erkannte ich nicht: ‚Das ist noch friedvollen.‘

Da kam mir, Anando, der Gedanke:

Wenn ich das Elend der körperlichen Formen durchschaue, mir darüber völlig klar werde

und wenn ich zum Wohlbefinden im Bereiche des grenzenlosen Raumes vordringe, es auskoste,

dann mag es wohl sein,

daß sich mein Geist hinfort bei dem Gedanken an den Bereich des grenzenlosen Raumes erhebt,

beruhigt, darin feststeht, sich loslöst (von der Formwelt);

erfahre ich dann doch: ‚Das ist noch friedvoller.‘

Und ich durchschaute, Anando, mit der Zeit, das Elend der Formen,

wurde mir darüber völlig klar

und drang zum Glück des Bereiches des grenzenlosen Raumes vor, kostete es aus.

Und so gewann ich seitdem, Anando – (nach Belieben, ohne Mühe und Anstrengung) –

nach völliger Ausschaltung der Wahrnehmung der körperlichen Formen,

nach dem Hinschwinden aller Reflexwahrnehmungen,

durch die Nichtbeachtung der Vielheitswahrnehmungen in der Vorstellung ‚Grenzenlos ist der Raum‘

den Bereich des grenzenlosen Raumes.

Und wenn, Anando, während ich in diesem Zustand verweilte,

Wahrnehmungen und Vorstellungen über mich kamen, die mit körperlichen Formen verbunden waren,

so war mir das schmerzhaft.

Gleichwie, Anando, einem Glücklichen. den Leid überfällt, das schmerzhaft ist.

 

Da kam mir, Anando, der Gedanke: Möchte ich doch nunmehr nach völliger Ausschaltung des Bereiches des grenzenlosen Raumes in der Vorstellung ‚Grenzenlos ist das Bewußtsein‘

den Bereich des grenzenlosen Bewußtseins erreichen und darin verweilen *.

* Auf dieser Höhe wird man zum reinen, in sich wehenden Erkennen,

das nur mehr seine eigene Grenzenlosigkeit, wie vorher die des Raumes,

und sonst schlechterdings nichts mehr schaut,

insbesondere natürlich auch den eigenen Körper nicht mehr.

Aber mein Geist erhob sich nicht bei dem Gedanken an den Bereich des grenzenlosen Bewußtseins,

beruhigte sich nicht dabei, stand darin nicht fest, löste sich nicht los

(vom Bereich des grenzenlosen Raumes);

und so erkannte ich nicht: ‚Das ist noch friedvoller.‘

Da kam mir, Anando, der Gedanke: Wenn ich das Elend des Bereiches des grenzenlosen Raumes durchschaue, mir völlig darüber klar werde *,

* Auch er ist für uns vergänglich und hindert am Vordringen zu noch erhabeneren Zuständen.

und wenn ich zum Wohlbefinden im Bereich des grenzenlosen Bewußtseins vordringe, es auskoste,

dann mag es wohl sein,

daß sich mein Geist hinfort bei dem Gedanken an den Bereich des grenzenlosen Bewußtseins erhebt,

beruhigt, darin feststeht, sich loslöst;

erfahre ich dann doch: ‚Das ist noch friedvoller.‘

Und ich durchschaute, Anando, mit der Zeit das Elend des Bereiches des grenzenlosen Raumes,

wurde mir darüber völlig klar, und drang zum Glück des Bereiches des grenzenlosen Bewußtseins vor,

kostete es aus.

Und so gewann ich, Anando, seit der Zeit – (nach Belieben, ohne Mühe und Anstrengung) –

nach völliger Ausschaltung des Bereiches des grenzenlosen Raumes

in der Vorstellung ‚Grenzenlos ist das Bewußtsein‘ den Bereich des grenzenlosen Bewußtseins

und verweilte darin.

Und wenn, Anando, während ich in diesem Zustand verweilte,

Wahrnehmungen und Vorstellungen über mich kamen,

die mit dem Bereich des grenzenlosen Raumes verbunden waren, so war mir das schmerzhaft.

Gleichwie, Anando. einem Glücklichen, den Leid überfällt, das schmerzhaft ist.

 

Da kam mir, Anando, der Gedanke:

Möchte ich doch nunmehr nach völliger Ausschaltung des Bereiches des grenzenlosen Bewußtseins

in der Vorstellung ‚Nun ist nicht irgend etwas mehr (für mich) da‘

den Bereich der Nichtirgendetwasheit erreichen und darin verweilen *.

* Auch in diesem Bereich weiß man sich in seiner ganzen Urrealität, ja, in diesen Höhen erst recht,

man geht aber mit seinem allein noch übrig gebliebenen reinen Erkennen, das selber unsichtbar ist

– auch wir können ja unser Bewußtsein nicht sehen –

auf in der Feststellung der Tatsache, daß schlechterdings nichts mehr für einen da ist.

Aber mein Geist erhob sich nicht bei dem Gedanken an den Bereich der Nichtirgendetwasheit,

beruhigte sich nicht dabei, stand darin nicht fest, löste sich nicht los

(von dem Bereich des grenzenlosen Bewußtseins);

und so erkannte ich nicht: ‚Das ist noch friedvoller.‘

Da kam mir, Anando, der Gedanke:

Wenn ich das Elend des Bereiches des grenzenlosen Bewußtseins durchschaue,

mir völlig darüber klar werde

und wenn ich zum Wohlbefinden im Bereich der Nichtirgendetwasheit vordringe, es auskoste,

dann mag es wohl sein,

daß sich mein Geist hinfort bei dem Gedanken an den Bereich der Nichtirgendetwasheit erhebt,

beruhigt, darin feststeht, sich loslöst (von dem Bereich des grenzenlosen Bewußtseins);

erfahre ich dann doch: ‚Das ist friedvoller.‘

Und ich durchschaute, Anando, mit der Zeit das Elend des grenzenlosen Bewußtseins,

wurde mir darüber völlig klar und drang zum Wohlbefinden im Bereich der Nichtirgendetwasheit vor,

kostete es aus.

Und so gewann ich seit der Zeit, Anando, – (nach Belieben, ohne Mühe und Anstrengung) –

nach völliger Ausschaltung des Bereiches des grenzenlosen Bewußtseins

in der Vorstellung ‚Nun ist nicht irgend etwas mehr (für mich) da‘

den Bereich der Nichtirgendetwasheit, und verweilte darin.

Und wenn, Anando, während ich in diesem Zustand verweilte,

Wahrnehmungen und Vorstellungen über mich kamen,

die mit dem Bereich des grenzenlosen Bewußtseins verbunden waren, so war mir das schmerzhaft.

Gleichwie, Anando, einem Glücklichen, den Leid überfällt, das schmerzhaft ist.

 

Da kam mir, Anando, der Gedanke:

Möchte ich doch nunmehr nach völliger Ausschaltung des Bereiches der Nichtirgendetwasheit

den Bereich der Weder-Wahrnehmung-Noch-Nichtwahrnehmung erreichen und darin verweilen *.

* Das ist »die Spitze der Wahrnehmung« (Digha Nik. IX, 17):

Die Wahrnehmung der absoluten Leere, der man sich als reiner, körperloser Geist.

während man im Bereiche der Nichtirgendetwasheit weilt, noch gegenübersieht,

geht nun in die durch die grenzenlose Stille, in die man sich eingetaucht findet,

hervorgerufene einzige und letzte Vorstellung über,

die als solche gar keine eigentliche Wahrnehmung mehr ist:

‚Friedvoll ist das, hocherhaben ist das‘. (Digha Nik. l, 3, 16; vgl. auch Majjh. Nik., 105. Suttam)

Aber mein Geist erhob sich nicht

bei dem Gedanken an den Bereich der Weder-Wahrnehmung-Noch-Nichtwahrnehmung,

beruhigte sich nicht dabei, stand darin nicht fest,

löste sich nicht los (von dem Bereich der Nichtirgendetwasheit);

und so erkannte ich nicht: ‚Das ist noch friedvoller.‘

Da kam mir, Anando, der Gedanke:

Wenn ich das Elend des Bereiches der Nichtirgendetwasheit durchschaue, mir völlig darüber klar werde

und wenn ich

zum Wohlbefinden im Bereich der Weder-Wahrnehmung-Noch-Nichtwahrnehmung vordringe,

es auskoste,

dann mag es wohl sein, daß sich mein Geist hinfort

bei dem Gedanken an den Bereich der Weder-Wahrnehmung-Noch-Nichtwahrnehmung erhebt,

beruhigt, darin feststeht, sich loslöst (von dem Bereich der Nichtirgendetwasheit);

erfahre ich dann doch: ‚Das ist noch friedvoller.‘

Und ich durchschaute, Anando, mit der Zeit, das Elend des Bereiches der Nichtirgendetwasheit,

wurde mir darüber völlig klar

und drang zum Glück der Weder-Wahrnehmung-Noch-Nichtwahrnehmung vor, kostete es aus.

Und so erreichte ich seit der Zeit, Anando, – (nach Belieben, ohne Mühe und Anstrengung) –

nach völliger Ausschaltung des Bereiches der Nichtirgendetwasheit

den Bereich der Weder-Wahrnehmung-Noch-Nichtwahrnehmung und verweilte in ihm.

Und wenn, Anando, während ich in diesem Zustande verweilte.

Wahrnehmungen und Vorstellungen über mich kamen,

die mit dem Bereich der Nichtirgendetwasheit verbunden waren, so war mir das schmerzhaft.

Gleichwie, Anando, einem Glücklichen, den Leid überfällt, das schmerzhaft ist.

 

Da kam mir, Anando, der Gedanke:

Möchte ich doch nunmehr

nach völliger Ausschaltung des Bereiches der Weder-Wahrnehmung-Noch-Nichtwahrnehmung

die Aufhebung von Wahrnehmung und Empfindung erreichen und darin verweilen.

Aber mein Geist erhob sich nicht

bei dem Gedanken an den Bereich der Aufhebung von Wahrnehmung und Empfindung,

beruhigte sich nicht dabei, stand darin nicht fest, löste sich nicht los

(von dem Bereich der Weder-Wahrnehmung-Noch-Nichtwahrnehmung)

und so erkannte ich nicht: ‚Das ist noch friedvoller.‘

Da kam mir, Anando, der Gedanke:

Wenn ich das Elend des Bereiches der Weder-Wahrnehmung-Noch-Nichtwahrnehmung durchschaue.

Mir darüber völlig klar werde

und wenn ich zum Wohlbefinden der Aufhebung von Wahrnehmung und Empfindung vordringe,

es auskoste,

dann mag es wohl sein, daß sich mein Geist hinfort

bei dem Gedanken an die Aufhebung von Wahrnehmung und Empfindung erhebt,

beruhigt, darin feststeht, sich loslöst

(vom Bereich der Weder-Wahrnehmung-Noch-Nichtwahrnehmung);

erfahre ich dann doch: ‚Das ist friedvoller.‘

Und ich durchschaute, Anando,

mit der Zeit das Elend des Bereiches der Weder-Wahrnehmung-Noch-Nichtwahrnehmung,

wurde mir darüber völlig klar

und drang zum Glück der Aufhebung von Wahrnehmung und Empfindung vor, kostete es aus.

Und so gewinne ich, Anando, seit der Zeit – (nach Belieben, ohne Mühe und Anstrengung) –

nach völliger Ausschaltung des Bereiches der Weder-Wahrnehmung-Noch-Nicht-Wahrnehmung

die Aufhebung von Wahrnehmung und Empfindung und verweile darin,

und die Einflüsse – (der Erscheinungswelt) – sind, nachdem ich all das weise erkannt hatte,

zur Versiegung gelangt *.

* Wer den Bereich der Weder-Wahrnehmung-Noch-Nichtwahrnehmung erreicht hat,

hat keinerlei bestimmte Wahrnehmung mehr.

Mit dem reinen Denkorgan,

das allein noch von dem ganzen Persönlichkeitsgetriebe übrig geblieben ist,

empfindet und erkennt er bloß mehr den unermeßlichen Frieden,

der ihn in der namenlosen,

in sich verschwebenden Stille jenseits der gesamten Erscheinungswelt überkommt:

»Friedvoll ist das. hocherhaben ist das«. (Digh. Nik. l, 3, 16)

Da nun aber auch das Denkorgan und damit auch die Wahrnehmung dieses großen Friedens

vergänglich ist, mit all den Folgen dieser Vergänglichkeit,

so durchschaut er auch diese Wahrnehmung und Empfindung

– (nevasannanasannayatanasannas Majjh. Nik. II, p. 265, 106. Suttam des Majj. Nik.) –

als Elend. stelle dir vor, wie niederdrückend das Bewußtsein sein müßte:

»Auch diese höchste Wahrnehmung des Großen Friedens wird wieder vergehen

und ich kann wieder in die Gefahr kommen, in die Welt zurückzusinken.«

Erst dort, wo keinerlei Tätigkeit mehr gesetzt wird. auch keine Denktätigkeit mehr,

mithin auch nicht mehr die Wahrnehmungstätigkeit

des Bereiches der Weder-Wahrnehmung-Noch-Nichtwahrnehmung,

hat alles Leiden sein Ende gefunden,

erst dort stellt sich mithin auch der uns absolut angemessene Zustand

und mithin das absolute Glück ein.

Wer dies einsieht, für den gelten,

eben in Hinsicht auf die mit dem Denkorgan sich vollziehende Wahrnehmung und Empfindung

des Großen Friedens im Bereich der Weder-Wahrnehmung-Noch-Nichtwahrnehmung,

die Worte von Digha Nikaya IX, 17:

»In diesem Stadium denkt er: ‚Es ist für mich besser, nicht mehr zu denken als zu denken.‘

Und so stellt er auch dieses Denken ein und wird – (auch insoweit) – nicht mehr tätig.

Und so schwindet auch die Wahrnehmung und Empfindung –

(wie sie im Bereich der Weder-Wahrnehmung-Noch-Nichtwahrnehmung noch vorhanden ist) –

hinweg,

und er erreicht die Aufhebung (von Wahrnehmung und Empfindung).«

Einen Nachhall, einen Nachklang aus dem vorübergehenden Aufenthalt

im absolut angemessenen Zustand der Freiheit von jeder Wahrnehmung und Empfindung

bringt ein Jünger, der in diesen Zustand untergetaucht war,

bei der Rückkehr in den körperlichen Organismus, in den drei Empfindungen mit,

die ihn bei dieser Rückkehr als erste empfangen:

»Was für Empfindungen, Ehrwürdige, kommen den Mönch an,

der aus der Aufhebung von Wahrnehmung und Empfindung wieder zurückkehrt?« –

»Drei Empfindungen, Bruder Visakho, kommen den Mönch an,

der aus der Aufhebung von Wahrnehmung und Empfindung zurückkehrt:

die Empfindung der Leerheit,

die Empfindung der Eindrucksfreiheit,

die Empfindung der Wunschlosigkeit.« –

»Das Gemüt eines Mönches,

der wieder aus der Aufhebung von Wahrnehmung und Empfindung

hervorgekommen ist,

neigt sich zur Abgeschiedenheit, beugt sich zur Abgeschiedenheit,

senkt sich zur Abgeschiedenheit

(vivekaninnam cittam hoti vivekaponam vivekapa-pabbharan-ti.« – (M. N., 44. Suttam.)

 

Solange, Anando, als ich diese neun aufeinander folgenden Warten

noch nicht in vorwärts- und rückwärtsschreitender Richtung erreicht

und mich wieder aus ihnen erhoben hatte,

solange hatte ich noch nicht als ein vollkommen Erwachter

die in der Welt mit ihren bösen und heiligen Geistern,

mit ihrer Schar von Asketen und Brahmanen, Göttern und Menschen

unvergleichliche Erwachung (zur höchsten Wirklichkeit) kennengelernt.

Als ich aber, Anando,

diese neun aufeinander folgenden Warten in vorwärts- und rückwärtsschreitender Richtung erreicht

und mich wieder aus ihnen erhoben hatte,

da kannte ich als ein vollkommen Erwachter die unvergleichliche höchste Erwachung;

und die anschauliche Erkenntnis stellte sich ein: ‚Unerschütterlich ist die Erlösung meines Geistes;

das ist meine letzte Geburt, von nun ab gibt es kein neues Werden mehr.‘«

 

Freilich wie das im Einzelnen vor sich geht, ist für die normale Erkenntnis nicht einzusehen,

eben weil ihr dieses Gebiet verschlossen bleibt.

weshalb es auch völlig wertlos ist, sich hierüber in Vermutungen und Konstruktionen zu ergehen *.

* Nur das Eine sei zur Vermeidung von Mißverständnissen betont,

daß diese Fähigkeiten, insbesondere also auch die magischen Kräfte –

einer seiend, vielfach zu werden usw. –

sich sämtlich im Zustand tiefster Versenkung einstellen – cfr. Psalmen der Mönche, V. 563:

»Leibhaftig hat sich Panthako – Vervielfacht magisch tausend Mal: – sitzt also still im heiteren Hain.«

Es sind also Erlebnisse, die der Heilige nur in diesem Zustand und nur er allein macht,

mithin für die Außenwelt unwahrnehmbar.

Sie haben also nichts mit den biblischen Wundern gemein.

Der Buddho selbst warnt davor,

indem er ausdrücklich »den Machtbereich der Schauungen – jhana-visayo –

als ein weiteres der vier unfaßbaren Dinge erklärt, über die man nicht nachzudenken hat,

es sei denn, daß man, wenn man darüber nachdenkt, dem Wahn und der Verstörung anheimfalle *«.

* Angutt. Nik. IV, 77.

Er lädt bloß, wie immer, so auch hier dazu ein, die Probe aufs Exempel zu machen,

indem er es jedermann, der das nicht will, überläßt, davon zu halten, was ihm gut dünkt.

Ja, mit dem bloßen Glauben an die Worte des Meisters

muß sich hier ausnahmsweise sogar mancher begnügen,

der an sich den Willen auch zur Übung und schließlichen Herbeiführung

dieses »Gipfelpunktes der Konzentration *« (* Angutt. Nik. IV, 75.)

oder dieser »in Konzentration ausgereiften Weisheit *« hätte. (* Digha Nik. XVI.)

Denn nicht nur, das nicht jedem alle Schauungen, insbesondere nicht die höheren, erreichbar sind,

kann es sein, das einer trotz aller Anstrengungen nicht einmal die erste gewinnt,

indem das schwinden der fünf Hemmungen

keineswegs immer zur völligen Einstellung der Tätigkeiten der fünf äußeren Sinne zu führen braucht,

sondern auch bloß eine derartige Beruhigung derselben im Gefolge haben kann,

daß sie dem klaren, anschaulichen Denken nicht mehr hinderlich sind,

insbesondere auch nicht mehr in Form der aus ihnen stammenden sinnlichen Gedanken.

Indessen ist das Denken auch im letzteren Fall – von ihm handelt das vorige Kapitel – völlig geläutert,

so daß es auch in diesem Zustand den vollkommenen Anatta-Anblick

und damit die definitive Erlösung herbeizuführen geeignet ist.

Ein auf diese Weise zur völligen Erlösung Gelangten also einer,

der nie auch nur die erste Schauung erreicht hat, wird ein Sukkhavipassako genannt,

das heißt einer, »der von trockener Einsicht erfüllt ist *«, * Sam. Nik. XlI. 70. –

Übersetzung von Geiger: Bd. II, S. 172, Anm. I. – Seidenstücker. Pali-Buddh., S. 282.

während derjenige, der zugleich eine oder mehrere oder alle Schauungen gewonnen hat,

ein Samatha-yaniko heißt, einer, der die Vollberuhigung – Samatho –

der sechs Sinnentätigkeiten zum Vehikel genommen hat *. * Sam. Nik. XlI. 70. –

Übersetzung von Geiger: Bd. II, S. 172, Anm. I. – Seidenstücker. Pali-Buddh., S. 282.

Fragt man nach dem Grund, warum nicht jeder die Schauungen zu gewinnen vermag,

so lautet die Antwort des Buddho:

»Das kommt von der Verschiedenheit der Anlagen her.«

Liegt somit hier eine Ausnahme, und zwar die einzige,

von dem die ganze Lehre des Buddho beherrschenden Grundsatz

der Möglichkeit der eigenen Nachprüfung für jedermann vor,

so wird doch keiner, der sich von der Solidität dieser Lehre im Übrigen überzeugt hat,

auch an der Realität dieses Machtbereiches der Schauungen den geringsten Zweifel hegen,

da er ja »den Erhabenen dafür bürgen sieht *«. (* siehe bezüglich dieses Ausdrucks Majj. Nik., 55. Suttam)

 

Vielmehr wird er gerade auch aus der Schilderung dieser überweltlichen Fähigkeiten, die sich einstellen,

je näher man dem Nibbanam und damit dem »Nichts« kommt,

nicht mit Unrechteinen neuen Fingerzeig dafür entnehmen,

das sich hinter diesem scheinbaren Nichts das Wahre und Echte verbirgt.

 

  1. Die Hilfsmittel der Konzentration

lm bisherigen haben wir gesehen,

daß die Konzentration des Geistes oder die konzentrierte anschauliche Erkenntnistätigkeit

das Herz des Heilsweges des Buddho ist.

Nur sie führt zum anschaulichen Wissen und damit zur Vernichtung unseres Durstes nach der Welt,

mithin zur Erlösung.

Auf sie läuft eben deshalb auch der ganze Weg hinaus.

Weil indessen so ungeheuer viel, ja alles von ihr abhängt,

deshalb gibt der Buddho auch noch mehrfache mehr oder minder formelle Verfahrensweisen

zur Entwicklung und Pflege der Fähigkeit der konzentrierten Betrachtung an.

Um diese Mittel zu verstehen, müssen wir uns des folgenden Umstandes erinnern:

 

Unser Erkennen steht von Natur aus ganz im Dienste des Durstes,

infolgedessen wird es von jeder Regung desselben sofort in Beschlag genommen.

So daß es wie ein Scheinwerfer, der eine Gegend bestreicht,

fast jeden Augenblick auf ein anderes Objekt gerichtet ist,

sei nun dieses Objekt unmittelbar durch die äußeren Sinne vermittelt

oder bestehe es in einer der unaufhörlich in uns auftauchenden Gedankenregungen·

Man kann auch sagen,

unser Erkennen gleiche in seiner gewöhnlichen Tätigkeit dem Licht in einer Laterne,

daß in der Dunkelheit der Nacht von seinem Träger, damit er seinen Weg finde und nur zu diesem Zweck,

also nicht etwa, um die Gegenstände genauer zu erkennen,

jeden Moment auf ein anderes Objekt eingestellt wird,

so wenig wie dieser Wanderer einen Wirklichen Einblick in die beleuchteten Gegenstände erhält,

so wenig kann natürlich auch das Erkennen in seiner normalen Betätigungsweise

einen wirklichen Einblick in das, was in seinen Bereich tritt oder gebracht wird, gewinnen.

Wenn letzteres erreicht werden soll,

muß es vielmehr anhaltend und in möglichster Schärfe auf dem betreffenden Gegenstand ruhen,

muß eben auf ihn konzentriert werden *.

* Nebenbei bemerkt, liegt darin auch der Grund für die oftmaligen Wiederholungen in den Sutten,

die nur der tadeln kann, dem sich der Geist der letzteren nicht erschlossen hat:

Wenn man einen falschen schein. der das Auge äfft,

zum Beispiel, daß im Zwielicht der Nacht

ein eigentümlich geformter Baumstumpf eine vermummte Gestalt vortäuscht, wegbringen will,

so ist das nur dadurch möglich, daß man den Blick

so lange und scharf auf den den falschen Schein auslösenden Gegenstand heftet,

bis die Wirklichkeit hervortritt.

So muß man auch so lange und immer wieder

alles mit dem Scheinwerfer der Drei Merkmale betrachten,

bis der gegenteilige transzendentale falsche Schein,

zufolge dessen wir uns mit dem Erkennbarem d. i. den fünf Gruppen unserer Persönlichkeit,

verwechseln – cfr. Schopenhauer, Xl, S. 253 § 359 – schwindet.

Das aber wollen die Sutten des Buddho erreichen,

eben weshalb sie immer und immer wieder und unter den verschiedensten Gesichtspunkten

den Blick auf diesen transzendentalen falschen Schein lenken und lenken müssen. –

Wer das monoton findet,

der hat noch nicht einmal eine bloße Ahnung von dem Problem dieses transzendentalen Scheins

und der alle anderen Probleme vernichtenden Bedeutung der Aufhebung dieses Scheins. –

Weil ein falscher schein, ja, ein falscher transzendentaler schein wegzubringen ist,

deshalb genügt es natürlich auch nicht,

das vorliegende Werk ein- oder zweimal durchzustudieren und es dann für immer wegzulegen

– die dadurch vermittelten richtigen Gedanken

würden nur allzubald von der in uns hausenden Tendenz zum »verkehrten Denken«

(cfr. Oben S. 343 f.) wieder ausgelöscht werden –

sondern man muß durch tägliche, jahrelang fortgesetzte Einstellung des Denkens

in die Richtung der Erkenntnis der drei Merkmale es in diese Bahnen zwingen,

wodurch dann im gleichen Maß jener transzendentale Schein schwinden wird.

Nun ist diese Konzentrationsfähigkeit, wie alles in der Welt, Sache der Übung;

wobei einleuchtet, daß man sie nicht bloß bei der gewöhnlichen Sinnesbetätigung pflegen,

sondern sich auch speziell auf sie trainierest kann,

indem man etwa seine Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Gegenstand konzentriert,

ohne einen weiteren Zweck als den, sich an ein gesammeltes Denken zu gewöhnen.

Ja. weil man so den Kampf gegen das Haupthindernis aller konzentrierten Geistestätigkeit,

die Zerstreutheit, zum alleinigen und Selbstzweck macht,

wird gerade dieses Verfahren sein Ziel am ehesten erreichen,

indem man seinem Erkenntniswillen mit der Zeit das völlige Übergewicht

und damit die volle Herrschaft über die anderweiten,

daneben noch in uns aufsteigenden Willensregungen,

die ihn in ihre Dienste zwingen wollen, verschafft,

so daß also dieses Training schließlich dahin führt,

daß man sich nach Belieben irgend einem Objekt gegenüber rein erkennend zu verhalten vermag.

Es kann deshalb auch nicht wundernehmen – das Gegenteil wäre vielmehr geradezu auffallend -,

daß der Buddho auch dieses spezielle Training zur Stärkung des Erkenntniswillens

und damit des Erkennens selbst in den von ihm zusammengestellten Heilsweg aufgenommen hat,

und zwar hat er das nach dreifacher Richtung hin getan:

 

Zunächst übt man sich darin,

einen einzelnen Gegenstand, zum Beispiel einen Baum,

so scharf und so lange im Geiste zu fixieren,

bis er die anschauliche Erkenntnis gänzlich ausfällt

und man in dieser Anschauung völlig zur Ruhe kommt,

alle übrigen Willensregungen sich also beschwichtigen.

Gelingt das, dann geht man dazu über, die Erkenntnistätigkeit auch nach der Richtung zu üben,

daß mit der Intensität auch ihre Extensität wächst,

indem man die Monoideisierung des Erkennens

vermittels anschaulicher Vorstellungen immer ausgedehnterer Objekte herbeiführt.

Weil auf diese Weise die reine Erkenntnistätigkeit von allem triebmäßigen Wollen

immer unabhängiger und in sich gefestigter,

also seine Freiheit von allen Hinderungen immer großartiger wird,

deshalb wird das Resultat dieses Trainings als »großartige Geisteserlösung« bezeichnet.

In der Tat

muß man ja auch eine gewaltige Freiheit im Wollen, speziell im Erkennen-wollen, erreicht haben,

wenn man seinen Willen so weit in der Gewalt hat,

daß man imstande ist, Stunden oder gar Tage lang in tiefster Anschauung eines vorgestellten Objektes,

noch dazu eines solchen von großer Ausdehnung, zu verharren:

»Was ist aber, Hausvater, großartige Geistes-Erlösung?

Da hat ein Mönch, Hausvater,

einen einzelnen mächtigen Baum als ‚großartig‘ aufgefaßt und beruhigt sich dabei …

Da hat ferner, Hausvater,

ein Mönch etwa noch zwei bis drei mächtige Bäume als ‚großartig‘ aufgefaßt und beruhigt sich dabei …

Da hat ein Mönch, Hausvater,

ein einzelnes Wiesenfeld als ‚großartig‘ aufgefaßt und beruhigt sich dabei…

Da hat ferner, Hausvater,

ein Mönch etwa noch zwei bis drei Wiesenfelder als ‚großartig‘ aufgefaßt und beruhigt sich dabei …

Da hat ein Mönch, Hausvater,

ein einzelnes Königreich als ‚großartig‘ aufgefaßt und beruhigt sich dabei …

Da hat ferner, Hausvater,

ein Mönch etwa noch zwei bis drei Königreiche als ‚großartig‘ aufgefaßt und beruhigt sich dabei …

Da hat ferner, Hausvater,

ein Mönch etwa noch die vom Ozean umschlossene Erde

als ‚großartig‘ aufgefaßt und beruhigt sich dabei.

Das heißt man, Hausvater, großartige Geisteserlösung *.« (* Majj. Nik. Ill, p. 146 (127. Suttam))

 

Es ist klar, daß es mit einem so willfährigen Erkenntnisvermögen auch nicht mehr allzu schwer sein kann, das Getriebe der Persönlichkeit bis auf den Grund zu durchschauen

und so den Anatta-Anblick zu verwirklichen.

Es leuchtet aber weiter ein, daß dieses Training

auch am leichtesten zu den beschaulichen Schauungen führt bis hinauf zur Spitze, dem höheren Wissen,

und damit zur unumschränkten, willkürlichen Beherrschung der gesamten Persönlichkeitsprozesse.

 

Noch größeres Gewicht legt der Buddho einem anderen Training der Konzentration bei,

nämlich jenem, das die Atmungstätigkeit zum Objekt hat.

Konnten wir die Konzentration das Herz seines Heilsweges nennen,

so bildet speziell die Konzentrierung der Erkenntnistätigkeit auf das Ein- und Ausatmen

sozusagen das Herz im Herzen.

Immer wieder wird in den Sutten auf die Wichtigkeit dieser Art von Übung der Konzentration hingewiesen:

»Ein- und Ausatmung, Mönche, bedachtsam geübt und gepflegt, bringt reiche Frucht. reichen Segen.«

Ja, der Buddho selbst brachte auch noch nach seiner vollen Erwachung die viermonatige Regenzeit regelmäßig »versenkt in die Wachsamkeit auf das Einatmen und Ausatmen« zu *.

* Samyutta Nik. vol. V, p. 326 (LIV, 11).

Fragen wir nach dem Grund der überragenden Bedeutung dieser Trainings,

so gibt ihn uns der Buddho selbst an: »Ein- und Ausatmung, Mönche, bedachtsam geübt und gepflegt.

Läßt die vier Gegenstände der Besonnenheit zustandekommen;

die vier Gegenstände der Besonnenheit, bedachtsam geübt und gepflegt, lassen die sieben Erweckungen zustandekommen;

die sieben Erweckungen. bedachtsam geübt und gepflegt,

lassen die Erlösung durch Wissen zustande kommen *.« (* und zwar im Majj. Nik. Ill, p. 178 (118. Suttam))

Der Buddho erklärt uns auch, wie das gemeint ist:

 

Zunächst übt man lediglich die Konzentration der Erkenntnistätigkeit auf das Ein- und Ausatmen für sich:

»Da begibt sich der Mönch ins Innere des Waldes

oder unter einen großen Baum oder an eine leere Stätte,

setzt sich mit gekreuzten Beinen nieder, den Körper gerade aufgerichtet und pflegt die Besonnenheit.

Bedachtsam atmet er ein, bedachtsam atmet er aus.

Atmet er tief ein, so weiß er: ‚Ich atme tief ein‘,

atmet er tief aus, so weiß er: ‚Ich atme tief aus‘;

atmet er kurz ein, so weiß er: ‚ich atme kurz ein‘, atmet er kurz aus.

So weiß er: ‚Ich atme kurz aus‘.

‚Den ganzen Atemzug * empfindend will ich einatmen‘.

* Im Urtext heißt es zwar »sabbakaya, den ganzen Körpern – cfr. Majjhima Nikayo. 10. Suttam -;

daß aber darunter gleichwohl nur der Atem gemeint ist,

ergibt sich nicht nur aus dem ganzen Zusammenhang,

sondern insbesondere auch aus der alsbald folgenden Stelle:

»Bei den Körpern nenne ich es den Körper verändern, nämlich das Einatmen und das Ausatmen.«

‚Den ganzen Atemzug empfindend will ich ausatmen‘, so übt er sich:

‚Diese Körpertätigkeit * beruhigend will ich einatmen‘, (* kaya-sankharo.)

‚Diese Körpertätigkeit beruhigend will ich ausatmen‘, so übt er sich.«

 

Der Mönch übt also das konzentrierte Denken an jener Tätigkeit seines Körpers,

in der sich selbst wieder die Gesamtheit der rein körperlichen Prozesse konzentriert,

derart, daß er auch gleich von allem Anfang an unmittelbaren Einfluß auf dieselben zu gewinnen sucht:

»Bei den Körpern nenne ich es den Körper verändern, nämlich das Einatmen und das Ausatmen.

Darum wacht der Mönch zu einer solchen Zeit beim Körper über den Körper.«

 

Nun hängt der Atmungsprozeß aber auch

mit allen übrigen Tätigkeiten der Sechssinnenmaschine als deren Grundlage innig zusammen.

Es ist deshalb auch der beste Weg,

indem man den ersteren zum Stützpunkt für das konzentrierte Denken macht,

auf welchen diese sich zur Vermeidung von Ablenkungen

durch anderweite Gemütsregungen immer wieder zurückzieht,

auch das ganze übrige Getriebe dieser Sechssinnenmaschine genau beobachten

und zugleich beeinflußen zu lernen:

 

»‚Freude empfinden‘ – nämlich das Eins und Ausatmen – ‚will ich einatmen‘,

‚Freude empfindend will ich ausatmen‘, so übt er sich.

‚Wohl empfindend will ich einatmen‘, ‚Wohl empfindend will ich ausatmen‘, so übt er sich.

Zu einer solchen Zeit verharrt der Mönch bei den Empfindungen in der Beobachtung der Empfindungen.

Bei den Empfindungen, Mönche, nenne ich es die Empfindungen verändert,

nämlich durch scharfe Beobachtung des Ein- und Ausatmens.

 

»‚Die Gedankentätigkeit wahrnehmend will ich einatmen‘,

‚die Gedankentätigkeit wahrnehmend will ich ausatmen‘, so übt er sich.

‚Die Gedankentätigkeit heiter stimmend will ich einatmen‘,

‚die Gedankentätigkeit heiter stimmend will ich ausatmen‘, so übt er sich.

‚Die Gedankentätigkeit befreiend will ich einatmen‘,

‚die Gedankentätigkeit befreiend will ich ausatmen‘, so übt er sich.

Zu einer solchen Zeit verharrt der Mönch beim Gemüt in der Beobachtung des Gemütes.

 

»‚Die Vergänglichkeit wahrnehmend will ich einatmen‘,

‚die Vergänglichkeit wahrnehmend will ich ausatmen‘, so übt er sich.

‚Die Reizlosigkeit wahrnehmend will ich einatmen‘,

‚die Reizlosigkeit wahrnehmend will ich ausatmen‘, so übt er sich.

‚Die Aufhebung wahrnehmend will ich einatmen‘,

‚die Aufhebung wahrnehmend will ich ausatmen‘, so übt er sich.

‚Die Loslösung wahrnehmend will ich einatmen‘,

‚die Loslösung wahrnehmend will ich ausatmenc, so übt er sich.

Zu einer solchen Zeit

verharrt der Mönch bei den Denkobjekten (Dingen) in der Beobachtung der Denkobjekte,

voll Eifer, klar bewußt, besonnen,

nach Überwindung weltlichen Begehrens und Bekümmerns

und, nachdem er also die Aufgabe von Begehren und Bekümmern weise geschaut hat,

wird er zu einem scharfen Beobachter.

 

Wie wir sehen, stellt diese Art von Konzentrationstraining

eine Kombination des rein formellen Trainings mit dem rechten Gedenken dar:

Das reine Erkennen wird hier gerade dadurch geübt,

daß es von allem Anfang an gleich auf den Anatta-Anblick eingestellt wird.

Eben deshalb wird der letztere auf diese Weise auch am leichtesten und raschesten verwirklicht.

Indem man nämlich so die Konzentration des Geistes eben am rechten Gedenken übt,

kommt man schon während dieser Übung selbst der Wirklichkeitsergründung immer näher.

Gerade daraus aber schöpft der Wille zur reinen Erkenntnis seinerseits fortwährend neue Energie,

sich immer noch weiter gegenüber den anderen Regungen des Wollens durchzusetzen.

Je mehr das gelingt, je mehr also die letzteren abflauen, desto größere Freude steigt auf,

bis mit dem fortschreitenden Überhandnehmen der reinen Erkenntnistätigkeit

auch diese Freude wieder abebbt und schließlich völlige Ruhe des Gemüts eintritt:

in der ganzen Sechssinnenmaschine

ist nur mehr der Wille nach reiner Erkenntnis und das von diesem getragene Erkennen tätig,

welches letztere eben deshalb ganz einig, ganz rein geworden ist,

gleichwie eine Flamme, die, aus edelstem Holz genährt, ohne jeden Qualm und Rauch,

ganz klar und gleichmäßig brennt –

die Konzentration ist eine vollständige geworden *.

* sie braucht aber keine Konzentration in dem Sinne zu sein,

daß sie von einer beschaulichen Schauung begleitet ist.

Mit ihr tritt aber auch der Gleichmut gegen alles ein.

Denn wo reine Erkenntnis die Herrschaft übernommen hat,

da gibt es weder Zuneigung noch Abneigung gegen irgend etwas mehr.

Das wären ja Äußerungen des Durstes, der aber nunmehr völlig,

wenn zunächst auch nur vorübergehend, zum schweigen gebracht ist.

Reine Erkenntnis ist kalt, anteillos. sie kann weder angenehm noch unangenehm berührt werden.

sie ist wie das Wasser. das sich nicht entsetzt, nicht empört oder sträubt,

ob man »in ihm Reines wäscht oder Unreines wäscht,

Kotiges wäscht oder Harniges wäscht oder Schleimiges wäscht oder Eiteriges wäscht *«.

* Majj. Nik. l. p. 423 (62. Suttam).

Diese reine Erkenntnis wird aber mit der Zeit unfehlbar zum reinen Anatta-Anblick führen,

womit jeder Durst auf ewig vernichtet und so die Erlös-eng durch Wissen eingetreten ist:

Die sieben Erweckungen – sie waren es,

die wir eben vom rechten Gedenken an bis hinauf zum Gleichmut sich haben entwickeln sehen –

haben ins Ende übergeführt *.

* Der Pali-Ausdruck für Erweckung ist sambojjhango oder bojihango.

 

Neben den bisher behandelten Hauptarten des Konzentrations-Trainings

gibt es noch ein drittes, rein äußerliches Verfahren

zur Beschwichtigung aller dem reinen Denken hinderlichen Gemütsregungen

und damit zur Herbeiführung des ersteren.

Es sind die Kasina-Übungen:

»Der Jünger übt das Alleins-werden (Kasinam) *

* d. h. das Erkennen geht gänzlich in der betreffenden Vorstellung auf.

im Erdigen, im Wasser, im Feuer, im Wind, im Blauen, im Gelben, im Roten, im Weißen,

im Raum, im Erkennen, im Licht *.« (* Angutt. Nik. l, p. 41 (l, 20))

 

Nach Nyanatiloka * besteht dieses Verfahren im Folgenden: (* Angutt. Nik. I. p. 41 (l. 20))

»Man konzentriert seine ungeteilte Aufmerksamkeit auf einen sichtbaren Gegenstand,

am besten auf eine eigens zu dem Zweck hergestellte farbige runde Scheibe

(‚Blau-, Gelb-, Rot-, Weiß-Kasinam‘)

oder aber auf einen deutlich in die Augen fallenden Fleck Erde (‚Erdkasinam‘)

oder auf einen in einiger Entfernung liegenden Teich (‚Wasserkasinam‘) etc.,

bis man schließlich

einen mondähnlichen Reflex sowohl bei geöffneten als auch geschlossenen Augen deutlich wahrnimmt.

Denselben nennt man den ‘aufgefaßten Reflex‘ (uggaha-nimittam).

Indem man nun fortfährt, seine Konzentration auf diesen Reflex zu heften,

(letzterer muß bleiben, selbst wenn man sich inzwischen an einen anderen Ort begibt),

so kommt der, einem funkelnden Stern oder dem aus den Wolken heraustretenden Mond gleichende,

farblose und gestaltlose innere Reflex (patibhaga-nimmittam) zum Entstehen.

Gleichzeitig schwinden die Hemmungen (nivarana)

und die bis zum ersten jhanam währende, an dasselbe ‚angrenzende Konzentration‘ (upacara-samadhi)

ist erreicht:«

alle Regungen des dürstenden Willens sind eingeschlafen,

das Licht des Erkennens, durch keine derselben mehr getrübt, strahlt wiederum ganz rein,

vermag also auch auf dieser Basis, wenn es von dem nunmehr in Aktion tretenden Willen

zur völligen Durchschauung der Persönlichkeit auf die letztere gerichtet wird,

sie mit der Zeit bis auf den Grund zu durchdringen *.

* Was die übrigen noch nicht näher behandelten Kasina anlangt,

so bildet speziell beim »Raumkasinam der durch eine runde Öffnung,

zum Beispiel in einem Dach einer Hütte, gesehene Fleck des Himmelsraumes das Objekten«. –

Das Bewußtseinskasinam hat die Grenzenlosigkeit des Erkennens selbst.

wie sie bei der Übung des Raumkasinam offenbar wird, als Objekt

und vermag das Reich des unbegrenzten Erkennens zu erzeugen. –

»Im Lichtkasinam

dient das durch ein Fenster, Schlüsselloch etc. eintretende Tageslicht als Objekte –

Die oben erwähnten farbigen runden scheiben haben nach Franke, l. c. S. 210 A 4,

wenige Zoll Durchmesser.

 

Es ist natürlich Sache der Veranlagung welches von diesen Trainings * dem einzelnen am meisten liegt.

* Es gibt noch zwei weitere Arten solcher Trainings:

die acht Überwindungen (abhibhavatana) und die acht Befreiungen (vimokha).

sie sind Ausgestaltungen der Kasina-Übungen.

Ganz wird indessen wohl kaum einer auf sie verzichten können,

der im Kampf um Ertötung oder auch nur Schwächung seiner Triebe vermittels der reinen Erkenntnis

– einen anderen Weg gibt es nicht – in absehbarer Zeit greifbare Fortschritte erzielen will.

Denn unser Erkennen hat sich im Laufe des unendlichen Kreislaufes unserer Wiedergeburten

so sehr daran gewöhnt, sich in den Dienst jeder aufsteigenden Willensregung zu stellen

und so wie diffuses Licht alles notdürftig, aber nichts ganz zu beleuchten, statt,

sich auf ein Objekt einstellend, es völlig zu durchdringen,

daß es zu dieser letzteren, ihm im Grunde allein angemessenen Tätigkeit

erst in harter Arbeit direkt trainiert werden muß.

 

  1. Die vier Brahms-Zustände

Wenn wir den Weg, wie wir ihn bisher kennen gelernt haben. überschauen,

so finden wir ihn von der unumschränktesten Nächstenliebe durchsetzt,

insbesondere sind auch die vom Buddho aufgestellten fünf Sittengebote

nichts weiter als ein Ausfluß dieser von ihm gelehrten allumfassenden Liebe.

Der Jünger des Buddho ist »fühlsam, voll Teilnahme, hegt zu allen lebenden Wesen Liebe und Mitleid *«.

* cfr. oben S. 330.

Diese seine allumfassende Liebe erstreckt sich sogar auf die Pflanzenwelt, indem er auch »die Zerstörung von Keim- und Pflanzenleben meidet *«; (* siehe oben S. 331.)

ja, er treibt seine Rücksicht auch auf diesen Teil des Lebendigen so weit,

daß er die Überreste seiner kargen Mahlzeit »auf grasfreien Grund oder in fließendes Wasser entleert *«.

* Majj. Nik. l. p. 207 (31. Suttam).

 

Auch im Übrigen sind die heiligen Texte geradezu unerschöpflich in dem Preis der Nächstenliebe:

»Mögen alle Wesen voll des Glücks und sicher sein!

Alle mögen sie glückselig sein!

 

Was nur immer es an Lebewesen gibt,

Ob sie bewegen sich, ob festgebannt an ihrem Platz *, (* Es sind die Pflanzen gemeint.)

Ob lang sie sind, ob kurz, ob groß, ob klein,

Ob mittel oder schmächtig oder dich,

Ob unsichtbar sie weilen oder sichtbar auch,

In der Nähe oder in der weiten Ferne,

Ob sie bereits im Leben stehen oder es ersehnen;

Glückselig sollen alle Wesen sein!

 

Wie eine Mutter schützt das einzige Kind mit ihrem Leben,

Erwecke grenzenlose Liebe man zu allen Wesen.«

heißt es im Mettasuttam des Suttanipato.

Im Anguttara-Nikayo * aber sagt der Meister: (* Angutt.-Nik. l, p. 38 f. (XX, 2; I, 20 : 2))

»Wer von meinen Jüngern selbst nur einen Augenblick die geist-erlösende Liebe pflegt, dieser Jünger vertieft sich nicht vergebens und folgt der Lehre und Weisung des Meisters, wie viel mehr jene, die den Gedanken der Liebe beharrlich pflegen«,

während es im ltivuttakam – man kann diese Stelle direkt als das hohe Lied des Buddhismus bezeichnen –

heißt:

»Alle Mittel in diesem Leben, um Verdienst zu erwerben,

haben nicht den Wert eines Tausendstels der Liebe, der Erlösung des Geistes.

Die Liebe, des Geistes Erlösung, nimmt sie in sich auf und leuchtet und flammt und strahlt.

 

»Und wie aller Sternenschein nicht den Wert eines Tausendstels des Mondenscheins hat,

sondern der Mondschein ihn in sich aufnimmt und leuchtet und flammt und strahlt,

so haben auch alle Mittel in diesem Leben, um Verdienst zu erwerben,

nicht den Wert eines Tausendstels der Liebe, der Erlösung des Geistes.

Die Liebe, des Geistes Erlösung, nimmt sie in sich auf und leuchtet und flammt und strahlt.

 

»Und wie im letzten Monat der Regenzeit, im Herbst,

die Sonne am klaren, wolkenlosen Himmel, am Firmament emporsteigend,

alles Dunkel im Luftraum beseitigt und leuchtet und flammt und strahlt,

und wie in der Nacht, am frühen Morgen, der Morgenstern leuchtet und flammt und strahlt,

so haben auch alle Mittel in diesem Leben, um Verdienst zu erwerben,

nicht den Wert eines Tausendstel der Liebe, der Erlösung des Geistes.

Die Liebe, des Geistes Erlösung, nimmt sie in sich auf und leuchtet und flammt und strahlt *.«

* Cfr. »Buddhistischer Weltspiegela, I. Jahrg., S. 154 fig.

 

Dabei ist diese Liebe nicht etwa nur eine bedingte, eine durch die Abneigung der anderen begrenzte,

sie durchflutet vielmehr den Jünger des Buddho so unermeßlich,

daß keinerlei Feindseligkeit ihr Schranken setzen,

daß sie durch keinen Haß je ausgeschöpft werden kann,

gleichwie man die Erde nicht erdlos zu machen vermag;

im Gegenteil bringt jeder feindliche Angriff sie erst zur vollen Entfaltung:

 

»Gleichwie etwa, Mönche, wenn da ein Mann herkäme, mit sparen und Korb versehen, und spräche so:

‚Ich werde den Erdball erdlos machen‘, und er grübe da und dort, würfe da auf und dort auf,

lockerte da auf und dort auf, löste da ab und dort ab: ‚Erdlos sollst du werden, erdlos sollst du werden«;

was meint ihr nun, Mönche: könnte wohl dieser Mann den Erdball erdlos machen?«

»Gewiß nicht, oh Herr!«

 

»Und warum nicht?«

»Der Erdball, oh Herr, ist ja tief, unermeßlich, den kann man nicht wohl erdlos machen,

so viel Mühe und Plage auch immer jener Mann haben mag.«

 

»Ebenso nun auch, Mönche, gibt es da fünferlei Redeweisen,

deren die Leute sich euch gegenüber bedienen können;

rechtzeitiger oder unzeitiger, sinniger oder unsinniger, höflicher oder grober,

zweckmäßiger oder unzweckmäßiger, liebevoller oder böswilliger …

Da habt ihr euch nun, Mönche, wohl zu üben: ‚Nicht soll unser Geist verstört werden,

kein böser Laut unserem Mund entfahren, freundlich und mitleidig wollen wir bleiben,

liebevollen Geistes, ohne inneren Mißmut;

und jene Person werden wir mit liebevollem Geist durchstrahlen:

von ihr ausgehend werden wir dann die ganze Welt mit erdballgleichem Geist,

mit umfassendem, großem, alles Maß übersteigendem, durchstrahlen‘:

also habt ihr euch, Mönche, wohl zu üben * **.«

* »Wir werden die ganze Welt mit erdballgleichem Geist durchstrahlen«, das will sagen:

Der Jünger des Buddho sucht in sich so unermeßlich viel Liebe zu seinen Mitwesen zu erzeugen,

daß sie durch keinen Haß je auszuschöpfen ist,

so wenig, als die Erde erdlos gemacht werden kann. –

** Majj. Nik. l, p. 127 (21. Suttam).

 

Ja, der Buddho geht so weit, das er sagt:

»Wenn euch, Mönche, Räuber und Mörder mit einer Baumsäge Gelenke und Glieder abtrennten,

so würde, wer da in Erregung geriete, nicht meine Weisung erfüllen *.« (* Majj. Nik. I, p. 129 (21. Suttam))

Auch solchen gegenüber hat man vielmehr »freundlich und mitleidig zu bleiben«

und hat von ihnen ausgehend die ganze Welt mit liebevollem Geist zu durchstrahlen,

mit umfassendem, großem, alles Maß übersteigendem«.

 

Dabei ist aber diese Nächstenliebe eine Liebe ganz eigener Art.

Wenn »wir von Liebe sprechen, so verbinden wir damit, und zwar auch bei der reinsten Nächstenliebe, untrennbar den Begriff des Gefühls- oder Triebmäßigen,

denken mit anderen Worten stets an eine Neigung zu einzelnen oder allen Menschen

oder den Lebewesen überhaupt.

Davon ist nun aber die Liebe. die der Buddho lehrt, weit entfernt.

Alles, was Neigung und Trieb ist, ist ja nichts weiter als eine Regung des Durstes,

vielleicht des Durstes in seiner edelsten Form,

aber immerhin des Durstes,

der doch gerade als die Quelle alles Unheils um jeden Preis überwunden werden muß.

Deshalb ist denn auch die Nächstenliebe des Buddho etwas von jeder Neigung Freies.

Was bleibt aber übrig, wenn man aus der Liebe alles Triebmäßige, alles, was Neigung ist, ausscheidet?

Güte.

Die Güte ist die durch die Erkenntnis von den schlacken der Leidenschaft,

als welche prinzipiell auch jede bloße Neigung irgend welcher Art anzusprechen ist, geläuterte Liebe:

leidenschaftliche Liebe ist etwas Alltägliches, leidenschaftliche Güte ein Widerspruch in sich.

Die Güte schließt also schon begrifflich alles Triebmäßige aus,

sie ist die Liebe der reinen Erkenntnis

im Gegensatz zur Liebe des noch von seinen Trieben beherrschten Menschen,

sie ist eben deshalb auch die Liebe des Buddho,

weshalb wir sie denn auch weiterhin mit diesem ihren Ehrennamen nennen wollen:

der Buddho lehrt die grenzenlose Güte gegen alles, was da lebt and atmet.

 

Weil aber die Güte die Frucht der reinen Erkenntnis ist,

deshalb kann sie voll auch nur da zur Reife gedeihen,

wo diese reine Erkenntnis in ihrer ganzen Fülle das Dunkel des Lebens erhellt,

mithin in einem reinen, konzentrierten Geiste, der einzigen Quelle aller solchen Erkenntnis:

»Der Körperberuhigte fühlt Heiterkeit, des Heiteren Geist wird konzentriert.

Gütigen Geistes weilend durchdringt er zuerst eine Himmelsrichtung,

dann die zweite, ebenso die dritte und die vierte;

nach oben und unten und horizontal

durchstrahlt er die ganze Welt mit umfassendem, großem, alles Maß übersteigendem gütigem Geiste *.«

* cfr. M. N., 7. Suttam.

 

Wir sehen: auf welchem Wege man nur immer auf das wirklich Große und Hehre in der Welt trifft,

stets stellt es sich als die Frucht der Konzentration des Geistes dar.

 

Ist aber so die Güte die Frucht der reinen Erkenntnis,

so muß sie auch in engster Beziehung

zu dem großen Endziel aller solchen Erkenntnis,

dem vollständigen Gleichmut, wie er aus der Ertötung jeglichen Durstes resultiert, stehen;

und in der Tat ist diese Beziehung so eng,

daß der Buddho sie geradezu zu einem Vehikel für die Erlangung dieses Endzieles gemacht hat.

Er tut das in den Brahmaviharabhavana, den Erweckungen der vier Brahma-Zustände *,

* Der Brahman-Begriff war und ist für den Inder der Inbegriff des Heiligen und Echten,

seine ursprüngliche Bedeutung ist Gebet.

Bezüglich des vom Buddho aus dem Veda übernommenen Wortes Brahman,

siehe »Wissenschaft des Buddhismus«, S. 296.

deren erste eben darin besteht, daß der Mönch die ganze Welt mit gütigem Geist durchstrahlt,

während er die drei weiteren im unmittelbaren Anschluß an diese erste, wie folgt, pflegt:

 

»Mitleidsvollen Geistes weilend durchdringt er zuerst eine Himmelsrichtung,

dann die zweite, ebenso die dritte und vierte;

nach oben und unten und horizontal durchstrahlt er die ganze Welt

mit umfassendem, großem, alles Maß übersteigendem mitleidsvollem Geist.

 

Freudevollen Geistes weilend durchdringt er zuerst eine Himmelsrichtung,

dann die zweite, ebenso die dritte und vierte;

nach oben und unten und horizontal

durchstrahlt er die ganze Welt mit umfassendem, großem, alles Maß übersteigendem freudevollem Geist.

 

Gleichmütigen Geistes weilend durchdringt er zuerst eine Himmelsrichtung,

dann die zweite, ebenso die dritte und vierte;

nach oben und unten und horizontal durchstrahlt er die ganze Welt

mit umfassendem, großem, alles Maß übersteigendem gleichmütigem Geist *.

* Majj. Nik. I, p. 38 (7. Suttam).

 

Mit diesem völligen Gleichmut, sofern er dauernd geworden ist,

hat der Mönch aber wiederum die volle Erlösung erreicht:

»‘So ist es‘, versteht er, ‚es gibt Gemeines, es gibt Erhabenes,

und es gibt eine Entrinnung in das Jenseits des Wahrnehmungsbereiches.‘

Und in solchem Schauen, in solchem Anblick

wird sein Geist erlöst von der Beeinflussung durch das Begehren,

erlöst von der Beeinflussung durch (die Gier nach) Werden,

erlöst von der Beeinflussung durch das Nichtwissen *.«

* cfr. M. N., 7. Suttam. – Wenn oben S. 172 f.

die vier Brahma-Zustände nur zu einer Wiedergeburt in einer Brahmawelt führen,

so liegt der Grund hierfür darin,

daß dort der Mönch eben noch an diesen vier Brahma-Zuständen selbst haftet.

 

Es entsteht nun aber die Frage

nach dem letzten und tiefsten Grund dieser grenzenlosen Anteilnahme gegenüber allem Lebendigen,

wie sie in Form der Erweckungen der vier Brahma-Zustände

ein wesentliches Erfordernis aller Heiligkeit ist –

niemand kann heilig werden, der sie nicht in sich verwirklicht hat.

Nach Schopenhauer beruht diese Anteilnahme auf der Durchschauung des principium individuationis,

auf unserer Identifikation mit den anderen Wesen.

also darin, daß die Scheidewand zwischen du und ich aufgehoben wird,

indem man sich, wie ja auch nach dem Vedanta – »tat tvam asi« – in allem wiedererkenne.

Es ist aber klar, daß diese Erklärung vor dem Buddho nicht bestehen kann.

Verirrt doch auch sie sich

in das der Erkenntnis schlechthin und bedingungslos verschlossene transzendente Gebiet,

in das »unbetretene Land«,

hinsichtlich dessen es nur ein richtiges Verhalten gibt:

absolutes Schweigen.

Der Buddho braucht aber auch derartige Erklärungen,

die auf dem Versuch, das Unfaßbare zu fassen, beruhen, gar nicht.

Denn von seinem höchsten Standpunkt aus

entschleiert sich auch dieses Problem wieder in höchst einfacher Weise;

ja, seine Lösung ist abermals, wenn man sie nur einmal begriffen hat,

wie die ganze Lehre des Buddho überhaupt, selbstverständlich.

Der wahre Grund für jene grenzenlose Anteilnahme, die der Heilige gegen alle Wesen hegt,

ist nämlich in dem Satz beschlossen:

»Wir sind Wesen, die Wohlsein begehren und Wehe verabscheuen *.« (* Majj. Nik., 94. Suttam.)

Freilich darf man dabei diesen Satz nicht so nehmen, wie er sich dem oberflächlichen Blick präsentiert,

sondern muß ihn mit dem Buddha-Auge betrachten.

Diesem aber stellt er sich, wie folgt, dar:

Wenn ich Wohl begehre und Wehe verabscheue,

so ist dieses Ich natürlich nicht mein Körper, auch nicht meine Empfindung, meine Wahrnehmung,

meine Gemütstätigkeiten, noch auch mein Erkennen,

kurz, nicht der Inbegriff meiner Persönlichkeit;

denn das alles ist ja nicht-ich, anatta.

Ich selbst bin, wie wir wissen, etwas von diesem allem radikal Verschiedenes,

das sich in keiner Weise positiv bestimmen läßt, bin das Unergründliche schlechthin.

Nur so viel weiß ich im Licht meiner Erkenntnis, daß ich nichts von der Welt bin,

das heißt, ich kann rein negativ sagen, das im Grunde nichts von der Welt etwas mit mir zu tun hat.

Im Gegenteil stellt meine Persönlichkeit und damit die Welt nur eine Beschränkung von mir dar,

von welcher Schranke ich mich als Heiliger in Verwirklichung der heiligen Freiheit losmache,

eine Freiheit, die vollständig wird, wenn ich in meinem letzten Tod auch den Mechanismus,

mittels dessen ich mit der Welt in Verbindung stehe,- den sinnenbehafteten Körper, – definitiv abwerfe.

Dann bin ich absolut frei, damit aber schrankenlos, grenzenlos,

Begriffe, die ja alle nur besagen,

daß jede Schranke, jede Grenze, die meine Freiheit beeinträchtigte, gefallen ist:

»Von dem, was man Körperlichkeit nennt, befreit, oh Vaccho,

ist der Vollendete gar tief, unermeßlich, unergründlich, gleichwie etwa der große Ozean *.«

* M. N., 27. Suttam.

Wenn ich aber im Grunde schrankenlos, grenzenlos und andererseits ein Wesen bin,

das Wohlsein begehrt und Wehe verabscheut,

dann ist natürlich auch dieses Begehren nach Wohlsein und dieses Verabscheuen des Wehes

grenzenlos;

und in der Tat erfährt das ja auch jeder jeden Augenblick

an der Unersättlichkeit seines Verlangens nach Wohlsein

und seinem schrankenlosen Abscheu vor allem Leid *.

* Damit ist also das Rätsel der Unersättlichkeit des Durstes an sich gelöst.

Nicht aber erfährt er die Schrankenlosigkeit seines Wesens selbst.

Denn er selbst hat sich ja auf seine Persönlichkeit und einen bestimmten Interessenkreis beschränkt,

eben weshalb dann auch sein grenzenloses Verlangen nach Wohlsein und Verabscheuen des Leidens

sich auf diesen beschränkten Kreis konzentriert, sich innerhalb seiner auswirkt.

Im werdenden Heiligen aber kommt in dem gleichen Maß, als er alles, auch seine Persönlichkeit,

als anatta erkennt, auch die Schrankenlosigkeit seines Wesens selbst zum Durchbruch.

Damit wird dann aber auch sein Begehren nach Wohl-sein und sein Verabscheuen des Leidens

von der Beschränkung auf den bisher willkürlich gezogenen Kreis befreit:

ersteres weitet sich in Form grenzenlosen Wohlwollens – nur ein anderer Ausdruck für Güte –

sein Verabscheuen des Leidens aber in Form grenzenlosen Mitleids über das All hin aus:

er leidet mit, wo nur immer Leid empfunden wird und sei es in Fixsternweiten *.

* Man kann auch sagen: er wird zu einem Wesen, dem es ganz wohl nur dann ist,

wenn es überhaupt kein Leiden auch nur mehr wahrzunehmen braucht,

das eben deshalb auch selbst mit leidet, wo immer es nur auf Leiden stößt.

Ebenso schrankenlos ist natürlich aber auch die Freude,

die in Befriedigung seines Begehrens nach Wohlsein in dem gleichen Maß in ihm aufgeht,

als er sich anschaulich als von seiner Persönlichkeit verschieden erkennt

und damit sich in seinem eigentlichen Wesen über diesen Urquell alles Leidens erhaben weiß,

endlich auch der heilige Gleichmut, in welchem sein grenzenloses Verlangen nach Wohlsein zu allerletzt,

wenn er auch jene heilige Freude als eine vergängliche Regung erkannt hat,

ebenso grenzenlos befriedigt wird und damit für immer zur Ruhe kommt *.

* Hier finden also auch die Begriffe Egoismus und Altruismus

in einer höheren Einheit ihre Auflösung:

man ist selbst erst glücklich, wenn man auch allen anderen Wesen wohl will.

Das letztere ist nur möglich in dem Maß und soweit,

als man sich von seiner eigenen Persönlichkeit lossagt.

Insoweit verliert man dann aber auch sein Ego,

mit welchem Wort man, wie wir wissen – cfr. oben S. 141 ff. –

gemeinhin ja nur die eingebildete wesenhafte Beziehung seiner Selbst

zu den Bestandteilen seiner Persönlichkeit zum Ausdruck bringt.

Ist man aber kein Ego, kein Ich als positive Größe dieser Welt mehr,

dann hat natürlich auch der Gegensatz »der andere«

diese seine gegensätzliche Beziehung verloren,

so daß jede Schranke für die Betätigung des Wohlwollens aufgehoben ist.

 

Weil so, je höher ein Mensch moralisch steigt,

seine Güte immer mehr zunimmt und zugleich universeller wird,

deshalb ist umgekehrt auch das Maß von Güte, das einer offenbart,

ein untrüglicher Maßstab für seinen moralischen Wert.

Besonders wird für diese seine Einschätzung nach dem Ausgeführten von Bedeutung sein,

welchen Aktionsradius diese seine Güte hat, ob sie sich also nicht bloß auf die Menschheit,

sondern auch auf die Tierwelt, ja selbst das Pflanzenreich erstreckt:

der Heilige begreift sie alle unbegrenzbar ein in seiner Brust *. (* Suttanipato, V. 149.)

Bei ihm wirkt sich diese Güte entsprechend der völligen Reinheit der Erkenntnis, aus der sie entspringt,

auch in der reinsten Weise aus,

indem er alle Wesen mit dem heiligen Gleichmut als dem Höchsten durchstrahlt

und auch im Übrigen sein Erbarmen

– diese Form hat bei ihm, der selbst keines geistigen Schmerzes mehr fähig ist, das Mitleid angenommen –

sich ausschließlich darin betätigt, den Menschen das Höchste, die Wahrheit, zu geben –

»Der Wahrheit Gabe ist die höchste Gabe *« – (* Dhammapadam, V. 354.)

indem er alle die anderen zahllosen Möglichkeiten, Güte zu erweisen, den noch Strebenden überläßt,

je nach dem Grad der Erkenntnis, den sie bereits erreicht haben.

Auch hinsichtlich dieser niederen Grade der Auswirkung der Güte ist nämlich daran festzuhalten,

daß sie die Frucht der Erkenntnis sind.

Deshalb wird die Güte auch in diesen niederen Stadien,

entgegen der bloßen Nächstenliebe, die nur zu oft blind und deshalb töricht handeln läßt,

stets danach trachten, daß in jedem Fall Zuträglichste und Beste zu geben,

sei es nun an Almosen oder durch persönliches Eingreifen oder aber vor allem auch

– im Vergleich zum ewigen Heil tritt ja das süchtige irdische Wohl gänzlich zurück –

soweit möglich, durch heilsamen Rat und Belehrung.

 

Daneben aber wird der kämpfende Jünger die Güte

auch stets in Form der vier Brahma-Zustände selbst pflegen, soweit er dazu nur immer fähig ist.

Nicht nur, daß dies zu seinem eigenen Heile unumgänglich notwendig ist,

indem er sich gerade dadurch von jeder Beschränkung auf einen bestimmten Kreis immer mehr befreit

und so in Wahrheit wieder zu sich selbst zurückfindet –

»wer geistesklar unbegrenzte Güte erweckt, dünn sind die Fesseln (für ihn),

der das Vergehen der sterblichen Natur schaut *« – (* Itivuttakam 27.)

erweist er durch die Pflege der vier Brahma-Zustände

auch den anderen Wesen einen viel gewaltigeren Dienst,

als er es je durch äußere Werke der Mildtätigkeit vermöchte.

Denn er durchstrahlt sie ja alle, soweit sie dafür empfänglich sind,

mit seiner Güte, seinem Mitgefühl, seiner Freude

und zum Schluß als Höchstem mit seinem unerschütterlichen Gleichmut

und senkt so ganz unmittelbar Beruhigung, Heiterkeit und Frieden in sie hinein.

Freilich will das uns bei unserer grobmateriellen Naturauffassung,

die nur die rein mechanischen Einwirkungen von Stoß und Druck anerkennen will, nicht in den Sinn.

Aber ist denn diese Naturauffassung

nicht schon längst durch unsere Naturwissenschaften selbst widerlegt?

Können wir nicht die Hertz’schen Wellen

drahtlos auf Tausende von Meilen in den Raum hinaussenden

mit dem Erfolg, daß sie von jedem gleichgestimmten Empfänger aufgefangen werden?

Warum sollte also nicht auch der Mensch

Wellen der Güte, des Mitleids, der Freude und des Gleichmuts in den Raum hinauszusenden vermögen

mit der Wirkung, daß sie von jedem dafür empfänglichen Herzen aufgefangen werden,

nachdem wir doch bereits wissen, daß auch das sogenannte Geistige nur ein Feinstoffliches,

also speziell etwas den Hertz’schen Wellen Ähnliches ist?

Dabei trifft das Phänomen der Ausstrahlung von Wellen der Güte

mit jenem der Ausstrahlung Hertz‘scher Wellen auch darin zusammen,

daß auf je weitere Entfernung die Wellen wirken sollen,

desto größer die Kraftquelle sein muß, von der sie erzeugt werden:

je konzentrierter der Wille ist, desto weiter reicht sein Wirkungsbereich *.

* Im Kleinen kann das Phänomen alltäglich beobachtet werden:

die Anwesenheit der Mutter wirkt beruhigend auf das Kind,

auch wenn sie von diesem nicht bemerkt wird;

ein hervorragend gütiger Mensch

beruhigt schon durch seine bloße Anwesenheit aufgeregte Gemüter. –

Umgekehrt kann sich der Machtbereich des Willens sogar auf die Abgeschiedenen erstrecken:

»Wünscht sich, Mönche, ein Mönch:

‚Die dahingegangenen verstorbenen Blutsverwandten, die meiner in Liebe gedachten,

sollen hohes Verdienst darum haben, hohe Förderung‘,

dann soll er nur vollkommene Sittenreinheit üben, geklärte Geistesruhe erkämpfen,

die Konzentration pflegen, durchdringenden Blick gewinnen, ein Freund leerer Stätten sein«.

(Majj. Nik. l, p. 33 [6. Suttam]).

 

Welch ein Gedanke! Ein heiliger Mönch

sendet von seiner einsamen Zelle aus Wellen des Mitgefühls oder der Freude in den Raum hinaus;

hunderte von Meilen davon entfernt treffen sie auf ein von Kummer und Gram verzehrtes Gemüt,

das, ihm selbst unbegreiflich, eben infolge davon plötzlich Frieden und Heiterkeit in sich aufsteigen fühlt!

Wird hier nicht wiederum einmal das Urteil des Normalmenschen,

der unterschiedslos jeden Mönch zu einem für die Welt unnützen Müßiggänger stempelt,

in sein direktes Gegenteil verkehrt?

sind nicht diese weltflüchtigen Mönche, wenn sie so wirken,

in Wahrheit zugleich die größten Wohltäter ihrer Volksgenossen?

Fürwahr: »Ihr sollt wissen, daß die Leute die nützesten Übungen üben:

sie schaffen mehr ewigen Nutzen in einem Augenblick,

als alle äußeren Werke, die je auswendig gewirkt werden«,

sagt ja auch unser großer deutscher Meister Eckhart *.

* In dieser Linie liegt mithin auch die wirkliche Lösung der sogenannten sozialen Frage.

Beispiele von der Kraft dieser Ausstrahlung gibt uns der Buddho selbst.

Devadatto, der Judas Ischariot unter seinen Anhängern,

läßt einen wilden Elefanten in einer engen Gasse auf ihn los.

»Aber der Erhabene richtete auf den Elefanten Nalagiri seine Kraft der Güte.

Da senkte der Elefant Nalagiri, von dem Erhabenen mit seiner Kraft der Güte getroffen, seinen Rüssel,

ging hin, wo der Erhabene war und trat vor ihn hin *.« (Vgl. Cullavaggo Vlll, 3, 12.)

 

Ein anderes Mal erbittet Anando von dem Erhabenen, daß er Roja,

einen der Lehre des Buddho fremd gegenüberstehenden Edelmann aus dem Haus der Maller,

zur Lehre bekehren möge.

»Das ist nicht schwer für den Vollendeten, oh Anando, zu machen,

daß Roja, der Malla, für diese Lehre und diese Ordnung gewonnen werde.

Und Roja, der Malla, von dem Erhabenen mit seiner Kraft der Güte getroffen,

ging, wie eine Kuh ihr junges Kalb sucht, von einem Haus zum andern, von einer Zelle zur anderen

und fragte die Mönche:

‚Wo, ihr Ehrwürdigen, weilt jetzt der Erhabene, der heilige, höchste Buddho?

Ich begehre ihn zu sehen, den Erhabenen, den heiligen, höchsten Buddho *‘.«

* Mahavaggo Vl. z, ö, 4. – Diese und die vorhergehende Stelle

sind nebst dem jede von ihnen einleitenden Satz aus Oldenberg (S. 351, 352),

nur das dieser metta jeweils mit »Freundschaft« statt mit »Güte« übersetzt.

 

Diese Güte, die der Heilige ausstrahlt, ist es auch,

die ihm, in der Wildnis mitten unter wilden Tieren lebend, mehr Sicherheit gewährt,

als es irgend welche äußere Schutzmaßregeln vermöchten:

»Auf der Bergeshalde weilend, zog ich Löwen und Tiger durch die Kraft der Güte zu mir.

Von Löwen und Tigern, von Panthern, Bären und Büffeln, von Antilopen, Hirschen und Ebern umgeben,

weilte ich im Wald.

Kein Wesen erschrickt vor mir, und auch ich fürchte mich vor keinem Wesen.

Die Kraft der Güte ist mein Halt; so weile ich auf der Bergeshalde *.« (* Cariya Pitaka III, 13.)

 

Wirkt so ein nach diesen Grundsätzen lebender Mönch nicht nur sich selbst.

sondern auch vielen anderen zum Wohl und Heil,

zum Nutzen, Wohl und Heil der Götter und Menschen *«, (* Majj. Nik. I, p. 211 (31. Suttam))

so wird es auch verständlich, daß die Ermöglichung eines solchen heiligen Lebens

durch Gewährung des notdürftigen Lebensunterhaltes

für die Mönche seitens der Laienanhänger vom Buddho

als das beste und verdienstwirkendste Almosen gepriesen wird,

ein Almosen, das in seinem Wert steigt,

je höher der Mönch bereits steht und je gewaltiger deshalb sein Wirken ist.

Arbeiten so doch auch die Laienanhänger als Kärrner an dem großen Bauwerk mit,

das echte Mönche – nur von solchen ist natürlich die Rede * –

* Von den anderen gilt:

»Es wäre für einen schlechten, ungezügelten Menschen besser,

er schluckte eine glühende Eisenkugel hinunter,

als daß er von des Landes Mildtätigkeit lebte.« (Dhammapadam, V. 308)

als die Könige im heilsamen Wirken errichten.

 

Aus diesen Ausführungen wird aber auch verständlich werden,

daß nur ein Mensch, der vor allem sein eigenes Heil wirkt,

auch ein wirklicher Helfer seiner Mitwesen sein kann:

»Das aber, Cundo, einer, der selber sumpfversunken ist, einen anderen Sumpfversunkenen herausziehen kann, ein solcher Fall findet sich nicht.

Das aber, Cundo, einer, der selber nicht sumpfversunken ist.

Einen anderen sumpfversunkenen herausziehen kann, ein solcher Fall findet sich *.«

* Majj. Nik. l, p. 45 (8. Suttam).

Es hat also auch nichts Auffallendes,

sondern ist wiederum nur selbstverständlich, wenn es im Dhammapadam * heißt: (* V. 166.)

»Das eigene Heil gib nimmer auf um fremden noch so großen Heils.«

Wollen diese Worte doch nur besagen;

Lasse nie dein eigenes Heil außer acht um des Heiles der anderen willen;

denn sonst ruinierst du dich nur selber, ohne in Wahrheit den anderen zu nützen,

eine Mahnung, die heute noch genau so berechtigt ist, wie sie es früher war,

da auch heute noch die Devise im Schwang ist:

»Unheilsam in der eigenen Haut, wird allgemeines Wohl gewählt *.« (* Psalmen der Nonnen, V. 936)

Das Richtige ist eben, sowohl zum eigenen als auch zum Heile der anderen zu wirken.

Ein solcher Mensch »ist der größte, der beste, der würdigste, der erhabenste *«,

* Angutt. Nik. II, p. 95 (IV, 95).

er tritt ganz in die Fußstapfen des Buddho, der ja auch nicht mit seiner eigenen Erlösung sich begnügte,

sondern Zeit seines Lebens zu retten suchte, was zu retten war,

ja, der weiterhin dafür Vorsorge traf,

daß auch allen späteren Geschlechtern an seiner Lehre der klar sichtbare Weg zum Heil offen blieb.

Trug er doch noch angesichts seines Todes seinen Jüngern auf:

»Darum aber habt ihr die Dinge, die von mir zur Durchschauung euch aufgewiesen wurden,

wohl zu bewahren, zu behüten …

auf daß dieses heilige Leben seinen Lauf nehme, langebestehen kann,

daß es vielen zum Wohl, vielen zum Heil sei,

aus Erbarmen zur Welt, zum Nutzen, Wohl und Heil für Götter und Menschen *, (* Digha Nik. XVI.)

indem die so überlieferte Lehre an die Stelle seiner persönlichen Unterweisung treten sollte:

»Es mag wohl sein, Anando, daß ihr etwa gedächtet:

‚Dahin ist die Unterweisung des Meisters, wir haben keinen Meister mehr.‘

Doch darf man das, Anando, nicht also ansehen.

Was ich euch, Anando, als Lehre und als Regel aufgewiesen und angegeben habe,

das ist nach meinem Verscheiden euer Meister * **, (* Digha Nik. XVI.)

* Man hat daraus, daß die Lehre des Buddho auch heute noch besteht,

eine Widerlegung seiner Prophezeiung finden zu können geglaubt:

»Nicht lange Zeit, Anando, wird heiliges Leben bewahrt bleiben;

fünfhundert Jahre, Ananda, wird die Lehre der Wahrheit bestehen«.

(zitiert bei Oldenberg, S. 384, 445).

Zu einer solchen Schlußfolgerung kann aber nur derjenige gelangen,

der sich über den Inhalt dieser Prophezeiung nicht klar geworden ist.

Der Buddho wollte mit ihr natürlich nicht sagen,

daß nach fünfhundert Jahren seine Lehre vom Erdboden verschwunden sein werde

– den Ausschluß dieser Eventualität mochte selbst ein geringerer Geist als er voraussehen -,

sondern nur, daß das allgewaltige Gesetz der Vergänglichkeit

auch vor seiner eigenen Lehre von dieser Vergänglichkeit nicht Halt machen werde,

indem sie nach fünfhundert Jahren gemeinhin so unverständlich geworden sein werde,

daß wirklich heiliges Leben, also die völlige Erlösung, als ständige Erscheinung aufgehört habe.

Wer an diesem sinne der Prophezeiung noch einen Zweifel hegt,

der lese den Schluß des fünfundsechzigsten Suttams der M. S.,

wo der Buddho auf die Frage nach dem Grunde dafür,

daß es früher weniger Ordensregeln gab, aber mehr der Mönche, dies Wissen hatten, da waren,

antwortet: »Also ist es eben, Bhaddah,

wenn die Wesen sich verschlechtern, wenn die wahre Lehre untergeht,

daß es mehr der Ordensregeln gibt, aber weniger Mönche, die Wissen besitzen.«

Der Buddho hat also sogar von einem Untergang seiner Lehre

schon zu seinen Lebzeiten in dem Sinn gesprochen,

daß immer weniger Mönche Wissen besitzen. –

Daß aber in diesem Sinn seine Lehre fünfhundert Jahre nach seinem Tod untergegangen war. geht gerade aus dem von Oldenberg (l. c.) als Gegenargument angeführten Umstande hervor,

daß um jene Zeit die Gemeinden der Buddhisten durch alle Weiten Indiens in Blüte stehen

und daß ihre Sendboten ferne über Indien hinaus, die Meere durchziehend,

die Schneefelder des Himalaya übersteigend, die Wüsten Mittelasiens durchwandernd,

zu Nationen den Glauben des Buddho bringen sollten,

deren Namen selbst man zu Zeiten des Buddho in Indien nicht gekannt habe -:

seine Lehre war zur reinen Laienreligion, zur Volksreligion geworden,

hatte also das Auszeichnende einer Lehre »wie sie den Erwachten eigentümlich ist«,

die nur in der Hauslosigkeit ganz verwirklicht werden kann, verloren.

Zwar bestand auch der Orden des Meisters selbst noch;

Ja, er war gleichfalls infolge dieser Entwicklung mächtig aufgebläht;

aber gerade dadurch,

daß er »Größe, hohe Gabe, hohen Ruhm, reiches Wissen, späte Jahre erreicht hatte«,

waren auch in ihm »manche auf Einflüsse (der Gier, des Hasses und der Verblendung)

beruhende Dinge offenbar geworden«, (cfr. das zit. Suttam der M. S.)

die ihn seines Charakters als einer Anstalt, in der heiliges Leben im engeren und wirklichen Sinn

eine ständige Erscheinung bildete, entkleideten. –

Um trotz der damaligen äußeren Blüte den inneren Verfall deutlich zu sehen,

braucht man nur in der Geschichte nachzulesen,

wie die Lehre sich bereits um jene Zeit in verschiedene Richtungen gespalten hatte.

Die Sache ist genau wie beim Christentum: auch dieses besteht noch,

obgleich es als herrschende Institution in seinem ursprünglichen Bestand

schon längst untergegangen ist.

 

Auch wir haben diese Lehre nunmehr erschöpfend kennen gelernt.

Überblicken wir sie noch einmal im Ganzen, so läßt sie sich kurz so zusammenfassen:

Wir sind krank: wir leiden an der Krankheit des Wollens und damit des Lebens *.

* »Sabbam dukkham chandamalakama: chando hi mulam dukkhassa:

alles Leiden wurzelt im Willen, stammt aus dem Willen:

denn der Wille ist die Wurzel des Leidens«. (Samyutta Nik. XLII. 11)

Das Symptom dieser Krankheit ist die Wunde der sechs Sinne *,

* Cfr. M. N., 105. Suttam: »Die Wunde, das ist eine Bezeichnung der sechs Sinne«;

ferner M. N., 33. Suttam: »Und wie verbindet ein Mönch Wunden?

Wenn da ein Mönch mit dem Auge eine Gestalt erblickt, mit dem Ohr einen Ton gehört hat (usw.),

so haftet er weder am Ganzen noch an den Einzelheiten.

Also verbindet ein Mönch Wunden.«

das heißt unser mit den sechs Sinnen behafteter Körper.

Die Krankheit ist chronisch: wir leiden schon seit anfangslosen Zeiten an ihr.

Je nachdem sie mildere Formen annimmt oder heftiger wird,

haften wir in Götterwelten oder im Menschenreich einerseits, in Höllen- oder Tierreichen andererseits,

und stellt sich uns dementsprechend

die Wunde der sechs Sinne in Form »der himmlischen fünferlei Sinnenfreuden *«

* Majj. Nik. I, p. 505 (75. Suttam).

oder eines menschlichen oder tierischen Organismus oder aber eines verstoßenen Wesens dar,

all das in endloser Aufeinanderfolge.

Der Arzt, der uns von dieser Krankheit heilen kann, ist der Buddho,

die Medizin, mittels deren er heilt, ist die in der Meditation gewonnene anschauliche Erkenntnis.

Entgegen der bloßen Symptombehandlung durch den Normalmenschen

– er beruhigt die jeweils sich meldenden Regungen des Begehrens bloß vorübergehend,

indem er ihnen nachgibt,

mit der Folge, daß die Krankheit sich noch weiter verschlimmert * –

* gleichwie die Wunden eines Aussätzigen

durch das Abreiben, mit dem er den Juckreiz zu beseitigen sucht, nur noch schlimmer werden.

(cfr. das gewaltige 75. Suttam des Majj. Nik.).

wird diese letztere vom Buddho auf dem Weg des erkennenden Schauens an der Wurzel behoben:

wir werden völlig willenlos.

Mit der Krankheit verschwindet aber auch ihr Symptom, die Wunde der sechs Sinne.

Zunächst zwar bleibt sie noch als Narbe bestehen:

auch der Heilige ist bis zu seinem Tod noch an seinen Körper gebunden.

Mit diesem Tode aber wird der Körper gänzlich und für immer abgeworfen:

die Wunde schließt sich ganz;

wir sind für immer genesen, sind frei, absolut frei,

nämlich frei von allem Wollen, frei von unserer langen Krankheit, frei vom Leben.

 

Diese einzige Veränderung wird also die Erlösung von der Welt in uns hervorbringen.

Wir selbst werden völlig unangetastet bleiben.

Es soll nur dieses ewige unheilvolle Wollen, diese stete quälende Krankheit an uns behoben

und damit endlich einmal Frieden in uns werden,

auf daß wir mit dem Meister sagen können:

»Einstmals bestand Begehren, und das war von Übel;

das besteht jetzt nicht mehr, und so ist es gut.

Einstmals bestand Haß, und das war von Übel;

das besteht jetzt nicht mehr, und so ist es gut.

Einstmals bestand Verblendung, und das war von Übel;

das besteht jetzt nicht mehr, und so ist es gut *.« (* Angutt. Nik. Ill, 66.)

 

Ob wir das einmal sagen können, wird vor allem davon abhängen,

ob die Lehre des Buddho so, wie wir sie nunmehr kennen gelernt haben, zunächst den Willen in uns ausgelöst hat, es einmal sagen zu können.

Alles Weitere ist dann wiederum – selbstverständlich.

 

* * *

 

 

ANHANG

 

  1. Die Tragweite des Begriffs Atakkavacara

(„nicht im Bereich des logischen Denkens“)

in der Lehre des Buddho

l.

Die Lehre des Buddho beruht auf dem anschaulichen Denken,

daß nie den Zusammenhang mit der sinnlichen Erfahrung verliert,

also auf einem Denken, das »in der Anschauung wurzelt« (dassanarnulika),

wie es im Majjh. Nik., 47. Sut., heißt,

oder, was dasselbe ist, sie vollzieht sich im »Erkennen und Sehen« –

»janati passati: er erkennt und sieht«

ist eine ständige Redewendung im Kanon.

Der Buddho verlangt also einerseits Denken und damit Logik.

Alles Denken, alles Erwägen und Überlegen

kann ja immer nur eine Tätigkeit der Vernunft und damit logisches Denken sein –

Logik kommt von Logos, das »Wort« und »Vernunft« bedeutet, die beide unzertrennlich sind.

Andererseits aber

kennt der Buddho nur ein logisches Denken mit dem Material anschaulicher Vorstellungen.

Weil der Buddho ein solches Denken pflegte,

deshalb trug er seine Lehre nach der dialektischen Methode vor,

wobei das Wort Dialektik im Sinne Platons zu verstehen ist,

  1. h. eben als die Kunst des logischen Denkens auf Grund der Anschauung,

eine Kunst, die sich in der »Unterredung« (Dialog) vernünftiger Menschen miteinander

oder im Gespräch der Seele mit sich selber entfaltet.

Diese Kunst des in der Anschauung wurzelnden logischen Denkens befolgt der Buddho so sehr,

daß er als den »Weg zum Absoluten« (asankhatam)

direkt »die mit energischem Denken und Überlegen verbundene Konzentration«

(savitakko savicaro samadhi) angibt:

»Welches, ihr Mönche, ist der Weg zum Absoluten – zum Wahren – zum anderen Ufer – zum Feinen –

zum Unverwelklichen – zum Ewigen – zum Friedvollen – zum Todlosen – zum Hocherhabenen –

zum Wonnevollen – zum Verschwinden des Durstes – zum Wundervollen – zum Erstaunlichen –

zur Reizfreiheit – zum Eiland – zum Obdach – zum Endziel?

Es ist die mit energischem logischen Denken und Überlegen verbundene Konzentration.«

(Sam. Nik. IV, p. 362-372: XLlII, 12-43).

 

 

II.

Das logische Denken arbeitet mit den Regriffen,

in welche die gesamte mögliche sinnliche Erfahrung eingefangen wird

(Näheres in »Die Botschaft des Buddha, der Schlüssel zur Unsterblichkeit«, p. 21).

sein Objekt ist also die Erscheinungswelt.

Eben deshalb ist die Begriffsbildung und damit alles logische Denken überhaupt

auf diese Erscheinungswelt beschränkt.

Was der Wahrnehmung unserer Sinne schlechterdings entzogen ist,

das kann eben deshalb auch nicht in einen Begriff eingefangen

und damit nicht zum Gegenstand des logischen Denkens gemacht werden,

es liegt nicht im Bereiche des logischen Denkens.

 

Auf dem gleichen Standpunkt steht auch der Buddho:

Auch nach ihm ist alle sinnliche Wahrnehmung

und damit alles Denken schlechthin auf die Erscheinungswelt beschränkt:

»Was da gesehen, gehört. gedacht, erforscht, im Geiste untersucht wird

– (also eben der gesamte Bereich der sinnlichen Erfahrung und des Denkens im weitesten Sinn) –

ist das unvergänglich oder vergänglich« fragt er im Sam. Nik. XXIV, 2 seine Mönche,

worauf ihm diese unter seiner Zustimmung erwidern: »Vergänglich, oh Herr.«

»Was aber vergänglich ist – sagt er anderweit – das wird im Orden des Heiligen die Welt genannt.«

 

Auch er mußte deshalb den Bereich jenseits der Welt

oder, wie unsere Philosophen sagen, der Erscheinungswelt,

als »nicht im Bereich des logischen Denkens« erklären,

ein Ausdruck, der die wörtliche Übersetzung des vom Buddho gebrauchten Wortes atakkavacara darstellt.

(a = nicht, takka = logisches Denken, avacara = Bereich).

 

Zwar wird vielfach angenommen, der Buddha habe seine ganze Lehre (dhammo)

mit atakkavaeara als dem logischen Denken nicht zugänglich erklärt.

Das aber diese Annahme geradezu absurd ist,

ergibt sich doch wohl zur Evidenz schon aus dem Bisherigen:

wer als den Weg zum Absoluten, zum Nibbana-zustand,

zum Endziel

die mit energischem logischen Denken und Überlegen verbundene Konzentration des Geistes erklärt,

der verwahrt sich doch eben dadurch in denkbar klarster Weise gegen die Insinuation,

er erkläre seine Lehre,

die ja in ihrer Gesamtheit nichts weiter als der Weg zum Absoluten, zum Nibbanam ist,

als nicht im Bereich des logischen Denkens liegend.

 

 

IlI.

Was aber erklärt dann der Buddho als atakkavacara, als nicht im Bereich des logischen Denkens liegend?

Meint insbesondere auch er damit den Bereich jenseits der Erscheinungswelt?

Der Buddho gebraucht den Ausdruck atakkavacara ausnahmslos nur für einen ganz bestimmten Fall,

und dieser einzige ausnahmslose Fall ist, wenn er von den- Znsmnii eines Erlösten spricht.

 

  1. So heißt es im 26. Suttam des Majjh. Nik.:

»Die klare Erkenntnis und das schauen ging mir nun auf (nananca pana me dessanam udapadi):

»Ewig (akuppa) ist meine Erlösung, dies ist die letzte Geburt, nicht mehr gibt es ein neues Werden.«

Diesen Zustand also, mithin den Zustand des Erlösten, hat der Buddho im Auge,

wenn er in unmittelbarem Anschluß daran fortfährt:

»Erreicht habe ich dieses Ding (ayam dhammo: vgl. »Die Wissenschaft des Buddh.« 175, Anm.)

das tiefe, schwer zu sehende, friedvolle, hocherhabene,

nicht im Bereich des logischen Denkens liegende (atakkavaearo)

feine, nur von Verständigen zu erfahren.«

 

  1. Die gleichen Worte erwidert der Buddho im 72. Dialog des M. N. auf die Frage des Vacchagotto:

»Ein geisterlöster Mönch, wo ersteht der – nach seinem Tod – wieder?«

 

  1. lm Sam. Nik. Vl, 1 : 1-3 heißt es:

Einst weilte der Erhabene in Uruvela

am Ufer des Flusses Neranjara, am Fuß des Feigenbaumes des Ziegenhirten,

nachdem er eben erst ein Vollkommen-Erwachter geworden war.

Da nun erhob sich in ihm als er an abgelegener Stätte in stille Betrachtung versunken war, der Gedanke:

»Erreicht habe ich nun dieses Ding,

das tiefe, schwer zu sehende, schwer zu entdeckende, friedvolle, hocherhabene,

nicht im Bereich des logischen Denkens liegende, feine, nur von Verständigen zu erfahren.«

 

  1. In Itivuttaka 43 spricht der Buddho:

»Es gibt, Mönche, ein Ungeborenes, Ungewordenes, Ungeschaffenes, Nichthervorgebrachtes …

Das Geborene, Gewordene, Entstandene, Geschaffene, Hervorgebrachte, Unbeständige,

aus Alter und Tod Gebildete, das Nest der Krankheiten, das Gebrechliche,

dem Strom der Nahrung Entsprungene:

es reicht nicht hin, sich daran zu erfreuen. –

Der Ausweg aus ihm ist der friedvolle Zustand,

der nicht im Bereich des logischen Denkens liegende (atakkavaearam),

beharrende, ungeborene, unentstandene, sorgenfreie, reizfreie:

das Aufhören der leidvollen Dinge, das beseligende Zurruhekommen der (Lebens-)Prozesse«.

 

  1. lm ersten Suttam des Digh. Nik.

werden die verschiedenen möglichen philosophischen Ansichten dargestellt.

worauf der Buddho am Schlusse der einzelnen Gruppen derselben immer wieder sagt:

»Da erkennt dann der Vollendete:

Diese Ansichten, so gefaßt und eifrig gepflegt, werden dahin führen,

und lassen eine solche Zukunft im Jenseits erwarten.

Das erkennt der Vollendete und er erkennt noch Weiteres.

Aber dieser Erkenntnis hängt er nicht an, und weil er nicht daran hängt,

hat er eben in sich selbst den Frieden gefunden

und ist, nachdem er das Entstehen und Vergehen der Empfindungen,

die Lust, die sie bringen, und das Elend, das sie im Gefolge haben,

sowie man ihnen entrinnt, der Wirklichkeit gemäß erkannt hat, weil er nicht mehr haftet, erlöst.

Das – (also das Hinüberkommen über die Empfindungen

und damit der Zustand des Erlösten jenseits derselben) –

Mönche, sind Dinge (dhamma)

tiefe, schwer zu sehende, schwer zu entdeckende, friedvolle, hocherhabene,

nicht im Bereich des logischen Denkens liegende (atakkavacara),

feine, nur von Verständigen zu erfahren.« (Digha Nik. I. I, 36)

 

Damit sind die siirntlichen Stellen im suttapitakam angeführt,

in denen das Wort atakkavaeara überhaupt vorkommt.

Damit steht aber fest, daß der Buddho dieses Wort

in der Tat nur von diesem Zustand des Erlösten jenseits der Empfindungen,

also jenseits der Erscheinungswelt gebraucht.

 

IV.

In diesem Umfang aber erweist sich der Gebrauch von atakkavaeara als selbstverständlich.

Betont doch der Buddho immer wieder,

daß ein Erlöster mit der Erkenntnis überhaupt nicht mehr zu erreichen ist

und deshalb natürlich auch in keinen Begriff und damit in kein logisches Denken mehr eingeht:

»Gleichwie man den Weg des vom Eisenhammer getroffenen Funkens,

der nach und nach zur Ruhe kommt, nicht kennt,

ebenso ist nicht zu erkennen der Weg der vollkommen Erlösten,

die über die fesselnde Flut der Sinnenlüste hinübergekommen sind

und das unerschütterliche Wohlbefinden erreicht haben. (Ud. s, Io: vgl. »Das Glück« S. 41).

 

Diese völlige Unerkennbarkeit eines Erlösten gilt insbesondere auch schon bei seinen Lebzeiten.

Das betont der Buddho ausdrücklich im Sam. Nik.XLIV, 2 : 21 gegenüber seinem Mönche Anuradho:

»Schon in seiner sichtbaren Erscheinung (ditth’ eva dhamme)

ist ein Vollendeter in Wahrheit und Wirklichkeit nicht ausfindig zu machen«.

Das gleiche führt Sariputto dem Yamako gegenüber aus. (vgl. S. 126 fig.)

Deshalb antwortete ja auch der Buddho dem Brahmanen Sundariko,

der ihn gefragt hatte: »Von welcher Geburt ist der Herr?« so:

»Ich bin nicht Brahmane, bin keines Fürsten Sohn,

bin kein Bürgerlichen ich hin überhaupt nicht irgend wer. (uda koei no ’mhi).

Nachdem ich das Geschlecht der Weltmenschen durchschaut habe,

wandere ich als einer, der nicht irgend etwas ist, der nur noch denkt, in der Welt.

(akincano manta carami loke) (Su. Nip. 455-456)

 

Das ist ja auch klar.

Ein Vollendeter hat sich von allen Dingen (dhamma) losgelöst:

»er ist von allen Dingen unbefleckt« (sabbesu dhammesu anupalitto – (26. Suttam des M. N.) –

»Er ist über alle Dinge hinübergekommen« (sabba-dhammana paragü: Psalmen der Mönche, 690). –

Nur durch Dinge kann man aber bestimmt werden:

»Wer den Dingen (dhamma) nahekommt, geht in die Rede ein;

wer ihnen nicht nahekommt, wodurch könnte man den benennen?«

heißt es im suttanipato 783 und in 1076. daselbst wird feierlich proklamiert:

»Kein Maß gibt es für den, der heimgegangen – Beschreib ihn, wie du willst, es trifft ihn nimmer –

Wo alle Dinge (dhamma) restlos sind vernichtet. sind alle Pfade auch der Rede zugeschüttet.«

 

Alle Dinge aber sind für uns eingeschlossen in den fünf Haftensgruppen.

Deshalb führt der Buddho im sam. Nik. XXII. 35 und 36 fig. auch aus:

»Woran man hängt, das nimmt man zum Maßstab;

was man zum Maßstab nimmt, dadurch wird man bestimmt.

Woran man nicht hängt, das nimmt man nicht zum Maßstab;

was man nicht zum Maßstab nimmt. dadurch kann man auch nicht bestimmt werden.

Wenn man an den fünf Haftensgruppen hängt, so wird man durch sie bestimmt.

Wenn man nicht an ihnen hängt, kann man auch nicht durch sie bestimmt werden.«

 

Insbesondere wäre es auch eine Bestimmung durch die fünf Haftensgruppen,

wenn man hierzu den Begriff sein verwenden wollte.

Denn auch er ist ein rein empirischer Begriff, ist restlos aus der sinnlichen Erfahrung,

  1. h. aus den fünf Haftensgruppen abgezogen.

(vgl. s. 133 flg., insbesondere auch die Anm. S. 135, 176 und 1 77).

Deshalb weist ja auch Sariputto die Bestimmung »ein Vollendeter ist nach dem Tod«

so gut zurück wie die andere »ein Vollendeter ist nicht nach dem Tod«

mit der ausdrücklichen Begründung,

daß auch das die Anwendung eines nur für die fünf Haftensgruppen geltenden Begriffes

auf ein außerhalb derselben Liegendes wäre:

»‘Ein Vollendeter ist nach dem Tod‘ oder ‚ein Vollendeter ist nicht nach dem Tod‘

oder ‚ein Vollendeter ist und ist nicht nach dem Tod‘,

das, Freund, wäre im Sinne der Körperlichkeit gedacht (rupagatam),

wäre im Sinne der Empfindung – der Wahrnehmung – der Gemütstätigkeiten – des Erkennens gedacht«. (Sam. Nik. XLIV, 3)

 

Der Buddho weist aber auch ausdrücklich die Annahme zurück,

ein Vollendeter könnte, trotzdem nicht einmal mehr der Begriff sein herangezogen werden darf,

vielleicht doch noch irgendwie auf eine andere Weise bestimmt werden:

Dem bereits genannten Mönche Anuradho

hatten auf einem anderen Standpunkt stehende Wanderasketen erklärt:

»Freund Anuradho, ein Vollendeter, ein Übermensch,

ein höchster Mensch, der das höchste Ziel erreicht hat,

kann auf eine der folgenden vier Arten bestimmt werden:

‚Ein Vollendeter ist nach dem Tod‘ – ‚ein Vollendeter ist nicht nach dem Tod‘ –

‚ein Vollendeter ist und ist nicht nach dem Tod‘ –

‚weder ist noch ist nicht ein Vollendeter nach dem Tod‘.«

Darauf erwiderte Anuradho: »Freunde,

ein Vollendeter, ein Übermensch, ein höchster Mensch, einer, der das höchste Ziel erreicht hat,

kann auf eine andere Weise als diese vier bestimmt werden«.

Darauf sagten die auf einem anderen Standpunkt stehenden Wanderasketen:

»Dieser Mönch muß ein Novize sein. der noch nicht lange in den Orden aufgenommen ist.

Ist er aber ein älterer Mönch (thero), dann ist er ein unwissender Thor«.

Darauf entfernten sich die auf einem anderen Standpunkt stehenden Wanderasketen.

Der ehrwürdige Anuradho aber begab sich zum Erhabenen und trug ihm den Fall vor.

Der Erhabene sprach:

»Was meinst du, Anuradho, sind die fünf Haftensgruppen unvergänglich oder vergänglich?« –

»Vergänglich, oh Herr«. –

»Was aber vergänglich ist, ist das leidvoll oder wohlig?« –

»Leidvoll, oh Herr«. –

»Was aber vergänglich, leidvoll, seiner Natur nach dem Wechsel unterworfen ist,

kann man davon mit Recht sagen: ‚Das ist mein, das bin ich (aham), das ist mein selbst‘?« –

»Gewiß nicht, oh Herr«. –

»Deshalb, Anuradho, was es da nur immer

an körperlicher Form – an Empfindung – an Wahrnehmung – an Gemütstätigkeiten – an Erkennen gibt,

ob eigen oder fremd, grob oder fein, gemein oder erhaben, fern oder nahe:

all das ist der Wirklichkeit gemäß in rechter Weisheit also anzusehen:

‚Das ist nicht mein, das bin nicht ich, das ist nicht mein selbst.‘

Also schauend, Anuradho,

wird der erlesene Jünger, der die Lehre gehört hat, der körperlichen Form überdrüssig –

wird der Empfindung, der Wahrnehmung, der Gemütstätigkeiten, des Erkennens überdrüssig.

Überdrüssig wird er reizfrei. Infolge seiner Reizfreiheit löst er sich (von den fünf Haftensgruppen) los.

Im Losgelösten entsteht das Wissen von seiner Erlösung:

‚Vernichtet ist die Geburt. ausgelebt das heilige Leben, getan habe ich, was mir zu tun oblag,

ich habe nichts mehr mit dieser Ordnung der Dinge gemein‘, so erkennt er. –

Was meinst du nun, Anuradho,

siehst du die körperliche Form eines Vollendeten als den Vollendeten an?« –

»Nein, oh Herr.« –

»Siehst du die Empfindung – die Wahrnehmung – die Gemütstätigkeiten – das Erkennen eines Vollendeten

als den Vollendeten an?« –

»Nein, oh Herr.« – »siehst du einen – (lebenden) – Vollendeten als ohne körperliche Form, ohne Empfindung, ohne Wahrnehmung, ohne Gemütstätigkeiten, ohne Erkennen an?« –

»Nein, oh Herr.« –

»Da nun, Anuradho, ein Vollendeter schon in seiner gegenwärtigen Erscheinungsform

in Wahrheit und Wirklichkeit nicht ausfindig zu machen ist,

war es da recht von dir, zu sagen:

‚Freunde, ein Vollendeter, ein Übermensch, ein höchster Mensch, einer, der das Endziel erreicht hat,

ist in einer anderen Weise als durch die folgenden vier bestimmbar:

‚Ein Vollendeter ist nach dem Tod‘ –

‚Ein Vollendeter ist nicht nach dem Tod‘ –

‚Ein Vollendeter ist und ist nicht nach dem Tod‘ –

‚Weder ist noch ist nicht ein Vollendeter nach dem Tod?« –

»Gewiß nicht. oh Herr.« (Sam. Nik. XLlV, 2)

 

So ist es also in die Augen springend,

daß nach dem Buddho ein Erlöster als solcher schlechthin jeder Erkenntnis

und damit jeder Begriffsbestimmung entzogen

und eben deshalb auch atakkavacara ist, nicht im Bereiche des logischen Denkens liegt.

 

V.

In dieser Weise illustriert der Buddho den Sinn und die Tragweite von atakkavacara

auch direkt in dem oben unter Ill, 2 genannten 72. Dialog des M.N.

Der Wanderasket Vacchagotto fragt ihn:

»Ein geisterlöster Mönch, oh Gotamo, wo ersteht der?«  –

»Erstehen, das trifft nicht zu«, erwiderte ihm der Buddho.

Nun fragt Vaechagotto weiter: »Dann ersteht er nicht, oh Gotamo?« –

»ersteht er und ersteht er nicht« –

»ersteht er weder noch ersteht er nicht?«

Auf jede einzelne dieser Fragen antwortet der Buddho wiederum:

»Das trifft nicht zu.«

Als Vacchagotto darauf erwidert, das könne er nicht verstehen, das verwirre ihn,

spricht der Buddho eben die Worte: »Dieses Ding, Vacchagotto, ist tief, schwer zu sehen,

schwer zu entdecken, friedvoll, hocherhaben, nicht im Bereich des logischen Denkens (atakkavacaro),

fein, nur von Verständigen zu erfahren«

und illustriert nun »dieses Ding« und damit die Bedeutung von atakkavacara

durch das Beispiel des ausgegangenen Feuers,

das ja auch schlechthin unerkennbar geworden und damit dem logischen Denken restlos entrückt ist.

Darauf fährt er fort: »Geradeso, Vaccho, verhält es sich mit einem Vollendeten,

seine körperliche Form – seine Empfindungen –

seine Wahrnehmungen – seine Gemütstätigkeiten – sein Erkennen,

die man etwa im Auge haben könnte, wenn man von ihm spricht,

sind abgetan, von Grund aus annulliert, einer entwurzelten Palme gleichgemacht,

jenseits jeder Möglichkeit, in Zukunft je wieder erstehen zu können,

und so von dem,

was man körperliche Form – Empfindung – Wahrnehmung – Gemütstätigkeiten – Erkennen nennt,

losgelöst, ist ein Vollendeter gar tief, unermeßlich, unergründlich wie der große Ozean.

Es träfe nicht zu, zu sagen: ‚Er ersteht‘,

es träfe ebenso wenig zu, zu sagen: ‚Er ersteht nicht‘ – ‚er ersteht und ersteht nicht‘ –

‚weder ersteht er, noch ersteht er nicht‘.«

 

Kann nach alledem ein Begriff und seine Tragweite genauer umrissen sein als der von atakkavacara?

Wer sollte da noch von »der Logikunfähigkeit der Buddhalehre« sprechen können!

 

  1. Das Verhältnis der Lehre des Buddha an den Upanischaden

lm Vorstehenden ist die reine Lehre des Buddho dargestellt worden,

ohne daß, entgegen dem sonst allgemein gepflegten Brauch,

auf ihr Verhältnis zu den religiösen und philosophischen Anschauungen,

wie sie zur Zeit des Auftretens des Buddho in Indien herrschten, eingegangen worden wäre.

Nur durch diese Heraushebung aus dem ganzen Milieu, in welchem sie in die Welt eintrat,

war es möglich, sie als die ewig-gültige, »zeitlose Wahrheit«,

wie sie der Buddho selbst nennt, die ihre Beglaubigung in sich selbst trägt, aufzuzeigen

und so das Vorurteil zu zerstören,

als ob auch die Lehre des Buddho, wie andere philosophische Systeme,

ganz oder doch zum Teil ein Erzeugnis des Geistes ihrer Zeit und ihres Landes,

der im Buddho bloß seinen klarsten Interpreten gefunden habe,

somit zeitlich und räumlich bedingte Wahrheit sei,

die eben deshalb auch nur im Zusammenhang mit ihrer Zeit und ihrem Land,

also als historische Erscheinung und damit in historischer Darstellungsweise begriffen werden könne,

wie das bei uns zu Lande die gemeine Meinung ist.

 

Dabei geht man in der Verkennung des Charakters der Lehre des Buddho soweit,

daß man die in den Upanischaden niedergelegten

philosophischen und religiösen Anschauungen des Brahmanismus,

wie sie zur Zeit des Buddho herrschten, über seine Lehre stellt,

ja, mit der letzteren

bereits den Verfall der philosophisch-religösen Entwicklung des alten Indien beginnen läßt.

 

Es dürfte deshalb für manche Leser nicht unerwünscht sein,

das Verhältnis der Lehre des Buddho zu den Upanischaden, wie es wirklich ist, kennen zu lernen.

Für sie ist dieser Anhang bestimmt,

der, wenn auch nur skizzenhaft, aber doch so, daß die prinzipiellen Differenzpunkte scharf hervortreten,

dieses Verhältnis behandelt,

selbstverständlich ist dabei die genaue Kenntnis des vorliegenden Werkes vorausgesetzt.

 

I.

Auch die Verfasser der Upanischaden

sind den richtigen Weg zur Lösung des Rätsels unseres Daseins gegangen,

indem sie als Grundproblem nicht aufgestellt hatten:

»Was ist die Welt«, sondern: »Was bin ich?«

Auch sie hatten weiterhin dieses Ich – den Atman – dadurch aufzufinden gesucht,

daß sie von ihm alles absonderten, was nicht-ich ist.

Aber sie kamen hierbei nur bis zu einem gewissen Punkt:

Nachdem sie die Außenwelt, den eigenen Leib, die Sinne,

das Zentralorgan des bewußten und das des unbewußten Lebens vom Atman losgelöst hatten *,

* Deussen: System des Vedanta, 2. Aufl., S. 60 f.

blieb ihnen schließlich als ihr eigentliches Wesen reines Erkennen, reine Geistigkeit (caitanyam)

oder »das Erkenntnis-selbst« (prajnatman):

»Alle ein Salzblock kein (unterschiedliches) Innere oder Äußere hat,

sondern durch und durch ganz aus (Salz-)Geschmack besteht,

so, fürwahr, hat auch dieser Atman kein (unterschiedliches) Innere oder Äußere,

sondern besteht durch und durch ganz aus Erkenntnis *« (* Brih. Up. 4, 5, 13.)

das heißt, wie Shankara, der berühmte Kommentator der Brahma-Sutras sagt *: (* Deussen, l. c. S. 229.)

»Dieser Atman ist durch und durch nichts anderes als Geistiges;

das Geistige ist seine ausschließliche Natur, wie der Salzgeschmack die des Salzklumpens.«

Zwar wird er daneben auch noch als attributlos, gestaltlos, unterschiedslos und bestimmungslos definiert:

»Er ist nicht grob und nicht fein, nicht kurz und nicht lang;

er ist nicht so und nicht so (neti neti) *«, (* Brih. Up. 3, 8, 8; 2, 3, 6.)

aber doch nur unbeschadet seiner Wesenheit als reiner Geistigkeit.

Weil er im Erkennen besteht,

ihm also »das Erkennen, wie der Sonne das Leuchten, als ewige Wesensbestimmtheit einwohnt *«.

* Worte Shankaras: Deussen, l. c. S. 147.

deshalb bedarf er an sich auch keiner Organe zum Erkennen

und wird auch nicht durch die Abwesenheit aller Erkenntnisobjekte berührt:

»Wenn er dann nicht sieht. so ist er doch sehend. obschon er nicht sieht;

denn für den (wesenhaft) Sehenden ist keine Unterbrechung des Sehens möglich.

Aber es ist kein Zweites außer ihm, kein anderes, von ihm Verschiedenes, das er sehen könnte *«.

* Brih. Up. 4, 3, 23.

Zugleich soll dieses so gefundene wahre selbst völlig wunschlos sein

und in dieser »Vollbefriedigung« (samradhanam) die höchste Seligkeit (ananda) genießen:

»es ist aus Wonne bestehend«. (anandamaya *) (* Brih. Up. 4, 4. 6; Tait. Up. 2, 5.)

 

Natürlich war all das keine reine Spekulation, sondern basierte auf anschaulicher Erkenntnis,

gewonnen durch tiefe Versenkung – pra-ni-dhanam – des Yogin in sich selbst.

Es bedarf wohl nur des Hinweises, um ohne weiteres erkennen zu lassen,

daß diese Versenkung eben jene ist,

welche in der Lehre des Buddho als »der Bereich der Weder-Wahrnehmung-noch-Nicht-Wahrnehmung«

(nevasanna-nasannayatanam) – cfr. oben S. 254, Anm. 49 – beschrieben wird.

In ihr ist der Mönch reines Erkennen »ohne Objektwahrnehmung *«,

* cfr. M. N., 121. Suttam: »animittam cetosamadhima (Acc.)

= Konzentration des Geistes, wobei weitere Objektwahrnehmung aufhörte (Franke, S. 68, Anm. 4).

also, um im Sinn der Upanischaden zu sprechen, reine Erkenntnismasse geworden:

der Yogin identifizierte sich offenbar mit dem auf dieser Stufe

in seiner ganzen Reinheit

strahlenden »unerkennbaren, von allen Seiten leuchtenden« Element des Erkennens *.

* cfr. ob. S. 59, Anm. 61; S. 232, Anm. 3; S. 286 f.

Zugleich ist auf dieser Stufe auch die vorgenannte Vollberuhigung des Yogin eingetreten,

da man auch zu ihr nur durch Stillung aller Sinnentätigkeiten,

in denen sich ja alles Verlangen betätigt, gelangen kann:

»Es ist alles Wahrnehmung.

Wo diese ohne Überreste aufgeht: das ist das Friedvolle,

das ist das Hocherhabene, jener Bereich der Weder-Wahrnehmung-noch-Nicht-Wahrnehmung *.«

* Majj. Nik. Il, p. 264 (106. Suttam).

 

Auf dieser realen Basis. die man übrigens auch im traumlosen Tiefschlaf,

»wenn er eingeschlafen keine Begierde mehr empfindet und kein Traumbild schaut *«, (* Brih. Up. 4,3,20)

wiederzufinden glaubte, indem auch da das Erkennen ihm wesentlich bleibe,

aber, mangels eines Objektes, nur keine Gelegenheit habe, sich zu betätigen *,

wurde nun das System im Übrigen aufgebaut.

* Unser wahres Verhältnis im Tiefschlaf, wie es sich nach dem Buddho darstellt,

läßt sich, wenn man mit X das transzendente ich,

mit O den körperlichen Organismus als Sechssinnenmaschine

und mit W die Welt bezeichnet, also durchsichtig machen:

O ist in relativer Ruhe; damit ist die Verbindung mit W aufgehoben; damit bleibt X ungestört.

– In Wahrheit schlafe also nicht ich, sondern der körperliche Organismus schläft.

»Ich schlafe«, sage ich nur, sofern ich mich mit ihm identifiziere. –

Wenn man den körperlichen Organismus eines schlafenden Heiligen,

für ihn unmerkbar, auf immer zum Stillstand brächte,

also das herbeiführte, was man Sterben nennt,

dann würde der Heilige selbst dadurch in keiner Weise berührt:

Nibbanam wäre unmerkbar in Parinibbanam,

in die ewige Befreiung vom körperlichen Organismus, übergegangen.

 

Schien auf diese Weise nämlich unser innerster Kern, also das wahre selbst, aufgedeckt,

dann war für den Inder

damit auch ohne weiteres das letzte Prinzip der Welt selbst, die Weltseele (Brahman), ermittelt.

Denn als Weltprinzip muß es in allem in der Welt aufzufinden sein,

in der »Sonne am Firmament« so gut wie »im Luftraum«,

vor allem aber auch in uns selbst, die wir ja auch zur Welt gehören *. (* Kath. Up. 5, 1-3.)

Wenn ich mich erkenne, erkenne ich mithin damit zugleich den letzten Urgrund der Welt,

oder anders ausgedrückt: das Weltprinzip muß sich mit dem ich-Prinzip decken:

Wie man ein im Wasser aufgelöstes Stück Salz nicht mehr finden kann,

aber es doch noch im Wasser vorhanden ist, was sich durch den salzigen Geschmack anzeigt,

»so nimmst du auch das Seiende hier (im Leib) nicht wahr, aber es ist dennoch darin.

Was jene Feinheit ist, ein Bestehen aus ihm ist dieses Weltall,

das ist das Reale, das ist das Ich, das bist du (tat tvam asi), Shvetaketu *.« (* Chand. Up. 6, 13, 2.)

 

Damit ergab sich also lückenlos die Gleichung Atman – Brahman,

mit der Folge, daß auch dieses letztere, trotz seiner Unerkennbarkeit im Übrigen, als reine Geistigkeit,

als »das große, endlose, uferlose, durch und durch Erkenntnis seiende Wesen *« zu bestimmen ist,

* Brih. Up. 2, 4, 12.

und in dem Sinn, daß mein wahres Ich

»nicht ein Ausfluß, nicht ein Teil des Brahman, sondern voll und ganz dieses selber ist *.«

* Deussem l. c., S. 107.

 

Gibt es aber so in Wahrheit nur »Eines ohne ein Zweites *«, (* Chand. Up. 6, 2, 1.)

dann war eben damit auch die Vielheit der Erscheinungswelt

oder die empirische Realität als bloßer schein, als Blendwerk, maya, erwiesen,

»welches Brahmane – oder der Atman – »als Zauberer (mayavin)« –

im Zustand des Nichtwissens (avidya) – »aus sich heraussetzt, wie der Träumende die Traumgestalten *«.

* Deussen, l. c., S. 107.

Die in Namen und Gestalten ausgebreitete Welt ist also gar nicht die wirkliche Welt,

sondern eine bloße wesenlose Phantasmagorie, die sich bloß als Welt gibt.

Die Welt selbst ist ein einiges Geistiges.

In ihr »ist der Vater nicht Vater und die Mutter nicht Mutter,

die Welten sind nicht Welten, die Götter nicht Götter …

der Dieb ist nicht Dieb, der Mörder nicht Mörder … der Asket nicht Asket, der Büßer nicht Büßer *.«

* Brih. Up. 4, 3, 22.

 

Hiermit war dann zugleich dem Willen in uns der Weg gewiesen,

wo allein er Befriedigung zu erhoffen hatte.

Er ist so grenzenlos wie unser Wesen.

Aus dem er hervorquillt, und will letzten Endes das Wirkliche, nicht den Schein.

Er kann also auch völlig und für immer nur befriedigt werden,

wenn er die ganze Welt, und zwar die wirkliche Welt gewonnen hat:

»Die Lust« – also die Befriedigung des Willens –

»besteht nur in der Unbeschränktheit, nicht in dem Beschränkten;

sie aber (die Unbeschränktheit) ist unten und ist oben,

im Westen und im Osten, im Süden und im Norden, sie ist diese ganze Welt *.« (* Chand. Up. 7, 23-25.)

Diese ganze Welt sind aber, wie angegeben, nicht die sich als Welt bloß gebenden Trugbilder der Maya

– das Jagen nach ihnen ist vielmehr als eine Jagd nach bloßen Phantasmagorien töricht und leidvoll -, sondern die wirkliche und ganze Welt ist das Wesenhafte der Welt, also das Brahman.

Es muß also errungen werden. errungen werden durch die Erkenntnis,

daß »das Brahman der Atman ist *«, * Nris. Up. 9.

daß ich selbst in meinem tiefsten Grunde diese Welt ja schon bin.

Ist sie« errungen, ist damit »einem alles zum eigenen selbst geworden *«, (* Brih. Up. 2, 4. 14.)

kann man so sagen:

»Wozu brauchen wir Nachkommen, wir, deren Ich diese Welt ist? *«, (* Brih. Up. a, 4, 22.)

dann ist unser Wille in seiner ganzen Unersättlichkeit für immer befriedigt;

denn wir haben alles-, die ganze Welt. für uns gewonnen:

»Die Welt gehört ihm, weil er selbst die Welt ist *.« (* Brih. Up. 4, 4, 13.)

»Wer solches weiß, der ist ohne Verlangen, frei von Verlangen, gestillten Verlangens,

selbst sein Verlangen; …

denn Brahman ist er, und in Brahman löst er sich auf *.« (* Nrisinha-uttarat. Up. 5 i. f.)

Eben hierdurch hat ein solcher dann auch die Erlösung (moksha) vom Welttreiben

und damit auch vom Samsara, der nun gleichfalls als bloße Illusion, als maya durchschaut wird, erreicht.

 

ll.

Die Würdigung dieser Anschauungen vom Standpunkte der Lehre des Buddho aus ergibt Folgendes:

  1. Zunächst sehen wir auch die Verfasser der Upanischaden

in den Grundirrtum aller Völker und Zeiten verstrickt, unser innerstes Wesen bestehe im Erkennen,

sie haben also in Wahrheit ein durch unseren Willen

und den von diesem erbauten körperlichen Organismus bedingtes, also tertiäres Phänomen,

zum primären, ja zum eigentlichen Wesen des Menschen gemacht,

indem auch sie, um mit Schopenhauer zu reden,

ihr höchstes innerstes Wesen vom Verstande nicht trennen wollten *.

* Frauenstaedt, Schopenhauers handschriftl. Nachl., S. 230.

 

  1. Dieses unser angeblich eigentliches Ich soll mit dem Weltprinzip identisch sein.

 

Das Weltprinzip ist wohl zu unterscheiden von der Erscheinungswelt.

Diese letztere definiert der Buddho also: »Was der Auflösung unterworfen ist –

(also das Vergängliche) – das wird im Orden des Heiligen die Welt genannt *.« (* Samyutta Nik. XXXV, 84)

Das Weltprinzip aber ist das dem Vergänglichen zugrunde Liegende.

Und dieses erklärt der Buddho ausdrücklich als unerkennbar!

Denn die Welt als solche. also eben das Weltprinzip, gehört nach ihm zu den vier unerfaßbaren Dingen, mit denen sich zu befassen Verstörung mit sich bringt *. (* cfr. ob. S. 11 flg.)

Das ist übrigens nur die notwendige Konsequenz der Unerkennbarkeit unseres eigenen Ich.

Denn weil dieses unerkennbar ist,

ist natürlich auch das den vergänglichen Bestandteilen jedes anderen Wesens zugrunde liegende Prinzip

und ist damit auch das Verhältnis aller dieser Prinzipien untereinander,

was man eben als Weltprinzip bezeichnet, unerkennbar.

Man kann nicht sagen, daß sie eines, man kann aber auch nicht sagen, daß sie verschieden seien,

weil ja, wie alle Begriffe überhaupt,

so speziell auch diese dem Bereich des Erkennbaren entnommen sind,

also auch nur für diesen Bereich überhaupt einen Sinn haben.

Was schlechterdings unerkennbar ist, ist eben deshalb auch für keinen Begriff erreichbar *.

* s. »Uddhistische Weisheit«, § 34.

Das »Tat tvam asi« ist mithin selbst noch eine Illusion,

selbst noch ein Blendwerk des Nichtwissens, maya,

und die auf ihm aufgebaute Identitätsphilosophie eine leere Spekulation.

Im Geiste des Buddho wäre dieses »Tat tvam asi«

vielmehr mit den Worten abzufertigen: »‘ich bin du‘ das trifft nicht zu.

‚Ich bin nicht du‘: das trifft nicht zu.

‚Ich bin du und nicht du‘: das trifft nicht zu.

»Ich bin weder du noch nicht du‘: das trifft nicht zu *.«

* Hieraus kann man zugleich ersehen,

wie verkehrt, ja, gegen ein Grundprinzip des Buddho verstoßend,

die in manchen Übersetzungen aus dem Pali-Kanon, insbesondere auch der Neumannschen,

sich findende Redewendung »sich in allem wiedererkennen«, ist,

wie denn in Wahrheit im Urtext auch nichts davon steht. (cfr. Franke, s. LVlI. letzte Zeile).

 

Man kann nicht einmal das Verhältnis unseres eigenen Ich-an-sich zu den vergänglichen Bestandteilen unserer Persönlichkeit

und damit zur ganzen Erscheinungswelt erschöpfend bestimmen,

insbesondere nicht etwa einfach als maya bezeichnen,

obwohl in diesem Gedanken sicherlich ein gut Teil Wahrheit steckt.

Denn die restlose Aufhellung des Verhältnisses,

in dem wir zu unserer Persönlichkeit und damit zur Erscheinungswelt stehen,

würde ja die Erkennbarkeit unseres eigenen Wesens voraussetzen:

wenn von zwei Größen die eine völlig unbekannt ist,

so ist es eben deshalb auch unmöglich, das Verhältnis beider zueinander zu bestimmen:

Nur soviel kann man einwandfrei feststellen.

das auf jeden Fall unsere Persönlichkeit und damit die gesamte Erscheinungswelt,

die sich ja nur in dem Bewußtsein der Persönlichkeit darstellt, nicht wesenhaft zu uns gehört, anatta ist.

 

Aus der völligen Unerkennbarkeit unseres Ich ergibt sich aber noch eine weitere wichtige Tatsache:

Obwohl auch der Buddho den Urgegensatz

zwischen dem Ich-an-sich und der Erscheinungswelt, zu der auch die Persönlichkeit gehört, lehrt,

– »die ganze Welt ist nicht mein Ich *« – (* s. ob. S. 121.)

so ergibt dieser Gegensatz doch keine Zweiheit, so wenig als Nicht-Welt und Welt.

Null und Eins, oder Nichts und ein Etwas eine Zweiheit ergeben.

Denn das Ich ist ja eben für die Erkenntnis eine Null, ein Nichts,

das selbst wieder nur ein nichts Erkennbares bedeutet *. (* Vgl. »Buddhist. Weisheit«, § 31.)

 

Eben deshalb denkt ja auch der richtig denkende Buddha-Jünger an sein Ich nie und unter keinen Umständen in der Form des Ich-Begriffs, sondern immer nur in der Form des Nicht-Ich-Begriffs.

Alles, was nur immer in sein Bewußtsein eintreten kann. löst nur noch den Gedanken aus:

»Das ist nicht mein Ich *.«

«- s. ob. S. 140; insbesondere aber auch die sehr wichtigen Ausführungen

in des Verfassers »Wissenschaft des Buddhismus«, S. 20, 230, 474.

Eben deshalb stellt er dieses sein Ich auch schlechterdings bei keinem positiven Begriff,

also auch nicht bei dem der Zweiheit, irgendwie in Rechnung. –

Wenn es, wie nicht, möglich wäre, das Ich zu erkennen,

so würde man lächeln, wie es Leute geben könne, die vom Ich und der Welt als von einer Zweiheit reden,

so gut, wie man lächeln würde, wenn andere das Ich und die Welt als eine Einheit bezeichneten.

Auch diese Begriffe passen ja nur für Verhältnisse innerhalb der Welt, darüber hinaus gilt:

»So zu sagen, wäre eine Ansicht und somit ungehörig *.« (* s. ob. S. 135 flg.)

So begreift es sich insbesondere auch, das der Buddho keine andere Zweiheit

als die von Auge und Gestalt, Ohr und Ton usw. anerkennt: eine andere »Zweiheit« gibt es nicht *,

* Samyutta Nik. vol. IV. p. 67 (XXXV, 92).

wozu Neumann sehr richtig bemerkt *: (* Suttanipato. Anm. zu V. 992.)

»Schärfer ist kein Stempel der vollkommenen Immanenz je geprägt worden.«

 

  1. Den Verfassern der Upanischaden

gilt die Notwendigkeit der Willensbefriedigung für so selbstverständlich,

daß sie gar nicht auf den Gedanken der Willensvernichtung

und damit auf das Problem des Willens als des Urgrundes des phänomenalen Teiles von uns kamen.

Das Problem war für sie vielmehr nur, wie der Wille bei seiner Unersättlichkeit,

dem schließlich nur die ganze Welt genügen könnte, restlos befriedigt werden könne.

sie lösten es eben durch die Aufstellung der These, das wir ja bereits die ganze Welt seien,

demzufolge wir das, wonach unser äußerstes Verlangen geht, in Wahrheit schon besitzen.

Damit ist dann freilich für denjenigen, der sich ganz in diese Illusion hineinzuleben vermag,

der Wille gestillt:

der gewähnte Besitz eines Objektes befriedigt den Willen genau so,

wie die wirkliche Erreichung desselben:

aber er ist nicht vernichtet.

Mit dem Schwinden der Illusion muß er vielmehr unfehlbar, da er sich dann ja betrogen sieht,

mit aller Gewalt wieder neu hervorbrechen.

Dieses Schwinden der Illusion muß aber unweigerlich einmal eintreten,

so sicher als ein Irrtum nicht lebensfähig ist, wenn nicht in diesem Leben, so in einem späteren.

 

  1. Auch die von den Upanischaden gelehrte Erlösung vom Samsara ist nämlich ein bloßer Wahn.

Ist der Yogin in Wahrheit ja nicht aus der Welt und damit dem Bereich des Samsara herausgetreten, sondern hat sich nur

in den Bereich der Weder-Wahrnehmung-noch-Nicht-Wahrnehmung zurückgezogen,

wobei er wähnt:

»Hier ist das Ewige, hier das Beharrende, Immerwährende,

hier ist die Unauflösbarkeit und Unvergänglichkeit *.« (* Majj. Nik. I, p. 326 (49. Suttam))

Und weil er sich so noch innerhalb der Welt, ja, als die Welt selbst weiß, deshalb wird er auch nicht müde,

dieses sein vermeintliches selbst in überschwenglichen positiven Ausdrücken zu schildern

als »das große, endlose, uferlose, durch und durch Erkenntnis seiende Wesen *«,

* cfr. damit den Bereich der Grenzenlosigkeit des Bewußtseins oder Erkennens –

  1. S. 253, 358, 369. Anm. 166.

als »Tat tvam asi«, als das Brahman, als die coineidentia oppositorum * usw., (* Isha-Up. 4-5.)

im Gegensatz zu dem wahrhaft Erlösten, der schon bei Lebzeiten alles hinter sich gelassen hat,

insbesondere auch, als auf Unmögliches gehend,

jeden Versuch, seine ewige Heimat, in die er sich zurückgezogen hat, irgendwie positiv zu bestimmen.

Der Yogin hat mithin noch Lust an etwas, das er an sich sieht, beziehungsweise zu sehen vermeint,

nämlich seiner reinen Geistigkeit und Identität mit der Welt.

In dem Besitz dieser beiden Qualitäten schwelgt er.

Das ist aber gerade das, was der Buddho Durst nennt,

ganz abgesehen davon, daß, wie oben angegeben,

auch sein Wille im Übrigen nur beruhigt, nicht vernichtet sein mag,

er also auch insoweit »den Banden des Begehrens doch etwa anhänglich angehangen ist *.«

* Majj. Nik. Il, p. 237 (102. Suttam).

Damit steht aber fest, das auch er noch anhangt,

wenn es auch »das beste Anhangen ist, woran ein solcher anhänglich anhangt.

Hangt er aber an, so kann er nicht erlöschen *«.

* Majj. Nik. II, p. 265 (106. Suttam).

Er wird vielmehr bei seinem Tod gemäß der Art seines Durstes,

ganz im Einklang mit seiner eigenen Lehre im Übrigen –

»das Sein, an welches denkend er aus diesem Leben scheidet,

in dieses Sein wird jedes Mal er drüben eingekleidet *«  – (* Bhagavadgita 8, 6.)

in einem seiner Auffassung von seinem eigentlichen Wesen entsprechenden Zustand,

also dem reinster Geistigkeit.

und damit in einem Brahman-Himmel, wiedergeboren.

der natürlich, wie alles in der Welt, auch seinerseits wiederum ein Ende nehmen wird,

so daß sein Samsara sich fortsetzt,

in dessen Verlauf er bei der unvermeidlich wieder eintretenden Vergröberung des Durstes

neuerdings bis zu den »verstoßenen Daseinsarten« hinuntergleiten kann:

die Kette läuft nach wie vor ins Unendliche hinein fort.

Und warum das?

Weil sein Brahman-Wissen

keine allumfassende Erkenntnis der Vergänglichkeit und damit der Leidensnatur

und damit der Unangemessenheit alles Gewordenen,

insbesondere auch der höchsten Geistigkeit, darstellt,

vielmehr eben an der letzteren, also dem Zustand der Weder-Wahrnehmung-Nicht-Wahrnehmung,

indem er ihn für unvergänglich wähnte, seine Grenze fand.

 

  1. Hiernach hat also die Erreichung dieses Zustandes

und damit auch der von den Upanischaden eingenommene Standpunkt überhaupt

für die Erlösung selbst nicht den geringsten Wert,

wie den »Bereich der Weder-Wahrnehmung-noch-Nicht-Wahrnehmung« nach dem Buddho

denn auch jeder Weltling erreichen kann.

Es gehört nicht mehr dazu als die Pflege äußerster Konzentration bis zu dem Grad,

das nur noch der reine Erkenntniswille ohne jegliche Objektwahrnehmung in uns tätig ist,

alle übrigen Willensregungen also vorübergehend beschwichtigt sind.

Eben deshalb hat es auch der Brahmanismus nicht zu einer eigentlichen Moral gebracht,

wenn natürlich auch der majestätische Friede,

der sich auf der Höhe des Reiches der Weder-Wahrnehmung-noch-Nicht-Wahrnehmung einstellt,

denen, die ihn erreicht hatten, jeden äußeren Besitz als schal und leer erscheinen ließ.

Die Grundanschauung des Brahmanismus vermag eben das oberste Gesetz aller echten Moral:

»Du sollst nicht Wollen *«

* cfr. Frauenstaedt, Schopenhauers handschriftl. Nachlaß, S. 162, auch ob. S. 273.

dieses Gesetz bildet den untrüglichen Probierstein

für die Bewertung aller religiösen und philosophischen Systeme:

je weniger es aus ihnen als unvermeidliche Konsequenz hervorquillt,

desto weniger sind sie wert – nicht zu tragen.

lm Gegenteil erscheint in ihr jener in uns hausende dunkle Drang nach der Welt.

Der letzten Endes erst mit dem Besitz der ganzen Welt zufriedengestellt werden könnte

und den der Buddho eben Durst nennt,

als die notwendige

und damit berechtigte Äußerung unseres in Wahrheit mit der ganzen Welt identischen Wesens,

das, aus Nichtwissen sich individualisiert wähnend,

in diesem Durst sich wieder zu sich selbst zurückzufinden sucht.

Er soll also nicht nur nicht. Wie nach dem Buddho, als verkehrt vernichtet,

sondern im Gegenteil um jeden Preis befriedigt werden,

wobei allerdings diese Befriedigung nur dadurch zu erreichen ist,

daß das Wissen aufgeht, das aller äußere Besitz nur Blendwerk ist

und ich in Wahrheit schon die ganze Welt bin.

Daraus ergibt sich aber dann doch, daß für denjenigen, der dieses Wissen nicht zu erreichen vermag,

die Befriedigung

seines an sich berechtigten Durstes vermittels Aneignung der trügerischen Gebilde der Maya

nichts Verwerfliches sein kann,

so wenig man den tadeln kann, der mangels genießbarer Speise seinen Hunger

durch Kauen an sich ungenießbarer Stock zu lindern sucht. –

Aus dem »Tat tvam asi«

kann nicht einmal zwingend das Verbot, dem Nächsten zu schaden, abgeleitet werden;

denn der Erwägung:

»Wer allerorts den höchsten Gott gefunden,

Der Mann wird durch sich selbst sich selber nicht verwunden *« (* Bhagavadgita 13, 28.)

kann man auch die andere gegenüberstellen, daß ja auch diese Verwundung nur maya sei

und übrigens das in meiner Individualität infolge der Verwundung meines Feindes eintretende Wohlgefühl

das in dessen Individualität verursachte Schmerzgefühl ausgleiche, wenn nicht überwiege.

Speziell die erstere Konsequenz ist denn auch in der Tat schon zu des Buddho Zeiten

von jenen gezogen worden, die da lehrten:

»Wenn auch einer mit scharfem Schwert das Haupt abschlägt,

so raubt keiner irgendwem das Leben,

nur eben zwischen dem Abstand der sieben Elemente fährt das Schwert hindurch *.«

* M. Nik., 76. Suttam.

 

Alle diese schlimmen Konsequenzen sind die Folge davon,

das »die Altmeister der drei Veden, auf halbem Wege, stehen geblieben sind,

sie haben zwar das Richtige, nämlich unser eigenes Ich, und haben es auf dem richtigen Weg gesucht,

nämlich dem indirekten der Absonderung der Bestandteile des Nicht-Ich,

welche Bestandteile der Vedanta upadhis nennt *.

* Dieses Wort ist sehr bezeichnend.

Es heißt wörtlich »Beilegung (mit dem Nebenbegriff des Unerlaubten),

vermöge deren wir dem Brahman ‚beilegen‘, was ihm seiner Natur nach nicht zukommt«.

(Deussen, System des Vedanta, S. 327) –

Auch der Buddho nennt die fremden Bestandteile, mit denen wir uns bekleidet sehen, »upadhi«,

ein Wort, das ebenfalls »Beilegung« bedeutet

(upa + dha; dabei ist upa »prefix denoting nearness or elose touch«.

[Rhys Davids, Pali-English Dictionary, unt. upa]).

So erklärt der Buddho insbesondere als Ziel der Heiligkeit »die Loslösung von allen Beilegungen«:

»Dies ist das Friedvolle, dies das Hocherhabene,

nämlich der Stillstand aller organischen Prozesse – sabbasankharasamatho

– die Loslösung von allen Belegungen (sabbupadhi-patinissaggo)«. –

Nach dem buddhistischen Kanon gibt es vier Arten von upadhis,

also von Bestimmungen, die uns im Grunde nicht zukommen:

die fünf Gruppen (khandha), die Sinnenobjekte,

als Objekte des Begehrens Sinnengenüsse (karna) genannt,

die der Geistes-(- Erkenntnis-)Tätigkeit anhaftenden moralischen Gebrechen (kilesa)

und endlich das Wirken (kammam). –

Im Kanon findet sich auch noch die Form npadi, von upa + a + da,

in den Wendungen »sa-upadisesa- und anupadisesa-nibbanadhatu«.

Die Bedeutung ist die gleiche wie die von upadhi:

der noch mit Beilegungen, Bestimmungen, behaftete Nirvana-Bereich

und der von allen Beilegungen freie Nirvana-Bereich. (Vgl. Oldenberg, S. 334, Anm. 1).

Speziell »upadhi« wird vielfach in einer Weise wiedergegeben,

daß man seine eigentliche, so überaus markante Bedeutung gar nicht mehr erkennt.

So übersetzt es Nyana-tiloka – Zweier-Buch, S. 4 –

mit »Dasein« anderweit mit »Daseinssubstrate«.

Aber sie blieben bei ihrer Suche noch innerhalb der Welt stehen,

gleich allen übrigen aller Zeiten und Völker.

Allerdings unterscheiden sie sich von diesen selbst wieder eben dadurch,

daß sie sich wenigstens auf dem richtigen Wege befanden:

»Freilich hat dieser Ehrwürdige vom Pfad gesprochen, der zur Erlöschung eben hinleitet«,

sagt der Buddho selbst

von einem solchen nach seiner eigenen Meinung ans Ziel gelangten Brahmanen *.«

* Majj. Nik. II, p. 237 (102. Suttam).

Aus diesem Grund bringt denn auch der Buddho sich nie in einen Gegensatz zu den echten Brahmanen. also jenen, die aufrichtig und ernstlich

ihr Ich aus dem Netz der Bestandteile des Nicht-ich herauszuziehen suchen,

verlangt vielmehr nur, daß man ein echter und rechter, ein wahrer und ganzer Brahmana werde

– cfr. die herrlichen Verse im 98. Suttam des M. N., auch das 26. Kapitel des Dhammapadam –

das heißt, daß man den Weg bis ans wirkliche Ende gehe,

gleich ihm, dem Tathagato, der als erster von allen Göttern und Menschen ihn ganz zurückgelegt hat *.

* Hier muß man sich erinnern, daß »Tathagato« eigentlich »der so Gegangene« bedeutet

(cfr. ob., S. 143, Anm. 193).

 

Dann erst ist das Brahmanen-Ideal,

nämlich das Brahman in seinem eigentlichen und ursprünglichen Sinn,

sei dieser nun »das Losgelöste, das Absolutum«

oder »der« – in tiefer Versenkung – »zum Heiligen, Göttlichen emporstrebende Wille *«

* Deussen, l. c., S. 128.

in der Auffindung unseres wahren Atman verwirklicht:

»Wer dreifach Wissen nennt sein eigen,

Voll Frieden, neues Werden hat zerstört:

Auf solche Weise, wisse, oh Vasettho,

Ist Brahma und ist Sakko * recht erkannt.«

* Sakko, der König der Götter, ein anderer Name Indras.

sagt der Buddho selbst *. (* Vgl. Sutta Nipato, V. 656.)

 

Hiernach kann man den Dhammo die krönende Kuppel nennen,

welche sich über dem Lehrgebäude der Brahma-Sutras, soweit sie echt sind, erhebt.

 

 

  1. Das Problem der synthetischen Urteile

a priori im Licht der Lehre des Buddho

I.

Nach dem Buddho bin ich jenseits der fünf Gruppen, die meine Persönlichkeit ergeben,

und damit jenseits der Welt,

bin mithin schlechterdings nichts von der Welt, insbesondere auch nicht Wille, auch nicht Erkennen.

Weil ich so wesenhaft jenseits der Welt bin,

geht mir sogar die Fähigkeit ab, unmittelbar mit ihr in Berührung zu treten

und sie zu empfinden und wahrzunehmen,

kurz, mich ihrer bewußt zu werden oder sie zu erkennen.

 

Erst unter diesem Gesichtspunkt ist zunächst die Möglichkeit von Erkenntnistheorien gegeben,

  1. h. von Theorien zur Lösung des Problems,

wie ich zur Empfindung und Wahrnehmung, also zum Erkennen, komme

und auf welche Weise ich diese Funktionen vollziehe.

Bestände mein Wesen im Erkennen,

dann würde es keinem Menschen einfallen, Erkenntnistheorien aufzustellen,

so wenig als es jemand einfällt zu fragen, warum das Wasser naß sei.

Das Erkennen wäre eben mein Wesen und damit erschöpfend bestimmt. (cfr. oben S. 159)

 

Weil sonach das Erkennen nicht in meinem Wesen begründet ist,

deshalb entstand auch für den Buddho die Frage, wie ich denn dann zu dieser Funktion komme.

Er hat auch sie beantwortet, hat also ebenfalls eine Erkenntnistheorie gegeben,

ja, seine ganze Lehre ist nichts weiter als die in sich evidente Antwort auf diese Frage,

als die Theorie des Erkennens schlechthin,

verbunden mit dem Nachweis, daß die ganze Erkenntnistätigkeit leidvoll

und somit mir geradezu im höchsten Maß unangemessen ist,

weshalb ich, richtig betrachtet, nichts Besseres tun kann, als sie wieder einzustellen

und mich auf mein ureigenstes, auch über alles Erkennen erhabenes Wesen zurückzuziehen.

 

Diese Theorie des Erkennens ist nun aber die folgende:

Das Erkennen ist mir so wesensfremd,

daß ich dazu nur auf einem ganz komplizierten Umweg gelangen kann:

Ich muß zunächst empfinden und wahrnehmen, das heißt also erkennen wollen.

Ist dieser Wille – auf der Grundlage meines gegenwärtigen körperlichen Organismus – aufgestiegen,

dann erfolgt im Zeitpunkt des Todes im Wege des Anhaftens an einem neuen Keim

der Aufbau eines neuen Empfindungs- und Wahrnehmungs-Apparates.

Dieser Erkenntnisapparat löst durch das Ineinandergreifen der sechs Sinnesorgane

mit den ihnen entsprechenden Objekten ein »unendliches, von allen Seiten leuchtendes«,

im Übrigen aber »unerkennbares Element« aus,

in das die Objekte der Welt, einschließlich des Erkenntnisapparates selbst,

– vermittels der Sinnesorgane – erst eintreten müssen,

um in mir eine Empfindung und Wahrnehmung von ihnen entstehen zu lassen.

Da dieses Element so das Medium ist,

mittels dessen ich mir der Welt auf dem Wege der Empfindung und Wahrnehmung

bewußt werde oder sie erkenne,

deshalb heißt es das Element des Bewußtseins oder Erkennens.

 

Weil mir so die Erkenntnistätigkeit wesensfremd ist,

ich vielmehr zu ihr erst auf die beschriebene umständliche Art gelangen kann,

deshalb muß ich auch erst mühselig den Erkenntnisapparat gebrauchen lernen,

was besonders schwierig ist bei der höchsten Art der Erkenntnistätigkeit,

dem Denk-Erkennen oder, kurz, dem Denken:

»Das Denken ist das Allergräßlichste«, sagt ein Sprichwort eines afrikanischen Stammes:

wer einen schlechten Erkenntnisapparat hat, kann trotz aller Anstrengungen nur schlecht denken;

wem er ganz versagt, überhaupt nicht mehr,

wie das in der Redewendung zum Ausdruck kommt: »Ich kann nicht mehr denken.«

Wäre das Denken ein Ausfluß meines Wesens,

dann müßte jeder Mensch ohne jede Mühe erkennen können, eben weil sich in ihm sein Wesen betätigte.

Kann so der Normalmensch gewöhnlich nur unvollkommen denken,

so will der Heilige, wie überhaupt nicht mehr erkennen, so insbesondere auch nicht mehr denken.

Es ist auch ihm von seiner höchsten Warte aus,

nachdem es ihm eine Zeitlang »das Edelste« gewesen war,

indem es ihm dazu gedient hatte,

auch das Unangemessene aller Erkenntnistätigkeit selbst für uns zu durchschauen *,

* cfr. Dhammapadam, V. 1.

zum »Allergräßlichsten« geworden.

Deshalb wirft er denn auch den ganzen Erkenntnisapparat auf ewig weg,

er will auch vor dem Erkennen in jeder Form seine Ruhe haben.

 

II.

Vom Element des Erkennens läßt sich nur sagen, daß es »unendlich« und »von allen Seiten leuchtend« ist, im Übrigen aber ist es völlig »unerkennbar *«. (* cfr. ob. S. 59, 231 f., 286 f., 290 f.)

Es gehören ihm also auch insbesondere nicht Raum, Zeit und Kausalität,

auf die sich alle synthetischen Urteile a priori zurückführen lassen, als seine höchsteigenen Formen an,

wie Schopenhauer im Anschluß an Kant meint *. (* ex W. a. W. u. V. 1, S. 519 (559))

Vielmehr bildet diese Trias das Grundgerüst der Welt selbst.

Der Raum wird als ein eigenes der sechs die Welt konstituierenden Elemente,

und zwar neben dem Bewußtsein, aufgeführt:

»Folgende sechs Elemente gibt es, Mönche:

»Das Element der Erde, das Element des Wassers, das Element des Feuers, das Element der Luft,

das Element des Raumes *

* Auch dem Raum gegenüber bleibt die Grundwahrheit bestehen,

daß er für uns entsteht und vergeht,

also vergänglich ist,

weshalb auch ihm gegenüber der Greise Buddha-syllogismus gilt:

»Was vergänglich ist, das ist nicht mein Ich.«  Vgl. Samyutta Nik. XXVI, 9.

wo von dem Ursprung des Raum-Elements für uns – durch seinen Eintritt in unser Bewußtsein –

und seiner Aufhebung – durch den Austritt aus unserem Bewußtsein – die Rede ist.

und das Element des Erkennens (Bewußtseins) *.« (* Angutt. Nik. I, p. 175 f. (lll, 61: 6))

 

Das Erkennen erkennt also auch bloß diese Grundformen der Welt *.

* Du Prel – in seiner »Entwicklungsgeschichte des Weltalls«, S. 366, 373 –

bringt diesen Gedanken selbständig, wie folgt, zum Ausdruck:

Das Streben nach Wahrheit besteht darin,

»das im Reich des Gedankens

immer mehr der Irrtum als Widerspruch zwischen Vorstellung und Realität ausscheidet

und hierdurch der Wahrheit indirekt zum Sieg verholfen wird,

so daß im Verlauf der Kulturgeschichte die Welt unserer Gedanken, als Abbild der Realität,

in immer größere Harmonie mit dieser gesetzt wird,

bis schließlich vielleicht die Anpassung unserer Ideen an die Wirklichkeit eine vollkommene sein wird.

Es läßt sich demnach als Grundgesetz aller biologischen Entwicklung hinstellen,

daß mit der leiblichen Anpassung im Allgemeinen

die der Empfindungs- und Erkenntnisorgane Hand in Hand gehen

und die Entwicklung in intellektueller Hinsicht überall dahin zielen muß,

eine Übereinstimmung zwischen den allgemeinsten Formen

der äußeren Natur, Raum, Zeit und Kausalität, und den Erkenntnisformen herbeizuführen.

Nur ein Intellekt, der als Spiegel der Erscheinungen dieser vornehmsten Bedingung genügt,

macht seinen Träger existenzfähig;

es liegt dabei in der Natur der Dinge, daß die Erkenntnisorgane

ebenso sicher sich im biologischen Prozeß der Realität anpassen müssen

als die leiblichen Organe nach Maßgabe ihrer Funktion.«

Speziell der Raum wird – hier muß man sich erinnern,

daß das Bewußtsein oder Erkennen in Hinsicht auf die sechs Sinnesorgane, durch die es ausgelöst wird,

ein sechsfaches ist

– schon durch das bloße Denk-Erkennen allein erkannt,

ohne alle Zuhilfenahme des durch die fünf äußeren Sinne ausgelösten Erkennens:

»Und wer sich, Bruder, von fünf Sinnen losgelöst hat,

was kann der mit dem geläuterten Denkbewußtsein erkennen?« –

»Wer sich da, Bruder, von fünf Sinnen losgelöst hat,

kann mit dem geläuterten Denkbewußtsein in dem Gedanken ‚Grenzenlos ist der Raum‘

das Reich des Unbegrenzten Raumes erkennen,

in dem Gedanken ‚Grenzenlos ist das Bewußtsein‘ das Reich des unbegrenzten Bewußtseins,

in dem Gedanken ‚Nichts ist da‘ das Reich der Nichtirgendetwasheit – cfr. oben S. 254 f. – erkennen *.«

* Majj. Nik. I. p. 293 (43. Suttam).

 

Hiernach hat also das durch die Denktätigkeit ausgelöste Erkennen

nicht bloß die Eigenschaft eines Sammelbassins oder einer Zentralstelle

behufs Verarbeitung des von den fünf äußeren Sinnen gelieferten Materials – cfr. oben S. 39 unten -,

sondern es vermag als seinen höchsteigenen Bereich für sich allein die Grenzenlosigkeit seiner selbst,

dann aber auch den grenzenlosen Raum zu erkennen,

was, in unsere Sprache übersetzt, eben heißt,

daß diese Erkenntnisse Vorstellungen a priori, d. h. solche sind,

welche unabhängig von der Tätigkeit der fünf äußeren Sinne gewonnen werden,

»also nicht von außen in uns kommen *«: (* W. a. W. u. V. l, S. 518 (559))

sobald auch nur eine »gedankenhafte Berührung *« (* Majj. Nik. lll, p. 250 (141. Suttam))

mit der Welt eintritt, d. h. lediglich das Denk-Erkennen aufblitzt,

erhellt bereits dieses Erkennen für sich allein sofort den unendlichen Raum.

 

Wie wenig der Raum eine Form des Denkens ist, geht auch daraus hervor.

das wir ihn ganz aus unserem Denkbereich entlassen, und doch denken können,

nämlich dann, wenn wir uns in das Reich der Nichtirgendetwasheit erheben,

wenn also unser Denken vollständig in der Vorstellung aufgeht:

»Nun ist absolut nichts mehr für mich da.«

Dann ist auch der Raum aus dem Bewußtsein verschwunden.

Das ist übrigens auch schon insoweit und insolange der Fall,

als wir ganz auch in irgend einem anderen Gedanken aufgehen, der nichts mit dem Raum zu tun hat.

Wir können also den Raum, entgegen der Meinung Schopenhauers *,

* Schopenhauer, Parerga Il, S. 46 (52).

gar wohl »in Gedanken aufheben« oder »wegdenken«.

 

Was aber die Kausalität und die Zeit anlangt, so ist das Verhältnis folgendes:

  1. Sobald das Erkennen durch eine der Sinnentätigkeiten ausgelöst wird.

erkenne ich als die Elemente der Welt. wie ich sie in meiner und durch meine Persönlichkeit erlebe,

das Auge und die Gestalten, das Ohr und die Töne, die Nase und die Düfte, die Zunge und die Säfte,

den Leib und das Tastbare, das Denkorgan und die Vorstellungen – cfr. oben S. 48.

Sehe ich näher zu, so erkenne ich weiterhin alle diese Elemente als aus Materie

oder, wie der Buddho sagt, aus den vier Hauptelementen bestanden,

und zwar nicht bloß die sechs Sinnesorgane, einschließlich des Denkorgans,

sondern auch deren Korrelate: die Gestalten, die Töne usw.;

insbesondere sind auch die Vorstellungen, die Objekte des Denksinnes,

wie überhaupt alles sogenannte Geistige – cfr. Oben S. 53 unten flg. –

nur ein verfeinertes Materielles,

auf welcher Erkenntnis ja auch die modernen Versuche der Gedankenübertragung,

ja, der Gedankenphotographie beruhen:

etwas schlechthin Immaterielles kann mein Auge nicht sehen.

Mein Ohr nicht hören … mein Denkorgan nicht denken.

Man kann auch sagen: Mit materiellen Organen können auch nur materielle Objekte erkannt werden *. –

* Damit steht fest, daß auch der Raum. der mit dem Denkorgan erkannt wird.

Etwas Materielles ist.

Freilich muß man aber dieses Wort im Sinne des Buddho nehmen,

also einschließlich der höchsten Geistigkeit, somit ist die Sachlage die:

»Der Raum, im Gegensatz des Körpers, der ihn füllt, ist offenbar unkörperlich, folglich geistig« –

Frauenstaedt, Schopenhauers handschriftl. Nachl., S. 329 – folglich materiell.

Er ist mithin immateriell bloß in dem Sinne,

daß er keinen Körper, kein materielles Gebilde, d. h. nichts Stoffliches, bildet,

das allein dem Gesetz der Kausalität unterworfen ist, wie sich weiter oben zeigen wird. –

Demgemäß wird denn auch bereits in den Upanischaden – ex Taitt.-Up. 2, 1 –

der Raum – akasha – als ein allverbreitetes materielles Element – Äther – vorgestellt.

Wenn es in den bisherigen Auflagen des vorliegenden Werkes hieß,

daß die reine Materie-, im Gegensatz zu dem stofflichen, unentstanden und ewig sei,

so ist das so zu verstehen:

Der Begriff der reinen Materie ist ein bloßes Gedankending.

In Wirklichkeit gibt es so wenig reine Materie, als es reines, d. h. ungeformtes Holz gibt.

Sondern immer nur geformtes Holz, also Eichen, Birken, Buchen usw.

Der Begriff der reinen Materie

stellt nur die abstrakte Zusammenfassung aller einzelnen konkreten Stoffe

in einen, alles Differenzierenden entbehrenden Begriff dar,

wie unter den Begriff des – ungeformten oder reinen –

Holzes alle – geformten – Holzarten zusammengefaßt werden.

Die einzelnen konkreten Stoffe aber

sind im Grunde nichts weiter als individuelle Haufen von Prozessen

und damit Kausalreihen mit derselben zwingenden Anfangslosigkeit wie unser eigener Samsaro.

Eben die abstrakte Zusammenfassung dieser Anfangslosigkeit

und damit Ewigkeit aller individuellen stofflichen Kausalreihen

will daher im Grunde nur ausgedrückt werden,

wenn man von der Unentstandenheit und Ewigkeit der reinen Materie spricht.

(cfr. hierzu auch »Buddhisr. Weltspiegel« l. Jahrg., S. 15 flg.)

Somit erkenne ich also in dem Maß, als ich meine Persönlichkeit durchschaue,

zugleich den Bereich aller nur möglichen Erfahrung,

damit aber das All – cfr. oben S. 120 f. – als materiell, als ans Materie bestanden.

 

Zugleich mit dieser Erkenntnis vermag ich aber auch die Grundgesetze aller geformten Materie,

also alles Stofflichen – der Buddho fast es in den vier Grundstoffen zusammen –

so unendlich es auch sein mag, schon in jenem Bruchteil von ihm,

der meinen eigenen Organismus aufbaut, zu erkennen,

so gut, wie die Grundgesetze alles Wassers, wo es auch im Weltall sei,

schon an einem einzigen Wassertropfen erkannt werden können.

Auf diesem Wege, also durch Betrachtung meines eigenen Organismus,

finde ich nun als das Fundamentalgesetz, dem alles Stoffliche unterworfen ist,

eben das der Kausalität oder, um im Geiste des Buddho zu sprechen,

das der ursächlichen Bedingtheit, der Vergänglichkeit. –

Übrigens kann ich dieses Grundgesetz alles Stofflichen natürlich auch an jedem anderen Teil desselben,

also auch an der »äußerlichen Erdenart, Wasserart, Feuerart, Luftart«, studieren (cfr. oben S. 66).

 

Damit ist dann aber

der ganze Bereich aller nur möglichen Erfahrung als diesem Gesetz unterstellt erkannt

oder, mit anderen Worten – und hierin liegt die ungeheure Bedeutung dieser Erkenntnis

auch für das Verständnis der Lehre des Buddho –

die klare Einsicht in die ausnahmslose Gültigkeit des großen Vergänglichkeitsgesetzes

für alle nur immer denkbaren Welten, insbesondere auch für alle Götter- und Höllenreiche, eröffnet,

obwohl ich in diese zur Zeit keinen unmittelbaren Einblick haben kann *.

* Damit vergleiche man die folgenden Worte du Prels (l. c., S. 347):

»Wir können nicht annehmen, daß nur das Atom unserer Erde

speziell für einen so kriegerischen Zustand der Dinge auserlesen sei,

daß nur auf Erden jener Kampf herrsche, in dem alles gegen alles steht.

Es ist die gleiche Materie, aus der die ganze sichtbare Welt entstanden ist,

und auf alle Sterne müssen wir im Großen und Ganzen die irdischen Verhältnisse übertragen.

In der Veränderung liegt das Wesen der Materie

und keine Erscheinung vermag anders zu entstehen als durch Auflösung anderer.

Wo immer daher das Phänomen des Lebens auftreten mag,

kann es sich nur erhalten auf der Basis vorangegangener Naturstufen,

nur als Kreislauf des Stoffes ist Leben denkbar,

und nur auf Kosten niedrigerer Lebensformen

vermögen sich höhere Formen zu entwickeln und zu erhalten.

Der Schmerz ist demnach im ganzen Kosmos ein so allgemeines Gesetz wie die Gravitation«

 

  1. Im Gegensatz zum Raum ist die Zeit nichts Reales.

Sie ist vielmehr weiter nichts

als die Form der Kausalität in ihrer endlosen Verkettung nach vorwärts und rückwärts,

so daß also, wenn jede Veränderung aufhörte, damit auch die Zeit aufgehoben wäre.

Das ist richtig trotz Schopenhauer *.

* lll. S. 280 (190); Parerga I, S. 115 (120 f.); Parerga ll, S. 48 (49 f.).

Freilich würde, »wenn alle Veränderungen im Himmel und auf Erden stockten, die Zeit doch fortlaufen«,

aber doch nur, weil wenigstens noch ein mentaler Prozeß

in wenigstens noch einem – die Stockung beobachtenden – Lebewesen vor sich ginge,

der dann in der Aufeinanderfolge seiner Veränderungen die Zeit repräsentierte.

Würde auch dieser Prozeß aufhören, würden also mit einem Schlag

nicht nur alle äußeren Bewegungen am Himmel und auf Erden zum Stillstand kommen,

sondern auch jedes Leben in irgendwelcher Form und damit auch jede Art von Erkenntnistätigkeit,

und würde dann das Ganze, ebenso mit einem Schlag, an dem Punkt, wo es stehen geblieben war,

wieder in Gang gesetzt werden,

so könnte nicht nur niemand sagen,

ob der absolute Stillstand eine Sekunde oder Billionen von Jahren gedauert hätte,

sondern es wäre tatsächlich gar keine Zeit verflossen, was sich dadurch anzeigen würde,

das jeder schlechthin und in jeder Beziehung, also auch soweit man von Zeit sprechen könnte,

an die zuletzt vor sich gegangene Veränderung anknüpfen würde:

was dazwischen gelegen wäre, wäre das reine Nichts gewesen,

das heißt es wäre nichts dazwischen gelegen, also auch keine Zeit.

 

Ist somit die Zeit nur die Form oder, um mit Schopenhauer zu reden,

»das Grundschema der Kausalität *« (* Satz vom Grunde. S. 150 f. (167 f.))

dann wird also, wo immer Kausalität erkannt wird, auch die Zeit erkannt *.

* Eben deshalb existiert für den Buddho auch nicht das Problem der Zeit,

sondern nur das der Veränderlichkeit, also der Kausalität.

 

  1. Die Kausalität aber wird nach dem Bisherigen – II, I – überhaupt nicht a priori erkannt,

wenn auch freilich schon durch jede Art äußerer Erkenntnis,

da nach dem Ausgeführten, wo nur immer erkannt wird,

vom Raum und dem Element des Erkennens selbst abgesehen,

überhaupt nichts weiter als geformte Materie, damit aber stets auch Kausalität erkannt wird.

Das ist auch die Ursache· warum die Erkenntnis dieser Kausalität in jedem Lebewesen vorhanden ist. wenn auch, entsprechend der Verschiedenheit der Grade der Erkenntnis überhaupt,

in den verschiedensten Abstufungen,

wie das du Prel – »Die Planetenbewohner und die Nebularhypothese«, S. 143 –

wie folgt, anschaulich macht:

»Werfen wir einem intelligenten Hund Brotstückchen auf die Straße hinab, so wird er sie auflesen,

aber schon nach dem ersten Mal emporblicken, die Ursache davon zu erkennen.

Nicht so das Schwein;

es würde in einem fort fressen, als wäre der biblische Mannaregen an der Tagesordnung«

Im modernen Menschen ist diese Erkenntnis so lebendig geworden,

das Lichtenberg, wie du Prel a. a. O. gleichfalls anführt,

ihn das »rastlose Ursachentier« nennt.

Freilich scheint gegen die bloß empirische Erkenntnis der Kausalität der Umstand zu sprechen,

daß jedes Wesen

den ihm eigenen Grad von Erkenntnis der Kausalität der Hauptsache nach bereits mit auf die Welt bringt.

Allein auch das ist auf der Hochwarte, von der aus uns der Buddho in die Welt hineinblicken lehrt,

ohne weiteres verständlich.

Es ist ganz ebenso zu erklären, wie die Entstehung des Grundwahns,

in dem die Menschheit befangen ist, daß nämlich das Wesen des Menschen

zum mindesten in den sogenannten geistigen Funktionen bestehe – cfr. oben S. 243 -,

mithin als eine, durch die unaufhörliche Erkenntnis der Kausalität alles Geschehens erzeugte

und in einem fort verstärkte unvordenkliche Denkgewohnheit,

bei jeder Erscheinung die Ursache aufzusuchen, d. h. unaufhörlich »warum?« zu fragen,

eine Gewohnheit, die sich im Laufe des Samsaro,

wie alle durch mehrere Existenzen hindurch gepflegten Willensbetätigungen

– auch die Denktätigkeit ist eine solche Willensfunktion –

zu einer richtigen konstitutionell gewordenen Anlage

oder zu der entsprechenden Gehirndisposition verdichtet hat.

»In einer Welt, darin – alles nach dem Kausalitätsgesetz geschieht,

müssen Individuen sich entwickeln, welche kausaliter denken,

und zwar um so mehr, je höher sie in der organischen Stufenleiter stehen«,

führt du Prel a. a. O. ganz im Geiste der Lehre des Buddho aus. –

Nur die Ausgestaltung dieses kausalen Denkens,

mithin gleichfalls zu Gehirndispositionen ausgereifte Erkenntnisse sind die Denkgesetze.

 

  1. Weil aber so die Kausalität nicht die Form des Elements des Erkennens selbst ist,

vielmehr das Denken in Form der Kausalität,

  1. h. das stete Aufsuchen der Ursache zu einer gegebenen Erscheinung,

bloß eine – unvordenkliche – Gewohnheit bei der Erkenntnistätigkeit darstellt,

darum kann im Erkennen oder Bewußtsein, wenn die Denktätigkeit auf ihn hinführt,

auch der Gedanke des Kausalitätslosen entstehen,

mit der Folge, daß das Bedürfnis, noch weiter »warum?« zu fragen, schwindet.

Das wäre unmöglich, wenn die Kausalität die Form des Erkennens selbst wäre,

indem in diesem Fall jener Gedanke, weil gegen die Form, auch nicht ans ihr hervorgehen könnte. –

Wäre die Kausalität die Form des Erkennens und damit, »objektiv gedacht«,

nichts weiter, als »der Widerschein unseres eigenen Verstandes *«,

* Schopenhauer, Satz vom Grunde, S. 190 (99).

dann wäre übrigens das Erkennen selber, eben weil die Kausalität bloß die Form wäre,

in der es selbst sich betätigt, kausalitätslos, mithin unbedingt.

Nun wird aber auch es selbst als bedingt erkannt – es entsteht und vergeht fortwährend -,

woraus zwingend folgt, daß es selbst der Kausalität unterworfen ist, diese also hinter und über ihm steht, mithin nicht seine bloße Form sein kann.

 

  1. Weil die Kausalität unserem Erkenntnisvermögen nicht wesentlich inhäriert,

darum kann sie, und mit ihr auch die Zeit, auch aus unserem Bewußtsein entlassen werden,

nämlich dann,

wenn man sich nach dem Aufhören alles stofflichen Denkens in »das Reich des unbegrenzten Raumes«

zu erheben vermag:

in diesem Zustand gibt es keinerlei Bewußtsein von irgend etwas Fließendem,

also auch nicht von der Kausalität und der Zeit, mehr.

Insoweit,

  1. h. also durch die volle Konzentration des Erkennens auf die Vorstellung des unbegrenzten Raumes,

können mithin auch die Kausalität und die Zeit gar wohl weggedacht werden.

 

  1. Aus dem Bisherigen erklärt sich endlich auch der Umstand,

das, wie alles Wollen überhaupt, so insbesondere auch das Erkennen-wollen

und damit die Denktätigkeit als solche, nur in der Form der Zeit vor sich gehen,

also im Bewußtsein auch stets nur eine deutliche Vorstellung unmittelbar gegenwärtig sein kann:

Alles Wollen vollzieht sich vermittels der stofflichen Sechssinnenmaschine als der Willensmaschine

– cfr. oben S. 172 – oder an und mit den sechs stofflichen Sinnesorganen,

indem alles Wollen ja nur ein Sehen-, Hören-, Riechen-, Schmecken-, Tasten-, Denken-wollen sein kann.

Eben wegen dieser Stofflichkeit seiner Werkzeuge

ist dann auch das Wollen selbst in die Gesetze des Stofflichen,

insbesondere also in das Kausalitätsgesetz und damit in die Zeit, verstrickt *.

* Darin, daß jede Willensbetätigung sich an und mit dem entsprechenden Organ vollzieht,

dieses also, je stärker der Wille ist, um so mehr in Anspruch genommen und abgenützt wird,

liegt auch der Grund, warum die Leidenschaften, wie überhaupt alle Willensbetätigungen,

insbesondere auch das Denken, den Organismus angreifen und schwächen,

ja, in plötzlicher Aufwallung, das Organ, etwa das Herz, zum »Brechen« bringen können,

so, wie überschäumende elektrische Energie den Metalldraht verbrannt.

 

Wegen dieser Beschränkung infolge der Zeit, wie übrigens auch infolge jener,

die die Kausalität des stofflichen zugleich hinsichtlich des Raumes bedingt,

bildet das in der Denktätigkeit sich realisierende Wollen dann auch die Begriffe,

um in ihnen die zahllosen flüchtigen Erscheinungen der Hauptsache nach festzuhalten.

Diese Begriffe kann es dann jeweils nach Belieben in Form des Urteilens und Schließens

vor das immer wieder neu angezündete Licht des Erkennens bringen,

damit in dieser Weise sie und in ihnen

die Erscheinungen der Welt in ihrem gegenseitigen Verhältnis durchschaut werden.

 

llI.

Die Ausführungen unter l, mit denen unter ll kombiniert, ergeben folgende Schlußansicht:

Die Welt ist das Reich des Materiellen.

Wir sind nichts von der Welt, insbesondere auch nichts Geistiges,

das ja nur ein verfeinertes Materielles ist.

Wir sind also immateriell, ein Begriff, der, richtig verstanden, durchaus negativ, also völlig inhaltsleer ist,

indem er eben nur besagt,

daß wir nichts von der Welt sind, diese oder der Bereich des Materiellen anatta ist. –

Zwischen dem Immateriellen und dem Materiellen besteht eine solche Verschiedenheit,

das im Immateriellen die Empfindung und Wahrnehmung des Materiellen

nur vermittels eines weiteren Zwischengliedes, eines Mediums, nämlich des Elements des Erkennens,

sich erheben kann.

Vermittels dieses Elements wird das Materielle selbst – wenn auch mühsam – erkannt,

nicht aber werden etwa bloß die Formen dieses Elements, wie sie sich im Materiellen spiegeln,

wiedergefunden. –

Die Erkenntnis ist indes eine sehr beschränkte.

Die Welt wird nicht an sich in ihrer Totalität erkannt,

sondern nur als die Welt der Gestalten, der Töne, der Düfte, der Säfte,

der Tastobjekte und der Vorstellungen, kurz, als Erscheinung der sechs Sinne.

Was sie darüber hinaus noch sein mag, bleibt unerfaßbar, so unerfaßbar, wie unser eigenes Wesens *. –

* Auch der Buddho hat also eine Kritik der reinen Vernunft,

  1. h. der Grenzen des Erkennens, gegeben.

Allerdings konnte sie bei ihm, da er zu Indern sprach, die keinen Rationalismus kannten,

sehr viel kürzer als bei Kant ausfallen. sie ist in Ang. Nik. IV. 77. wie folgt, gegeben:

isFolgende vier unerfaßbare Dinge gibt es, Mönche, über die man nicht nachzudenken hat,

es sei denn, daß man, indem man darüber nachdenkt, dem Wahn und der Verstörung anheimfalle.

Welche vier?

Der Bereich der Buddhas – (d. h. das Ich an sich) –

der Bereich der Schauungen – (cfr. oben S. 363) –

die Frucht der Taten – (cfr. oben, S. 196) –

die Welt – (d. h. die Welt an sich).«

 

Soweit sie mir in meinen sechs Sinnen zugänglich wird,

erweist sich als ihre Grundeigenschaft die ursächliche Bedingtheit oder die Vergänglichkeit.

Damit wird sie für mich zur Welt des Leidens. –

Somit geht im Erkenntnisprozeß der Fall des Immateriellen in das Materielle

und damit in das Leiden als der Sturz in die Tiefe vor sich.

Demgegenüber stellt sich das definitive Abwerfen des Erkenntnisapparates

mit dem völligen Erlöschen alles Wollens, d. h. alles Empfinden- und Wahrnehmen-Wollens

und damit aller Empfindung und Wahrnehmung überhaupt –

es gibt nur eine Empfindung und Wahrnehmung der Welt – als die Rückkehr zur ewigen Ruhe –

vor den Einflüssen der Welt – und damit als der Große Friede dar.

 

  1. Der prinzipielle Unterschied der Lehre des Buddha von der Philosophie Schopenhauers – Buddhistische Kammentare

Wir haben im vorliegenden Werk wiederholt Gelegenheit gehabt,

die Verwandtschaft der Philosophie Schopenhauers mit der Lehre des Buddho kennen zu lernen.

Überhaupt wird man unschwer

die staunenswerte Übereinstimmung zwischen den beiden Großen jedesmal dann erkennen,

wenn es sich lediglich um die möglichst tiefe anschauliche Erfassung der Welt und ihrer Gesetze,

also um das eigentlich Geniale, handelt.

Die Divergenz und damit der Irrtum bei Schopenhauer beginnt regelmäßig erst da,

wo er seine anschaulichen Erkenntnisse vermittels der Tätigkeit seiner Vernunft

in sein metaphysisches System verarbeitet, nach welchem der Wille das Ding an sich ist,

so daß er also in eigener Person den Beleg zu seinem Ausspruch liefert:

»Solange wir uns rein anschauend verhalten, ist alles klar, fest und gewiß. …

Aber mit der abstrakten Erkenntnis, mit der Vernunft ist im Theoretischen der Zweifel und der Irrtum,

im Praktischen die Sorge und die Reue eingetreten-« –

Nur in einem Punkt ist er auch bei der anschaulichen Erkenntnis

einem, allerdings grundlegenden, »falschen Schein« unterlegen,

indem er eben die ursächliche Bedingtheit des Willens selbst,

der nichts weiter ist

als der Inbegriff der einzelnen Akte des Wollens, also dessen rein physische Natur,

nicht durchschaute, ihn vielmehr als unbedingt zu erkennen vermeinte.

Dieser falsche Schein,

den wir im bisherigen unter der Führung des Buddho wohl zweifellos als solchen durchschaut haben,

hat ihn dann zur Proklamierung des Willens als Ding an sich veranlaßt, und zwar auf dem Weg:

Der Wille ist das Ding an sich von mir,

also auch das Ding an sich aller anderen Wesen, also das Ding an sich der ganzen Welt. –

Freilich ist «es schlechterdings unbegreiflich,

ja, ein Widerspruch in sich selbst, wie das Ding an sich, wenn ihm das Wollen wesentlich ist.

Wenn es also in diesem besteht, sich sollte von ihm losmachen können oder auch nur losmachen wollen:

Bin ich wesenhaft Wille, d. h. ist es mir wesentlich zu wollen,

dann kann aus mir mangels jeglichen zureichenden Grundes

in alle Ewigkeit nicht das Nichtwollen hervorgehen.

Wäre es mir aber wesentlich, nicht zu wollen,

dann wäre es aus dem gleichen Grund ausgeschlossen, daß je ein Wollen erfolgen könnte;

oder, wie schon Frauenstaedt dem Schopenhauer entgegenhielt:

»Entweder der Wille zum Leben ist das Ding an sich,

dann kann er nie vom Wollen des Lebens frei werden

oder er kann davon frei werden, dann ist er nicht das Ding an sich.«

Das Wollen und das Nicht-wollen ist mir vielmehr nur möglich,

wenn ich weder das eine noch das andere bin.

Sondern wenn Wollen und Nichtwollen nur Akte sind, die ich setze.

In diesem Sinn

will denn auch Schopenhauer selbst seine These vom Willen als Ding an sich bloß verstanden haben,

wie er das in seiner Antwort an Frauenstaedt (vom 24. August 1852) zum Ausdruck bringt:

»Die Bejahung und Verneinung des Willens zum Leben ist ein bloßes Velle und Nolle.

Das Subjekt dieser Beiden ist eines und dasselbe. –

Als solches wird es durch seine Aktus nicht aufgehoben und vernichtet«

– Worte, die er nicht nur in die Parerga – Il, S. 338 (326) – übernommen,

sondern dort noch durch die weiteren Sätze ergänzt hat,

»daß die Verneinung des Willens zum Leben keineswegs die Vernichtung einer Substanz besage,

sondern den bloßen Aktus des Nichtwollens:

das Selbe, was bisher gewollt hat, will nicht mehr.

Da wir dies Wesen … bloß in und durch den Aktus des Wollens kennen,

so sind wir unvermögend zu sagen oder zu fassen,

was es, nachdem es diesen Aktus aufgegeben hat, noch ferner sei oder treibe:

daher ist die Verneinung für uns … ein Übergang ins Nichts«.

Allein die weitere Konsequenz dieses grasen,

lautete Wahrheit enthaltenden Standpunktes wäre nun doch wohl die gewesen,

daß ich dann eben nicht Wille hin, sondern nur einen Willen habe,

den ich eben deshalb jederzeit nach Belieben ändern oder ganz aufgeben kann.

Diese letzte und äußerste Konsequenz hat Schopenhauer nun aber nicht gezogen,

sondern nach wie vor mit aller Entschiedenheit das Theorem vertreten,

daß ich Wille bin,

  1. h. also, daß in meinem Willen mein Wesen erscheint, sich in Raum und Zeit ausbreitet

und deshalb die Verneinung meines Willens eine Änderung meines Wesens darstelle,

was trotz aller entgegenstehenden begrifflichen Notwendigkeiten möglich sei,

da diese bloß von der Erscheinung, nicht vom Ding an sich gälten *.

* cfr. Brief an Frauenstaedt vom 6. August 1852.

 

Fragt man, wie Schopenhauer trotz seiner richtigen Erkenntnis,

daß das Wollen und Nichtwollen bloße Aktus von uns sind,

zu dieser Theorie vom Willen als unserem Wesen kommen konnte,

so liegt der Grund dafür in der anderweiten, von ihm übernommenen Lehre Kants,

daß die Welt der Erfahrung bloße Erscheinung sei.

Schopenhauer faßte nämlich hierbei das Wort Erscheinung in dem Sinne,

daß jeder solchen ein Erscheinendes – Ding an sich – zu Grunde liegen müsse derart,

daß die Erscheinung die Manifestation desjenigen sei, was erscheine.

Dieses letztere müsse deshalb sein Wesen und seinen Charakter in der Erfahrungswelt,

  1. h. eben in seiner Erscheinung, ausdrücken,

mithin solcher aus dieser herauszudeuten sein,

und zwar aus dem Stoff, nicht aus der bloßen Form der Erfahrung *. (* cfr. W. a. W. u. V. II, S. 204 (213))

Nun fand er als den Stoff aller Erscheinungen den Willen,

somit glaubte er in diesem auch das Wesen und den Charakter unseres eigenen Ich gefaßt zu haben,

ein Resultat, das er dann, so gut es ging, mit der anderweiten richtigen Erkenntnis zu vereinigen suchte,

daß das Wollen ein bloßer Aktus von uns ist, dessen Einstellung uns nicht berührt.

 

Weil so nach Schopenhauer trotz allem in meinem Wollen mein Wesen erscheint,

deshalb sagt er dann auch, daß in der inneren Erkenntnis, in der ich mich als Wille erkennen soll,

das Ding an sich seine Schleier zum großen Teil abgeworfen habe

und nur noch nicht ganz nackt auftrete,

das im Willen das Ding an sich in der allerleichtesten Verhüllung sich darstelle *.

* W. a. W. u. V. II, S. 220 f. (228f.).

Deshalb fragt er weiterhin, was jener Wille, der sich in der Welt und als die Welt darstelle,

zuletzt schlechthin an sich selbst sei *. (* l. c» S. 221 (229))

Deshalb mußte er insbesondere auch sein System in die grauenhafte Lehre des Determinismus,

  1. i. also der Unveränderlichkeit des Willens, ausmünden lassen,

von der der Buddho sagt, daß sie, wie ein härenes Gewand das schlechteste aller Gewänder sei,

bei der Hitze heiß, bei der Kälte kalt, von schmutziger Farbe, schlecht riechend, rau anzufühlen,

so die schlimmste aller Lehren darstelle *; (* Angutt. Nik. I, p. 286 (lII, 135))

wobei der starre Fanatismus,

mit dem Schopenhauer gerade diesen Standpunkt des Determinismus vertrat, am deutlichsten zeigt,

mit welch grimmigem Ernst er Zeit seines Lebens seinen Willen als sein leibhaftiges Ich betrachtete,

entsprechend seiner ausdrücklichen Konstatierung in den Grundproblemen der Ethik,

»das des Menschen Wille sein eigentliches selbst, der wahre Kern seines Wesens ist *.«

* S. 491 (400). – Richtig sollte der Satz lauten:

»Des Menschen Wille ist der wahre Kern seiner Persönlichkeit.«

 

Deshalb mußte er endlich die Willensverneinung als das magnum mysterium erklären,

dessen Lösung er, wie der Gottesgläubige den unauflöslichen Rest seiner Weltanschauung

hinter der Unerforschlichkeit des Ratschlusses seines Gottes verbirgt,

hinter den Schleiern des Dinges an sich vor sich gehen lassen.

 

In Wahrheit ist die Sache aber doch so überaus einfach:

Freilich ist der Satz Kants, das die Welt der Erfahrung bloße Erscheinung sei, richtig –

auch der Buddho lehrt ihn.

Aber falsch ist die Auslegung, die Schopenhauer ihm gegeben hat.

Die Welt der Erfahrung ist, und zwar auch soweit,

als die Erscheinung meiner eigenen Persönlichkeit in Frage kommt,

nicht meine Erscheinung, nicht Erscheinung von mir,

sondern eine Erscheinung für mich, die nicht das Geringste mit meinem Wesen zu tun hat.

Insbesondere ist mir auch das Wollen wesensfremd;

aber ich kann – per accidens – einen Willen in mir aufsteigen

und in Verwirklichung dieses Willens einen körperlichen Organismus entstehen lassen

und kann den Willen und damit auch den körperlichen Organismus selbst wieder untergehen lassen,

je nachdem mir der eine oder der andere Zustand angemessener dünkt,

ohne daß aus dem so erzeugten Willen der geringste Rückschluß auf mein Wesen zulässig wäre *.

* Bezüglich des Problems der Willensfreiheit im einzelnen siehe »Buddhistische Weisheit«, §§ 18 ff.

 

Weil der Wille nicht mein Wesen ist, kann er schon aus diesem Grunde auch nicht das Ding an sich sein.

Übrigens gibt es nach dem Buddho gar kein Ding an sich in dem bei uns gebräuchlichen Sinn,

daß es in allen Erscheinungen eines und dasselbe sei und sich in jeder derselben offenbare.

Es gibt vielmehr bloß das Ich an sich.

Wollte man aber von diesem aussagen, daß es eines und dasselbe hinsichtlich aller Wesen sei,

so wäre das eine transzendente Spekulation, gewonnen, um mit Schopenhauer zu reden,

der sich hier aber selbst dieses von ihm gerügten Fehlers schuldig macht,

durch eine xxxxx xxxxx xxxx, indem man daraus,

daß es an der Stätte der »dahingegangenen Erwachten, der Erscheinungswelt Entrückten *«

* Majj. Nik. Ill, p. 118 (123. Suttam).

keine Vielheit mehr gibt, auf ihre Einheit schließt, während doch in Wahrheit

schlechterdings kein Begriff in irgend welchem sinne mehr Anwendung finden kann,

auch nicht der der Einheit in dem Sinn,

daß ihm die Möglichkeit der Vielheit fremd sei, wie Schopenhauer meint *, (* W. a. W. u. V. I, S. 134 (166))

sondern für die Erkenntnis schlechterdings nur mehr das Nichts übrig bleibt.

Richtig in dieser Hinsicht, weil unmittelbar bei der anschaulichen Erfahrung stehen bleibend

und auf jede weitere Schlußfolgerung verzichtend,

ist also nur die Feststellung,

daß mein Wesen und das jeder einzelnen Erscheinung hinter dem Nichts verborgen liegt.

in das sich der Heilige zurückzieht – wer heilig werden will, muß sinichtsa werden wollen und werden. –

Insofern man aber für das Ich an sich

wenigstens jene Begriffsbestimmung des Dinges an sich retten wollte,

daß es sich in »seiner« Erscheinung offenbare,

indem es sein Wesen und seinen Charakter in der Erfahrungswelt ausdrücken müsse (cfr. – oben),

so haben wir das bereits als direkt falsch erkannt:

Mein wahres Wesen ist völlig qualitätslos, und alle Erscheinungen,

die in oder an oder vor mir oder wie man sonst sagen will – kein Ausdruck ist ja zutreffend – sich abspielen,

insbesondere auch mein Wollen, sind etwas mir im Grunde Fremdes, Unwesentliches,

so daß aus ihnen also auch nicht mein Wesen »herauszudeuten« ist.

 

Hiernach ist also die Charakterisierung des Willens als Ding an sich unter jedem Gesichtspunkt

und sonach auch die Grundvoraussetzung des ganzen Systems Schopenhauers falsch.

Damit sind dann aber natürlich auch alle weiteren Konsequenzen, die er aus ihr gezogen hat, hinfällig,

insbesondere auch seine Charakterisierung des Kreislaufs der Wiedergeburten jedes einzelnen Wesens

als eines bloßen, wenn auch der Wahrheit am nächsten kommenden Mythos *«.

* cfr. W. a. W. u. V. I, S. 420 (458 f.).

Zu einem solchen mußte er von seinem Standpunkt aus ja auch diesen Kreislauf stempeln,

indem, wenn der Wille als Ding an sich in allen Wesen nur einer ist,

dann freilich ein Kreislauf der Wiedergeburten des einzelnen Wesens

schlechterdings unmöglich erscheint. –

Es ist bewundernswert, mit welchem Aufwand von Scharfsinn

Schopenhauer auch die von ihm klar erkannte Tatsache dieses Kreislaufs

mit seiner falschen Grundansicht zu vereinigen wußte. –

Wir aber haben unter der Führung des Buddho deutlich gesehen,

daß der Kreislauf der Wiedergeburten jedes einzelnen Wesens das unmittelbar Erkennbare

und damit auch das Wirkliche ist,

das durch kein System von Begriffen hinwegphilosophiert werden kann

und mit dem eben deshalb auch keine Theorie in Widerspruch geraten darf,

wenn sie insoweit nicht ein leeres »Hirngespinst« werden soll:

meine vergangenen und zukünftigen Leben

sind so wenig ein »Mythos«, als mein gegenwärtiges ein solcher ist. –

Weil aber so diese falsche Charakterisierung des Willens als Ding an sich,

oder, wie wir auch sagen können,

die Setzung des Trennungsstriches zwischen atta und anatta an der falschen Stelle,

indem er allein noch den Willen oder besser das Wollen

von allem in der Welt dem atta als sein Wesen zusprach, das Einzige ist,

was Schopenhauer im Grunde vom Buddho unterscheidet,

deshalb braucht man an seinem System auch nur diese einzige Korrektur anzubringen,

um staunend zu finden, daß es sich dann im Wesen völlig mit der Lehre des Buddho deckt.

Eben daraus erhellt die ganze Größe Schopenhauers. – – –

 

Schopenhauers Grundgedanke ist, auch soweit er falsch ist, gewaltig:

Wenn die Wesenheit des Menschen in irgend etwas von der Welt bestände,

könnte sie nur Wille, und zwar – eben als seine Wesenheit – unveränderlicher Wille sein,

der sich durch seine actus oder Handlungen als Erscheinung offenbarte.

Me überall, wurde aber auch dieser Gedanke zur Fratze verzerrt,

mußte auf den Heros der »Monk of Misrule, Abbot of Unreason« folgen

und an Stelle der »wisheit« die »affenheit« treten *.

Neumann, Majj. Nik. Ill, Anm. zum 124. Suttam. p. 712.

Die Neuzeit gebar nämlich auch ein System,

nach welchem das tiefinnerste Wesen des Menschen sein jeweiliges Handeln

und weil jedes solches ein neues aus sich gebiert,

er zugleich das jeweilige Produkt seines vorausgegangenen Handelns sein soll.

Eine solche Behauptung hat allerdings Schopenhauer durch die Worte charakterisiert:

Anzunehmen, daß ich Produkt meines Handelns oder mein Handeln sei,

ist etwas, daß sogar ein Rasender nicht denkt *.«

* Frauenstaedt, Schopenhauers handschriftl. Nachl., S. 171.

Nun tragen das aber tatsächlich manche – Buddhisten – und als die Lehre des Buddho – vor,

indem sie als deren Kern ausgeben:

Mein Kammam (Wirken), also mein – von Wirkungen begleitetes – Handeln *,

* cfr. auch Franke, S. 57, Anm. 2, wo er das Wort Kammam

als den »bekannten Terminus für das Fortwirken des Handelns in zukünftigen Existenzen« definiert.

das gehört mir, das bin ich, das ist mein selbst;

mit der Folge, daß sie als das höchste Ziel aller Heiligkeit

die absolute Vernichtung des Menschen mit der Aufhebung dieses Kammam im Tod des Heiligen lehren,

sie setzen also dem Ganzen die Krone auf, indem sie auch noch die Möglichkeit dozieren,

dieses Kammam könne sich und damit auch ich mich jederzeit selbst vernichten, cfr. oben S. 105 f. -,

und zwar willkürlich,

obwohl ich doch in diesem Fall mit meinem Handeln

  1. a) selbst Wirkung einer Ursache, nämlich des jeweils vorausgegangenen Handelns

und b) andererseits auch selbst wieder Ursache des nachfolgenden-Handelns

und damit meines späteren Wesens mir der ganzen Notwendigkeit des Kausalnexus wäre *.

* cfr. Brief Beckers an Schopenhauer vom 12. August 1844.

Nicht einmal das merken sie, das ich.

Wenn ich in meinem Wirken bestünde,

mit derselben Lust altern und sterben, wie geboren werden müßte,

da mir dies alles ja nichts Naturwidriges,

sondern im Gegenteil die Auswirkung meines innersten Wesens wäre. (cfr. oben S. 96)

Im Übrigen wird dieser Standpunkt wohl durch das ganze vorliegende Werk,

insbesondere auch die beigebrachten Zitate aus dem Kanon selbst,

ja, schon ganz allein durch die Anmerkung 119, S. 277 direkt ad absurdum geführt,

so daß auch von dieser Bestimmung meines Ich als »Ich-Energie«,

wie man neuerdings den Ausdruck Kammam aus dem Bestreben heraus wiedergibt,

den Buddho in völliger Verkennung seines Charakters

als eines Heiligen unter die modernen Naturwissenschaftler einzureihen,

»das vollkommen weise Urteil gilt:

‚Das gehört mir nicht, das bin ich nicht, das ist nicht mein selbst!‘

So wird sie verleugnet, so wird sie verworfen *.« (* cfr. ob. S. 257, Anm. 45.)

 

Fragt der Leser, wie eine solche Verirrung möglich sei,

so kann die Antwort am besten mit den Worten Tschuang-Tse’s gegeben werden:

»Man kann vom Meere nicht zu einem Laubfrosch sprechen: er sieht nicht über sein Loch hinaus.

Man kann vom Eis nicht zu einer Sommerfliege sprechen: sie weiß nur ihre Jahreszeit« –

so kann man zu Menschen, die noch völlig mit ihrer Persönlichkeit verwachsen sind,

nicht vom Anatta-Gedanken des Buddho sprechen:

sie können schlechterdings nicht anders,

als in irgend einem Faktor ihrer Persönlichkeit und damit der Welt ihr Ich zu finden.

 

Freilich wird der Leser auch noch verwundert die Frage stellen, wie sich der Satz:

»Das Kammam: das gehört mir, das bin ich, das ist mein Selbst«

auch nur formell mit der Lehre des Buddho in Einklang bringen lasse,

da dieser doch lehrt, daß ein Weiser von allem,

»was da gesehen, gehört, gedacht, erkannt, erforscht, im Geiste untersucht wird

– (also auch vom Kammam) – hält:

»Das gehört mir nicht, dies bin ich nicht, dies ist nicht mein Selbst *.‘« (* Majj. Nik. I, p. 135 (22. Suttam))

Die Antwort ist wiederum sehr einfach:

Der Geist der eigenen schule beherrscht so sehr den

Übersetzer, daß er ihn gleich selbst statt der Übersetzung sprechen läßt.

Ein typisches Beispiel

finden wir in der Übersetzung des Einer-Buches des Ang. Nik., S. 50, von Nyanatiloka.

Dort heißt es richtig: »Nicht möglich ist es, ihr Brüder, ist unbegründet,

daß einer, der von rechter Erkenntnis durchdrungen ist, etwas für das Ich – atta – halten sollte.

Wohl aber, ihr Brüder, ist es möglich, daß der Weltling etwas für das Ich – atta – halte *.«

* Das Ich ist schlechterdings unerkennbar.

Insbesondere ist auch nicht etwa Nibbanam das Ich.

Auch dieses ist vielmehr anatta.

Die Nibbana-Sphäre (nibbana-dhatu) ist die – ewige – Heimat des Ich

und als solche vom Ich geradeso verschieden wie meine natürliche Heimat nicht mein Ich ist.

Nibbanam selbst

aber ist der dem Ich allein angemessene – absolute – Zustand (paramattha-dhammo)

der Freiheit von allen Beilegungen (upadhis),

welchen Zustand es haben kann und nicht haben kann:

zur Zeit haben wir ihn nicht.

Also gehört auch er mir nicht wesenhaft an.

(»Nirvana, des Riesen Riesenwahrheit« in der Monatsschrift »Buddhist. Weltspiegel«,

  1. Jahrg., S. 161 fig.; »Buddhist. Weisheit« §§ 32-34).

Wie übersetzt nun Nyanatiloka?

»Nicht möglich ist es, ihr Brüder, ist unbegründet,

daß einer, der von rechter Erkenntnis durchdrungen ist, etwas für eine absolute Wesenheit halten sollte.

Wohl aber, ihr Brüder, ist es möglich, das der Weltling etwas für eine absolute Wesenheit halte *.«

* cfr. auch Meter-Buch, S. 453, wo in gleicher Weise »übersetzt« ist.

Nach diesen Ausführungen sei es dem Leser überlassen, sich sein Urteil selber zu bilden *.

* und so einen weiteren Beleg

für die Richtigkeit der oben S. 379, Anm. 203 behandelten Prophezeiungen des Buddho zu geben.

Einen Teil der Schuld an dieser Deutung moderner Theravadins

mögen auch unsere abendländischen Naturwissenschaften tragen:

Von deren Erfolgen wurden nicht nur die meisten unserer Gebildeten,

sondern auch manche europäisch gebildete Buddhisten Asiens völlig berauscht,

mit der Wirkung, daß sie, hüben wie drüben,

auch eine Beute des materialistischen Geistes dieser Naturwissenschaften wurden,

deren Vertreter sich so sehr in das Physische verloren,

daß ihnen jedes Bewußtsein von dem Charakter dieses Physischen als Anatta

– cfr. oben S. 199, Anm. 92 –

und damit auch jede Empfindung für die religiöse Idee,

die in der gerade entgegengesetzten Richtung liegt

und auch noch zu allen Zeiten in dieser entgegengesetzten Richtung gesucht wurde,

verloren ging.

 

ANHANG

ZITIERTE TEXTSTELLEN

Anguttata Nikayo (Übersetzung von Nyanatiloka)

Bhagavadgita

Catiya Pitaksm

Cullavaggo

Dhammapadam

Digha Njkayo (Übers. v. K. E. Neumann) (Übers. v. R. O. Franke)

Gesetzbuch des Manu

Itivuttakam

Jatakam

Maha Niddeso

Mahavaggo

Majjhima Nikayo (Übers. v. K. E. Neumann)

Milinda Panho (Die Fragen des Milindo (Menandros))

Puggala Pannatti

Rigveda-samhita

Samyutta Nikayo

Suttanipato (Übers. v. K. E. Neumann)

Thera-Gatha (Psalmen der Mönche)

Theri-Gatha (Psalmen der Nonnen)

Udanam

 

Upanischaden

Brihadaraoyaka-Upanischad

Chandogya-Upanishad

Isha-Upanischad

Katha-Upanischad

Maha-Narayana-Upanischad

Maitrayana-Upanischad

Mandukya-Upanischad

Nrisinha-uttakat.-Upanischad

Paramahamsa-Upanjschad

Shvetashvatara-Upanischad

Taittiriya-Upanischad

 

Veden

Rigveda-samhita

Sechzig Upanischaden des Veda

Sprüche des Veda

 

 

Berichtigung:

Auf Seite 61, Anm. 64, Zeile 9 muß die Stellenangabe lauten: (Sam. Nik. IV, 211 : XXXVI, 7)

 

 

 

 

 

 

 

Georg Grimm (25. Februar 1868 bis 26. August 1945)

widmete sich nach vollendetem Theologiestudium dem Studium der Jurisprudenz.

Er schlug die richterliche Laufbahn ein, sein philosophisches Interesse

ließ ihn sich bald dem intensiven Studium der Werke Arthur Schopenhauers zuwenden.

Anregend war für ihn auch der Verkehr mit Carl Du Prel (1839 bis 1899),

als dessen Hauptwerk „Die Philosophie der Mystik“ bekannt ist.

Unter dem Einfluß Schopenhauers kam er zu indologischen Studien.

Besonders aufmerksam widmete er sich dem Studium der Pali-sprache.

Dabei geriet er immer mehr in den Bannkreis der Buddha-Lehre 1915

erschien erstmalig „Die Lehre des Buddha, die Religion der Vernunft“.

Nach einem längeren Aufenthalt auf Palma de Mallorca

ging er 1923 als Oberlandesgerichtsrat in München in Pension.

In Kreisen, die ihn beruflich kennenlernten, war er als der „mildeste Richter Bayerns“ gekennzeichnet. Georg Grimm schrieb seine Bücher aus einer Haltung heraus,

die ihm die praktische Verwirklichung der Lehre gab.

Er schrieb sie für sich selbst, wie er oft sagte.

Die letzten zwölf Jahre des Lebens verbrachte er in der ländlichen Stille am Ammersee.

 

Mit dem bekannten Indologen und Philosophen Paul Deussen (1845 bis 1919),

dem Jugendfreund Nietzsches, verband ihn durch viele Jahre eine Freundschaft bis zum Tod.

Gemeinsam mit dem Indologen Karl seiden-Melker (1876 bis 1936)

gründete Georg Grimm 1921 die „Altbuddhistische Gemeinde“.

 

* * *